Ich kenne Herrn Plagge schon seit dem Jahre 1940 und war bis zum

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Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
Signature: 4.1.3. / Department 520 / Spruchkammern / Dl / Plagge, Karl
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Heinz Zeuner
Darmstadt
Rhönring 43
1
Darmstadt, den [ohne Datum]
Ich kenne Herrn P l a gge schon seit dem Jahre 1940 und war bis zum Kriegsende mit ihm
zusammen. Man konnte sich keinen Vorgesetzten denken, der sich mehr um das Wohl und
Wehe seiner Untergebenen bekümmert hätte als er. Als wir nach Russland kamen, wurde ich
Verpflegungsunteroffizier des Kraftfahr-Instandsetzungsparkes, der von ihm geführt wurde.
Als solcher kam ich mit ihm fast täglich zusammen, da er sich dauernd Sorge darüber
machte, ob auch alle genügend satt würden. Ganz besonders bekümmerte er sich auch um die
im Park beschäftigten Zivilarbeiter, für die ich dauernd Zusatzmittel (Kartoffeln, Mehl,
Gemüse usw.) beschaffen musste. Er veranlasste sogar wöchentliche Feststellungen des
Körpergewichtes, um sich zu überzeugen, dass die Ernährung ausreichend sei. Ganz
besonders musste ich immer darauf achten, dass an die Offiziere keinerlei besseres oder mehr
Essen ausgegeben wurde als an uns. Gerade das hat er mir immer wieder eingeschärft. Für
sich selbst war er äusserst bescheiden und lebte ohne jeden besonderen Aufwand. Bei Pl. Fiel
besonders sein großer Gerechtigkeitssinn auf. Überall, wo er glaubte, dass Unrecht geschah,
schaltete er sich selbst ein. Ganz besonders, wenn Juden verfolgt wurden. Jüdische Männer,
Frauen und Kinder haben sich mit seinem Wissen und Einverständnis wochenlang im
Gelände des Parks versteckt gehalten, als der SD die Juden in Wilna verschleppte. Einem
jüdischen Arzt und seinem 75-jährigen Vater hat er Ausweise als Kraftfahrzeughandwerker
ausgestellt, sodass sie hiermit der Verhaftung entgehen konnten. Seinen polnischen Ingenieur
hat er selbst aus dem Gefängnis geholt, wohin er ohne Urteilsspruch verschleppt worden war.
Als man begann, Arbeiter nach Deutschland zwangszuverschleppen, hat er vielen Polen
geholfen, indem er ihnen die notwendigen Ausweise gab, ohne dass es überhaupt Fachleute
waren.
Eigentlich wundere ich mich, dass aus all diesen Dingen keine grossen Schwierigkeiten für
ihn entstanden sind. Es bestand doch immer die grosse Gefahr, dass der SD oder die
Zivilverwaltung dahinter kamen, wie ihre Massnahmen im Werk durchkreuzt wurden.
Herrn Plagges grösste Sorge war zunächst, uns ohne Verluste in englische oder
amerikanische Gefangenschaft zu überführen, was ihm schliesslich am 2. Mai 1945 auch
gelang. Wir haben ihn alle gerne gehabt und geachtet.
Diese Erklärung entspricht der vollen Wahrheit. Es ist mir bekannt, dass unwahre Angaben
mich schwerer Bestrafung aussetzen.
Ich selbst habe niemals der Partei angehört.
[gez.] Heinz Zeuner
2
[Stempel: 30. Juli 1947]
Eidesstattliche Erklärung
Herr Dipl.-Ing. P l agge war von 1932 – 1937 als Versuchs-Ingenieur und anschliessend bis
Kriegsausbruch als techn. Berater der Direktion im gleichen Betrieb wie ich tätig.
Er war als Vorgesetzter, sowie auch sonsthin gegen jedes Gefolgschaftsmitglied
zuvorkommend und ein Gegner irgendwelcher Ungerechtigkeit. Betriebsangehörige, die nicht
nur die NSDAP und ihre Gliederungen ignorierten, sondern ihre ablehnende Haltung
offensichtlich zeigten, wurden von ihm in keiner Weise benachteiligt.
Ich kann nur bestätigen, dass Herr Plagge gegen mich, obgleich ich auch zu der Gruppe der
letztgenannten gehörte, sich jederzeit höchst anständig benommen hat und wir würden es alle
begrüssen, wenn er wieder als Mitarbeiter in unserem Werk erscheinen würde.
Bickenbach, den 10.7.1947.
[gez.] Adam Stahl
[handschriftl.: Bickenbach a.d.B.
Hartmannstr. 56]
3
Abschrift
[Stempel: 30. Juli 1947]
Dr.med. H. Gr eve , Facharzt für Orthopädie
(16) Bensheim-Auerbach, den 27.V.47.
Rp.
Bei Herrn Karl Plagge, Neunkirchen, besteht infolge spinaler Kinderlähmung beider Beine
eine E.M. auf dem allgem. Arbeitsmarkt von 50 %.
Pat. ist im Gehen u. Stehen sehr behindert.
Dr. Greve e.h.
14440
Dr. Greve
(16) Bensheim-Auerbach
Abschrift
Dr. Braunwarth,
Facharzt für innere Krankheiten.
Bensheim, den 27. Mai 1946
Ärz t l i cher Be ri cht
Auf sein eigenes Verlangen gebe ich
Herrn Karl Plagge, 48 Jahre alt z.Zt. wohnhaft Bensheim, Darmstädterstrasse 13, folgenden
ärztlichen Bericht:
Früher spinale Kinderlähmung – Herbst 45 in der Kriegsgefangenschaft Verschlimmerung
der alten Paresen.
Befund: Atrophie des re. und li.m.quadriceps. Oberschenkelumfang (12 cm oberhalb patella)
li. 38 cm, re. 36,5 cm. Deutliche Atrophie der Peronaesmusmuskulatur re; Wadenumfang li
36 cm, re. 35 cm. Patellarreflex li nur angedeutet, re. schwach positiv.Achillesreflex re.
schwächer als li.
Kniebeugung bds. ausreichend kräftig, Streckung sehr schwach, bes. li. Plantarflexion bds.
kräftig, Dorsalflexion li. Abgeschwächt, re. nur angedeutet. Paralytischer Hohlfuss re.
Herr Plagge ist nur beschränkt arbeitsfähig.
Dr. Braunwarth
Facharzt für innere Krankheiten
Dr. Braunwarth e.h.
[Beglaubigung der Übereinstimmung der Abschrift
gleichlautend mit dem Original vom 21. Juni 1947
durch den Bürgermeister Lützelbach Neunkirchen
gez. Brunner]
Dr.jur. Alfred Stumpff
Rechtsanwalt
Alzey
Fernsprecher Nr. 9
4
Alzey, den 26. April 1947
Schloßgasse 21
[Stempel: 30. Juli 1947]
Eidesstattliche Erklärung
Zum Zweck der Vorlage bei der zuständigen Spruchkammer erkläre ich an Eidesstatt das
Folgende:
Herrn Dipl.Ing. Karl Plagge, den ich früher nur als einen um mehrere Jahre älteren
Mitschüler des Darmstädter Gymnasiums von Ansehen kannte, habe ich persönlich erst
während des letzten Krieges näher kennengelernt. Vom 16. Juni 1942 bis 2. Oktober 1942
stand ich als Oberleutnant beim Heeres-Kraftfahrpark 562 in Wilna, dessen Führer Herr
Plagge war.
Ich konnte während dieser Zeit feststellen, dass Herr Plagge aus einer durchaus ehrenhaften
und menschlichen Gesinnung heraus die in den besetzten Ostgebieten betriebene
Vernichtungspolitik gegen die jüdische Bevölkerung auf das Schärfste ablehnte. Er hat dies
häufig in Unterredungen mit mir offen zum Ausdruck gebracht. Herr Plagge hat aber die
inner Einstellung auch in einer Weise in die Tat umgesetzt, die grossen persönlichen Mut
erforderte und geeignet war, ihm selbst erhebliche Nachteile zu bereiten. Ich gebe hierzu
nachstehend einige Beispiele:
1. Die sehr zahlreichen Juden in Wilna waren in einem Ghetto zusammengepfercht. Es wurde
dort unterschieden zwischen den irgendwie für die deutsche Wehrmacht oder
Kriegswirtschaft arbeitenden „brauchbaren Juden“ mit ihren Frauen und Kindern, die
verschont wurden und eine besondere Abteilung ( - meiner Erinnerung nach Ghetto A
genannt - ) bildeten und den übrigen „unbrauchbaren Juden“ (Ghetto B), die anscheinend
nach und nach Opfer von Vernichtungsaktionen wurden. Beschäftigung bei einer Dienststelle
der deutschen Wehrmacht bedeutete deshalb für die Juden in der damaligen Zeit Erhaltung
ihres Lebens. Herr Plagge hat nun in seiner Dienststelle Juden in grosser Zahl eingestellt und
zwar waren während meiner dortigen Verwendung meiner Erinnerung nach etwa 150 Juden
bei dem Park beschäftigt. Hierunter befand sich eine grosse Zahl von Juden, die für die
eigentlichen Aufgaben
[S. 2]
des Parks weder brauchbar noch notwendig waren. Es wurden z.B. Juden als Friseure,
Schuster, Schneider und Küchenpersonal sowie mit Aufräumungsarbeiten, jüdische Frauen
und Mädchen als Gartenarbeiterinnen und sogar ein jüdischer Arzt zur Überwachung des
Gesundheitszustandes der Zivilarbeiter beschäftigt. Nach aussen hin wurden diese Leute auch
meist als Facharbeiter für die Kraftfahrzeuginstandsetzung getarnt. Aus persönlichen
Unterredungen mit Herrn Plagge ist mir bekannt, dass er einen grossen Teil dieser Juden
bewusst nur deshalb eingestellt bzw. beibehalten hat, um sie dem Vernichtungswerk des SD
und der Parteistellen zu entziehen.
2. Herr Plagge behandelte die Juden selbst in der anständigsten Weise und achtete streng
darauf, dass dies auch von seinen Untergebenen geschah. Kennzeichnend hierfür ist
folgender Vorfall, übrigens die einzige Ausschreitung gegenüber einem jüdischen Arbeiter,
die mir im Bereich der Dienststelle zur Kenntnis gelangt ist:
Eines Tages kam ich zufällig hinzu, wie ein aus Wiesbaden stammender Feldwebel des
Parks, der sich viel darauf zugute tat, der zivilen SS anzugehören, einen jüdischen Arbeiter
bedrohte und ihm einen Tritt versetzte. Als ich den Feldwebel sofort zur Rede stellte, berief
dieser sich darauf, dass der Jude ihn belogen habe und machte die üblichen
nationalsozialistischen Redensarten, dass die Juden unsere Feinde seien und keinen Schutz
verdienten. Auf meinen scharfen Vorhalt, dass es eines Soldaten unwürdig sei, sich an einem
wehrlosen Menschen zu vergreifen und dass er sich zur Frontverwendung melden sollte,
wenn er Deutschlands Feinde bekämpfen wolle, pochte er wieder auf seine Zugehörigkeit zur
SS und äusserte versteckte Drohungen, dorthin Meldung zu machen. Ich meldete diesen
Vorfall Herrn Plagge, der den Feldwebel in der schärfsten Form zurechtwies, ihn sofort von
jeder Tätigkeit ausschloss, durch die er mit den jüdischen Arbeitern in Berührung kommen
konnte und ihm sogar den dienstlichen Befehl erteilte, sich zur Frontverwendung zu melden,
was dann m.W. auch geschehen ist. Auch in diesem Fall setzte sich Herr Plagge zum Schutz
der Juden den politischen Intrigen dieses m.E. gefährlichen Menschen aus.
[Blatt – 2 -, S. 3]
3. Die Juden erhielten ihre Lebensmittelzuteilung im Ghetto und hatten keinerlei Anspruch
auf Verpflegung bei unserer Dienststelle. Trotzdem bekamen sie – ebenso wie die polnischen
Arbeiter des Parks – zusätzlich während meines Aufenthalts bei der Dienststelle täglich eine
warme Suppe oder eine andere warme Mahlzeit. Da der Park für diesen Zweck keinerlei
Zuteilung erhielt, bemühte sich die Dienststelle und insbesondere Herr Plagge als
Einheitsführer darum, Lebensmittel wie Kartoffeln, Gemüse und Pferdefleisch hierfür
heranzuschaffen. Der Park war deshalb als Arbeitsstelle auch besonders beliebt.
4. Nicht aus eigener Wahrnehmung, sondern aus dem mir damals von Herrn Plagge selbst
gegebenen, durchaus glaubhaften Bericht, ist mir folgendes bekannt: Frau und Kinder eines
bei uns beschäftigten Juden hatten Verwandte im sogenannten Ghetto B besucht, waren dort
einer Razzia in die Hände gefallen und in ein Vernichtungslager oder eine ähnliche Stelle
verschleppt worden. Der jüdische Arbeiter wandte sich in seiner Verzweiflung mit der Bitte
um Hilfe an Herrn Plagge, der sofort zu dem Lager fuhr und nicht eher ruhte, bis ihm Frau
und Kinder des Juden wieder herausgegeben wurden.
5. Herr Plagge setzte sich auch mit besonderer Energie für die Verbesserung der
Lebensbedingungen unserer polnischen Arbeiter ein. Da Wilna während des Krieges zu
Litauen geschlagen worden war, wurde die polnische Bevölkerung von den Litauern gedrückt
und insbesondere auch bei der Lebensmittelzuteilung benachteiligt. Herr Plagge organisierte
deshalb für die polnischen Zivilarbeiter des Parks und ihre Familien mit grosser Mühe und
Arbeit und gegen den Widerstand des Gebiets-Kommissars, der in seiner Person etwa die
Befugnisse eines Kreisleiters und eines Landrats vereinigte, eine besondere
Lebensmittelversorgung mit eigener Verkaufsstelle. Hierdurch wurde gewährleistet, dass die
Familien der beim Park beschäftigten Polen auch tatsächlich ihre vollen Lebensmittelrationen
erhielten. Als Zusatzverpflegung gab der Park den
[S. 4]
polnischen Arbeitern ferner täglich eine warme Mahlzeit.
Die vorstehenden Einzelheiten sind lediglich einige Beispiele für eine menschliche
Gesamthaltung des Herrn Plagge, die darauf abzielte, den Opfern des Nationalsozialismus
nach seinen besten Kräften zu helfen und zwar derart, wie ich es während des Krieges
nirgends mehr beobachten konnte. Herr Plagge hat es nicht, wie Andere, dabei bewenden
lassen, die nationalsozialistischen Methoden innerlich abzulehnen und seine Missbilligung im
engsten Kreise gelegentlich zu äussern, sondern er hat mit Mut und Energie und mit
bewusstem persönlichen Risiko diesen Methoden aktiv entgegengearbeitet und dabei vielen
Menschen geholfen. Als kennzeichnend für meinen eigenen Eindruck von diesem Verhalten
des Herrn Plagge möchte ich erwähnen, dass ich mich entsinne, damals gesprächsweise zu
Herrn Plagge gesagt zu haben, wenn der Krieg ungünstig ausgehe und er in Not gerate, könne
er getrost nach Wilna gehen, die dortige jüdische Gemeinde würde ihn sicher in hohen Ehren
halten.
Ich möchte noch bemerken, dass ich Herrn Plagge seit meinem Ausscheiden aus dem
Kraftfahrpark Wilna anfangs Oktober 1942 bis heute nicht wieder gesehen habe, auch von
etwa Januar 1943 bis Frühjahr 1947 nicht mit ihm korrespondiert habe. Da mir aber bekannt
war, dass Herr Plagge der NSDAP angehört hatte und ich sein obengeschildertes Verhalten
als besonders wichtig für die Beurteilung seiner Persönlichkeit ansehe, habe ich mich für
verpflichtet gehalten, von mir aus nach seinem Verbleib zu forschen und mich zu erbieten, in
seinem Säuberungsverfahren als Zeuge auszusagen. Ich bin bereit, als Zeuge in seiner
Spruchkammerverhandlung zu erscheinen und dort meine in dieser Erklärung kurz
zusammengefassten Wahrnehmungen ausführlicher zu bekunden.
[gez.] Dr. Alfred Stumpff
Rechtsanwalt
[Beglaubigung der Unterschrift vom 26. April 1947
durch den Vorsteher des Ortsgerichts Alzey mit Stempel
gez. Schneider]
[handschriftlich]
5
[Stempel: 30. Juli 1947]
Eidesstattliche Erklärung!
In der Zeit vom 6.4.41 bis Kriegsende war Herr Plagge in seiner Eigenschaft als Parkführer
mein Vorgesetzter. Ich lernte Herrn Plagge als einen gerechten und wohlwollenden
Menschen kennen, der seine ganze Kraft einsetzte, um Härte und Ungerechtigkeiten zu
verhindern. Er war nicht nur ein guter Vorgesetzter, sondern nahm sich auch der
Bevölkerung, ohne Rücksicht auf Nationalität, Glauben und Rasse, an.
Während unseres Aufenthaltes in Wilna im September 1941 gab er mir Befehl, die
verhafteten Juden Zablocki und Aranowicz aus dem Gefängnis Lukiczki zu befreien. Einige
Tage später waren es die Eltern zweier jüdischer Friseure, die ich auf seine Anweisung aus
dem Gewahrsam des Geheimdienstes befreite.
In derselben Zeit brachte er tausende von Juden mit Frauen und Kindern auf dem
Parkgelände unter und verpflegte sie, um sie vor Verfolgung und Misshandlung zu schützen.
Danach stellte er den Juden Passierscheine aus, damit sie sich in der Stadt ungehindert
bewegen könnten.
Den jüdischen Arzt Dr. Wolfson nahm er mit seinem Vater in den Park angeblich als
Handwerker auf, um sie so vor dem Erschiessen zu retten. Dr. Wolfson konnte nach wie vor
seiner ärztlichen Tätigkeit nachgehen.
Im Jahre 1943 wurde die gesamte litauische Intelligenz verhaftet. Von diesen als Geiseln ver[S. 2]
verhafteten Litauern sollte ein Teil als Vergeltung erschossen werden. Von diesen zum
Erschiessen verurteilten Geiseln befreite er unter Einsatz seiner Person den Arzt Dr. Baluk.
Anlässlich der Durchführung des Sauckel-Programms verhinderte er die Verschleppung der
polnischen Bevölkerung zum Teil durch Einstellung in den Park als Arbeiter bzw.
Arbeiterinnen und durch ausstellen von Arbeitsausweisen. Dadurch waren die betreffenden
jeder Verfolgung entzogen.
Auf das Gesuch eines Vaters gab mir Herr Plagge Befehl, den Sohn des Bittstellers aus der
Haft zu befreien, wenn notwendig unter Anwendung von Waffengewalt.
Dass Herr Plagge Parteimitglied ist, erfuhr ich erst nach der Kapitulation. Seine Handlungen
liessen eine Parteizugehörigkeit nicht im geringsten vermuten.
Diese Angaben mache ich an Eidesstatt. Ich war kein Mitglied der N.S.D.A.P. oder einer
ihrer Gliederungen.
Wiesbaden, den 17. Juni 1947
Christian Bartholomae
[Beglaubigung der Unterschrift durch den
Oberbürgermeister Wiesbaden – Polizeiverwaltung
vom 17.6.1947
gez. Klingel – Polizei-Meister]
Dipl.Ing.
Karl Plagge
6
[Stempel: 30. Juli 1947]
Politischer Lebenslauf
Ich bin am 10.7.1897 in Darmstadt geboren. Mein Vater war praktischer Arzt und starb, als
ich 6 Jahre alt war. 1916 kam ich von der Schulbank zum Militär, wurde gleich in den großen
Schlachten des Westens Somme, Verdun und Flandern eingesetzt und kam 1917 in englische
Gefangenschaft, aus der ich 1920 entlassen wurde. Meinen Berufsplan, Arzt zu werden,
musste ich aus Geldmangel aufgeben, konnte aber das Studium des Maschinenbaues und der
Chemie in Darmstadt ermöglichen. Als 1930 die Arbeitslosigkeit immer mehr um sich griff,
spezialisierte ich mich auf dem Gebiet der medizinischen Chemie, worin ich mich an dem
chemisch-physiologischen und hygienischen Institut der Universität Frankfurt am Main unter
Rückgriff auf meine Ersparnisse ausbildete. 1932 eröffnete ich ein chemisch-medizinisches
Untersuchungslaboratorium im Hause meiner Mutter in Darmstadt, um mir eine eigene
Existenz zu schaffen.
Unter dem Eindruck der ständig wachsenden Arbeitslosigkeit des Jahres 1931 und der immer
größer werdenden allgemeinen Not trat ich ungefähr Januar 1932 der NSDAP bei, deren
Versprechungen (Beseitigung der Arbeitslosigkeit, staatliche Arbeitsbeschaffung,
Begrenzung der hohen Gehälter u.s.w.) mir Hoffnung auf Besserung der Notlage zu geben
schien. Für mich selbst erhoffte ich bei diesem Eintritt außer einer allgemeinen Teilnahme an
einer Wirtschaftsbelebung grundsätzlich nichts und habe mich auch später niemals um ein
bezahltes Amt oder eine Beamtenstelle beworben, obwohl es mir angeboten wurde, sondern
habe es stets abgelehnt, mir durch meine Parteizugehörigkeit irgendwelche finanziellen
Vorteile zu verschaffen. Ich glaubte aber damals den sozialen Versprechungen und
Friedensbeteuerungen Hitlers und glaubte mich für eine gute Sache einzusetzen, zumal ja
damals Ein- und Austritt in den Parteien allgemein freistand.
[S. 2]
Schon bald nach der Machtübernahme kam ich jedoch in inneren Gegensatz zu manchen
Maßnahmen der Partei; so zuerst auf dem Gebiet der Personalpolitik, da ich selbst stets auf
vermittelnden Ausgleich der menschlichen Interessen untereinander eingestellt war und die
rücksichtslose Behandlung der damals besiegten politischen Gegner im Gegensatz zu meinen
Grundsätzen stand. Auch die großsprecherische auftrumpfende Art vieler Parteigenossen und
die unwissenschaftliche Überheblichkeit bei der damals einsetzenden Zuspitzung der
weltanschaulichen Lehren (Rassenfrage) musste ich ablehnen. Ich setzte damals voraus, dass
es sich bei all‘ diesen unliebsamen Erscheinungen um Übergangszustände handle, die einer
gerechten und wahrhaft sozialen menschenwürdigen Führung und Politik Platz machen
würden.
Gerade deshalb aber erschien es mir damals als meine Pflicht, wenigstens in meinem kleinen
Bereich vermittelnd zu wirken und mit diesem Vorsatz übernahm ich 1935 auf Drängen des
Ortsgruppenleiters das Amt eines Blockleiters. Nach wenigen Wochen gab ich das Amt, da es
mir nicht paßte, wieder auf. Als Ausgleich für diese Tätigkeit hielt ich in der Ortsgruppe
einige Vorträge aus meinem Wissensgebiet (Technik und Naturwissenschaften) und bekam
nach einiger Zeit den Rang eines Zellenleiters, habe aber nie Amt und Tätigkeit eines
Zellenleiters ausgeübt. Ich weigerte mich grundsätzlich an den vorgeschriebenen
weltanschaulichen Schulungslehrgängen teilzunehmen, weshalb mir jede weltanschauliche
Richtung meiner Vorträge verboten war. Dies entsprach auch völlig meinen Wünschen, da
ich den verschwommenen „weltanschaulichen Zielen“ fremd und ablehnend gegenüberstand.
Ich habe mir deshalb auch z.B. nie eine vorschriftsmäßige Parteiuniform angeschafft, obwohl
dies wiederholt beanstandet worden war.
Auf Grund meiner wissenschaftlichen Interessen wurde ich 1936 aufgefordert, die
ehrenamtliche Leitung der Volksbildungsstätte der DAF (NS Gemeinschaft Kraft durch
Freude) zu übernehmen. Ich zögerte lange und übernahm das Amt erst, nachdem ich mich
überzeugt hatte, daß es sich hierbei nur um die Veranstaltung von Kursen in
Naturwissenschaften, Sprachen u.s.w., ohne parteimäßige Beeinflussung handeln sollte. Ich
war fest entschlossen, mich durch nichts von der Linie einer mir vorschwebenden
unpolitischen natur- und geisteswissenschaftlichen unpolitischen praktischen Bildungsarbeit
abbringen zu lassen.
[S. 3]
Als im Rahmen dieser Arbeit trotzdem Redner geschickt wurden, deren Vorträge ich infolge
ihrer weltanschaulichen Verbohrtheit restlos ablehnen mußte, kam es zum Bruch mit meinen
Beziehungen zur Partei. Es erfolgte ein schwerer Zusammenstoß mit dem
Kreisschulungsleiter, der mir den Vorwurf machte, „ich verwässere die Idee“. Auch warf er
mir bei dieser Unterredung vor, ich verkehre fast ausschließlich mit jüdisch Versippten und
mit Freimaurern und behandle in meinem Laboratorium Juden. Er entsetzte mich meines
Postens und drohte, mich vor das Parteigericht zu bringen. Seine Bemerkungen hinsichtlich
des Verkehrs mit jüdisch Versippten und Freimaurern zielten auf meine Freundschaft mit
Herrn Dipl.Ing. Kurt Hesse hin, dessen Frau nichtarischer Abstammung ist, und mit Dr.med.
Bruno Günther, welcher Freimaurer ist. Ich habe von diesen Vorgängen allerdings weder
Herrn Hesse noch Dr. Günther Mitteilung gemacht, da ich unsere Freundschaft nicht durch
ein meinerseits gebrachtes Opfer belasten und sie nicht noch mehr beunruhigen wollte, als sie
es in ihrer Lage schon waren. Zeugen unserer sehr freundschaftlichen Beziehungen
zueinander sind Herr Dipl.Ing. Kurt Hesse und Dr.med. Bruno Günther, welcher auch
bezeugen kann, daß ich in meinem Laboratorium dauernd Juden behandelt habe. Als Zeugen
für meine ablehnende Haltung gegenüber den damals einreißenden Propagandamethoden
nenne ich außerdem Herrn Blome, Hessenwerke, demgegenüber ich mich sehr offen geäußert
habe.
Ich zog aus diesem Zusammenstoß die Konsequenz und hielt mich von nun ab (1938) nicht
nur von jeglicher Parteitätigkeit völlig zurück, sondern ging nur umso klarer meinen Weg der
nach menschlichem Ausgleich hinzielte und jede hetzerische Agitation bewußt verurteilte.
Den beanstandeten Verkehr mit meinen Freunden hielt ich selbstverständlich gerade jetzt erst
recht unverändert aufrecht. Über meine Grundhaltung als Mensch kann der Betriebsrat der
Hessenwerke aussagen, in die ich im Jahre 1934, als mein Laboratorium noch keine
Einnahmen abwarf, zunächst als technischer Berater, später als Projekt- und
Entwicklungsingenieur eingetreten war. Außerdem benenne ich die Zeugen Herrn Adam
Stahl, Bickenbach, Hartenauerstraße 56, und Herrn Michel, Hessenwerke.
Je stärker die brutal antijüdische Tendenz des Nationalsozialismus zum Durchbruch kam,
umso stärker trat ich auf die Seite
[S. 4]
meines unter diesen Verhältnissen schwer leidenden Freundes Dipl.Ing. Kurt Hesse und
übernahm aus Protest gegen die Rassenhetze und die seelischen und moralischen Quälereien,
denen Frau Erika Hesse infolge ihrer nichtarischen Abstammung ausgesetzt war, die
Patenschaft ihres kurz nach dem Synagogensturm geborenen Sohnes. Es war mir ein
innerliches Bedürfnis, den beiden antifaschistischen Freundesfamilien (Hesse und Günther)
bei den mancherlei Widerwärtigkeiten und Benachteiligungen, denen sie ausgesetzt waren,
zur Seite zu stehen. Völlig erschüttert von dem durch die Partei eingeschlagenen Kurs war
ich jedoch, als ich im Frühjahr 1939 anläßlich der Fachtagung „Eisen und Metall“ in
Stuttgart, wohin ich von den Hessenwerken hingeschickt worden war, Dr. Ley sprechen
hörte. Hier erkannte ich, daß dieser Mann in verbrecherischer Weise zum Kriege hetzte und
sprach mich hierüber unzweideutig verurteilend und entrüstet gegenüber Herrn und Frau
Hesse aus, was diese bezeugen können.
Bei Kriegsausbruch 1939 wurde ich sofort zur Wehrmacht eingezogen. Ich war im Weltkrieg
Leutnant geworden und wurde nun im Verlaufe von 6 Kriegsjahren als Ingenieuroffizier zum
Major befördert. Ich betone ausdrücklich, daß ich mich nicht freiwillig gemeldet habe, zumal
ich damals schon, wie auch heute noch, an den Folgen einer im Jahre 1924 überstandenen
Kinderlähmung litt, sodaß mir das Soldatsein körperlich schon außerordentlich schwer fiel
und oft das Leben fast verleidete. Von der Möglichkeit, die Parteimitgliedschaft als Soldat
auszusetzen, machte ich Gebrauch und habe seit Kriegsausbruch keine Beiträge mehr gezahlt,
umsomehr, als ich nun in eine klare Gegnerschaft gegenüber den nationalsozialistischen
Gewaltmethoden getreten war.
Als ich als Führer eines Kraftfahrparks nach Polen und Rußland kam, fand ich die dortige
Zivilbevölkerung in einem Zustande völliger Schutz- und Rechtlosigkeit vor. In
Soldatenbriefen, welche als Tournisterschriften den Soldaten mitgegeben wurden, wurde
darauf hingewiesen, daß die polnische Bevölkerung rassisch minderwertig sei und daß der
deutsche Soldat dieses Land als „Herrenmensch“ zu betreten und sich als solcher der
Bevölkerung gegenüber stets zu benehmen habe. Einer solchen Einstellung maßgebender
Stellen gegenüber, fehlte mir als Mensch jedes Verständnis. Ich beschloß meinerseits die
vorgeschriebene Haltung unter gar keinen Umständen einzunehmen und sowohl für mich
selbst als auch alle mir unterstellten Soldaten in bewußtem Gegensatz zu den
nationalsozialistischen Grundsätzen die
[S. 5]
denkbar größte Menschlichkeit gegenüber der Bevölkerung zur Richtlinie meines Handelns
zu machen. Es war mir nun auch während meines Kriegseinsatzes vergönnt, einer großen
Anzahl von Opfern und Gegnern des Nationalsozialismus im Ausland zu helfen, sie aus den
Gefängnissen zu befreien und Manche vor dem Tode zu bewahren. Hierbei habe ich oft ein
großes persönliches Risiko auf mich genommen, da ich wiederholt Maßnahmen der Partei
und des SD verhinderte, teilweise sabotierte, wobei es mit der SD-Führung oft zu schweren
Zusammenstößen kam. Auch von meiner vorgesetzten Dienststelle wurde mir immer wieder
wegen der von mir ergriffenen sozialen Maßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung
humanitäre Gefühlsduselei vorgeworfen und schließlich alle weiteren Maßnahmen untersagt.
Ich ließ mich jedoch von dem einmal eingeschlagenen Wege nicht abbringen, da es mir,
nachdem ich einmal unfreiwillig in das Getriebe des Krieges verwickelt war, mehr darauf
ankam, innerhalb meines Einflußbereichs, die durch den Krieg entstandene Not und das
Elend zu lindern, als durch Anpeitschen der Arbeitskräfte die Dauer dieses unseligen Ringens
noch weiter zu verlängern. Die nach dem Zusammenbruch der Mittelfront erfolgte Auflösung
des Kraftfahrparkes, meine Absetzung als Parkführer und Versetzung als Sachbearbeiter in
eine Heereswerkstatt – was für mich eine große Zurücksetzung bedeutete – führe ich darauf
zurück, daß mir von meinem Regimentskommandeur wiederholt zu geringe „Härte“ in der
Behandlung der mir unterstellten Menschen vorgeworfen worden war.
Mit folgenden Handlungen habe ich versucht, Opfern und Gegnern des Nationalsozialismus
in den von uns besetzten Gebieten zu helfen:
1.) Verhinderung der Durchführung der von der Partei befohlenen Sauckel-Aktionen
(Arbeitseinsatz von Ausländern in deutschen Rüstungsfabriken) durch Ausstellung von
Arbeitsausweisen für den Kraftfahrpark und die diesem angeschlossene
Kraftfahrzeughandwerkerschule, auch wenn die Betreffenden ihre Tätigkeit nach Erhalt des
Ausweises nicht ausübten oder entbehrlich waren. Zeugen: Herr Georg Raab,
Hainstadt/Odenwald, Kreis Erbach/Odenwald, Hauptstraße 11; Friedrich Asmus,
Darmstadt/Eberstadt, Darmstädterstraße 231; Heinz Zeuner, Darmstadt, Rhönring 43 und
Hermann Schulz, Darmstadt, Spessartring 14, sowie Christian Bartholomä, Wiesbaden,
Moritzstraße 13.
[S. 6]
2.) Verhinderung der Verschleppung von Landeseinwohnern durch den SD in die
Estländischen Schieferbergwerke. Durch meinen sehr energischen Einspruch beim SD gelang
es mir, eine große Anzahl von Männern, Frauen und Kindern von diesen Aktionen
auszuschließen, sodaß sie in ihrer Heimat verbleiben konnten. Zeugen: wie oben.
3.) Befreiung von Einzelpersonen, deren Namen mir als unschuldig Verhaftete gemeldet
worden waren, aus den Gefängnissen des SD. Zeugen: wie oben, außerdem noch Dr.jur.
Alfred Stumpf, Rechtsanwalt in Alzey/Rheinhessen, Friedrichstraße 7.
Inwieweit ich wegen meiner gegnerischen Einstellung unter Beobachtung des SD stand, weiß
ich nicht, es ist mir aber bekannt geworden, daß mein Eintreten für Menschen, die aus
politischen und rassischen Gründen verfolgt waren, von höheren SD Führern sehr mißbilligt
wurde und daß diese auf mich schlecht zu sprechen waren, da ich ihnen fortgesetzt
Schwierigkeiten machte.
Die Entwicklung, die dieser mit verbrecherischer Leichtfertigkeit unternommene Krieg
nehmen mußte, habe ich lange vorausgesehen, worüber mein langjähriger Fahrer Schulz,
Darmstadt, Spessartring 14, mit welchem ich mich immer sehr eingehend aussprach, und
Dr.med. Bruno Günther, Darmstadt/Eberstadt, Im Elfengrund 71, Zeugnis ablegen können.
Mir war durch all‘ das, was ich während des traurigen Verlaufes der nationalsozialistischen
Entwicklung gesehen und gehört hatte, ein Ideal zerschlagen worden und ich war schon vor
Ende des Krieges nur noch angefüllt mit tiefster Erbitterung gegen diejenigen Menschen, in
denen ich mich so namenlos getäuscht hatte und die für all‘ das Leid verantwortlich waren.
Aus diesem Grunde habe ich auch am Ende des Krieges als Führer meiner Einheit jedes
Blutvergießen und jede Zerstörung verhindert und die Einheit geschlossen in die
amerikanische Gefangenschaft überführt. Zeugen: wie oben: Raab, Asmus, Zeuner,
Bartholomä.
Erwähnen möchte ich noch, daß ich zur Zeit noch an den Nachwirkungen von
Schädelverletzungen leide, die ich mir im Felde durch zwei schwere Autounfälle zugezogen
habe, als deren Folge macht sich bei mir der aus überstandener Kinderlähmung
zurückgebliebene Muskelschwund der Beine in verstärktem Maße bemerkbar (siehe
ärztliches Zeugnis).
[S. 7]
Infolge dieser Behinderung und infolge meiner abgelegenen Wohnlage in Neunkirchen im
Odenwald konnte ich mich an solchen Wiedergutmachungsarbeiten, die mit starker
körperlicher Beanspruchung, insbesondere der Beine, verbunden sind, nicht beteiligen. Daß
ich jedoch im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Kräfte alles getan habe, um meine
Fähigkeiten dem Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen und innerhalb der vorhandenen
Organisationen zur Linderung der Not tatkräftig mitzuarbeiten, darüber können sowohl der
Bürgermeister der Gemeinden Lützelbach-Neunkirchen, Herr Brunner, Lützelbach, als auch
der Leiter der Arbeiterwohlfahrt Brandau, Lützelbach, Neunkirchen, Herr Dr. Abel, Brandau,
und der Beigeordnete von Neunkirchen, Herr Kaffenberger, Zeugnis ablegen.
[gez.] Karl Plagge
[handschriftl.] 8 Anlagen
6
[Stempel: 30. Juli 1947]
Erkl ärun g
Beim Einsatz des Heereskraftfahrparks in Wilna war ich als Oberfeldwebel von dem
damaligen Major P l a gge beauftragt die Personalangelegenheiten zu bearbeiten. In dieser
Eigenschaft habe ich mich oft mit ihm über die Behandlung unterhalten, welche[n] die
Zivilbevölkerung durch deutsche zivile Dienststellen, durch den SD und die Polizei
ausgesetzt war. Ich habe stets feststellen können, dass er die hier geübten Methoden aufs
tiefste verabscheute und er tat alles um seinerseits überall, wo es not tat oder wo man mit der
Bitte zu helfen an ihn herantrat, den notleidenden Menschen Schutz und Beistand zu
gewähren.
Mir sind noch folgende Einzelfälle in genauer Erinnerung:
1.) Fall des Ingenieur Schulz.
Dieser Pole befand sich ¼ Jahr im Lukischkigefängnis in Wilna in Haft. Es handelte sich um
einen Lehrer des staatl. Technikums in Wilna. Sein Schicksal war Plagge durch den Direktor
dieser Anstalt mitgeteilt worden. Pl. fuhr sofort zum SD, verlangte die Prüfung der Akten und
erreichte seine Freigabe. Er brachte ihm selbst die Mitteilung seiner Entlassung in’s
Gefängnis und holte ihn dort ab.
2.) Fall des Dr.med. Baluk.
Dieser Arzt war im Zuge einer Verhaftungswelle festgenommen worden, die durch die
Erschiessung eines Litauischen Kriminalbeamten ausgelöst worden war. Er sollte als Geisel
erschossen werden. Durch sofortiges Eingreifen wurde dies im letzten Augenblick verhindert
und Dr. Baluk freigelassen.
3.) Fall des Buchhalters Urniascz.
Dieser Pole war ebenfalls im Zuge der unter 2.) genannten Verhaftungswelle festgenommen
worden und wurde als Geisel in das Straflager Parwinischki (Litauen) „auf Kriegsdauer“
eingeliefert. Auch hier konnte Pl. durch sofortiges tatkräftiges Eingreifen beim SD dessen
Freigabe erwirken. Urniascz wurde nach etwa sechswöchentlicher Inhaftierung aus dem
Straflage entlassen und seiner Familie zurückgegeben.
4.) Fall des Dr.med. Wolfsohn.
Dieser jüdische Arzt sollte vom SD einschl. seines alten Vaters im Verlauf einer grossen
Aktion im jüdischen Viertel von Wilna verschleppt werden. Er wandte sich hilfesuchend an
Pl. welcher ihn und seinen Vater aufnahm, im Park während der Aktion versteckt hielt und
dann mit Papieren versah nach welchen derselbe als Kfz.Handwerker im Park beschäftigt
war, was tatsächlich niemals der Fall war.
5.) Fall der Verschleppung von Juden.
Etwa 100 Personen (Männer, Frauen und Kinder) sollten in die estländischen
Schieferbergwerke verschleppt werden. Die Leute befanden sich schon in den
Transportwagen und hatten sich durch einen Vertrauensmann hilfesuchend an Plagge
gewandt. Plagge fuhr sofort an die Verladestelle am Bahnhof und veranlasste, dass sie die
Wagen verliessen und schickte eine militärische Begleitung zu ihrem Schutz. Der oberste SD
Führer von Wilna erschien, nachdem Plagge weggegangen war, selbst zwang die militärische
Begleitung abzurücken und veranlasste den Abtransport. Es kam damals zu schweren
Zusammenstössen zwischen Pl. und dem SD Führer. Plagge war verzweifelt und ungeheuer
aufgebracht.
6.) Fall der Verhinderung der Sau[c]kelaktion.
Es wandten sich damals viele Eltern junger Leute, die im Zuge der Sau[c]kelaktion
(Verschleppung nach Deutschland zum Arbeitseinsatz) bereits ausgemustert waren an Plagge.
Vielen wurden auf Befehl von Plagge Ausweise ausgestellt, als ob sie im Park beschäftigt
seien und aufgrund deren ihre Freigabe erfolgte, obwohl sie nie im Park gearbeitet hatten.
Ausserdem richtete er eine Kraftfahrzeug-Handwerkerschule mit polnischen Lehrkräften ein
in welcher über 300 junger Leute Aufnahme fanden. Plagge erreichte durch lange
Verhandlungen mit dem Arbeitsamt, dass diese Leute für den Schulbesuch freigegeben
wurden. So konnten sie in ihrer Heimat bleiben.
7.) Fall von Judenverfolgungen.
Eine grosse Anzahl von Juden (etwa 70) die ihm als Arbeiter persönlich bekannt waren, hat
er nach ihrer Inhaftierung im Lukischkigefängnis, von wo sie abtransportiert werden sollten,
befreit indem er beim SD gegen ihre Festnahme mit Erfolg protestierte wobei er sie als
unentbehrliche Arbeitskräfte hinstellte obwohl sie dies keineswegs waren und ihm dies
bekannt war. Er erhielt die Erlaubnis zum Betreten des Gefängnisses und hat nicht nur die
Juden selbst sondern auch ihre ebenfalls festgesetzten Familienangehörigen (Mütter, Frauen
u. Kinder) in einem geschlossenen Zuge aus dem Gefängnis geführt. Alle diese Menschen
hingen später mit einer unbeschreiblichen Anhänglichkeit und Verehrung an ihm.
8.) Ferner ist mir bekannt, dass er während der Judenverfolgungen eine ganze Reihe von
Juden, die sich in den Park geflüchtet hatten Unterschlupf gewährte und sie versteckt hielt bis
die Aktionen des SD abgeschlossen waren.
8.) Soziale Einrichtungen f.d. Arbeiterschaft.
Auch in der sozialen Fürsorge für die zivile Arbeiterschaft ging Plagge weit über das übliche
Mass hinaus und veranlasste die Errichtung von:
a) einer Betriebsküche welche mittags die Arbeiter mit einer kräftigen Mittagskost versah,
welche mit Fahrzeugen auch den Arbeitern in Aussenwerkstätten zugeführt wurde,
b) Errichtung parkeigener Verkaufsstellen von Lebensmitteln und Fleisch für Parkarbeiter
und deren Familien,
c) Einrichtung eines parkeigenen Krankenhauses für die Belegschaft nebst Angehörigen
(ca.40 Betten) unter Gestellung heereseigener Medikamente usw.
d) Einrichtung einer Unterstützungskasse für unverschuldet in Not geratene einheimische
Arbeiter,
e) Versorgung der Arbeiter mit Schuhen, warmer Unterkleidung und Arbeitsanzügen durch
fortwährende, intensive Verhandlungen mit den zuständigen litauischen Dienststellen.
f) Versorgung der Arbeiterfamilien mit Winterkartoffeln u. Winterbrennholz durch
tatkräftige Verhandlungen mit den zuständigen Behörden und Verteilungsstellen sowie
eigens geleitetem Holzeinschlag.
All diese Handlungen erfolgten gänzlich uneigennützig. Weder er noch der Park hatten
irgend einen Vorteil davon. Im Gegenteil bedeutete das häu[S. 2]
fige Einschreiten und der intensive Einsatz für Juden und Ausländer ein starkes Risiko für ihn
selbst, da er oft schwere Zusammenstösse mit dem Leiter des SD hatte und in den Verdacht
geraten musste Staatsfeinde zu fördern oder dergleichen zu unterstützen, was ja auch
tatsächlich der Fall war. –
Die von mir in der vorstehenden Erklärung gemachten Angaben entsprechen der Wahrheit
und bin ich mir bewusst, dass jegliche falsche Angabe ein Vergehen gegen die Verordnungen
der Militärregierung darstellt und mich der Anklage und Bestrafung aussetzt.
Hainstadt i.Odw. den 24. August 1946
[gez.] Georg Raab
6
[Die Nummerierung der einzelnen Aktenteile ist mehrfach korrigiert
und verändert, die Gesamtakte ist nicht konsequent durchgezählt]
[Stempel: 30. Juli 1947]
Anfang des Jahres 1944 wurde mir als dem Disziplinarvorgesetzten von einem meiner
Offiziere gemeldet, dass der zu meiner Einheit gehörige und mir unterstellte Hauptmann
Plisch am Abend vorher geäussert habe: „Man müsse den Adolf Hitler je eher desto besser
erschiessen.“ Als Zeuge dafür, dass dieser Ausspruch tatsächlich gefallen sei, wurde der
Oberzahlmeister Müller, welcher ebenfalls meiner Einheit angehörte, genannt. Ich befand
mich durch diese Meldung in einer sehr schwierigen Lage, da ich einerseits den
beschuldigten Hauptmann Plisch für einen ehrlichen und anständigen Charakter hielt,
andererseits bei der Schwere der Beschuldigung ein Nichteingehen auf die Anklage mich, als
den zur Einreichung eines Tatberichts verpflichteten Dienstvorgesetzten, der Gefahr
aussetzte, meinerseits wegen Duldung einer solchen Aeusserung und nach Kenntnisnahme als
Mitwisser zur Meldung gebracht zu werden. Durch wiederholte, als geheime
Kommandosachen bekanntgegebenen Kriegsgerichtsurteilen wussten wir Soldaten alle,
welche unmenschlichen Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen gegenüber Tätern und
Mitwissern gefällt worden waren.
Ich beschloss trotz allem und unter allen Umständen auf jede Gefahr hin, den beschuldigten
Offizier zu schützen und ihn vor dem unausbleiblichen Schicksal eines Todesurteils zu
bewahren, da er ja doch nur das ausgesprochen hatte, was so viele damals, u.a. auch ich,
schon ernsthaft erwogen hatten. Ich liess daher zunächst den als Zeugen benannten
Oberzahlmeister Müller zu mir kommen. Bei dieser unter vier Augen stattgefundenen
Unterredung wies ich auf die schwerwiegenden Folgen, welche sich für Hauptmann Plisch
ergeben mussten, hin, wenn er durch die Zeugenaussage wegen der „Zersetzung der
Wehrmacht“ vor ein Kriegsgericht gestellt würde. Ich fand in Oberzahlmeister Müller einen
gleichgesinnten
[S. 2]
Kameraden, mit dem ich es wagen konnte, die Angelegenheit niederzuschlagen. Da der
Offizier, welcher die Meldung gemacht hatte, auf eine genaue Untersuchung des Falles
drängte, kamen wir über den Wortlaut, den das Vernehmungsprotokoll haben sollte, überein.
Als Resultat unserer Unterredung ergab sich eine unter Zeugen schriftlich niedergelegte
Vernehmung, welche nur belanglose Aeusserungen enthielt, und in welcher der zur Meldung
gebrachte Ausspruch nicht enthalten war. Dieses Protokoll hielt ich dem denunzierenden
Offizier vor, sagte ihm, dass ich mich bei so widersprechenden Aussagen mit der Sache nicht
weiter befassen könne und sprach ihm gegenüber meine Verwunderung aus, dass er so
fahrlässig einen Kameraden angezeigt habe. Er gab sich, wenn auch zögernd und
offensichtlich verärgert, mit dieser Regelung zufrieden und nahm nach langem Ueberlegen
Abstand von einer weiteren Verfolgung der Sache. Die Angelegenheit wurde hierauf zu den
Akten gelegt und unter den drei Personen, die Mitwissen des Ausspruchs waren, nicht mehr
erwähnt.
Für mich, als verantwortlichen Dienstvorgesetzten, war jedoch bei dieser Art der Beilegung
der Meldung das Risiko besonders gross, da mir seitens des sehr misstrauischen
Denunzianten jederzeit der Vorwurf einer etwaigen Zeugenbeeinflussung und der Duldung
hochverräterischer Aeusserungen gemacht werden konnte. Es war damals schon häufig
vorgekommen, dass später durch Unachtsamkeit einer der Beteiligten oder bei auftretenden
Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitwissern ähnliche Angelegenheiten im
grösseren Personenkreis bekannt und von der vorgesetzten Dienststelle mit den schlimmsten
Konsequenzen für die Beteiligten aufgegriffen worden waren. Erschwerend kam hinzu, dass
es sich bei dem Offizier, der die Meldung gemacht hatte, um eine charakterlich sehr
undurchsichtige Persönlichkeit handelte, die leicht zum Trunke neigte, in diesem Zustand oft
unverantwortliche Aeusserungen tat und deren späteres
[S. 3]
Handeln nicht ohne weiteres vorauszusehen war. Ich nahm jedoch dieses Risiko und – im
Sinne der damaligen Rechtsauffassung – diese Pflichtverletzung lieber auf mich als die
Schuld, dass durch mein Eingreifen irgend ein Mensch dem Kriegsgericht und dem Henker
ausgeliefert worden wäre.
[gez.] Karl Plagge
[handschriftlich]
Ich bestätige an Eides statt, daß sich die Angelegenheit, in welcher ich als Zeuge der – im
damaligen Sinne – hochverräterischen Äußerungen des Hauptmann Plisch genannt worden
war, so abgespielt hat, wie es in obigen Feststellungen niedergelegt ist. Für den ehemaligen
Major Plage, sowohl wie für mich, bestand damals ein großes Risiko, die Angelegenheit in
diesem Sinne zu erledigen.
Berghausen, 21.7.46
Herbert Müller
[Beglaubigung vom 10. Juni 1947 der eigenhändigen Unterschrift
durch den Bürgermeister {gez. Wolf} der Gemeinde Berghausen
Kreis Wetzlar]
[Stempel] Dipl.-Ing. Karl Plagge
Neunkirchen im Odenwald
über Darmstadt-Land
[handschriftlich]
6
Neunkirchen, den 5.7.47
[Stempel: 10. Juli 1947]
An
die Spruchkammer Darmstadt-Land
Darmstadt
Wilhelminenstraße 34
Betrifft: Aktenzeichen DL / St / St
Meine Spruchkammersache
In obiger Angelegenheit werde ich alle erforderlichen Unterlagen schnellstens einsenden.
Durch die Beschaffung des Entlastungsmaterials mit beglaubigten Unterschriften ist in der
Erledigung eine Verzögerung eingetreten, was ich zu entschuldigen bitte.
Hochachtungsvoll
Karl Plagge
Friedrich Asmus
7
Darmstadt-Eberstadt, den 15. August 46
Darmstädter Straße 231
Eidesstattliche Erklärung
Der frühere Major d.R. Plagge war während des Krieges etwa dreieinhalb Jahre lang mein
Vorgesetzter. Während dieser Zeit ist er meines Wissens politisch niemals hervorgetreten und
hat auch keine politisch aufreizenden Reden gehalten. Es war in unserer Einheit bekannt, daß
auch solche Kameraden die unter uns als Gegner des Nationalsozialismus galten bei Plagge
ein offenes Ohr fanden und keine Nachteile hatten. Ober-Nazis, Judenfresser und
Schikaneure wurden sehr bald unter irgend einem Vorwand kaltgestellt, versetzt oder von der
Einheit entfernt. Es sind mir Leute, auch Dienstgrade die sich übertrieben
nationalsozialistisch gebärdeten und die daraufhin aus der Einheit ausgeschieden sind, in
Erinnerung. Antreibermethoden wurden nicht geduldet. Als am 1. September 1943 am frühen
Morgen plötzlich die Judenverschickung ins Unbekannte begann, setzte sich Pl. sofort mit
den dazu beauftragten S-D Dienststellen in Verbindung um hier das Schlimmste abzuwenden.
Es war ihm ganz einerlei, ob die Juden in unseren Werkstätten oder sonstwo arbeiteten. Er
durchkreuzte und sabotierte hierbei bewußt die Anordnungen des S-D und ging hierdurch ein
beträchtliches Risiko ein. Am nächsten Tage gelang es ihm schon eine grössere Anzahl
Familienväter mit ihren Frauen und Kindern aus den Klauen des S-D zu befreien. Gegen die
ständig zunehmende Verelendung der polnischen Zivilarbeiter, die in beträchtlicher Anzahl,
ausser unseren Soldaten in den Instandsetzungs-Werkstätten arbeiteten hat Pl. unermüdlich
angekämpft. Er sorgte für Kleidung, Brennholz, zusätzliche Lebensmittel und Rauchwaren.
Ich hatte den Eindruck, daß Plagge ständig darüber nachdachte, wie er der immer mehr um
sich greifenden Notlage der Bevölkerung entgegensteuern konnte. Kennzeichnend für diese
Einstellung des Pl. ist ein Ausspruch eines polnischen Kraftfahrzeughandwerksmeisters der
bei unserem Abrücken zu mir sagte „Solange ihr hier wart, war für uns alle Tage Sonntag.“
Es sind hier nur einige kleine Erinnerungen festgehalten. Im übrigen war Plagge bei allen
Menschen die mit ihm in Berührung kamen äusserst geachtet und beliebt.
Ich bin bereit obige Feststellungen jederzeit auch unter Eid auszusagen.
[gez.] Fr. Asmus
[Beglaubigung vom 17. Juni 1947 der eigenhändigen Unterschrift
durch Der Polizeipräsident, 7. Polizei-Revier Darmstadt-Eberstadt]
[Die vorgedruckten Teile der nachfolgenden Formblätter
sind durch Fettdruck gekennzeichnet]
HESSISCHES STAATSMINISTERIUM
Der Minister für politische Befreiung
Der öffentliche Kläger bei der Spruchkammer
Darmstadt – Land
Aktenzeichen: DL/5997
Fe/Gz.
An die Spruchkammer Darmstadt – Land
8
Darmstadt, den 6.1.48
Klageschrift
Ich erhebe Klage gegen
Karl Plagge
Dipl. Ing.
geb. 10.7.17 [falsch! 10.7.1897]
in Darmstadt
wohnhaft Neunkirchen/Odw.
Ortsstr. 17
auf Grund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom
5. März 1946 mit dem Antrag d.mündl.Verhandlg. in die Gruppe II
der Aktivisten einzureihen.
B egrü n d u n g:
Der Betroffene ist von Beruf Dipl.Ing.
Sein Einkommen im Jahre 1943 gibt er mit RM 9.000,--, im Jahre 1945 mit RM 3.000,-- an.
Sein Barvermögen beziffert er auf RM 4.402,--, seine Sachwerte auf RM 300,--.
Der Genannte ist verheiratet, konfessionslos.
Der Betroffene war Mitglied der NSDAP vom 1.12.31 bis 1939,
er war Ortsgruppenschulungsleiter und Zellenleiter.
Er gehörte ferner an:
DAF von 1934 bis 1939 und war KDF Stellenleiter,
NSV von 1934 bis 1944,
RLB von 1939 bis 1944, er war Luftschutzoffizier ab 1939,
Verein deutscher Ingenieure von 1926 bis 1944
und NS-Kriegerbund.
Der Betroffene zählt somit zu den unter D/II/1, D/II/4, F/II/1c und C/II/1 der Anlage Teil A
und unter den Teil B der im Gesetz genannten Personen.
Bis zum Beweis des Gegenteils nach Art. 10 des Gesetzes muss angenommen werden, dass
der Betroffene mindestens einen Tatbestand des Art. 7 erfüllt hat.
Die gesetzlichen Vermutungen werden nicht widerlegt.
Die amtlichen Auskünfte besagen, dass er seiner jetzigen Wohngemeinde erst zugezogen ist
und somit keine Auskunft gegeben werden kann. Die amtlichen Auskünfte aus seiner
früheren Wohngemeinde bestätigen die Angaben auf seinem Meldebogen. In einem
Schriftsatz gibt der Betroffene der Kammer bekannt, dass er im Jahre 1932 in gutem Glauben
der
[S. 2]
NSDAP beigetreten sei, im Jahre 1935 das Amt eines Blockleiters übernommen habe, dieses
aber nur wenige Wochen ausgeübt habe. Im Jahre 1936 habe er das Amt eines
Ortsgruppenschulungsleiters der DAF übernommen. Dieses Amt habe er als rein
wissenschaftliches angesehen, als dann aber in diesen Kursen doch politische Vorträge
gehalten wurden, habe er einen schweren Zusammenstoss mit dem Kreisschulungsleiter
gehabt und habe sich dann ab 1938 jeder politischen Tätigkeit entzogen. Bei Kriegsausbruch
im Jahre 1939 wurde der Betroffene zum Militär eingezogen, kam nach Polen, wo er als
Leiter eines Kraftfahrparkes eingesetzt wurde. Bei dieser Tätigkeit wird ihm von mehreren
Zeugen bestätigt, dass er Polen und Juden der Verfolgung durch den SD entzog, Verhaftete
aus den Gefängnissen befreite und sie beschützte. Sollten sich diese Angaben bei der
Beweisaufnahme vor der Kammer bestätigen, so wäre der Artikel 13 des Gesetzes erfüllt.
Dieser Sachverhalt rechtfertigt nach Art. 7 des Gesetzes die Klage.
Die örtliche Zuständigkeit der Spruchkammer ist nach Art. 29 des Gesetzes begründet.
Ich beantrage die Anordnung der mündlichen Verhandlung / des schriftlichen
Verfahrens.
B ew ei smi ttel :
1. Urkunden
Meldebogen
2. Zeugen
3. Sachverständige
4. weitere Beweismittel
[Stempel mit dem Hessischen Landeswappen: Großhessisches Staatsministerium
Der Minister für Wiederaufbau und politische Befreiung
Spruchkammer Darmstadt-Land
Der öffentliche Kläger]
öffentl. Kläger
[gez.] H. Feigk
Die Spruchkammer Darmstadt – Land
Aktenzeichen: 5997 / D L /Kr.
9
Darmstadt, den 16..1.1948
Wilhelminenstr. 34
Telefon 883
Ladung zur mündlichen Verhandlung
Herr/Frau/Fräulein Herrn Karl P l a gge
in: Neunkirchen /Odw.
Ortsstr. 17
Auf Grund der Ihnen am gleichzeitig zugestellten Anklageschrift vom öffentlichen
Kläger wird mündliche Verhandlung gegen Sie angeordnet. Sie werden deshalb auf
Montag, den 9.2.1948 , 13.00 Uhr
vor die Spruchkammer Darmstadt-Land, Darmstadt, Wilhelminenstr. 34, III. Stock,
Sitzungssaal, zur mündlichen Verhandlung geladen und zu pünktlichem Erscheinen
aufgefordert.
Zugleich wird Ihnen eröffnet:
1. Die Beweismittel sind auf der Rückseite der Klageschrift verzeichnet.
2. Im Falle eines unentschuldigten Ausbleibens kann in Ihrer Abwesenheit verhandelt
und entschieden werden, jedoch kann Ihr Erscheinen durch Vorführungsbefehl
oder Ordnungsstrafen erzwungen werden.
3. Sie können die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die
Herbeischaffung anderer Beweismittel unter Angabe der Tatsachen, über die Beweis
erhoben werden soll, bei dem Vorsitzenden der Spruchkammer beantragen oder
Personen, deren Vernehmung Sie wünschen, zur mündlichen Verhandlung
mitbringen.
Jede Zuschrift ist mit dem links oben angegebenen Aktenzeichen zu versehen.
Spruchkammer Darmstadt-Land
Geschäftsführer
[gez.] Krämer
(Krämer)
Protokollführ.
[ohne Nr.]
Öffentliche Sitzung der Spruchkammer
Darmstadt-Land
_______________________________
Aktenzeichen: 5997/DL/Heb.-Pro tok ol l
der öffentlichen Sitzung am 9. Februar 1948
Gegenwärtig:
1. Gustav Krämer
als Vorsitzender
2. Jean Krämer,
Heinrich Lotz,
als Beisitzer
3. Hans Feigk,
als öffentlicher Kläger
4. Emmy J. Hebberling
als Protokollführer
Zur mündlichen Verhandlung in dem Verfahren gegen
Karl P l agge , geb. 10.7.1897,
Neunkirchen i.O. Ortsstrasse 17
erschien bei Aufruf der Sache der Betroffene persönlich.
Ferner sein Anwalt Reinher Klingelhöffer
und die Zeugen: Dr. Stumpff,
Christian Bartholomae,
Kurt Hesse,
Maria Eichamüller.
Die vorgeladenen Zeugen und d.. Sachverständige wurden
aufgerufen, mit dem Gegenstand des Verfahrens und der
Person des Betroffenen bekannt gemacht, zur
Wahrheitsangabe ermahnt und darauf hingewiesen, daß
RM
Rpf.
er seine/sie ihre Aussage auf Anordnung der Kammer zu
[S. 2]
beeiden hat/haben. Hierbei wurden er/sie über die Bedeutung des Eides und die
strafrechtlichen Folgen einer unter Eid unrichtig oder unvollständig erstatteten
Aussage belehrt und darauf aufmerksam gemacht, daß der Eid sich auch auf die
Beantwortung von Fragen über seine/ihre Person und sonstiger Fragen bezieht, ferner
daß unbeeidigte Aussage die gleichen strafrechtlichen Folgen nach sich zieht.
Die Zeugen wurden sodann aus dem Sitzungssaal entlassen.
Über die persönlichen Verhältnisse vernommen, erklärte der Betroffene
Ich bin 50 Jahre, Volksschullehrer, verheiratet, keine Kinder, konfessionslos, 1934 aus der
Kirche ausgetreten, kein Pg-Einsatz, ich bin beinbeschädigt und konnte nicht eingesetzt
werden. Ich hatte eine Kinderlähmung, was sich im Krieg verschlimmert hat. Ab 28.8.39 bei
der Wehrmacht. Ich wurde eingezogen. Im Weltkrieg war ich Leutnant. Als Leutnant wurde
ich 1939 eingezogen. In Hammelburg machte ich eine Pflichtübung mit. Das war 1937 oder
38. Einen Monat währte die Übung. Als Major schied ich aus der Wehrmacht aus. Ich war in
englischer Kriegsgefangenschaft bis 4.8.1945.
Hierauf wurde die Klageschrift vom 6.1.1948 verlesen – die Klage vom öffentlichen
Kläger mündlich vorgetragen -.
Der Betroffene wurde befragt, ob er/sie etwas auf die Klage erwidern wolle. Er/sie
erklärte
Vorsitzender/Betroffener
Ich bin 1931 in gutem Glauben der Partei beigetreten. Mein Grundsatz in der heutigen
Verhandlung ist der, keinesfalls davon abzurücken, ich bin nicht getäuscht worden und habe
auch unter keiner Beeinflussung gestanden. Ich habe mich frei entschlossen, einzutreten, weil
Zeugen- und Sachverständigengebühren:
ich glaubte, einer guten Sache zu dienen. Dass ich später ein Amt angenommen habe,
entsprang ebenfalls dem guten Glauben, einer guten Sache zu dienen. Ich gehöre nicht zu den
Menschen, die eine Sache gut finden und andere dafür arbeiten lassen. Ich glaubte, man
müsste sich für die Sache einsetzen. Ich habe das Amt nicht abgelehnt. Ich habe das Amt
eines Blockleiters angenommen, obgleich mir das Gehen sehr schwer wurde. Ich wurde
beauftragt, Vorträge zu halten. Ich habe auch in dieser Beziehung rein technische Vorträge
gehalten. Ich bin kein Redner. Gebiete, die mich interessierten, brachte ich vor interessierten
Menschen zur Sprache. Z.B. die Elektrifizierung. Über Probleme der Wirtschaft wie z.B.
Gummi-Erzeugung. Ich habe nicht im geringsten gemeint, dass es sich darum handeln
könnte, einen Krieg vorzubereiten. Ich glaubte, ich würde friedlichen Zwecken dienen. Das
war meine feste Überzeugung. Die Zeugen können belegen, dass ich diese Ansicht hatte. Ich
habe später dann auch Vorträge gehalten. Volksbildungsstätte. Es war ein interessierter Kreis
Menschen. Als Mensch, der denkt, hat einem im Laufe der Zeit vieles nicht gefallen. Ich habe
mich mit meinen Freunden ausgesprochen, besonders mit meinem Freund Hesse.
[S. 2]
Ich hatte einen Zusammenstoss mit dem Kreisschulungsleiter. Ich baute meine Vorträge rein
naturwissenschaftlich auf. Diese Einstellung stiess auf Widerstand. Ich sollte weltanschaulich
arbeiten. Ich bekam den Vorwurf, ich würde die Idee verwässern. Mein Verkehr bestand aus
Freimaurer und Juden. / Ich habe dann die Konsequenz gezogen und arbeitete nicht mehr für
die Volksbildungsstätte. Das war 1937/38. / Ganz grosse Bedenken kamen mir, als ich in
Stuttgart war und Dr. Ley hörte auf einer Tagung, wo er in klarer Weise zum Krieg hetzte.
Ich habe Hesse damals gesagt, wir steuern einem verhängnisvollen Kurs entgegen. Wir
bekommen Krieg. Ich wurde abgestossen. / Tagung: Eisen und Metalle. Es muss im April 39
gewesen sein. Nun kam der Krieg. Ich war erst hier am Standort. Weil ich Ingenieur bin,
wurde ich in einem Kraftfahrpark eingesetzt und kam nach Russland, bzw. nach Polen, nach
Wilna. / Das war folgendermassen: Ich war in dem Wehrlager Hammelberg. Ich konnte nicht
reiten mit meinem Bein. Ich wurde abserviert. Bei der Mobilmachung musste ich mich
melden beim Standortältesten. So wurde ich als Luftschutzoffzier eingesetzt. Ich musste in
die Kasernen, um nachzusehen, wie weit die Vorkehrungen zum Luftschutz getroffen waren.
Ich war ½ Jahr, dann kam ich zum Kraftfahrpark. Dann kam ich nach Polen. Da entschied
sich meine Einstellung. Ich sah so unglaubliche Dinge, die ich als Mensch unbedingt
ablehnen musste. / Wie der Rußlandfeldzug begann. / Beim Polenfeldzug war ich in
Darmstadt. Ich hatte die Instandsetzung der Kraftfahrzeuge hier in Darmstadt unter mir. Das
war Juni 1941. Wir sollten in Serbien eingesetzt werden, wurden dann umdirigiert und kamen
nach Russland. Für mich kam die entscheidende Frage, wie stelle ich mich zu diesen
unerhörten Vorgängen. / Zuerst die Sache mit Warschau. Für mich bestand kein Zweifel
angesichts dieser Dinge, den Menschen zu helfen, sie nun so verfolgt, gequält und
verschleppt waren. Es waren nur Juden und Polen. / Das hat man gehört. In Wilna war das
tägliches Gespräch. / In Litauen wurden sie liquidiert, wurden weggeschafft und sind nicht
wiedergekommen. / Das habe ich nicht gehört. Ich will das nicht bezweifeln. / Fotos darüber
habe ich nicht gesehen. Mir genügte, was ich gesehen und gehört habe. Ich half allen, die sich
an mich wandten und um Hilfe baten. / Das glaube ich ohne weiteres. / Ich habe versucht,
diese Personen zu schützen und vor ihrem Schicksal zu bewahren. Es ist mir in vielen Fällen
gelungen. Ich bitte, die Zeugen darüber zu hören. Ich selbst habe mich mit dem SD in
Verbindung gesetzt und hatte starke Differenzen mit ihm. Ich war wenig beliebt dort. Man
hat mir aber nichts getan. Wenn man sich einen dieser Leute persönlich vorknöpfte, haben sie
die Greuel auch eingesehen. / Aber sie sagten alle: es sei ihnen befohlen. Sie hatten alle eine
starke Bindung an das was ihnen befohlen worden war.
Kläger/Betroffener:
Einer namens H ensel glaube ich.
Vorsitzender/Betroffener
Ich wollte etwas dagegen tun. Ich habe viele Juden bei mir versteckt gehalten. Ich habe Polen
(es hatte sich herumgesprochen) befreit. Ich forderte sie für meinen Kraftfahrpark an. Durch
dieses Stichwort „Kraftfahrpark“ habe ich viele Menschen befreit. / Über 1000, die bei mir
gearbeitet haben. Mit meinen Soldaten zusammen. Es waren 250 deutsche Soldaten in
meinem Park. Der Rest waren Zivilisten. Es schwankte. Ich habe für die Zivilbevölkerung
gesorgt. Ich habe Läden in der Stadt errichtet, wo die Juden bevorzugt ihre Waren kaufen
konnten. Ich habe Krankenhäuser eingerichtet. Habe kranke Polen besucht, die in
jämmerlichen Verhältnissen lebten. / Das habe ich getan, weil ich das für meine Pflicht hielt.
Es musste auch Menschen geben, die das deutsche Ansehen im Ausland aufrecht erhalten
mussten. Man musste sich ja schämen.
[S. 3]
Wir kamen dann weg. Später drückte uns der Russe und wir kamen in Gefangenschaft. /
Warum ich das getan habe? Es haben menschliche und antinazistische Gesichtspunkte
mitgespielt. Mein ganzes Wesen ist zu vermitteln und viele verschiedene Meinungen unter
einen Hut zu bringen. Ich stand in starkem Konflikt mit mir und der Partei. / Ich brachte
meine Einheit ohne Verluste zum Amerikaner. / Doch ganz erheblichen Abbruch hat das
getan. / Meine Frau trat 1938 in die Partei ein. Sie wurde eingereiht. Sie hatte sich aber schon
früher angemeldet. Sie ist dann auch abgerückt von der Partei. Ich bitte darüber den Zeugen
Hes s e zu vernehmen. Er ist mein bester Freund. / Ich habe keinen Parteitag besucht. / Ich
habe immer gehofft, dass diese unerfreulichen Auswüchse sich nach einer gewissen Zeit
legen würden. Das war der Gegenstand von langen Gesprächen, die ich mit Hesse darüber
geführt habe. Er glaubte, es sei ein Aufflackern niederer Instinkte. / Im NSBDT kam ich
durch den VDA [muss wohl VDI heißen]. Ich wurde automatisch übernommen. He gm ann
übertrug mir das Amt.
Anwalt/Betroffener
Das war 1938. Er hat mich als Fachschaftsleiter eingetragen. Ich habe nie von der Sache
etwas gehört. Ich habe keine Funktion ausgeübt.
Vorsitzender/Betroffener
Es war diese Tätigkeit in dem Volksbildungswerk. Was ich für eine Stufe hatte, weiss ich
nicht. / Kurze Zeit bis ich die Tätigkeit in der Volksbildungsstätte übernahm. Es war mir
verboten, weltanschauliche Vorträge zu halten, da ich keine weltanschauliche Schulung
durchgemacht habe.
Anwalt/Betroffener
Das muss 1936 gewesen sein. / Der Krach mit der Volksbildung war 1937. / Ein Jahr habe
ich das gemacht.
Vorsitzender/Betroffener
Ich habe nur über technische Fragen gesprochen. Ich wollte auch nicht über weltanschauliche
Dinge sprechen. Ich war darin zu unsicher. Das war die Gervinusschule. / Ortsgruppenleiter
Di ehl . Es ist möglich, dass er verzogen ist.
Anwalt/Betroffener
1934 als Blockleiter.
Vorsitzender/Betroffener
Geld einsammeln. / Das konnte ich nicht. / Ich konnte das Treppensteigen nicht vertragen. Da
sagte der Ortsgruppenleiter, ich sollte Vorträge halten. Irgendetwas sollte ich machen.
Anwalt/Betroffener
Stellenleiter wurde ich im Rahmen dieser Dinge.
Vorsitzender/Betroffener
Schulungsleiter von 1935-1936. Darf ich fragen: „Was verstehen Sie unter Stellenleiter?“ Das
Amt eines Zellenleiters habe ich nie gesehen. Durch die Vorträge hat mich der Blockleiter
zum Zellenleiter gemacht. / Ich bin aus folgenden Gründen aus der Kirche ausgetreten: Wir
hatten schon immer einen Kreis von jungen Menschen, der sich für diese Fragen interessierte.
Religiöse Dinge waren für mich eine ernste Angelegenheit. Wir haben viele Pfarrer in der
Familie. Mir hat nicht gefallen, was ich da sah. Eines Tages hatte ich eine Unterredung mit
meinem Vater gehabt, der Pfarrer war [? Das kann so nicht stimmen]. Er verlangte, dass ich
an die Artikel der Augsburger Konfession glauben sollte.
[S. 4]
Es war ein kleines Glaubensbekenntnis für einen Christen. Ich kann nur glauben, was ich
ehrlich für wahr halten kann. Deswegen hielt ich es für das Redlichste aus der Kirche
auszutreten. In schweren Kämpfen fand ich meine Einstellung. Ich lehne religiöse Dinge
nicht ab. Ich habe aber eine Trennung vollzogen. Denn was geglaubt werden sollte, konnte
ich nicht glauben. Eine Kompromisslösung gab es für mich nicht wie es die deutschen
Christen taten. Ich glaube, dass ich trotzdem religiös veranlagt bin. Mein Verhalten wird
bestimmt durch einen klaren Kompass, den ich habe, der mir sagt, was ich tun und lassen
soll, was Recht und was Unrecht ist. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich Unrecht täte.
Sonst hätte ich es eben nicht getan. Auch meine Zeugen können darüber aussagen. / Ich bin
selbstverständlich bereit, die Konsequenzen zu tragen für das, was ich getan habe, falls es
schlecht war.
Anwalt/Betroffener
Ich hätte sonst auch die Patenschaft des Sohnes meines Freundes Hesse nicht übernommen. /
Ich habe das in grossem Umfange getan. Wir hatten Arbeitsbescheinigungen ausgestellt, und
zwar ziemlich wahllos. Es meldete sich z.B. ein jüdischer Arzt und bat, bei mir eingestellt zu
werden. Ich war zuerst entsetzt, denn was sollte ich mit dem Arzt machen in meinem
Kraftfahrpark. Ich konnte es aber nicht über mich bringen ihn wegzuschicken. Ich trug ihn als
Schleifer ein. Er hatte nie etwas technisches in seinem Leben getan. Ich setzte ihn als Arzt
ein, obgleich ich keine Berechtigung dazu hatte. Auch seinen 75-jährigen Vater stellte ich auf
sein Bitten hin ein. / Schwindeleien haben wir in grossem Umfange gemacht. Ich setzte mich
öfters grosser Gefahr aus, ohne es eigentlich zu wissen. Das merkte ich in vielen Fällen erst
hinterher. / Seit der S au[ c] kel -Aktion habe ich derartige Bescheinigungen ausgestellt. Dem
SD gegenüber habe ich den Standpunkt vertreten, dass Frauen und Kinder nicht zu fassen
seien. Infolgedessen sind viele Frauen und Kinder nicht verschleppt worden.
Kläger/Betroffener
Ich habe das Buch „Mein Kampf“ gelesen. 1929.
[S. 5]
Zeu genve rnehm un g:
Zeuge Alfred S t um pff ,
nicht verwandt, nicht verschwägert, 47 Jahre, Rechtsanwalt, Pg seit 1.5.1937, Scharführer im
NSKK, keine Funktion, Bereinigung nicht erfolgt bis jetzt. –
Vorsitzender/Zeuge
Ich habe das humanistische Gymnasium besucht. Ich kenne ihn persönlich seit Januar 1941
als ich nach dem Kraftfahrpark Darmstadt versetzt wurde. Ich war 3 Monate mit ihm
Zusammen. In den letzten Tagen meines Hierseins sind wir näher zusammen gekommen. Das
war Juni 1942 als ich ihn wieder in W i l na traf. Ich war Oberleutnant. Ich blieb dort bis zum
1.10.1942. Auf diese Zeit beziehen sich meine wesentlichsten Wahrnehmungen, die ich
gemacht habe. / Unser Park war eine Dienststelle zur Instandsetzung der Fahrzeuge. Diese
Dienststelle arbeitete mit einer grösseren Anzahl von Fachleuten. Viele Polen 700-800, auch
viele Juden, ich glaube 250 an der Zahl. Doch diese Zahl weiss ich nicht genau. 15 – 20
russische Kriegsgefangene kamen später noch dazu. Vielleicht ist das von Bedeutung für die
Sache hier. Jüdische Facharbeiter wurden eingestellt und beschäftigt. Es wurden auch viele
Juden beschäftigt, die niemals Handwerker waren, geschweige denn Facharbeiter. Sie wurden
beschäftigt als Gartenarbeiter und in der Küche. Ein jüdischer Arzt, der in Deutschland
studiert hatte war ebenfalls dort. Sie wurden als Schneider und Schuster beschäftigt. Es
bereitete Schwierigkeiten diese Leute der Verwaltung gegenüber zu rechtfertigen. Der
Gebietskommissar überwachte diese Dinge. Die Meldungen liefen alle über die
Kommandantur. Wir berieten uns öfters darüber. Die Juden waren der Vernichtung
ausgesetzt, das wussten wir, wenn wir sie zurückgaben. Das Ghetto wurde getrennt geführt,
die für die Wehrmacht tragbar waren und die anderen. Diese Leute, die tragbar waren,
wurden nicht verfolgt. Ebenso nicht die Frauen und Kinder, die dazu gehörten. Da hat sich
Plagge dafür hergegeben, die Leute zu tarnen. Sie wurden als Handwerker gemeldet, obwohl
sie es nicht waren. Es waren schätzungsweise 250 Leute. / Es gibt immer Leute, die gern
stänkern. Er setzte sich der Gefahr aus, dass Nachprüfungen erfolgten. Er setzte sich also
einer Gefahr aus. Besonders ein Fall steht mir in Erinnerung. Es war die Frau und die Kinder
eines jüdischen Arbeiters abgezogen worden. Wir wussten, dass das wieder eine
Reinigungsaktion bedeutete. Der Jude wandte sich an Plagge und das ist kennzeichnend für
ihn. Er hat nicht nur das gemacht, was jeder anständige Mensch gemacht hätte. Er ist
persönlich zu dieser Stelle gefahren und hat nicht eher Ruhe gegeben, bis er die Frau und die
Kinder wieder herausgeholt hatte. Ich kenne diesen Fall nur vom Hörensagen. Auch für die
Verbesserung der Ernährung beim Park verhandelte er. Die Juden wurden im Ghetto
verfolgt. Er hat dafür gesorgt, dass sie wenigstens Mittags eine warme Suppe im Park
bekommen haben. Auch die polnischen Arbeiter bekamen Mittags ein Gericht. Wir selbst
waren arm daran. Es war sehr schwierig. Von der Verwaltungsdienststelle bekamen wir für
die Polen etwas vorgeschossen, aber nicht für die Juden. Wir hatten auch einige russische
Kriegsgefangene. Er hat sich bemüht, sich für diese Leute einzusetzen. Er hat ihnen
Musikinstrumente verschafft, damit sie für ihre Freizeit etwas hatten. Eine wesentliche Sache
war folgende: Wir hatten viel polnische Arbeiter. Die Polen wurden stark gedrückt. Wilna
war von Polen abgetrennt worden bei der Teilung. Es war polnische und litauische
Bevölkerung. Sie klagten
[S. 6]
über die Lebensmittellieferungen. Sie bekamen Marken, aber die Lebensmittel nicht. Die
Griechen und Litauer wurden beliefert, nicht aber die Polen. Plagge hatte den Gedanken, wir
müssten selbst etwas dafür tun. Er wollte gegen die Zustände sofort etwas unternehmen. Er
ging nicht den bürokratischen Weg. Die zivile Lebensmittelversorgung sollte sofort
aufgenommen werden. Wir mieteten einen Laden für unsere Familien und gaben der
Bevölkerung die Lebensmittel aus. So konnten wir garantieren, dass die Arbeiter das
bekamen, was ihnen zustand. Die Polen waren darüber sehr erfreut. Es soll sich bis zum
Schluss bewährt haben, hörte ich von anderen Zeugen, die länger als ich da waren. Ich hatte
einen so starken Eindruck davon, dass ich Plagge sagte, wenn der Krieg schlecht ausginge,
könne er nach Wilna gehen, er würde dort von den Juden gut aufgenommen werden. / Zu
Differenzen kam es während meiner Anwesenheit in Wilna nicht. / Es war eine gewagte
Sache. Wir hatten beim Gebietskommissar eine Besprechung wegen der
Lebensmittelversorgung der polnischen Arbeiter. Wir sagten damals: „Wenn das man gut
geht.“ Wir fürchteten, es sei irgendwas gemeldet worden. Wir gingen zur Dienststelle wie zu
einem Gegner.
Kläger/Zeuge
Ich glaube, etwa 250 Mann müssen es gewesen sein. Es waren auch Nazis darunter, gewiss.
Wir hatten einen Feldwebel, den erwischte ich eines Sonntag morgens wie er einen jüdischen
Arbeiter misshandelte. Er trat ihn hinten rein. Da schritt ich dagegen ein, ich war empört. Ich
hatte mit dem Feldwebel eine scharfe Auseinandersetzung. Der Feldwebel sagte, der Jude
habe ihn belogen. Ich wies den Feldwebel stark zurück. Er berief sich darauf, dass er SS sei.
„Der Jude ist unser Feind“ usw. erwiderte er mir. Ich sagte ihm dann, wenn er kämpfen
wolle, soll er rausgehen an die Front. Ich meldete das Plagge, es war gefährlich. Plagge hat
den Feldwebel gehörig zusammengestaucht und gab Befehl, sich der Fronttruppe zu melden.
Das war eigentlich nicht zugelassen. Dieser Feldwebel verschwand dann aus unserem
Gesichtskreis. Er stellte einen Versetzungsantrag.
Zeuge Christian B art ho l om ae
nicht verwandt, nicht verschwägert, vom Gesetz nicht betroffen. –
Vorsitzender/Zeuge
Am 6.4.1941 in Darmstadt. Ich wurde abkommandiert zu einem Arbeitsstab und Plagge war
unser Kommandant im Range eines Hauptmannes. Wir gingen nach Osten. Bis zur
Gefangennahme am 2.5.1945. / Er war mein Vorgesetzter. Ich war Unter-Offizier. / Ich bin
als Unter-Offizier abgegangen. / Ich war Schirrmeister. / Wir haben dort die Werkstätten
eingerichtet zwecks Instandsetzung der Wagen für die Front. Die Werkstattaufsicht
unterstand dem Truppenleiter und der Truppenleiter unterstand dem Plagge. Persönlich hatte
ich wenig mit ihm zu tun. / Wenn man irgendetwas persönliches hatte, konnte man sich mit
ihm auseinandersetzen. / Appelle hat er auch gehalten. Ging man vorbei, fragte er, wie es
ginge. / Das kann ich nicht so genau sagen, ich war ja den ganzen Tag über in der Werkstatt
gewesen. / Wir mussten jeden Tag zur Schirrmeister-Besprechung kommen. Da war der Chef
anwesend. / Ich konnte ihm alles sagen. Er war immer besorgt um uns. Jede Schwierigkeit
stellte er ab, wenn er konnte.
Kläger/Zeuge
Vom 22.10.1940 bis 9.9.1945 war ich Soldat. / Das ist von Jugend an schon so, ich komme
aus einer Soldatenfamilie.
[S. 7]
Vorsitzender/Zeuge
Ich wusste nicht, dass er Pg war. Das erfuhr ich erst im Gefangenenlager. Durch den
Hermann S chul z . Das war 1945 beim Amerikaner. / Weil es sich in meiner Werkstatt
zugetragen hat. Ich hatte damals 20 Juden als Hilfsarbeiter. Eines Morgens machte der Jude
ein dummes Gesicht. Ich frug, was los sei. Ich erfuhr, ein Jude war weg. Ich habe mich sofort
mit Plagge in Verbindung gesetzt und er holte den Juden wieder raus. Zwei Tage später fehlte
der andere Jude. Ich ging wieder zu Plagge. Er konnte ihn wieder rausholen. / Das war nicht
so einfach. Der Obersturmführer W ol f vom SD machte mir keine Schwierigkeiten. Der Jude
wurde wieder frei. Er hat als Glaser bei uns gearbeitet. / Weil uns die Juden zugeteilt waren. /
Sie waren irrtümlicherweise verhaftet. Hätten wir sie nicht geholt, wären sie auch fort
gewesen. / Dr. Wolfsohn und sein Vater wurden vor der Vernichtung bewahrt. Dr. Wolfsohn
sagte selbst zu mir, dass Plagge ihn und seinen Vater gerettet habe. Er sei ihm zu großem
Dank verpflichtet. / Als Arzt hat er bei uns gearbeitet. / Das weiss ich von Wolfsohn selbst. /
Das war die Grossaktion gegen die litauische Intelligenz. Es lag Befehl vor, die Intelligenz zu
verhaften. Er hat unter Einsatz seiner Person den Dr. Ballenk befreit. / Wie das ausging,
weiss ich nicht. Es war sehr gefährlich, etwas zu unternehmen. / Ohne seine ganze Person
dranzugeben, ging das nicht. / Den Vorgang habe ich von Dr. Ballenk und zwei Polen. / Der
Bittsteller war ein Pole, den Namen weiss ich nicht mehr. Er kam und bat, dem Major
vorgeführt zu werden. Sein Sohn arbeitete bei uns. Plagge schickte sofort jemanden dorthin.
Er sagte uns noch, wenn wir auf Widerstand stossen würden, sollten wir von der Waffe
Gebrauch machen. Der Junge wurde befreit. / Das waren dort eigenartige Verhältnisse. Man
konnte sich nicht alles gefallen lassen. Man musste sich gegen den SD wehren.
Zeugin Maria Eichamüller
Tauberweg [?] 168 Darmstadt, Hausfrau, nicht verwandt, nicht verschwägert.
Vorsitzender/Zeugin
Ich habe Herrn Plagge heute früh das erste Mal gesehen. Ich kenne ihn nicht. Ich habe
folgendes zu sagen: Weihnachten war ich in Ludwigsburg bei Stuttgart zu Besuch. Meine
Freundin, bei der ich zu Besuch war, kennt die jüdische Rechtsanwältin Dr. Paula Zanka ,
die die Juden des Lagers betreut. Über meine Freundin bat sie mich, hier in Darmstadt nach
einem gewissen P l a gge zu suchen mit der Begründung, dass in ihrem Lager verschiedene
Juden seien, die Plagge Dank abstatten wollen. Sie sagten, Plagge habe sie anständig
behandelt und habe für sie getan, was er konnte. Sie sind bereit, ihn mit Lebensmitteln und
Geld zu unterstützen, falls Plagge in Not sei. Da ist noch ein jüdischer Vater in Stuttgart, der
erklärte, sein Sohn sei durch Plagge gerettet worden. Ich ging sofort nach meiner Rückkunft
zur Polizei um den Plagge ausfindig zu machen, fand auch verschiedene Plagge, die aber
nicht der gesuchte waren. Am Samstag lese ich zufällig in der Zeitung, dass ein Termin
Plagge zur Verhandlung anstehe. Ich bin sofort hierher, konnte aber am Samstag, den
betreffenden Vorsitzenden nicht finden. So kam ich denn heute zur Verhandlung, um zu
hören, ob das der richtige Plagge aus Wilna sei. / Das Judenlager ist in Ludwigsburg.
Zeuge Kurt H esse
nicht verwandt, nicht verschwägert, vom Gesetz nicht betroffen. –
Vorsitzender/Zeuge
Ich kenne ihn seit 1932. Er hat sich damals um eine Tätigkeit in meiner Firma beworben. Ich
war nicht in der Lage, ihn als Ingenieur voll einzustellen. Er stand in freiem Arbeitsverhältnis
mit mir. Wir hatten öfters Besprechungen miteinander. Auch über Politik sprachen wir des
[S. 8]
öfteren miteinander. Ich erfuhr später, dass er Pg war. Bei der Einstellung habe ich mich
darum wenig bekümmert. Das war 1933. Ich bin Arier, aber meine Frau ist Jüdin. Ich stand
unter zunehmendem Druck. Er hat mich immer im guten Sinne beraten und beeinflusst. Er
hat mich seelisch unterstützt und aufgerichtet. Er hat nie versucht, das zu entschuldigen, was
geschah. Er glaubte, es seien Anfangserscheinungen. Sie würden überwunden werden. Bis
1938 ich vor der Entscheidung stand, einen Ingenieur voll anzustellen. Ich brauchte in
leitender Stellung einen Ingenieur, der nach parteilicher Hinsicht uns deckte. Ich wollte
verhindern, dass jemand in den Betrieb kam, der Propaganda machte. Ich wusste von ihm,
dass ich das bei Ihm nicht zu befürchten hatte. Er war ausserordentlich beliebt. Er hat sich
immer um die Leute bemüht. / Das war seit Frühjahr 1938. Eigentlich hätte ich einen ElektroIngenieur engagieren müssen. Aber ich entschloss mich, ihn zu engagieren. Schon um nach
Aussen hin jemanden zu haben, der uns deckte. Ich habe das nicht bereut. Im Gegenteil, ich
fühlte mich beglückt. Ein Vorgang 1938 bei den Synagogenbränden. Er verabscheute das
ganz offen mir gegenüber. Er war in Gewissenskonflikten, das merkte ich. Das zweite war im
Jahre 1938 der Überfall auf die Tschechei. Er äusserte sich in sehr bedenklicher Weise mir
gegenüber. Er hatte Bedenken, dass er zu offen war. Der 3. Vorgang war anlässlich einer
Tagung in Stuttgart. Die Betriebe schickten ihre Ingenieure dorthin. Es waren Vorträge
technischer Art. Er fuhr also zur Tagung. Ich fuhr auch hin. Kurze Zeit darauf besprachen wir
uns. Ich habe ihn kaum wieder erkannt. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Er war
ganz verstört. Er konnte nicht darüber hinwegkommen, wie Ley in ungenierter Weise sagte,
in 3 Jahren wehe die deutsche Flagge über Warschau. Darüber kam er nicht weg. Er hatte
sich vollkommen gelöst von der Partei. Das verstärkte sich immer mehr. Anfang des Krieges
wurde er eingezogen. Wir standen in Briefwechsel. Ich sah, er hatte sich vollkommen
geändert. Er war von seiner früheren Überzeugung abgerückt. / Während des Krieges sah ich
ihn während des Urlaubs öfters. Wenn er mich besuchte. 1942 kam er erst weg oder 1941.
Nachher habe ich ihn 2 oder 3mal gesehen. Er war da alles andere nur kein Nazi mehr. /
Funktionär war er nie. Idealist war er. Ich habe mich immer bei den Leuten über ihn
vergewissert. Sein Verhalten war immer anständig. Er hat immer als Mensch gehandelt. / Mit
der NSDAK [NSDAP] hatte er insofern Bindung als er Vorträge bei der DAF hielt. Auf
naturwissenschaftlichem Gebiet. Später hörte das auf. Er wollte nicht mehr mitmachen. Ich
habe ihn nur als anständigen Menschen kennengelernt. Er ist Pate von meinem Jungen,
obgleich er wusste, dass mein Sohn Mischling ist. Ich wusste, ich konnte mich auf ihn
verlassen.
[S. 9]
Nach der Vernehmung eines jeden Zeugen – Sachverständigen sowie nach der
Verlesung eines jeden Schriftstücks – wurde der Betroffene befragt, ob er/sie etwas zu
erklären habe.
Der öffentliche Kläger und sodann der Betroffene – und der Rechtsbeistand – erhielten
zu ihren Ausführungen das Wort.
Der öffentliche Kläger beantragte
überlässt es der Kammer den Betroffenen einzustufen.
Der Betroffene der Rechtsbeistand – beantragte
Gruppe 4 der Mitläufer auf Wunsch des Betroffenen.
Dem Betroffenen wurde Gelegenheit gegeben sich als Letzter zu äußern.
Ich schliesse mich den Worten meines Verteidigers an.
12
/Tr.
Der Vorsitzende verkündet 9. Februar 1948
nach geheimer Beratung der Kammer durch Verlesung der Spruchformel, Mitteilung
der Gründe und unter Anfügung der Rechtsmittelbelehrung folgenden
Spruch:
Der Betroffene Karl P l a gge , geb. 10.7.1897, wohnhaft in Neunkirchen, Ortsstrasse 17, wird
nach Artikel 12/I in die Gruppe 4
Mi t l äufer
eingereiht.
Nach Artikel 18/I hat er einen einmaligen Sonderbeitrag in Höhe von RM 100,-- zu zahlen.
Be gründun g:
Der Vorsitzende:
Die Beisitzer:
gez. Krämer
gez. Albrecht
gez. Jean Krämer
Für die Richtigkeit:
gez. Hebberling
(Protokollführerin)
Der Betroffene war Mitglied der NSDAP seit 1.12.1931, Blockleiter von 1934 bis 1935 und
Ortsgruppenschulungsleiter (Zellenleiter) von 1935-1936. In der DAF, der er seit 1934
angehörte, bekleidete er vorübergehend das Amt eines KDF Stellenleiters. Wegen seines im
Weltkrieg 1914-1918 innegehabten Dienstranges eines Leutnants wurde er im Jahre 1939 bei
Ausbruch des Krieges zur Wehrmacht einberufen und vornehmlich als Leiter eines
Kraftfahrparkes , zuletzt im Range eines Majors, verwendet. Die amtlichen Auskünfte wissen
über seine politische Haltung nichts zu berichten. In eigener Stellungnahme zur Sache erklärt
der Betroffene, im Jahre 1931 nach längerer Arbeitslosigkeit in gutem Glauben der NSDAP
beigetreten zu sein. In der Überzeugung einer wirklich guten Sache zu dienen, habe er
bedenkenlos die ihm übertragenen Ämter angenommen. Nachdem er in Folge eines
körperlichen Leidens die Blockleitertätigkeit nicht mehr habe ausüben können, sei ihm die
Funktion eines Ortsgruppenschulungsleiters übertragen worden. Durch seine ständige
Weigerung sich an den von der Kreisleitung abgehaltenen weltanschaulichen
Schulungskursen zu beteiligen, sei ihm das Halten von Referaten weltanschaulicher Tendenz
untersagt gewesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Betroffenen auferlegt. Der Streitwert wird auf
RM 9.000,-- festgesetzt.
[S. 2]
Die von ihm gehaltenen Vorträge seien deshalb nur technischen Inhalts (Elektrifizierung)
gewesen. Auch in dem von ihm ausgeübten Amt eines Stellenleiters der KDF habe er sich
nicht mit weltanschaulichen Fragen, sondern ausschliesslich mit solchen volksbildenden
Charakters zu beschäftigen gehabt. Das Amt des Ortsgruppenschulungsleiters habe er
freiwillig niedergelegt, als man von ihm das Referieren über weltanschauliche Probleme
verlangte. Im Jahre 1937 habe er anlässlich einer Ingenieur-Tagung in Stuttgart eine derartige
Abneigung gegen die dort von Le y vertretenen weltanschaulich-expansionistischen Ziele
gefasst, dass er nach seiner Rückkehr das Amt des Stellenleiters zur Verfügung gestellt habe.
Bei Ausbruch des Krieges sei er sofort zum Heeresdienst einberufen und zuerst als
Luftschutzoffizier für den Standort Darmstadt eingesetzt worden. Später sei er in das
Kraftfahrzeugwesen versetzt und bei dem Angriff gegen Russland an die Ostfront versetzt
worden, wo er von Anfang an den Kraftfahrzeugpark in W i l na geleitet habe. Dieser
militärischen Einrichtung unterstanden neben 250 Soldaten 7-800 Zivilisten, die sich
ausschliesslich aus litauischen Juden und Polen zusammensetzten. Solange diese Personen im
Park beschäftigt waren, seien sie dem Zugriff der SD sowie der Gestapo und damit den
Vernichtungsaktionen entzogen gewesen. Durch seinen persönlichen Einsatz habe er erreicht,
dass bereits Verhaftete vom SD zur Beschäftigung im Park freigegeben wurden. Durch sein
Eingreifen sei auch die Erschießung eines als Geisel festgenommenen jüdischen Arztes im
letzten Augenblick verhindert worden. Einen anderen von der Vernichtungsaktion bedrohten
Arzt habe er mit seinem alten Vater mit falschen Papieren versehen, in dem Park als
Facharbeiter aufgenommen und sie so vom Tode errettet. Anlässlich der Sau[c]kel-Aktion,
bei der Tausende von polnischen Volksangehörigen nach Deutschland verschleppt werden
sollten, habe er einige hundert dieser Menschen als Arbeiter aufgenommen und ihnen
dadurch das weitere Zusammenleben mit ihren Familien ermöglicht. Infolge der
unregelmässigen Belieferung der Juden und Polen mit Lebensmitteln und anderen Dingen des
täglichen Bedarfs habe er die Gründung eigener Geschäfte veranlasst, durch die die
Sicherstellung der ihnen zustehenden Rationen gewährleistet wurde. Die schrecklichen
Vorkommnisse, von denen er aus eigener Kenntnis wusste, hatten ihm vollends die Augen für
die nazistischen Gewaltmethoden geöffnet. – Der Zeuge S t um pff , der gleichfalls längere
Zeit im Kraftfahrzeugpark Wilna beigeordnet war, bekundet vor der Kammer glaubhaft, dass
der Betroffene entgegen den bestehenden Vorschriften Juden als Facharbeiter im Park
aufnahm, obwohl sie die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht besassen. Im
Verlaufe seiner Aussage schildert er den Fall, bei dem Frau und Kinder eines im Park
beschäftigten Juden vom SD verhaftet worden war und die erst durch persönliche Vorsprache
des Betroffenen wieder freigegeben wurde. Der Zeuge erklärt weiter, dass die den Juden
geleistete Hilfe für ihn heute die beste Entlastung darstellte, wenn diese in der Lage wären,
vor der Kammer zu erscheinen. Der beim Park von Anfang an diensttuende Unter-Offizier
Bartholomae bestätigt, die bereits vom Betroffenen selbst abgegebene Erklärung bezüglich
seiner Hilfe für Juden und Polen. Die nicht als Zeugin geladene Frau Maria Eichamüller
erklärt, anlässlich eines Besuches einer Freundin in Ludwigsburg bei Stuttgart durch eine
jüdische Rechtsanwältin, Frau Dr. Paula Zanker , die die Betreuung im stuttgarter
Verschlepptenlager versieht, den aus Darmstadt stammenden Betroffenen ausfindig zu
machen, um Grüsse und das Anerbieten materieller Hilfe vieler wilnaer Juden zu übermitteln.
Unter den dortigen Verschleppten befänden sich verschiedene Juden, die ihren Dank für die
vom Betroffenen erhaltene Behandlung abzustatten wünschten.
[S. 3]
Der Sohn eines Lager-Angehörigen verdanke sein Leben nur dem Vermitteln des
Betroffenen. Der Zeuge Hesse , der mit einer Nichtarierin verheiratet ist, kennt den
Betroffenen seit 1932. Er erklärt, ihn nie als fanatischen Anhänger angesehen zu haben, denn
der Betroffene sei von Grund auf tolerant und stets hilfsbereit gegen jedermann gewesen. Für
die Festanstellung in seinem Betrieb sei für ihn als Betriebsinhaber die Überlegung
entscheidend gewesen, einen Mann zu haben, der ihm einerseits in politischer Hinsicht die
notwendige Rückendeckung gab und auf der anderen Seite sich im Betrieb nicht als Nazi
gebärdete. Er habe feststellen können, dass der Betroffene sich etwa im Jahre 1938 bereits
vollständig von seinen früheren Idealen abgewandt habe, Im Betrieb sei er von allen
Angehörigen sehr geschätzt gewesen. – Infolge seiner formellen Belastung fällt der
Betroffene wiederholt in die Klasse 2 des Anhanges zum Gesetz. Bei der Prüfung, ob
Tatbestände der Artikel 5, 7, 8 und 9 im vorliegenden Falle erfüllt sind, musste die Zeit vor
und während des Krieges gesondert abgewogen werden. Der Betroffene war ohne Zweifel
aus Idealismus zur Nazibewegung gestossen. Er hat im Jahre 1934 seine Bindung mit der
Kirche gelöst, im gleichen Jahr das Amt eines Blockleiters und später das eines Zellenleiters
(Ortsgruppenschulungsleiters) übernommen und ausserdem das eines KDF-Stellenleiters
ausgeübt. Bei den vom Kläger angestellten Ermittlungen wie auch durch die
Beweisaufnahme wurde keine Anhaltspunkte für eine aktivistische Betätigung sichtbar. Wie
die Bekundungen des Zeugen Hesse beweisen, hat er trotz seiner Zugehörigkeit und
formellen Belastung zur Nazibewegung nie den Boden der Menschlichkeit und Toleranz
verlassen. Die Erklärungen ehemaliger Wehrmachtsangehöriger sind Beweis dafür, dass er
als Offizier weder rangmässig noch sonst in irgendeiner Form die Voraussetzung des Artikels
8 erfüllt. In seiner Militärzeit fallen dagegen eine ganze Reihe von Handlungen, die
wesentlich zu seiner Entlastung beitragen. Die von ihm selbst geschilderten einzelnen
Vorkommnisse wurden nicht nur durch ehemalige Wehrmachtsangehörige bestätigt und
bekräftigt, sondern vor allem durch das unerwartete Erscheinen der Zeugin Eichamüller in
ihrer Bedeutung ganz wesentlich unterstrichen. Die von ihm unternommenen Handlungen
zugunsten von Polen und Juden stellten ohne Zweifel Widerstand im Sinne des Artikels 13
dar, wenn gleichfalls hätte erwiesen werden können, dass ihre Ursache in antinazistischer
Einstellung begründet ist. In dem Anerbieten der Verschleppten des Lagers Ludwigsburg ist
der Beweis erbracht, dass der Betroffene in ungewöhnlichem Masse die damals der
Vernichtung preisgegebenen vor dem Tode bewahrte und ihnen auch sonst jedmögliche Hilfe
angedeihen liess. Zusammenfassend wird von der Kammer festgestellt, dass der Betroffene
weder als Belasteter noch als Militarist oder als Nutzniesser im Sinne des Gesetzes anzusehen
ist. Er hat durch seine Haltung bewiesen, dass er ungeachtet seiner frühen Bejahung des
Nazismus jederzeit dessen Auswüchse ablehnte und erforderlichenfalls bekämpfte. Bei der
Abwägung des Falles stösst die Kammer auf die Frage, ob er gemäss Artikel 13 in die
Gruppe 5 oder gemäss Artikel 12/I in die Gruppe 4 einzustufen ist. Ausgehend von der
Überlegung, dass das antinationalsozialistische Motiv seiner Handlungen nicht erwiesen ist,
da vermutlich dafür seine menschliche Einstellung massgebend gewesen ist, beschliesst die
Kammer, ihn in die Gruppe 4 der Mitläufer einzustufen, weil der Beweis erbracht ist, dass
durch seine Gesamthaltung er als nominelles Mitglied der NS-Bewegung angesehen werden
muss.
Der Vorsitzende:
gez. Krämer
Für die Richtigkeit
gez. Hebberling
(Protokollführerin)
Spruch rechtskräftig [handscshriftl.] 15.3.48
[gez.] Pullmann
Urkundsbeamter
[Stempel mit hessischem Landeswappen:
Spruchkammer Darmstadt-Land – Darmstadt]
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