Rösch – Deutsche Geschichte von 1848 bis heute / VL 2: Die März-Revolution 1848 P - Mi 9-11 HS 22 1 DIE DEUTSCHE MÄRZ-REVOLUTION VON 1848 UND DER NEUORDNUNGSVERSUCH DER PAULSKIRCHE Es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Öls gesalbt ist. Ludwig Uhland Das Ding, von dem wir reden, trägt nicht das Zeichen des heiligen Kreuzes, drückt nicht den Stempel ‚von Gottes Gnaden‘ aufs Haupt, ist keine Krone. Es ist das eiserne Halsband der Knechtschaft, durch welches der Sohn von mehr als 24 Regenten, Kurfürsten und Königen, das Haupt von 16 Millionen, der Herr des treuesten und tapfersten Heeres der Welt der Revolution zum Leibeigenen gemacht werden würde. Friedrich Wilhelm IV. an Ernst Moritz Arndt, 15. März 1849 I. Chronologie der Ereignisse Deutschland Andere europäische Staaten 1848 22.-24. Feb.: Revolution in Paris / Frankreich wird Republik 13. März: Aufstand in Wien, Flucht Metternichs, Aufstände auch in München, Prag, Venedig, Mailand. 18. März: Barrikadenkampf in Berlin 20. März: Ludwig I. von Bayern dankt ab 21. März: Umritt Friedrich Wilhelms IV. 22. März: Aubahrung und Beisetzung der Gefallenen in Berlin 31.März – 3. April: Vorparlament in Frankfurt; 11. April: Tschechische Abgeordnete lehnen die Bauernaufstände Teilnahme in Frankfurt ab 12.-20. April: Aufstand in Baden 23. April: Verfassungsgebende Nationalversammlung in Paris gewählt 18. Mai: Nationalversammlung tritt in Frankfurt 25. April: Antidemokratische Verfassung in der zusammen Donaumonarchie oktroyiert 22. Mai: Preussische Nationalversammlung in 15. Mai: Revolution in Wien Berlin 29. Juni: Erzhzg. Johann wird zum Reichsver26. – 28. Mai: Barrikadentage in Wien weser gewählt 22. – 26. Juni: Arbeiteraufstand in Paris niedergeschlagen 16. Sept.: Nationalversammlung ratifiziert den Waffenstillstand von Malmö zwischen Dänemark und Preussen 17. – 18. Sept.: Aufstand in Frankfurt 25. – 26. Sept: Unruhen in Köln 3. Okt.: Belagerungszustand in Ungarn 6. Okt.: Revolutionssturm in Wien 8. Okt: Arbeiter demonstrierten in Düsseldorf 26. – 30. Okt.: Demokratenkongress in Berlin 26. – 30. Okt.: Windischgrätz schlug in Wien die Revolution nieder 12. Nov.: Berlin im Belagerungszustand 9. Nov.: Robert Blum in Wien erschossen 5. Dez.: Preussische Nationalversammlung wur- 2. Dez.: Franz Josef I. in Kremsier gewählt Rösch – Deutsche Geschichte von 1848 bis heute / VL 2: Die März-Revolution 1848 P - Mi 9-11 HS 22 de aufgelöst, Verfassung oktroyiert 27. Dez.: Grundrechte des deutschen Volkes per Gesetz eingeführt 1849 27. März: Die Nationalversammlung in Frankfurt stimmte für die ‚kleindeutsche‘ Lösung 28. März: Die deutsche Reichsverfassung wurde verkündet; der preussische wurde König zum Erbkaiser gewählt. 14. April: 28 dt. Staaten erkennen die Reichsverfassung an 28. April: Friedrich Wilhelm IV. lehnt die Kaiserwürde ab. 3. – 9. Mai: Aufstand in Dresden 6. Juni: Rumpfparlament in Stuttgart 18. Juni: Parlament in Stuttgart wurde durch württembergische Truppen aufgelöst 21. Juni: Reichs- und preussische Truppen besiegen die badische Revolutionsarmee 23. Juli: In Rastatt kapitulierten die badischen Revolutionäre vor den Preussen 2 Louis Napoléon zum Präsidenten der Zweiten Republik gewählt 9. Feb.: Italien wurde Republik unter Garibaldi 4. März: Verfassung in der Donaumonarchie oktroyiert; staatsrechtliche Einheit aller deutschen und nicht-deutschen Gebiete 23. März: Österreichische Truppen besiegen die italienischen Truppen bei Novara 30. Juni: Französische Truppen erobern Rom 13. Aug.: Ungarische Truppen kapitulierten 22. Aug.: Venedig kapitulierte Beispiel Berlin: Barrikadenkampf und vorläufiger Sieg der Revolution Aufruf von König Friedrich Wilhelm IV. am 21. März (vgl. Gall, 123f.) „Deutschland ist von innerer Gärung ergriffen und kann durch äußere Gefahr von mehr als einer Seite bedroht werden. Rettung aus dieser doppelten dringenden Gefahr kann nur aus der innigsten Vereinigung der Deutschen Fürsten und Völker unter einer Leitung hervorgehen. Ich übernehme heute diese Leitung für die Tage der Gefahr. Mein Volk, das die Gefahr nicht scheut, wird mich nicht verlassen und Deutschland wird sich Mir mit Vertrauen anschließen. Ich habe heute die alten Deutschen Farben angenommen und Mich und Mein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen Reiches gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ Zur Person: Friedrich Wilhelm IV. (15. 10. 1795 – 2. 1. 1861): Wurde 1840 König und war im romantischen Geist von einem christlich-ständischen Königtum überzeugt. Am 21. März 1848 bekannte sich der König in dem Aufruf An mein Volk und an die Deutsche Nation zur Einheit; er hob die Zensur auf und versprach eine Verfassung sowie die Bildung eines deutsches Bundesstaates und eines Parlamentes. Seit 1858 führte sein Bruder Wilhelm (22. 3. 1797 – 9. 3. 1888) die Regentschaft. Er (berüchtigt als ‚Kartätschenprinz‘) führte 1849 die preussischen Truppen gegen den badisch-pfälzischen Aufstand, dann bis 1854 Generalgouverneur der Rheinlande und Gegner der reaktionären Politik des Berliner Hofes. Ein aufmerksamer Beobachter der Ereignisse in Berlin war Karl August von Varnhagen, Publizist und Autor, der in seinen Tagebüchern schon die Ereignisse der Befreiungskriege in unmittelbarer Nahsicht festgehalten hatte. Am Dienstag, 21. März 1848, notierte er: „Der Umritt des Königs mit der deutschen Fahne und sein Benehmen dabei, seine Ansprachen, seine Austeilung deutschen Bandes sollen ein elendes, lächerliches Ansehen gehabt und nur dem untersten Volk gefallen haben. Die Adligen, die Offiziere, die Hofleute sind außer sich darüber, [...] Dennoch kann diese Wendung, die der König seiner Sache zu geben versucht, von großen und guten Folgen sein; es kommt darauf an, ob die Demonstration nicht bloße Schauspielerei, sondern ehrlicher Ernst ist, ob sie nachhaltig durchgeführt, mit Kraft vertreten wird. Vie- Rösch – Deutsche Geschichte von 1848 bis heute / VL 2: Die März-Revolution 1848 P - Mi 9-11 HS 22 3 le leugnen das und meinen, der König habe nur aus der augenblicklichen Schmach herauskommen wollen und dazu dies Gaukelwesen tauglich erachtet. Karl August Varnhagen von Ense, Tageblätter. Hrsg. v. Konrad Feilchenfeldt. Frankfurt 1994, 434f. II. Die Nationalversammlung und ihre Aufgaben (1) Verfassungsgebende deutsche National-Versammlung in der Paulskirche Die Grundlage für die Delegationen des Parlaments bildeten die Oppositionszirkel aus den Jahren vor 1848; ein Vorparlament, das vom 31. März bis 3. April 1848 tagte, hatte Wahlen für das gesamte Territorium des Deutschen Bundes ausgeschrieben, aus dem dann die Nationalversammlung hervorging. Ihr gehörten vorwiegend Akademiker und Beamte an (87% hatten studiert, 56% waren im Staatsdienst). In den Gebieten mit überwiegend slawischer Bevölkerung in Österreich wurden die Wahlen fast durchweg boykottiert. Aufgabe des Parlaments war es, eine Konstitution auszuarbeiten und die deutschen Territorien in einen Nationalstaat zu überführen. Die Fraktionen, die sich bis Juni gegründet hatten, benannten sich nach den Versammlungsorten in Frankfurt; sie verhielten sich, nach ihren Standpunkten, etwa folgendermaßen zueinander: (2) Die Fraktionen der Paulskirche Links Linkes ZentRechtes Zentrum rum Augsburger Hof: Wollte eine kleindeutsche Lösung, Erbkaisertum, parlamentarische Demokratie, starke Zentralgewalt. Ihm gehörte an Ernst Moritz Arndt (politischer Publizist und Mitarbeiter des Freiherrn vom Stein, 1840-54 ord. Professor für Geschichte in Bonn, Rektor. Fraktionslos, gehörte zur Kaiserdeputation 1849. Württemberger Hof: parlamentarische Monarchie mit starker Volksvertretung, Bundesstaat, großdeutsch, Reichsregierung ist vom Parlament abhängig, aber Reichsverfassung muß nicht mit Länderkonstitution vereinbart werden: Ihr gehörten z.B. an: Johann Carl Heinrich Wuttke (der Vertreter Leipzigs nach dem Tod von Blum; Privatdozent der Geschichte, von 1848 – 1876 ord. Prof. in Leipzig, gründete dort 1852 das historische Seminar; gehörte dem großdeutschen Verfassungsausschuß an, stimmte gegen Friedrich Wilhelm IV.) und Adolf v. Zerzog (Regensburg; Gutsbesitzer und Jurist, gehörte dem volkswirtschaftlichen Ausschuß an; stimmte für Friedrich Wilhelm IV.) Märzverein: Seit Ende 1848 hatten sich darin die Fraktionen Donnersberg und Deutscher Hof zusammengeschlossen: Deutschland als Bundesstaat, Ziele nur auf gesetzlichem Weg ohne militärische Aktionen verfolgen: Ihm gehörte der zunächst Rechts Casino + Pariser Hof: Parlament soll sich auf Legislative beschränken, Reichsverfassung soll Bundesverfassungen überwölben, Bundesstaat mit konstitutioneller, erbkaiserlicher Monarchie und gestärkter Zentralgewalt. Dieser Fraktion gehörten an: Maximilian Duncker (stammte aus der Verlagsbuchhandlung Duncker und Humblot, Rösch – Deutsche Geschichte von 1848 bis heute / VL 2: Die März-Revolution 1848 P - Mi 9-11 HS 22 fraktionslose Johann Ludwig Uhland an (promovierter Jurist, seit 1833 Privatgelehrter und freier Schriftsteller in Tübingen, vertrat den Schwarzwaldkreis und stimmte gegen Friedrich Wilhelm IV.) 4 Historiker, 1842-57: a.ord. Professor in Halle, später Beamter in preussischen Diensten), Friedrich Christoph Dahlmann (1842-60 ord. Prof. für Deutsche Geschichte und Staatwissenschaften in Bonn); Johann Gustav Bernhard Droysen (ab 1840 ord. Professor der Geschichte in Kiel, Jena, dann Berlin); Georg Gottfried Gervinus (Historiker); Heinrich von Gagern (Ministerpräsident Hessen-Darmstadt, vom 19. Mai 1848 bis Mai 1949 Präsident der Paulskirche, trat zurück, weil das von ihm erstrebte Erbkaisertum nicht durchgesetzt wurde) Donnersberg: Kein Erbkaisertum, sondern Demokratie, in der die Legislative die Exekutive kontrolliert, Selbstbestimmungsrecht aller Völker. Ihr gehörte Arnold Ruge an (Publizist und Buchhändler in Leipzig, floh nach dem sächsischen Aufstand nach England, wo er 1880 starb) Deutscher Hof: demokratische Republik, allgemeines, gleiches, direktes Wahlrecht, alle Nationalitäten gleichberechtigt. Ihr gehörte Robert Blum an (Publizist, Agitator in Leipzig). Café Milani: groß-deutsch, konservativ, weil föderativer Staat, Nationalversammlung soll auf Verfassungsfragen beschränkt bleiben und die Reichsregierung nicht kontrollieren, Einzelstaaten sollen monarchisch bleiben, eigenständige Heere behalten sowie von der Reichsverfassung abweichende Konstitutionen Best, Heinrich; Weege, Wilhelm: Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. Bonn 1996. (3) Die Verabschiedung der Grundrechte Sie wurden am 27. Dezember als selbständiges Recht verkündet; neun Artikel mit Unterpunkten (vgl. Gall, 237). Frauen erhielten keine politischen Rechte und blieben von der aktiven Staatsbürgerschaft ausgeschlossen; die Juden erhielten die volle staatsbürgerliche Gleichheit. Garantiert wurde die Freiheit des einzelnen vor staatlicher Willkür, die Presse- und Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinsfreiheit, Gewissensfreiheit, Recht auf Eigentum. Es war die erste Grundrechtserklärung der Nation. Sie galten im ganzen Reichsgebiet, der Reichsverweser hatte das Gesetz unterzeichnet. [...] Artikel II. Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als Stand ist aufgehoben. [...] Die Wehrpflicht ist für Alle gleich; Stellvertretung bei derselben findet nicht statt. Artikel III. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. [...] Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt, oder das Seerecht im Fall von Meuterei sie zuläßt, so wie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung, sind abgeschafft. Artikel IV. Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Artikel VI. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Artikel IX. Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. Es sollen keine Patrimonialgerichte bestehen. Rösch – Deutsche Geschichte von 1848 bis heute / VL 2: Die März-Revolution 1848 P - Mi 9-11 HS 22 III. Das Ende in Aufständen und Militäraktionen (1) Beispiel Dresden (2) Konsequenzen 5 Der Bundestag nahm in seiner Funktion wie vor 1848 seine Arbeit in Frankfurt wieder auf Oktroyierte Verfassungen bestanden in den von der Revolution betroffenen Staaten Der Antagonismus zwischen Österreich und Preußen vertiefte sich Schlaglicht: Frauen in der Männer-Revolution Emma Siegmund, verheiratet mit Georg Herwegh Hauch, Gabriella: Frauen-Räume in der Männer-Revolution 1848. In: Europa 1848, 841-900. Kienitz, Sabine: Frauen. In: 1848. Revolution in Deutschland, 272-285. Krausnick, Michail: Nicht Magd mit den Knechten. Emma Herwegh. Eine biographische Skizze. Marbach 1998 (Sonderheft Marbacher Magazin 83/1998). Literatur 1848 [Achtzehnhundertachtundvierzig]. Aufbruch zur Freiheit. Hrsg. v. Lothar Gall. Frankfurt 1998. 1848 [Achtzehnhundertachtundvierzig]. Revolution in Deutschland. Hrsg. v. Christoph Dipper, Ulrich Speck. Frankfurt, Leipzig 1998. Botzenhart, Manfred: 1848/49: Europa im Umbruch. Paderborn, München u.a. 1998. Europa 1848. Revolution und Reform. Hrsg. v. Dieter Dowe, Heinz Gerhard Haupt, Dieter Langewiesche. Bonn 1998 (Bestandsaufnahme der revolutionären Ereignisse in den europäischen Staaten, z.B. Italien, Belgien, Polen, und ihrer Auswirkungen auf einzelne Bereiche der Gesellschaft, z.B. Politisierung der Frauen, Emanzipation der jüdischen Bevölkerung, Zäsuren im Bildungswesen). Müller, Sabrina: Soldaten in der deutschen Revolution von 1848/49. Paderborn 1999. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist. 2. Aufl. München 1991; Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. München 1992. Winkler, Heinrich August: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reichs bis zum Untergang der Weimarer Republik. Bd. 1: Der lange Weg nach Westen. München 2000.