1 WS 2009/10 Prof. Dr. Hans-Werner Hahn Vorlesung: Zwischen Revolution und deutscher Reichsgründung 1871: Europäische Geschichte 1848-1871. 2. Vorlesung: Der Verlauf der Revolution von 1848/49 1. Die Verrechtlichung der Revolution: Die Reaktion des Deutschen Bundes: Der Deutsche Bundestag unternahm zunächst weitere Versuche, durch Konzessionen seine Führungsfunktion in der deutschen Politik zu behaupten. Er ebnete der Abschaffung der Zensur den Weg, erklärte den Reichsadler zum Bundeswappen und akzeptierte die Farben SCHWARZ-ROT-GOLD als Bundesfarben. Am 10. März entschloss sich der Bundestag, 17 Männer des öffentlichen Vertrauens (u. a. Dahlmann, Bassermann, der Dichter Ludwig Uhland, Gottfried Gervinus, Johann Gustav Droysen, Max von Gagern) zu den Vorbereitungen der Bundesreform hinzuziehen. Es handelte sich um Vertreter des gemäßigten Liberalismus. Die Vorbereitung neuer nationaler Institutionen durch die Märzbewegung: Am 5. März 1848 trafen sich in Heidelberg 51 namhafte südwestdeutsche und rheinische Vertreter der liberalen und demokratischen Richtung, um über geeignete Maßnahmen zur Herstellung der deutschen Einheit zu beraten. Gemeinsam war man der Ansicht, dass möglichst bald Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung abgehalten werden müssten. Das vom 31. März bis 3. April 1848 tagende Frankfurter Vorparlament (574 Vertreter aus allen Teilen Deutschlands) beschloss Wahlen zur Nationalversammlung auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts. Das Programm der radikalen Demokraten, formuliert vom Mannheimer Anwalt Gustav von Struve und auch in sozialer Hinsicht deutlich über die bisherigen Märzforderungen hinausgehend, fand keine Mehrheit. Vor allem Struves Forderung, das Vorparlament solle sich als ein von der Revolution legitimiertes handlungsfähiges Organ erklären (Permanenzerklärung) stieß auf Ablehnung. Die Mehrheit aus gemäßigten Liberalen wollte aus Furcht vor einem Weitertreiben der Revolution nicht vom strengen Legalitätskurs abweichen. Alle wichtigen Entscheidungen sollten der zu wählenden Nationalversammlung vorbehalten bleiben. Die badische Aprilrevolution: Die Enttäuschung über den Verlauf des Vorparlaments, die nach wie vor ungelösten sozialen Probleme und wachsende Gegensätze zwischen den von Revolutionsfurcht geplagten Liberalen und den auf schnellere Fortschritte setzenden Radikalen führten im April 1848 im Großherzogtum Baden zu einer neuen Eskalation der Konflikte. Friedrich Hecker begann von Konstanz aus am 12. April 1848 eine bewaffnete Erhebung für eine deutsche Republik, scheiterte aber rasch an den Truppen des Deutschen Bundes. Die liberalen Kräfte mussten erstmals auf die stehenden Heere der alten Mächte zurückgreifen. Das stärkte die Reaktion. Die Spaltung zwischen gemäßigten Liberalen und radikalen Kräften und die Revolutionsfurcht in großen Teilen des Bürgertums verstärkten sich. Die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung: gewählt wurde nach dem allgemeinen gleichen Männerwahlrecht, es gab aber Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten. Das Kriterium der Selbständigkeit wurde unterschiedlich ausgelegt, Unselbständige wurden teilweise ausgeschlossen. Die Wahl der Abgeordneten erfolgte durch das Volk (nicht durch Landtage), teils auf direktem Wege, teils auf indirektem Wege über Urwahlen und Wahlmännerwahlen. Die Wahlbeteiligung schwankte zwischen 40 und über 75 %. Im Wahlkampf spielten die neu entstehenden Zeitungen, politischen Vereine und Volksversammlungen eine große Rolle. Vielerorts traten liberales und demokratisches Lager im Bürgertum während des Wahlkampfes deutlicher auseinander. Die bürgerliche Einheit der Märzbewegung begann sich aufzulösen. 2. Die Paulskirche: Strukturen und frühe Entscheidungen Literatur: Heinrich BEST, Die Männer von Bildung und Besitz. Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49, Düsseldorf 1990. Manfred BOTZENHART, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionzeit 1848-1850, Düsseldorf 1977. Soziale und politische Struktur des Paulskirchenparlaments: a) Bedeutung der regionalen Strukturgefälle: "Region, nicht Klasse, ist die entscheidende Variable, wenn das politische Verhalten der Abgeordneten erklärt werden soll." (Best). Die Strukturen innerhalb des Wahlgebietes, aus dem der neue deutsche Nationalstaat entstehen sollte, waren von so unterschiedlichen Interessen, Mentalitäten, Traditionen bestimmt, dass sich dies von Anfang erschwerend auf den Versuch der Einigungspolitik auswirkte. Die politischen Konfliktlinien wurden überlagert von starken regionalen Konfliktlinien, von groß- und kleindeutsch, von protestantischkatholischen, von schutzzöllnerisch-freihändlerischen Gegensätzen. Der innere Zusammenhalt der parlamentarischen Elite war angesichts der großen Aufgabe, Einheit und Freiheit gleichzeitig schaffen zu müssen, noch zu schwach. b) Region und Wahlergebnisse: Die unterschiedlichen politischen Richtungen verteilten sich nicht gleichförmig auf ganz Deutschland. Es gab Hochburgen der einzelnen Lager. In Preußen (202 Abgeordnete) besaß der Konservativismus in den Provinzen Pommern, Posen und Preußen sowie in Westfalen eine recht starke Position. Hochburgen der Demokraten waren das Königreich Sachsen, Baden, Rheinhessen und die Rheinpfalz. c) Soziale Zusammensetzung der Paulskirche: 87% der Abgeordneten wiesen eine akademische Bildung auf. Die Juristen stellten etwa zwei Drittel aller Abgeordneten. In konfessioneller Hinsicht waren die Protestanten überproportional vertreten. Unter den insgesamt 808 erfassten Abgeordneten der Jahre 1848/49 gab es 6 Glaubensjuden, darunter Gabriel Rießer aus Hamburg. Zusammentritt der Nationalversammlung und Ausbildung der Fraktionen: Am 18. Mai 1848 traten die Abgeordneten in der Frankfurter Paulskirche zur feierlichen Eröffnung des nationalen Parlaments zusammen. Mit 305 von 393 Stimmen wurde Heinrich von Gagern am nächsten Tag zum Parlamentspräsidenten gewählt. Nachdem sich schon im Vorparlament drei Hauptrichtungen (Liberale, gemäßigte Demokraten, radikale Demokraten) herausgebildet hatten, setzte auch in der Nationalversammlung trotz des immer wieder betonten freien Mandats die Bildung von Fraktionen ein (Casino oder rechtes Zentrum; linkes Zentrum, Württemberger Hof; Deutscher Hof; Donnersberg; Café Milani). Bis zuletzt gab es freilich eine große Gruppe von Abgeordneten (32%), die keiner Fraktion beitraten. Es gab schon in den ersten Monaten Abspaltungen. Auch Fraktionswechsel kam noch häufig vor, wobei man aber in aller Regel nur innerhalb des jeweiligen politischen Spektrums wechselte und nicht eine völlige politische Umorientierung vollzog. 3: Erste politische Entscheidungen der Nationalversammlung: Einsetzung der provisorischen Reichszentralgewalt, Kompromiss zwischen den Vorstellungen der Linken (Parlamentssouveränität) und denen der gemäßigten Liberalen (monarchische Spitze), Am 28. Juni 1848 entschied sich die große Mehrheit für den Gesetzentwurf über die Errichtung der provisorischen Zentralgewalt. Am nächsten Tag wurde Erzherzog Johann zum "REICHSVERWESER" gewählt, dem die Wahrnehmung aller Angelegenheiten der "öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt des deutschen Bundesstaats", die Leitung der militärischen Macht und die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands übertragen wurden und der gegenüber dem Parlament eine unabhängige Stellung besaß. Das vom Reichsverweser eingesetzte Ministerium, dem die Regierungsrechte übertragen wurden, sollte jedoch vom Vertrauen des Parlaments abhängig sein. Alle Ministerpräsidenten der Revolution regierten fortan stets nur so lange, wie ihnen eine Mehrheit der Paulskirche folgte. Erster Ministerpräsident wurde der süddeutsche Standesherr Fürst Karl von Leiningen (deutscher Whig), ein Halbbruder der englischen Königin Victoria, der mehrere Abgeordnete aus dem rechten Zentrum zu Ministern berief (Schmerling, Beckerath, Heckscher). Das Verhältnis zwischen der neuen Reichszentralgewalt und den deutschen Einzelstaaten gestaltete sich - vor allem in bezug auf die größeren Staaten - von Anfang an recht schwierig. Die größeren deutschen Staaten weigerten sich, ihre Truppen dem Reichsverweser als „Oberkriegsherren“ zu unterstellen. Auch die Finanzierung der neuen Reichsregierung gestaltete sich durch die zögernden Überweisungen durch die Einzelstaaten sehr schwierig, und schließlich fand die Reichszentralgewalt auch auf internationaler Ebene in der Regel nicht die erhoffte Anerkennung. Die Grundrechtsdebatte: Wichtigste Aufgabe des neuen Parlaments war die Erarbeitung einer Verfassung. Der Verfassungsausschuss entschloss sich, zuerst über die Grundrechte zu entscheiden. Damit gab er der verfassungsmäßigen Sicherung der individuellen Freiheitsrechte den Vorrang vor den Fragen der Einheitspolitik. Dieses Verfahren wurde später heftig kritisiert, weil wertvolle Zeit verloren gegangen sei. Nach langen Debatten wurde der Grundrechtsteil der neuen Reichsverfassung am 20. Dezember 1848 verabschiedet. Er enthielt eine umfassende und detaillierte Kodifizierung der liberalen Freiheitsrechte, wie sie den in Nordamerika und Frankreich entwickelten rechtsstaatlichen Traditionen entsprach. Die Grundrechte mit dem Reichsbürgerrecht, dem Bekenntnis zur Gleichheit aller vor dem Gesetz, der Beseitigung aller Standesunterschiede und Standesvorrechte, der Freiheit der Person und des Eigentums, der Presse, des Glaubens und der Wissenschaft waren ein wichtiger Markstein in der deutschen Demokratiegeschichte. Soziale Grundrechte enthielt der Grundrechtskatalog mit Ausnahme der Bestimmungen über ausreichendes und unentgeltliches Schulwesen (Volksschulen und untere Gewerbeschulen) jedoch nicht. Die Grundrechte wurden schon vor Abschluss der übrigen Verfassungsarbeiten am 27. Dezember 1848 als einheitliches Reichsgesetz verkündet und von den meisten deutschen Staaten auch anerkannt. Österreich, Preußen, Bayern und Hannover sahen den Frankfurter Schritt aber als Eingriff in ihre Autonomie an, verweigerten ihre Zustimmung und eine landesrechtliche Publikation der Grundrechte. Der Grundrechtskatalog stellt eine große Leistung des Paulskirchenparlaments dar, mit dem man wichtige Zeichen für die Zukunft setzte. Die Dauer und Heftigkeit der Debatten hing auch damit zusammen, dass die Nationalversammlung in Petitionen und Presseartikeln immer wieder mit den Wünschen der Gesellschaft konfrontiert wurde. Revolution und Öffentlichkeit Entwicklung des Vereins- und Verbandswesen: Die neue politische Situation in Deutschland mit Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit führte zu einem großen Entwicklungssprung des gesamten Vereinswesens. Überall in Deutschland wuchs die Zahl von Organisationen und Bewegungen, die sich Gehör verschaffen und ihre spezifischen Vorstellungen und Wünsche in die Neuordnung einbringen wollten. Wichtig war vor allem, dass sich politische Vereine nun frei organisieren und für ihre jeweiligen Ziele werben konnten. Das fünfgliedrige "Parteiensystem", das sich in den Debatten des Vormärz herausgebildet hatte, trat nun noch deutlicher in Erscheinung. Der Aufbau außerparlamentarischer Organisationen, neue Wege der Massenbeeinflussung (Versammlungen, Parteipresse) und die Vernetzung lokaler, regionaler und nationaler Organisationen prägten das politische Vereinswesen. Die politische Spaltung des bürgerlichen Lagers: Liberale und Demokraten wirkten in den Märztagen 1848 oft noch eng zusammen. Die politische Differenzierung innerhalb des bürgerlichen Lagers setzte dann aber recht schnell ein. Ziel der Liberalen war eine konstitutionelle Monarchie, die Demokraten plädierten für die Republik (zumindest aber für eine parlamentarische, die Volkssouveränität voll respektierende Monarchie). Unterschiede gab es auch bei den Wahlrechtsvorstellungen und dem Ausmaß sozialer Reformen. Die Demokraten gingen bei der frühen Parteibildung zielstrebiger und erfolgreicher vor als die Liberalen (Demokratenkongresse: 14. bis 17. Juni 1848 in Frankfurt am Main, Oktober 1848 in Berlin). Die radikalen Republikaner, die sich auf den Demokratenkongressen stark bemerkbar machten, blieben innerhalb des demokratischen Lagers in der Minderheit. Es dominierten die gemäßigten Demokraten, die weder sozialrevolutionäre Programme entwarfen noch sozialrevolutionäre Politik betreiben wollten und selbst in der Frage der Staatsform kompromissbereit waren. Nach der Herbstkrise von 1848 und ihren erfolglosen Aufständen gewannen diese gemäßigten Kräfte wieder die Oberhand. Mit dem Ende November 1848 von den linken Fraktionen der Paulskirche gegründeten Zentralmärzverein entstand die größte nationale Organisation der Demokraten. Mit dem Zentralmärzverein entstand die erste moderne Partei Deutschlands, weil es hier zu einer engen Verflechtung von außerparlamentarischer Organisation und den linken Parlamentsfraktionen kam. Auch die konstitutionellen Vereine unternahmen im übrigen Versuche zur Bildung einer nationalen Organisation. Der im November 1848 entstandene "Deutsche Verein" erreichte aber nicht das Ausmaß des Zentralmärzvereins. Arbeiterbewegung: Die Revolution von 1848/49 war eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einer eigenständigen deutschen Arbeiterbewegung. 1848/49 standen sich noch zwei konkurrierende Organisationen der Arbeiterbewegung gegenüber. Auf der einen Seite stand der Bund der von Marx und Engels geführte Bund der Kommunisten. Er orientierte sich an einem im März 1848 von Marx und Engels in Paris entworfenem Aktionsprogramm, das vom "Kommunistischen Manifest" abwich und das Bündnis mit dem Bürgertum propagierte. Zahlenmäßig weit stärker als der Kommunistenbund war die von Stephan Born geführte Arbeiterbewegung: die Ende August 1848 auf dem Berliner Arbeiterkongress gegründete "Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung". Sie bestand aus 170 Ortsvereinen und etwa 15000 Mitgliedern und kämpfte stärker für konkrete sozialpolitische Verbesserungen. Konservative Vereine: Auch für den Konservatismus, vor allem in Preußen, war die Revolution von 1848/49 eine wichtige Stufe in der Entwicklung der Parteibildung (Gründung der "Neuen Preußischen Zeitung"- Kreuzzeitung-), "Verein zum Schutze des Eigentums und zur Förderung des Wohlstandes alles Klassen", Vereine für König und Vaterland und die Militärvereine (Veteranen). Im Laufe der Revolution gelangten dem Konservatismus in Ostelbien beträchtliche Mobilisierungserfolge unter Bauern und Stadtbürgern. Teilweise wurden sogar Unterschichten in ihrem Kampf gegen das liberale Bürgertum unterstützt (Thron und Altar-Unruhen). Politischer Katholizismus: Der Katholizismus war zwar in der Paulskirche noch nicht mit einer eigenen Fraktion vertreten. Für seine spätere Entwicklung war die Revolution jedoch in mehrfacher Hinsicht bedeutend. Zum einen gab es beträchtliche Fortschritte beim Ausbau des katholischen Vereinswesens und bei der nationalen Organisation der katholischen Interessen (Pius-Vereine, erster deutscher Katholikentag in Mainz, erste deutsche Bischofskonferenz). Zum anderen verstärkten die Revolutionserfahrungen (Frontstellung gegen die Kirchenpolitik des Liberalismus) im deutschen Katholizismus den Trend in Richtung Ultramontanismus. Fraktionen der Nationalversammlung: Café Milani (konservativ); Casino (gemäßigt liberal, rechtes Zentrum); Politische Ziele der einzelnen Fraktionen in der Frankfurter Nationalversammlung 1. Café Milani: Die kleine, sich auf dem rechten Flügel der Paulskirche formierende und aus konservativen preußischen, bayerischen und österreichischen Abgeordneten gebildete Fraktion Café Milani trat zwar für eine neue deutsche Verfassung ein, wollte sie aber nur auf dem Wege einer Vereinbarung mit den Regierungen der Einzelstaaten erreichen. Es sollte nur ein streng föderalistisches nationales Band zugelassen werden, das weder der Zentralgewalt noch dem nationalen Parlament zu große Befugnisse gewährte. Über die künftige deutsche Führungsmacht gab es innerhalb der Fraktion keine einheitliche Meinung. Mit den Konzepten des preußischen Generals von Radowitz hatten österreichische Abgeordnete große Schwierigkeiten. 2. Casino: Wichtigste Fraktion des gemäßigten Liberalismus war die etwa 120 Abgeordneten umfassende CASINO-Fraktion. Sie war die wichtigste Kraft im sogenannten rechten Zentrum und gruppierte sich um Heinrich von Gagern. Die Führungsrolle Gagerns trat durch das überparteiliche Amt des Parlamentspräsidenten allerdings etwas zurück. Das Casino war vor allem ein Zusammenschluss südwestdeutscher Liberaler mit Vertretern des rheinischen Großbürgertums (Beckerath) und norddeutscher Professoren. Die Casinofraktion stellte mit Dahlmann, Droysen, Duncker, Welcker, Beseler, Bassermann und den beiden Gagern führende Persönlichkeiten des Vormärz und prägte ganz wesentlich die Verfassungsdebatten. Ziel des Casinos war eine bundesstaatliche Einigung Deutschlands mit einer starken Zentralgewalt in Form einer konstitutionellen Monarchie. Mit der Zentralgewalt sollten Wehrverfassung und Wirtschaftsordnung vereinheitlicht werden, das Reich nach außen geschlossen auftreten, auch ein oberstes Reichsgericht sollte entstehen. Zugleich aber bekannte sich das Casino auch zu den föderativen Traditionen der deutschen Geschichte. Die Einzelstaaten sollten bestehen bleiben und ihre Belange über ein Zweikammersystem (gewählter Reichstag und Vertretung der Einzelstaaten) auch auf der nationalen Ebene vertreten können. Die konstitutionelle Monarchie, als die auf einer Verfassung basierende monarchische Herrschaft, sollte auf Reichs- und Länderebene maßgebend sein, weil sie am besten geeignet erschien, die Freiheit der Bürger zu sichern. Zu den weiteren zentralen Forderungen des Casinos gehörten die Sicherung der Freiheit von Individuen und Eigentum und die Freiheit der Gemeinden. Die Vertreter der Casino-Fraktion plädierten zwar für einen pragmatischen Parlamentarismus, wollten aber dem Parlament in Form einer starken Erbmonarchie mit Vetorecht auch ein Gegengewicht entgegensetzen. Hier kam also – bei allem Bekenntnis zu den Rechten des Parlaments - das Misstrauen gegen eine klare Volkssouveränität zum Ausdruck. Man hatte Sorge vor einem unkontrollierten Weitertreiben der Revolution und plädierte für einen evolutionären, durch eine starke monarchische Position nach unten abgesicherten Reformweg: gegen Reaktion und Anarchie! Für die Mehrheit der Casino-Fraktion kam für einen solchen Weg nur die preußische Führung in Frage. Aber nicht alle teilten diese Ansicht; vor allem die gemäßigt liberalen Abgeordneten aus Österreich hatten hiermit Probleme. 3. Landsberger Hof: Im Herbst 1848 spaltete sich ein Teil des Casinos ab, weil es über verschiedene Fragen - Rechte des Parlaments und die Stellung der Zentralgewalt - zu Meinungsverschiedenheiten kam. Vor allem preußische Abgeordnete gründeten deshalb die Fraktion Landsberg, die unter anderem auch die Professorenherrschaft im Casino kritisierte. Der Landsberger Hof wollte eine stärkere Zentralgewalt und eine klare Festlegung, dass allein die Nationalversammlung über Deutschlands Zukunft entscheiden müsse. 4. Neben dem rechten Zentrum stand von Anfang an das sogenannte linke Zentrum, das sich zunächst im Württemberger Hof zusammenfand. Es handelte sich um eine Gruppe von entschiedenen Liberalen aus den Verfassungsstaaten des dritten Deutschland. Sie wollten der gesamtdeutschen Volksvertretung von Anfang an ein stärkeres politisches Gewicht geben, als dies etwa das Casino vorschlug. Auch der Württemberger Hof wollte die Einzelstaaten nicht abschaffen, sie sollten sich aber stärker den in einer bundesstaatlichen Ordnung nötigen nationalen Regelungen unterwerfen. Das Verfassungsziel des linken Zentrums war eine parlamentarische Monarchie, also ein voll ausgebildetes parlamentarisches System, in dem die Regierung stets vom Vertrauen des Parlaments abhängig war und der Monarch nur noch geringe Befugnisse hatte (suspensives Veto). Ein weiterer Unterschied zwischen linkem Zentrum und Casino lag in der mehrheitlich großdeutschen Orientierung des linken Zentrums. Zu den bekanntesten Mitgliedern des linken Zentrums zählte neben dem Weimarer Märzminister Wydenbrugk, der Leipziger Liberale Biedermann und der Hamburger Jurist Gabriel Rießer, der einer von sechs in die Paulskirche gewählten Juden war. Auch das linke Zentrum wurde später durch Abspaltungen geschwächt. Ein Teil der Abgeordneten schloss sich der Fraktion Landsberg an, ein anderer bildete den enger an das Casino rückenden AUGSBURGER HOF. Andere gründeten gemeinsam mit einigen Vertretern der Linken die Fraktion Westendhall (Linke im Frack). Hier stand man auf eindeutigen parlamentarischdemokratischen Prinzipien, ließ aber offen, ob man dies in Form einer Republik oder einer parlamentarischen Monarchie erreichen sollte. 5. Auch beim Blick auf die Parlamentslinke bestätigt sich, dass vieles in Organisation und Programmatik noch im Fluss war. Die Linke plädierte für die Republik auf der Grundlage der Volkssouveränität, die in der unbeschränkten Herrschaft des Parlaments zum Ausdruck kommen sollte. Man wollte auch nur eine Kammer und damit einen klareren unitarischen Aufbau des Reiches. Die Einzelstaaten sollten ihre bisherige Bedeutung weitgehend verlieren oder sogar ganz verschwinden. Man sprach sich teilweise offen gegen das historische Recht der bestehenden Monarchien und Länder aus (Forderung nach einer Republik Thüringen). Der Zentralismus des neuen Reiches sollte nur durch die unbestrittene kommunale Selbstverwaltung gebrochen werden. Die Linke lehnte zudem die Vereinbarungsstrategie der Liberalen ab und plädierte auch in sozialer Hinsicht für ein hohes Maß an Egalität (rechtliche Gleichheit, auch politische Gleichheit, Reformen zur Förderung einer sozialen Gleichheit). Auf der Linken stehen 2 Fraktionen: Der Deutsche Hof und der Donnersberg. Im Deutschen Hof vereinigten sich die etwa 60 bis 100 Mann starken gemäßigten Demokraten um den Leipziger Robert Blum. Sie akzeptierten in der Regel Mehrheitsentscheidungen, auch wenn sie den eigenen Zielen zuwiderliefen, und sie waren vielfach noch zu Kompromissen mit den Liberalen bereit. Eigentlich war man republikanisch gesinnt, aber bei großen Teilen war die Vorstellung einer demokratischen Monarchie noch denkbar. Zum Deutschen Hof zählten aus Thüringen die Abgeordnten Schüler (Jena), Schröder aus Zeulenroda (Greiz) und zunächst auch Hönniger aus Rudolstadt. Hönniger wechselte später zum äußersten linken Flügel der Paulskirche, zur Fraktion Donnersberg. Ihr gehörten etwa 40 meist aus Baden und der Rheinpfalz stammende Abgeordneten an, zu denen Junghegelianer wie Arnold Ruge oder auch der Thüringer Julius Fröbel hinzustießen. Diese Fraktion vertrat am entschiedensten das Recht der Nationalversammlung, allein, also ohne Absprache mit den bisherigen Staaten Deutschlands, über die neue Ordnung zu entscheiden. Nicht die Einheit der deutschen Staaten, sondern die Einheit des deutschen Volkes stand im Zentrum. Die Donnersberg-Fraktion vertrat am entschiedensten die Forderung nach der demokratischen Republik mit einem gewählten Präsidenten an der Spitze. Landsberger Hof (Abspaltung vom Casino); Württemberger Hof (linkes Zentrum), Parlamentslinke: Deutscher Hof u. Donnersberg. Handwerkerbewegung: Die Handwerker waren vielerorts eine wichtige Trägerschicht der Revolution und unterstützten die politischen Ziele von Liberalen und Demokraten. In wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht blieben sie aber vielfach noch der alten Handwerkerwelt verbunden. Das zeigte der 1. deutsche Handwerkerund Gesellenkongress, der am 15. Juli 1848 in Frankfurt begann. Die Gesellen spalteten sich im Sommer 1848 wegen der Bevormundung durch die Meister organisatorisch ab. Im Verlaufe der Revolution wuchs im Handwerk die Enttäuschung wegen der unzureichenden Zugeständnisse der Nationalversammlung, die am Ende im Grundsatz für Freizügigkeit und Gewerbefreiheit, also für den Wirtschaftsliberalismus, entschied. Schutzzoll- und Freihandelsbewegungen: In den Fragen eines künftigen gemeinsamen deutschen Zolltarifs gab es harten Streit innerhalb des bürgerlichen Lagers. Es ging weniger um wirtschaftspolitische Prinzipien, sondern vor allem um konkrete wirtschaftliche Interessen. Die auf Norddeutschland konzentrierten Freihändler und die Schutzzöllner mit ihren Zentren in Süd- und Mitteldeutschland versuchten, ihren jeweiligen Zielen durch nationale Organisationen und eine Petitionsbewegung Nachdruck zu verleihen. Frauen und Revolution: Die Revolution bildete auch für das politische Engagement von Frauen eine wichtige Zäsur. Frauen beteiligten sich in mehrfacher und sehr verschiedener Hinsicht an der Revolution: Unterschichtenfrauen waren am Straßenprotest und auch an Barrikadenkämpfen beteiligt. Bürgerliche Frauen gründeten Frauenvereine gegründet, bei denen meist in aller Regel die sozialen Ziele im Vordergrund standen. Es wurde intensiver als zuvor über die soziale und rechtliche Stellung der Frau diskutiert, so dass 1848 auch als Auftakt einer eigenständigen Frauenbewegung gesehen werden kann. Handlungsebene Straße: Die Straße war neben der organisierten außerparlamentarischen Öffentlichkeit (Vereine, Presse), den Parlamenten auf nationaler und auf einzelstaatlicher Ebene, den neuen Obrigkeiten in Form der Reichszentralgewalt, der Märzministerien und der Magistrate sowie der fortbestehenden monarchisch-aristokratischen Gewalten auch nach dem März 1848 eine wichtige Handlungsebene im Revolutionsgeschehen. Zum Teil fanden auf der Straße organisierte Veranstaltungen statt (Straßenparlamente, Feste, Versammlungen, Demonstrationen), zum Teil blieb die Straße Schauplatz des spontanen Protestes (Katzenmusiken, Hungerunruhen). Die Straßenpolitik des Volkes fügte sich nur schwer oder auch gar nicht in die Revolution der Bürger ein (selbst die Demokraten hatten hier Probleme). Im Vordergrund des Straßenprotestes standen meist konkrete Interessen und die Verteidigung überlieferter vorindustriell-antikapitalistischer Normen. 4. Die deutsche Revolution und Europa Anselm DOERING-MANTEUFFEL, Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815-1871, 2. Aufl. München 2003. Haltung der europäischen Mächte: Bei den europäischen Mächten stieß der Versuch, 1848 einen deutschen Nationalstaat zu schaffen, teilweise auf große Skepsis und Ablehnung. Ein starker deutscher Nationalstaat gefährdete möglicherweise das europäische Mächtegleichgewicht. Keiner der europäischen Großmächte hat die provisorische Reichszentralgewalt in Frankfurt 1848/49 diplomatisch anerkannt. Dies taten nur zweitrangige europäische Staaten sowie die USA, die der deutschen Einigung mit großer Sympathie gegenüberstand. Das außenpolitische Umfeld des deutschen Einigungsversuches war somit wenig günstig. Es wurde aber durch die Politik des Paulskirchenparlaments noch schwieriger. Nationalitätendebatten der Paulskirche (G. WOLLSTEIN, Das "Großdeutschland" der Paulskirche. Nationale Ziele in der bürgerlichen Revolution 1848/49, Düsseldorf 1977.) Eine Kernfrage des Jahres 1848 lautete: Wie weit soll sich der deutsche Nationalstaat erstrecken, wie soll er notfalls mit den in ihm lebenden ethnischen und sprachlichen Minderheiten umgehen? Ausgangspunkt der Liberalen und Demokraten war das Selbstbestimmungsrecht der Völker, aber der Glaube an ein friedliches Europa selbstbestimmter freier Nationalstaaten erwies sich schnell als Illusion. Die deutsche Nationalversammlung geriet aufgrund ihrer territorialen Zielsetzungen rasch in Konflikt mit anderen Nationalbewegungen und mit bestehenden Staaten. Polen-Frage: Nach der früheren Unterstützung der polnischen Nationalbewegung kam es seit Frühjahr 1848 zum Konflikt zwischen deutscher und polnischer Nationalbewegung wegen der preußischen Provinz Posen, die mehrheitlich von Polen, aber auch von Deutschen und Juden besiedelt war. Die Nationalversammlung in Frankfurt entschied sich in der großen Posendebatte vom 24. bis 27. Juli 1848 gegen entschiedenen Protest der Linken (RUGE) für einen "gesunden Egoismus" der Deutschen. Man berief sich auf historische Rechte und nationale Interessen (Wilhelm Jordan). Böhmen-Frage: Übersteigerungen des deutschen Nationalismus und ein Sendungsglaube besonders gegenüber den Slawen waren auch in anderen Nationalitätendebatten zu spüren. In Böhmen kam es schon im März 1848 zu Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen, die eine Beteiligung am deutschen Nationalstaat ablehnten. Diese Haltung prägte auch den von Frantisek Palacky an Pfingsten 1848 organisierten Prager Slawenkongreß, der bei der deutschen Nationalbewegung ebenso Mißtrauen hervorrief wie der Mitte Juni stattfindende Prager Aufstand gegen die Habsburger Herrschaft. Der Aufstand wurde vom österreichischen General Fürst Windischgrätz niedergeschlagen, der danach eine Art Militärdiktatur über das ganze böhmische Land verhängte. Dies schien zwar den Interessen der deutschen Nationalbewegung entgegenzukommen, war aber 1848 andererseits der erste Sieg der alten Mächte über eine städtische Volksbewegung. Italien: Ein weiterer Brennpunkt der Nationalitätenfragen war das sogenannte Welschtirol, also die italienischsprachigen Teile Tirols um die Bezirke Trient und Rovereto. Die Mehrheit der Nationalversammlung lehnte eine Abtrennung dieses Gebietes an einen möglichen italienischen Staat ab. Die Gegensätze verschärften sich, weil auch in der italienischen Nationalbewegung Ansprüche auf Teile des deutschsprachigen Tirols erhoben wurden. Die Schleswig-Holstein-Frage: Das zum Deutschen Bund gehörende Herzogtum Holstein und das mehrheitlich von Deutschen bewohnte, aber nicht zum Bund und auch noch nicht zum Königreich Dänemark gehörende Herzogtum Schleswig wehrten sich gegen eine von Dänemark beabsichtigte staatsrechtliche Trennung, die Einbeziehung Schleswigs in den dänischen Gesamtstaat (Programm der Eiderdänen) und beriefen sich dabei auf alte Rechte (Ripener Freiheitsbrief von 1460, auf ewig ungeteilt). Im März 1848 bildete man eine provisorische, beide Herzogtümer umfassende revolutionäre Landesregierung. Als der Dänenkönig ein Einverleibungsgesetz für Schleswig erließ und den Einmarsch von dänischen Truppen anordnete, beschloß Preußen im April 1848 eine militärische Intervention. Der Deutsche Bundestag erklärte Dänemark am 12. April 1848 den Bundeskrieg, in Deutschland setzte eine große Freiwilligenbewegung ein. Während die deutschen Truppen zu Lande rasch den Dänen überlegen waren (Vorstoß des Generals von WRANGEL bis nach Jütland), beherrschte Dänemark die See. Am 26. August 1848 schloss Preußen auf englischen und russischen Druck ohne Rücksprache mit der deutschen Nationalversammlung den Waffenstillstand von Malmö und gab hier Positionen preis, die die Nationalversammlung als unverzichtbar ansah. Am 5. September 1848 wurde der Waffenstillstand nach heftigen Debatten in der deutschen Nationalversammlung durch eine Koalition der Linken und Teilen der Liberalen mit 238 gegen 211 Stimmen abgelehnt. Daraufhin trat die Regierung Leiningen zurück. Der Versuch einer Regierungsbildung unter Dahlmann scheiterte. Am 16. September 1848 wurde der Malmöer Waffenstillstand nach neuen Debatten mit 259 zu 234 Stimmen von der Paulskirche doch angenommen. Die alte Regierung wurde nun unter Führung des österreichischen Abgeordneten von Schmerling neu installiert. Die Mehrheit der Paulskirche war gegen die entschiedene Kritik der Linken auf einen realpolitischen Kurs eingeschwenkt. Sie geriet nun aber unter mächtigen Druck der außerparlamentarischen Kräfte. Forschungskontroversen zur Außenpolitik der Paulskirche: Die ältere Auffassung, daß die deutsche Revolution vor allem an der ablehnenden Haltung der europäischen Mächte gescheitert sei, wird heute nicht mehr vertreten. Wollstein wirft der Paulskirche übersteigerte nationalpolitische Forderungen, sowie die Unterschätzung der Bedeutung des europäischen Gleichgewichtssystems und der Ängste der Nachbarn vor. Die Paulskirche habe in außenpolitischer Hinsicht einen realistischen Mittelweg verpaßt, sich politischen unreif gezeigt. Andere (Langewiesche, Nipperdey) urteilen differenzierter und verweisen darauf, dass die nichtdeutschen Minderheiten in den Genuss einer liberal-toleranten Nationalitätenpolitik kommen sollten, dass das Verhalten der deutschen Nationalbewegung im Vergleich zu anderen Nationalbewegungen für die Zeit nicht untypisch war, daß die aggressive außenpolitischen Äußerungen oft innenpolitische Funktionen hatten und daß die nationale Rhetorik nicht gleichzusetzen ist mit der Praxis, die letztlich moderater und realistischer blieb. Das konkrete Ziel war ein deutscher Nationalstaat, nicht ein Imperium. Am Ende hat sich die Mehrheit der deutschen Nationalbewegung mit der kleindeutschen Variante begnügt, die das außenpolitische Konfliktpotential begrenzte und mit einem europäischen Gleichgewichtssystem durchaus vereinbar gewesen wäre.