1 Mathematisches Institut II Universität Karlsruhe Priv.-Doz. Dr. N. Grinberg 06.06.2004 SS’05 Schnupperkurs: Ausgewählte Methoden zur Aufgabenlösung Vorlesung 1: Invarianten und Halbinvarianten • In dieser Vorlesung stützen wir uns hauptsächlich auf das Buch Problem-Solving Strategies von Prof. Dr. Arthur Engel • Manche Aufgaben stammen aus verschiedenen Mathematik-Wettbewerben Die Invarianten- und Halbinvarianten-Methode ist bei den Aufgaben effektiv, in denen es um einen Prozess (ein Spiel, eine rekursive Folge, oder ein Algorithmus, zum Beispiel) geht, der nach bestimmten Regeln verläuft, oder, anderes gesprochen, wo nur bestimmte Operationen bzw. Schritte erlaubt sind. Mögliche Fragen sind dann: 1. Kann man nach endlich bzw. unendlich vielen Schritten von einem gegebenen Anfangszustand einen bestimmten Endzustand erreichen? 2. Welche Endkonstellationen sind überhaupt erreichbar? 3. Konvergiert das Prozess gegen einen Endstand? 4. Ist der Prozess periodisch? Für welche Anfangsbedingungen? 5. Ist der Prozess umkehrbar? Eine hilfreiche Idee ist es hier, nach einer Invariante zu suchen, d. h. nach einer Funktion, die sich im Laufe des Prozesses nicht ändert. Ist diese Funktion für zwei Konstellationen unterschiedlich, so steht damit fest, dass man von einem dieser Zustände den anderen nicht erreichen kann. Eine weitere Idee ist es, eine Halbinvariante zu finden (man nennt sie auch Antiinvariante), d. h. eine Funktion, die sich nach jedem Schritt ändert, und zwar in eine bestimmte Richtung (z. B. eine Zahl wird immer kleiner). Bei der Konvergenzfrage ist es manchmal sehr hilfreich, die Zustände zu untersuchen, wo diese Halbinvariante ihr Extremum annimt. Richtiges Anwenden dieser Methode ist eine Erfahrungssache (manchmal auch eine Glückssache). Um Erfahrungen zu sammeln, betrachten wir die folgenden Aufgaben. 2 1 Vorlesungsbeispiele • Invariantenmethode Aufgabe 1.1 Zwei kleine Bengel, Peter und Paul, zerreißen die Schulordnung. Peter macht aus einem Fetzen stets drei, Paul zerreißt ein Stück Papier immer in fünf Fetzen. Als die Direktorin den zwei Lausbuben auf die Schliche kommt, verlangt sie, alle Fetzen zu sammeln und das schöne Blatt mit der Schulordnung wieder zusammenzukleben. Peter und Paul haben insgesamt 100 Stück Papier gefunden. Zeigen Sie, dass die aus diesen Teilen zusammengeklebte Schulordnung unvollständig bleiben muß. Lösung: Jedesmal, wenn Peter ein Stück Papier zerreißt, vergrößert sich die Gesamtanzahl der Fetzen um 2, und wenn Paul einen Fetzen zerreißt, vergrößert sie sich um 4. Da wir am Anfang genau 1 Stück Papier hatten (nämlich die noch intakte Schulordnung), vergrößert sich diese Gesamtanzahl im Laufe der Ordnungswidrigkeit immer um 2 oder um 4, und bleibt folglich immer ungerade. Somit muß sie auch bei der Aufdeckung der Tat ungerade sein; mit 100 Stück Papier kann also die Schulordnung keinesfalls komplett wiederhergestellt werden. Aufgabe 1.2. Betrachten wir ein wie üblich gefärbtes 8 × 8-Schachbrett. Man kann in einem Zug alle Felder einer Zeile umfärben, alle Felder einer Spalte umfärben, oder vier Felder, die ein 2 × 2-Quadrat bilden, umfärben. (Ein Feld umfärben heißt, es schwarz zu färben falls es weiß ist, und es weiß zu färben falls es schwarz ist.) Kann man durch eine Folge von solchen Zügen erreichen, daß ein Feld schwarz ist und alle anderen Felder weiß sind? Lösung: Seien unter den 8 bzw. 4 Feldern, die umgefärbt werden, w weiße und s schwarze. Da w + s eine gerade Zahl ist, haben w und s die gleiche Parität. Nach der Umfärbung gibt es s weiße und w schwarze Felder. Die Paritäten haben sich also nicht geändert. Also bleibt nach jeder erlaubten Umfärbung die Parität der Gesamtanzahl aller weißen Felder erhalten. Das gleiche gilt natürlich für die schwarzen Felder. Am Anfang gibt es 64 = 32 weiße sowie 32 schwarze Felder. Also muß es am Ende auch eine 2 gerade Anzahl von weißen und eine gerade Anzahl von schwarzen Felder geben. Nur ein schwarzes Feld zu erhalten ist also nicht möglich. • Halbinvariantenmethode Aufgabe 1.3. In dem Staat Rastlosia gibt es n Städte, jede von deren mit ungerade vielen anderen Städten befreundet ist. In jeder Stadt regiert entweder die Schwarze oder die Rote Partei (Koalitionen sind nicht möglich). Einmal in Monat gibt es in einer von diesen Städten Wahlen: die Bürger wählen sich die Partei, die derzeit in der Mehrheit der befreundeten Städte regiert. Beweisen Sie, dass dieser Prozess nach einiger Zeit zum Stillstand kommt, d. h. es wird sich keine Stadt mehr finden, deren Regierung nicht der Mehrheit der Regierungen der befreundeten Städte entspricht. Lösung: Wir bezeichnen mit U die Anzahl der befreundeten Städtepaare, die nicht von den gleichen Parteien regiert werden. Sei A die Stadt, die von den Roten (o. B. 3 d. A.) regiert wird, und die jetzt gerade ihre Regierung wechselt. Vor dem Wechsel gab es a Freunde von A, die ebenfalls eine rote Regierung hatten, und b Freunde, die eine schwarze Regierung hatten. Dabei ist a < b (sonst ändert sich nichts). Es gibt also b befreundete Städtepaare, zu denen A gehört, und die von verschiedenen Parteien regiert werden. Nach dem Regierungswechsel in A gibt es nur a solche Paare. Die Gesamtanzahl U hat sich um b − a ≥ 1 verkleinert. Wir schließen, dass U eine Halbinvariante ist. Da U am Anfang eine endliche natürliche Zahl ist, erreichen wir nach endlich vielen Schritten Umin . Da diese Zahl nicht weiter verkleinert werden kann, muss der Prozess an dieser Stelle stehen bleiben. Aufgabe 1.4. Jeder von n Abgeordneten in einem Parlament hat höchstens 3 Feinde. Zeigen Sie, daß man das Parlament so in zwei Häuser aufteilen kann, dass jeder in seinem Haus nur noch höchstens einen Feind hat. Lösung: Unter einer Feindschaft verstehen wir im Folgenden ein Paar von Abgeordneten, die miteinander verfeindet sind und sich in dem gleichen Haus befinden. Für jede Aufteilung A des Parlamentes in zwei Häuser bezeichnen wir mit F (A) die Gesamtanzahl aller Feindschaften; dann ist natürlich F (A) = f1 (A) + f2 (A) , wobei f1 (A) die Anzahl aller Feindschaften innerhalb Haus 1 und f2 (A) die Anzahl aller Feindschaften innerhalb Haus 2 bedeutet. Nun bilden wir die zwei Häuser erst einmal beliebig (beispielsweise indem wir alle Abgeordnete im Haus 1 plazieren). Wir versuchen jetzt, schrittweise durch Umzug einiger Abgeordneter eine Situation zu erreichen, in der jeder Abgeordnete in seinem Haus höchstens einen Feind hat. Hat jeder Abgeordnete in seinem Haus höchstens einen Feind, dann ist dieses Ziel bereits erreicht. Nehmen wir also an, es gibt einen Abgeordneten, der in seinem Haus wenigstens zwei Feinde hat. Diesen Abgeordneten nennen wir a; sein Haus sei das Haus 1 (sonst vertauschen wir die Nummern der Häuser). Wir bezeichnen mit f1 (a) die Anzahl der Feinde des Abgeordneten a im Haus 1; dann ist nach unserer Annahme f1 (a) ≥ 2. Da der Abgeordnete a insgesamt aber höchstens 3 Feinde hat, ist also f2 (a) ≤ 3 − f1 (a) ≤ 3 − 2 = 1, wobei f2 (a) die Anzahl der Feinde von a im Haus 2 bezeichnet. Nun soll der Abgeordnete a ins Haus 2 umziehen. Jetzt hat a in seinem Haus also höchstens einen Feind. Die Gesamtanzahl aller Feindschaften hat sich wie folgt geändert: F (Aneu ) = F (Aalt ) − f1 (a) + f2 (a) ≤ F (Aalt ) − 2 + 1 ≤ F (Aalt ) − 1. Damit haben wir die Gesamtanzahl aller Feindschaften um mindestens 1 verkleinert. Haben wir unser Ziel noch nicht erreicht, so machen wir einen weiteren Schritt. Immer wenn es einen Abgeordneten gibt, der in seinem Haus wenigstens zwei Feinde hat, können wir durch seinen Wechsel die Anzahl F (A) um mindestens 1 verkleinern. Da die Anfangszahl F (A) endlich ist, kommen wir nach endlich vielen Schritten zu einer Aufteilung, wo wir keinen weiteren Schritt mehr machen können. Dann ist das Ziel erreicht. • Invarianten- und Halbinvariantenmethode Aufgabe 1.5. Sei n eine ungerade Zahl. Auf einer Tafel stehen zuerst die Zahlen 1, 2, ..., 2n. Mit einem Schritt darf man zwei beliebige Zahlen a und b wegwischen und dafür die Zahl |a − b| an die Tafel schreiben. 4 a) Endet dieser Prozess nach endlich vielen Schritten? b) Falls ja, ist dann die letzte Zahl gerade oder ungerade? Lösung: a) Bezeichnen wir mit Ak die Anzahl aller Zahlen an der Tafel nach k Schritten. Man bemerkt sofort, dass diese Anzahl Ak eine Halbinvariante ist: sie wird nach jedem Schritt um genau 1 kleiner. Daher endet der Prozess zwangsläufig nach 2n − 1 Schritten, da A0 = 2n ist and daher A2n−1 = 1 ist. Also bleibt nur eine Zahl m übrig. b) Um die Parität dieser Zahl zu bestimmen, beweisen wir, dass die Parität der Summe aller vorhandener Zahlen eine Invariante ist: Sei beispielweise a ≤ b. Dann ist |a − b| = b − a; somit ist (a + b) − |a − b| = a + b − (b − a) = 2a eine gerade Zahl. Daher hat sich die Gesamtparität nach einem Schritt nicht geändert. Am Anfang ist aber die Summe aller Zahlen an der Tafel 1 + 2 + ... + 2n = 2n (2n + 1) = n (2n + 1) 2 eine ungerade Zahl. Also bleibt als letzte eine ebenfalls ungerade Zahl. 2 Übungsaufgaben Aufgabe 1.6. Man nimmt sich eine Zahl a1 . Man berechnet die Quersumme dieser Zahl a1 und bezeichnet sie mit Q (a1 ) = a2 . Man berechnet die Quersumme der Zahl a2 und bezeichnet sie mit Q (a2 ) = a3 . Dies macht man so lange weiter, bis man eine einstellige Zahl erhält. Diese einstellige Zahl bezeichnet man mit b. Berechne b a) für a = 348197. b) für a = 198371832. c) für a = 248175810108. Bemerkung: Unter der Quersumme einer natürlichen Zahl versteht man die Summe aller Ziffern dieser Zahl (im Zehnersystem). Lösung: Explizit kann man ausrechnen 348197 7→ 32 7→ 5, 198371832 7→ 42 7→ 6, 248175810108 7→ 45 7→ 9. Man kann aber diese Operation auch im Allgemeinfall betrachten. Sei a = 10n an + 10n−1 an−1 + ... + 10a1 + a0 mit aj ∈ {0, ..., 9} eine beliebige natürliche Zahl. Dann lässt die Zahl a bei der Division durch 9 den gleichen Rest wie ihre Quersumme Q (a) = an + an−1 + ... + a0 , 5 weil die Differenz ¡ ¢ a − Q (a) = (10n − 1) an + 10n−1 − 1 an−1 + ... + (10 − 1) a1 durch 9 teilbar ist (warum?). Wir schließen: Der Rest r9 (a) bei der Division durch 9 ist eine Invariante. Das heißt, die letzte, einstellige Zahl aend = Q (Q (... (aanf ))) , die man aus aanf erhält, muß den gleichen Rest r9 (aend ) bei Division durch 9 lassen, wie aanf selbst. Da die Zahl aend aber einstellig ist, gilt also ½ r9 (aend ) , falls r9 (aend ) = 1, 2, ..., 8, aend = r9 (aend ) + 9, falls r9 (aend ) = 0. Da r9 (aend ) = r9 (aanf ) ist, schließen wir ½ r9 (aanf ) , falls r9 (aanf ) = 1, 2, ..., 8, aend = r9 (aanf ) + 9, falls r9 (aanf ) = 0. Aufgabe 1.7. Eine Kreisscheibe ist in 6 Sektoren geteilt. Auf den Sektoren (im Uhrzeigersinn) schreibt man die Zahlen 1, 0, 1, 0, 0, 0, 0. Man darf in einem Schritt zwei Nachbarzahlen jeweils um 1 vergrössern. Kann man somit erreichen, dass nach einigen Schritten alle Zahlen gleich werden? Lösung: Wir bezeichnen die Zahlen in den Sektoren mit a1 , ..., a6 und definieren die Funktion f (a1 , ..., a6 ) = a1 − a2 + a3 − a4 + a5 − a6 . Man sieht sofort, dass sich diese Funktion nach jedem erlaubten Schritt nicht ändert (sie ist also eine Invariante). Am Anfang haben wir f (a1 , ..., a6 ) = 1 − 0 + 1 = 2. Daher ist die Situation a1 = a2 = .... = a6 unerreichbar, denn für diese Konfiguration ist f (a1 , ..., a6 ) = 0. Aufgabe 1.8. Wir definieren zwei Folgen (xn ) und (yn ) durch die Startwerte x1 = 1 und y1 = 0 und die rekursiven Gleichungen xn+1 = 5xn − 12yn ; 13 yn+1 = 12xn + 5yn 13 für jedes n ≥ 1. (1) 2 . Man berechne x22004 + y2004 Lösung: Wir beweisen, dass für jede rekursive Folge, die durch (1) definiert wird, die Funktion In = x2n + yn2 eine Invariante ist. Es ist µ ¶2 µ ¶2 12xn + 5yn 5xn − 12yn + In+1 = 13 13 2 2 25xn − 120xn yn + 144yn 144x2n + 120xn yn + 25yn2 = + 169 169 ¢ (25 + 144) x2n + (144 + 25) yn2 169 ¡ 2 = = xn + yn2 = In . 169 169 6 Daraus folgt (strenggenommen nach der vollständigen Induktion), dass für jedes n ≥ 1 In = I1 = x21 + y12 ist. Insbesondere gilt für unsere Folge x21 + y12 = 12 + 02 = 1. 2 Also ist x22004 + y2004 = I2004 = 1. Aufgabe 1.9. Auf einem Tisch liegen a weiße Steine und b schwarze Steine. Die Operation O bestehe darin, daß man zwei beliebige Steine vom Tisch entfernt, und dafür einen neuen Stein auf den Tisch legt, und zwar soll dieser neue Stein ein weißer Stein sein, wenn die zwei gerade entfernten Steine gleiche Farbe hatten, und der neue Stein soll ein schwarzer Stein sein, wenn die zwei gerade entfernten Steine unterschiedliche Farben hatten. Nun führt man die Operation O mehrmals aus, und zwar so lange, bis auf dem Tisch nur noch ein Stein übrig bleibt. Welche Farbe hat dieser letzte Stein? Lösung: Wir zeigen, dass die Parität der Anzahl der schwarzen Steine auf dem Tisch eine Invariante bezüglich der Operation O ist, d. h. diese Parität bleibt unverändert nach der Ausführung der Operation. Wir vergleichen die Anzahlen der schwarzen Steine vor und nach der Operation: 1. Gab es vorher zwei weiße Steine, dann wird es nach der Operation stattdessen einen weißen Stein geben. Die Gesamtanzahl der schwarzen Steine bleibt unverändert. 2. Gab es vorher einen weißen und einen schwarzen Stein, dann wird es nach der Operation stattdessen einen schwarzen Stein geben. Die Gesamtanzahl der schwarzen Steine bleibt ebenfalls unverändert. 3. Und die letzte Möglichkeit: Gab es vorher zwei schwarze Steine, dann wird es nach der Operation stattdessen nur einen weißen und keinen schwarzen Stein mehr geben. Die Gesamtanzahl der schwarzen Steine hat sich um zwei verkleinert. In jedem Fall ist die Parität der Anzahl der schwarzen Steine gleich geblieben. Also ist sie eine Invariante. Daraus folgt: War die Anzahl der schwarzen Steine auf dem Tisch am Anfang gerade - d. h., war die Zahl b gerade -, dann ist auch nach mehrmaliger Ausführung der Operation O die Anzahl der schwarzen Steine auf dem Tisch gerade. Unter anderem ist also am Ende, wenn nur ein Stein auf dem Tisch übrig bleibt, die Anzahl der schwarzen Steine gerade. Die Anzahl der schwarzen Steine kann dann aber nur 0 oder 1 sein (denn es liegt ja nur ein Stein auf dem Tisch); folglich muß sie 0 sein, d. h. es liegt kein schwarzer Stein auf dem Tisch. Damit ist gezeigt, daß bei einer geraden Zahl b der letzte Stein weiß ist. War dagegen die anfängliche Anzahl der schwarzen Steine auf dem Tisch ungerade - d. h., war die Zahl b ungerade -, dann ist auch nach wiederholter Anwendung der Operation O die Anzahl der schwarzen Steine auf dem Tisch ungerade. Am Ende, also wenn nur noch ein Stein auf dem Tisch übrig bleibt, muß also die Anzahl der schwarzen Steine immer noch ungerade sein. Doch die Anzahl der schwarzen Steine kann dann nur 0 oder 7 1 sein (es liegt ja nur noch ein Stein auf dem Tisch); folglich muß sie 1 sein, d. h. es liegt ein schwarzer Stein auf dem Tisch. Damit ist erwiesen, daß bei einer ungeraden Zahl b der letzte Stein schwarz ist. Die Antwort ist also: Der letzte Stein ist weiß, wenn b gerade ist, und schwarz, wenn b ungerade ist. Aufgabe 1.10. Wir haben eine m × n-Tabelle, die nur ganze Zahlen enthält. Mit jedem Schritt können wir entweder bei allen Zahlen in einer Zeile oder bei allen Zahlen in einer Spalte das Vorzeichen umkehren. Beweisen Sie, daß man durch eine gezielte Hintereinanderausführung solcher Schritte eine Tabelle erhalten kann, für die gilt, daß in jeder Zeile die Summe der Zahlen nichtnegativ ist, und in jeder Spalte die Summe der Zahlen nichtnegativ ist. Lösung: Wir schlagen den folgenden Algorithmus vor: Man darf eine Zeile bzw. eine Spalte aussuchen, deren Summe s negativ ist, und das Vorzeichen jeder Zahl in dieser Zeile bzw. Spalte umkehren. Die Gesamtsumme aller Zahlen in der Tabelle hat sich um (−s) − s = −2s ≥ 2 vergrößert (die Gesamtsumme ist also eine Halbinvariante für unseren Algorithmus). Da diese Summe aber die Summe der Beträge aller Zahlen in der Tabelle nicht überschreiten kann, kommen wir nach endlich vielen Schritten zu einem Zustand, wo die Gesamtsumme aller Zahlen nicht weiter vergrößert werden kann. Das heißt, in jeder Zeile und in jeder Spalte ist die Summe aller Zahlen nichtnegativ. Aufgabe 1.11. 2n Botschafter sind zu einem Bankett eingeladen. Jeder Botschafter hat unter den 2n − 1 anderen Botschaftern höchstens n − 1 Feinde. Man zeige, daß man die Botschafter auf eine solche Weise an einen runden Tisch setzen kann, daß keiner einen oder zwei Feinde als Nachbarn hat. Bemerkung: Ist der Abgeordnete A ein Feind des Abgeordneten B, dann ist natürlich auch B ein Feind von A. Lösung: Wir setzen die Botschafter erst einmal beliebig. Für jede Sitzordnung K bezichnen wir mit F (K) die Anzahl aller befeindeten Nachbarspaare. Wir werden jetzt einen Algorithmus vorschlagen, der diese Anzahl jedesmal um mindestens 1 vermindert. Unser Ziel ist natürlich eine Sitzordnung Kend mit F (Kend ) = 0. Sei am Anfang F (Kanf ) ≥ 1. Angenommen, ein Botschafter A sitzt unmittelbar links von seinem Feind B. Wir betrachten alle (mindestens n) Freunde (Nichtfeinde) von A. Unter diesen Freunden befindet sich mindestens einer, genannt A0 , dessen rechter Nachbar B 0 ein Freund von B ist (denn sonst hat B mehr als n − 1 Feinde). Wir haben also solch ein Paar von Botschaftern A0 , B 0 gefunden, dass A0 ein Freund von A ist und B 0 ein Freund von B ist. 8 A‘ B‘ B B‘ B A‘ A A Jetzt kehren wir die Sitzordnung auf dem Abschnitt rechts von B bis A0 um (die Botschafter A0 und B inklusive). Die neue Sitzordnung hat mindestens eine Nachbarfeindschaft weniger (nämlich die zwischen A und B), siehe das rechte Bild. Durch mehrmalige Wiederholung solcher Schritte können wir die Zahl F (K) so lange verkleinern, bis sie nicht mehr verkleinert werden kann. Dass bedeutet, dass dann F (K) = 0 ist. Aufgabe 1.12. Ein rechteckiger Fußboden wurde mit Fliesen der Formen 1 × 4 und 2 × 2 parkettiert. Eine Fliese der Form 1 × 4 ging kaputt und mußte entfernt wurden. Eine neue Fliese der Form 2 × 2 steht zur Verfügung. Kann man die alten Fliesen so umlegen und die neue so einsetzen, daß sich wieder ein Parkett ergibt? Hinweis: Man betrachte den Fußboden als ein Schachbrett und schreiben jedem Feld eine natürliche Zahl von 0 bis 3 vor: 0 1 1 2 2 3 3 0 0 1 1 2 ... ... 2 3 3 0 0 1 1 2 2 3 3 0 ... ... 0 1 1 2 2 3 3 0 0 1 1 2 ... ... ... ... .. ... ... ... ... Lösung: Jede 1×4-Fliese bedeckt vier Zahlen, deren Summe 0+1+2+3 = 6 ausmacht, also den Rest 2 bei Division durch 4 lässt. Jede 2 × 2-Fliese bedeckt vier Zahlen, deren Summe entweder 0 + 1 + 1 + 2 = 4, oder 1 + 2 + 2 + 3 = 8, oder 2 + 3 + 3 + 0 = 8, oder 3 + 0 + 0 + 1 = 4 ausmacht, also ein Vielfaches von 4. Wenn wir genau a Fliesen vom Typ 1 × 4 und b Fliesen vom Typ 2 × 2 für die ursprüngliche Parkettierung gebraucht haben, dann ist die Summe S aller Zahlen auf dem Fußboden kongruent zu 2a modulo 4. Mit a − 1 Fliesen vom Typ 1 × 4 und b + 1 Fliesen vom Typ 2 × 2 bekommen wir aber die Summe 2 (a − 1) modulo 4, was nicht mehr mit 2a übereinstimmt. Die Antwort ist also nein. Aufgabe 1.13. An jeder Ecke eines regelmäßigen Sechsecks steht eine Zahl: a1 , a2 , ..., a6 . Folgende drei Operationen sind erlaubt: 1. Zu zwei gegenüberliegenden Zahlen wird eine und dieselbe Zahl addiert, z. B. ³ ´ A1 [2, 5, b] : (a1 , a2 , a3 , a4 , a5 , a6 ) 7→ a1 , a2 + b , a3 , a4 , a5 + b , a6 . 9 2. Zu den drei Zahlen, die an den Ecken eines gleichseitigen Dreiecks stehen, wird eine und dieselbe Zahl addiert, also beispielsweise ³ ´ A2 [1, 3, 5, b] : (a1 , a2 , a3 , a4 , a5 , a6 ) 7→ a1 + b , a2 , a3 + b , a4 , a5 + b , a6 . 3. Zu einer der sechs Zahlen wird eine bestimmte Zahl b addiert und von den zwei Nachbarzahlen wird b subtrahiert, also beispielsweise ³ ´ A3 [4, b] : (a1 , a2 , a3 , a4 , a5 , a6 ) 7→ a1 , a2 , a3 − b , a4 + b , a5 − b , a6 . Kann man durch mehrmalige Ausführung dieser drei Operationen aus der Konstellation aanf = (1, 0, 0, 0, 0, 0) die Konstellation aend = (0, 1, 0, 0, 0, 0) erreichen? Lösung: Als erstes bemerken wir, dass die dritte Operation in der Tat die Kombination der zwei ersten ist, z. B. A3 [4, b] = A2 [1, 3, 5, −b] ◦ A1 [1, 4, b] . Also braucht man für das weitere nur die ersten zwei Operationen. Sei O das Zentrum des Sechsecks und seien A1 , ..., A6 die Ecken. Für jedes 6-Tupel a = (a1 , a2 , a3 , a4 , a5 , a6 ) definieren wir die Vektor-Funktion f durch f (a) = 6 X −−→ aj OAj . j=1 Wir untersuchen, wie sich diese Funktion nach jeder Operation ändert. • Typ A1 : Es ist beispielsweise ³ −−→ −−→´ ³ −−→ −−→´ f (A1 [2, 5, b] a) − f (a) = (a2 + b) OA2 + (a5 + b) OA5 − a2 OA2 + a5 OA5 ³−−→ −−→´ = b OA2 + OA5 = 0. Die Funktion ändert sich nicht. • Typ A2 : Man hat f (A2 [1, 3, 5, b] a) − f (a) ³ −−→´ −−→ −−→ −−→ −−→´ ³ −−→ = (a1 + b) OA1 + (a3 + b) OA3 + (a5 + b) OA5 − a1 OA1 + a3 OA3 + a5 OA5 ³−−→ −−→ −−→´ = b OA1 + OA3 + OA5 = 0. Man sieht also, dass f eine Invarianteist. Am Anfang ist −−→ f (aanf ) = f (1, 0, 0, 0, 0, 0) = OA1 . 10 Wenn man durch mehrmalige Ausführung der erlaubten Operationen eine Konstellation a −−→ erreichen kann, muss also für sie gelten: f (a) = OA1 . Für aend haben wir aber f (aend ) = −−→ −−→ OA2 6= OA1 . Daher ist diese Konstellation nicht erreichbar. Aufgabe 1.14. Man zeige: Ein 10 × 10-Quadrat kann nicht durch 1 × 4-Rechtecke überdeckt werden, deren Seiten parallel zu den Seiten des 10 × 10-Quadrats verlaufen. Bemerkung: ”Überdeckt” bedeutet hier, daß die 1 × 4-Rechtecke die gesamte Fläche des 10 × 10-Quadrats bedecken, aber sich gegenseitig nicht überlappen. Lösung: Wir werden die Aufgabe mit den gleichen Mitteln lösen, wie die Aufgabe 1.12. Wir betrachten das Quadrat als Schachbrett und schreiben jedem Feld eine natürliche Zahl von 0 bis 3 vor: 0 1 1 2 2 3 3 0 w i ... ... 1 2 2 3 3 0 0 1 1 2 e ... ... 3 0 0 1 2 3 g ... 1 1 2 3 0 e ... 2 2 3 3 0 0 1 1 2 h a .. ... 3 0 0 1 2 3 b ... 1 1 2 3 0 t ... 2 Jede 1 × 4-Fliese bedeckt vier Zahlen, deren Summe 0 + 1 + 2 + 3 = 6 ausmacht. Also muss die Gesamtsumme aller Zahlen, die von mehreren 1 × 4 Fliesen bedeckt sind, ein Vielfaches von 6 sein. Angenommen, das 10 × 10-Quadrat kann durch 1 × 4-Rechtecke überdeckt werden. Dann ist die Gesamtsumme G gleich 6k mit einem k ∈ N. Es ist leicht, G zu berechnen. Die Summe aller Zahlen in der ersten Zeile macht Z1 = 6 + 6 + 1 = 13 aus. Das gleiche gilt für die fünfte und für die neunte Zeile: Z1 = Z5 = Z9 = 13. Ferner ist Z2 = Z6 = Z10 = 6 + 6 + 3 = 15, Z3 = Z7 = 6 + 6 + 5 = 17, Z4 = Z8 = 6 + 6 + 3 = 15. Insgesamt haben wir G = Z1 + ... + Z10 = 13 · 3 + 15 · 5 + 17 · 2 ≡ (3 + 15 − 2) ≡ −2 mod 6. Das ergibt einen Widerspruch. Der zeigt, dass eine solche ”Parkettierung” doch nicht möglich ist. 3 Schwieriegere Aufgaben *Aufgabe 1.15. An den fünf Ecken eines Fünfecks stehen fünf ganze Zahlen x1 , x2 , x3 , x4 , x5 . Wir nehmen an, daß die Summe dieser fünf Zahlen positiv ist. 11 Die Operation O bestehe darin, daß man sich unter den Zahlen x1 , x2 , x3 , x4 , x5 eine negative aussucht, sie mit y bezeichnet, und die Zahlen an den zwei Nachbarecken mit x und z bezeichnet, und dann die Zahlen x, y und z durch x + y, −y bzw. y + z ersetzt. Natürlich kann man die Operation O nur ausführen, solange es unter den Zahlen x1 , x2 , x3 , x4 , x5 mindestens eine negative gibt. Zeigen Sie: Man kann die Operation O nicht beliebig oft wiederholen. Mit anderen Worten: Führt man die Operation O oft genug durch, erhält man früher oder später eine Situation, in der alle fünf Zahlen x1 , x2 , x3 , x4 , x5 nichtnegativ sind. Lösung: Betrachten wir den Fall x3 < 0. Die Operation O ist dann xalt = (x1 , x2 , x3 , x4 , x5 ) 7−→ xneu = (x1 , x2 + x3 , −x3 , x3 + x4 , x5 ) . Man findet leicht eine Invariante , und zwar die Summe s aller xj : s = x1 + x2 + x3 + x4 + x5 . Als eine Halbinvariante kann man die Funktion f (x1 , x2 , x3 , x4 , x5 ) = (x1 − x3 )2 + (x2 − x4 )2 + (x3 − x5 )2 + (x4 − x1 )2 + (x5 − x2 )2 nehmen. Nach einer kurzen Rechnung sieht man f (xneu ) − f (xalt ) = 2x3 s < 0, da s > 0 und x3 < 0 ist. Damit haben wir die Abschätzung f (xneu ) ≤ f (xalt ) − 1. Daraus folgt: spätestens nach f (xanf ) Schritten kommen wir zu einer Konstellation, wo alle fünf Zahlen nichtnegativ sind. Dabei bedeutet xanf die anfängliche Konstellation x = (x1 , x2 , x3 , x4 , x5 ) . *Aufgabe 1.16. Ist es möglich, die Funktion f1 (x) = x2 + 4x + 3 durch mehrmalige Ausführung der Operationen A und B, definiert durch µ ¶ µ ¶ 1 1 2 2 f 7→ Af (x) = x f +1 und f 7→ Bf (x) = (x − 1) f , x x−1 in die Funktion f2 (x) = x2 + 10x + 9 zu überführen? Lösung: Als erstes bemerken wir, dass beide Operationen aus einem quadratischen Polynom f (x) = ax2 + bx + c ein ebenfalls quadratisches Polynom machen: " µ # ¶2 x + 1 x + 1 +b + c = a (x + 1)2 + bx (x + 1) + cx2 , Af (x) = x2 a x x # " µ ¶2 1 1 +b + c = a + b (x − 1) + c (x − 1)2 . Bf (x) = (x − 1)2 a x−1 x−1 12 Nun bestimmen wir die Punkte x, für die x= 1 1 + 1 sowie x = x x−1 ist. Durch Lösen der Gleichung x2 − x − 1 = 0 erhalten wir √ 1± 5 . x± = 2 Jetzt untersuchen wir den Funktionswert J (f ) = f (x+ ) . Man hat: J (Af ) = Af (x+ ) = x2+ f (x+ ) = x2+ J (f ) , 1 1 J (Bf ) = Bf (x+ ) = 2 f (x+ ) = 2 J (f ) . x+ x+ Durch mehrmalige Ausführung der Operationen A und B wird also der Wert der Funktion an der Stelle x+ mit x2m + multipliziert, wobei m ∈ Z ist. In unserem Beispiel ist √ ¢ ¡ 2 13 + 5 5 2 f1 (x+ ) = x+ + 4x+ + 3 = x+ − x+ − 1 + 5x+ + 4 = , 2 | {z } =0 √ ¡ 2 ¢ 31 + 11 5 2 f2 (x+ ) = x+ + 10x+ + 9 = x+ − x+ − 1 + 11x+ + 10 = . 2 Division ergibt à √ √ !a f2 (x+ ) 31 + 11 5 1+ 5 √ = = , f1 (x+ ) 2 13 + 5 5 mit einem a ≈ 1, 730..., also 1 < a < 2. Die Antwort ist somit nein. *Aufgabe 1.17. Wir betrachten zwei Zahlen b und a mit 0 < b < a und bilden die Folge der Punkte (xn , yn ) ∈ R2 , n = 0, 1, 2, ..., nach der folgenden Rekursionsformel: x0 = a, y0 = b, und xn+1 = xn + y n 2xn yn , yn+1 = . 2 xn + yn Für welche a und b konvergiert diese Folge, und was ist der Limes? Lösung: Zunächst bemerken wir, dass 0 < y n < xn ist für jedes n ∈ N, weil das arithmetische Mittel zweier verschiedener positiver Zahlen stets größer ist als deren harmonisches Mittel. Außerdem wächst die Folge (yn ) monoton, während (xn ) monoton abfällt. Beides folgt aus den Abschätzungen yn = min {xn , yn } < xn + y n < max {xn , yn } = xn , 2 } | {z xn+1 yn = min {xn , yn } < 2xn yn < max {xn , yn } = xn . xn + y n | {z } yn+1 13 Daraus folgt die Ungleichung b = y0 < y1 < ... < yn−1 < yn < ... < xn < xn−1 < ... < x1 < x0 = a. Insbesondere sind beide Folgen (xn ) und (yn ) monoton und beschränkt. Außerdem gilt xn+1 − yn+1 xn + y n 2xn yn (xn − yn )2 1 xn − yn 1 = − = = (xn − yn ) ≤ (xn − yn ) . 2 xn + y n 2 (xn + yn ) 2 xn + y n 2 Daher konvergieren (xn ) und (yn ) gegen einen und denselben positiven Grenzwert c. Um c zu finden, bemerken wir, dass die stetige Funktion f (x, y) = √ xy, x > 0, y > 0, eine Invariante ist, d. h. es gilt r xn + yn 2xn yn √ · = xn yn = f (xn , yn ) . 2 xn + yn √ √ Daraus folgt die Gleichung f (a, b) = f (c, c) , oder ab = cc = c. f (xn+1 , yn+1 ) = √ xn+1 yn+1 =