Kinderkrankenpflegeschule 1 Leistenregion und Andrologie Leistenregion und Andrologie Schmerzlose Schwellung des Leistenkanals oder des Skrotums Indirekte, angeborene Leistenhernie Definition: Die indirekte Inguinalhernie besteht aus dem persistierenden Processus vaginalis peritonei, der mit Eingeweiden aus der Peritonealhöhle gefüllt ist. Vorkommen: Häufigste chirurgische Erkrankung im Kindesalter, ca. 1 % aller Kinder; 80 % manifestieren sich in den ersten 3 Lebensmonaten. Rechtsseitig in ca. 60 %, links 30 %, bilateral 10 %; Je jünger das Kind ist, desto häufiger treten bilaterale Hernien auf; deutliche Androtropie (ca. 5:1). Ätiologie/Pathogenese: Beim Deszensus testes begleitet eine Ausstülpung des Peritoneums den Hoden vom inneren (lateralen) durch den Leistenkanal zum äußeren (medialen) Leistenring bis in das Skrotum. Physiologisch ist diese Ausstülpung spaltförmig. Sie obliteriert bis zur Geburt (bzw. im Laufe des 1. LJ). Wenn Darmschlingen in den persistierenden Processus eintreten und ihn ausweiten, werden sie als indirekte Leistenhernie bezeichnet (fließende Übergänge zur Hydrozele). Die angeborene Leistenhernie beim Mädchen verläuft ebenfalls vom inneren zum äußeren Leistenring (wesentlich seltener, da der Weg hier nicht vom Hoden "gebahnt" wurde). Anamnese/Klinik: Schwellung im Bereich des äußeren Leistenringes, Skrotums oder der Labia majora, die bei Erhöhung des intraabdominellen Drucks (z. B. Schreien) zunehmen kann und unter Ruhebedingungen reponibel ist. Gezielte Anamnese! Die Angaben der Eltern sind in der Regel verläßlicher (und sicherer) als der Palpations-befund! Diagnostik: Klinische Diagnose. Z. A. möglicher DD kann die Sonographie und Diaphanoskopie der Leiste und des Skrotums herangezogen werden. Differentialdiagnosen: Leistenhoden, Leistenlymphome, Hydrozele, Femoralhernie, Funikulozele, NUCK-Zyste (bei Mädchen), akutes Skrotum. Besonderheiten: Beim Mädchen kann der Bruchsack mitsamt Tuben und Ovar bis in die Labia majora reichen (Gefahr: Torquierung und Durchblutung). Liegt beim Mädchen ein bilateraler Leistenbruch vor, muß eine testikuläre Feminisierung durch Chromosomenanalyse ausgeschlossen werden. Komplikationen: Häufig! Besonders im Säuglingsalter als Erstmanifestation! Irreponible Hernie: Bruchinhalt läßt sich nicht in die Bauchhöhle reponieren (sog. Brucheinklemmung). Inkarzerierte Hernie: Wie irreponible H. plus Durchblutungsstörungen (venös und/oder arteriell) des Bruchinhaltes. Kann nur bei der Operation oder durch Sekundärpathologie diagnostiziert werden. Kinderkrankenpflegeschule 2 Leistenregion und Andrologie Unbehandelt resultiert eine Komplikationskette: Brucheinklemmung (irreponible H.)Passagestörung (Ileus)Durchblutungsstörung des Bruchinhaltes (inkarzerierte H.)Gangrän des BruchinhaltesPerforationPeritonitis! Zusätzlich läuft die Pathophysiologie des Ileus ab! Therapie: Mit Diagnosestellung ist die Indikation zur früh-elektiven, evtl. tageschirurgischen Operation (= Herniotomie) gegeben. Z. B. nach FERGUSON: Isolation des Bruchsacks nach Eröffnung des LeistenkanalsEröffnung des Bruchsacks (Inspektion: Bruchinhalt?)Reposition des BruchinhaltsBruchsackdurchtrennung und -verschluß (Durchstichligatur) am inneren Leistenringkeine Samenstangverlagerungevtl. Reposition des Hodens in das SkrotumRekonstruktion des LeistenkanalsWundverschluß. Lagekontrolle des Hodens! Irreponible H.: Repositionsversuch mit Analgosedierung (stationär durch erfahrenen Untersucher!)OP nach 24 (48) h. Inkarzerierte H.: Not-OP! Evtl. als Herniolaparotomie. Prognose: Elektiv-OP: Letalität unter 0,02 %; typische Komplikationen: Rezidive, sekundärer Hodenhochstand und sekundäre Hodenatrophie in jeweils < 2 %. OP-Letalität bei Inkarzeration ca. 1 %, hierbei außerdem wesentlich höhere Komplikationsrate. Anatomie Abb. 1: Ansicht der rechten Leistenregion des Mannes von innen, d.h. von der Bauchhöhle her: 1 innerer Leistenring (= Eingang in den Leistenkanal); 2 Samenstrang; 3 Hinterwand des Leistenkanals (Fascia transversalis); 4 Leistenband; 5 Hauptschlagader des Beines mit Begleitvene; 6 Harnblase; 7 Beckenschaufel; 8 Nabel; 9 Oberschenkelmuskel; Schenkelbruchpforte, direkte Bruchpforte, indirekte Bruchpforte Abb. 2: Ansicht der Leistenregion des Mannes von außen: an der rechten Körperhälfte (links im Bild) ist die äußere Bindegewebsplatte (Externusaponeurose) entfernt. 1 innerer Leistenring (links angedeutet); 2 Fascia transversalis (Hinterwand des Leistenkanals); 3 äußerer Leistenring; 4 Externusaponeurose; 5 Leistenband. Kinderkrankenpflegeschule 3 Leistenregion und Andrologie Hydrozele Definition: Flüssigkeitsansammlung (Zyste) im Bereich des Processus vaginalis peritonei 1: Hydrocele testis 2: H. funiculi spermatici 3: H. multilocularis a: Peritoneum; b: Fascia transversalis; c: Ductus deferens; d: geschlossene Strecke des Processus vaginalis peritonei; e: offen gebliebener Teil des Processus vaginalis peritonei; f: Cavum scroti, Raum zwischen viszeralem und parietalem Anteil der Tunica vaginalis testis. Ätiologie/Pathogenese: Beim Descensus testis begleitet eine Ausstülpung des Peritoneums den Hoden im Leistenkanal vom inneren zum äußeren Leistenring bis in das Skrotum. Physiologisch ist diese Ausstülpung spaltförmig und obliteriert bis zur Geburt (bzw. im 1. LJ). Unterbleibt die Obliteration im Mittelabschnitt, bildet sich eine H. funiculi spermatici heraus (sofern der distale Abschnitt nicht obliteriertH. testis). Ein vollständig offener P. vaginalis ist definitionsgemäß eine Hernie (indirekte oder angeborene Hernie). Hernie -griech- Sproß, also Aussprossung bzw. Ausstülpung des Peritoneums. Hydrozelen bei Kindern sind sehr häufig kommunizierend, d. h. es besteht eine spaltförmige Verbindung zur Bauchhöhle. Bei Verbindung zum Peritoneum wird von indirekter oder angeborener Leistenhernie gesprochen (Übergänge fließend). Klinik: Schmerzloser Skrotaltumor (ein- oder beidseitig); ist er ausdrückbar bzw. verändert sich die Größe, z. B. beim Schreien, so spricht dies für eine kommunizierende Hydrozele. Diagnostik: Translumination mit starker Taschenlampe, besser mit Kaltlichquelle: Homogen transparent aufleuchtende Flüssigkeitsblase. Sonographie: Homogene, echoarme Flüssigkeitsansammlung. Differentialdiagnosen der schmerzlosen Hodenschwellung: Varikozele/Funikulozele; Skrotalhernie; Hodentumor. Kinderkrankenpflegeschule 4 Leistenregion und Andrologie Besonderheiten: Bei rascher Größenzunahme kann die Hydrozele als schmerzhaftes akutes Skrotum imponieren. Andere Erkrankungen des Hodens (z. B. Tumor, Torsion) können zur Ausbildung einer sekundären Hydrozele führen. Therapie: bis zum Ende des 1. LJ sind kleinere Hydrozelen häufig und als physiologisch anzusehen. Sie bilden sich oft spontan zurück; tritt eine Hydrozele danach auf oder nimmt an Größe zu, muß sie operiert werden. Varikozele Definition: Variköse Erweiterung des Plexus pampiniformis (Vv. testikulares/spermaticae) im Bereich des Hodens, die in der Pubertät bei bis zu 20 % der Jungen auftreten kann. Ätiologie/Pathogenese: Idiopathische Varikozele: Meist linksseitig als Folge fehlender oder insuffizienter Venenklappen der rechtwinklig in die V. renalis einmündenden V. testicularis.Hypoxie, Hyperämie und erhöhte Temperatur des Hodens (normal ca. 35 °C) können zu verminderter Fertilität führen. Symptomatische Varikozele (sehr selten); sie entsteht infolge einer venösen Abflußbehinderung bei retroperitonealer Raumforderung (z.B. Nierentumor); gelegentlich auch nach vorausgegangener Herniotomie. Klinik: Tiefstand des betroffenen Hodens, knäulartige, schmerzlose Skrotalschwellung, vorwiegend links. Diagnostik: Duplex-Sonographie, evtl. Phlebographie mit Verödung in gleicher Sitzung. Kinderkrankenpflegeschule 5 Leistenregion und Andrologie Akutes Skrotum Definition: Ähnlich wie beim "Akuten Abdomen" umfaßt der Begriff die Differentialdiagnose akut aufgetretener Schmerzzustände des Skrotums verschiedener Ätiologie. Der drohende Verlust des Hodens macht häufig eine rasche chirurgische Intervention notwendig! („Über einem akuten Skrotum darf die Sonne nicht auf oder untergehen!“) Ätiologie/Pathogenese: Abhängig vom zugrunde liegenden Krankheitsbild (s. DD) Anamnese: Akut aufgetretene starke Schmerzen im Bereich des Skrotums. Begleitend oft abdominelle Schmerzen, Übelkeit sowie Erbrechen (Abgrenzung zu abdominellen Ursachen z. T. schwierig). Differentialdiagnostisch wichtig ist die Frage nach zuvor bestehender Skrotalschwellung (Hinweis auf vorbestehende Hydrozele, Leistenhoden, Tumor). Evtl. frühere vorübergehende Schmerzepisoden (z. B. spontane Detorquierung), Trauma, Fieber. Klinik: Skrotalschwellung (Leistenhernie, Hydrozele, Tumor); Entzündungszeichen, Kremasterreflex (nicht vorhanden bei vollständiger Torsion), Hodenhochstand, Fieber. Prehn-Zeichen (unsicher): Keine Schmerzlinderung oder sogar Schmerzzunahme bei Anheben des Skrotums ( = pos. Prehn-Zeichen bei Hodentorsion; neg. Prehn-Zeichen z. B. bei länger bestehender Torsion, Epididymitis). Diagnostik: Basislabor, besonders Infektionsparameter (Leukozyten, CrP, BKS) Sonographie/Duplexsonographie: Hodentorsion: Torquierung des Samenstranges und reduzierte bis fehlende Perfusion. Darmschlingen mit Luft bei Skrotalhernie, Flüssigkeitsansammlung bei Hydrozele und evtl. Darstellung einer Hydatidentorsion (Appendix testis oder epididymis). Nachweis einer Epididymitis, Orchitis (vergrößerter Hoden/Nebenhoden, vermehrte Echogenität, erhöhter Blutfluß). MRT kann Treffsicherheit zwar erhöhen, die Diagnostik jedoch erheblich verzögern und ist teuer! Differentialdiagnosen in Reihenfolge ihrer Häufigkeit (Auswahl): Hodentorsion, Hydatidentorsion, Inkarzerierte Skrotalhernie, Trauma, akute Hydrozele, Epididymitis, Orchitis, idiopathisches Skrotalödem Therapie: Abhängig von Diagnose, im Zweifelsfall immer operativ! Sonderform: Akutes Skrotum bei Maldescensus testisGleiche Symptomatik, differentes äußeres Erscheinungsbild (da Hodenfehllage) sind Grund für vorwiegend operatives Vorgehen! Kinderkrankenpflegeschule 6 Leistenregion und Andrologie Hodentorsion Ätiologie/Pathogenese: Altersgipfel in den ersten LM und der Pubertät. Häufig liegt eine angeborene Anomalie der Tunica vaginalis oder des Mesorchiums vor und bedingt eine abnorme Beweglichkeit des Hodens in seinen Hüllen. Die Ischämiezeit des Hodens beträgt 2-6 Std.. Eine längere Ischämie führt zum Untergang der Keimzellen; die für die Androgenproduktion wichtigen Leydig-Zwischenzellen tolerieren eine wesentlich längere Ischämiezeit! Klink/Besonderheiten: Sehr starke, plötzlich einsetzende Schmerzen (Eltern können genauen Schmerzbeginn angeben). Symptomarmer Verlauf, der zur verschleppten Diagnose führen kann, möglich. Spontane Detorquierungen sind möglich und anamnestisch in fast 50 % eruierbar. Komplikationen: Infertilität, Hodenatrophie, kontralaterale Torsion. Therapie: Skrotale, besser inguinale Freilegung des Hodens, Retorquierung und Orchidopexie (Fixierung des Hodens am Skrotum) auch der kontralateralen Seite. Bei fehlender Reperfusion ist die Semikastratio unumgänglich. Bei teilweiser Hodentorsion ist die manuelle Retorquierung möglich; auch hier anschließende bilaterale Orchidopexie. Prognose: Bei einer Anamnesedauer von bis zu 5 Stunden kann der Hoden in ca. 90 % erhalten werden; nach 10 Std. nur noch in ca. 20 %. Hydatidentorsion Torsion der Appendix testis oder epididymis, die in der Pubertät relativ häufig ist und nach Ausschluß einer therapiebedürftigen Erkrankung des Hodens keiner Behandlung bedarf. Im Zweifelsfall aber operativ. Kinderkrankenpflegeschule 7 Leistenregion und Andrologie Maldescensus testes/Kryptorchismus Definition: Maldeszensus: Lageanomalie des Hodens (M. testis) bzw. der Hoden (M. testes) mit nicht im Skrotum liegendem Hoden; Kryptorchismus: Nicht tastbarer Hoden, Retentio testis abdominalis. Häufigkeit: NG ca. 5 %, nach 1. LJ ca. 1 %, FG bis zu 30 %. Assoziation mit endokrinen Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse und Fehlbildungs-syndromen. Ätiologie/Pathogenese: Ausgehend von einer retroperitonealen Lage in Höhe der Nieren (8.-12. SSW) wandert die Hodenanlage physiologisch bis zum Ende des 8. SSM in das Skrotum. Verläuft dieser Prozeß fehlerhaft, kommt es zu verschiedenen Formen des Maldeszensus: Hodenretention: Liegenbleiben des Hodens auf seinem physiologischen Weg in das Skrotum: abdominell (ca. 5 % der Fälle), inguinal (ca. 65 %) und präskrotal, außerhalb des äußeren Leistenringes (ca. 25 %) Hodenektopie: Hoden außerhalb der physiologischen Route (am häufigsten superfaszialinguinal, d. h. kranial des äußeren Leistenringes oder femoral). Anamnese: Schwangerschaftsanamnese (Frühgeburt?), andere Erkrankungen, Beobachtung des Hodens durch Eltern (z. B. Herabsinken eines Pendelhodens beim Baden) Klinik: Leeres Skrotalfach (im Liegen und Stehen palpieren, keine kalten Hände wegen Kremasterreflex!), evtl. tastbarer Hoden im Leistenkanal. Diagnostik: Sonographie; bei nicht auffindbarem Hoden: CT, MRT, Laparoskopie zur Lokalisation. Weitere Diagnostik: HCG-Test: 4-5 Tage nach HCG-Stimulation kommt es zum Testostereon-Anstieg, sofern Hodengewebe vorhanden ist. Differentialdiagnosen: Agenesie, Hypoplasie (HCG-Test). Besonderheiten: Der Gleithoden läßt sich manuell reponieren, kehrt allerdings danach in den Leistenkanal zurück. Pendelhoden: Orthotoper Hoden, der durch Kremasteraktivität (Kälte, Auslösen des Kremasterreflexes) in den Leistenkanal zurückgezogen wird, bei Nachlassen der Muskelanspannung tritt er ohne weitere Maßnahmen wieder in das Skrotum zurück. Komplikationen: Bei persistierendem Maldeszensus nach dem 2. LJ: Endokrine und exokrine Funktionsstörung (Infertilität), erhöhtes Karzinomrisiko im dystopen Hoden (etwa 20mal höher). Kinderkrankenpflegeschule 8 Leistenregion und Andrologie Therapie: Beim Leisten-, Gleit- und Pendelhoden ist im 1. LJ eine abwartende Haltung möglich. Bis zum 2. LJ Hormonbehandlung (GnRH-Analoga als Nasenspray und anschließend evtl. HCG als i. m.-Injektionen). Ein Deszensus kann in ca. 2/3 d. F. erreicht werden. Bei Erfolglosigkeit der konservativen Therapie und dystopem Hoden ist eine chirurgische Therapie notwendig (Orchidolyse, Funikolyse und Orchidopexie). Prognose: Gut bei erfolgreicher Therapie; spätere Fertilität bei erfolgreicher Therapie vor dem 2. LJ in ca 80-90 %, nach dem 4. LJ nur noch ca. 50 %. (Widersprüchliche Angaben. Erfolgsquoten nicht endgültig bewiesen. Relative Einigkeit hinsichtlich des optimalen Op.-Zeitpunktes: Im 2. LJ): Auch nach erfolgreicher Therapie erhöhtes Malignitätsrisiko, deshalb Anleitung zur Selbstpalpation mit der Pubertät beginnend. Phimose Definition: Verengung der Penisvorhaut. Ein Zurückstreifen ist nicht möglich. Im Neugeborenenalter physiologisch, selten nach dem 3. LJ. Kein gewaltsames Zurückstreifen; Gefahr der Paraphimose (= Abschnürung der Glans Penis durch zu enges Präputium), Vorhautverletzungen mit Sekundärfolgen Narbenphimose (häufig!). Komplikationen: Obstruktion (Ballonierung bei Miktion), Paraphimose, Infektionen (Balanitis mit starken Schmerzen, gerötetem, geschwollenem Penis und eitrigem Ausfluß). Therapie: Indikation zur Zirkumzision bei Komplikationen; bei Infektionen nach deren Abklingen.