SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Leben - Manuskriptdienst Biochemie oder Jenseitserlebnis Wie Nahtoderfahrungen den Blick aufs Leben verändern Autorn: Redaktion: Regie: Rolf Cantzen Petra Mallwitz Tobias Krebs Sendung: Dienstag, 30.09.08 um 10.05 Uhr in SWR2 ___________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Leben (Montag bis Freitag 10.05 bis 10.30 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € (inkl. Versand) erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221-929-6030 ___________________________________________________________________ Entdecken Sie den SWR2 RadioClub! Lernen Sie das Radioprogramm SWR2 und den SWR2 RadioClub näher kennen! 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Ich hatte ein Blutgerinnsel in den Beinen, das in die Lunge wanderte und einen Herzstillstand auslöste. Das passierte gerade, als eine Schwester mit meinem Baby hereinkam. Ich hörte die Schwester schreien: "Ruf doch den Arzt!". Da merkte ich endlich, dass ich mich außerhalb meines Körpers befand. Ich schwebte näher hin und schaute hinunter. Ich wusste, dass ich nicht auf diesem Kissen lag. Da war zwar ein Körper, aber ich war das nicht. Ich schwebte ja oben an der Decke ... Alois Serwaty: Ich selbst hatte in meiner Lebensmitte - ich war damals 45 - eine Nahtoderfahrung bei einem medizinischen Eingriff. Es war eine Herzkathederuntersuchung. Und während des Eingriffs, den man ja bei vollem Bewusstsein erlebt, spürte ich plötzlich, wie sich etwas verändert und mein Ich-Bewusstsein schwebte so plötzlich ohne mein eigenes Zutun so halbhoch im Operationssaal und ich konnte genau aus dieser Position beobachten, was dort unten passierte mit meinem Körper und was die Ärzte und das Personal da so machte. Das hat mich zunächst einmal verwirrt. Und eine ganze Reihe von Gedanken gingen durch meinen Kopf. Aber es war nicht mein Kopf, der da unten lag, sondern es war mein Bewusstsein, das außerhalb des Körpers da war. Zitatorin: Ich hörte und sah andere Patienten auf dem Stockwerk. Einen Arzt, den ich von klein auf kannte, sah ich zur Anmeldung kommen. Unterdessen fühlte ich mich einfach prächtig. Ich spürte keine Schmerzen. Ich kam mir vor wie ein Zuschauer und schwebte zwischen den Welten ... Alois Serwaty: ... und ich spürte ein sehr angenehmes Gefühl der Ruhe, der Zufriedenheit, ja, ja, des Glücks. Und ich hatte den Eindruck, dass es eine Erweiterung, eine Öffnung, eine Ausdehnung meines Bewusstseins war, wie ich es bis dahin noch nie, noch nie, erlebt hatte ... Zitatorin: ... es wurde sehr hell, und ich stand auf einmal am Eingang - nein, nicht zu einem Tunnel, sondern zu einer Art Baldachin, der ganz herunterging. Es war, als wäre er aus blauen und silbernen Strahlen gemacht, und der Baldachin war gewölbt und reichte auf beiden Seiten bis zum Wolkenpfad hinunter ... Alois Serwaty: Ich habe es als ein Maß an Freiheit und Glück empfunden, wie ich es bis zu diesem Zeitpunkt noch nie erlebt hatte, dieses Ablegen des kranken Körpers. Und dieses Schwebeerlebnis ist natürlich interessant, aber damals war es für mich nicht der Kern dieses Erlebnisses, sondern der Kern dieses Erlebnisses sind im Grunde zwei oder drei spirituelle Aspekte. Einmal die Überzeugung und die Wahrnehmung: Mensch, du lebst ja weiter. Ich nahm das ganz erstaunt zur Kenntnis, du lebst weiter, wie auch immer. 2 Entweder ganz normal im Leben, du überlebst das oder in einer anderen Form. Wie genau, wusste ich natürlich nicht. Das zwote war, in der Erfahrung selbst wieder, nicht in der nachträglichen Interpretation, sondern in der Erfahrung die Überzeugung, alle Probleme, Fragen, Wiedersprüche, Unverständlichkeiten, die wir in unserem normalen Erdenleben haben, die werden sich auflösen, das wird sich klären, es kommt zu einem guten Ende, ohne dass ich genau weiß, wie dieses gute Ende ausgesehen hätte, aber die feste Überzeugung, alles kommt zu einem guten Ende, alles wird sich lösen und aufklären. Erzähler: Alois Serwaty ist ein gestandener Mann um die 60. Alles andere als ein weltfremder Esoteriker. Er ist Mitglied der katholischen Kirche, aber kein frömmelnder Betbruder. Alois Serwaty: Ich bin - auch durch meinen Beruf bedingt, ich war 40 Jahre Berufssoldat gewesen sehr rational, .. ein sehr rationaler Mensch, auch heute noch, und deshalb hinterfrage ich auch immer meine eigene Deutung und Erklärung. Erzähler: Seine Nahtoderfahrung unterscheidet sich in vielen Punkten von der anderer. Er hat beispielsweise keinen Tunnel oder einen Eingang zu einem lichtdurchfluteten Raum gesehen und wurde auch nicht von verstorbenen Verwandten und Freunden oder Geistwesen erwartet. Zitatorin: Ich spürte, dass andere menschliche Wesen da waren. Und ich fühlte, dass sie richtig glücklich waren und sich schon freuten auf mein Kommen. Erzähler: Dieser Fall einer jungen Mutter aus dem Jahre 1960 ist einer von Hunderten, die in den letzten Jahrzehnten publiziert wurden. Den Anfang machte 1975 der USamerikanische Psychiater und Philosoph Raymond A. Moody. Sein Buch "Leben nach dem Tod. Die Erforschung einer unerklärlichen Erfahrung" wurde zu einem Weltbestseller, löste zusammen mit den Büchern von Elisabeth Kübler-Ross eine Welle von Publikationen zu Nahtoderlebnissen aus und gehörte zum festen Bestandteil der in den 70er Jahren entstehenden New-Age-Bewegung. Moody interviewte Menschen mit Nahtoderfahrungen, wertete auch andere Nahtodberichte aus, verglich sie und glaubte einen universellen, also einen weltweit und unabhängig von Person und Kultur vorkommenden "Nahtoderlebnisfahrplan" feststellen zu können. Bis heute bestätigen viele Nahtodforscher dieses Grundmuster - auch der Nahtodforscher Professor. Dr. Günter Ewald: Prof. Dr. Günter Ewald: Dazu gehören: Außer-Körper-Erlebnisse, also dass in einem Schwebeerlebnis die Betroffenen sich selbst von außen Sehen, zum Beispiel, wie sie operiert werden. Dazu gehören eine Tunnel-Licht-Erfahrung, wenn man das zusammenfasst, entweder das Erlebnis eines dunkeln Raumes oder eines röhrenförmigen Ganges mit einem Licht am Ende, aus dem heraus entweder eine Lichtgestalt kommt oder einfach nur ein Gefühl des Angenommenseins und Glücklichseins. 3 Dazu gehören Erinnerungen, kurz Panoramaerlebnisse genannt, an das eigene Leben, ein Rückblick im Zeitraffertempo auf das eigene Leben und dazu gehört meistens eine Euphorie, ein Glücklichsein.Es gibt Ausnahmen mit Schreckenserlebnissen, die sind aber sehr selten. Und es gehört dazu die Enttäuschung nach der Rückkehr in den Körper, dass man wieder in diesem schmerzvollen Leib sich einfinden muss. Erzähler: Auch die junge Mutter musste den glücklichen Zustand bei angenehmer Gesellschaft im lichtdurchfluteten Raum verlassen. Sie sah wieder die Menschen im Krankenhauszimmer. Zitatorin: Ich versuchte den Menschen mitzuteilen, dass ich keine Schmerzen hatte und mir wünschen würde, sie könnten da oben bei mir sein. Zitatorin: Da fing jemand an, mir mit ganzer Kraft auf den Brustkorb zu schlagen und ich öffnete die Augen. Mehrere Tage lang starrte ich daraufhin nur an die Decke. Ungefähr drei Tage ging das so, wie man mir später gesagt hatte. Ich glaube, ich wartete darauf, dass sich diese andere Welt wieder auftat. Erzähler: Diese schmerzliche Sehnsucht, wieder zurück zu wollen in den erlebten Glückszustand, gehört zum Standard der berichteten Nahtoderfahrungen. Bei Alois Serwarty war diese Sehnsucht weniger ausgeprägt. Entscheidend war für ihn das spirituelle Erlebnis und . Alois Serwaty: ... das Gefühl, dass ich meinen Körper wie einen Mantel ablege. Das Bild des Ablegens des eigenen Körpers wie einen Mantel war ungeheuer befreiend ... Erzähler: ... und nicht nur das: Wie andere Nahtodbetroffene auch, war er sich sicher, dass er, als er sich außerhalb seines Körpers glaubte, etwas gesehen habe, was er hätte nicht sehen können: Alois Serwaty: In diesem außergewöhnlichen Bewusstseinszustand wurde dann meine Aufmerksamkeit - warum, weiß ich nicht - auf ein Detail eines medizinischen Gerätes gerichtet, so eine Art Plakette oder Firmenschild oder wie man es auch nennen mag. Und ich merkte mir das ganz einfach. Und später hat mir dann das medizinische Personal gesagt, dass ich das richtig gesehen hatte. Es wurde mir auch indirekt bestätigt, dass ich das gar nicht sehen können von meiner Position her, denn mein Gesichtsfeld war sehr eingeschränkt durch ein grünes Tuch, das man so davor gespannt hatte. Erzähler: Außerkörperlichkeitserfahrung - ein ganz wichtiger Aspekt der sogenannten Nachtodforschung: Etwas gesehen zu haben, was man eigentlich nicht hat sehen können; etwas gehört zu haben, was man nicht hat hören können. 4 Und die anschließende Überprüfung: Ja, tatsächlich hatte das medizinische Gerät diese Herstellernummer, tatsächlich ereignete sich dies und jenes im Gang des Krankenhauses zu der Zeit, als der Körper leblos im Bett lag. Vielen Nahtoderfahrenen und der Nahtodforschung dient das als Beweis dafür, dass es eine Seele gibt, die unabhängig vom Körper existieren kann. Sie dient als Bestätigung dafür, dass die Nahtoderfahrung keine Halluzination, keine Einbildung, kein Traum sei. Dr. Günter Ewald: Bei Nahtoderfahrungen handelt es sich um Erlebnisse, die vor allem durch ihre Nachwirkungen hervorstechen. Sie werden präzise erinnert, auch über lange Jahre hinweg, beeinflussen in der Regel sowohl das Leben der Menschen in Richtung mehr sozialer Tätigkeit wie auch im religiösen Sinn. Sehr häufig knüpft sich der Glaube an ein Leben nach dem Tod an diese Erfahrung. Erzähler: ... so der Nahtodforscher und emeritierte Mathematik-Professor Günter Ewald. Die Beschäftigung mit Nahtoderlebnissen habe ihn in seinem christlichen Glauben bestätigt, versichert er, er wisse jetzt, dass nach dem Tod das Leben in einer anderen Dimension weitergehe. Prof. Dr. Günter Ewald: Ja, das ist aber meine Überzeugung. Ich muss das immer wieder betonen: Das ist nicht eine wissenschaftliche Conclusio, aber ich bin zutiefst überzeugt, es ist ein Hinweis. Erzähler: Alois Serwaty ist der gleichen Meinung: nach dem Tod sei noch lange nicht Schluss. Alois Serwaty: Ich bin felsenfest davon überzeugt. Diese Erfahrung hat mich ja auch wieder stärker an meine Kirche herangeführt, an das, was meine Kirche mir sagt, es wird ein Weiterleben geben nach dem Tode. Wie das im Einzelnen aussieht, weiß ich nicht, auch nach dieser Erfahrung nicht. Aber eins ist mir sicher, dass es nicht Nichts gibt. Erzähler: Zu wissen, es gibt noch etwas nach dem Tode, das wunderbare Glücksgefühl, die Außerkörperlichkeitserfahrung - in diesen Erfahrungen fühlt sich Alois Serwaty mit den anderen, die Nahtoderlebnisse hatten, verbunden. Auch wenn er weitere Aspekte, die zu einer typischen Nahtoderfahrung gehören sollen, nicht gehabt hat: Etwa den Rückblick auf das eigene Leben vor dem geistigen Auge - von der Gegenwart zurück bis zur Kindheit im Zeitraffertempo. Alois Serwaty: Diese anderen Elemente, die häufig als Merkmal von Nahtoderfahrungen geschildert werden, bei meinem Erlebnis ist das nicht aufgetreten. Es war im Kern diese AußerKörper-Erfahrung, aber dann in der Erfahrung selbst, viele spirituelle Erkenntnisse. 5 Erzähler: Es handele sich auch um eine Nahtoderfahrung, wenn dieses Grundmuster nicht vollständig erlebt werde. Auch müsse man nicht im medizinischen Sinne tot oder dem Tode nahe gewesen sein - Alois Serwaty und Günter Ewald sind da großzügig wichtiger sei das Spirituelle: Alois Serwaty: Vielleicht ist dieser Begriff "Nahtoderfahrung" irreführend, weil er suggeriert, dass diese Erfahrungen nur gemacht werden im Zusammenhang mit Unfall, Sterben, Operation, Krankheit oder was auch immer. Es stellt sich auch immer wieder heraus, dass diese Erfahrungen auch immer spontan auftreten können und nicht notwendigerweise an eine psychische und physische Todesnähe gebunden sind. Und deshalb sind es für mich auch Lebenserfahrungen und nicht so sehr Nahtoderfahrungen. Erzähler: Ein vom Glauben unabhängiger kritischer Nahtodforscher ist Hubert Knoblauch - er ist Professor für Soziologie an der Technischen Universität Berlin. Seine wissenschaftliche Beschäftigung mit Nahtoderlebnissen begann in den 90er Jahren: Prof. Dr. Hubert Knoblauch: Ich habe damals zunächst Leute kennen gelernt, die über diese Erfahrung berichtet haben, ich kannte auch Geschichten, natürlich, und hatte die Vermutung, dass diese Erfahrungen eigentlich nur, wie soll man es sagen, urbane Legenden seinen, also Geschichten, die man so erzählt und dann dieselbe Form annehmen, also meine eigene Vermutung, dies seien Gattungen hat sich gar nicht bestätigt. Diese Geschichten waren ganz eigenartig, sehr unterschiedlich. Erzähler: Das veranlasste Hubert Knoblauch, das Nahtod-Grundmuster zu überprüfen. Er nennt es "Standardmodell" ... Prof. Dr. Hubert Knoblauch: ... dass die Nahtoderfahrung bestimmte typische Momente aufweisen, von denen manche glauben, dass sie sogar in der entsprechenden Reihenfolge auftreten. Diese Annahme schlägt sogar bis in die empirische Forschung durch. Zum Beispiel in den medizinischen Untersuchungen zu Nahtoderfahrung werden in einer Version erhoben, so dass diese verschiedenen Elemente einfach angekreuzt werden und andere gar nicht auftreten oder unter "anderes" als Irrelevantes auftreten, so dass sie dieses Standardmodell tautologisch bestätigen. Es kann gar nichts anderes herauskommen. Erzähler: Das heißt: Die Nahtodbetroffenen hatten nur eine beschränkte Auswahl an Antwortmöglichkeiten. Dadurch wurde das Grundmuster, also der "Nahtoderlebnisfahrplan", bestätigt. Man erhielt das Ergebnis, was man haben wollte. Und so konnte denn auch an der Annahme festgehalten werden, dass es sich beim Nahtoderlebnis um etwas relativ Einheitliches und klar Definierbares handelt. 6 Prof. Dr. Hubert Knoblauch: Wir haben das in unserer Untersuchung selber gemacht - und niemand hat es offenbar richtig gelesen - wir haben nämlich eine Frage gemacht mit "Mutiple Choice", also wo sie mehrere Antworten hatten, wo wir die verschiedenen Standardantworten aufgeführt hatten. Und wir hatten eine offene Frage, wo die Leute beschrieben haben, wie die Erfahrungen aussehen. Es ist unglaublich, wie groß der Unterschied zwischen den angekreuzten Erfahrungen und den beschriebenen Erfahrungen sind. Sie können manchmal überhaupt kein Verhältnis, keine Beziehung herstellen. Erzähler: Das heißt: Wenn die Menschen, die sich für "nahtodbetroffen" halten, selbst über ihre Erlebnisse berichten, wird das Standardmodell, der "Erlebnisfahrplan" nicht bestätigt. Zu vielfältig, zu unterschiedlich ist das, was Menschen erleben, die von sich selbst sagen, sie hätten Nahtoderlebnisse gehabt. Dr. Michael Schröter-Kunhardt: Ich habe insgesamt 300 Fälle in den letzten 15 Jahren ausgewertet aus meiner deutsch-österreichischen Fallsammlung. Gelesen habe ich natürlich viel mehr. Und Literatur gibt es in der Zwischenzeit kiloweise, kann man sagen. Erzähler: Der Psychiater Michael Schröter-Kunhardt ist einer der eifrigsten Nahtodforscher in Deutschland und ein Kritiker der Nachtodforschung des Religionssoziologen Hubert Knoblauch. Zwar räumt auch er ein, dass es zu subjektiven Einfärbungen der Nahtoderlebnisse kommt, zu kulturell unterschiedlichen Ausformungen, er hält aber daran fest ... Dr. Michael Schröter-Kunhardt: ... dass die Nahtoderfahrung eine Sonderform ist, die nur am Ende, also in Todesnähe, universell ähnlich ist. Und wenn der Tod nicht so nahe ist, mischen sich persönliche Bilder hinein. Das heißt nur, wenn man genau hinguckt, treten diese Nahtoderfahrungen nur in größerer Todesnähe auf. Und Herr Knoblauch hat dummerweise - oder im Rahmen der Studie alles gesammelt und in einen Topf geworfen, dann wirkt das natürlich sehr unzusammenhängend. Erzähler: Das sind Kontroversen unter Experten, die teilweise so heftig sind, dass sich diese nicht mehr an einen Tisch setzen wollen. Dem Laien scheint es fast absurd, warum diese Frage, ob es nun einen gemeinsamen Nenner zwischen den Nahtoderfahrungen gibt, oder nicht, so bedeutsam ist. Dahinter steht vermutlich der Gedanke, dass eine Gemeinsamkeit der Nahtoderfahrungen als Beweis für ein Jenseits angeführt werden kann. Denn wenn es kultur- und generationenübergreifende vergleichbare Nahtoderfahrungen gibt, kann es sich eben nicht um subjektive Halluzinationen handeln. Deshalb betont Michael SchröterKunhardt noch mal: 7 Dr. Michael Schröter-Kunhardt: ... auch heute noch und vor 5000 Jahren bei den Sumerern, immer dieselben Standardmomente erscheinen. Erzähler: Dr. Michael Schröter-Kunhardt bezieht sich dabei auf den Gilgamesch-Epos. Auch hier trennt sich in einer Geschichte die Seele vom Körper und macht eine Jenseitsreise. Im Mittelalter stützte sich der Jenseitsglaube auf Geschichten wie des Mönches Beda aus der Zeit um 700. Er erzählt, dass ein Familienvater starb. Bei Tagesanbruch kehrte dieser wieder ins Leben zurück und berichtete: Zitatorin: Ein edler Mann in schimmernder Robe führte mich aus der Dunkelheit durch ein tiefes Tal in eine Atmosphäre klaren Lichts. Ich gewahrte eine riesige Mauer, die sich in unendlicher Breite und Höhe vor uns erstreckte. Dahinter lag eine wunderschöne, weite lichte Wiese. Mein Führer sagte: Du musst nun in deinen Körper zurückkehren und noch einmal unter den Menschen leben; aber wenn du auf dein Handeln besser acht gibst, dann wirst du nach deinem Tode dein Heim bei diesen glücklichen Geistern nehmen, die du dort siehst. Erzähler: Was geschieht nach dem Tod? Wird alles schön? Erwartet uns alle eine Zeit des Glücks und der Harmonie? Die meisten Nahtoderlebnisse der letzten Jahrzehnte legen das nahe. Nur in seltenen Ausnahmefällen erlebten Menschen, dass ihr Leben bewertet wurde oder sie sich in einer Art Gerichtsverhandlung mit den Verfehlungen in ihrem Leben konfrontiert sahen. Die alttestamentarischen Vorstellungen von Himmel und Hölle finden sich jedoch interessanterweise in einem alten Text des Philosophen Platon aus dem Zeit 400 vor Christus. Darin berichtet er vom Nahtoderlebnis eines Soldaten mit dem Namen "Er". Zitatorin: Er war im Krieg gefallen; als man am zehnten Tag die schon verwesten Leichen auflas, fand man ihn noch unversehrt; ... dem Leben wiedergegeben, erzählte Er, was er im Jenseits gesehen hatte. Und er sprach: Als ihn seine Seele verlassen, zog sie mit vielen dahin und kam an einen wunderbaren Ort, wo sich zwei Schlünde in der Erde zeigten, nahe beieinander, und zwei andere am Himmel gegenüber. Dazwischen saßen Richter, die nach ihrer richterlichen Entscheidung den Gerechten befahlen, den Weg zur rechten und hinauf in den Himmel zu gehen ... Die Ungerechten schickten sie auf ihrem Weg nach links und unten ... Erzähler: Der Soldat Er sollte, so sagte man ihm im Jenseits, alles beobachten und dann den Lebenden berichten. Er traf Seelen, die nach unten geschickt worden waren und nach 1000 Jahren wieder ans Licht kamen. Sie berichteten davon, dass sie für alles gebüßt hätten, was sie Ungerechtes getan hätten. Doch die besonders Bösen, erfuhr Er, würden nach den 1000 Jahren im Tartaros ewig weitergequält. Die Seelen aus dem Himmel erzählten, sie hätten wunderschöne 1000 Jahre erlebt. Doch nach dieser Belohnung, so berichtet der Soldat Er, gäbe es für die gereinigten Seelen aus der Erde und für die Seelen aus dem Himmel eine Reinkarnation auf der Erde. 8 Bis auf die Reinkarnation finden sich diese Elemente später auch in den überlieferten Nahtoderlebnisssen von Christen wieder. Wobei der Himmel ganz unterschiedlich wahrgenommen wurde. Im frühen Mittelalter erleben die "Nahtoten" das Paradies als wunderbaren Garten, die Mönche im Hochmittelalter als reiches Kloster. Heute haben sich, so Hubert Knoblauch, die Nahtoderfahrungen oft vom traditionellen religiösen Kontext gelöst. Prof. Dr. Hubert Knoblauch: Wir reden von einer Erfahrung die von Paulus über Gregor den Großen bis ins 19. Jahrhundert hinein als Beleg für das christliche Jenseits aufgefasst wird, die wird von vielen Menschen, die sie heute machen, nicht mehr mit Religion in Verbindung gebracht. Das fand ich schon verwunderlich als Religionssoziologe. Erzähler: Hubert Knoblauch bleibt insgesamt skeptisch und hält Nahtoderfahrungen für ein Gemisch aus Erfahrungen, die je nach Kultur und Person unterschiedlich ausfallen. Was er nicht bestreitet ist, dass es um existenziell wichtige Erfahrungen handelt, die in Einzelfällen auch das Leben ändern können. Alois Serwaty: Das prägt sich ein, wie ein Siegel und das ist nicht mehr zu löschen. Erzähler: Alois Serwaty hat sich lange Zeit mit seinem Nahtoderlebnis auseinander gesetzt und ist nun Vorsitzender von Netzwerk Nahtod-Erfahrung e.V.", einer Vereinigung, die sich zum Ziel setzt Informationen über Nahtoderfahrungen zu verbreiten und den Austausch von Betroffenen und Wissenschaftlern, Ärzten, Psychologen und Theologen zu fördern. Um was es sich bei Nahtoderlebnissen handelt ist schwer zu definieren. Auch hatte nur eine Minderheit derjenigen, die kurzzeitig klinisch tot waren, ein Nahtoderlebnis. Was man weiß, ist dass bei Sauerstoffmangel häufig Tunnelerlebnisse halluziniert werden und dass bei extremen Stress sogenannte Glückhormone ausgeschüttet werden. Man weiß auch, welche Bereiche im Gehirn aktiv sind, wenn es zu Visionen und außergewöhnlichen Träumen kommt. Der Psychiater Michael Schröter-Kunhardt: Dr. Michael Schröter-Kunhardt: Man weiß zum Beispiel, dass es ein Traumzentrum im Hirnstamm gibt, dass das Frontalhirn beteiligt sein muss, bei den Nahtoderfahrungen weiß man noch mehr aufgrund der Untersuchung von mystischen Erfahrungen, dass da der Schläfenlappen, insbesondere der rechte Schläfenlappen aktiv ist. Die außerkörperlichen Erfahrungen werden in einem besonderen Areal des rechten Schläfenlappens auslösbar sein. Das heißt, da muss ein neuronales Netz aktiv sein, das praktisch außerkörperliche Erfahrungen jederzeit im Sterben auslösen kann. Erzähler: Doch als gläubiger Mensch zieht Michael Schröter-Kunhardt daraus nicht den naheliegenden Schluss, dass das Gehirn den Menschen mit netten Nahtoderlebnissen das Sterben erleichtert. Er meint vielmehr, eine göttliche Instanz habe das Gehirn deshalb so eingerichtet, um mit Hilfe von Nahtoderlebnissen den Menschen zu zeigen, dass es ein Weiterleben nach dem Tod gibt. 9 Die eigentliche Aufgabe von Nahtoderlebnissen sei es, das Jenseits vorwegzunehmen, zu simulieren. Dr. Michael Schröter-Kunhardt: Wenn es so eine Simulation biologisch angelegt ist, dann muss sie einen Sinn haben und der Sinn wäre, kann ich mir nur vorstellen, dass hier etwas simuliert wird, damit der Betroffene weiß, es geht nachher weiter und zurückkommen kann und sich der evolutionäre Zweck erfüllt, dass der Mensch keine Angst vor dem Tode haben muss, weil es nach dem Tod weiter geht. Erzähler: Der Mathematiker Günter Ewald, auch ein gläubiger Mensch, erklärt sich die Nahtoderlebnisse ähnlich: Prof. Dr. Günter Ewald: Mir scheint das, dass es zum Menschsein gehört, irgendwie mit herangewachsen ist, dass es so etwas, wie eine Schatzkammer im Gehirn gibt, die erst im Augenblick des Todes vollständig geöffnet wird, die aber durch Nahtoderfahrungen teilweise aufgemacht wird. Erzähler: Wer’ s glaubt, wird selig, so das Sprichwort. Und wer’s nicht glaubt, dem werden es nach dem Tod die dortigen Instanzen sicher nicht übel nehmen, wenn man seine Zweifel nicht los geworden ist, am postmortalen Weiterleben. Alois Serwaty Die Familie war im Schwimmbad. Und da ist die kleine Mara, die Jüngste, drei Jahre alt, war plötzlich verschwunden, plötzlich aus den Augen verloren und war verschwunden. Erzähler: Die Mutter von Mara hatte Alois Serwaty angerufen und ihm diese Geschichte erzählt: Wie ein Badegast ihre Tochter bewusstlos aus dem Wasser gezogen hat, wie die Kleine erfolgreich wiederbelebt wurde und wie sie einige Zeit später beim Spielen plötzlich inne hielt und ihrer Mutter seltsame Fragen stellte ... Alois Serwaty: ... und frug: "Du Mama, warum hatten die Engel keine Zeit für mich?" Die Mutter ganz verduzt: "Aber, Mara, was willst du denn dadurch sagen?" "Ja, als ich im Himmel war, haben die Engel gesagt, du Mara, wir können jetzt nicht mit dir spielen, wir haben jetzt keine Zeit für dich, du musst wieder zurück. Und da ich nicht wusste, wie ich zurück komme, hat der Liebe Gott mich genommen und hat mich zu euch zurückgeführt. Habt ihr nicht gehört, was er gesagt hat. Und die Mutter wiederum, nein, dass haben wir nicht gehört und was hat er denn gesagt. Er hat gesagt: "Da habt ihr euere Mara wieder." - Soweit das, was die Mutter mir schilderte. Ich habe absolut keinen Hinweis darauf, dass das eine erfundene Geschichte ist, weder von der Mara noch von der Mutter selbst, sondern die kleine Mara hat das tatsächlich so erlebt, als Realität des Erlebens. ___________________________________________________________________ 10 Hinweis: Netzwerk Nahtoderfahrung e. V. Tel. 02822-3375 Borgheeserweg 90 46446 Emmerich am Rhein E-Mail: [email protected] Internet: www.8ung.at/nahtoderfahrung 11