Basisinformationen zur Hirntodkonzeption " Hirntod" wird definiert als Zustand des irreversiblen Erloschenseins der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Beatmung noch aufrechterhaltenen Herz-Kreislauffunktion. Der Hirntod ist der Tod des Menschen." (" Kriterien des Hirntodes" des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer vom 29.6.91) Hirnstrommessung lebend und tot (nach AK Organspende) Diagnose des Hirntodes Die Hirntod-Diagnostik wird von zwei Ärzten durchgeführt, von denen wenigstens einer über eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schwerer Hirnschädigung verfügen muss. Zumeist wird es sich dabei um Neurologen, Neurochirurgen oder neurologich versierte Intensivmediziner anderer Fachrichtungen handeln. Keiner der beiden Ärzte darf an einer Organübertragung mitwirken. Die Erfüllung aller Voraussetzungen sowie die Ergebnisse der klinischen und technischen Untersuchungen werden in einem standardisierten Hirntod-Protokol dokumentiert. Als Todeszeit gilt der Zeitpunkt, zu dem alle Kriterien erfüllt und durch beide Untersucher bestätigt wurden. Probleme mit der Hirntoddefinition Gegner des Hirntod-Kriteriums gehen davon, dass das menschliche Empfindungsvermögen mit dem Hirntod nicht erloschen sei, sondern auch untergeordnete Strukturen zu differenzierten Wahrnehmungen von Schmerz- und Berührungsreizen befähigt seien. Sie sehen Probleme mit der Würde des Sterbens. Wie sicher ist die Hirntod-Diagnose? Die Hirntod-Feststellung beinhaltet eine große Anzahl von Einzeluntersuchungen, welche sich in vielfältiger Weise überschneiden. Durch Wiederholung der klinischen Untersuchungen innerhalb festgelegter Beobachtungszeiten, welche in Deutschland im internationalen Vergleich zu den längsten überhaupt gehören (in Schweden 25 Minuten, in den meisten Ländern 6-12 Stunden, 12-72 Stunden in Deutschland), wird eine zusätzliche diagnostische Sicherheit geschaffen. Bis heute konnte weltweit nicht ein einziger Fall nachgewiesen werden, in welchem nach sachgerecht durchgeführter HirntodFeststellung eine Umkehr des klinischen Verlaufes oder gar ein Überleben - beobachtet wurde. Die Diagnose "Hirntod" ist damit wahrscheinlich die sicherste in der ganzen Medizin überhaupt. Hirntod und Schwangerschaft – das "Erlanger Baby" Am 5.10.92 erlitt die 19jährige Marion Ploch bei einem PKW-Unfall schwerste Schädel-HirnVerletzungen. Sie wurde in die Erlanger Unversitätsklinik gebracht. Drei Tage später , am 8.10.92 wurden bei der Verletzten alle klinischen Zeichen eines Hirntodes festgestellt. Inzwischen war bei der Toten eine Schwangerschaft festgestellt worden, die trotz des Unfalls vollkommen intakt war und zum Zeitpunkt der Hirntodfeststellung etwa der 15. Schwangerschaftswoche entsprach. Die Ärzte der Erlanger Universitätsklinik haben sich entschlossen, die Schwangerschaft durch Fortführung der intensivmedizinischen Behandlung im Leichnam der Marion Ploch aufrechtzuerhalten. 5 Wochen später kam zu einem plötzlichen Spontanabort; diesem waren einige Stunden vorher ein Fieberanstieg sowie Zeichen einer pneumonischen Infektion im Körper der hirntoten Mutter vorausgegangen. Hirntod Voraussetzung für Organentnahme 1. Der Hirntod - Materialien des Arbeitskreises Organspende Ausfall der Gehirnfunktion künstliche Beatmung Feststellung des Todes 2. Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (1990) "Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen. Mit dem Hirntod fehlt dem Menschen die unersetzbare und nicht wieder zu erlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in dieser Welt. Der unter allen Lebewesen einzigartige menschliche Geist ist körperlich ausschließlich an das Gehirn gebunden. Ein hirntoter Mensch kann nie mehr eine Beobachtung oder Wahrnehmung machen, verarbeiten und beantworten, nie mehr einen Gedanken fassen, verfolgen und äußern, nie mehr eine Gefühlsregung empfinden und zeigen, nie mehr irgendetwas entscheiden. Nach dem Hirntod fehlt dem Menschen zugleich die integrierende Tätigkeit des Gehirns für die Lebensfähigkeit des Organismus: die Steuerung aller anderen Organe und die Zusammenfassung ihrer Tätigkeit zur übergeordneten Einheit des selbständigen Lebewesens, das mehr und etwas qualitativ anderes ist als eine bloße Summe seiner Teile. Hirntod bedeutet also etwas entscheidend anderes als nur eine bleibende Bewußtlosigkeit, die allein noch nicht den Tod des Menschen ausmacht." vollständiger Text der Erklärung 3. (Aus : Stellungnahme der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg) Wie stellt sich der Streit um den "Hirntod" in christlicher Ethik dar? Keine Einzelwissenschaft kann in Fragen, die Leben und Tod betreffen, eine Monopolstellung für sich in Anspruch nehmen. Die Gültigkeit ihrer Aussagen bleibt jeweils an die Voraussetzungen gebunden, denen sie verpflichtet ist. Dadurch ergeben sich wichtige Unterschiede zum Beispiel zwischen einer naturwissenschaftlich ansetzenden Medizin und einem theologischen Verständnis von Sterben und Tod. In theologischer Perspektive zeigt sich eine doppelte Gefahr: Zum einen ist eine weltweite Tendenz erkennbar, den Menschen nach Art einer kybernetischen Maschine oder nach Art eines Puzzles, das aus Teilen zusammengesetzt wird, mißzuverstehen. Damit verbindet sich die Gefahr, andere Menschen als Ersatzteillager anzusehen und die Maßstäbe, nach denen Organe entnommen werden, aufzuweichen, um die benötigten Organe zu erhalten. Besonders gefährlich ist die These, die das Menschsein an die Bewußtseinsfähigkeit binden will und den Schutz des menschlichen Lebens nicht mehr prinzipiell gelten läßt. Zum anderen ist es so, daß sich mit all diesen Stichwörtern bereits jetzt eine Organentnahmepraxis oder entsprechende Empfehlungen verbinden. Erwähnt werden muß etwa die Empfehlung der American Medical Association vom Mai 1995, anenzephale (d.h. ohne Großhirn geborene) Kinder zur Organentnahme zu benutzen. Die Gefahr besteht, daß diese Entwicklungen Einfluß auf das haben werden, was hierzulande für möglich gehalten wird und Praxis werden soll. Gegenüber diesen Entwicklungen stellt christliche Ethik die Würde des Menschen in den Vordergrund, die frei bleiben muß von den Interessen anderer und sich Gott als dem Schöpfer und Herrn des Lebens verdankt. Auch das therapeutische Interesse findet an der Würde des Menschen eine unübersteigbare Grenze. Die Gleichsetzung menschlichen Personseins mit dem meßbaren Funktionieren von Gehirnaktivitäten folgt einem Menschenbild, das von technischen Regelkreismodellen geprägt wird und die Person des Menschen auf das Gehirn als Steuerungs- und Integrationsaggregat im Leib reduziert. Dadurch werden Gehirn und Körper des Menschen definitorisch voneinander getrennt und qualitativ voneinander unterschieden. Der Glaube hält demgegenüber an der leibseelischen Ganzheit des Menschen fest. Denn der Mensch hat nicht einen Leib und eine Seele und innerhalb des Leibes Organe, die sich vom Menschsein als nicht dazugehörig abtrennen ließen. Sondern der Mensch ist die komplementäre Ganzheit aus Leib und Seele samt allen Gliedern und Organen. Im Verständnis des Glaubens hat der Mensch sein Leben von Gott, der das Leben selbst ist. Redet der Glaube von der Seele des Menschen, so redet er davon, daß der Mensch personales Gegenüber zu Gott ist. Seele ist nicht an einem einzelnen Organ festzumachen. Auch die theologische Ethik kann nicht beweisen, daß "hirntote" Menschen noch etwas empfinden, Sie sieht aber keinen zwingenden Grund dafür, die an "Hirntoten" beobachtbaren Lebenszeichen nicht als solche ernstzunehmen. Das Leben, das durch künstliche Beatmung erhalten wird, ist das eine Leben, das jeder als Gabe Gottes hat. Die Frage, wie lange es künstlich erhalten werden soll oder darf, berührt die Würde des Menschen. Es gibt auf sie keine einfachen Antworten. Eine christliche Ethik kann aber in diesem Zusammenhang nicht übersehen, daß Organtransplantation dazu dienen kann, Leben zu retten oder die dauerhafte Abhängigkeit von gravierenden medizinischen Eingriffen zu überwinden. Der ethische Konflikt, um den es geht, ist daher der Konflikt zwischen dem Interesse, das Leben eines anderen zu erhalten, und dem Interesse, die Würde Sterbender zu wahren. In diesem Konflikt kann es ein Zeichen der Liebe zum Mitmenschen sein, der Organentnahme zugunsten eines anderen zuzustimmen. Aber ein Zeichen der Liebe bleibt eine solche Zustimmung nur, wenn sie freiwillig gegeben wird. Jede Form des Zwangs würde ihr den Charakter der Tat der Liebe gerade nehmen. Konsequenzen für die Organentnahme Klar ist, daß angesichts so schwieriger medizinischer und ethischer Probleme die Gesellschaft kein Recht auf die Organe ihrer einzelnen Mitglieder beanspruchen kann. Auch ein schweres Leiden rechtfertigt es nicht, einen Anspruch auf ein Organ eines anderen zu begründen. Denn Organe müssen Menschen entnommen werden, und das bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in die Integrität anderer Menschen. Ist dann für Christen eine Beteiligung an der Organtransplantation möglich? Wir meinen: Ja - sofern durch eine Organgabe die Liebe zu einem leidenden Mitmenschen ausgedrückt werden soll. Jesus hat davon gesprochen, daß jemand sogar sein Leben für seine Freunde geben kann* - und er ist diesen Weg selbst gegangen. Für manche ist der Begriff des Opfers eine Hilfe, diese Möglichkeit zu beschreiben. Sie setzt Freiwilligkeit voraus. Sie kann nicht zur Pflicht gemacht werden. Organspende ist keine Bringschuld. * Johannes-Evangelium 15,13. 4. Streit um den letzten Atemzug (Aus"Stern", 19.6.95) "...Wann ist der Mensch tot? Die sinkende Bereitschaft zur Organspende und das geplante Transplantationsgesetz haben die Bonner Gesetzgeber unversehens mit dieser heiklen Frage konfrontiert. Bislang war die Definition des Exitus mit all ihren Grauzonen ausschließlich den Ärzten überlassen. Mit dem neuen Gesetz, das mehr Vertrauen bei der Organspende schaffen soll, wird das anders. Erstmals soll der Begriff 'Hirntod' in Paragraphen gegossen werden. Die Parlamentarier sind überfordert. 'Welche Gründe sprechen für den Hirntod als Todesdefinition?' will der Gesundheitsausschuß in dieser Woche von Experten wissen. Die Unsicherheit hat ihre Gründe, denn der Mensch stirbt ohne umfassende Gewalteinwirkung nicht schlagartig, sondern in mehreren Phasen. Stets ist es das Ende eines einzelnen Organes, dessen Versagen nach und nach die anderen zur Aufgabe zwingt. Nur: Heute läßt sich fast jedes Körperteil zumindest zeitweise durch Apparate ersetzen. Bis zum endgültigen Stillstand des Blutkreislaufes gilt der Mensch als lebend. Mit einer Ausnahme: Bei 'irreversiblem Ausfall der gesamten Hirnfunktion' gilt der Mensch als tot, selbst wenn Beatmungsmaschinen den restlichen Organismus am Leben halten. So hat es 1982 die Bundesärztekammer festgelegt. Diese Definition ermöglicht die Entnahme von bis zuletzt durchbluteten Organen bei Toten. Gesundheitsminister Horst Seehofer ist sich denn auch sicher: 'Der Hirntod ist der Tod des Menschen.' Tatsächlich bezweifelt niemand, daß der Tod des Gehirns ein unumkehrbarer Vorgang ist, der ohne Beatmungsmaschine zum Kreislaufstillstand führt. Noch nie ist ein Hirntoter wieder aufgewacht. Die Diagnose des Hirntodes ist eindeutig, mit der Prüfung von Reflexen und technischen Verfahren (Messung der Hirnströme und Blutversorgung) läßt sie sich mit höchster Sicherheit treffen. Doch Juristen sind pingeliger als Mediziner. Aus dem Tod des Gehirns folge nicht zwingend die Gleichsetzung mit dem Tod generell, meint Wolfram Höfling, Mitglied der Expertengruppe 'Wissenschaftler für ein verfassungsgemäßes Transplantationsgesetz'. Der Gießener Professor für Staatsrecht: 'Niemand kann wissen, ob in dem beatmeten Organismus der Sterbeprozeß wirklich abgeschlossen ist. Nach Verfassungsgrundsätzen muß daher im Zweifel für das Leben entschieden werden.' Transplantationsmediziner jedoch betonen, die Entnahme von Organen aus Hirntoten, die rechtlich als noch nicht gestorben gelten, käme, selbst bei vorausgehender Einwilligung des Spenders, verbotener aktiver Euthanasie, künstlicher Lebensverkürzung, gleich. Das Ende der Organverpflanzung in Deutschland? Die Juristen bauen eine Brücke: Mit Euthanasie habe die Organentnahme bei einem 'lebenden Hirntoten' nichts zu tun. Im Gegenteil: Ein erklärter Spender mit abgestorbenem Gehirn würde ohne Beatmung sofort einen Kreislaufstillstand erleiden, also endgültig sterben. Indem die Ärzte ihn künstlich beatmeten, verkürzten sie nicht sein Leben, sondern verlängerten es. Organspende bleibe weiter möglich... " 5. Organtransplantation - wissen wir, was wir tun? Dr. med. Frank Meyer, Allgemeinarzt "...Wer die zweckgerichtete "Hirntod"-Definition in Ihrer Unwissenschaftlichkeit ablehnt, will zumeist nicht zulassen, daß Menschen in diesem Stadium des Sterbevorganges ohne ihre vorherige Einwilligung Organe entnommen werden dürfen - hierüber besteht ein breiter Konsens. Umstritten auch unter Kritikern der Gleichsetzung des "Hirntodes" mit dem Tod des Menschen ist, wie die Organentnahme und -verpflanzung mit Einverständnis des Patienten zu beurteilen ist. Dürfen wir Patienten mit irreversiblem Ausfall der Hirnfunktionen, nachdem wir zu der Überzeugung gelangt sind, daß auch sie noch am Leben sind, dennoch den aktiv und vorsätzlich lebensbeendenden Eingriff der Organentnahme zumuten, sofern ihr Einverständnis vorliegt? Dürfen wir es erlauben, müssen wir es dulden? - So lauten die Fragen in ethischer und rechtlicher Hinsicht. Die Kritik an der Für-Hirntot-Erklärung von Sterbenden ist nicht neu. An welche Grenzen das Denken bei der Definierung des Todes zunächst stößt, hat der Philosoph Hans Jonas, der der Vorverlegung des Todeszeitpunktes im Dienste der Transplantationsmedizin von Anfang an kritisch entgegengetreten ist, in seinen Arbeiten zur medizinischen Ethik aufgezeigt: Solange wir die genaue Grenzlinie zwischen Leben und Tod nicht kennen, sind wir gehalten, in dieser "Zone wesentlicher Ungewißheit mehr zu einer maximalen als zu einer minimalen Bestimmung des Todes hinzuneigen." Das heißt: "Hirntod plus Herztod plus jeder sonstigen Indikation, die von Belang sein mag". "Der Patient", so Jonas, "muß unbedingt sicher sein, daß sein Arzt nicht sein Henker wird, und keine Definition ihn ermächtigt, es je zu werden." Der Organspendeausweis - eine "Lizenz zum Töten"?... Was bedeutet es für ihn, wenn in der Vorbereitungsphase zur Organentnahme intensivste medizinische Bemühungen angestellt werden, um optimale Voraussetzungen für die Transplantation zu schaffen? Einerseits wird der Sterbevorgang verlängert, andererseits wird er mechanisiert. Wird das Sterben damit auch erschwert oder behindert? Was bewirkt es bei dem Sterbenden, wenn der Tod abrupt durch das Einleiten der Kühlflüssigkeit im Austausch gegen das körperwarme Blut eintritt, unmittelbar bevor oder während die Organe entnommen und Beatmung und Kreislauf aufrechterhalten werden? Können wir überhaupt vom Tod des ganzen Menschen reden, solange einzelne Teile des Ganzen noch am Eigenleben gehalten werden? Was bedeutet es, in Teilen statt im Ganzen zu sterben? Ein Mensch, der nicht voll inkarniert ist, tritt in der physischen Welt als ein in mancher Hinsicht Behinderter auf. Welche Folgen hat es für den geistigen Menschen nach dem Tode, wenn seine Exkarnation nur unvollständig oder zeitlich verzögert erfolgt? Welche Auswirkungen hat es auf das nachtodliche Leben des Explantierten, wenn seine Organe vital konserviert auf einen anderen Menschen übertragen werden und dort in Wechselwirkung mit einem fremden Organismus treten? ...Auch wenn sich ein Mensch aus einer Opferhaltung heraus freiwillig für die Organentnahme zur Verfügung gestellt hat, entbindet uns das nicht von der ärztlichen Verpflichtung, in erster Linie nicht zu schaden. Wenn wir das Sterben im anthroposophischen Sinne als geistigen Geburtsvorgang und die Gedanken von Reinkarnation und Karma als berechtigt ansehen, dann sind die folgenden Bedenken angebracht: 1. Eingriffe in Vorgänge des Werdens, die wir nicht voll durchschauen, sind unethisch. Wenn wir Sterben und nachtodliches Leben als komplexen Entwicklungsvorgang betrachten, dann ist das Risiko, daß wir Schaden anrichten zu hoch, als daß wir uns Eingriffe erlauben könnten, die nicht mehr unmittelbar durch den ärztlichen Auftrag diesem konkreten Menschen gegenüber (ihm zu helfen, ihn zu begleiten, sein Leiden zu lindern) gedeckt sind. 2. Das transplantierte Organ steht in Wechselwirkung mit dem Organismus des Empfängers. Die Wirkungen auf den Empfänger können wir, zumindest, was die physische Seite anbetrifft, studieren und auch in gewissem Maße beeinflussen. Die Rückwirkungen auf den Explantierten, der bereits den Weg in die geistige Welt angetreten hat, kennen wir weder, noch können wir sie beeinflussen. 3. Vorausgesetzt, wir schenken dem Empfänger durch die Übertragung tatsächlich Lebenszeit und Lebensqualität (auch das Gegenteil kann der Fall sein), so wissen wir nicht, welche karmischen Konsequenzen das für das Verhältnis von Spender und Empfänger in einer späteren Inkarnation haben wird. ...Solange wir uns, nach besten Wissen und Gewissen, am individuellen Patienten orientieren, dürfen wir hoffen, in Einklang mit dem zu handeln, was das Schicksal dieses Menschen, was er selbst will. Das sollte menschengemäße, humane Medizin allen posthumanen Ideologien und Verführungen zum Trotz zu leisten versuchen. Individuelle Zuwendung - auch im Angesicht des Sterbens - ist eben unteilbar . Die Abwendung von Individuum dagegen ist der Sündenfall der modernen Medizin. Sie beginnt spätestens dann, wenn wir in dem Sterbenden einen "Spender" sehen. 6. Hans Jonas - Zur pragmatischen Umdefinierung des Todes (aus:"Technik,Medizin und Ethik") ..." Die Grenzlinie zwischen Leben und Tod ist nicht mit Sicherheit bekannt, und eine Definition kann nicht Wissen ersetzten. Der Verdacht ist nicht grundlos, daß der künstlich unterstützte Zustand des komatösen Patienten immer noch ein Restzustand von Leben ist (wie er bis vor kurzem auch medizinisch allgemein angesehen wurde).D.. es besteht Grund zum Zweifel daran, daß selbst ohne Gehirnfunktion der Mensch völlig tot ist. In dieser Lage unaufhebbaaren Nichtwissens und vernünfitigen Zweifeln besteht die einzig richtige Maxime für das Handeln darin, nach der Seite vermutlichen Lebens hinüberzulehnen. Daraus folgt, daß Eingriffe......unter keinen Umständen an einem menschlichen Körper stattfinden dürfen, der sich in diesem äquivoken bzw. Schwellenzustand befindet.... 7. K. P. Jörns - Kritik der Hirntodkonzeption (aus: K.P. Jörns: Organtransplantation - Eine Anfrage an unser Verständnis von Sterben, Tod und Auferstehung. Zugleich eine Kritik der Schrift der Kirchen "Organtransplantationen". In: J.Hoff/J. von der Schmitten: Wann ist der Mensch tot? Reinbek 1995) Die Explantation und Transplantation von Organen ist eine Möglichkeit für uns Menschen, mehr nicht. Sie ist und bleibt eine problematische Möglichkeit, weil sie den Grenzbereich zwischen Leben und Tod und deshalb Stationen des Menschseins betrifft, die sich unserer reflektierbaren Erfahrung entziehen und darum wissenschaftlich immer mit einem wissenschaftstheoretisch unaufhebbaren IrrtumsVorbehalt belastet bleiben. Es ist die Aufgabe der Theologie, auf dieses Dilemma hinzuweisen. Sich für oder gegen die Organtransplantation zu entscheiden, wird von den Prämissen des Denkens und Fühlens bestimmt, die für die Menschen jeweils gelten. Niemand, auch die Kirche nicht, hat das Recht, von den eigenen Prämissen her die Prämissen anderer in Richtung auf die Organ-"Spenden" zu majorisieren..Ich sehe es als ein unerlaubtes Verfahren an, wenn das christliche Liebesgebot, das der Gemeinde Christi gilt, dazu herhalten muß, ein "Lebensrecht" im Sinne eines Lebensverlängerungsrechts oder eines Rechts auf Verbesserung der Lebensqualität durch Implantation fremder Organe zu begründen. Ist ein solches Anspruchsdenken erst einmal praktisch etabliert und die Organ-"Spende" damit zugleich zur Pflicht gemacht, so ist prinzipiell kein Sterbender mehr davor bewahrt, als "Spender"behandelt zu werden, wenn er in Todesnähe gerät. Und dann ändert sich die Optik total: Die ca. 30000 Toten jährlich, die durch Unfall oder Suizid sterben, könnten dann irgendwann sogar dem Gesetzgeber angesichts des hohen Organbedarfs als ein Spekulationsposten erscheinen, an dessen Verminderung kein wirkliches Interesse besteht Zur Geschichte des "Hirntod"-Kriteriums Der «Hirntod» - eine Folge des medizinischen Fortschritts? Ist der Mensch tot, wenn seine Hirnfunktionen erloschen sind? Die Praxis, Menschen unter Berufung auf den Ausfall ihrer Hirnfunktionen für tot zu erklären, ist 1993 gerade 25 Jahre alt geworden. Jahrtausendelang wurde ein Mensch frühestens dann für tot erachtet, wenn er kalt und steif, eben leblos war. Einen Menschen, dem das Blut noch warm durch die Adern rinnt, für tot zu erklären, blieb unserem fortschrittlichen Zeitalter vorbehalten. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg hatte noch niemand einen "Hirntoten" gesehen. Die künstliche Beatmung war noch nicht erfunden, ebensowenig die Herzmassage. Da jede hinreichend schwere Schädigung des Gehirns vom Stillstand der Atem- und Kreislauftätigkeit begleitet war, führte sie zwangsläufig zum Zusammenbruch des Organismus, zum Tode. Weniger schwere Hirnschädigungen hatten schlimmstenfalls sogenannte Wachkomas zur Folge, in denen der Patient noch selbständig atmet (Coma vigile, apallisches Syndrom). Im Jahre 1959, die künstliche Beatmurlg wurde bereits seit einiger Zeit praktiziert, beschrieben die französischen Ärzte Mollaret und Goulon einen neuen medizinischen Zustand. Sie hatten Patienten beobachtet, deren Gehirn nach einem längeren Atemstillstand durch Sauerstoffmangel irreversibel - unumkehrbar - zerstört war, während ihr Organismus durch künstliche Beatmung am Leben erhalten werden konnte. Diesen Zustand bezeichneten Mollaret und Goulon als "Coma depasse' ", also "jenseits,des Komas" oder "endgültiges Koma". Mit der Verbreitung der Herz-Lungen-Wiederbelebung nach Einführung der externen Herzmassage im Jahre 1960 stieg die Zahl der Patienten an, die nach einem vorübergehenden Kreislauf und Atemstillstand mit irreversibel zerstörtem Gehirn - also im Coma depasse - weiterlebten. Die Begegnung mit irreversibel komatösen Patienten gehört seither zum intensivmedizinischen Alltag. Nach dem damals noch gültigen Todesverständnis galten diese Patienten aber nicht etwa als tot. Für tot erklärt wurde ein Mensch erst dann, wenn mit dem Stillstand von Kreislauf und Atmung alle seine vitalen Funktionen für immer erloschen waren. ... Die Verfahren der Todesfeststellung, auf die sich Ärzte1951 noch hatten verlassen können, mußten freilich nach Einführung der HerzLungen-Wiederbelebung als unzulänglich empfunden werden. Seit ein kurzer Stillstand von Herzschlag und Atmung grundsätzlich wieder rückgängig gemacht werden konnte, war seine einmalige Feststellung nicht mehr ausreichend für die Diagnose eines «völligen» (im Sinne von irreversiblen) Ausfalls der vitalen Lebensfunktionen. Die diagnostischen Verfahren zur Feststellung des Todes hätten nun dergestalt präzisiert werden können, daß sie der kurzen Zeitspanne Rechnung trugen, innerhalb deren ein Kreislaufstillstand prinzipiell umkehrbar sein kann - unter Normalbedingungen zum Beispiel durch den Nachweis eines Kreislaufstillstands über die Dauer einer Viertelstunde. Der überkommene Todesbegriff, nach dem ein Mensch erst dann als tot gilt, wenn sein Kreislauf für immer zum Stillstand gekommen ist, wurde durch die Anwendung der Herz-LungenWiederbelebung also nicht in Frage gestellt. Die verbreitete Vorstellung, der medizinische Fortschritt hätte einen grundlegenden Wandel des Todesverständnisses erforderlich gemacht, entbehrt daher jeder sachlichen Grundlage. Was den speziellen Fall von Patienten im irreversiblen Koma betrifft, so wiesen selbst Mollaret und Goulon in dem erwähnten Aufsatz von IgSg darauf hin, daß der unumkehrbare «Stillstand der Lebensfunktionen» unmittelbar nach Abbruch der künstlichen Beatmung eintritt - eine Bewertung, die bei der Rezeption dieser Arbeit geflissentlich übersehen worden ist. Dennoch entschloß man sich zur Abkehr von dem damals gültigen, an dem völligen Zusammenbruch der Lebensfunktionen orientierten Todesverständnis, mit der Folge, daß Patienten im irreversiblen Koma schon vor Abbruch der lebensverlängernden Maßnahmen für tot erklärt wurden. Deklaration des irreversiblen Komas zum «Tod des Menschen» im Jahre 1968 Der entscheidende Schritt. zur Etablierung des "Hirntod"-Konzeptes wurde in dem Augenblick vollzogen, als man das Coma depasse als Kriterium der «Für-tot-Erklärung» eines Menschen zu werten begann. Die Forderung nach Einführung eines derartigen «Hirntodkriteriums» wurde erstmals in einem Papier aus dem Jahre 1968 wirksam erhoben. Bei den Autoren handelte es sich um eine AdhocKommission aus Theologen, Juristen und Medizinern der Harvard Medical School (Beecher et al.), die zum Zweck der Erarbeitung eines neuen Todeskriteriums formiert worden war. Der erste Satz nennt als Ziel des Artikels die Etablierung des Hirntodes als Todeskriterium. Wer im Anschluß eine Begründung erwartet, warum die Zerstörung des Gehirns als Kriterium für den Tod des Menschen geeignet sein soll, wird enttäuscht. Die Autoren beschränkten sich vielmehr darauf, den Bedarf für ein neues Todeskriterium zu erklären: Unser primäres Anliegen ist, das irreversible Koma (= Coma depasse als neues Todeskriterium zu definieren. Es gibt zwei Gründe für den Bedarf an einer neuen Definition: 1 . Der medizinische Fortschritt auf den Gebieten der Wiederbelebung und der Unterstützung lebenserhaltender Funktionen hat zu verstärkten Bemühungen geführt, das Leben auch schwerstverletzter Menschen zu retten. Manchmal haben diese Bemühungen nur teilweisen Erfolg: Das Ergebnis sind dann Individuen, deren Herz fortfährt zu schlagen, während ihr Gehirn irreversibel zerstört ist. Eine schwere Last ruht auf den Patienten, die den permanenten Verlust ihres Intellekts erleiden, auf ihren Familien, auf den Krankenhäusern und auf solchen Patienten, die auf von diesen komatösen Patienten belegte Krankenhausbetten angewiesen sind. 2. Überholte Kriterien für die Definition des Todes können zu Kontroversen bei der Beschaffung von Organen zur Transplantation führen. Nach Ansicht der Harvard-Kommission wird das irreversible Koma von allen Beteiligten - den irreversibel Komatösen eingeschlossen als eine schwere Belastung (great burden) empfunden. Zugleich bedeutete die Am-Leben-Erhaltung dieser Patienten eine spürbare Inanspruchnahme knapper Ressourcen, der man ratlos gegenüberstand. Denn die Ärzteschaft schreckte damals davor zurück, die künstliche Beatmung eines irreversibel komatösen Patienten abzustellen, da sie der Meinung war, den durch den Beatmungsabbruch mittelbar eintretenden Tod im Sinne einer "aktiven Tötung" verantworten zu müssen. Als zweiter Grund für den Bedarf an einer neuen Todesdefinition wurde damals die Notwendigkeit der Beschaffung von Organen zu Transplantationszwecken angegeben. Das geltende Todeskriterium, so die Harvard-Kommission, sei obsolet, weil es den Fortschritt der Transplantationsmedizin behindere. Auf die Begründung des Bedarfs für eine neue Todesdefinition folgte eine detaillierte Erklärung, wie das irreversible Koma zu diagnostizieren sei. Die - seither weiterentwickelten - diagnostischen Einzelheiten sind hier nicht von Interesse; sie dienen dazu, das sichere Erlöschen aller Gehirnfunktionen festzustellen.... Der Vorschlag der Harvard-Kommission war ein voller Erfolg. Er setzte sich in den USA schnell durch und wurde innerhalb weniger Jahre von den medizinischen Standesorganisationen der meisten Industriestaaten übernommen. Die Unverletzlichkeit des Leibes als ethisches Prinzip Wie wir ... dargelegt haben, weiß die traditionelle ärztliche Standesethik noch sehr genau zu differenzieren zwischen dem Verbot, einen Menschen zu töten, und dem Gebot, einem notleidenden Menschen Hilfe zu leisten, beziehungsweise der Verpflichtung, die Durchführung einer medizinischen Maßnahme abzubrechen, wenn diese für den Patienten eine unzumutbare Belastung darstellt. Dieser Differenzierung entspricht in den traditionellen Ethiken die Unterscheidung zwischen einer (verbotenen) "aktiven" und einer (erlaubten) "passiven" Sterbehilfe («Euthanasie»). Ob man eine lebensverlängernde Maßnahme abbricht oder ob man ein tödliches Gift verabreicht, macht nach dieser Differenzierung einen entscheidenden Unterschied. Denn im letztgenannten Fall handelt es sich um eine verbotene Tötungshandlung selbst wenn der Patient damit einverstanden ist. In der jüngeren ethischen Diskussion ist diese Differenzierung immer häufiger in Frage gestellt worden. Dies hängt aber nicht nur damit zusammen, daß eine präzise handlungstheoretische Differenzierung zwischen einem bewußten Tun (Tötung) und einem bewußten Nichttun (Sterbenlassen) kaum zu begründen ist. ... Kritik am Hirntodkriterium Leichen bekommen kein Fieber von Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig und Eckart von Klaeden Frankfurter Allgemeinen Zeitung 13. Mai 1997 Im Zentrum der öffentlichen Diskussion eines Transplantationsgesetzes steht die Frage, welche Rolle es dem endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion ("Hirntod") zuweisen soll. Einigkeit besteht, daß nach seinem Eintritt die Entnahme des Herzens, der Lungen, der Leber, beider Nieren, der Bauchspeicheldrüse und des gesamten Darms möglich sein soll. Die Aufnahme von diesbezüglichen Entnahmekriterien in ein Transplantationsgesetz befürworten daher alle dem Bundestag vorliegenden Anträge. Darüber hinaus wird in dem Antrag der Abgeordneten Seehofer, Dreßler und andere gefordert, den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen als sicheres Zeichen des eingetretenen Todes des Menschen festzulegen. Das ist indessen nur geboten, wenn man daraus Erleichterung bei den Entnahmekriterien herleiten will, wie sie beim Zugrundelegen des reinen "Herztodes” - endgültiger Ausfall des Kreislaufsystems - als maßgeblichen Zeitpunkt des Lebensendes nicht gewährt werden könnte. Bisher kommt nicht nur die Transplantationsmedizin ohne eine gesetzliche Todesdefinition aus. Der Gesetzgeber hat aus gutem Grunde darauf zum Beispiel im Embryonenschutzgesetz, im Gentechnikgesetz oder im Rahmen der Lebensschutzdelikte des Strafrechtes verzichtet. Eine solche Definition setzt die Transplantationsmedizin zudem unnötigerweise dem Verdacht aus, an einer funktionalen Todesdefinition interessiert zu sein. Wir halten eine solche Festlegung darüber hinaus wegen der bestehenden Zweifel für unvertretbar. Die Befürworter einer solchen Festlegung stützen ihre Ansicht auf die beiden wesentlichen Funktionen des menschlichen Gehirns: Seine Steuerungs- bzw. Integrationsfunktion für den Organismus und seine Unabdingbarkeit für die Möglichkeit der bewußten Wahrnehmung, für die Geistigkeit des Menschen. Die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer, der Philosophieprofessor Birnbacher, der Neurologe Angstwurm, der Chirurg Eigler und der Rechtsmediziner Wuermeling erläutern dazu: "Entsprechend der Natur des Menschen und jedes Säugetieres als Bewußtseinsund Körperwesen unterscheiden sich Leben und Tod durch Funktion und Funktionsverlust zweier Systeme: des Bewußtseins und des physischen Organismus. Der irreversible Funktionsverlust nur eines dieser Systeme reicht nicht aus, einen Menschen tot zu nennen. Ein Mensch im irreversiblen Koma ist nicht tot, weil und solange er als biologischer Organismus lebt." Es trifft indessen - gottlob - nicht zu, wie mitunter behauptet wird, daß in der Medizin der Hirntod als maßgebliches Kriterium völlig unbestritten sei. Gerade eben erst ist diesem Eindruck etwa im Hastings Center Report umfassend und grundsätzlich entgegengetreten worden. Und ewta Gerhard Roth, der Leiter des Instituts für Hirnforschung der Universität Bremen, hat noch unter dem 15. April 1997 öffentlich dafür plädiert: "Der künstlich beatmete Hirntote ist keine Leiche.” Der Göttinger Strafrechtler Schreiber hat in dieser Zeitung zurecht darauf hingewiesen, daß medizingeschichtlich die Feststellbarkeit und Separierung des Hirntodes als Fortschritt gegenüber der früher allein ausreichenden Feststellung des Herz- und Kreislauftods anzusehen ist. Daraus sogleich absolute Schlüsse ziehen zu wollen, verkennt jedoch, daß es gerade dieser intensivmedizinische Fortschritt ist, der seinerseits die Zweifel am Hirntodkriterium als sicheres Todeszeichen im besonderen hinsichtlich des irreversiblen Funktionsverlustes des physischen Organismus immer stärker werden läßt. Besonders deutlich werden diese Zweifel am Beispiel der sog. Erlanger Schwangeren. Am 5. Oktober 1992 wurde die 19-jährige Marion Ploch in die Erlanger Universitätsklinik eingeliefert und drei Tage später aufgrund einer Hirntoddiagnose für tot erklärt. Weil sie schwanger war, projektierten die Ärzte mit großer Zuversicht eine sechsmonatige Intensivbehandlung bis zur Entbindung des Kindes. Dieser Versuch scheiterte nach fünf Wochen infolge eines spontanen Aborts. Es ist heute jedoch unbestritten, daß mehrere gleichartige Fälle zur Geburt gesunder Kinder geführt haben. Doch ist es gerade im Falle von Marion Ploch dieser Abort, der die Hirntodthese radikal in Frage stellt. Der Philosoph Hans Jonas führt dazu aus: "Daß es ein 'Leichnam' sein soll, der da ein Fieber entwickelt, wenn in einem darin eingeschlossenen Organismus etwas schief geht, und das dies der Uterus einer 'Toten' sei, der dann die Kontraktionen vollführt, die das nun tote Kind ausstoßen - das ist doch ein offenbarer verbaler Unfug, ein semantischer Willkürakt im Dienst eines äußeren Zwecks (…). Der spontan abortierende Leib gab rückläufig und endgültig jedem Augenschein des rosig durchblutenden warmen Leibes recht, den die gelehrten Herrn uns archaischen Laien für trügerisch erklärten.” Im Klartext: Leichen bekommen kein Fieber und tragen auch keine Kinder aus. Der Erlanger Fall drängt den Eindruck auf, daß die Hirntodtheorie die Interaktion der verschiedenen Organsysteme, des Rückenmarks und der Hormone verkennt. Alle diese Systeme steuern in ihrem Zusammenwirken den Lebensablauf des Menschen. So ist der hirntote Körper unter anderem fähig zur Regulation der Körpertemperatur (z. B. durch Schwitzen), zum Stoffwechsel, zu Bewegungen, zur Regulation des Blutdrucks (der Blutdruck des Hirntoten steigt dramatisch an, wenn sein Körper zur Explantation geöffnet wird; ihm werden dann blutdrucksenkende Mittel zugeführt), bei männlichen Hirntoten zu Erektionen und bei weiblichen Hirntoten zur Geburt eines gesunden Kindes oder zur Abstoßung der Leibesfrucht, wenn diese abgestorben oder schwer geschädigt ist. Der Ausfall eines auch noch so wichtigen - Organs allein kann nicht mit dem Tod des gesamten Organismus gleichgesetzt werden, ohne die Komplexität des menschlichen Körpers zu verkennen. Hier kommt es darauf an, das physische Sein des Menschen in seiner Vielgestaltigkeit ebenso wie seiner Ganzheitlichkeit anzuerkennen. Es bedarf ehrlicher Erfassung dieser Einmaligkeit als Gesamtschöpfung, um die nicht zur zivilisatorische und ethische, sondern konkret staatliche Pflicht zum Schutz des menschlichen Lebens umfassend zu erfüllen. Nicht von ungefähr thematisiert die Verfassung nirgends den Tod des Menschen. Umgekehrt vielmehr, konstruktiv und aktivierend, nimmt sie den Ansatz: "Jeder (Mensch) hat das Recht auf Leben.” (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz (GG)). Angesichts der besonderen Stellung des Schutzes der Menschenwürde und des menschlichen Lebens sowie des Grundsatzes des Bundesverfassungsgerichts, nach dem in Zweifelsfällen die Auslegung zu wählen ist, die die juristische Wirkungskraft am stärksten entfaltet, darf es daher nicht zu einer derartigen Todesdefinition im Transplantationsgesetz kommen. Der Verzicht auf ein solches Todeskriterium ist auch deshalb nötig, weil Weiterungen Einhalt geboten werden muß, die sich schon jetzt im europäischen Ausland abzeichnen. Wer Hirntote für tot erklärt, entzieht ihnen damit den entscheidenden Teil ihres grundrechtlichen Schutzes. Das postmortale Persönlichkeitsrecht und das Recht der Leichensorge werden sie auf Dauer nicht vor absehbaren industriellen Versuchsbegehrlichkeiten schützen können. Bedenklich ist aber auch eine andere Tendenz: Läßt sich die durch den Eintritt des Hirntodes zwar reduzierte Leistung des Organismus nicht mehr mit Sicherheit leugnen, entfällt das Argument des irreversiblen Funktionsverlustes des physischen Organismus. Die Hirntodkonzeption wird allein auf den endgültigen Bewußtseinsverlust zurückgeworfen. Es fehlt damit an einem tauglichen Kriterium, z. B. Anenzephale (Säuglinge, denen ausgedehnte Teile des Gehirns fehlen) von Leichen zu unterscheiden. Denn dem Anenzephalen fehlt sein Bewußtsein ebenso endgültig wie dem Hirntoten. Der einzige wesentliche Unterschied zwischen dem Anenzephalen und dem Hirntoten besteht dann darin, daß der erstere noch nie über ein noch funktionierendes Gehirn verfügte, während der letztere zwar ein funktionierendes Gehirn hatte, dieses aber durch den Hirntod verlor. Küfner geht in seiner Dissertation zurecht davon aus, daß das Argument, dieser Unterscheid genüge, um den Anenzephalen als (noch) lebend, den Hirntoten dagegen als schon gestorben anzusehen, nicht zwingend ist. Befürworter der Hirntodkonzeption befürchten nun, daß mit dem Verzicht auf eine verbindliche Todesdefinition jede Transplantation zwischen Hirntod und Herz- und Kreislaufzusammenbruch zu einer unerlaubten Tötungshandlung werde. Daneben werde der Weg zur aktiven Sterbehilfe eröffnet. Diese Sorgen verdienen Beachtung, greifen aber nicht durch. Vermeidet der Gesetzgeber eine Todesdefinition, ist damit nicht die Entscheidung für eine der im übrigen unterschiedlichen Vorstellungen der Hirntodkritiker vom Ende des Lebens verbunden. Sie steht dem Gesetzgeber auch nicht zu. Denn der Tod bedeutet das Ende des menschlichen Lebens, was er ist, muß also vom Leben her bestimmt werden (Schreiber). Der Düsseldorfer Verfassungsrechtler Sachs hat in der Anhörung des Rechtsausschusses dazu zutreffend festgestellt, daß die Frage, ob noch von "Leben” im Sinne des Artikels 2 Absatz 2 Satz 1 GG gesprochen werden könne, eine rein verfassungsrechtliche Frage ist. Durch die Verwendung des Begriffs "Leben” in der erwähnten Grundrechtsbestimmung liege dieser in seinem Bedeutungsgehalt verfassungsunmittelbar fest. Der Gesetzgeber besitze als Teil der grundrechtsgebundenen Staatsgewalt grundsätzlich keine Kompetenz zur sog. authentischen Interpretation der Verfassungsbegriffe. Auch eine Ermächtigung zur Regelung des Näheren, die eventuell eine definitorische Abgrenzungsmacht des Gesetzes einschließen könnte, kenne Artikel 2 Absatz 2 GG nicht. Daraus ergibt sich, daß auch die Entnahmevoraussetzungen eines Transplantationsgesetzes sich an Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG messen lassen müssen. Entscheidend für die Vereinbarkeit mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG ist die Zäsur, die der völlige und irreversible Hirnausfall im Sterbeprozeß des Menschen darstellt. Diese Situation ist medizinisch so eindeutig von jedem anderen Zustand abgrenzbar und einmalig, daß die Gefahr einer Ausweitung auf andere Indikationen ausgeschlossen werden kann. Ein Indiz dafür ist ja gerade seine Annahme als sicheres Todeszeichen durch die Befürworter der Hirntodkonzeption. Als bloßes Entnahmekriterium erhält der Hirntod allerdings weder eine zweifelhafte metaphysische Dimension noch wird er zu einer gesetzlichen Novität. Es ist unbestritten, daß jedenfalls mit dem Hirntod die Pflicht des Arztes zur Aufrechterhaltung der HerzKreislauf- und weiterer Körperfunktionen endet und in die Verpflichtung wechselt, den natürlichen Sterbeprozeß nicht weiter aufzuhalten. Allein aus diesem Grunde ist es unhaltbar, im Falle einer nach Eintritt des Hirntodes stattfindenden Organentnahme eine Tötung auf Verlangen und damit aktive Sterbehilfe oder Euthanasie anzunehmen; denn der Hirntote "bedarf” gerade keiner Hilfe mehr, um zu sterben. Allerdings ist es gerechtfertigt, in den natürlichen Sterbeprozeß dann verlängernd einzugreifen, wenn es um die Verwirklichung eines sittlich hochstehenden Zieles, nämlich die Rettung eines anderen Menschenlebens durch Organspende, geht. Diese Situation unterscheidet sich diametral von der des § 216 StGB, der eine Lebensverkürzung auf Tötungsverlangen, aber nicht einen verlängernden Eingriff in das sonst sittlich gebotene Sterbenlassen pönalisiert. Ein solcher Eingriff in den natürlichen Sterbevorgang bedarf der Einwilligung. Es ist Ausdruck der jedem Menschen innewohnenden und unveräußerlichen Würde, das Dritte nicht ohne oder gegen seinen Willen über seinen Körper verfügen können. Ein strafbares Delikt mag dann in Frage kommen, wenn es an dieser Einwilligung fehlt. Eine spezielle Regelung ist für das Transplantationsgesetz vorgesehen. Auch angesichts des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung fällt die Beanwortung der Frage, wann das Vorliegen eines Tötungsdelikts überhaupt erwogen werden kann, eindeutig aus. Es ist abwegig, auch nur tatbestandlich eine Straftat anzunehmen, wenn eine Explantation de lege artis einem formell und materiell verfassungsmäßigen Gesetz entsprechend vorgenommen wurde. Änderungen des Strafgesetzbuches "zur Klarstellung” würden diese Selbstverständlichkeit in Frage stellen. Sonst hat der Strafrechtskommentator Tröndle in dieser Zeitung zum Unterschied zwischen Tötung und Spende alles Nötige gesagt. Dem von dem Gießener Staatsrechtler Höfling entwickelten Botenmodell folgend wollen wir diese Einwilligung an keine formalen Voraussetzungen binden. Sie soll auch durch die Angehörigen vermittelt werden können. Unterschiedlich kann man insoweit noch sehen, ob für die Einwilligung der tatsächlich geäußerte Wille des Spenders nötig ist oder der mutmaßliche Wille ausreicht. Unser Modell der Bürgerpflicht will diese Frage jedoch weitgehend gegenstandslos machen. Aus dem Solidargedanken heraus soll jedermann eine Entscheidung für oder gegen die Bereitschaft zur Organspende treffen. Diese Entscheidung ist in einem bundeszentralen Spenderregister festzuhalten und kann jederzeit geändert werden. Bei möglichst vielen Gelegenheiten, z. B. der Ausgabe des Personalausweises, des Führerscheins oder der Versichertenkarte der Gesetzlichen Krankenversicherung, sollen die Bürgerinnen und Bürger immer wieder mit der Frage ihrer Spendebereitschaft konfrontiert werden. In den USA etwa vermerkt man die entsprechende Erklärung gleich auf der Rückseite des Führerscheins. Begleitet werden muß die Bürgerpflicht durch eine umfassende und kontinuierliche Aufklärung durch den Staat. Er hat die Verpflichtung, über alle wesentlichen medizinischen, rechtlichen und ethischen Fragen in allgemeinverständlicher Weise zu informieren, und das könnte in einem übersichtlichen Faltblatt zu den o. a. Gelegenheiten geschehen. Die Bürgerpflicht erleichtert zudem die Situation der Angehörigen, die neben dem Verlust eines geliebten Menschen sonst gleichzeitig die Situation der Entscheidung über die Organentnahme zu bewältigen hätten. Es ist selbstverständlich, daß diese Bürgerpflicht das Recht zur Nichtentscheidung einschließen muß. Für diese Fälle könnte dann die Frage des mutmaßlichen Willens eine Rolle spielen. Für ein Kind übrigens denn die Kinder-Organtransplantation spielt eine nicht unerhebliche Rolle - würden seine Eltern entscheiden. Aber das wäre dann systematisch nicht ihre eigene Entscheidung, sondern die vom gesetzlichen Vetreter substituierte des Kindes. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 13. Mai 1997 Pro und Contra-Diskussion M. Knoche (MdB) Argumente gegen die Hirntodkonzeption Organtransplantation Auf den ersten Blick halten viele Menschen die Transplantation für eine gute Sache. Doch die wenigsten wissen, was bei der Organentnahme eigentlich passiert. Die wesentliche Frage dabei lautet, wann ist ein Mensch tot? Zu welchem Zeitpunkt dürfen Ärzte seine Organe entnehmen? Denn die Mediziner beginnen mit der Organentnahme bereits, wenn der sogenannte Hirntod eingetreten ist, andere Organe aber längst noch funktionieren. Die herrschende medizinische Lehrmeinung besagt nämlich, daß ein Mensch schon dann als tot zu betrachten ist, wenn seine Hirnfunktionen unumkehrbar erloschen sind. Diese Auffassung entstand 1968 in Harvard (USA). Damals wurde zum ersten Mal ein Mensch für "hirntot” erklärt. Es war eine Reaktion auf die Entwicklung der Intensivmedizin, der es immer öfter gelang, Menschen ins Leben zurückzuholen, die nicht mehr atmeten und deren Herz nicht mehr schlug - Merkmale, die bis dahin als sicheres Zeichen des Todes galten. Doch das noch gar nicht so alte Todeskriterium !"hirntot” ist in die Diskussion geraten. Immer mehr Angehörige, Krankenschwestern und Ärzte zweifeln daran. Sie sehen in einem Menschen im Zustand des unumkehrbaren Hirnzusammenbruchs, dessen Haut noch gut durchblutet ist, dessen Herz schlägt und dessen Lunge atmet, einen zwar todesnahen, aber immer noch lebenden Menschen und verlangen dessen besonderen Schutz. Transplantationsmediziner hingegen setzen den "Hirntod", also den irreversiblen Ausfall aller meßbaren Hirnfunktionen, mit dem endgültigen Tod des Menschen gleich und stellen die Interessen der Kranken, die auf Organe warten, in den Vordergrund. Das ethische Dilemma der Transplantationsmedizin Bei jeder Heilbehandlung sind zwei Menschen - Arzt und Patient - beteiligt. Mit der Transplantation wird in diese uralte Beziehung eine dritte Person einbezogen - und diese Person muß auf jeden Fall sterben. Diese Grenzüberschreitung - Heilung durch Zugriff auf den Körper eines anderen - macht die Organverpflanzung zu einem Ausnahmefall in der Medizin. Ethisch umstritten und juristisch ungeregelt, setzt die Transplantationsmedizin die Organverpflanzung immer häufiger nicht nur zur unmittelbaren Lebensrettung ein, sondern auch zur bloßen Linderung oder Veränderung des Krankheitsbildes. Viele MedizinerInnen und PatientInnen haben sich an diese Grenzüberschreitung schon gewöhnt und haben ein Anspruchsdenken entwickelt, das wir für ethisch bedenklich halten. Denn menschliche Organe haben einen Warencharakter bekommen; sie werden nachgefragt, werden knapp. Selbstverständlich steht kranken Menschen die volle Solidarität der Gesellschaft zu. Unserer Auffassung nach endet dieser Anspruch auf Heilung jedoch an der Haut eines Dritten. Niemand stirbt an Organmangel; Ursache ist eine schwere Krankheit. Der Bedarf an Organen kann nicht befriedigt werden. Denn dann müßte im Interesse der OrganempfängerInnen der Kreis der SpenderInnen möglichst groß werden. Medizin und Gesellschaft haben aber im Gegenteil die Verpflichtung, diesen Kreis so gering wie möglich zu halten. Beispiel Unfalltote. Die Einführung der Helmpflicht für Motorradfahrer hat die Todesfälle junger Männer deutlich reduziert. Das ist erfreulich. Transplantationsmediziner jedoch haben auch noch eine andere Sicht. Sie stellten fest, daß dieser Trend auch zu einem Rückgang an vitalen Organspendern führe. Niemand aber kann sich wünschen, so viele Unfallopfer zu bekommen, wie die Transplantationsmedizin braucht. Der Erfolg jeder Transplantation steht und fällt mit der Lebensfrische des Organs. Deshalb liegt es im Interesse der Transplantationsmedizin und der EmpfängerInnen, die/den sterbende/n SpenderIn so früh wie möglich für tot zu erklären. Diese Tendenz kollidiert auf elementare Weise mit dem Recht des Sterbenden auf körperliche Unversehrtheit. Grenzüberschreitungen Warten auf ein geschenktes Organ Anspruchsdenken auf fremdes Organ Spende aus Hilfsbereitschaft Moralische Spendepflicht Verpflanzung von Organen auf andere Menschen Nutzung für andere Zwecke Selbstbestimmung als Freiheitselement jedes Individuums Veräußerung des Körperbesitzes aus (Un)freiheit Ein bedenkenloser Umgang mit menschlichen Organen wird weitere Grenzüberschreitungen nach sich ziehen, zum Beispiel Organverpflanzungen zu experimentellen Zwecken und Handel mit Organen im großen Stil. Die Entwicklung könnte schlimmstenfalls dazu führen, daß der sterbende Körper sozialpflichtig wird, das heißt, über seine Organe würde zwangsweise verfügt. "Hirntod"=Tod? "Mit dem Organtod des Gehirns sind die für jedes personale menschliche Leben unabdingbaren Voraussetzungen, ebenso aber auch alle für das eigenständige körperliche Leben erforderlichen Steuerungsvorgänge des Gehirns endgültig erloschen. Die Feststellung des Hirntodes bedeutet damit die Feststellung des Todes des Menschen." Mit diesen Worten bekräftigt die Bundesärztekammer ihre Richtlinien über "Kriterien des Hirntodes". Zur Feststellung des "Hirntods" gibt es eine Reihe von Untersuchungen, bei denen u. a. die Bewußtlosigkeit, der Ausfall der Spontanatmung und das Fehlen verschiedener Reflexe überprüft werden oder alternativ die sogenannte hirnelektrische Stille nachgewiesen wird. Sind diese Kriterien erfüllt, wird der oder die Betroffene für hirntot erklärt. Für die Verfechter des Konzepts "Hirntod" ist mit dem meßbaren Ausfall des Gehirns der Sterbeprozeß des Menschen beendet. Denn mit dem Tod des Gehirns fehle die Einheit, die die einzelnen Körpertätigkeiten zum ganzen Lebewesen verbinde und zusammenfasse. Es gebe keinerlei Möglichkeit zu irgendeinem Verhalten und Handeln, zu irgendeiner Empfindung und Wahrnehmung - auch nicht von Schmerzen -, zu selbständigem Wachstum, selbständiger Reife und zur selbstbestimmten Fortpflanzung mehr. So lauten die Argumente. Doch spätestens seit der Expertenanhörung des Deutschen Bundestages zur Bewertung des "Hirntods" am 28. Juni 1995 muß die Gleichsetzung des "Hirntods" mit dem Tod des Menschen als widerlegt angesehen werden. Das Konzept vom "Hirntod" ist nicht auf einen Konsens innerhalb und zwischen natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen gegründet. Eine Vielzahl von ExpertInnen hat darauf hingewiesen, daß der "Hirntod" zwar mit dem Tod des Menschen eng verknüpft ist, aber nicht mit dem Tod gleichgesetzt werden darf. Die Ergebnisse der Anhörung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Der Verlust aller Hirnfunktionen kann prinzipiell nicht nachgewiesen werden, weil die gesamten Hirnfunktionen weder bekannt noch meßbar sind. Es ist nicht völlig sicher, daß zum Zeitpunkt der Feststellung des sogenannten Hirntods in allen Fällen der Ausfall des ganzen Gehirns eingetreten ist. Die Frage, ob ein für "hirntot" erklärter Mensch noch elementare Empfindungen haben kann, läßt sich naturwissenschaftlich nicht klären. Die Grenzen des wissenschaftlich Beschreibbaren dürfen aber nicht mit den Grenzen der Wirklichkeit gleichgesetzt werden. Auch nach dem sogenannten Hirntod gibt es Wechselbeziehungen zwischen Organismus und Umwelt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß auch Teile des Rückenmarks mit der Integration des autonomen Selbst zu tun haben, denn es integriert die Sensibilität und Motorik fast des gesamten Körpers. Die Reduktion menschlichen Lebens auf Leistungen des menschlichen Gehirns ist unzulässig. Der Zusammenbruch des Hirns darf höchstens als ein Übergangsstadium im Sterbeprozeß betrachtet werden. Es wird künstlich festgelegt, um eine Organentnahme zu ermöglichen. Aus all dem folgt: "Hirntote" sind unumkehrbar Sterbende, somit aber lebende Menschen. Der "Hirntod" ist nicht gleichbedeutend mit dem Tod des Menschen. Kritische Stimmen zur Bewertung des "Hirntods" "Es ist naturwissenschaftlich nicht zulässig, vom Bewußtseinverlust ... zu reden, weil Bewußtsein etwas ist, was im strengen Sinne nicht beobachtet werden kann und deswegen auch nicht allein von Naturwissenschaftlern bewertet werden kann." Prof. Dr. Klaus Dörner, 28.6.95 "Es ist nicht wissenschaftlich erwiesen, daß ein als hirntot definierter sterbender Mensch keine archaischen Empfindungen mehr hat. Das Erlöschen der Schmerzreaktion reicht dazu nicht aus, wie man aus der Narkoseforschung weiß. Das mit dem Hirntodkonzept verbundene Leib-Seele-Problem ist ungelöst." Dr. Andreas Zieger, 28.6.95 "Das Gehirn darf nicht als Obersteuerorgan und als ganzmachendes Organ mystifiziert werden, das sage ich ganz ausdrücklich als Hirnforscher. Ebenso darf die Tatsache, daß der Hirntod den Gesamttod unweigerlich nach sich zieht, nicht als Besonderheit des Gehirns bewertet werden. Das Versagen der Nieren führt genauso unweigerlich zum Tod eines Menschen wie der Ausfall des Hirnstamms, sofern man nicht ihre Funktion ersetzt hat." Prof. Dr. Gerhard Roth, 28.6.95 "Solange ein hirntoter Mensch auf einer Intensivstation äußerlich nicht zu unterscheiden ist von bewußtlosen lebenden Patienten, solange er von seiner Umgebung, von den Pflegekräften, insbesondere aber von seinen Angehörigen als lebend erfahren und wahrgenommen wird, ist er Person in einem sozialen Kontext." Prof. Dr. Linus Geisler, 28.6.95 Stellungnahmen aus der Anhörung des Deutschen Bundestages am 28. Juni 1995 "Hirntod" unumkehrbarer Ausfall aller meßbaren Hirnfunktionen Ein Mensch im Zustand des unumkehrbaren Ausfalls aller meßbaren Hirnfunktionen auf der Intensivstation ist nicht nur warm und durchblutet, sondern bewegt sich spontan, aber auch nach Verletzung, das sogenannte Lazarussyndrom. Noch Tage nach der Feststellung des unumkehrbaren Ausfalls aller meßbaren Hirnfunktionen ließen sich in deutschen und japanischen Studien noch normale Spiegel von Hormonen feststellen, die nur im Gehirn produziert werden. Bei manchen als "hirntot" diagnostizierten Kindern ließen sich noch Durchblutung und Stoffwechselaktivitäten im Hirn nachweisen. Männer im Zustand des irreversiblen Ausfalls aller meßbaren Hirnfunktionen sind fortpflanzungsfähig. Sie können Erektionen und Samenergüsse bekommen. Schwangere im Zustand des irreversiblen Ausfalls aller meßbaren Hirnfunktionen sind in der Lage, gesunde Kinder zu gebären. Das Verfassungsrecht Das bestehende Recht reicht nicht aus. Seitdem das Konzept vom "Hirntod" in die Diskussion geraten ist und von vielen ExpertInnen als widerlegt angesehen wird, ist eine Neuregelung unabdingbar. Es fällt nicht in die Kompetenz des Gesetzgebers oder der Rechtswissenschaft, eine naturwissenschaftliche Kontroverse zu entscheiden. Wenn es aber begründete Zweifel daran gibt, ob ein Mensch im Zustand des unumkehrbaren Hirnversagens tot ist, dann gebietet es unsere Verfassung, diesem Zweifel unbedingt Rechnung zu tragen. Verfassungsrechtlich gilt: "In dubio pro vita" - schon Zweifel daran, ob ein Mensch noch lebt, bedeuten, daß von dessen Leben auszugehen ist. Mit unserer Verfassung ist es nicht vereinbar, menschliches Leben vom Nachweis einer wie auch immer gearteten geistigen Leistungsfähigkeit abhängig zu machen. Da die begründete Annahme besteht, daß der unumkehrbare Ausfall aller meßbaren Hirnfunktionen ein Übergangszustand im Sterbeprozeß ist, der künstlich festgelegt wird, handelt es sich bei Menschen in diesem Zustand um Sterbende, also noch lebende Menschen. Der Gesetzgeber darf nicht zu Lasten dieser Menschen verfügen, daß sie Tote seien. Damit sind alle Gesetzentwürfe - schon aus verfassungsrechtlichen Gründen - zum Scheitern verurteilt, die den irreversiblen Ausfall aller meßbaren Hirnfunktionen als Todeskriterium festzuschreiben versuchen. Menschsein nur mit Bewußtsein? Eine Gesellschaft, die den irreversiblen Ausfall von Teilen des Hirns als Todeskriterium akzeptiert, könnte früher oder später darauf verfallen, dieses Kriterium auch auf andere Personengruppen anzuwenden. In den USA werden nach einem Beschluß der American Medical Association AMA bereits Neugeborene ohne Großhirn als Organspender betrachtet, obwohl sie nach dem Kriterium "Hirntod" nicht als Tote gelten - wegen des großen Bedarfs an Organen und der "fehlenden Lebensperspektive". Unter Philosophen mehren sich bereits die Stimmen, die das Menschsein nur noch beim Vorhandensein "höherer Fähigkeiten" wie Denken, Erinnern und Kommunikationsfähigkeit anerkennen wollen: "Der Teilhirntod", so heißt es, "ist nichts anderes als der zu Ende gedachte Hirntod."Sie schlagen vor, zwischen dem Tod des Organismus und dem Tod der Person zu unterscheiden. Bei dieser Lage wäre es verhängnisvoll, die Entscheidung der Frage, wann ein Mensch tot ist, einzig vom Bedarf der Transplantationsmedizin abhängig zu machen. Organentnahme ohne das Konzept vom "Hirntod" "Wenn der Hirntod nicht als Tod des Menschen gilt, kann und wird es in Deutschland keine Organentnahme mehr geben, denn dann würde jede Explantation eine Tötung des Spenders bedeuten." Mit solchen Äußerungen pochen Verfechter der Transplantationsmedizin darauf, daß ohne Anerkennung des Konzepts vom "Hirntod" keine Transplantation möglich sei. Doch obwohl der sich im Zustand des unumkehrbaren Ausfalls aller meßbaren Hirnfunktionen befindende Mensch lebt, ist die Entnahme lebenswichtiger Organe zu Transplantationszwecken sowohl ethisch begründbar als auch verfassungsrechtlich möglich. Sie erfordert keine Ausnahme vom Tötungsverbot, was verfassungsrechtlich bedenklich wäre. Allerdings ist eine solche Entnahme dann zwingend mit der sogenannten engen Zustimmungslösung verbunden. Der oder die Betroffene muß vorab einer Organentnahme zugestimmt haben, und zwar für den Fall, daß bei ihm oder ihr der irreversible Ausfall der meßbaren Hirnfunktion festgestellt wird. Der "Hirntod" ist dabei kein Todes-, sondern ein Entnahmekriterium. Darüber hinaus muß der Gesetzgeber für Rechtssicherheit sorgen und vorschreiben, daß zur Feststellung dieses Kriteriums sämtliche medizinische Fragen geklärt sind. Der Ausfall aller meßbaren Hirnfunktionen bezeichnet einen todesnahen Zustand. In diesem Zustand ist es der Medizin nicht mehr erlaubt, den Sterbeprozeß intensivmedizinisch aufzuhalten, also das Sterben zu verlängern. Denn es geht um den Respekt vor dem sterbenden Menschen und dessen Recht auf einen würdigen Tod. Eine Ausnahme ist nur möglich, wenn der oder die Sterbende zuvor ausdrücklich verfügt hat, daß sie im Interesse der Lebensrettung oder Leidensminderung eines anderen Menschen einer kurzfristigen Verlängerung des eigenen Sterbens zustimmt. Ist Organentnahme Tötung auf Verlangen? Zuweilen wird uns der Vorwurf gemacht, mit unseren Vorstellungen zu einem Transplantationsgesetz machten wir Zugeständnisse an eine Freigabe der Tötung auf Verlangen. Das sehen wir anders. Bei Menschen, deren unumkehrbarer Ausfall aller meßbaren Hirnfunktionen diagnostiziert ist, führt der Abbruch aller intensivmedizinischen Unterstützung unmittelbar zum Stillstand von Herz und Kreislauf und damit zum Tod. Wir sind der Auffassung, daß es der Intensivmedizin nicht erlaubt sein solle, das Sterben künstlich zu verlängern. Eine Einwilligung in eine kurzfristige Verlängerung des Sterbens zugunsten Dritter hat jedoch mit der Tötung auf Verlangen nichts zu tun. Sie stellt einen selbstgewählten Verzicht des "hirntoten" Menschen auf die Integrität seines Sterbeprozesses dar. Wer zur Organspende bereit ist, nimmt eine Verlängerung seines Sterbens in Kauf, um das Leben eines anderen zu retten. A-1866 BEKANNTGABENDERHERAUSGEBER (58) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 30, 24. Juli 1998 Protokoll zur Feststellung des Hirntodes Name______________________________Vorname_____________________ geb.:________________ Alter:__________ Klinik:_____________________________________________________________________________________ _________ Untersuchungsdatum:_________________Uhrzeit:______________________ ProtokollbogenNr.:___________________ 1. Voraussetzungen 1.1 Diagnose___________________________________________________________________________________ ____ Primäre Hirnschädigung:_________ supratentoriell_________________ infratentoriell_________________________ Sekundäre Hirnschädigung:________________________________________________________________________ Zeitpunkt des Unfalls/Krankheitsbeginns:_____________________________________________________________ 1.2 Folgende Feststellungen und Befunde bitte beantworten mit ja oder nein Intoxikation ausgeschlossen:____________________________________________ Relaxation ausgeschlossen:____________________________________________ Primäre Hypothermie ausgeschlossen:____________________________________________ Metabolisches oder endokrines Koma ausgeschlossen:____________________________________________ Schock ausgeschlossen:____________________________________________ Systolischer Blutdruck ______________mmHg 2. Klinische Symptome des Ausfalls der Hirnfunktion 2.1 Koma_____________________________________________________________________________________ ____ 2.2 Pupillen weit / mittelweit Lichtreflex beidseits fehlt___________________________________________ 2.3 Okulo-zephaler Reflex (Puppenkopf-Phänomen) beidseits fehlt___________________________________________ 2.4 Korneal-Reflex beidseits fehlt___________________________________________ 2.5 Trigeminus-Schmerz-Reaktion beidseits fehlt___________________________________________ 2.6 Pharyngeal-/Tracheal-Reflex fehlt___________________________________________ 2.7 Apnoe-Test bei art. pa CO2 _________mmHg erfüllt__________________________________________ 3. Irreversibilitätsnachweis durch 3.1 oder 3.2 3.1 Beobachtungszeit: Zum Zeitpunkt der hier protokollierten Untersuchungen bestehen die obengenannten Symptome seit ________ Std. Weitere Beobachtung ist erforderlich ja____________________ nein____________________________ mindestens 12/24/72 Stunden 3.2. Ergänzende Untersuchungen: 3.2.1 Isoelektrisches (Null-Linien-) EEG, _____ ______ ______________ _____________ _____________ 30 Min. abgeleitet: ja nein Datum Uhrzeit Arzt 3.2.2 Frühe akustisch evozierte Hirnstamm- _____ ______ ______________ _____________ _____________ potentiale Welle III–V beidseits erloschen ja nein Datum Uhrzeit Arzt _____ ______ ______________ _____________ _____________ Medianus-SEP beidseits erloschen ja nein Datum Uhrzeit Arzt 3.2.3 Zerebraler Zirkulationsstillstand beidseits festgestellt durch: Dopplersonographie:_____________Perfusionsszintigraphie:____________ Zerebrale Angiographie:____________ Datum________________ Uhrzeit_____________________ untersuchender Arzt____________________________ Abschließende Diagnose: Aufgrund obiger Befunde, zusammen mit den Befunden der Protokollbögen Nr.___________, wird der Hirntod und somit der Tod des Patienten festgestellt am:____________ um_________ Uhr. Untersuchender Arzt:____________________________________________ _____________________________________ Name Unterschrift 3. Postmortale Schwangerschaft Die hier skizzierten Probleme der Biotechnologien kulminieren auf sehr spezifische Weise in dem Moment, wo Schwangerschaft und Hirntod in Konstellation treten. In den letzten 15 Jahren gab es eine Reihe von solchen Fällen, von denen in Deutschland wahrscheinlich der sogenannte "Erlanger Fall" vom Oktober 1992 den größten Bekanntheitsgrad und die höchste massenmediale Aufmerksamkeit erreicht hat.12 Jedoch treten bei allen postmortalen Schwangerschaften dilemmatische Interessenund Wertekonflikte auf, die symptomatisch für das Kontingentwerden der Grenzen von Leben und Tod sind, und die auf die Auflösung der biologischen, psychischen und sozialen Einheit des Menschen hindeuten. Die Entwicklung von Reproduktionstechnologien wie In-vitro-Fertilisation, Embryotransfer und "Leihmutterschaft" erzeugt zunächst einen Konflikt zwischen Schwangerer und Fötus. Nur auf der Grundlage dieser Technologien ist es möglich, die Einheit von schwangerer Frau und Leibesfrucht aufzulösen und die Schwangere zum bloß passiven Reproduktionsumfeld umzudefinieren: Schwangerschaft wird auf die biologischen Funktionen der Gebärmutter reduziert und die Prozesse in der Gebärmutter werden zum Gegenstand wissenschaftlich-technischer Optimierung bis hin zur Idee der "künstlichen Gebärmutter".13 Die bereits behandelte perinatale Medizin und pränatale Diagnostikwerkzeuge wie Ultraschall- und Fruchtwasseruntersuchung vervollständigen die Aufspaltung der Einheit von Schwangerer und Leibesfrucht, indem sie das Konzept eines autonomen, mit personalen Eigenschaften ausgestatteten Föten konstituieren. Vor allem die Ultraschalltechnik hat mit der Sichtbarmachung des Föten eine ganz eigene Ikonologie des pränatalen Lebens erzeugt und damit wesentlich zur Vorstellung der autonomen fötalen Person beigetragen.14 Beim "Erlanger Fall" ist dies nicht zuletzt mit der Veröffentlichung des Ultraschallfotos drastisch klar geworden. An die Stelle einer Einheit von schwangerer Frau und dem in ihr wachsenden Leben ist eine durch die präventivmedizinischen Technologien sichtbar gemachte grundsätzliche Differenz zwischen Frau und Fötus getreten. Die schwangere Frau wird nun als Quelle von die Leibesfrucht bedrohenden Krankheiten, Interventionen und Störungen, und damit als Risikofaktor für das "ungeborene Leben" betrachtet. Zugleich wird aus der medizintechnologisch gestützten Unterstellung fötaler Personalität ein allgemeines Lebensrecht des Föten postuliert, das dann als konfligierender Wert gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau ins Feld geführt wird. An die Stelle der "Lebensgemeinschaft von Mutter und Embryo", die sich durch den Tod der Schwangeren, wie es der Rechtswissenschaftler Koch formuliert, als "Schicksalsgemeinschaft [... ] erfüllt", tritt nun der Rechtskonflikt zwischen den "angeblich selbständigen Rechtsgüter[n] Mutter und Fetus".15 Dieser Rechtskonflikt ist freilich nicht erst beim Problem der postmortalen Schwangerschaft, sondern bereits bei der Abtreibungsfrage ethisch und juristisch relevant: In der geltenden Fassung des § 218 gilt nicht allein die Schwangere als Rechtsperson, sondern auch der Fötus. Er ist damit, wie die russische Puppe, eine in eine andere Person geschachtelte Person. Das Schachtelungsparadoxie wird dabei durch die Einschränkung des Selbstbestimmungsrechtes der Schwangeren zugunsten des fötalen Lebensrechtes aufgelöst, was jedoch auf eine (temporäre) Entpersonalisierung der Frau hinausläuft. Die moderne Intensivmedizin hat die künstliche Verlängerung des Lebens ermöglicht und damit, wie zu Beginn bereits ausgeführt, zugleich die Möglichkeit der Erhaltung vegetativer Vitalfunktionen über das Erlöschen der Hirnfunktionen hinaus, etwa für Organtransplantationen, mit sich gebracht. Hirntote Patienten können, wie im Fall postmortaler Schwangerschaft, auch zum Gegenstand medizinischer Versuche werden. Dies kann zu einem Konflikt zwischen dem Interesse der sterbenden Person (und ihrer Angehörigen) auf einen würdevollen Tod und dem intensivmedizinisch-wissenschaftlichen Interventionsinteresse führen. Eine unvermeidliche Folge dieses Widerspruchs ist die Notwendigkeit der Definition klarer und distinkter Todeskriterien, um die immer länger werdende Spanne zwischen Lebensende und endgültigem Tod medizinisch, juristisch und sozial zu regulieren. Das allgemein gebräuchliche Hirntodkriterium ist jedoch, wie bereits erwähnt, nicht unumstritten. Durch dieses Todeskriterium wird der Sterbeprozeß auf drastische Weise in ein momentanes, mit technischen Mitteln bestimmbares Ereignis verwandelt (Stichwort "maschinenlesbarer Tod"). Damit aber kehrt sich der Ablauf des Sterbeprozesses radikal um: Der Tod geht nun dem Sterben voran. Der Tod ist nicht mehr Resultat und Ende eines irreversiblen Prozesses, sondern ein willkürlich und künstlich festgesetzter Schwellenwert, nach dem die vegetativen Vitalfunktionen intensivmedizinisch erhaltbar bzw. abstellbar sind. Erst mit dem Abstellen kann dann der Sterbeprozeß endgültig abgeschlossen werden. Diese Umkehrung bedeutet den Verlust der noch verbliebenen personaler Autonomie der sterbenden Person und eine Verdrängung der personalen und sozialen Aspekte von Tod und Sterben. Dabei entsteht der folgende Widerspruch: Auf der einen Seite steht die Persönlichkeit des sterbenden Individuums: Sterben ist hier ein privates und persönliches Geschehen, das im sinnlich erfahrbaren Erlöschen aller Vitalfunktionen dem Tod kulminiert, und das von sozialen Ritualen begleitet ist. Selbst nach dem Tod gilt hier der Körper nicht als bloßes Mittel zum Zweck. Auf der anderen Seite steht der zum Forschungs- und Explantationsgegenstand objektivierte Körper, der nur dem Anschein nach noch lebendig ist. Das medizinisch-juristische Hirntodkriterium konstituiert hier eine scharfe Trennung zwischen der prämortalen Person und dem postmortalen Körper. Die beiden beschriebenen Konfliktfelder geraten beim Zusammenteffen von Hirntod und Schwangerschaft in ein ganz neues Licht. In dieser Konstellation verändern und verstärken sich die bereits bestehenden Konfliktlagen mit paradoxen Folgen: Die hirntote Schwangere ist nicht mehr in der Lage, ihren Willen zu äußern und ihr Selbstbestimmungsrecht einzufordern. Die Personalität des Föten, sofern man diese unterstellt, ist sowohl durch die Unwahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Verlaufs der künstlichen Schwangerschaft, als auch durch die Unmöglichkeit einer Beziehung zwischen Mutter und Fötus ernsthaft in Frage gestellt. Die Intensivmedizin ermöglicht auf der einen Seite diese ungewöhnliche und experimentelle Form der Schwangerschaft, auf der anderen Seite erhebt sich damit die Frage, ab wann und unter welchen Umständen es einer schwangeren Hirntoten erlaubt sein soll, zu sterben. Weil die hirntote Schwangere, so wurde im Erlanger Fall argumentiert,16 rechtlich gesehen als Gegenstand gelte, könne ohne Bezug auf den Willen der Frau die Schwangerschaft künstlich fortgesetzt und der Sterbeprozeß auf unbestimmte Zeit ausgedehnt werden. Damit ergibt sich aber folgendes Dilemma: Das "Lebensrecht" des als Person betrachteten Föten kann nur verwirklicht werden, wenn zuvor die Frau zum Objekt ohne personale Eigenschaften gemacht wurde; wenn jedoch die Personalität der Frau anerkannt wird und man sie in Würde sterben läßt, muß umgekehrt der Fötus als untergeordneter Wert und bloßes Objekt betrachtet werden letzteres zumindest, sobald man die Einheit von Schwangerer und Leibesfrucht nicht mehr unterstellt. In dieser dilemmatischen Konstellation wird das Individuum "Mensch" auf vielfache Weise aufgelöst: Mit dem im Erlanger Fall durch moralisierende Argumentationen und in anderen Fällen auch juristisch durchgesetzten Anspruch eines auch nach dem Tod der Schwangeren aktiv zu verwirklichenden Lebensrechtes des Föten17 wird von der Einheit, die eine Schwangerschaft als biologischer, psychischer und zugleich sozialer Prozeß dar stellt, abstrahiert und allein auf die biotechnologische Möglichkeit einer artifiziell fortgesetzten Entwicklung des Föten abgestellt. Mit dieser Umdefinition der sterbenden Schwangeren zum biotechnischen Brutkastenersatz werden zunächst die Individualität und die Würde der Sterbenden negiert: Der Sterbeprozeß, der dem Menschen ebenso wesentlich eigen ist, wie das Leben, wird auf unbestimmte Zeit aufgeschoben, womit auch das kulturell und sozialpsychologisch wichtige Sterbe- und Begräbnisritual ausgesetzt ist; der Leichnam wird erst nach seiner biotechnischen "Vernutzung" an die Angehörigen zurückgegeben. Darüber hinaus ist auch der Fötus als in der Entwicklung begriffenes menschliches Wesen selbst auf kaum abschätzbare Weise von diesem Experiment betroffen: Über mögliche biologische und psychische Folgen einer postmortalen Schwangerschaft für das daraus hervorgehende Kind kann derzeit noch ebenso wenig gesagt werden, wie über die mögliche soziale Stigmatisierung eines solchen "Totenkindes". Bekannt ist jedoch, daß eine normale Schwangerschaft weit mehr ist als die bloße Gewährung eines biologischen Reproduktionsumfeldes, da sich schon sehr früh vielschichtige (nicht nur biologische) Interaktionen zwischen Mutter und Leibesfrucht abspielen, welche die Grundlage für die biopsychosoziale Beziehung zwischen ihnen darstellen.18 Erwähnt sei schließlich auch, daß zumindest der in der Öffentlichkeit vieldiskutierte "Erlanger Fall" eine überaus starke, vorwiegend negative Reaktion provoziert hat, was sich unter anderem auch "an der prompt zurückgehenden Bereitschaft zur Organspende zeigte".19 Dies ist allerdings, wie Schöne-Seifert argumentiert, vor dem Hintergrund eines bereits bestehenden Mißtrauens gegenüber der modernen Medizin zu sehen. Der "Erlanger Fall" hat diesen Vertrauensschwund noch verstärkt: "Erschüttert zeigt sich etwa das Vertrauen in den irreduzibel privaten und persönlichen Charakter von Mutterschaft (das zeigen die heftigen Reaktionen von Feministinnen); ferner das Vertrauen in die natürliche Sensibilität und Humanität von Ärtzen (das erweisen die Vorwürfe, es handele sich in Erlangen um ein Experiment); das Vertrauen in die Aufhaltbarkeit eines falschverstandenen medizinischen Fortschritts (dazu die 'Frankenstein'-Vorwürfe); und schließlich das Vertrauen in die Hirntoddefinition (schon durch solche Redeweisen wie 'gesunde Tote' oder 'Leiche künstlich am Leben gehalten'; und dadurch, daß gerichtlich ein Betreuer bestellt wurde, um die Interessen der Toten zu vertreten, wird das Problem nur verschärft)."20 4. Ethische Kontingenzreflexion Die ethische Fragestellung, in der alle diese Probleme schließlich zusammenlaufen, lautet: Kann es für den Versuch, die vegetativen Vitalfunktionen einer hirntoten Frau zur künstlichen Schwangerschaftsfortsetzung zu erhalten, überhaupt eine ethische Rechtfertigung (oder gar eine Verpflichtung) geben, und wenn ja: welche Form muß diese angesichts der beschriebenen Dilemmata aufweisen? Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist sicherlich, ob man den Fötus als eine Person mit eigenem, positiv und aktiv zu verwirklichendem Lebensrecht betrachtet oder nicht. Bei der Auseinandersetzung mit dieser Frage tauchen grundlegende Wertekonflikte auf, die ich abschließend in Frageform gegenüberstellen will: 1. Kann die Aussicht auf ein mögliches extrauterines Überleben des Fötus als hinreichender Rechtfertigungsgrund für die Fortführung einer postmortalen Schwangerschaft gelten, wenn dies mit dem Verlust der Würde der Sterbenden und der Auflösung der Einheit von Schwangerer und Leibesfrucht erkauft ist? 2. Ist im weiteren Sinne also die beschriebene Auflösung der Einheit des Menschen (i.e. seine Transformation vom Individuum zum "Dividuum") durch die modernen Biotechnologien als Nebenfolge in Kauf zu nehmen oder stellt dies eine ethisch nicht mehr zu rechtfertigende Grenzüberschreitung dar? 3. Wie ist theoretisch und praktisch mit dem Umstand umzugehen, daß Zustimmungsfähigkeit und gar "informed consent" weder bei der Hirntoten noch beim Fötus vorliegen? Kann hier eine Regelung wie bei der (ja noch umstrittenen "erweiterten Zustimmungslösung" zur) Organspende befriedigen? 4. Sind die sozialen Kosten der postmortalen Schwangerschaft, wie Vertrauensverlust gegenüber Ärzten und Experten, sowie gegenüber medizinischen Verfahren und Technologien, moralisch und gesellschaftlich vertretbar, oder ist der zu erwartende Schaden hier größer als der unterstellte Nutzen? Ich kann hier nur die Problemlage und die daraus erwachsenden Fragen benennen, um die diversen Kontingenzen der Problematik zu verdeutlichen. Durch die Reflexion dieser Kontingenzen und der konfligierenden Werte wird die Problematik einer ethischen Bewertung21 zugänglich. Die ethische Bewertung selbst hängt dabei allerdings nicht zuletzt auch von dem gewählten ethischen Ansatz ab: Während utilitaristische Ethiken vermutlich die erwartbaren Nutzeffekte (medizinische Forschung, Überleben des Föten) favorisieren werden, ist von an der Autonomie des Individuums orientierten Freiheitsethiken eher eine Betonung des Selbstbestimmungsrechtes auch im Angesicht des Todes und der Zustimmungsfähigkeit als Entscheidungskriterium zu erwarten.22 Bei anderen Ethiktypen, wie Werte-, Mitleids-, Pflicht- und Verantwortungsethiken, wird die Art der Bewertung wiederum davon abhängen, ob der Fötus als Person mit eigenständigem Lebensrecht angesehen wird. Die Tatsache, daß die philosophische Ethik hier keine eindeutige Antwort geben kann, verweist darauf, daß zur ethischen Kontingenzreflexion auch die metaethische Reflexion des Ergänzungs- bzw. Konfliktpotentials verschiedener Ethiken gehört. Eine handlungsleitende ethische Beurteilung des Problems postmortaler Schwangerschaft kann deshalb nur durch praktische Diskurse in der Gesellschaft, nicht aber durch die Moralphilosophie allein legitimiert werden. Aus diesem Grund ist auch in diesem Konfliktfeld eine intensive ethische und metaethische Diskussion in der fachlichen wie auch (soweit möglich) in der allgemeingesellschaftlichen Öffentlichkeit anzustreben. Das Fernziel solcher Diskurse wäre die Überwindung von technologischer Machbarkeitsideologie und bloß technikfeindlicher Moralisierung durch ein ethisch reflektiertes Kontingenzbewußtsein. Anmerkungen 1 Das inzwischen geltende Embryonenschutzgesetz hat darauf zwar eine verbindliche Antwort gegeben (nämlich Verbot der verbrauchenden Forschung und die Erlaunbis des Absterbenlassens überzähliger Embryonen) die fortdauernde Diskussion zeigt jedoch, daß zumindest die ethischen Probleme damit noch nicht gelöst sind. *** ZURÜCK *** 2 Wobei auch die Anwendbarkeit des Hirntodkriteriums auf Embryonen zu diskutieren wäre. Selbst wenn aber hier befriedigende moralisch-rechtliche Regelungen gefunden werden, so ist ein Mißbrauch nicht ausgeschlossen, da sich längst ein internationaler "grauer" Markt entwickelt hat (Vgl. Ulrich Schabel in: Die Zeit vom 26.5.95, S. 41). *** ZURÜCK *** 3 Vgl. die Diskussion in: Hoff, Johannes/in der Schmitten, Jürgen (Hrsg.):. Wann ist der Mensch tot? Hirntodkriterium und Organverpflanzung. Hamburg 1994, des weiteren: Jonas, Hans. Technik, Medizin und Ethik. Frankfurt 1987; Emanuel, Ezekiel J.: The Ends of Human Life. Cambridge, MA, 1992 und Brock, Dan W.: Life and Death. Philosophical Essays in Biomedical Ethics Cambridge (Engl.) 1994. *** ZURÜCK *** 4 Vgl. König, Bettina: Todesbegriff, Todesdiagnostik und Strafrecht. Frankfurt [Diss.] 1989. *** ZURÜCK *** 5 Umstritten ist etwa, ob beobachtbare Aktivitäten der Hirnanhangdrüse, die in engem Zusammenspiel mit dem Zwischenhirn (Hypothalamus) steht, als Indikator für noch bestehende Hirnfunktionen gelten soll oder nicht. Da eine Resttätigkeit des Hirnstammes, d.h. des Mittel-, Zwischen- und Nachhirns, noch lange nach Erlöschen der üblicherweise gemessenen Hirnaktivitäten vorliegen kann, ist es kein Zufall, daß sich die Stimmen mehren, die den Todeszeitpunkt auf den Ausfall der "höheren" Hirnfunktionen, also des Großhirns, vorverlegen und damit das Todeskriterium schon mit dem Teilhirntod ansetzen wollen. *** ZURÜCK *** 6 Hier stellt sich übrigens auch die Frage, wie die Irreversibilität eines Komas zu bestimmen ist, zumal immer wieder Fälle von reanimierten Komapatienten bekannt werden. *** ZURÜCK *** 7 Bayertz, Kurt/Schmitt, Kurt: Die hirntote Schwangere und ihr lebender Fötus. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 12/1992, S. 1498f. *** ZURÜCK *** 8 Herrmann, Martina: Das Leben des Fötus von Erlangen. In: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Heft 89, 22. Jg., 1992, S. 661-670, hier: S. 668. *** ZURÜCK *** 9 Vgl. Die Zeit vom 22.10.1993, S. 23, und Die Tageszeitung vom 20.11.1993, S. 1617. *** ZURÜCK *** 10 Vgl. Schmidt, Volker H.: Politik der Organverteilung. Baden-Baden 1996. *** ZURÜCK *** 11 Vgl. Die Tageszeitung vom 29.5.1995, S. 13. *** ZURÜCK *** 12 Vgl. Bockenheimer-Lucius/Seidler 1993, und Hinrichsen, Klaus (Hrsg.): Sterben und Schwangerschaft. Bochum 1994. Der jüngste und vielleicht makaberste Fall hat sich unlängst in den USA ereignet: "Born. To an unidentified U.S. woman, 29, comatose since a 1985 car accident: a healthy, premature, 1.2-kg son; in Rochester, New York. After discovery that the patient was pregnant, apparently by a rapist in the nursing home, her Roman Catholic parents opposed an abortion igniting a painful ethical debate." (TIME, April 1, 1996, S. 17). *** ZURÜCK *** 13 Vgl. Corea, Gena: The Mother Machine. Reproductive Technologies from Artificial Insemination to Artificial Wombs. New York 1985 und Schindele, Eva: Gläserne Gebär-Mütter. Frankfurt 1990. *** ZURÜCK *** 14 Vgl. Petchesky, Rosalind Pollack: Foetal Images: The Power of Visual Culture in the Politics of Reproduction, in: Stanworth, Michele (ed.): Reproductive Technologies. Gender, Motherhood, and Medicine. Cambridge (Engl.) 1987, S. 5780; sowie Duden, Barbara: Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Hamburg 1991. *** ZURÜCK *** 15 H.G.Koch, in: Bockenheimer-Lucius/Seidler 1993 a.a.O. S. 81f.; vgl. auch Robertson, John A.: Children of Choice. Freedom and the New Reproductive Technologies. Princeton 1994, und Petchesky, Rosalind Pollack: Abortion and Woman's Choice. The State, Sexuality, and Reproductive Freedom. Boston 1985. *** ZURÜCK *** 16 Vgl. die Einlassungen von Wuermeling und Scheele in BockenheimerLucius/Seidler 1993 a.a.O. *** ZURÜCK *** 17 Vgl. Bockenheimer-Lucius/Seidler 1993 a.a.O. *** ZURÜCK *** 18 Vgl. Petchesky 1985 a.a.O. *** ZURÜCK *** 19 Birnbacher, Dieter: Schwangerschaft hirntoter Frauen: Logik medizinischer Konsequenzen? In: Wolfgang Greive/Karl-Heinz Wehkamp (Hrsg.): Erzeugung und Beendigung des Lebens? Das Menschenbild der Medizin und seine Konsequenzen. Loccum 1995, S. 39-50, hier: S. 49. *** ZURÜCK *** 20 Bettina Schöne-Seifert: Der "Erlanger Fall" im Rückblick: eine medizinethische Lektion? In: Ethik in der Medizin (1993) Heft 5, S. 13-23, hier S. 22. *** ZURÜCK *** 21 Vgl. Hubig, Christoph: Technik- und Wissenschaftsethik. Berlin/Heidelberg/New York 1993. *** ZURÜCK *** 22 Ich selbst neige einem freiheitsethischen Ansatz zu, der auf der reziproken Konstitution und Anerkennung von Individuen in Interaktions- und Kommunikationsprozessen beruht. *** ZURÜCK ***