Hintergrund

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EUROPÄISCHES ARMUTSNETZWERK
Manifest zu den Wahlen des Europäischen
Parlaments 2004
Soziale Solidarität und Beseitigung von Armut:
Eine Vision für eine erweiterte Europäische Union
Hintergrund
Die Europawahlen 2004 sind eine Gelegenheit, eine demokratische Debatte darüber zu führen,
welches Europa wir wollen. Eine Europäische Union, die ihren Bürgern und Bürgerinnen nahe
sein will, darf nicht nur Regeln ökonomischer und technischer Art haben, sondern muss sich auf
soziale Werte und demokratische Teilhabe gründen.
Diese Wahlen finden zu einem entscheidenden Zeitpunkt europäischer Geschichte statt: Die
Europäische Union wird auf ein Europa mit 25 Staaten erweitert und ein europäischer
Verfassungsvertrag wird erarbeitet.
Die Wahlen finden auch zu einem Zeitpunkt statt, wo der Einfluss des Europäischen Parlamentes
im Entscheidungsprozess gegenüber den beiden anderen wesentlichen Institutionen – der
Europäischen Kommission und dem Rat der Europäischen Union - gestärkt wird. Die Ergebnisse
dieser Wahl werden sich auf die künftige Europäische Kommission und insbesondere die Wahl
des Präsidenten der Kommission auswirken.
Während der Legislaturperiode dieses Parlamentes wurden wichtige Maßnahmen zur
Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ergriffen; insbesondere wurde die
europäische Strategie zur sozialen Integration mit nationalen Aktionsplänen entwickelt. Und doch
verhindern diese Fortschritte nicht, dass mehr als 55 Millionen Menschen in der Union der 15
Staaten und Millionen weitere in den neuen Mitgliedsstaaten in Armut und sozialer Ausgrenzung
leben. Die europäischen Abgeordneten als Volksvertreter müssen gewährleisten, dass sie auch die
Interessen dieser Bürger und Bewohner repräsentieren und verteidigen. Um dieses Ziel zu
erreichen, ist es erforderlich, dass soziale Solidarität und der Kampf gegen Armut und soziale
Ausgrenzung einen höheren Stellenwert auf der politischen Agenda der Europäischen Union
erhalten.
EAPN wird sich aktiv dafür einsetzen, dass die Debatte um soziale Solidarität eine zentrale Rolle
in der Wahlkampagne spielt und dass der Beitrag, den die Europäische Union zur Bekämpfung
von Armut und sozialer Ausgrenzung leisten kann, deutlich wird.
Drei Themen für die Diskussionen während der Wahlkampagne
Diese Wahlkampagne und die öffentlichen Diskussionen, die sie bewirkt, stellen eine besondere
Gelegenheit dar, das nach Ansicht vieler Bürger/-innen und Bewohner/-innen der EU „ferne
Europa“ näher an seine Bürger und Bürgerinnen zu rücken und Themen anzusprechen, die dies
bewirken.
Dies ist eine Herausforderung für all diejenigen, die sich zur Wahl stellen, und vielleicht noch
mehr für diejenigen – insbesondere die Medien -, die dafür verantwortlich zeichnen, dass im
Zusammenhang mit diesen Wahlen eine öffentliche Debatte entsteht.
EAPN möchte, dass folgende Fragestellungen während der Wahlkampagne angesprochen
werden :
1. Mehr als 55 Millionen Menschen in der EU der 15 Staaten und Millionen weitere in den
neuen Mitgliedsstaaten sind von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen
Welches sind die strukturellen Ursachen hierfür in einer Europäischen Union, die doch zu
den reichsten Regionen dieser Welt gehört? Wie kann die Europäische Union ein
Gleichgewicht zwischen ihren Zielen in den Bereichen Soziales, Umwelt und Wirtschaft
herstellen, um zu gewährleisten, dass die Institutionen und ihr Handeln im Dienste der
Menschen und unseres Planeten stehen?
2. Wirtschaftswachstum ist keine Garantie gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Wirtschaftswachstum wird häufig als zentrales Ziel der Europäischen Union beschrieben.
Doch Wirtschaftswachstum kennzeichnet nicht unbedingt eine gesunde Gesellschaft und ist
nicht immer für alle von Nutzen. Wirtschaftswachstum ist auch keine Garantie für mehr und
bessere Arbeitsplätze oder für eine gerechte Verteilung von Einkommen. Vielmehr werden
die Investitionen in Menschen häufig den Zielen des Wettbewerbs und der Rentabilität
unterworfen.
3. In zahlreichen Mitgliedsstaaten der EU sind Zugang und Qualität von
Dienstleistungen abhängig von der Höhe des Einkommens und nicht von der
Umsetzung von Grundrechten.
Unter diesen Umständen, was heißt es, das europäische Sozialmodell zu verteidigen?
Welche Auswirkungen hat die Privatisierung von Gütern und öffentlichen
Dienstleistungen? Akzeptieren weite Teile der Bevölkerung die Gefahr, in Armut zu
fallen oder den Zugang zu Gütern und wesentlichen Diensten zu verlieren? Oder
haben sie einfach nur den Glauben an die Fähigkeit der Politiker und Regierungen
verloren, mit dieser Realität umzugehen?
Sechs Vorschläge für die Wahlprogramme der politischen Parteien und
Gruppierungen
Zur Förderung der Diskussion über ein soziales Europa sollten Wahlprogramme auch
entsprechende Themen aufgreifen. EAPN fordert die politischen Parteien und Gruppierungen auf,
folgende Überlegungen in ihre Programme aufzunehmen:
1. Wahrung der sozialen Fortschritte, die durch den Konvent zur Zukunft Europas und die
Regierungskonferenz für den Verfassungsvertrag bewirkt wurden, insbesondere
Einbeziehung der Bekämpfung sozialer Ausgrenzung in alle Politikbereiche (mainstreaming),
Aufnahme der Grundrechte-Charta und Anerkennung des zivilen Dialogs.
2. Schaffung einer Europäischen Union, die sich auf den Zugang aller zu den Grundrechten
gründet, ebenso wie auf ein Modell nachhaltiger Entwicklung und eine soziale Marktwirtschaft,
die auf soziale Solidarität ausgerichtet ist; einer Union, die ein Gleichgewicht zwischen den
Zielen im sozialen, im Umwelt- und im Wirtschaftsbereich herstellt und darauf achtet, dass dieses
Gleichgewicht sich in den institutionellen Vereinbarungen und in den politischen Prioritäten
widerspiegelt, die alljährlich beim Frühjahrsgipfel und im Rahmen der Strukturfonds vereinbart
werden.
3. Förderung einer gestärkten europäischen Strategie für soziale Eingliederung mit dem Ziel,
einen entscheidenden Beitrag zur Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung bis zum Jahr
2010 zu leisten durch:
 die Festlegung eines europaweiten Zieles zur Reduzierung von Armut und sozialer
Ausgrenzung, ergänzt durch geeignete Feinziele;
 die Stärkung der nationalen Aktionspläne zur sozialen Integration auf der Grundlage von
europäischen Leitlinien und Empfehlungen;
 ein überarbeitetes Aktionsprogramm gegen soziale Ausgrenzung, das die Erweiterung der
Europäischen Union berücksichtigt;
 die Einrichtung eines europäischen Observatoriums für Fragen von Armut und sozialer
Ausgrenzung unter Einbeziehung aller relevanten Akteure;
 die Entwicklung eines besseren Zusammenspiels der Strategien zur sozialen Eingliederung
und zur Beschäftigung und
 die Orientierung der künftigen Programme der Strukturfonds an der Eingliederungsstrategie
einschließlich der Sicherung des Zugangs für Nichtregierungsorganisationen, die in der
Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung tätig sind.
4. die Umsetzung von Ansätzen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, die den
vielfältigen multidimensionalen Charakter von Armut und Ausgrenzung berücksichtigen –
Armut ist nicht nur eine Frage des Einkommens, sondern umfasst Aspekte wie Zugang zu
angemessenem Wohnen, qualitative Gesundheitsversorgung, Zugang zu Pflege für Kinder und
ältere Menschen, Gelegenheiten für lebenslanges Lernen oder kulturelle Teilhabe…und muss auf
das eingehen, was Menschen in Armut und Ausgrenzung selbst über ihre Realität ausdrücken.
5. die Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme, einschließlich der individuellen
Grundsicherung, so dass alle über ein Einkommen verfügen, das ein menschenwürdiges Leben
ermöglicht; die Entwicklung europäischer Mindestnormen im Hinblick auf soziale Sicherung und
Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung.
6. die Weiterentwicklung geeigneter Strategien der Europäischen Union zur Bekämpfung von
Diskriminierungen, die eine Ursache für soziale Ausgrenzung darstellen. Dies betrifft
Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der
Weltanschauung, der sexuellen Ausrichtung, des Alters oder einer Behinderung. Weitere
europäische Richtlinien sind erforderlich, um Gleichheit zu fördern und Diskriminierungen
abzubauen. Dies muss durch Programme finanziell unterstützt werden, die Innovation und
transnationale Kooperation zu diesen Themen fördern.
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