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Wolfgang Butzkamm, Psycholinguistik des Fremdsprachenunterrichts
Prolog
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Das Doppelverstehen, die semantische und syntaktische Transparenz des
Zugesprochenen, ist die Grundbedingung des Spracherwerbs (Tennisbeispiel)
I. Mutterspracherwerb als Sprachvermittlung
1. Von vorsprachlicher zu sprachlicher Verständigung
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Verstehen ist Vorbedingung für den kindlichen Spracherwerb.
Das Kind erfasst das Zugesprochene, ohne die Sprache selbst im Blick zu haben, und
benutzt das sprachunabhängig gewonnene Sinnverstehen, um damit den sprachlichen
Code zu knacken.
Ein Kind versteht den Sprecher, bevor es das Gesprochene versteht.
Sprechen ist ein Abkömmling des Miteinander Tuns.
Von Geburt an halten Mutter und Kind Zwiesprache; die Mutter verwendet einfache
Schablonen, verwendet einen Wechsel zwischen Wiederholung und Abwechslung,
Bekanntem und Unbekanntem, dosiert die Intensität und Dauer nach den Reaktionen
des Kindes und der Fähigkeit.
Wortsprache lange Zeit nur überhöhte, melodische Muster: abfallende Kurven sind
beruhigend, ansteigende sind aufmunternd.
Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit machen die Verhaltensmuster
vorhersehbar, es entstehen Wechsel- & Kommunikationsbeziehungen
Kindliche Lautgebärden werden von der Mutter sozusagen überinterpretiert, bis das,
was die Mutter zunächst nur hineingedeutet hat, vom Kind tatsächlich assoziiert wird.
Bei der Mutter-Kind-Interaktion spielt das Rituelle – die regelmäßig wiederkehrenden
Handlungen und Situationen – für das Kind eine außerordentlich wichtige Rolle.
Mit jeder Erfahrung des Neugeborenen strukturiert sich sein Gehirn neu, die Bahnen
müssen durch Wiederholung stabilisiert werden, sonst verfallen sie.
Die Wiederkehr des Gleichen macht Welt verständlich und Spracherwerb möglich.
Die Dinge müssen ihren Platz bekommen. Die Lust am Wechsel und Wandel folgt
später, nach einer Ordnung.
Spracherwerb braucht also eine Vermittlungsinstanz und zum anderen die Kenntnis
der Situationsgrammatik.
„Learning of language is learning how to mean.“
Weg: Das Kind wird verstanden bzw. ein Sinn wird untergeschoben – Das Kind
versteht – Das Kind spricht.
Ein schon funktionierendes Kommunikationssystem ist die Vorbedingung für den
Spracherwerb. Erst von einem gewissen Niveau an kann schließlich Sprache selbst zur
Vermittlungsinstanz für weitere Sprache werden.
2. Elternsprache als Verstehens- und Analysehilfe
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Elternsprache („motherese“, „parentese“, „caretaker speech“)
Besonderheiten der Elternsprache: übertriebene Intonation, höhere Tonlage, starker
Kontrast, langsamer sprechen, Verdeutlichung der Gliederung, viele Wiederholungen,
Umschreibungen, viel mehr geredet als „nötig“, kaum Abstrakta aber viele Imperative
und Fragen, Einbeziehend ins Handeln, Sätze syntaktisch vereinfacht, kurz, wenige
Nebensätze und Konjunktionen, sprachliche Struktur an der Oberfläche.
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Mutter-Kind-Dialog ist so angelegt, dass beide verstehen und dass es dem Kind leicht
fällt herauszufinden, an welcher Stelle im Satz die Akteure des Geschehens und die
jeweils relevanten Komponenten der Situation charakterischerweise auftauchen.
Aus „Vertikale Strukturen“ (stehen untereinander) werden „Horizontale“, wenn es
dem Kind gelingt, Teile zu einem Satz zusammenzuschweißen.
Mutter bereitet diese zukünftige Leistung vor durch gedankliches und syntaktisches
Aufzeigen des Anschlusses.
Satzstruktur geht aus der Dialogstruktur hervor, Syntax entwickelt sich aus dem auf
doppeltes Verstehen angelegten Dialog heraus.
3. Das Prinzip der Mehrdarbietung
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Eltern behalten syntaktischen Vorsprung bis in das Schulkindalter bei, betätigen sich
ganz offen als Lehrer von Wörtern, stellen „display questions“
Elternsprache existiert über soziale Schichten hinweg, braucht nicht erst erlernt
werden.
Elternsprache ist somit systematisch vereinfachte und verdeutlichte Sprache. Sie steht
ganz im Dienst des wechselseitigen Verstehens und hilft dem Kind beim Aufbau
seiner Grammatik.
Bei Nichtverstehen oft einfaches Ignorieren (Beispiel Hund und Warum), obwohl
„unterirdisches“ Weiterwirken, da Verständnis irgendwann kommt.
Prinzip der Mehrdarbietung = Eltern gehen also immer ein wenig über das, was die
Kinder schon können, hinaus. Fremdsprachenlehrer tun dasselbe.
Nicht unentwegte Sprachberieselung ist entscheidend, sondern das Aufnehmen voll
verstandener Sprache in sinnvollen Lebenskontexten.
Spracherwerb geschieht durch Teilhabe am Leben der Gemeinschaft, in der die
Sprache natürliches Verständigungsmittel ist.
Ohne einen genetischen Schlüssel wären Sprachen nicht erlernbar.
Spracherwerb ist Gemeinschaftsarbeit.
4. Sinnfällige Situationen – transparente Sprache
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Jemand der eine Äußerung auf doppelte Weise versteht, hat auch ihre Grammatik
verstanden.
Situation und Sprache verändern sich im Einklang miteinander: sinnfällige Situation =
transparente Sprache.
Verstehen ist Voraussetzung dafür, dass wir Sprache innerlich verarbeiten und ihre
Grammatik schrittweise aufbauen.
Das Zugesprochene wird in doppelter Hinsicht – situativ wie struktural – verstanden.
Natürlicher Spracherwerb ist von Anfang an Sprachvermittlung.
Elternsprache ist zusammengefasst:
- vereinfachte Sprache
- grammatisch richtige Sprache
- redundante Sprache
- situativ und oft auch grammatisch transparente Sprache
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Hauptaufgabe des Unterrichts: Schüler mit „comprehensible input“ zu versorgen,
situativ-funktional und zugleich struktural. Das Kind aber muss mitwirken (output).
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Doppelverstehen als Grundbedingung des Spracherwerbs
Passend zur Evolutionstheorie
Erwerb der Sprache nur in Extremfällen durch Zuhören allein, vielmehr durch eigene
Sprechversuche, wie weit die Verständigung reicht und unserem Partner
Klärungsbedarf signalisieren.
5. Die Muttersprache als Vorleistung für die Fremdsprache
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Sprache beginnt mit Erfassen bereits wahrnehmungsmäßig herausgehobener Zustände
und Ereignisse.
Wo Sprache selbst zur Vermittlungsinstanz für Sprache wird, entwickelt die Sprache
eine Eigendynamik, die sie weit über die praktische Lebenswelt hinaushebt.
Situationsgebundenheit der Schrift zwingt zur Durchgestaltung logischer Bezüge und
führt zu Begriffen mit höherem Allgemeinheitsgrad.
„It is reading that ist he great divider“
Um ihre geistigen Potenzen voll zu entwickeln, brauchen Kinder das Gespräch mit den
Erwachsenen. Im Vorschulalter sollten Eltern ihren Kindern vorlesen
(Gesprächsstoff), dann auswendig aufsagen (mit Hilfe der Eltern), dann Vorlesen von
den Kindern und besprechen.
Kinder die vorlesen machen generell größere Fortschritte.
Der Schulerfolg wird durch die Art und Weise, wie Eltern ihre Kinder betreuen,
bestimmt. Es geht um Zeit und Zuwendung für Kinder.
Der Fremdsprachenunterricht in der Schule hat also die Kenntnis der Muttersprache
zur Grundlage.
Fremdsprachenunterricht ist: „a new way of doing, what the learner can already do.“
Die sich an und mit der Muttersprache ausgeprägenden geistigen und sozialen
Fähigkeiten der Kinder sind unverzichtbare Vorleistungen für den
Fremdsprachenerwerb.
Das Kind wird reif für das Denken des Denkens und zugleich das Denken der Sprache
(etwa im Alter mit 12 Jahren nach Piaget) (z.B. Umformung und Verstehen von Aktivund Passivsätzen)
Wer in der Muttersprache früh gelernt hat, mit Texten und Ideen umzugehen, hat in
der Fremdsprache einen Startvorteil.
Genau an der Stelle, wo Sprache sich vom Handeln löst und zu einem mächtigen
Denkinstrument wird, zeigen sich schon zu Beginn des Fremdsprachenunterrichts
fatale Leistungsunterschiede.
Zusammenfassung im Buch, Seiten 22 – 25.
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II. Natürliche Zweisprachigkeit: Im Gespräch bleiben
1. Kommunikationsstrategien: Hauptsprache als Vermittlungsinstanz
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Natürliche Bilinguale benutzen ihre jeweils stärkere Sprache, um in der anderen
voranzukommen
Der Rückgriff kommt in folgenden Formen vor:
1. Aus reiner Wissbegier und Lernfreude
2. Ordnung der sprachlichen Welt durch Gegenüberstellung von Ausdrücken und
Verschaffung von Klarheit
3. Erfragen der Bedeutung eines Ausdrucks oder Suche nach einem passenden Ausdruck
(Wortnot oder Nichtverstehen)
4. Vergewisserung des muttersprachlichen Äquivalent oder Bestätigung des Verstehens
5. Einfaches Einsetzen eines Ausdrucks aus der Erstsprache ohne weitere Gründe, aus
der „Mühe“ heraus, nicht fragen zu müssen.
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Sprachmischungen als allgemeines Phänomen des Sprachkontakts treten allerdings
sowohl beim Sprachaufbau als auch beim Sprachverlust auf.
Trägheitsprinzip als eine Variante des Ökonomieprinzips.
„Preferred language“ hat nicht mit Vorleibe zu tun.
Weder der Kommunikationsabbruch noch die Fortsetzung des Gesprächs in der
Erstsprache können zum Erwerb der Zweitsprache beitragen.
Fazit: Richtig eingesetzt kann die stärkere, jeweils präsentere Sprache den Erwerb der
schwächeren vorantreiben. Wo sie aber aus Trägheit und Bequemlichkeit anstelle der
schwächeren verwendet wird, behindert sie deren Erwerb.
2. Soziale Strategien – individuelles Lerntempo und der Wille zur Sprache
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Lernschnelle Kinder zeichnen sich (im Beispiel) vor allem dadurch aus, dass sie
folgende Strategien im Umgang mit englisch-sprachigen Kindern befolgten:
1. Schließ Dich einer Gruppe an. Tu so, als ob Du darüber weißt, worüber man
spricht, auch wenn Du es nicht weißt.
2. Gib Dir mit wenigen gezielten Floskeln den Anschein, dass Du die Sprache
sprichst.
3. Rechne mit der Hilfe Deiner Freunde.
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Jeder Sozialkontakt ist auch ein Sprachkontakt.
Nur wer kommuniziert lernt auch kommunizieren.
Anders als bei der Muttersprache hängt der Erfolg des Zweitsprachenerwerbs stärker
von der Persönlichkeit, ja dem Willen zur Sprache ab!
Wichtig: der Wille zur Identifikation.
Aus einer rezeptiven Zweisprachigkeit wird im Nu eine aktive, sobald man ins
Ausland geht und ein Muss dahinter steht.
Jede nicht ständig und gern geübte Sprache verblasst und verschwindet schließlich.
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III. Über das Denken in der Fremdsprache und das Wegkürzen
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In der Fremdsprache denken ist eine Sache der Übung und Gewöhnung und wird
durch die anfängliche punktuelle Zuhilfenahme der Muttersprache nicht behiundert.
Das Denken in der Fremdsprache ist kein „alles-oder-nichts“-Denken
„Sprachliche Indifferenz“: beide Sprachen scheinen mühelos und fast ohne
Einschränkung austauschbar
Fremdsprachliches Denken ist nicht erst das Ergebnis andauernder intensiver
Sprachkontakte sondern kann stück- und schrittweise geschehen.
Die Bildhaftigkeit eines fremdsprachlichen Ausdrucks ist nur ein Grund
Die Sprache in der wir gerade denken und uns äußern, wird durch kurzfristige
Nachhalleffekte wie durch langfristige Gewöhnung bestimmt.
Durch schlichte Gewöhnung kann die Muttersprache als vermittelndes Bindeglied
wegfallen, dies nennt man das „Denken in der Fremdsprache.“
Den Wegfall vermittelnder Zwischenglieder nennt man „cognitive pruning“, „shortcircuiting“, „Wegkürzen“ oder „Gestaltwandel“.
„Short-circuit-hypothesis“ = Das Verschwinden letztlich unerwünschter
Vermittlungsglieder geschieht nicht durch die sofortige Unterdrückung sondern gerade
durch ihre anfängliche Zuhilfenahme.
Somit ist das Wegkürzen – eine Art neurolinguistisches Ökonomieprinzip – für eine
Fremdsprachenlerntheorie von erheblicher Bedeutung.
IV. Psycholinguistik des Verstehens
1. Zwischen Sinnentnahme und Sinngebung: Die Verstehensspirale
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Beim Lernen einer Fremdsprache denken wir niemals nur in einer Sprache oder
sprachneutral.
Zum Verstehen notwendige Informationen eingeteilt in: Weltwissen, Situationswissen
und Vorgängerinformationen.
Erkennen und Verstehen ist ein „going beyond the information given.“
Verstehen ist ein Einordnen neuer Informationen und Anbinden an schon vorhandenes
Wissen
Verstehen ist ein Prozess, in dem sich Sinnentnahme und Sinngebung wechselweise
anstoßen.
Das Verstehen von Wörtern kristallisiert sich in einem Wechselspiel von aufwärts
(bottom-up) und abwärts (top-down) gerichteten Aktivierungsprozessen:
aufwärts = Analyse, Zugriff auf Bedeutung, Bedeutungskomponenten werden
assoziativ herangezogen, falls lexikalisches Wissen bereitliegt: Aktivierung der
zugehörigen Bedeutung, alles ca. 200 ms, dabei unbewusste Abtastung des
Bedeutungsbereichs
abwärts = gelangen zur Bedeutung durch Vorgängerinformationen wie Situationsoder Weltwissen, Lenkung zu Bedeutungsarealen, Ausschluss von anderen, Führung
zu fast „unmittelbarem“ verstehen.
Verstehensspirale besteht aus der Seite des Eigenbeitrags (Vorgängerinformation,
Situationswissen, etc.) und der Seite der im Text enthaltenen Informationen, beide
stoßen sich gegenseitig an.
Wer Texte versteht, versteht schon immer mehr, als im Text steht.
Somit ist äußerliche Vermeidung eines muttersprachlichen Äquivalents keine Hilfe.
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2. Spontane Fehldeutungen – Volksetymologien im Klassenzimmer
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Ein vorzeitiger Abbruch des Verstehensprozess ist Grund für viele Missverständnisse.
Beispiel für „Kindesetymologien“: „Eihörnchen“ statt „Eichhörnchen“ (Akte
spontaner Sinngebung)
Die Frustration der Schüler über viele, besonders durch die Einsprachigkeitsideologie
verursachte Verständigungsschwierigkeiten ist aus Schülerbefragungen ablesbar.
Schüler verstehen vermutlich mehr falsch, als unsere Lehrerweisheit sich träumen
lässt. Nur solche Semantisierungsverfahren dürfen gelten, die den Sinn klar und
eindeutig, ohne unverstandenen Rest vermitteln.
3. Verstehen vor und jenseits von Sprache: Die Entsprachlichungs-Hypothese
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Gewöhnlich speichern wir weder den gesamten Wortlaut, noch einzelne
Schlüsselwörter, noch irgendwelche anderen verbalen Bestandteile, sondern nur etwas
weitaus Abstrakteres und Dichteres
Entsprachlichung = das Gemeinte bleibt, der Wortlaut zerfällt
Zur Weitergabe wird entsprachlichtes wieder versprachlicht.
Drei Überpunkte: vorsprachliches Denken, sprachliches Denken, nachsprachliches,
d.h. Sprache voraussetzendes, entsprachlichtes Denken.
Es gibt demnach ein Wahrnehmen, Erkennen, Erinnern, In-Beziehung-Setzen sowohl
vor, in und mit, als auch jenseits von Sprache
„Balance Effect Theory“ = Sprechen und Denken bilden ein untrennbare Einheit, Bei
Unterricht in einer Zweitsprache, geht dies zu Lasten der Denk-Sprechleistungen der
Erstsprache.
„Think Tank Model“ = sprachlich neutraler Wissensspeicher, allgemeines
Denkvermögen, das über mehrere Sprachen gleichzeitig gespeist und entwickelt
werden kann.
Richtig: Unterricht in der einen Sprache fördert nicht zugleich die andere Sprache
Aber: In der Zweitsprache erworbenes Wissen und in ihr geschultes Denken wirkt sich
auch in der Erstsprache aus.
4. Erfolgreiche Zweisprachigkeit und doppelte Halbsprachigkeit
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Doppelte Halbsprachigkeit = z.B. im Ausland einen Teil seiner muttersprachlichen
Fähigkeit verlieren, dabei aber nur geringe Kenntnisse in der Sprache des Gastlandes
hinzu erwerben (double semilingualism).
Grad der Sprachbeherrschung, Grafik im Buch, Seite 52
Zweisprachigkeit kann gelinge, wenn das Kind in mindestens einer Sprache ein
Niveau erreicht hat, auf dem es sich den geistigen Anforderungen der Schule
gewachsen zeigt und von ihnen profitieren kann.
Liegen bei der Einschulung beide Sprachen darunter, wird aus Immersion Submersion.
Kinder brauchen eine intakte Erstsprache.
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5. Entsprachlichung: Zur Psycholinguistik des Übersetzens und Dolmetschens
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Dolmetschen = Verstehen und wieder Verständlichmachen eines Sinns.
„simple transcodage“ findet nur in ganz seltenen Fällen (etwa Zahlen) statt.
Beim Dolmetschen wichtig: Entsprachlichung.
Zweistufiger Prozess: Vom Wort zum Gedanken und vom Gedanken zum Wort.
Übersetzen und Dolmetschen zerfallen in eine Verstehensphase und eine
Rekonstruktionsphase, deshalb muss eine Übersetzungstheorie in eine
Verstehenstheorie eingebettet sein.
Beim Simultandolmetschen: Ditte Instanz, der Sinn, wichtig.
Denken und Sprechen kann nicht eins sein.
Schon jeder Leser ist Übersetzer, er übersetzt, was er liest, in seine eigene Sprache.
„Any model of communication ist at the same time a model of translation“
6. Private Welten – unvereinbare Seelen
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Bedeutungen enthalten immer eine je eigene, individuelle, weil lebensgeschichtliche
Komponente.
Man muss ein neues Wort in sein bisheriges Weltverständnis einbauen (dann bedarf es
evtl. weiterer Hinweise, um weitere Varianten hinzuzufügen)
Stets verbleibt ein Rest persönlichen Verstehens und privater Konnotationen.
Erst im Individuum erhält die Sprache ihre letzte Bestimmtheit.
Eine wirkliche Gemeinsamkeit des Weltbildes zwischen zwei Menschen ist niemals
genau vorhanden.
7. Konstruktivismus: Anmerkungen zu einer Modevokabel
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Sinngebung (konstruktivistisch) = individuelle Sinnkonstruktion
Immer: Sinnentnahme und Sinngebung!
Der Konstruktivismus ist nur gut, um unter einem neuen Schlagwort ein paar halb
vergessene Weisheiten wieder anzumahnen.
V. Die psycholinguistischen Grundlagen des Übens
1. Mutterspracherwerb: Spielendes Üben – übendes Spielen mit Strukturen
- Kinder üben durchaus im Mutterspracherwerb. Es wird unterschieden:
1. Kommunizieren im Vollsinn des Wortes, also partnerbezogen;
2. Spontanes Imitieren im Beisein eines Partners, aber in übender, sich vergewissernder,
nicht in kommunikativer Absicht;
3. Monologisch: spiel- und arbeitsbegleitendes mit sich selber Reden;
4. Monologisch: sich selbst übend wiederholen;
5. Monologisch: Variieren und Durchspielen von Sprachmustern.
- „self-imposed drill“ = partnerloses Spielen und Probieren mit der Sprache
- Für das Vorschulkind sind Üben und Spielen eins.
- Plappern hat Methode: ein unbewusstes Streben nach Strukturerkenntnis.
- Das Spiel ist syntaktisch und semantisch zugleich
- Die Mutter bemüht sich, in doppelter Hinsicht verständlich zu sein, das Kind setzt
diese Arbeit in einem selbst bekräftigenden Spiel fort.
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Kinder manipulieren Sprache in ähnlicher Weise, wie sie Bauklötzchen hin- und
herwenden (Erkenntnislust)
Vermutlich trägt Eigendynamik des Strukturenspiels dazu bei, dass sichgrammatische
Kategorien aus ursprünglich eindeutigen, situativ verankerten, semantisch
pragmatischen Bezügen lösen und verselbständigen.
2. Üben und Probieren im Zweitspracherwerb: das generative Pinzip
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Durch Wiederholung vergewissert sich das Kind der Aussprache und des Wortklangs,
um seiner wirklich habhaft zu werden.
Bei Kindern wird der Wunsch, nicht aufzufallen und sich den neuen Spielkameraden
völlig anzupassen, als Übungsmotiv wirksam.
Schwierig die Wichtigkeit des monologisierenden Übens einzuschätzen
Kinder spielen das Analogie Spiel. Dies zielt auf das Erkennen der satzerzeugenden,
Struktur bildenden Elemente, der produktiven Regelungen und ihres Geltungsbereichs.
Es geht darum, noch nie gehörte Sätze sagen oder auf Anhieb verstehen zu können:
das generative Prinzip.
Letztlich geht es um die wechselseitige Erhellung der verschiedenen
Erwerbskonstellationen.
Kommunikation ist nicht alles. Selbst unter idealen Bedingungen wird zusätzlich
geübt. Dabei sit das dem Erkennen der Bildungsgesetze dienende Ausreizen und
Durchspielen von Satzmustern von überragender Bedeutung: das generative Prinzip.
3. Eine zweite Sprache kostet Zeit und Anstrengung
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9,5 Jahre altes Kind: Korpus der Tagesaufnahme umfasste 28142 Wörter, ein
vierjähriges Kind in unseren Breiten sollte schon ca. 4000 Wörter am Tag sprechen.
- Diskrepanz zwischen Unterricht und natürlichem Spracherwerb verständlich.
- Die Masse macht es: Hör- und Sprechzeit sind ausschlaggebend.
- Möglich bei wenigen Partnern: Abrutschen in rezeptive Zweisprachigkeit (Satz in L1
führt zu Antwort in L2)
- Mögliche Gegenmittel: „insisting strategies“ oder Aufenthalt im Ausland (Großeltern),
wo die stärkere Sprache kaum verstanden wird.
- Bei genügend Spiel- und Sprachpartnern kein Motivationsproblem
- Etwa vom Kindergartenalter an sind Kinder viel bereitwilliger, von Gleichaltrigen zu
lernen als von Erwachsenen.
- Der Faktor Zeit und Inputmenge bleibt aber entscheidend.
- Beispiele im Buch, Seite 72
- Selbst die Muttersprache kann man aus Mangel an Gelegenheit, sie auszuüben,
verlernen.
- Kritische Schwelle: Wird sie unterschritten, so ist die Benutzung der Sprache so
anstrengend, die Sprachnot so groß, dass die Kinder diese Sprache verweigern.
- Festhalten:
1. Der Erwerb weiterer Sprachen neben der Muttersprache kostet Zeit und Anstrengung.
2. Wo sich nicht hinreichend natürliche Anlässe zum Gebrauch einer zweiten Sprache
ergeben, wird ihr Erwerb als zusätzliche Belastung empfunden.
3. Da sich Natur beim Spracherwerb immer Zeit lässt, kann es bei wenigen
Wochenstunden Unterricht keine Naturmethode geben. Das wäre der
naturmethodische Trugschluss (the natural fallacy).
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4. Spracherwerb als Fertigkeitserwerb
4.1 Was ist eine Fertigkeit?
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Der Mensch ist nicht nur durch das bestimmt, was er weiß, denkt und fühlt; wir sind
auch das, was wir können.
Begriff der Fertigkeit ist mit dem der Tätigkeit verwandt, beide umgreifen konkrete
wie geistige Handlungen.
Fertigkeiten, psychologisch gesehen: erlernte, durch Übung erworbene
Willkürhandlungen. Sie äußern sich im Tun, im Ausführen und Ausüben. An ihrem
Zustandekommen sind a) Wahrnehmungen, deren b) Verarbeitung und Verbindung
mit c) ausführender Motorik beteiligt.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, ein Gestaltwandel hat stattgefunden.
4.2 Lernen am Modell – Lernen mit dem Modell
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Man sollte die Fertigkeiten selbst beherrschen, denn Schüler brauchen ein Modell, auf
das sie sich richten.
Schüler brauchen eine Vorstellung von dem Ziel, auf das sie hingehen.
Material zum Nachahmen bildet das Eingangsmaterial zur intuitiven Heuristik des
Lernens.
Modell des „sunburn model of language learning“ = Ohne Anleitung in eine Umwelt
mit der entsprechenden Sprache versetzen.
Es zählt nicht nur die intuitive Heuristik des Kindes, sondern auch die Intuition der
Eltern und Betreuer, die ganz bestimmte Strategien im Umgang mit dem Kind
anwenden.
Als dialogische Fertigkeit muss Sprechen nicht nur am Modell, sondern auch mit ihm
erworben werden.
4.3. Grundfertigkeiten und Kunstfertigeiten: Rolle der Bewusstmachung
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Wir können viel durch Beobachten und Probieren lernen, ohne dass wir genau
angeben können, was und wie wir lernen.
Je weniger die zu erlernenden Fertigkeiten mit naturgegebenen Lebensbedingungen
des Menschen verwurzelt sind, desto mehr wird auch der Intellekt an ihrem Erlernen
beteiligt.
Aufsteigende Reihe zur Unterscheidung von kunstfertig und naturfertig im Buch, Seite
78
Es wird kaum eine Fertigkeit ausgebildet, bei der gänzlich auf Erklärungen verzichtet
würde (Grammatische Erklärung = Problem?)
Beim Erwerb komplexer Fertigkeiten ist Erklären immer mitbeteiligt, also praktisch
universal.
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4.4. Ein Grundgesetz des Lernens: loqui loquendo discitur
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Beim Spracherwerb unterscheiden wir das Üben vom Anwenden, sprich
Kommunizieren.
Die Zielhandlung selbst, die ganzheitliche Leistung muss immer wieder ausgeführt
werden.
Eine Fremdsprache lernt man nur dann als Kommunikationsmedium benutzen, wenn
sie ausdrücklich und genügend oft in dieser Funktion ausgeübt wird.
Vorbereitende Übungen sind notwendig, man darf aber unter keinen Umstände bei
diesen stehen bleiben.
4.5 Gestaltwandel (restructuring)
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Charakteristisch für Fertigkeiten ist die Unterscheidung zwischen Aneignungsstufe
und Könnensstufe.
Teilprozesse addieren sich jedoch nicht nur, sondern verschmelzen miteinander
(Verschmelzung, chunking, Makrooperationen)
z.B. Lesen lernen: Laut lesen, andeutendes Sprechlesen, unhörbares Sprechen mit
Lippenbewegung, Verschwinden aller peripheren Artikulationen
z.B. Mitleseverhalten: bestimmte Art der Simultandarbietung von Wort und Schrift ist
einer schriftfreien Anfangsphase überlegen, erst Schriftbilder als Lernhilfe, dann
Wegfall
z.B. Grammatikunterricht: Holzgerüst, das die Mauerbögen der Sprache nur so lange
zu stützen braucht, bis der verbindende (Syntax-) Mörtel zwischen den einzelnen
Bausteinen so fest geworden ist, dass der Bogen frei tragend wird.
z.B. Muttersprache: kann Vermittlerrolle spielen, um danach wieder aus dem
psychischen Geschehen zu verschwinden, indem sich die andrängenden Gedanken und
Vorstellungen unmittelbar mit der Fremdsprache kurz schließen.
Umgekehrt kann man auch auf frühere Könnensstufen zurückfallen.
VI. Mit oder ohne Grammatik?
1. Ein alter Streit
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Streit: „conversatione et usu“ oder „doctrina et praeceptis“
Evolutionstechnischer Ansatz
2. Das Wunder des Sprechens
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Über die Struktur der Sätze, die wir „gebaut haben“, können wir nur höchst
unvollkommen Auskunft geben.
Wir beachten im Sprachalltag Regeln, die wir teilweise gar nicht kennen.
Beim Sehen ist eine Antwort teilweise bekannt, wobei die Wirklichkeit viel
komplizierter ist.
Was wir sehen, gestalten Auge und Hirn aktiv mit. Es ist kein Abklatsch von etwas,
sondern eine Art Konstrukt (unbewusst wirksame Intelligenz des Leibes).
Was wir normalerweise bewusst haben, sind nur Resultate dieser Rechen-Vorgänge.
Neben dem „Ich-Bewusstsein“ existiert noch eine andere Vernunft, ohne unser
bewusstes Zutun. Sie konstruiert Sprache in uns, analog zum Sehsinn der Sprachsinn.
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3. Können und Kennen
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Während die Sprache unser Bewusstsein hell werden lässt, geschieht sie selber
unbewusst.
Beispiel: „sondern und aber“, etwa ab dem 10. Lebensjahr praktisch völlig geläufig.
4. Der ratiomorphe Apparat
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Die Leistungen unterliegen dem „ratiomorphen Apparat“: Sammeln einer
Induktionsbasis, systematisches Ordnen und Abstraktion einer Gesetzlichkeit.
Leben ist nicht möglich ohne Erwerb von „Wissen“ über die Außenwelt.
Wir verwenden die Sprache der Vernunft für Operationen, an denen die zu sich selbst
gekommene Vernunft keinen Anteil hat.
Die Evolution kann nicht wieder ganz von vorne anfangen.
Trotz der Evolution hört der Mensch nicht plötzlich auf, das zu sein, was seine Ahnen
schon immer waren: ein Instinktwesen, das sich in vielfältiger, ihm selbst unbewusster
Weise über seine Umwelt informiert.
Natürliche Erwerbsprinzipien der Sprache sind als im Lernenden angelegte
Eigengesetzlichkeiten in gewissen Grenzen unabhängig von der Umwelt, entfalten
sich aber nur im Wechselspiel mit ihr. Schließlich kann Sprache nur in einer
sprechenden Umwelt erworben werden.
Natürliche Erwerbsprinzipien sind nicht außer Kraft gesetzt, wenn man sich in ein
Klassenzimmer begibt. Der Mensch entwirft im Sinne einer „natürlichen
Künstlichkeit“ passende Lehr- und Lerntechniken, die auf natürlichen Lernfähigkeiten
beruhen. So ist auch grammatische Bewusstmachung dem natürlichen Spracherwerb
nicht fremd, sie erhält aber unter schulischen Bedingungen einen anderen Stellenwert
und eine besondere Ausprägung.
5. Prinzipien unbewussten Kenntnisgewinns
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Wie gewinnt der ratiomorphe Apparat Erkenntnisse über die Umwelt des Organismus,
beim Menschen eben auch Erkenntnisse über die sprachliche Umwelt?
- Zwei grundlegende Hypothesen über die Welt:
1. Wir erwarten die Wiederkehr des Gleichen.
Wir halten es für wahrscheinlich, dass sich ähnliche Ereignisse unter ähnlichen
Bedingungen wiederholen, sich daher erwarten und vorhersagen lassen.
Doppelverstehen – „decoding“ = Situation und „codebreaking“ = sprachlicher Code
2. Wir erwarten, dass wir Ungleiches im Vergleichbaren übersehen dürfen (Abstraktion),
und „dass sich ähnliche Sachen, obwohl sie offenbar nicht dasselbe sind, auch in
manchen noch nicht wahrgenommenen Eigenschaften als vergleichbar erweisen
würden.“
Das Erwartete darf dem Wahrgenommenen hinzugefügt werden.
Hypothesen des ratiomorphen Apparates sind uns angeboren, wirken unterhalb der
Ebene des Sinnhaften, reichen aber bis in unser bewusstes Erleben hinein.
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6. Das Ineinandergreifen unbewussten und einsichtigen Lernens
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Der Spracherwerb als ganzes ist nicht bloß ratiomorphe Leistung
Unsere Wahrnehmungsfunktion ist dumm (Stock im Wasser)
Unser Sprachverhalten ist im Prinzip für rationale Korrektur offen
Es existiert ein weites Übergangsfeld vorbewusster, d.h. potentiell bewusster
Informationsverarbeitung
Wortschatzerwerb vollzieht sich nach den allgemeinen Gesetzen assoziativen Lernens
bzw. des Gedächtnisses
Lexikalisches Lernen wird zunehmend wichtiger, vor allem, wenn man das weite
Übergangsfeld der Wortverbände, Phraseologie und Redefloskeln einbezieht („lexicogrammar“)
Lernpsychologisch ist Grammatik- und Wortschatzarbeit scharf zu trennen.
Stufen des Bewussten und Unbewussten
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Menschliches Bewusstsein hat zahlreiche Abstufungen
Das verschärfte Bewusstsein nennen wir Aufmerksamkeit
Das aufmerksame Bewusstsein ist eine oberste Aufsichtsinstanz, die nur noch die
wichtigsten Informationen erreichen.
Volle Aufmerksamkeit ist die Stelle ganz am Ende der Informationsverarbeitung, zu
der nur ein Bruchteil besonders relevanter Daten gelangt.
Es herrscht jedoch viel Konnex
Der gesamte frühkindliche Grammatikerwerb ist eine Leistung vorbewusster
Informationsverarbeitung, setzt also entsprechende kognitive Systeme voraus.
Bewusst-rationale und unbewusst ratiomorphe Leistungen können sich vielfach
verbünden.
Die Entdeckung des Ratiomorphen in der Biologie, der Blick auf den natürlichen
Spracherwerb und neuere Erkenntnisse der kognitiven Psychologie legen uns nahe,
mehr als bisher auf die Karte der unbewussten Vernunft zu setzen.
Exkurs: Biofeedback und mentales Training
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Das Zusammenspiel bewusster und unbewusster Prozesse ist äußerst vielschichtig.
Man kann jedoch bestimmte Dinge beeinflussen (EEG, Blutdruck), wenn man ihn
ständig vor Augen geführt bekommt (Biofeedback)
Man kann sogar eine bestimmte Hälfte des Gehirns blockieren
Man kann es tun, jedoch kann nicht sagen, wie man es macht.
Weiteres Beispiel: Sport und Bewegungsunterricht.
Vorbewusste Intuition – nachbewusster Fertigkeitserwerb
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Grundsätzlich kann man zwei Richtungen des Zusammenspiels unbewusster und
bewusster Vorgänge unterscheiden:
Ein Aufsteigen aus dem Unbewussten, ein Gewahrwerden dessen, was man da
eigentlich tut (geniale Ideen, Mutterspracherwerb, etc.)
Ein Absinken bewusster Einsichten ins Unterbewusste (Kunstfertigkeiten,
Fertigkeiten, Entlastung des Bewusstseins)
Bei Fehlern wird versunkenes Wissen wieder per Ratio aktiviert, das kostet jedoch
Zeit, die Handlung wird zumeist unterbrochen
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Erworbenes grammatisches Wissen kann schon am Aufbau der Fertigkeit beteiligt
sein, um schließlich mit den entstehenden größeren Funktionskreisen unterhalb der
Bewusstseinsebene zu verschmelzen.
Kind lernt von unten nach oben, die Schule lehrt von oben nach unten
Das Kind als Grammatiker
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Die Vermittlung von Regelwissen hat nur dann Sinn, wenn die Schüler dieses Wissen
geistig nachvollziehen können.
Einschätzen: Komplexität der Regel und Erkenntnismöglichkeit eines jeden einzelnen
Schülers (Problem der Passung)
Zusätzlich Problem unterschiedlicher geistiger Tätigkeiten, der Knoten platzt erst bei
der Ausübung des Tuns selbst.
Im Kommunikationsakt selbst sind wir uns unserer Grammatik nicht mehr bewusst.
Wir können uns nicht zwei Gedankengängen zugleich bewusst zuwenden. Damit
grammatisches Wissen verhaltensrelevant wird, müssen wir es wieder „nach unten“
delegieren.
Man muss alle verfügbaren Lehr- und Lernmöglichkeiten ausschöpfen
Wir sind grammatische Minimalisten: So wenig wie möglich!
Die Kunst besteht darin, dem Schüler genau die kognitive Hilfe zu bieten, die er
benötigt, um einen Schritt nach vorn zu tun.
Erst im Jugendalter erreichen wir das Stadium der formalen Operationen (Passivsätze,
etc.)
Fazit: Unsere Aufgabe ist, das keimende analytische Verständnis der Schüler zu
erspüren und es fortentwickelnd in den Dienst der Kommunikation zu nehmen. Ein
radikale Absage an die „Grammatik“ ist nicht gerechtfertigt.
7. Grundsatzpositionen: LAD, UG, LASS
-
-
-
-
Die für den Spracherwerb so charakteristische Offenheit setzt ein dem Menschen
innewohnendes Entwicklungsprogramm voraus, das umso komplizierter sein muss, je
empfänglicher es für Umwelteinflüsse ist und je größer und vielfältiger der
Datenreichtum ist, den es verarbeiten kann.
Je komplexer die genetische Ausstattung, desto größer die Fähigkeit, aus Erfahrung zu
lernen.
Die Plastizität des Gehirns und die Formbarkeit seines Geistes, mithin die
Umweltoffenheit und damit letztlich die Freiheit des Menschen, auf bestimmte Reize
so oder so zu reagieren, sind selbst genetische Errungenschaften (eine erblich
mitgegebene Sprachverarbeitungsinstanz als Teil des ratiomorphen Apparates, LAD =
language acquisition device, UG = universal grammar, Sprachsinn, Sprachintuition,
Sprachinstinkt (Pinker))
Als kognitiv gelten alle Prozesse, die zwischen sensorischem Input und motorischen
Output vermitteln
Zusätzlich zum LAD und UG steht jetzt die LASS (Language Acquisition Support
System), denn der Mensch bedarf des Mitmenschen, und zwar dem helfenden, im
gewissen Sinne immer unterweisenden Menschen.
Sprache wird im Tun erfahren, ist selbst Tun.
Die Logik der frühkindlichen Sprachentwicklung ist eine Handlungslogik.
Der Spracherwerb wird von Mutter und Kind zugleich in Gang gesetzt.
Genetische Doppelsicherung der Sprache = der Beitrag der Mutter beruht teilweise
selbst wieder auf intuitiven, nicht erlernten Fähigkeiten.
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8. Komplexitätsreduktion von zwei Seiten
-
-
„Every normal human child constructs for himself the grammar of his native
language“
Die Riesenaufgabe des Spracherwerbs kann nur gemeistert werden, indem man sie in
die Zeit streckt und die Schwierigkeiten entzerrt.
Sprache wird zwar schrittweise erworben, und doch wird von Anfang an mit ihr
kommuniziert
Hauptprinzip: Analogien suchen, durchgängige Anwendung (z.B. Plural n, keine
andere Bildung = Reduktion), Überdehnung, Aneignung einer anderen Analogie, etc.
„strategie extenso-reductive“ = 1) Imitation, 2a) Induktion einer Regel /
Analogiebildung und damit verbundene 2b) Verallgemeinerung / Überdehnung /
Erprobung 3) Differenzierung / Reduktion
Weitere Beispiele: Phonologie („szwei“), Morphologie („sie hat weggelauft“), Syntax
(nicht vor dem Verb), Wortschatz („wauwau“ alle Vierbeiner)
Das Kind – ein Künstler im Weghören (da Vereinfachung wichtig)
Wichtig: Stückelung der Lernaufgabe
Der Lerner bildet eigene Zwischengrammatiken aus (Eselsbrücken, stage of
systematic errors)
Alle Phänomene hier = sprachimmanente Entfaltungslogik
Jeder Spracherwerb ist Sprachvermittlung (interaktionistischer Ansatz)
9. Grammatik – ererbt, erworben, erlernt
-
Gibt es auf Sprache spezialisierte Lernprogramme im Menschen
(Modularitätssynthese)?
Sprache ist in sich schon ein heterogenes Phänomen
Spracherwerbsmechanismen sind nicht so sicher wie das Beispiel Ektoderm, Fehler
können verkraftet werden, Lernen ist immer beteiligt.
Beispiel O-V-Sprache
Zusammenfassung im Buch, Seite 111
Welche Vorbegriffe müssen da sein, damit neues mit bekanntem verknüpft werden
kann, d.h. überhaupt lernbar und dann auch lehrbar ist (teachability hypothesis,
Problem der Passung)
10. Die Lehren der Geschichte: Die erfolgreiche Mischstrategie
-
Fremdsprachenunterricht: Ein kommunikativer Ansatz kann sich natürlichen
Erwerbsprinzipien am besten anschmiegen
Das fundamentale Problem besteht darin, ein Kommunikationssystem etappenweise
aufzubauen, während man es schon gebraucht.
Es gilt nicht: „learn now, use later“ sondern „use as you learn, learn as you use“
Grammatikarbeit ist ein Sammelbegriff für geistige Leistungen recht unterschiedlichen
Kalibers
Grammatikarbeit ist in unserem Ansatz vor allem die Technik, die Strukturen der
Fremdsprache an der Muttersprache durchsichtig zu machen und durchzuspielen.
Unterricht ist ein schwieriger Balanceakt zwischen der Erfordernissen der
Kommunikation und der Komplexitätsreduktion
Weiteres Problem (neben Zeit und Raum): Es ist nur ein Sprecher da, mit dem die
Schüler kommunizieren.
15
-
-
Nur Kommunikation: Wer dies fordert, fällt dem naturmethodischen oder
kommunikativen Trugschluss anheim (natural / communicative fallacy)
Der Sprache sezierende Verstand darf und muss mitwirken, dies ist die Konsequenz
eines vertieften Verständnisses des natürlichen Spracherwerbs als eines
Vermittlungsprozesses und zugleich die gesammelte Beweiskraft einer über
zweitausendjährigen Geschichte des Fremdsprachenunterrichts.
Aus der Geschichte:
Die erste und wichtigste Aufgabe des Sprachlehrers besteht darin, den Schüler mit
Texten zu versorgen, die er versteht, bzw. ihn in verständlicher Weise anzusprechen.
Es wird eine Mischstrategie aus Grammatik und Text praktiziert.
Extremisten unterlaufen ständig dem naturmethodischen Denkfehler.
Studien rechtfertigen keinesfalls die Forderung nach einem grammatikfreien
Unterricht (Ellis)
Eine Zauberformel für den Fremdsprachenunterricht wird es nicht geben.
11. Sprachimmanente Entfaltungslogik: Didaktische Konsequenzen
-
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
-
Welche konkreten Verbesserungen dürfen wir uns von einem natürlichen
Strukturlernplan (natural syllabus) erwarten (Stichwort Entwicklungsfahrpläne,
developmental schedules)?
Bessere Grammatiken sind zu erwarten
Hinweise für eine strukturale Progression des Lehrstoffs (der Lehrer kann sich in der
Lehrstoffprogression nicht allen gleich gut anpassen)
Die Lehrstoffprogression sollte vom Doppelverstehen als Grundbedingung des
Spracherwerbs abhängig gemacht werden.
Der Lehrer wird entwicklungsspezifische Fehler als solche erkennen und als
Lernsituationen werten.
Keine generelle Toleranz von Entwicklungsfehlern. Frage: Kann der Unterricht die
kritische Masse von Sprachkontakten liefern, damit sich natürliche
Zwischengrammatiken sukzessive entfalten und überwunden werden können?
Der Unterricht muss die ihm gemäßen künstlichen Mittel finden, um die komplexe
Aufgabe der Spracherlernung richtig zu dosieren und Zwischenstadien zu
überspringen, ohne die natürliche Entfaltungslogik zu verletzen.
Das Hauptmittel des Unterrichts ist eine Grammatik im Sprachvollzug, die fremde
Formen und Funktionen in der Muttersprache nachbildet.
Beispiele für 2) (Buch ab Seite 119)
3. Person Singular –s, Kontrahierte Formen, Präteritum vor Perfekt, Intonationsfragen
16
12. Wider die Herrschaft der Lehre über das Lernen: Natürliche Fehler vs. künstliche
Fehler
-
Didaktisch bedeutsam ist die Unterscheidung zwischen natürlichen, d.h.
entwicklungsspezifischen und künstlichen, d.h. unterrichtsspezifischen Fehlern.
Vorsicht vor ständigem Produktionszwang im Unterricht.
Übungen mit dialogisch verkleideten Umformungsaufgaben sind mit großer Vorsicht
zu genießen, sie sind unterrichtsspezifisch.
Vorzuziehen sind Übungen, die den Weg vom gedanklichen Substrat bzw.
semantischen Konzept zum Satz bzw. zur Äußerung gehen.
13. Wann und wie soll man Fehler korrigieren?
-
Zu unterscheiden: Arten, Ursachen, Effekte von Fehlern, Lernvariablen,
Korrekturformen, Affektiver Gehalt, Situation, etc.
Letzten drei Punkte:
Wer sich für formbezogenes Üben entschließt, hat sich auch für genaue, förmliche
Korrektur entschieden.
Ganz anders müssen wir uns dort verhalten, wo inhaltsbezogen kommuniziert wird;
erstes Ziel ist, die Kommunikation in Gang zu halten.
Lehrer können von sich selbst als Eltern lernen!
Sondefall ist Nachsprechen und Einschleifen artikulatorischer Muster (Vorsicht vor
diesem!)
Resümee: Natürliche Künstlichkeit
-
Es gibt kein romantisches Zurück zur Natur. Diese These verfehlt den Menschen, da
sie den bloßen Gegensatz behauptet und Natur gegen Kultur ausspielt: der
naturmethodische Trugschluss.
- Wir müssen den Menschen als Naturwesen – mit seinen ratiomorphen Fähigkeiten –
und als vernunftbegabtes Kulturwesen in einer Perspektive sehen.
- Dazu zwölf Thesen (im Buch, Seite 131)
1. Wir postulieren einen Sprachsinn und die sprachimmanente Entfaltungslogik
2. Jeder Spracherwerb ist Sprachvermittlung.
3. Was wir auch tun, Gefühle sind immer mit im Spiel.
4. Spracherwerb kostet Zeit und Übung.
5. Die Muttersprache ist Wegbereiter jeder späteren Sprache.
6. Bis ins Detail verständliche Spracheingaben werden eher im Dialog verständlich. Erst
das doppelte Verstehen führt zur Bildung produktiver Regeln.
7. Sprache kann entwurzeln, wenn sie als Mittel zur Weltbemächtigung erlebt wird. Es
ergibt sich das Prinzip der Kommunikation und die funktionale Fremdsprachigkeit,
nicht aber die Einsprachigkeit des Unterrichts.
8. Schule muss künstliche Mittel finden, die Schwierigkeiten zu entzerren und ein
Strukturgefühl zu entwickeln.
9. Die gebietsweise präsentere Sprache dient als Vermittlungsinstanz, es findet eine
Entsprachlichung statt.
10. Wir benötigen Strukturübungen, die die Fähigkeit zur Analogiebildung nutzen und ein
spielerisches Ausreizen des kommunikativen Potentials von Strukturen (das generative
Prinzip) ermöglichen.
17
11. Das Sich Bewusst Werden über Sprache ist Teil des Spracherwerbs; Einsichten
können Spracherwerb vorantreiben und sind u.a. ein Problem der Feinabstimmung und
des Wiederwegübens und Wegkürzens.
12. Bei aller Gleichförmigkeit der Sprachentwicklung gibt es ein erhebliches Ausmaß
noch zu klärender individueller Verschiedenheiten.
-
Unterricht ist Kunst und Kultur. Er kann gelingen, wenn wir dabei unsere natürlichen
Anlagen und Hilfsmittel erkennend fortentwickeln.
Unterricht: Wie man Sprachen lehrt
Didaktisches Credo
-
Die Psycholinguistik bildet den Kernbereich jeder Theorie des Lehrens von Sprachen,
mit ihr tritt die Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft in eine neue Phase
- Es geht darum, Sprachlernfähigkeiten unter unterschiedlichen Bedingungen optimal
ins Spiel zu bringen
- Die Spracherwerbsforschung entdeckt Faktoren, Strategien, Reihenfolgen; die
Didaktik muss Lerntechniken unter den Bedingungen der Schuler erfinden und
durchgestalten.
- Zu beachten ist die besondere, Schule und Unterricht kennzeichnende
Faktorenkomplexion.
- Die Individualität ist primär nicht Gegenstand psycholinguistischer
Betrachtungsweise.
- Spracherwerb und Sprachunterricht beruhen auf einem beziehungsreichen
Zusammenspiel von Sprachintuition, Gefühl, Verstand und Situation.
- Es gibt keine schlüssigen Beweise für die Überlegenheit bestimmter Arbeitsformen
(proof); stattdessen häufen wir Indizienmaterial an (evidence)
- Die folgenden Praxisvorschläge sind in zweierlei Hinsicht beschränkt:
1. Sie konzentrieren sich auf Psycholinguistik und Sprachpsychologie als Kernbereich
aller Unterrichtsmethodik. „Praxis ist der Grund, in den wir unsere Pfähle
einrammen.“
2. Sie konzentrieren sich auf solche Bereiche, die strittig sind und einer Klärung
bedürfen. Ergebnis: Die behördlichen Unterrichtsrichtlinien, unsere „offizielle“
Methodik, sind in wichtigen Punkten zu revidieren.
-
Der eigene Unterricht beruht auf vier Grundüberzeugungen:
1. Unterricht ist selbst ein Stück Leben, das es zu bestehen gilt. Wir müssen
Lebensentwürfe anbieten.
2. Wer Lebensentwürfe anbieten will, muss heute mehr denn je gegen Zeitströmungen
ankämpfen. Verhindern wir, dass schon Zwanzigjährige verzagt in die Zukunft
blicken.
3. Jeder Mensch will in seiner Einmaligkeit erfasst sein.
4. Unterricht ist wie ein vielstimmiges Orchesterstück, dessen Partitur wir auch bei
mannigfachen Erkenntnisfortschritten nie vollständig werden lesen können.
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VII. Kommunikation als Weg und Ziel
1. Kommunikation im Unterricht: Terminologisches
-
-
-
Kommunizieren lernt man durch Kommunizieren. Das Problem dabei ist, ein
komplexes System schrittweise aufzubauen.
Als Lösung dieses didaktischen Dilemmas („Alles ist Kommunikation“) bietet die
Didaktik eine Reihe von Begriffspaaren an. So wird unterschieden zwischen
„manipulation“ und „communication“ (nicht besonders hilfreich)
“real speech“ und „drill speech“, “skill-getting“ und „skill-using activities“
“focus on form“ und „focus on message“, “rehearsal language“ und „performance
language“
Hier verwendet: „sprachbezogene“ und „mitteilungsbezogene“ Kommunikation,
„sprachbezogene“ und „personen- und sachbezogene“ Kommunikation, „mediumorientation“ und „message-orientation“, kurz: „sprachbezogenes Üben“ und
„Kommunizieren“.
Üben ist auch eine Art Kommunizieren
2. Kommunikation außerhalb des Unterrichts
-
Viele Kinder liefern nicht gerne sprachliche Fertigkeitsnachweise, verweigern sich
mithin einer bestimmten Art von Kommunikation oder weichen aus.
Zwei Testsituationen: 1) Gesprächs- und Spielsituationen (natural data) und 2)
arrangierte Testsituationen (elicited data).
Zwei mögliche Rollen: 1) Lehrerin 2) Spielpartnerin
3. Kommunikation durch Bewusstseinswandel
-
-
Es genügt nicht, Sprache situativ einzubetten. Es muss ein Bewusstseinswandel
vollzogen werden.
Der Lehrer muss gewissermaßen vergessen, dass sein Fach Englisch oder Französisch
ist.
Eltern und Spielpartner sind so oft die besseren Sprachlehrer, weil sie nicht bewusst
las Sprachlehrer agieren und die Sprache nicht selbst intendieren oder thematisieren
(inzidentelles Lernen)
Das Kriterium für die Unterscheidung zwischen mitteilungsbezogener und
sprachbezogener Kommunikation ist demnach die zugrunde liegende Sprechabsicht.
4. Das Einverständnis ungleicher Partner und die Nestwärme
-
Sprache entsteht aus dem Einverständnis ungleicher Partner, aus dem Sich
wechselseitig Entsprechen.
Kommunikation ist somit auch die Kunst des Sich Einfühlens und des Einstellens auf
den Partner
Gerade im Anfangsunterricht, wenn einem die fremden Laute so schwer über die
Lippen kommen, gilt es ein Klima der Geborgenheit zu schaffen.
Ein kommunikativer Unterricht braucht etwas von jener „family warmth“ der ersten
Jahre.
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5. Unterricht: Keine Proben ohne Premiere (und umgekehrt)!
- Mitteilungsbezogene Kommunikation findet nicht – oder doch zu selten – statt.
- Unsere Analyse führt zu einer in folgende Thesen fixierten Pendelstrategie:
1. Fremdsprachenunterricht ist umso effektiver, je mehr personen- und sachbezogene
Kommunikation er im Verhältnis zum sprachbezogenen Üben er enthält.
2. An zweiter Stelle steht das – im natürlichen Spracherwerb vorgebildete – Üben.
3. Die Aufgabe des Lehrers ist es, zwischen den beiden Polen (Sprachbezogenheit und
Mitteilungsbezogenheit) geschickt hin- und herzupendeln.
4. Sprachbezogenes Einprägen von Wörtern und Wendungen ist bei einem auf wenige
Wochenstunden begrenzten Unterricht ein unersetzliches Mittel zum Spracherwerb.
5. Die Geschlossenheit grammatischer Teilsysteme mit einander ausschließenden
Alternativen bildet einen lerntechnischen Vorteil, den Unterricht ausnutzen muss.
6. Erklären und damit die Vermittlung expliziten Sprachwissens treten hinzu, wenn
Sprachwissen unmittelbar in Sprachhandeln umgesetzt werden kann.
7. Auch für Fortgeschrittene ist das Ideal eine primär auf die Welt und die Menschen
gerichtet Kommunikation, in die sich gleichwohl sprachbezogene Elemente
hineinmischen.
-
Erinnert sei an die den Unterricht im Vergleich zur natürlichen Erwerbssituation
charakterisierenden Handikaps:
1.
2.
3.
4.
5.
Zeitfaktor
Weltfaktor
Sprechfaktor
Motivationsfaktor
Machtfaktor
-
So viel Üben wie nötig, so viel Kommunizieren wie möglich.
6. Der Idealfall: Bilingualer Sach- und Projektunterricht
-
-
-
Als Idealfall 1) Man vergas bei der Diskussion, dass man eine Fremdsprache lernte
Ein Lehrer, der in einem bilingualen Zweig Kunst unterrichtet, kommt gar nicht
darauf, dass die Inhalte und Ziele des Faches Kunst nur ein Vorwand wären, die
fremde Sprache einzuüben.
Im Tun wird Sprache wie in einem unbewussten Osmosevorgang aufgesogen, sie
durchdringt das Tun, steuert es, begleitet es, schließt es ab, ohne dass sich die
Handelnden ihrer so recht bewusst werden.
Es empfiehlt sich also, den Sprach- und Fachunterricht zu verbinden. Die Sprache
obendrein, die Sprache als Draufgabe – das ist Sachlernen.
20
7. Dokumentation
-
Bei „freiem“ (kommunikativem) Unterricht werden Schüler oft spontan, zwanglos und
frei, machen allerdings kleine Fehler. Darauf muss der Unterricht auch reagieren, denn
konstanter „peer input“ kann zu unausrottbaren Fehlern führen.
VII. Rezeption vor Produktion oder: Der sanfte Einstieg
1. Vorsprung durch Verstehen
-
-
Der Vorsprung des Sprachverständnisses vor dem Selber sprechen beträgt
durchschnittlich zwei bis drei Monate in der Erstsprache.
Im natürlichen Zweitspracherwerb sind die Verhältnisse weniger klar.
Eine extrem lange Phase ist wohl zunächst einmal eine Phase des Nichtverstehens
bzw. des Verstehen Lernens, zudem eines affektiv getönten Sprach- und
Kulturschocks (aber dies ist kein Muss)
Dennoch geht das Hören dem Sprechen voraus, der Ausdruck folgt dem Eindruck.
Kinder besitzen anfangs eindeutige Gefälle zwischen Hör- und Sprechfähigkeit
(Gefälle zwischen Rezeption und Produktion)
Das Kind nimmt sich Zeit, entzerrt die Schwierigkeiten des Spracherwerbs.
Das Gefälle bleibt im Erwachsenen Alter bestehen.
2. Unterrichtsanalyse: Überforderung durch frühe Imitation?
-
-
Wir dürfen uns als fertige Muttersprachler und Fremdsprachenlehrer nicht den Blick
auf die Schwierigkeiten des Anfängers verstellen lassen.
Kognitive Ergänzungsarbeit, die die Lauterkennung ungemein entlastet und damit
Hörverstehen im normalen Tempo überhaupt erst ermöglicht, entfällt beim Anfänger.
Äußerungslänge ist ein kritischer Faktor bei der Imitation.
Der fundamentale Vorgang des Aufeinanderbeziehens von sprachlicher Form und
welthaltiger Bedeutung, der die innere Grammatik erzeugt, muss stattfinden (kritisch
beim „Nachplappern“).
Auffrischen der Bedeutungsangabe beim bilingualen Lernen: „mother-tongue meaning
booster“
3. Praktische Lösungen
-
-
-
Der Lehrer muss Lernprobleme seiner Schüler durchschauen
Lehrer sollten mehr reden, ohne die Schüler in einem Redeschwall zu ertränken
Schüler sollten sich äußern und nachsprechen, die simultane Ausbildung von
Hörbildern, artikulatorischen und grammatischen Mustern fördern, durch z.B.:
Kurze Sätze, nachsprechen nur verstandener Dinge, Spiegelung des Satzes in der
Muttersprache bei Strukturverschiedenheit, Schriftbild und Mitleseverfahren, dem
lauten Nachsprechen vorausgehenden stillem Selbstversuch.
Mögliche Entlastung der Schüler durch viele Bewegungsspiele oder Rollenspiele
Doch: Eine sprechfreie Anfangsphase im strengen Sinne ist nicht zu rechtfertigen.
Stattdessen eine sorgfältige Dosierung strapaziöser Sprech- und Nachsprechphasen
und mehr Zeit fürs Zuhören.
Tan-Gau-Methode (Robert Gautier und Tan Gwan Leong) = Start in L2, Schüler
beliebig in L1 oder L2, Zeitpunkt für L2 beliebig und individuell wählbar.
21
-
Führt zu angstfreiem Übergang, dauert aber recht lange.
In der Praxis: Kombination all dieser Verfahren anwenden, die den Schüler zugleich
fördert und fordert, ihm einen sanften Einstieg in die Fremdsprache gestattet, statt
Sprache anzudressieren, Freiraum für unbewusste Lernmechanismen schafft und Mut
zum Weiterlernen macht.
IX. Wie funktioniert die muttersprachliche Bedeutungsvermittlung?
1. Zur Geschichte
-
Früher: audiovisuelle Methode, Versuch der wirklichen Einsprachigkeit
Heute: dreispaltige Vokabelverzeichnisse / Aufgeklärte Einsprachigkeit
Warum ist Muttersprache so praktikabel?
2. Entdogmatisierung der Methode
-
Als Bedeutungsvermittlung sind drei Wege offen:
1. absolute Einsprachigkeit
2. Weg, der die Muttersprache zu vermeiden versucht, sie aber im Notfall zulässt.
3. die muttersprachliche Semantisierung.
- Entscheidend, welche Techniken mit den geringsten Reibungsverlusten
1. dem Schüler das Doppelverstehen als Grundbedingung des Spracherwerbs
ermöglichen
2. das Analogiespiel ankurbeln
3. den Schüler zur rein fremdsprachigen, mitteilungsbezogenen Kommunikation
befähigen und motivieren.
3. Vertauschung von Zweck und Mittel: Der inhaltslose Anfangsunterricht
-
Das Ziel kann nicht die Einsprachigkeit des Unterrichts, sondern nur die
Kommunikationsfähigkeit der Schüler sein.
- Es kommt aber in der Einführungsphase zu aneinander gereihten Minisituation und
Kleintexten, die inhaltlich völlig belanglos sind und niemandem etwas sagen.
- Ziel: Dialoge, die Spaß machen, wenn man sie spielt; spannungsreiche und
dramatische Texte, etc.
- Aber von zwei Fesseln haben wir uns bei der Textauswahl befreit: der einsprachigen
Erklärbarkeit und der strengen grammatischen Progression.
- Die Thesen lauten demnach:
1. Kommunizieren lernen wir am ehesten anhand von Situationen, Texten, Inhalten und
Ideen, die uns über das bloß sprachliche Ziel hinaus interessieren.
2. Mit solchen Situationen oder Texten ist eine muttersprachliche oder gemischte
Semantisierung zumal auf der Elementarstufe eindeutig effektiver.
3. Außerdem ist Semantisierung auch Grammatikarbeit.
- Kommunikation darf sich nicht in der Bewältigung von Alltagssituationen erschöpfen.
- Aber: Bei Dialogen, die man nachspielen kann, darf man allerdings Abstriche machen;
es gibt eben so etwas wie einen Sprachverfremdungsbonus.
22
4. Der Eiertanz um die Einsprachigkeit
-
Vorsicht vor „Vorlektionen“, die neue Wörter, Strukturen häppchenweise vorstellen,
nur damit der Unterricht ganz in der Fremdsprache bleiben kann.
Statt dem Prinzip der Einsprachigkeit gilt die funktionale Fremdsprachigkeit des
Unterrichts.
5. Böse Folgen der unaufgeklärten Einsprachigkeit?
-
Einsprachigkeit benachteiligt ohnehin schon benachteiligte Schüler (z.B. lernschwache
Schüler)
- Gerade diese brauchen keine Ausdünnung der Texte, sondern intellektuelle Anreize,
die ihnen zuhause oft nicht zuteil werden.
- Minderleistungen werden durch Ausdünnung durch zwei methodische Fehler
mitbedingt:
1. Lernschwache Schüler verstehen oft nur unvollkommen, was sie hören und lesen, ja
auch was sie selbst sagen.
2. Lernschwache Schüler brauchen lernpsychologisch sorgfältig gestufte Übungen, um
ihre Fähigkeiten zur sprachlichen Analogiebildung zu entfalten.
- Es gibt einen Zusammenhang zwischen Intelligenz und der Fähigkeit,
fremdsprachliche Satzmuster durchzuspielen
6. Verfahrensweisen bei muttersprachlicher Semantisierung
-
Auswendig lernen wird am schnellsten erreicht durch:
Lehrer spricht vor, übersetzt, Zwischenschaltung von Übersetzung, Schüler sprechen
unmittelbar auf die fremdsprachliche Vorgabe nach (Mitleseverfahren)
-
Pragmatische Aspekte:
-
Mitteilungsäquivalente (kommunikativer Wert mit Abtönpartikel und
Illokutionsindikatoren)
Sprechstil (z.B. dialekte Formen)
Stimme (stimmliche Mittel wie flüstern, brüllen, etc.)
Mimik und Gestik (Kopfschütteln, etc.)
Anschaulichkeit (Bilder, Zeichnungen, etc.)
-
Fazit: Das große Plus muttersprachlicher Mitteilungsäquivalente ist die pragmatischaffektive Komponente der Bedeutung.
-
Weitere Aspekte:
-
Mehrfachübersetzung
Selbsttätigkeit, Mithilfe der Schüler (Fragen nach anderen Übersetzungen)
Wörtliche Übersetzung: Spiegelung der fremden Struktur
-
Die Schüler müssen in erster Linie wissen, was gemeint ist.
23
7. Das Prinzip der Anknüpfung
-
Anknüpfen statt Trennen
Das Neue ist also um des Behaltens willen in ein vielfältiges Beziehungsgeflecht
einzuknüpfen, die neue Information an möglichst vielen Haken zugleich aufzuhängen.
Ab und zu ruhig „spaßige Eselsbrücken“
Statt Fremdsprache zu separieren sollte man sie auf vielerlei Weise an Vorhandenes
anknüpfen und in das Gesamtnetzwerk von Erfahrungen einbinden.
8. Verarbeitungstiefe
-
Sprachliches Material wird umso besser behalten, je mehr Verarbeitungsebenen es
durchläuft.
Die semantische Ebene liegt tiefer als die sensorischen Repräsentationen von Wörtern
und Texten. Und ein Wort ist um so fester verankert, wenn es auch bedeutungsmäßig
erfasst ist.
-
Ebenen:
-
Wort: Hören
Vorgesprochene Wort: Sehen
Artikulierte Wort: Muskelbild
Schriftbild: Sehen
Geschriebene Wort: Muskelbild, Schreibmotorik
Verstandene Wort: semantische Repräsentation
Semantische Assoziation: elaborierte semantische Repräsentation
-
Zugeordnete Bild: Sehen
Gestikulieren: Grobmotorik
Affektive Komponenten in Stimmführung und Mimik: Feinmotorik
9. Dokumentation
-
Stellungnahmen von Hauptschülern:
-
Spaß und besser.
Toll, dass beide nur Englisch gesprochen haben.
Spaß, so mit zu überlegen. Man lernt mehr.
-
Keiner erwähnte die Zuhilfenahme der Muttersprache.
24
10. Ein- und zweisprachige Anschlussübungen zum Einstudieren eines Dialogs
-
Oft müssen Schüler den Text mehrfach durchgehen
Anschlussübung: z.B. Rückübersetzen.
Lehrer nennt muttersprachliches Mitteilungsäquivalent, Schüler nennt den
zugehörigen Dialogsatz.
-
Konzept der Entsprachlichung (deverbalization hypothesis):
-
Bildabruf:
Lehrer zeigt auf Bild
Schüler erkennt das Bild wieder, versteht es
Schüler erinnert sich an zugehörigen Satz
-
Rückübersetzen:
Lehrer spricht Satz.
Schüler versteht Satz und erfasst den Sinn: Entsprachlichung.
Schüler erinnert sich an den Originalsatz und sagt ihn.
-
Als Hilfe: Texteinsicht, Reihenfolge, mehrfaches Wiederholen zur Unterstützung
Schächerer, Signalwörter abrufen (basierend auf Studien wie „verbale Sättigung“,
„Aufgabenorientierung“, intermittierende Verstärkung“)
11. Semantisierung und Grammatik
-
1.
2.
3.
4.
Entscheidend ist das Ziel: Der Schüler soll über die im Text enthaltenen Wörter,
Strukturen und Redemittel aktiv verfügen.
Sich vom Text ablösende, freie und kommunikative Arbeitsformen müssen
hinzukommen.
Es kommen kurze Texte in Frage, die in knappen Raum viel Neues enthaltne dürfen.
Bilinguale Semantisierung im geschilderten Unterrichtskontext hat folgende
Kennzeichen:
Der Schüler versteht sofort, es bleiben keine Unklarheiten.
Der disziplinierte, geregelte, wohl dosierte Einsatz der Muttersprache hilft.
Zeitraubende Umwege werden vermieden.
Die unaufgeklärte Einsprachigkeit hat ungewollte Nebenwirkungen auf die
Textinhalte.
5. Das Verfahren wurde in mehreren experimentellen Vergleichen erprobt und
ausführlich dokumentiert.
6. Das Ziel, sich in rein fremdsprachigen Situationen zu bewähren und mit
Verständnisschwierigkeiten ohne Hilfe der Muttersprache zurecht zu kommen, wird
mit der hier aufgeführten muttersprachlichen Semantisierung eher und sicherer
erreicht als im Rahmen der traditionellen Einsprachigkeit.
25
12. Die Schüler übernehmen die Texteinführung
-
Traditionelle Texteinführung kann sinnvoll sein bei z.B. erzählenden Texten mit
relativ wenig neuen Vokabeln, die sich aus dem Kontext der langen Sätze erschließen.
LDL: „Lernen durch Lehren“, die Schüler übernehmen den Unterricht, der Lehrer
wird Berater und Helfer derjenigen, die nicht so oft vor anderen sprechen.
Dieses erhöht den Sprechanteil der Schüler.
Das „classroom management“ ist die unmittelbare Domäne echter Kommunikation in
der Fremdsprache.
Dabei ist – für kurze Nachfragen – die Muttersprache aber trotz allem unersetzlich. Sie
ist aber nicht „ultima ratio“ sondern „prima ratio“.
X. Mischtexte – Wiederbelebung einer ehrwürdigen Lehrtradition
1. Polyglotte Dichtung und polyglotter Alltag
-
Sprachmischungen können unter Umständen auch Kennzeichen der
Alltagskommunikation sein.
Beim Europanto des Diego Marani steht der englische Satzbau, der Rest wird
improvisiert, indem man die Sprachkenntnisse des Partners berücksichtigt.
2. Von Interlinearversionen zu modernen Mischtexten
-
-
Wort für Wort Übersetzungen oft schwer verständlich und hatten keinen Fortschritt
der Schüler einkalkuliert.
Neuer Vorschlag: Erst Originaltext, dann mehrere Mischtexte, dann wieder in den
Originaltext überführen.
Also: Lesefluss soll gewahrt bleiben, Interferenzen bleiben aufgrund des direkten
Verweises an das Original nicht haften.
Weitere Möglichkeit: Mischtexte, die von vorneherein „Sprachmischmasch“ enthalten.
Tolles Beispiel: Emer O’Sullivan und Dietmar Rössler „deutsch-englische
Geschichten“, „Mensch, be careful“ oder „I like you – und Du?“
Hilfreich: Redundanz natürlicher Gespräche, Wiederaufnehmen oder Verwerfen von
Ideen des einen durch den anderen, bewusste Anwendung der „stream of
consciousness technique“
XI. Zwischen Üben und Kommunizieren: Grammatik im Sprachvollzug (1)
1. das klassische Problem der Lernübertragung und das generative Prinzip
-
Pattern drills (Strukturübungen) entstammen der Ehe von psychologischem
Behaviorismus und linguistischem Strukturalismus
Wie gelingt es, Übungserfolge in kommunikative Erfolge umzumünzen?
Motor der analogen Satzbildungen anwerfen
Allen früheren Arbeitsformen ist das generative Prinzip gemeinsam
Ein Satz wird zum Satzmuster, zum Modell vieler möglicher Sätze
Weiterentwicklung setzt beim Problem an: dem Übergang vom Üben zum
Kommunizieren.
Es gilt: Brauchbare Formeln und Strukturen aus ihrer funktionalen Gebundenheit
herauszulösen und sie für alle nur möglichen kommunikativen Bedürfnisse verfügbar
zu machen.
26
-
Das Entscheidende wird die austauschbare Lexik (Wiederholen und Austauschen)
Entwicklung von rein formbezogenen zu mehr inhaltsbezogenen Sätzen, also in
Richtung mitteilungsbezogene Kommunikation
Bei einsprachiger Steuerung löst der Schüler ein formales Problem, bei zweisprachiger
Steuerung löst der Schüler ein Formulierungsproblem.
Grammatik im Sprachvollzug führt sprachliche Regelungen im Vollzug vor, statt sie
zu beschreiben und entfaltet zugleich deren kommunikatives Potential.
Kraft unserer Imagination können auch Einzelsätze ohne visuelle Stützen oder weitere
Einkleidungen Situationen und Konstellationen vorführen, die zu kommunikativen
Reaktionen veranlassen.
2. Übergänge vom Üben zum Kommunizieren
-
Der allmähliche Wegfall der Muttersprache ist charakteristisch für ihre Rolle im
Fremdsprachenunterricht: Sie muss sich selbst überflüssig machen.
Das Problem des Übergangs vom formbezogenen Üben zum inhaltsbezogenen
Sprechen wird durch kurze kommunikative Momente in der Übung selbst gelöst.
Diese Bewusstseinsveränderung ist entscheidend: Der Schüler konzipiert seinen Satz
von einer Idee, nicht von der Form her.
3. Beispiele aus dem Französischunterricht
1.
2.
3.
4.
Lehrer gibt Beispiele
Schüler überlegen selbst, können Tuscheln oder den Lehrer fragen
Schüler geben ihre Sätze zum Besten
Abschließend Texte diktieren und memorieren lassen.
4. Dokumentation: Vom Satz zum Gespräch
-
Schülern fällt es schwer, längere Diskussionen durchzuhalten, es sei denn, diese wären
selbst wieder durch nicht-kommunikative Vorübungen gründlich vorbereitet.
Es gibt mithin ein Sowohl-Als-Auch, ebenso wie es viele Zwischenstufen zwischen
tief unbewusstem und voll bewusstem Spracherwerb gibt (Keine Trennung zwischen
acquisition und learning)
5. Vom Satzkonjugieren zu halb kommunikativen Strukturübungen: Gesamtübersicht
-
Klassische Theorie:
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Durchspielen begrenzter formaler Möglichkeiten
Einschleifen / Automatisieren elementarer Strukturen bei wechselnder Lexik
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Verbesserungsversuche:
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Sog. Kontextualisierte Drills; alle Übungssätze beziehen sich auf eine bestimmte
Situation
Herstellen einer dialogischen Beziehung zwischen Stimulus und Repsonse, z.B. FrageAntwort, Äußerung – Kommentar.
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Neuansatz: Halbkommunikative Strukturübungen:
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Strukturale Transparenz durch muttersprachliche Spiegelung
Kontrastivität durch muttersprachliche Mitteilungsäquivalente
Erkunden des semantisch-pragmatischen Potentials einer Struktur; spielerischer
Umgang mit Sprache; Ausreizen der inhaltlichen Möglichkeiten einer Struktur im
Hinblick auf Kommunikationsbedürfnisse; die Schüler lösen ein
Formulierungsproblem
Ausnutzen der Variationen zu Sprechanlässen: kommunikative Einsprengsel,
Übergang zum Gespräch
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Halbkommunikative Strukturübungen zeigen folgenden Verlauf:
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Zunächst muttersprachliche gesteuerte Übung wird einsprachig, indem die Schüler
selbständig Sätze bilden. Hier kann man bei Bedarf eine kurze Stillarbeit
zwischenschalten, damit die Schüler sich einige Sätze in Ruhe notieren können.
Damit geht im Verlauf der Übung die Initiative vom Lehrer auf die Schüler über
Die zunächst formbezogene Übung orientiert sich immer stärker an Inhalten.
Infolge der stärkeren inhaltlichen Akzentuierung wird eine bloße Grammatikübung
zunehmend von kommunikativen Einschüben durchsetzt
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Oder kürzer:
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Zweisprachig -> einsprachig
Reaktiv -> kreativ
Formbezogen -> inhaltsbezogen
Entspannt -> angeregt
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Aufbrechen der Übung und Übergang ins Gespräch.
6. Ältestes bewahrt mit Treue: Der strukturale Ansatz
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Pattern Drill wird nicht verworfen, sondern um- und ausgebaut.
Analogiebildung ist ein Grundvorgang menschlichen Wissenserwerb, des Lebens
überhaupt.
- Schon klassische Strukturdrills kombinieren drei für das Lernen vorteilhafte Momente:
1. Elementare Formverbindungen müssen geläufig werden, wir erwerben ein Gefühl für
sprachliche Wahrscheinlichkeitsstrukturen (transition possibilities)
2. Der morphosyntaktische Bereich ist überschaubar. Er ist gekennzeichnet durch das
grammatische Prinzip der „Dihairesis“, d.h. der erschöpfenden Aufgliederung eines
Ganzen
3. Das grammatische Prinzip der vollständigen Aufzählung hat nun seinen Gegenpart in
den offenen, stets erweiterbaren lexikalischen Feldern.
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7. Freundlich aufgefasstes Neues: Struktur und Sprechakt, Situation und
Kommunikation
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Eine pragmalinguistische Reihung würde das generative Prinzip der Satzerzeugung
eher verdecken.
Wir bleiben bei einer prinzipiell strukturalen Progression, achten jedoch sehr bewusst
auf den Wechsel der Sprechakte, markieren ihn evtl. intonatorisch oder durch
passende Lexik, damit auch der Schüler merkt, wie ein Satz gemeint ist.
Für das Gespräch gibt es keinen Eratz, auch nicht in Form langer Listen von
Redefunktionen.
Schule bedeutet die Isolation vom gesellschaftlichen Leben, so entsteht das Problem
der Lebensferne und Künstlichkeit.
Das eigentliche Transferproblem, die Übertragung von der Übungssituation auf den
Ernstfall, in dem man wirklich meint, was man sagt, ist mit der schlichten Übung
„shopping at the baker’s“ und einem gewöhnlichen „transfer“ nicht gelöst.
Es kommt auf den Wechsel von sprachbezogener zu mitteilungsbezogener
Kommunikation an.
8. Freier, schöpferischer Umgang mit Sprache
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Lehrer schaffen durch halbkommunikative Strukturübungen Freiraum für selbst
bestimmtes Lernen.
Wir werden erst frei im Gebrauch der Sprache durch ihren freien Gebrauch.
XII. Grammatik: Die Chance des Unterrichts
1. Entrümpelung des Grammatikunterrichts
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Heute ist das wichtigste Anliegen, Zeit für die natürliche Sprachverwendung zu
gewinnen, deshalb ist die Grammatik auf das Notwendigste zu beschränken.
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Wir dürfen nicht vergessen,
Dass unsere Sprachintuition ohne grammatische Unterweisung auskommen kann: wir
beherrschen die kompliziertesten Regeln, ohne sie zu kennen.
Dass diese auch dann die Hauptarbeit beim
Spracherwerb leistet, wenn wir mit Erklärungen, Regeln und Übungen nachhelfen.
Jede Stunde, in der die Fremdsprache sinnvoll und verständlich verwendet wird, ist
schon eine Grammatikstunde.
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Die Lehrer bekennen sich zum Lehrziel Kommunikation, im Mittelpunkt ihres
Unterrichts stehen jedoch grammatische Übungen und die dazugehörige Belehrung.
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Fazit: Nach wie vor bedarf es einer Entrümpelung des Grammatikunterrichts. Wir
fragen uns heute nicht streng genug, ob die für einen bestimmten Fall vorgesehene
Beschäftigung mit der Grammatik – die ja immer auf Kosten von etwas anderem geht
– tatsächlich zur Spracherlernung beiträgt.
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Bei normaler Lehrweise: Neu eingeführte Regelungen waren in das kommunikative
Repertoire der Schüler nicht oder noch nicht integrierbar.
Risiken der traditionellen Grammatikarbeit:
Es ist schwierig, Erklärungen zu finden, die an die Denkweisen der Schüler nknüpfen.
Die Grammatik ufert aus.
Auch wenn richtig erklärt und verstanden wurde, bleibt die Frage, wie viel davon zu
unbewussten Steuerungsimpulsen für Spontansprache absinken kann.
Es wird geübt, aber nicht richtig geübt. Die Übungserfolge sind nur Scheinleistungen,
(1) wenn die Produktivkraft der Sprache nicht angekurbelt, das generative Prinzip
vernachlässigt wird; (2) wenn beim Üben der Anschluss an kommunikative
Arbeitsformen verpasst wird.
Lebendig heißt: der Schüler muss innerlich beteiligt sein, sich wirklich über etwas
verständigen wollen.
Wir dürfen Schülern nicht zuviel sprachliche Schonkost anbieten: das Prinzip der
Mehrdarbietung.
2. Die Mitwirkung der Muttersprache beim Grammatikerwerb:
Grammatik im Sprachvollzug (2)
2.1 Funktionale Transparenz durch idiomatische Übersetzung; die Muttersprache als
Orientierungsbasis
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Der natürliche Sprachverstand wird regsam, sobald wir verstanden haben.
Verstehen heißt zu allererst wissen, was genau gemeint ist, um in der Situation
angemessen zu reagieren.
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Fazit: Die sinngetreue Übersetzung ist ein vorzügliches Mittel, fremde
Sprachfunktionen zu verdeutlichen, so dass darüber hinausgehende Erklärungen oft
überflüssig sind. Wir begreifen direkter und schneller, worum es geht. Die
metasprachliche Erläuterung des Sachverhalts ist uns zumeist weniger zugänglich.
2.2 Strukturale Transparenz durch muttersprachliche Spiegelung
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Es gilt, die Verbindung zu erkennen, die die formale Ordnung mit der inhaltlichen
eingeht (Morphosyntax, Nachbildung der fremden Struktur in der Muttersprache).
Die Sinngliederung erfassen wir meist problemloser, wenn wir sie in der
Muttersprache abbilden, statt in ihr zu erörtern.
Form und Bedeutung müssen einander so zugeordnet werden, dass das Geheimnis der
Satzerzeugung offenbar wird: das generative Konzept.
Eine Sprache lernen heißt jedenfalls, ihre Struktur – unbewusst, halb bewusst, bewusst
– soweit durchschauen, dass Wörter und Ausdrücke immer wieder neu kombiniert
werden können.
Der Weg führt von bloß situativ verstandener zu struktural verstandener Sprache
(Doppelverstehen) und damit zur Bildung von produktiven Regeln.
Man könnte den Induktionsweg wie folgt verkürzen:
Durch bloßes Anschreiben / graphische Gruppierung
Bei rein mündlicher Gruppierung
Erklärung durch Fachausdrücke (für Schüler meist der schwierigste Weg)
Durch wörtliche Übersetzung die Struktur deutlich machen
Doppelübersetzungen können oftmals helfen.
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Wenn wir von wörtlicher Übersetzung oder Nachbildung der fremden Struktur
sprechen, meinen wir gewöhnlich Äquivalenz auf der Wortebene mit möglichem
Wechsel auf die höherrangige Ebene der Wortgruppe / des Syntagmas.
Keine Sprache lässt sich vollkommen auf eine andere abbilden.
Das bedeutungsmäßige und zugleich formale Erfassen dieser Äußerungen ist schon
die Grammatik.
Eselsbrücke könnte die muttersprachliche Stellung (eins zu eins) sein.
Ideologische Verblendung! Wenn es so etwas wie ein Wundermittel für die Syntax
gibt, dann ist es die muttersprachliche Spiegelung (Siehe Vera Birkenbihl).
Durchsichtige Wörter und Wendungen (z.B. Lehnübersetzungen)
3. Erklären: Weniger ist mehr!
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Bei allen Erklärungen ist das Alter der Schüler und ihr sehr individuelles
Vorverständnis zu berücksichtigen.
Weniger und zugleich besser erklären!
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Denkwege
Wir brauchen Erklärung, die ankommen und behalten werden
Ermutigung der Schüler zum gegenseitigen Erklären
Besonders klare und denkwürdig „prototypische“ Ausdrücke anbieten
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Rückführung der Grammatik auf die Semantik
Vermeidung der Begrifflichkeit, hinter der keine Erfahrung steckt und Verwendung
vorzugsweise solcher Kategorien, die aus dem Alltagsleben kommen.
Keine lebendige Sprache wird vollständig auf den Begriff gebracht werden.
Einzelfragen zu dem Grundproblem zurückführen, wie die Grammatik die
Grundstruktur unserer menschlichen Wirklichkeit in ihre Ordnung übersetzt.
Aufzeigen einer möglichen Sinngliederung unserer Menschenwelt.
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Hilfe zur Selbsthilfe
Wer Grammatik verlangt, soll sie bekommen.
In der Schulbibliothek, Lehrer stellen sie und die Arbeitsweise im Unterricht vor.
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4. Zusammenfassung
1. Vorsicht vor den Regeln und Termini, die wir üblicherweise verwenden.
2. Grammatikarbeit geht aus der Kommunikation / Textarbeit hervor und mündet in sie
ein. Verwende muttersprachliche Mitteilungsäquivalente.
3. Situativ funktionales und strukturales Verständnis fallen zusammen. Wo sie
auseinander fallen, ist die Muttersprache das geeignetste Mittel, um situativ
funktionales wie strukturales Verständnis zugleich herzustellen und damit den
Grammatikerwerb in Gang zu bringen.
4. Die Durchgliederung geschlossener Form- und Bedeutungsfelder bietet einen
lerntechnischen Vorteil.
5. Hin und wieder helfen Merkverse (Eselsbrücken) – nicht nur tausendfach erprobt,
sondern auch fertigkeitspsychologisch fundiert.
6. Wir kombinieren verschiedene Mittel (z.B. graphische Verdeutlichung, Faustregel,
muttersprachliche Spiegelung)
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7. Die Muttersprache ist der Eckstein des Sprachunterrichts, den die Bauleute des 20.
Jahrhunderts verworfen haben. (im Verein mit der wörtlichen Übersetzung das stärkste
Mittel, um Klärung herbeizuführen).
XIII. Wörter bedeuten die Welt
1. Je größer der Wortschatz, desto mehr Kommunikation
-
Ein großer Wortschatz ist deshalb so wichtig, weil das Neugier- und
Kommunikationsmotiv nur über einen vielfältigen Wortschatz zu befriedigen sind.
Das Problematische an der Wortschatzdosierung ist eben ihr Verhältnis zu einem
möglichst kommunikativen Unterricht.
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Es ist vernünftig:
Den Wortschatz nach Häufigkeitswerten auszuwählen
Den Wortschatz nach der Durchschnittswelt der Schüler auszurichten
Neue Wörter durch schon vorhandene fremde Wörter zu erklären
Die Schwierigkeiten zu isolieren und damit den Wortschatz sorgfältig zu dosieren
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Addition ergibt jedoch die Unvernunft mancher modernen Lehrwerke.
Auf Grundlage weniger Strukturen können wir uns zu vielen Lebensbereichen äußern.
Lexikalische Fehler gefährden im Unterricht das Verständnis dreimal so häufig wie
grammatische Fehler.
2. Systematische Erweiterung des Wortschatzes durch Kognate und Internationalismen:
der Schneeballeffekt
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Nicht sorgfältig portionierter Wortschatz, sondern Flexibilität und Masse sind Trumpf.
Der natürliche Zeiterwerb setzt auf Zeit, der Unterricht muss künstliche Mittel
einsetzen: Vokabeln lernen, ein vielmaschiges Assoziationsnetz und
Systematisierungen aller Art.
Intuitive oder explizite Gleichsetzungen werden in der Regel auch als vorläufig
empfunden.
Der Unterricht soll Gelegenheit geben, nicht nur mit Wörtern, sondern auch mit Ideen
zu spielen.
Ein großer Teil der Fremdsprache gehört uns schon (wenn wir Fremdwörter und
Internationalismen nach Sachbereichen gliedern und sammeln können).
Möglichkeit: Vokabelkladde, stete Ergänzung, nach Sachgruppen geordnet.
Weiterer Teil: Kognate unter dem Aspekt der Lautverschiebung (home/Heim,
town/Zaun, ghost/Geist, etc)
Dritter Teil: Wortbildung – Formale Analogien sind immer ein wichtiges
Strukturierungsprinzip (potentieller Wortschatz, 1) Ableitung von anderen Wörtern,
2) Ableitung durch andere Sprachen, 3) Ableitung durch deutsche Fremdwörter
Methodisches Grundprinzip: anknüpfen statt trennen; zwischensprachlich vernetzen,
und dabei den wichtigsten Bereich, die Muttersprache, nicht ignorieren.
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3. Textfundiertes Vokabellernen und phraseologische Arbeit
3.1 Reformen und ihre ungewollten Nebenwirkungen
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Mit Recht wurde das Vokabelheftchen mit seinen Wortgleichungen vom Typ „greet –
grüßen, message – Botschaft“ als Vokabelfriedhof verworfen.
Stattdessen wurde das Vokabellernen komplett gestrichen (Unfug!)
Auf der Ebene der Wortgruppe und bei klischeehaften Ausdrücken finden wir fast
immer stimmige, brauchbare Äquivalenzen.
Kommunikation ist nicht per se progressiv und der Auftrag zum regelmäßigen
Vokabellernen nicht von vorneherein ein Zeichen reaktionärer Pädagogik.
Wenn man sich nicht ausreichend mit der Fremdsprache beschäftigt, kann sie nicht
einwurzeln.
Eine ideale Kombination wäre demnach ein Unterricht, der sich auf die Vermittlung
neuer Sprache im Kontext konzentriert und darüber hinaus für viel
Anwendungserfahrung, sprich Kommunikation, sorgt, verbunden mit einem
regelmäßigen, intensiven Einprägen bereits angeübter Wörter und Wendungen in
häuslicher Nacharbeit.
3.2 Das Vokabelverzeichnis
- Zwei von Hohmann erprobte Arbeitsweisen als Vorschlag:
1. Zunächst arbeitet der Schüler mit den heute üblichen dreispaltigen Vokabelverzeichnis
seines Lehrwerks; zuerst ohne Abdeckung die Sätze in der Mitte halblaut lesen und
mit den Wörtern vervollständigen, bei Bedarf Blick auf linke oder rechte Spalte
2. Bei den nächsten Durchgängen erst die linke, dann die rechte Spalte abdecken. Kann
er die Sätze flüssig vervollständigen, hat er seine Vokabeln gelernt.
- Lehrer fragt durch Vorlesen der Mittelspalte + „Complete“ oder „Kunstwort“ (kann
angepasst werden) ab.
3.3 Wortverbindungen
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Für die Mittelstufe Wechsel der Arbeitsform im Bezug auf Vokabeln
In der Mittelstufe enthalten sind zunehmend authentische Texte, das Lernen nach dem
Vokabelverzeichnis wird also unökonomischer.
Eine Ähnlichkeit mit der halbkommunikativen Strukturierung soll hergestellt werden.
Wortverbindungen kommen heute immer noch zu kurz.
Wortverbindungen sind ein Ergebnis der erwähnten Verschmelzung, des chunking.
Das sind neben den bekannten idiomatischen Redensarten lexical phrases aller Art,
pragmatische Floskeln, typische Satzanfänge, Funktionsverbgefüge, Kollokationen.
Es existiert noch ein Zwischenbereich, das Sprachübliche (usage). Auch hier muss
Muttersprache zur Stelle sein, um den kommunikativen Wert richtig zu erfassen.
Zusätzlich empfiehlt sich noch themenbezogenes Memorieren mit dem nach
Sachgruppen geordneten Lernwörterbuch (nur wenn das Thema mit einem Text
vorbereitet ist) als Nachschlagewerk.
Lernwörterbücher zeichnen sich durch einen sorgfältig ausgewählten Wortschatz, eine
Gliederung in sinnvolle Sachgruppen, gut memorierbare Wortgleichungen nebst
Anwendungsbeispielen und Kollokationen aus.
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3.4 Prinzipien der Wortschatzarbeit: Zusammenfassung
1. Nicht kleckern, klotzen! Je größer der Wortschatz, desto mehr Welthaltigkeit, desto
intensivere, persönlich bedeutsame Kommunikation.
2. Der Text ist und bleibt Artikulationsmodell und Artikulationsanlass. Systematische
Wortschatzinventuren und Ordnungsversuche nur im Anschluss an Texte, und nicht
ausufern lassen. Textarbeit hat einen doppelten Fokus: primär inhaltsbezogen, aber
auch sprachbezogen.
3. Die Einzelwortperspektive ergänzen durch stärkere Beachtung der Phraseologie, der
Lexico-Grammatik.
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Fremdsprachenunterricht ist keine bilinguale Vokabeldressur. Aber neben der
textfundierten anspruchsvollen Spracharbeit im Unterricht sind das häusliche
Einprägen von Wörtern und Wendungen, die bewusste individuelle Lernarbeit, die
konzentrative Anspannung des Gedächtnisses in Anbetracht knapp bemessener
Unterrichtszeit unverzichtbar.
Häusliche Memoriearbeit muss die eherunbewusste Assimilation neuer Wörter und
Wendungen bei ihrer kommunikativen Verwendung im Unterricht stützen. Dort
verwandelt sich sicher eingeprägtes Wissen in natürliche Spracharbeit.
XIV. Übersetzen: Sprache als Denk- und Ausdrucksmittel
1. Vom kulturellen Rang des Übersetzens
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Es geht um das Herübersetzen von Texten, das Überführen eines vorliegenden
fremdsprachlichen Textes in die Eigensprache.
Das Deutsche stand den Übersetzern (Biblische Übersetzung) nicht bereits zur
Verfügung, es musste durch Übersetzen überhaupt erst geschaffen werden.
Wenn es eine einzige kulturschaffende Tätigkeit vor allen anderen gäbe, so müsste es
das Übersetzen sein.
Deutsch ist die Sprache, in die am meisten übersetzt wird.
2. Übersetzen als selbständiges Lehrziel
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Übersetzen als ein Vermitteln zwischen den Kulturen ist eine zweifache Bewegung:
der Versuch, eine fremde geistige Welt zu verstehen, und das Fruchtbarmachen des
Fremden im Eigenen.
Heute besteht vor dem Übersetzen eine seltsame Scheu.
3. Übersetzen im Rahmen einer kommunikativen Didaktik
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Übersetzen, Sprachmitteln und Dolmetschen sind ausgeprägte kommunikative
Tätigkeiten.
Man kann zwei Sprachen sprechen und ein miserabler Übersetzer sein.
Übersetzen ist eine eigene Fertigkeit, die zu üben und auszubilden ist.
Es gibt keine bessere Verständniskontrolle als das Übersetzen in die Muttersprache.
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4. Methodik des Übersetzens
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Wo das Herübersetzen nicht regelmäßig geübt wird, gelingt es auch nicht.
Es kann aber von Anfang an gelingen, wenn es methodisch an die bilinguale
Semantisierung anschließt.
- Lehrer gibt Mitteilungsäquivalente, später Aufforderung an Schüler, einen
Originaltext selbständig zu übersetzen.
- Zwei Punkte sind zu beachten:
1. Der Schüler soll wissen, wozu und für wen er übersetzt. Funktion oder Zweck der
Übersetzung muss klar sein.
2. Die Art der Texte ist zu bedenken. Anfangs nur Textsorten, die mehr oder weniger der
Alltagsmundart der Schüler entsprechen.
5. Übersetzerwerksatt
-
Das Herübersetzen erfolgt am besten in der Gruppe
Es entstehen viele unterschiedliche Versionen, diese können einen Einblick in eine
echte Übersetzerwerksatt liefern.
Über Versionen in der Fremdsprache zu diskutieren, sie zu verwerfen oder zuzulassen.
Das ist Sprach- und Denkschulung, die Fremdsprachenunterricht zu leisten vermag.
6. Übersetzerdienst
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Sinn der Übersetzung ist, den Text für eine Diskussion innerhalb und außerhalb der
Schule verfügbar zu machen.
Möglichkeit: Meinungsschau von politischen und innenpolitischen Themen aus
ausländischen Zeitungen.
7. Literarische Übersetzung
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Schüler sollen erfahren, wie man um den Ausdruck ringen kann, um Genauigkeit,
Formschönheit und Eleganz zu erreichen.
Doppelaufgabe des Verstehens und Gestaltens.
Weiteres Beispiel: Untertiteln und Synchronisieren von Filmen.
8. Schluss
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Textlektüre und Textgespräch bleiben die Hauptformen der Textaneignung, trotzdem
den Wert der Übersetzung nicht vergessen.
Unser Kommunikationsbegriff ist umfassend, schließt Sprache als Denkmittel ein,
denn Denken will sich mitteilen.
Kommunikation ist mehr als bloße Konversation, mehr als das Geplänkel eines von
allem Mitteilenswerten befreiten einsprachigen Anfangsunterrichts.
Der Weg führt nach wie vor über die Lektüre gehaltvoller Texte, bei der auch das
Übersetzen wieder seinen Platz findet.
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Fasst man alle Arbeitsformen zusammen, in denen die Muttersprache in irgendeiner
Form mitspielt, so kann man die Bilanz ziehen:
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Das wichtigste Hilfsmittel zum Erlernen der Fremdsprache ist zweifellos die
Fremdsprache selbst. Aber die Muttersprache ist es, die das Tor zur Fremdsprache
weit aufgestoßen hat. Wer sie geschickt mitbenutzt, gibt seinen Schülern unschätzbare
Lernhilfen und kann zahllose Stolperstellen entschärfen.
Epilog: Die Einwurzelung der Fremdsprache durch Kommunikation
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Das Ziel ist der Weg: Wir suchen das Gespräch, das Handeln auslöst, steuert,
koordiniert, begleitet, später sogar ersetzen kann.
Die reinste Verwirklichung der kommunikativen Idee und damit der effektivste
Sprachunterricht ist mithin die Kombination aus Sprachunterricht und bilingualem
Sachunterricht.
Alle methodische Kunst ist darauf zu legen, immer wieder Gelegenheiten für
fremdsprachige Kommunikation zu schaffen.
Grammatik, das Sprachsystem, wird im Kommunizieren mitgelernt.
Die postkommunikative Phase der Fremdsprachendidaktik ist schlichter Unsinn.
Sprachbeherrschung ist eine lustbetonte Erfahrung, die der Bestätigung von außen
meist nicht mehr bedarf.
Eine fremde Sprache kann nur durch die Muttersprache hindurch erworben werden,
deshalb bildet die Muttersprache auch die Orientierungsgrundlage für die Grammatikund Wortschatzarbeit.
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