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3-001
SITZUNG AM MITTWOCH, 23. OKTOBER 2002
___________________________
3-002
VORSITZ: PATRICK COX
Präsident
(Die Sitzung wird um 9.00 Uhr eröffnet.)
3-003
Sturdy (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, vor etwa drei
Jahren habe ich einen Protestmarsch von Mitgliedern des
Parlaments auf den Champs Elysees in Paris angeführt
und wäre dafür fast ins Gefängnis gesteckt worden. Ich
bin sehr besorgt darüber, dass wir die Europäische
Union erweitern, obwohl der Binnenmarkt zwischen den
15 Mitgliedstaaten noch immer nicht vollendet ist. Ich
habe die Kommission und das Parlament gebeten,
Frankreich mit allem Nachdruck aufzufordern, das
unrechtmäßige Importverbot für britisches Rindfleisch
aufzuheben. Wie es scheint, hat dies jedoch nichts
bewirkt. Gestern weigerte sich eine britische Ministerin
bei ihrem Besuch in Paris, britisches Rindfleisch zu
essen. Ich gebe zu, dass das eine schreckliche Situation
war. Sie weigerte sich, vor laufenden Kameras das
Rindfleisch zu essen, aber soviel ich weiß, hatte die
Ministerin kein Problem damit, dies unter Ausschluss
der Öffentlichkeit zu tun.
Ich fordere dieses Haus und Sie, Herr Präsident, auf, alle
möglichen Schritte zu unternehmen, um Frankreich zur
Aufhebung des Importverbots für britisches Rindfleisch
zu bewegen oder zumindest Druck auf die Kommission
auszuüben, damit diese Maßnahmen gegen Frankreich
einleitet, so dass wir vor einer Erweiterung der
Europäischen Union den Binnenmarkt verwirklicht
haben.
3-004
Nogueira Román (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident,
ich möchte die Aufmerksamkeit des Parlaments auf
einen gestrigen Vorfall lenken, der meiner Meinung
nach von wenig Achtung gegenüber dem Europäischen
Parlament zeugt. Ich war in diesem Hohen Haus in der
Erwartung, eine Antwort auf eine Anfrage von mir an
die Kommission zu hören. Die Anfrage war an dritter
Stelle eingeordnet worden. Sie wurde natürlich nicht
beantwortet, weil keine Zeit mehr blieb. Später erfuhr
ich, dass die Vizepräsidentin der Kommission, Loyola
de Palacio, begleitet von einem Mitglied der Fraktion
der Europäischen Volkspartei, direkt vor den
Fernsehkameras auf eine der Anfragen antwortete, die
eigentlich schriftlich beantwortet werden sollten. Diese
Anfrage war unter Nummer 90 eingeordnet und betraf
eine Angelegenheit im Zusammenhang mit dem
spanischen Staat. Es handelte sich um die Beantwortung
der Anfrage einer sozialistischen Abgeordneten.
Die Erklärung von Frau de Palacio bezog sich auf eine
nichtexistierende Angelegenheit, da sie auf eine
Interpretation des Themas durch die sozialistische
Abgeordnete antwortete, und ich halte es für eine
Manipulation dieser Institution, eine Anfrage zu nutzen,
um so zu tun, als hätte die Europäische Union auf eine
wichtige, heikle Frage geantwortet.
Sie antwortete auf eine Anfrage, deren Beantwortung
übrigens Sache des Rates gewesen wäre. Meiner
Meinung nach darf diese Institution nicht länger zur
Verteidigung von Standpunkten verwendet werden, die,
wie jeder Standpunkt, anfechtbar sind. Unabhängig
davon, was man in Spanien denkt und was dort
geschieht, darf diese Institution nicht manipuliert
werden.
3-005
Der Präsident. – Ich danke Ihnen für diesen Hinweis.
Ich höre zum ersten Mal von dieser Sache und bin
deshalb nicht über Einzelheiten informiert. Ich werde
dies prüfen und dann an Frau de Palacio schreiben.
3-006
Karamanou (PSE). – (EL) Herr Präsident! Ich möchte
Ihre Anwesenheit heute hier im Plenum nutzen, um ein
Thema anzusprechen, das meiner Meinung nach unser
Parlament interessieren dürfte, da dazu bereits
entsprechende Entschließungen angenommen wurden.
Wie Sie wissen, ist die Durchführung der diesjährigen
Miss-World-Wahl für den 7. Dezember in Nigeria
geplant. Abgesehen von allen Einwänden, die man
gegen die Veranstaltung als solche haben kann, halte ich
es für nicht akzeptabel, so ein schillerndes
internationales Ereignis in einem Land stattfinden zu
lassen, das Frauen zum Tod durch Steinigung verurteilt,
wie es jüngst mit Amina Lawal geschehen ist.
Ich denke, wir müssen die Stimme des Protestes
erheben. Dem guten Beispiel von Belgien, Frankreich,
Spanien, Dänemark, der Schweiz und anderen sollten
noch mehr Länder folgen, damit kein Land der
Europäischen Union bei diesem schändlichen
Schönheitswettbewerb in einem Land vertreten ist, das
die grundlegenden Rechte der Frauen nicht respektiert.
3-007
Der Präsident. – Ich möchte die Frau Abgeordnete
bitten, mir diese Sache schriftlich vorzulegen, damit ich
den Sachverhalt prüfen kann.1
3-008
Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates
am 24./25. Oktober 2002 in Brüssel
3-009
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die
Aussprache über die Erklärungen des Rates und der
Kommission über die Vorbereitung der Tagung des
Europäischen Rates am 24./25. Oktober 2002 in Brüssel.
3-010
1
Mitteilung und Gemeinsame Standpunkte des Rates: siehe Protokoll.
Zusammensetzung des Parlaments: siehe Protokoll.
6
Haarder, Ratspräsident. - (DA) Herr Präsident, man hat
mich gebeten, eine Erklärung zur Vorbereitung der
Tagung des Europäischen Rates am 24./25. Oktober
2002 in Brüssel abzugeben.
Diese Tagung wird für die weitere Arbeit unter
dänischer Präsidentschaft von entscheidender Bedeutung
sein. Wie bekannt wird die Tagesordnung durch das
wichtige Thema Erweiterung und im Zusammenhang
damit durch das Problem Kaliningrad geprägt sein,
woran das Europäische Parlament selbstverständlich
stark interessiert ist. Das Ergebnis der Tagung wird sich
in starkem Maße auf die Möglichkeit auswirken, das
gemeinsame
Ziel
zu
erreichen,
die
Beitrittsverhandlungen mit bis zu zehn Ländern
abzuschließen. Deshalb ist es wichtig, dass der
Europäische Rat möglichst viele Entscheidungen trifft,
damit in Kopenhagen nicht mehr allzu viel zu tun bleibt.
Was dann noch zu tun ist, kann noch schwierig genug
werden.
Auf der Tagung des Europäischen Rates wird der
Präsident des Konvents über den Stand der Arbeit im
Konvent informieren, und der Präsident des
Europäischen Parlaments wird ebenfalls eine Rede
halten. Ich möchte mit dem letzten Punkt beginnen. Die
Zusammenkunft mit dem Präsidenten des Europäischen
Parlaments ist zu einer festen Tradition geworden, auf
die – soviel ich weiß - die Staats- und Regierungschefs
im Europäischen Rat großen Wert legen.
Wenn man die aktuelle Tagesordnung betrachtet, wird es
natürlich von besonderem Interesse sein, die Meinung
des Parlamentspräsidenten zu den Themen zu hören, die
vom Europäischen Rat behandelt werden sollen, nämlich
zur
Erweiterung einschließlich des
Problems
Kaliningrad, auf das ich noch zurück kommen werde. Es
ist
gut,
dass
die
Diskussion
mit
dem
Parlamentspräsidenten
unmittelbar
vor
den
Arbeitssitzungen über die Erweiterung und Kaliningrad
stattfindet.
Abgesehen
vom
Beitrag
des
Parlamentspräsidenten hoffen wir natürlich, dass die
Tagung auch für den Präsidenten und das Parlament
nutzbringend ist, z. B. durch den Austausch von
Informationen und Ideen für die weitere Arbeit
insgesamt.
Lassen Sie mich nun einige Bemerkungen zur
Erweiterung machen. Wir gehen davon aus, dass in
Brüssel Beschlüsse über einige sehr wichtige Punkte
gefasst werden, die der Erweiterung den Weg ebnen
können. Es muss entschieden werden, welche
Beitrittskandidaten die Verhandlungen in diesem Jahr
abschließen können. Ausgangspunkt werden die
Fortschrittsberichte der Kommission für die einzelnen
Beitrittsländer und das Strategiepapier der Kommission
für die gesamte Erweiterung sein, das am 9. Oktober von
Herrn Kommissar Günther Verheugen vorgelegt wurden,
der hier auch anwesend ist. Nach der gründlichen
Bewertung
der
Fortschritte
jedes
einzelnen
beitrittswilligen Landes kommt die Kommission zu dem
Ergebnis, dass 10 Länder Anfang 2004 alle Kriterien
werden erfüllen können, und vor diesem Hintergrund
23/10/2002
spricht
sie
die
Empfehlung
aus,
die
Beitrittsverhandlungen wie geplant in diesem Jahr
abzuschließen. Der Europäische Rat wird sich bei seiner
Tagung in Kopenhagen außerdem mit den
Beitrittskandidaten befassen, bei denen nicht mit dem
Abschluss der Verhandlungen in diesem Jahr zu rechnen
ist (Bulgarien, Rumänien und Türkei), um über den
weiteren Verlauf des Beitrittsprozesses in Bezug auf
diese Länder zu entscheiden.
In Brüssel werden außerdem Entscheidungen über
offene Fragen in den Beitrittsverhandlungen im
Zusammenhang mit dem Finanzpaket getroffen werden.
Auf der gestrigen Tagung des Rates Allgemeine
Angelegenheiten bestand Einigkeit über institutionelle
Fragen, und als Teil des Finanzpakets muss der
Europäische Rat nun unter anderem den Gesamtbetrag
für die Erweiterung, die Teilnahme der Beitrittsländer an
der gemeinsamen Agrarpolitik – hierunter ihr Anteil an
direkten Einkommensbeihilfen – und die Beihilfen aus
den Kohäsions- und Strukturfonds an die Beitrittsländer
festlegen. Der Europäische Rat wird außerdem über
Fragen im Zusammenhang mit der Nettoposition der
Beitrittsländer in Bezug auf den EU-Haushalt
entscheiden, und es wurde Einigkeit über die Grundlage
für diese Berechnungen erzielt.
Die bisherige Debatte über diese Themen hat gezeigt,
dass es leicht sein wird, zu einer Einigung zu kommen.
Der Europäische Rat von Sevilla legte fest, die Position
der EU in Bezug auf die ausstehenden, haushaltsmäßig
bedeutenden, Kapitel den Beitrittsländern Anfang
November darzulegen. Das heißt, dass der Europäische
Rat in Brüssel eine Entscheidung über diese Themen
treffen muss, wenn der Zeitplan von Sevilla eingehalten
werden soll. Darauf wird die dänische Präsidentschaft
bestehen, und die Tagung muss so lange fortgesetzt
werden, bis eine Lösung gefunden wurde. Wie gesagt ist
damit zu rechnen, dass es sehr schwierig werden wird.
Alle Parteien müssen zu Kompromissen bereit sein, aber
es muss eine Lösung gefunden werden.
Darüber hinaus werden wir über Kaliningrad sprechen,
und auch in diesem Punkt wurden auf der gestrigen
Tagung in Luxemburg erhebliche Fortschritte erzielt,
von der Herr Verheugen und ich soeben kommen. Die
Angelegenheit wurde bereits in Sevilla besprochen. Die
Kommission wurde gebeten, die Möglichkeiten für eine
effektive und flexible Lösung des Transitproblems zu
untersuchen – eine Lösung, die mit dem
gemeinschaftlichen Besitzstand in Einklang steht und
mit dem Einverständnis der betroffenen Beitrittsländer
zustande kommt. Die Kommission hat ihre Mitteilung
am 18. September vorgelegt. Diese ist zwei Mal im Rat
diskutiert worden, und auch hier im Parlament wurde
erst letzte Woche, am 15. Oktober, darüber debattiert.
Die Präsidentschaft hat gemeinsam mit der Kommission
einige Male mit Russland verhandelt und vor allem
Litauen als das am stärksten betroffene Beitrittsland
konsultiert.
Neben den Prinzipien, die dem Mandat von Sevilla
zugrunde lagen, hat die EU das souveräne Recht
23/10/2002
Litauens betont, seine Grenzen zu kontrollieren und ggf.
die Einreise zu verweigern. Sie ist außerdem davon
ausgegangen, dass eine Lösung die uneingeschränkte
Schengen-Mitgliedschaft
nicht
verhindern
oder
verzögern darf. Der Rat hat sein Einverständnis damit
erklärt, dass Litauen entsprechende Garantien erhält, und
schließlich ist der Rat auch damit einverstanden, dass
Litauen eine Entschädigung für die zusätzlichen Kosten
erhält, die sich aus der Lösung des Transitproblems
ergeben können.
Von russischer Seite wurde nachdrücklich der Wunsch
geäußert, einen Bahntransit durch Litauen ohne
Visumzwang zu vereinbaren. Eine solche Lösung ist mit
vielen
Problemen
technischer,
wirtschaftlicher,
juristischer und politischer Art verbunden. Die EU hat
die Prüfung dieser Möglichkeit aber nicht abgelehnt, und
die Präsidentschaft wird sich auch weiterhin für eine
Lösung einsetzen, die möglichst alle Parteien zufrieden
stellt und vom Europäischen Rat getragen werden kann.
Der Rat Allgemeine Angelegenheiten hat sich auf seiner
gestrigen Tagung in Luxemburg an die von mir hier
erwähnten Leitlinien gehalten. Er einigte sich gestern
darauf, dass Litauen – wie ich bereits erwähnte –
Schengen zur gleichen Zeit wie die übrigen
Beitrittsländer beitreten kann, sofern es dies wünscht,
und das ist der Fall. Das ist also die Position der Union,
und mir scheint, dass die 15 Regierungen optimal
vorbereitet sind - auf die Verhandlungen der Tagung des
Europäischen Rates in Brüssel und auch auf die sich
anschließenden Verhandlungen mit Russland, die unter
Leitung der Präsidentschaft geführt werden und ihren
Höhepunkt im Gipfeltreffen EU-Russland im November
in Kopenhagen haben werden.
Was den Konvent angeht, so wird der Europäische Rat
entsprechend der Laeken-Erklärung auf der Tagung in
Brüssel einen Bericht des Präsidenten des Konvents,
Herrn Valéry Giscard d’Estaing, über die Fortschritte in
der Arbeit des Konvents entgegennehmen. Es ist der
Präsidentschaft sehr wichtig, die Arbeit des Konvents
voranzubringen. Der Konvent hatte einen guten Start
und ist jetzt in die wichtige Analysephase eingetreten. Es
gibt viele Vorschläge, die Papierstapel werden höher,
und ich finde, dass wir eine sehr spannende Debatte über
die Zukunft Europas erleben, innerhalb und außerhalb
des Konvents. Ich freue mich über das große
Engagement der Mitglieder des Konvents, nicht zuletzt
der Mitglieder, die aus diesem Parlament kommen und
bestens ausgerüstet die Debatte besonders markant
geprägt haben.
Mit dem Konvent ist zum ersten Mal – und in aller
Öffentlichkeit – etwas so Ungewöhnliches wie eine
echte Debatte über die europäischen Grenzen hinweg
entstanden. An so etwas sind wir nicht gewöhnt. Die
europäische Debatte wird normalerweise so geführt, dass
sich europäische Politiker an ihr heimisches Publikum
wenden, nicht an Bürger in anderen Ländern. Aber bei
dieser Debatte über die Zukunft Europas ist das anders,
das sind meiner Meinung nach gute Aussichten für den
Wunsch nach mehr demokratischer und von den Bürgern
getragener europäischer Zusammenarbeit.
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Wie Sie aus dem Bericht entnehmen konnten, liegt dem
Gipfeltreffen in Brüssel eine umfangreiche und
anspruchsvolle Tagesordnung vor. Ich hoffe und glaube,
dass
alle
Länder
jetzt
die
notwendige
Kompromissbereitschaft zeigen und dazu beitragen
werden, dass die von mir hier dargestellten wichtigen
Beschlüsse gefasst werden. Ich möchte Ihnen natürlich
nicht verheimlichen, dass es sich bei den restlichen
Punkten um die schwierigsten handelt, denn bei ihnen
geht es natürlich um die Finanzen.
Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass sich der
Europäische Rat darauf freut, den Präsidenten des
Europäischen Parlaments, Herrn Pat Cox, anzuhören und
mit ihm zu diskutieren. Die Bedeutung des Parlaments
für das Erweiterungsverfahren ist unbestritten. Das
Parlament hat zu einem sehr frühen Zeitpunkt – zunächst
im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame
Sicherheit
und
Verteidigungspolitik, später im Plenum – fast
einstimmig gesagt, was zu tun war. Das hat dazu
beigetragen, dem Erweiterungsprozess den Schwung und
Antrieb zu verleihen, so dass er hoffentlich nicht mehr
im letzten Augenblick abgebrochen werden kann. Dafür
möchte ich dem Parlament im Namen der
Präsidentschaft herzlich danken.
(Beifall)
3-011
Prodi, Präsident der Kommission. – (IT) Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten!
Mit dem Ja-Wort der Iren zum Vertrag von Nizza haben
wir das letzte politische Hindernis auf dem Weg zur
Ratifizierung des Vertrags beseitigt und grünes Licht für
die Erweiterung gegeben. Ich freue mich über die
Entscheidung, mit der die irischen Wähler ihre Offenheit
und ihr Verantwortungsgefühl unter Beweis gestellt
haben.
Was für Irland gilt, gilt für uns alle. Es liegt im
gemeinsamen Interesse, die Erweiterung ohne
Verzögerung voranzutreiben. Dabei kommt der
bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates in
Brüssel grundlegende Bedeutung zu. Dieser wird sich in
erster Linie mit unseren Empfehlungen zum Abschluss
der Beitrittsverhandlungen mit zehn Kandidatenländern
bis zum Ende des Jahres befassen. Außerdem wird über
das Datum für den Beitritt Bulgariens und Rumäniens
sowie den nächsten Schritt im Zusammenhang mit der
Kandidatur der Türkei zu beraten sein. Ein weiteres
wichtiges Thema ist Kaliningrad. Ferner werden wir
vielleicht Gelegenheit haben, die internationale Lage zu
analysieren und insbesondere das weitere Vorgehen zur
Bekämpfung des Terrorismus angesichts der jüngsten
tragischen Ereignisse auf Bali und den Philippinen zu
überdenken. Wir werden außerdem den Bericht des
Präsidenten des Europäischen Konvents hören und wie
üblich einen Meinungsaustausch mit dem Präsidenten
des Europäischen Parlaments führen.
Punkt 1 der Tagesordnung ist also die Erweiterung.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal auf die
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gewichtigen Gründe eingehen, aus denen wir den
Mitgliedstaaten empfohlen haben, die Verhandlungen
mit zehn Staaten zum Abschluss zu bringen. Es ist
einfach unsere historische und moralische Pflicht, die
Stabilität und den Wohlstand, die wir in fünfzigjähriger
Integration erlangt haben, mit unseren europäischen
Nachbarn zu teilen. Frieden, Stabilität, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit
sind
die
wesentlichen
Voraussetzungen für politische Stabilität. Da dieser
Ansatz in der Vergangenheit ausgezeichnet funktioniert
hat, wird er auch für die künftigen Mitgliedstaaten der
richtige sein.
Die Erweiterung wird „europäisches Regieren“ und
europäische Standards auf dem ganzen Kontinent
verbreiten. Wir erwarten uns davon in vielen Bereichen
positive
Auswirkungen:
effizientere
öffentliche
Verwaltungen, verbesserte Justizsysteme, verstärkter
Schutz von Minderheiten, wirksamere Vorbeugung vor
Verbrechen und insbesondere der internationalen
Kriminalität, strengere Kontrollen der illegalen
Einwanderung,
verstärkte
Aufsicht
über
den
Warenverkehr
und
vor
allem
mehr
Lebensmittelsicherheit, sowie strengere Normen und
Kontrollen im Bereich des Umweltschutzes.
Die Gebietsvergrößerung wird das politische Gewicht
der Union auf internationaler Ebene erhöhen. Unsere
Handels-, Finanz- und Umweltpolitik werden an
Bedeutung gewinnen. Europa wird die Menschenrechte
noch besser verteidigen und die Kluft zwischen Nord
und Süd verringern können. Wenn wir wirklich vereint
vorgehen und mit einer Stimme sprechen, können wir
Herausforderungen
wie
die
Bewältigung
des
Klimawandels oder der Globalisierungsfolgen besser
angehen.
Darüber hinaus wird die erste Gruppe von zehn neuen
Mitgliedstaaten der gesamten - erweiterten - Union
enorme wirtschaftliche Vorteile bringen. Der
Bevölkerungszuwachs wird den Binnenmarkt stärken.
Die Bevölkerung der Union wird um 75 bis 77 Millionen
Bürger auf insgesamt 453 Millionen Menschen
zunehmen. Um die Bedeutung dieser Zahl zu erfassen,
genügt ein Blick auf die Gesamtbevölkerung der
nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA, die rund
400 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten,
Mexiko und Kanada zählt.
Kritische Stimmen wenden ein, dass mit dem Beitritt der
zehn Kandidatenländer die Bevölkerung zwar um 20 %,
das BIP der Union jedoch nur um 4 % bis 5 % zunehmen
wird. Das ist kein negativer Faktor, sondern vielmehr ein
Zeichen dafür, dass wir als Einzige, wenn auch nur auf
regionaler
Ebene,
einen
demokratischen
Globalisierungsprozess verwirklichen; es ist kein
negativer Faktor, weil er angesichts der Merkmale dieser
Länder ein Indikator für ein großes Wachstumspotenzial
ist. Bedenken Sie, dass die zehn Kandidatenländer
bereits heute eine höhere Wachstumsrate als die
15 derzeitigen Mitgliedstaaten aufweisen. Im Jahr 2001
betrug ihr Wachstum 2,4 % im Vergleich zum Vorjahr,
während sich unseres auf 1,5 % belief; im Jahr 2000 lag
ihre Wachstumsrate bei 4,1 %, unsere hingegen bei
23/10/2002
3,4 %. Ein besonderer Vorteil ist, dass die zehn
Kandidatenländer die Union um hochqualifiziertes
Personal bereichern werden. Zwar erhöhen die
Beitrittsländer die Bevölkerung der EU um 20 % und
das BIP nur um 5 %, doch der Anteil an
Hochschulabsolventen im wissenschaftlich-technischen
Bereich in diesen Ländern entspricht 25 % der
Absolventen in den derzeitigen Mitgliedstaaten. Das ist
eine Ressource, die in starkem Maße zur Förderung der
Entwicklung beitragen wird.
Die neuen Mitglieder bieten aufgrund all dieser
Merkmale, wenn sie vernünftig genutzt werden, den
europäischen
Unternehmen
Expansionsund
Entwicklungsmöglichkeiten, da sie großen Bedarf an
neuen Technologien haben und neue Märkte für den
Absatz unserer Güter und Dienstleistungen eröffnen.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich habe Ihnen
die Vorteile der Erweiterung aufgelistet. Lassen Sie
mich nun auf die verbleibenden Probleme eingehen.
Zuerst möchte ich jedoch eine allgemeine Bemerkung
vorausschicken: Wir müssen uns davor hüten, den Erfolg
der Erweiterung mit Zank über Detailfragen zu
gefährden, wie es oftmals geschieht, wenn politische
Beschlüsse gefasst werden. Die Einigung Europas muss
Vorrang haben vor rein nationalen und sektoralen
Interessen. Wir müssen immer das Gemeinsame im
Auge behalten und dürfen die Möglichkeiten, von denen
ich soeben gesprochen habe, nie außer Acht lassen.
Die zehn Staaten haben in den letzten Jahren enorme
Fortschritte gemacht. Dies hat sich in den regelmäßigen
Fortschrittsberichten der Kommission deutlich gezeigt.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
betonen, dass unsere Befunde weder nachsichtig noch zu
optimistisch sind. Das Vertrauen der Kommission in
diese Kandidaten beruht auf soliden, seriösen und
analytischen Grundlagen. Die in der Vergangenheit
erzielten Fortschritte beweisen, dass die Zehn Anfang
2004 für den Beitritt bereit sein werden. Dies gilt auch
für Bereiche, in denen die begonnene Arbeit offenkundig
noch vollendet werden muss.
Trotz dieses umfassenden Vertrauens wird die
Kommission die letzten Vorbereitungen und Fortschritte
der Staaten auch nach deren Beitritt überwachen. Dazu
haben wir Schutzklauseln für den Binnenmarkt und im
Bereich Justiz und Inneres formuliert, wo die
Befürchtungen und das Misstrauen der Bürger am
größten sind. Diese Schutzklauseln werden in dem zwar
unwahrscheinlichen, aber durchaus denkbaren Fall
wirksam, dass die Zusagen nicht in die Praxis umgesetzt
werden, und damit müssen wir rechnen.
Wie Sie wissen, werden sich die Staats- und
Regierungschefs vor allem mit den Fragen der
Finanzierung der Erweiterung beschäftigen, die als letzte
noch offen geblieben, doch gewiss nicht unbedeutend
sind. Der größte Konsens besteht in der Frage der
Nettotransfers; dabei gibt es Übereinstimmung über zwei
Grundsätze: Erstens, die zehn neuen Mitgliedstaaten
dürfen nicht gleich zu Nettobeitragszahlern werden, und
zweitens, alle Zahlungen müssen sich im Rahmen der in
Berlin vereinbarten Grenzwerte halten. Da wir uns an
23/10/2002
diese Grundsätze gehalten haben, wird es nicht schwer
sein, in Kopenhagen eine Vereinbarung über den
konkreten Betrag zu erzielen.
Auch im Bereich der Strukturfonds scheint sich eine
Einigung auf einen Jahresbetrag von etwa 25,5
Milliarden Euro für die Jahre 2004, 2005 und 2006
abzuzeichnen. Ehrlich gesagt, können wir unseren neuen
Mitbürgern nicht weniger anbieten. Dieser Betrag
bedeutet, dass im Jahr 2006 den Kohäsionsländern –
d. h. den bisherigen Mitgliedstaaten - 231 Euro pro Kopf
zur Verfügung stehen werden, während auf die neuen
Mitgliedstaaten ein Pro-Kopf-Betrag von 137 Euro
entfallen wird. Ich glaube nicht, dass wir größere
Unterschiede vertreten können.
Schließlich stellt sich das allseits bekannte Problem der
Agrarfinanzierungen.
Ich
weiß,
dass
einige
Mitgliedstaaten Bedenken hinsichtlich der budgetären
Durchführbarkeit dieser Vorschläge haben und weitere
Garantien verlangen. Die Frage nach dem künftigen
Finanzrahmen der Union ist durchaus legitim, ja wir
müssen sie uns sogar stellen. Die Kommission hält dabei
an ihrer Position fest: Alle Vorschläge sind mit dem in
Berlin beschlossenen Finanzrahmen vereinbar und
greifen künftigen Entscheidungen keinesfalls vor.
Ich hoffe, dass der Europäische Rat von Brüssel dem
dänischen Vorsitz und der Kommission das Mandat
erteilt, die Verhandlungen über die noch offenen
finanziellen Fragen abzuschließen, damit in Kopenhagen
eine endgültige Entscheidung getroffen werden kann.
Ich bitte Sie dazu um Ihre Unterstützung.
Die wichtigste Maßnahme, die wir jetzt in der
Schlussphase der Erweiterung ergreifen müssen – und
das ist meine Schlussbemerkung –, ist die Aufklärung
der Bevölkerung. Aus dem letzten Eurobarometer, das
vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, geht hervor,
dass die Hälfte der derzeitigen Unionsbürger für die
Erweiterung ist und ein Drittel dagegen; die übrigen
haben keine Meinung. Diese Zahlen sind durchaus
beruhigend, doch es gibt auch andere, die Sorgen
bereiten. Denn 65 % der Befragten befürchten, dass die
Erweiterung mit einer Zunahme des Drogenhandels, der
internationalen organisierten Kriminalität und der
Arbeitslosigkeit einhergehen wird, wobei dies das
genaue Gegenteil von dem ist, was ich ausgehend von
den Analysen ehrlich gesagt für die Zukunft kommen
sehe.
Warum denken Sie, wird die Erweiterung mit solchen
Ängsten assoziiert? Die Antwort liegt in der letzten
Angabe, die ich Ihnen präsentieren möchte: Gerade
einmal 21 % der Bürger sind der Meinung, dass sie über
die Erweiterung gut informiert sind, während 79 % die
Auffassung vertreten, es nicht zu sein. Es liegt also auf
der Hand, dass wir die Menschen objektiv, seriös und
gründlich informieren müssen. Diejenigen, die sich
selbst als wenig informiert bezeichnen, sind aber nicht
unbedingt auch gegen die Erweiterung an sich, sondern
zumeist eher desinteressiert. Diese Erkenntnis ist jedoch
für mich die beunruhigendste.
Wir müssen deshalb die Bürger davon überzeugen, dass
die Erweiterung nicht das Problem ist, sondern die
Lösung. Deshalb hat die Kommission in den heutigen
wie
in
den
künftigen
Mitgliedstaaten eine
9
Informationskampagne gestartet. Eine erfolgreiche
Erweiterung hängt daher von unserer Fähigkeit ab, die
Öffentlichkeit korrekt zu informieren, und auch in dieser
Hinsicht dürfen wir die Erwartungen von Millionen
Europäern nicht enttäuschen. Die Zukunft unserer Union
hängt von der Begeisterung, Kraft und Intelligenz ab, die
wir in die letzten Anstrengungen zur Vollendung dieses
Prozesses einbringen werden.
(Beifall)
3-012
Verheugen, Kommission. - Herr Präsident, Herr
Ratspräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Das Signal von Luxemburg, das wir gestern bekommen
haben, war stark und positiv. Der Rat hat die
Empfehlungen der Kommission akzeptiert, die
Verhandlungen mit zehn Ländern abzuschließen. Der
Rat hat das getan, weil die Kommission überzeugend
darlegen konnte, dass sich unsere Empfehlungen nicht
auf eine politische Wunschliste stützen. Es ging uns
nicht darum, ein politisch gewünschtes Szenario für
realistisch zu erklären, sondern es ging uns darum, zu
erklären, was überhaupt realistisch ist.
Die Aussage der Kommission, dass diese zehn Länder
zum vorgesehenen Zeitpunkt des Beitritts mit ihren
Vorbereitungen fertig sein werden, ist keine grobe
Schätzung, sondern sie ist eine solide, auf Kenntnissen,
auf Erfahrung und auf dem wirklichen Stand der
Vorbereitung beruhende Prognose, die wir voll und ganz
vertreten. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass die
Kommission diese Entscheidung einstimmig getroffen
hat und dass alle Kolleginnen und Kollegen in der
Kommission, die Verantwortung für das Funktionieren
der Politiken tragen, klipp und klar gesagt haben, dass es
in ihrem Verantwortungsbereich keine Probleme mehr
gibt, die nicht bis zum vorgesehenen Zeitpunkt des
Beitrittes gelöst werden können.
Wenn man einmal gegenüberstellt, was in den
verbleibenden 12 bis 15 oder 18 Monaten noch getan
werden muss und was in den letzten fünf Jahren bereits
geschehen ist - nur dann gewinnt man ja das vollständige
Bild -, dann erkennt man sehr deutlich, dass es kein
übertriebener Optimismus ist, wenn wir sagen: Die
Vorbereitungen werden so sein, dass wir unseren
Bürgerinnen und Bürgern sagen können, diese
Erweiterung ist so gut vorbereitet, wie es überhaupt
möglich war.
Der Rat hat auch die Vorschläge der Kommission im
Hinblick auf
Monitoring
und
Schutzklauseln
übernommen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Es geht
dabei nicht um Misstrauen gegenüber den neuen
Mitgliedern. Wir brauchen hier ein neues Instrument,
weil wir eine vollständig neue Lage haben. Inzwischen
sind Binnenmarkt und Währungsunion weit entwickelt,
fast vollständig verwirklicht. Wir haben es mit Ländern
zu tun, die sich in einem Transformationsprozess
befinden. Wir hatten noch nie die Situation, dass wir
zehn Länder auf einmal integrieren wollen und ein
großer Teil von ihnen auch noch in einem
10
Transformationsprozess befindlich ist. Daraus können
sich Probleme ergeben, die niemand vorhersehen kann.
Deshalb hält die Kommission eine sehr weit gefasste
Schutzklausel für richtig, die es uns erlaubt, überall dort
einzugreifen,
wo
unvorhergesehene
oder
unvorhersehbare Probleme auftauchen sollten.
Vor uns liegt noch eine schwierige Wegstrecke, das ist
völlig klar. Aber, das wurde auch gestern wieder
deutlich, das politische Momentum ist so stark, dass es
uns nach Kopenhagen tragen wird und dass es uns auch
in Kopenhagen zum Erfolg führen wird. Es gibt kein
einziges Mitgliedsland, das seine Forderungen und
Wünsche, die es in diesem Prozess noch gibt, mit einer
Vetodrohung verbindet. Es ist wichtig festzuhalten, dass
alle 15 sich auch gestern wieder zum Ziel des
Abschlusses der Verhandlungen verpflichtet haben. Ich
möchte deshalb zwei kurze Erwartungen an den Rat in
Brüssel formulieren. Das Mindeste, was wir von den
Staats- und Regierungschefs brauchen, ist eine Einigung,
die es uns erlaubt, in der Zeit zwischen Brüssel und
Kopenhagen die noch offenen Finanzfragen und die
noch offenen agrarpolitischen Fragen mit den
Kandidatenländern ordnungsgemäß zu behandeln. Die
Kommission hält es nicht für möglich, Kompromisse
erst in Kopenhagen zu machen, weil wir damit die
Kandidatenländer in eine "Friss Vogel oder stirb"Position bringen würden, und wir müssen doch unsere
künftigen neuen Mitgliedsländer auch in ihren
demokratischen
Rechten
ernst
nehmen.
Der
Erweiterungsprozess kann kein Diktat sein, sondern er
muss das Ergebnis einer gegenseitigen Vereinbarung,
gegründet auf gegenseitiges Vertrauen, sein.
23/10/2002
Ich glaube, dass jeder seinen Teil der Verantwortung
übernehmen und seinen Teil der Arbeit tun muss. Die
Kommission hat ihre Arbeit im wesentlichen bereits
getan, doch das heißt nicht, dass wir jetzt die Hände in
den Schoß legen können - ich bin noch lange nicht
arbeitslos. Jetzt geht es darum, dass alle verstehen, dass
dieses Erweiterungsprojekt ein politisches Projekt ist.
Ich habe in den letzten Wochen mit einer Reihe von
nationalen Parlamenten Kontakt gehabt und sage mit
aller Vorsicht: Bestimmte Probleme, auf die ich dort
gestoßen bin, haben auch dort etwas mit einem
erkennbaren Mangel an Informationen zu tun. Was
Präsident Prodi zum Thema Information gesagt hat, ist
entscheidend. Ich möchte als Erfahrung aus dem irischen
Referendum eine abschließende Bemerkung machen: Es
hat sich doch in Irland ganz deutlich gezeigt, dass wir
unsere europäische Sache dann voranbringen können,
dass wir die Zustimmung der Bürgerinnen und der
Bürger dann gewinnen, wenn wir für dieses Europa, für
unsere europäische Sache wirklich kämpfen, wenn wir
wirklich bereit sind, auf die Menschen zuzugehen und
ihnen klipp und klar zu sagen, warum es richtig ist und
warum es nötig ist. Es wird nicht gehen, wenn man
denkt, das läuft alles von selbst, das läuft alles über die
Medien. Die politisch Verantwortlichen in allen
europäischen Institutionen, in den Regierungen und in
den
Parlamenten
der
Mitgliedstaaten,
die
wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Eliten in
allen unseren Mitgliedstaaten müssen jetzt die
Verpflichtung auf sich nehmen, in den Dialog mit den
Bürgerinnen und Bürgern zu treten.
(Beifall)
Die Diskussion über die finanziellen Probleme im
Zusammenhang mit der Erweiterung bezieht sich im
Grunde schon nicht mehr auf die Finanzfragen für die
Jahre 2004, 2005 und 2006, sondern in Wahrheit bereitet
sich hier bereits die Diskussion über die nächste
finanzielle Vorausschau für die Zeit nach 2006 vor. Man
muss dafür Verständnis haben, man muss aber auch
sagen, dass der Erweiterungsprozess nicht zur Geisel für
Positionen genommen werden darf, die erst im
Zusammenhang mit der nächsten finanziellen
Vorausschau zu diskutieren sind. Und ich glaube auch,
dass wir darin übereinstimmen können, dass der 1999 in
Berlin begonnene Weg, auch den europäischen Haushalt
unter das Konsolidierungsgebot zu stellen und ihn nicht
einfach explodieren zu lassen, natürlich weitergegangen
werden muss. Ich freue mich darüber, dass insbesondere
Frankreich und Deutschland sich zur Zeit besonders
bemühen, auch in bilateralen Kontakten, zu einer
Verständigung in dieser Grundfrage zu kommen. Ich
glaube nicht, dass sich die Verantwortung, die
Deutschland und Frankreich in dieser Frage haben,
deutlich von der Verantwortung der anderen
unterscheidet, aber richtig ist ganz sicher, dass es immer
gut für Europa war, wenn diese beiden Länder bei einem
großen, wichtigen, in die Zukunft weisenden
europäischen Projekt eine gemeinsame Linie vertreten.
Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn es gelingt,
diese gemeinsame Linie bis zum Beginn des Rates in
Brüssel noch zu vervollständigen.
3-013
Poettering (PPE-DE). - Herr Präsident, Herr
Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das, was an politischen
Zielsetzungen sowohl durch den Rat als auch durch die
Kommission - durch Kommissionspräsident Prodi und
Kommissar Verheugen - hier dargestellt wurde, findet
unsere uneingeschränkte Unterstützung. Aber wir
müssen gleichwohl darauf hinweisen, dass die
Europäische Union sich in einer sehr ernsthaften
Situation befindet. Die Aussichten für den Gipfel jetzt in
Brüssel sind, nach dem, was man hört, nicht sehr rosig.
Ich möchte für unsere Fraktion noch einmal sehr
deutlich machen, dass wir immer als Zeitplan
vorgesehen hatten, die Verhandlungen bis Ende dieses
Jahres 2002 abzuschließen, dann im März oder April die
Verträge zu unterzeichnen und die Beitritte im Jahre
2004 zu formalisieren, so dass die Beitrittsländer sich an
den Europawahlen des Jahres 2004 beteiligen können.
Nun hat Herr Kommissar Verheugen gerade von
Deutschland und Frankreich gesprochen. Ich stimme
dem zu, dass es wichtig ist, dass sich diese beiden
Länder verständigen. Aber ich halte es - und unsere
Fraktion hält es - für einen schweren politischen Fehler,
dass jetzt neue Bedingungen an den Abschluss der
Verhandlungen geknüpft werden, dass man jetzt
23/10/2002
zunächst einmal einen neuen Finanzrahmen für die Jahre
nach 2006, vielleicht sogar schon vorher, haben will. Ich
möchte darauf hinweisen - der Kollege Böge als
Haushaltsexperte hat es mir noch einmal bestätigt -, dass
die Anpassung der Finanziellen Vorausschau und damit
die Bereitstellung der für die Erweiterung erforderlichen
Mittel zwischen 2004 und 2006 nach Artikel 25 der
Interinstitutionellen Vereinbarung nur auf Vorschlag der
Kommission und mit einer qualifizierten Mehrheit im
Rat sowie der absoluten Mehrheit der Mitglieder und
drei Fünftel der abgegebenen Stimmen im Europäischen
Parlament beschlossen werden kann.
Hier ist also auch das Parlament im Spiel. Ich hoffe sehr,
dass es gelingt, jetzt in Brüssel zu einem Ergebnis zu
kommen, wie der Ratspräsident Haarder und auch Herr
Verheugen es gesagt haben. Denn wenn es in Brüssel zu
keinem Ergebnis kommt, dann wird es eine Verzögerung
der Verhandlungen geben. Ich muss für unsere Fraktion
sagen, wir halten es für unverantwortlich, wenn es zu
einer Verzögerung der Verhandlungen kommt und diese
Verhandlungen Ende dieses Jahres nicht abgeschlossen
werden können. Deswegen ist es ein großer politischer
Fehler, dass jetzt diese neuen Bedingungen auftauchen.
Man hätte darüber sehr viel früher reden können. Es
wäre tragisch, wenn die Beitrittsländer am Ende die
Leidtragenden dessen wären, dass man sich innerhalb
der Europäischen Union bisher nicht geeinigt hat.
Ich stimme dem voll zu, was auch Herr Kommissar
Verheugen gesagt hat, nämlich dass die Beitrittsländer
ihre Pflicht in den letzten Jahren getan haben. Aber wir
in der Europäischen Union haben durch das Verschulden
einiger Mitgliedsländer das Notwendige nicht getan. Es
wäre
ein
Vertrauensbruch
gegenüber
den
Beitrittsländern, wenn wir jetzt in Brüssel zu keinem
Ergebnis kämen. Ich fordere alle Beteiligten auf, sich in
Brüssel
zu
einigen
und
der
dänischen
Ratspräsidentschaft ihre Aufgabe zu erleichtern, damit
wir dann bis Kopenhagen die Verhandlungen
abschließen können.
Es wurde von der Information der Bevölkerung
gesprochen. Ich kann nachdrücklich unterstreichen, was
Herr Kommissionspräsident Prodi und auch Herr
Kommissar Verheugen dazu gesagt haben. Herr
Kommissar Verheugen, es wäre wichtig für das
Parlament, auch mal zu hören, wie die Mittel, die der
Kommission für die Informationsarbeit zur Verfügung
gestellt werden, nun tatsächlich eingesetzt werden, um
unsere Bevölkerung, die wir natürlich auf diesem Wege
mitnehmen müssen, besser darüber zu informieren, wie
wir diese Mittel einsetzen.
Es wird in Brüssel auch die Rede von Kaliningrad sein Herr Ratspräsident Haarder hat davon gesprochen. Für
uns ist wichtig, dass wir bei aller Notwendigkeit, die
Probleme des Transits für Russland zu lösen - dass
Russland daran ein großes Interesse hat, steht hier außer
Frage -, sicherstellen, dass Litauen nicht den Eindruck
bekommt, dass wir nun auf der Seite der Europäischen
Union etwas über den Kopf Litauens hinweg
entscheiden, sondern Litauen muss in seinem Empfinden
11
für die Souveränität bestärkt werden. Alles, was am
Ende beschlossen wird, muss natürlich die Zustimmung
Litauens finden. Es müssen auch die Kriterien von
Schengen eingehalten werden. Auf dieser Grundlage auch im Hinblick auf die Sicherheit - raten wir natürlich
zu Flexibilität, um eine Lösung mit Russland zu finden.
Aber es geht nicht nur um den Zugang zur Region
Kaliningrad. Dahinter steht natürlich das große
Russland. Es gibt auch andere Probleme an Grenzen.
Denken Sie beispielsweise an den kleinen Grenzverkehr
zwischen Polen und der Ukraine oder an den
Grenzverkehr zwischen der Slowakei und Ungarn und
der Ukraine - ich empfehle uns, dass wir auch dort
einerseits natürlich die Sicherheit garantieren müssen,
dass wir es auf der anderen Seite aber durch flexible
Lösungen auch möglich machen, dass die Menschen auf
beiden Seiten der Grenze sich begegnen können.
Sie werden in Brüssel einen Bericht vom Präsidenten des
Konvents, Valéry Giscard D'Estaing, hören. Für unsere
Fraktion und auch für unsere Partei der Europäischen
Volkspartei (Christdemokraten) und der europäischen
Demokraten ist der Zeitrahmen klar - wir haben das jetzt
auf unserem Kongress bestätigt. Wir wollen ein Ergebnis
des Konvents bis Ende Juni 2003, dann eine kurze
Regierungskonferenz, so dass wir unter italienischem
Vorsitz bis Ende des Jahres 2003 dann zu einem Vertrag
von Rom oder zu einer Verfassung von Rom, einem
Grundvertrag der Europäischen Union kommen können.
Deswegen ist unsere Forderung an alle Beteiligten:
Seien wir ehrgeizig, damit wir diesen Zeitrahmen
einhalten und das historische Projekt sowohl der
Erweiterung als auch einer Verfassung für Europa in
dem uns vorgegebenen Zeitrahmen verwirklichen
können.
Dieses ist unsere gemeinsame Pflicht für eine gute
Zukunft unseres europäischen Kontinents.
(Beifall)
3-014
Barón Crespo (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr
amtierender Ratspräsident, Herr Präsident der
Kommission, Herr Kommissar, meine Damen und
Herren! Wir beginnen die Aussprache über den
kommenden Gipfel von Brüssel mit einem gewissen
Optimismus.
Der Ratsvorsitzende und dänische Ministerpräsident,
Herr Rasmussen, sprach vor uns während der
freundlichen Einladung zur Konferenz der Präsidenten in
Kopenhagen über die drei Phasen der dänischen
Präsidentschaft. Wir wussten, dass wir die Wahlen in
mehreren Mitgliedsländern (Schweden, Frankreich und
Deutschland) und das irische Referendum hinter uns
bringen mussten. Nun beginnt die zweite Phase.
In Brüssel müssen wir einige Unbekannte ausräumen
und Übereinkommen erreichen, um rechtzeitig, wie
Kommissar Verheugen bemerkte, den Gipfel von
12
23/10/2002
Kopenhagen vorbereiten zu können. Das ist sehr
wichtig.
Präsidenten –, Spanien – mein Land – Portugal usw.
gewesen sind.
Zunächst möchte ich auf die meiner Meinung nach
wichtigste Frage eingehen. Wir müssen nämlich in der
Lage sein, nicht nur über Verhandlungen und über Geld
zu sprechen, was immer wichtig ist, sondern dem
gesamten Prozess auch einen politischen Impuls und
eine Vision verleihen. Vor einer Heirat kann der
Ehevertrag von großer Bedeutung sein. In Hollywood
schließen Filmstars Verträge mit mehr als 100 Seiten ab.
Wichtig ist auch zu wissen, in welchem Haus das Paar
wohnen wird. Das ist die Aufgabe des Konvents. Aber
unser Hauptproblem in der Union, nicht in den Ländern
der Erweiterung, besteht darin, dass es uns gelingen
muss, einen politischen Enthusiasmus zu erzeugen und
eine historische Vision auszulösen. Dies ist eine
Verantwortung der Kommission, des Rates und auch
unsere Verantwortung hier im Parlament.
Wir müssen uns überlegen, wie wir bessere
Übereinkommen erreichen können, die es uns erlauben,
unsere Interessen zu schützen und diesen Schutz
gleichzeitig auf die Bewerberländer auszudehnen. Das
ist eine Frage, die wir nicht bis 2006 verschieben dürfen.
Wir müssen sie heute in Angriff nehmen, und es ist
wichtig, dass auf dem Gipfel von Brüssel
Übereinkommen zwischen Frankreich und Deutschland
zustande kommen – es ist nicht gut, wenn sich ein Land
von der übrigen Gemeinschaft isoliert –, aber auch
zwischen allen derzeitigen Partnern. Das ist ebenfalls ein
sehr wichtiges Signal.
Ich sehe dies als den entscheidenden Faktor an, und ich
würde sagen, das hier gegenwärtig der schwächste Punkt
liegt. Wir haben über den Haushalt gesprochen, der eine
Zusammenfassung unserer Politiken ist. Nach meiner
persönlichen Erfahrung mit dem Prozess der Integration
meines Landes – und auch von Portugal – in die
Europäische Union waren die Haushaltsthemen sehr
wichtig und umrissen den jeweils aktuellen Rahmen, den
Brüsseler Gipfel von 1988, die MacSharry-Reform und
den Gipfel von Edinburgh. Meiner Ansicht nach müssen
wir von der Tatsache ausgehen, dass es gut ist, eine
Finanzielle Vorausschau zu haben – ich war der
Berichterstatter des Parlaments, als die erste Finanzielle
Vorausschau vorgeschlagen wurde –, aber diese darf
nicht restriktiv sein. Sie muss in Übereinstimmung mit
einem grundlegenden politischen Prinzip interpretiert
werden, nämlich dass der Haushalt jährlich
verabschiedet wird.
Meine Fraktion ist der Meinung, dass wir nicht bis 2006
warten dürfen, da wichtige Fragen zu lösen sind. Die
erste ist, wie Präsident Prodi sagte, dass die
Bewerberländer keine Nettozahler sind. Dies ist ein ganz
grundsätzlicher Aspekt, nicht nur des Erscheinungsbilds
wegen, sondern es ist auch eine Frage der
Solidaritätsbekundung. Zum Zweiten müssen wir über
80 % des Haushalts sprechen. Die Kommission hat einen
Vorschlag gemacht, den meine Fraktion für interessant
hält und den wir diskutieren sollten, der nicht in einer
Änderung der Obergrenze in der Gemeinsamen
Agrarpolitik besteht, sondern darin, dies später in
Betracht zu ziehen und vor allem Kriterien der
nachhaltigen Entwicklung und der Solidarität
einzuführen, an denen es dieser Politik mangelt. Deshalb
sind wir gefordert, diese Probleme jetzt in Angriff zu
nehmen und nicht bis 2006 zu warten.
Das Gleiche trifft auf die Strukturfonds zu, die ein
Ausdruck
des
wirtschaftlichen
und
sozialen
Zusammenhalts sind, zwar nicht des vollkommenen
Zusammenhalts, die aber doch ein wichtiges Werkzeug
zur Modernisierung dieser Länder darstellen, wie sie es
bereits für andere Länder, wie Irland – das Land des
Schließlich, Herr Präsident, müssen wir in diesem Fall
schon mit den Bewerberländern in dem Wissen
sprechen, dass wir am Vorabend einer Entscheidung
über ein gemeinsames künftiges Geschick stehen. Und
wir müssen auch im Parlament gemeinsame
Anstrengungen unternehmen, um den komplizierten
Zeitplan einzuhalten, der einen Hindernislauf darstellt,
den wir mit einem gemeinsamen politischen Willen
absolvieren müssen.
(Beifall)
3-015
Watson (ELDR). – (EN) Herr Präsident! Wenn Ihre
Landsleute den Vertrag von Nizza abgelehnt hätten,
wäre die Tagung des Europäischen Rates in dieser
Woche durch gegenseitige Schuldzuweisungen und ein
heilloses Durcheinander beeinträchtigt worden. Ihre
Anstrengungen haben in nicht unerheblichem Maße zum
positiven Ausgang des Referendums in Irland
beigetragen, der es uns nun ermöglicht, unser Ziel der
europäischen
Wiedervereinigung 2004
weiterzuverfolgen.
Die Entscheidungen, die noch getroffen werden müssen,
werden schwierig sein. Wie unser geschätzter früherer
Kollege, der Ratspräsident, sagte, sind Entscheidungen,
bei denen es um Geld geht, nur selten einfach. Die
Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union
dürfen diese historische Chance jedoch nicht ungenutzt
lassen, weil sie sich über die Finanzierung nicht einigen
können.
Meine Fraktion vertritt die Auffassung, dass die
Erweiterung im Rahmen der in Berlin getroffenen
Finanzierungsvereinbarungen finanziert werden kann.
Eine Umverteilung von Mitteln zwischen den
verschiedenen Haushaltslinien sollte innerhalb der
festgelegten Obergrenzen möglich sein. Im endgültigen
Paket muss sichergestellt sein, dass die Beitrittsländer
bis 2007 nicht zu Nettozahlern werden. Andernfalls
werden wir den Unmut schüren und weitere Referenden
mit ungewissem Ausgang in den Beitrittsländern
riskieren.
Der
Bereich,
in
dem
die
meisten
Meinungsverschiedenheiten bestehen, ist zwangsläufig
23/10/2002
13
die Gemeinsame Agrarpolitik. Die Fraktion der
Liberalen und Demokratischen Partei Europas betrachtet
die Reform der GAP zwar nicht als Voraussetzung für
die Erweiterung, doch ist klar, dass eine grundlegende
Reform unserer Agrarpolitik für den Erfolg der
Erweiterung und auch aus anderen Gründen
unverzichtbar ist.
Systems der Europäischen Union. Darüber hinaus gibt es
mit dem Vertrag von Nizza ein Problem bei der
Machtverteilung auf die neuen Mitglieder. Die
Tschechische Republik und Ungarn werden bei der
Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament tatsächlich
diskriminiert. Dies sollte unseres Erachtens im
Beitrittsvertrag korrigiert werden.
Wie ich höre, erwartet Präsident Chirac, dass das
Vereinigte Königreich seinen bestehenden Beitragsrabatt
zur Disposition stellt, während er selbst sich weigert, bis
2006 eine Reform der französischen Agrarpolitik
durchzuführen. Wir unterstützen die Vorschläge der
Kommission über die schrittweise Einführung von
Einkommensbeihilfen für die Landwirte in den neuen
Mitgliedstaaten, aber wir erwarten von allen
gegenwärtigen Mitgliedstaaten auch, dass sie sich zu
einer weit reichenden Reform der GAP verpflichten, wie
sie in der Halbzeitüberprüfung vorgeschlagen wurde.
Wir können feststellen, dass die Verhandlungen aus
Sicht der EU positiv verlaufen sind. Die
Kandidatenländer haben intensiv an der Übernahme des
Besitzstandes der Gemeinschaft gearbeitet. Nun ist es
wichtig, dass diese Übernahme nicht nur auf dem Papier
erfolgt, sondern auch in der Praxis und dass sie sich
dabei nicht nur auf den Binnenmarkt beschränkt,
sondern auch die Umwelt und soziale Rechte der
Arbeitnehmer umfasst. Doch muss sich nicht auch die
EU an ihre neue Rolle als Union mit zehn neuen
Mitgliedern anpassen? Meiner Ansicht nach hätte hier
mehr getan werden müssen. Durch unser eigenes
Unvermögen, die Agrarpolitik zu reformieren, ist nun
eine Situation entstanden, in der die neuen
Mitgliedstaaten gegenüber den älteren deutlich
benachteiligt werden, und das über einen recht langen
Zeitraum. Das können wir nicht akzeptieren.
Diskriminierungen sollten so gering und so kurzzeitig
wie nur überhaupt möglich gehalten werden.
Ein zweites problematisches Thema ist die Bereitschaft
der Beitrittsländer, sich an die Vorgaben für den
Binnenmarkt zu halten und die Werte der Europäischen
Union zu respektieren. Wir teilen die Besorgnis, die im
Fortschrittsbericht der Kommission über die Korruption
in mehreren Beitrittsländern geäußert worden ist, und
sind ebenfalls der Auffassung, dass insbesondere auf
dem Gebiet Justiz und Inneres Fortschritte bei der
Umsetzung der Rechtsvorschriften der EU erreicht
werden müssen. Aus diesem Grund ist die Forderung
nach einem verstärkten Überwachungssystem zu
begrüßen, um sicherstellen zu können, dass die Länder
ihre Verpflichtungen erfüllen.
Herr Prodi hat Begeisterung und Intelligenz gefordert.
Herr Verheugen hat mit seinem Ansatz Intelligenz
bewiesen, aber es würde sicher nicht schaden, wenn der
Rat ein bisschen mehr Begeisterung für die Erweiterung
und für das neue Europa, das mit diesem Ansatz Gestalt
annehmen soll, an den Tag legen würde.
(Beifall)
3-016
Sjöstedt (GUE/NGL).  (SV) Herr Präsident! Die
Kandidatenländer haben nun viele Jahre lang intensiv für
eine Anpassung an die Europäische Union gearbeitet.
Sie können mit Recht erwarten, dass auch die EU ihren
Teil der Hausaufgaben macht und nicht in letzter Minute
noch Hindernisse für die von der Europäischen
Kommission benannten zehn Staaten errichtet werden,
sondern dass diese wie geplant der Europäischen Union
beitreten können. Es wäre eine Ironie des Schicksals,
wenn innerhalb der EU Uneinigkeit entstehen und
dadurch die Erweiterung aufgeschoben würde.
Unsere Fraktion teilt nicht die Auffassung, der Vertrag
von Nizza sei eine notwendige Voraussetzung für die
Erweiterung gewesen. Es wäre auch möglich gewesen,
die EU auf Grundlage des alten Vertrags zu erweitern.
Im Vertrag von Nizza geht es in erster Linie um die
Stärkung
der
Überstaatlichkeit
und
eine
Machterweiterung für die großen Staaten innerhalb des
Auch auf anderen Gebieten müssen wir unsere Politik
überprüfen, damit sie den Anforderungen der
Erweiterung entspricht. Schengen ist ein solcher
Bereich, denn die im Übereinkommen verankerten
strengen Grenzkontrollen können sich für neue
Mitglieder und für Staaten, die nicht den Weg einer
Mitgliedschaft in der Europäischen Union eingeschlagen
haben, zu einem ernsthaften Hemmnis in der
Zusammenarbeit entwickeln.
Für die Region Kaliningrad erwarten wir eine Lösung,
den russischen Staatsangehörigen sind Reisen zwischen
den verschiedenen Teilen ihres Landes ohne
Visumpflicht erlaubt.
Bezüglich des Arbeitsmarktes vertreten wir den
Standpunkt, dass alle gleich behandelt werden sollten.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Rechte
der Arbeitnehmer in jedem Land ab dem ersten Tag
seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union
respektiert werden, damit soziales Dumping und eine
Diskriminierung
von
Arbeitnehmern
aus
Kandidatenländern auf dem Arbeitsmarkt vermieden
werden. Aus diesem Grunde bedauern wir, dass die
Kommission dies praktisch durch einen Rechtsfall in
Finnland in Frage gestellt hat, bei dem die Gültigkeit
finnischer Verträge in Finnland ab Tag eins in Frage
gestellt wird.
Es ist wichtig, dass wir jetzt die Entstehung einer ersten
und einer zweiten Klasse in der Europäischen Union
infolge der Erweiterung verhindern. Dazu müssen wir
aber auch in der Lage sein, die Union zu verändern.
Natürlich haben auch die Kandidatenländer eine Wahl.
Sie können mit Ja stimmen oder mit Nein. Entscheiden
14
sie sich gegen eine Mitgliedschaft, besteht die
Alternative in einer engen Zusammenarbeit mit der
Europäischen Union.
3-017
Schroedter (Verts/ALE). - Herr Präsident! Ein
historischer Prozess, die Gelegenheit für Frieden und
Stabilität auf unserem Kontinent - beeindruckender
können die Worte nicht sein. Ich wünschte, dass ein
wenig von diesem historischen Geist und dem
Bewusstsein für die Gelegenheit auf dem Gipfel von
Brüssel zu spüren ist, damit er nicht zu einem
Teppichhändlerbasar degradiert, denn genau das ist zu
befürchten. Es muss dort die Bereitschaft herrschen, die
Probleme zu lösen und nicht wieder zu vertagen. Die
beeindruckende Leistung der Beitrittsländer wird dem
Rat keine andere Wahl lassen, als zehn Kandidaten die
Beitrittsreife zu bescheinigen.
Der Mangel an Solidarität allerdings und der
Reformunwille in den Mitgliedstaaten wird für das
Zusammenleben in einer erweiterten Union immer mehr
zum Problem. So wird mit größter Selbstverständlichkeit
darüber diskutiert, dass die Beitrittsländer in Zukunft in
der Europäischen Union den britischen Rabatt
finanzieren, ihnen selbst bleibt ein solcher jedoch
verwehrt. Das ist einmalig in der Geschichte der
Europäischen
Union.
Bisher
wurde
in
Nettozahlersituationen im ersten Jahr ein Rabatt für alle
gewährt. Der Vorschlag der Kommission und der
Präsidentschaft, ihnen ein Jahr Strukturfonds mehr zu
zahlen, wird von den EU-15 wohlwollend begrüßt.
Warum denn? Weil aufgrund der fehlenden
Absorptionskapazität das Geld am Ende in die Kassen
der EU-15 zurückfließt. Das ist nicht die Solidarität, die
die
Union
braucht.
Einer
Fortsetzung
der
"Sparkassenerweiterung" erteilen wir als Verts/ALEFraktion eine klare Absage.
Ein Wort zur Agrarpolitik: Der Reformunwillen hier
stinkt einfach zum Himmel, und er ist den Bürgerinnen
und Bürgern in der Europäischen Union nicht mehr zu
vermitteln. Eine Reform ist nicht nur wegen der
Erweiterung nötig, sie ist an sich überfällig. Dies weiter
zu vertagen, ist absurd. Die Direktbeihilfen in diesem
Umfang ohne Konditionen haben sich einfach überlebt
und sind in einer erweiterten Union nicht mehr machbar.
Wir müssen die Agrarreform jetzt beginnen und sie für
2007 gemeinsam zu einem fairen Konzept der EU-25
weiter entwickeln. Das Beibehalten von Privilegien darf
nicht zu einer neuen Bedingung für die Erweiterung
werden.
Ein Wort zum irischen Ja: Die Iren haben Ja zum NizzaVertrag gesagt und haben damit die größte Hürde für die
Erweiterung beiseite geräumt. Aber die institutionelle
Reform der Europäischen Union steht noch aus. Der
Nizza-Vertrag hat die EU nicht wirklich vorangebracht.
Demokratie und Entscheidungsfähigkeit müssen erst
hergestellt werden, und das liegt in der Hand des
Konvents. Ich plädiere deshalb dafür, dass der
Vertragsentwurf des Konvents unbedingt 2003
anzunehmen ist. Die Funktionsfähigkeit ist keine
23/10/2002
Vorbedingung, aber sie ist eine Notwendigkeit für die
erweiterte Union. Kommissionspräsident Prodi hat
erwähnt, dass es eine mangelnde Zustimmung der
Bevölkerung gibt. Ja, warum denn? In der EU mangelt
es einfach an Transparenz und Demokratie, und das
muss sich ändern!
(Beifall)
3-018
Collins (UEN). – (EN) Herr Präsident! Ich wünsche dem
dänischen Ratsvorsitz alles Gute für die Vorbereitung
des Gipfeltreffens der EU, das diese Woche in Brüssel
stattfinden
wird.
Die
Erweiterung
als
Haupttagesordnungspunkt war auch das zentrale Thema
bei dem Referendum über den Vertrag von Nizza in
meinem Heimatland.
Das zweite Thema, Kaliningrad, hängt ebenfalls direkt
mit der Erweiterung zusammen. Ich begrüße die
Maßnahmen, die von der Kommission zur Erleichterung
des direkten Waren- und Personenverkehrs zwischen
Kaliningrad und dem übrigen Russland vorgeschlagen
wurden.
Wir alle haben von der ausführlichen und oft intensiven
Debatte über die Erweiterung profitiert, die in letzter
Zeit in meinem Heimatland geführt worden ist. Durch
seine Entscheidung hat das irische Volk bekräftigt, dass
es sich der europäischen Integration und der Erweiterung
der Europäischen Union verpflichtet fühlt. Ich begrüße
die Tatsache, dass durch diese Entscheidung der Weg für
den Abschluss der Beitrittsverhandlungen für die ersten
neuen Mitgliedstaaten freigemacht worden ist.
Ich teile die Meinung von Herrn Poettering. In diesem
Stadium der Beitrittsverhandlungen dürfen keine neuen
Bedingungen mehr gestellt werden. Dies wäre der
sicherste Weg in eine Katastrophe.
Die Lehre, die wir alle aus der jüngsten Debatte im
Vorfeld des irischen Referendums ziehen können, sollte
nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Ich
möchte mit allem Nachdruck unterstreichen, was
Präsident Prodi und Kommissar Verheugen über die
Notwendigkeit, die Bürger zu informieren, gesagt haben.
Die irischen Wähler haben klar zum Ausdruck gebracht,
dass sie sich weder von den Politikern und Regierungen
der Mitgliedstaaten noch von Brüssel bevormunden
lassen und dass ihre Zustimmung nicht als
selbstverständlich betrachtet werden kann.
Es ist beängstigend, von Präsident Prodi zu hören, dass
einer kürzlich durchgeführten Umfrage zufolge fast
80 % aller Befragten völlig unzureichend informiert
sind. Herr Haarder sagte vorhin, im Konvent werde
derzeit eine spannende Debatte geführt. Diese Debatte
mag für Eingeweihte spannend sein, aber er weiß sehr
gut, dass außerhalb des Konvents in den Zeitungen kaum
darüber berichtet wird. Wir sollten bedenken, dass die
Themen, über die wir bei einem demnächst anstehenden
Referendum entscheiden müssen, noch sehr viel
komplexer und wichtiger sein werden als die Themen,
23/10/2002
um die es bei dem Referendum über den Vertrag von
Nizza ging. Dabei war die kürzliche Entscheidung über
den Vertrag von Nizza bereits äußerst problematisch.
15
berücksichtigen. Der EU-Staat ist wichtiger als die
Wähler. In der Demokratie von Herrn Giscard d’Estaing
hat man die Wahl zwischen „Ja“ und „Ja, bitte“. Nein
danke, Herr Präsident.
3-019
Bonde (EDD). -(DA) Herr Präsident, man erhält die
Antworten, die man haben will – man muss nur die
entsprechenden Fragen stellen. Irland hat mit großer
Mehrheit Ja gesagt zu mehr Arbeitsplätzen, zu
Neutralität und zur Erweiterung, aber im Vertrag von
Nizza geht es weder um Arbeitsplätze noch um
Neutralität, und die Erweiterung wird ohne Rücksicht
auf das irische Abstimmungsergebnis durchgeführt,
indem man sich auf Erklärung Nr. 20 bezieht und die
Stimmen der Beitrittsländer im Rat und die Sitze im
Parlament in die Beitrittsverträge verlagert. Ich werde
hier im Plenum dafür stimmen, aber zukünftige
Historiker sollen wissen, dass man einem Volk Unrecht
getan hat. Irland ist das Land, das der EU am positivsten
gegenübersteht. Die Iren haben mit Nein gestimmt. Statt
auch anderen Völkern die Möglichkeit zur
Stellungnahme zu geben, wurden die Iren mit der
konstruierten Behauptung in die Enge getrieben, mit
einem Nein würden sie die Erweiterung blockieren.
Bisher konnte ich mich nur lobend über die dänische
Ratspräsidentschaft äußern. Heute muss ich jedoch mit
Bedauern feststellen, dass sich der dänische
Ratspräsident am Betrug an den irischen Wählern
beteiligt hat. Hätte Herr Rasmussen die Erweiterung
nach einem irischen Nein gestoppt? Er hätte
wahrscheinlich einen anderen Vorschlag aus der
Schublade gezogen und die Erweiterung ohne den
Vertrag von Nizza durchgeführt. Das beste, was über
diesen Vertrag gesagt werden kann, ist, dass er nur für
ein oder zwei Jahre konzipiert ist. Danach wird der zur
Zeit arbeitende Konvent ein neues Grundgesetz zur
Abstimmung vorlegen. Der Vertrag von Nizza ist das
bisher schlimmste Machwerk. Ich habe ihn zwar in
kompakter Form herausgegeben, kann das Buch jedoch
wirklich nicht empfehlen.
Nizza ist nicht geeignet, die Unterstützung der Bürger in
den beitrittswilligen Ländern zu gewährleisten. Nizza
nimmt den Ländern das Recht, ihren Kommissar selbst
zu wählen und tritt stattdessen für die Wahl einer EURegierung durch Mehrheitsbeschluss ein. Wir sollten
diesen Stein des Anstoßes beseitigen und erklären, dass
jeder Mitgliedstaat auch in Zukunft einen Vertreter in
die Kommission entsenden kann. Die irischen Wähler
haben sich auf keinen Fall dafür ausgesprochen, dass ihr
Kommissar ausscheiden soll. Über den Inhalt des
Vertrags von Nizza ist dieses Mal zu wenig diskutiert
worden und man hat es geschickt vermieden, dass die
Iren Kenntnis von Herrn Giscard d’Estaings erstem
Verfassungsentwurf erhalten haben. Er wurde letzten
Donnerstag in einer geheimen Sitzung vorgelegt. Die
Kopien waren nummeriert und wurden wieder
eingesammelt. Herr Giscard d’Estaing kennt ein Mittel
gegen Volksabstimmungen: Wenn ein Land das nächste
Mal mit Nein stimmt, wird es nicht dabei sein. Mit Ja
stimmen oder verschwinden! Länder, die ihren Bürgern
gestatten, mit Nein zu stimmen, wird man nicht mehr
3-020
Der Präsident. – Herr Bonde, ich möchte die
Privilegien des Vorsitzes nicht missbrauchen, um auf
Ihre Ausführungen zu antworten, wie ich es gerne tun
würde.
3-021
Gollnisch (NI). – (FR) Herr Präsident, meine Herren
Präsidenten des Rates und der Kommission, verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Demnächst wird der Rat die
Liste der zehn Kandidaten verabschieden, die laut
Kommission die Bedingungen für den Beitritt zur
Europäischen Union am 1. Januar 2004 erfüllen. Es gibt
nur ein Problem: weder Sie noch diese Länder sind
darauf vorbereitet.
Die Kommission selbst räumt ein, dass lediglich zwei
von
zehn
Kandidatenländern
über
eine
wettbewerbsfähige
Volkswirtschaft
und
die
erforderlichen Verwaltungs- und Justizstrukturen zur
Umsetzung bzw. Einhaltung des Gemeinschaftsrechts
verfügen. Sie geht davon aus, dass die anderen Länder in
etwa 13 Monaten diesen Stand erreicht haben. Diese
Auffassung steht auf wackligen Füßen, und die Frist ist
äußert knapp bemessen.
Auch die Europäische Union ist noch nicht in
ausreichendem Maße auf die Aufnahme dieser Länder
vorbereitet, wobei ich hier gar nicht auf die gefährlichen
institutionellen Spekulationen des Konvents eingehen
möchte. Vielmehr meine ich das völlige Ausklammern
grundsätzlicher Überlegungen. Da der gemeinschaftliche
Besitzstand fast schon ein religiöses Tabuthema
darstellt, hat sich bisher niemand die Frage gestellt, ob
ein Europa mit 25 Mitgliedstaaten genau dasselbe tun
soll wie das Europa der sechs, neun, zwölf oder
15 Mitglieder. Deshalb sind Sie bereit, diese Länder zu
Mitgliedern zweiter Klasse zu degradieren. Es wurden
auch keine Fragen zu den Auswirkungen im Hinblick
auf Kosten, Arbeitslosigkeit, auf wirtschaftliche oder
soziale Brüche gestellt. Ein Rückblick auf zwölf Jahre
deutsche Wiedervereinigung genügt: die Kluft im
sozialen und wirtschaftlichen Bereich ist immer noch
vorhanden, obwohl in diesem Zeitraum schätzungsweise
über 850 Milliarden Euro von West nach Ost geflossen
sind.
Und schließlich wird sich der Brüsseler Gipfel auch mit
der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der
Türkei befassen. Die Türkei ist ein bedeutendes Land,
eine Brücke zwischen Europa und Asien, aber sie ist
kein europäisches Land, weder geographisch, noch
sprachlich, noch kulturell. Warum sollten wir die Türkei
also in diesem Glauben belassen? Vielleicht wegen der
Erpressung Ankaras mit der Zypern-Frage oder wegen
der unglaublichen Arroganz Washingtons, das darüber
entrüstet war, seinen türkischen Verbündeten nicht auf
der Liste der von der Kommission als beitrittsfähig
eingestuften Länder zu finden? Wir haben die
16
Konsequenzen der Nahostpolitik der amerikanischen
Regierung nicht zu tragen.
Kurz gesagt, wir wollen weder für unser Land, noch für
unsere Freunde im Osten ein Europa, das die Interessen
der Nationen irgendwelchen Oligarchien opfert, denen
die europäischen Interessen fremd sind. Der Osten, der
gerade den kommunistischen Alptraum hinter sich
gelassen hat, möchte nicht noch einmal zu Gunsten eines
neuen Imperiums auf seine Freiheit verzichten.
3-022
Sudre (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, die letzten
Sonntag erfolgte Zustimmung des irischen Volkes zur
Ratifizierung des Vertrags von Nizza ist eine sehr gute
Nachricht, da sich die Union nun auf die historische
Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Länder
sowie Zypern und Malta vorbereiten kann.
Die dänische Unionspräsidentschaft hat angekündigt, sie
werde den am 24. und 25. Oktober in Brüssel
stattfindenden Gipfel gegebenenfalls verlängern, damit
alle Punkte auf der besonders umfangreichen
Tagesordnung, die auch Präsident Prodi vorhin
angesprochen hat, behandelt werden können.
Kommissar Verheugen hat am vergangenen Montag
bedauert, dass sich Frankreich in der Frage des Abbaus
der direkten Agrarsubventionen nicht flexibler zeigt,
bevor man die Höhe der Beihilfen für die Landwirte in
den künftigen Mitgliedstaaten beschließt, und er vertrat
die Ansicht, dass die GAP aufgrund des
explosionsartigen
Anstiegs
der
Agrarausgaben
logischerweise ins Visier der Sparpolitik geraten ist. Mir
sei der höfliche Hinweis an den Herrn Kommissar
erlaubt, dass ich diesen Standpunkt für wenig
ausgewogen halte.
Präsident Jacques Chirac hat gestern im Anschluss an
ein Arbeitstreffen mit dem amtierenden Ratspräsidenten
Rasmussen dazu aufgerufen, nach einer für alle
akzeptablen Lösung im Bereich der Finanzierung der
Erweiterung der Europäischen Union zu suchen. Aus
französischer Sicht muss diese Lösung mittels
Überprüfung und Begrenzung aller im Unionshaushalt
vorgesehenen Ausgaben gefunden werden. Nur durch
eine genaue Überprüfung und Abwägung der
finanziellen Anstrengungen aller Mitgliedstaaten werden
wir zu einer für alle annehmbaren Lösung kommen, so
dass
die
Erweiterung
unter
bestmöglichen
Voraussetzungen stattfinden kann.
Ich bin sicher, dass Frankreich guten Willen beweisen
und die erforderlichen Anstrengungen unternehmen
wird, damit möglichst rasch eine gerechte Lösung
gefunden wird. Diesem Ziel darf jedoch nicht dieser
oder jener Teil unserer Bevölkerung zum Opfer fallen,
im vorliegenden Fall also die Landwirte und der
ländliche Raum. Die völlig zu Recht erwarteten
finanziellen Anstrengungen müssen auf gerechte Weise
auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union verteilt
werden.
3-023
23/10/2002
Lage (PSE). – (PT) Herr Präsident, meine Damen und
Herren Abgeordneten, Herr Ratspräsident, Herr
Kommissionspräsident! 1957 war – neben dem riesigen
sowjetischen Block – das Europa der Gründerväter nach
den Worten von Paul Valéry le petit cap au bout de
l'Asie. Nicht einmal fünfzig Jahre später hat sich Europa
hinsichtlich der Bevölkerung zur dritten Weltmacht
entwickelt, konkurriert mit den Vereinigten Staaten um
das Bruttoinlandsprodukt und ist die führende
Handelsmacht in der Welt. Die Europäische Union ist in
der Geschichte das einzige Beispiel für eine Macht, die
durch den freiwilligen Beitritt ihrer Nachbarn wächst.
Dieses außergewöhnliche Beispiel, das Europa gibt,
muss fortbestehen, wenn die Gemeinschaft um noch
einmal zehn Länder erweitert wird.
Doch es genügt nicht, wenn nur der Körper wächst; auch
der Geist muss sich weiter entwickeln, dieser
europäische Geist, den der deutsche Philosoph Karl
Jaspers als den Sinn von Geschichte, Wissenschaft und
Freiheit charakterisierte. Fügen wir dieser Aufzählung
noch die Solidarität hinzu. Wir müssen den europäischen
Geist entwickeln und verhindern, dass er auf dem
bevorstehenden Gipfel in Brüssel durch Gespräche und
lächerliche nationale Egoismen, durch Dispute darüber,
wer mehr und wer weniger zu zahlen hat, in Misskredit
gebracht wird. Das heißt nicht, dass das finanzielle
Angebot, das den Beitrittsländern zu unterbreiten ist,
nicht wesentlich und bedeutend sein sollte. Ebenso
wenig bedeutet es, dass die zukünftige Finanzierung der
Union einen umverteilenden Charakter haben sollte.
Eine Union, auf deren Hoheitsgebiet so viele
Unterschiede bestehen, muss sich damit auseinander
setzen.
Wir dürfen hier aber nichts durcheinanderbringen.
Präsident Jacques Chirac irrt sich. Die GAP ist vom
ökologischen Standpunkt her eine ungerechte,
unausgewogene und ruinöse Politik. Sie kann nicht mit
der Kohäsionspolitik verglichen werden, die sehr wohl
eine gerechte Politik und eine Politik der Stärkung der
inneren Einheit Europas ist. Die beiden Politiken zu
vergleichen ist ein großer Fehler.
Abschließend, Herr Präsident, müssen wir uns den Fall
Türkei ansehen: Die elementarste Loyalität zwingt die
Europäischen Union zur Festlegung eines Zeitplans für
die Verhandlungen mit der Türkei. Die sprachlichen,
kulturellen oder religiösen Argumente reichen nicht aus,
um die Türkei aus der Europäischen Union
herauszuhalten, wenn dieses Land doch seit so vielen
Jahren auf den Beitritt gehofft und dafür erhebliche
Anstrengungen unternommen hat. Dies ist eine Sache
von Loyalität und Ehrlichkeit der Europäischen Union
gegenüber ihren Partnern.
3-024
Suominen (PPE-DE). – (FI) Herr Präsident! Sehr
geehrte Vertreter der Kommission und des Rates! Ich
möchte lediglich auf die Probleme eingehen, die sich für
die Bürger von Kaliningrad aus der Transitfrage
ergeben, und auf die vorgeschlagenen Lösungsmodelle.
Die von der Kommission vorgesehene Transiterlaubnis,
23/10/2002
also der so genannte Kaliningrad-Pass, ist meiner
Ansicht nach für beide Seiten eine gute Lösung. Er bietet
den Russen aus Kaliningrad eine gegenüber der
normalen Visapraxis unkompliziertere Möglichkeit, in
ihr Mutterland zu reisen, sichert dabei aber gleichzeitig
die Souveränität Litauens. Vorgeschlagen wurde darüber
hinaus die Alternative, einen Eisenbahnkorridor
einzurichten. Allerdings steht dieser Idee die
gegenwärtige Realität entgegen. Man muss sich fragen,
wie viele der jetzigen Mitgliedstaaten es akzeptieren
würden, dass durch ihr Land ein Zug rollt, der aus einem
Staat kommt, der nicht der europäischen Union
angehört, und dessen Reisende zu kontrollieren er nicht
die geringste Möglichkeit besitzt. Würden Belgien,
Spanien, Italien oder Frankreich dies akzeptieren?
Ich begrüße es, dass der Rat seit gestern über einen
gemeinsamen
Standpunkt
zur
Frage
der
Transitregelungen für die Bürger in Kaliningrad verfügt.
Bei der Beschäftigung mit der Erarbeitung von
Standpunkten ist mir aufgefallen, dass die
vorgeschlagenen Lösungen des Problems umso
unrealistischer ausfallen, je weiter entfernt der
betreffende jetzige Mitgliedstaat von Kaliningrad
entfernt liegt. Das ist – direkt gesagt –
verantwortungsloses Einzelgängertum. Der Vorschlag
Russlands, eine allgemeine Visafreiheit zwischen der
EU und Russland einzurichten. hat bedauerlicherweise
auch Befürworter unter einigen Mitgliedstaaten
gefunden. Leider ist dabei zu beobachten, dass die mit
diesem Vorschlag einhergehenden Störungen bzw.
Gefahren nicht realistisch eingeschätzt werden können.
Wenn wir die Visapolitik radikal lockern wollen, warum
beginnen wir dann nicht mit der Türkei, die ja
schließlich auch Kandidatenstatus besitzt. Allgemeine
Visafreiheit steht nicht auf der Tagesordnung. Sie dann
nur einem einzigen EU-Staat zu gewähren, ist
unbedacht, und ich habe die größten Befürchtungen,
dass schon eine entsprechende Debatte die Zustimmung
der Bürger zum Beitritt in die EU in den
Kandidatenländern beschädigen könnte.
Dagegen befürworte ich mit Nachdruck eine RusslandPolitik, die die Entwicklung in Russland langfristig
unterstützt und auf diese Weise die Voraussetzungen
schafft, zu einem späteren Zeitpunkt Visafreiheit
einzuführen. Ansonsten wäre es wert, die Russen zu
fragen, da sie bereits auf Lenin in Leningrad und Stalin
in Stalingrad verzichtet haben, warum sie noch immer an
einer wichtigen europäischen Kulturregion mit dem
Namen Mihail Kalinin festhalten. Das Königsberg von
Immanuel Kant sollte seine Ehre zurückerhalten.
Abschließend möchte ich mich zum Eurobarometer
äußern. Die Kommission hat ganz Recht, dass wir diese
Information aufteilen müssen, aber 70 Prozent der
Bürgerinnen und Bürger erwarten, von ihren nationalen
Regierungen mit Wahrheiten und Informationen versorgt
zu werden. Warum tun sie nichts? Dies soll kein
Redebeitrag für die Opposition sein, ich gehöre in
Finnland der Regierungspartei an.
3-025
17
Andreasen (ELDR). - (DA) Herr Präsident, vielen Dank
für die Erklärungen des Rates und der Kommission und
einen herzlichen Glückwunsch und ein Dankeschön dem
irischen Volk, das am Samstag ein großes Hindernis für
die Erweiterung aus dem Weg geräumt hat. Es freut
mich, dass der Kommissionspräsident, Herr Prodi, und
Herr Kommissar Verheugen ihre anregenden
Redebeiträge mit Informationen abgeschlossen haben,
die sich auf die jüngsten Eurobarometer-Erhebungen
beziehen. Nur jeder fünfte Europäer fühlt sich gut oder
sehr gut informiert. Das ist nicht gut. Es kommt auch
nicht überraschend, da uns das Problem seit vielen
Jahren bekannt ist. Ich habe es in diesem Hause bereits
gesagt, und ich wiederhole es gerne: die Informationsund Kommunikationspolitik der EU muss verbessert
werden. Wir müssen uns bemühen – Herr Poettering hat
es bereits angesprochen -, die notwendigen Mittel zu
finden. Information ist die Voraussetzung für
Verständnis und damit für die Unterstützung der Bürger,
die die EU benötigt.
Bei den Erweiterungsverhandlungen gibt es jetzt kein
Zurück mehr, und es dürfen keine neuen Forderungen
gestellt
werden.
Die
Agrarpolitik
muss
zugegebenermaßen radikal reformiert werden, aber wir
sollten zunächst alle Vereinbarungen in Angriff nehmen.
Ich freue
mich über die Ergebnisse der
Außenministerkonferenz in Luxemburg während der
vergangenen beiden Tage, insbesondere darüber, dass
Einigkeit dahingehend erzielt wurde, dass ein
beitrittswilliges Land unter keinen Umständen seine EUMitgliedschaft als Nettozahler beginnt. Alles andere
wäre auch unangemessen gewesen. Ich bin
zuversichtlich, dass der Rat unter der dänischen
Präsidentschaft diese historische Aufgabe im Dezember
in Kopenhagen meistern wird.
3-026
Souladakis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Ich bin sicher,
dass morgen und übermorgen in Brüssel der vorletzte
positive Schritt vor Kopenhagen hinsichtlich dieser
außerordentlichen Politik der Europäischen Union, der
Politik der Erweiterung um zehn Länder, gegangen wird.
Dieser Schritt muss mit Entschlossenheit und Realismus
vollzogen werden und kleinliche Auffassungen
überwinden. Die Folgeschritte dürfen nicht die ersten
bestimmen, sondern es muss umgekehrt sein. Ich möchte
nur zwei oder drei Bemerkungen machen, da ja auch die
Zeit sehr begrenzt ist.
Erstens zu Kaliningrad. Dort muss es eine Lösung
geben, nicht in der Art eines Gordischen Knoten,
sondern eines goldenen Schnitts. Diese Lösung muss
harmonisch, rational und funktional sein und die Völker
und Staaten respektieren.
Zweitens zum Haushalt, der stark diskutiert wird. Wir
sollten nicht geizig oder knickrig sein, und wir dürfen
nicht vergessen, dass die Länder, mit der die
Europäische Union erweitert wird, ein großes
Humanpotenzial, aber leider nur begrenzte Mittel haben.
18
Ein starkes Humanpotenzial bestimmt jedoch die
Entwicklung und auf diese kommt es an.
Drittens zu anderen Fragen im Zusammenhang mit
Perspektiven und Beschlüssen. Die Europäische Union
der 15 oder der 25, oder wie viel auch immer es sein
mögen, muss immer ein Raum des sozialen
Zusammenhalts, der Entwicklung und der Demokratie
bleiben. Folglich sollten alle Lösungen für die
Haushaltsprobleme auf diesen Prioritäten beruhen. Das
heißt, die Europäische Union muss hierbei ihr Gesicht
wahren, diese Lösungen müssen von den bereits
errungenen und weiter zu erhaltenden Werten, von den
Prioritäten der Völker und nicht von kleinlichen
politischen Auffassungen bestimmt werden, die letztlich
kurzlebig sind und manchmal mit der einen oder anderen
Art von Konkurrenz zu tun haben, die uns zu nichts
führt.
Insofern bin ich sicher, dass die kommenden zwei Tage
zwei neue positive Schritte bringen werden, und dass
wir, das Parlament, das Herz der Europäischen Union,
auf diesem Weg den politischen Geist und das Klima
schaffen müssen, das leider zu verschwinden droht und
die Debatte von einer Diskussion der Überwindung von
Problemen auf eine durch Geiz und Knickrigkeit
geprägte Diskussion reduziert.
23/10/2002
übrigens die Aussage von Herrn Prodi, diese
Schutzklauseln würden auch tatsächlich wirksam, falls
die Notwendigkeit dazu wirklich besteht.
Der Abschluss eines Finanzabkommens wäre im
Hinblick auf mehr Transparenz der finanziellen Kosten
der Erweiterung ebenfalls sehr empfehlenswert, denn
gerade in diesem Punkt sind unsere Bürger wirklich
beunruhigt. Auch sollten vorzugsweise verbesserte
Agrarabkommen geschlossen werden. Obgleich das
keine Vorbedingung zu sein braucht, stimme ich den
Kolleginnen und Kollegen zu, die solche Abkommen als
dringend notwendig bezeichnen.
Minister Haarder möchte ich noch um Folgendes bitten:
Könnten Sie nicht mit unseren liberalen Kollegen in den
Niederlanden – Ihren Parteifreunden – einmal ein
deutliches Wort sprechen, damit dieses Thema jetzt nicht
zu einer belastenden Hypothek und bei den Wahlen in
den Niederlanden nicht missbraucht wird? Die
Niederlande waren stets proeuropäisch. Diejenigen
politischen Parteien, die versuchen, die Niederlande zur
Euroskepsis umzustimmen, laden eine enorme
Verantwortung auf sich. Wir, die Christdemokraten hier
im Parlament und die Christdemokraten in den
Niederlanden, unterstützen die Erweiterung.
3-028
3-027
Maij-Weggen (PPE-DE). – (NL) Die bevorstehende
Erweiterung stellt eines der wichtigsten Ereignisse seit
der Gründung der Europäischen Gemeinschaften dar.
Mit dieser Erweiterung wird die vor dem Zweiten
Weltkrieg entstandene und nach dem Zweiten Weltkrieg
durch einen Eisernen Vorhang und eine Mauer
besiegelte Teilung zwischen West-, Mittel- und
Osteuropa überwunden. Die Überwindung dieser
Spaltung krönt die von der derzeitigen Europäischen
Union und den Kandidatenländern geleistete Arbeit. Sie
haben ihre demokratischen Systeme, ihre Wirtschaften
und ihre Rechtsvorschriften seit 1989 angepasst. Dazu
bedurfte es gewaltiger Anstrengungen. Die von der
Europäischen Kommission vorgeschlagenen zehn
Beitritte finden deshalb meine uneingeschränkte
Zustimmung.
In der Zweiten Kammer der Niederlande findet heute
eine entscheidende Debatte über die Erweiterung statt.
Die niederländische Regierung befürwortet die
Erweiterung, wiewohl zwei Koalitionspartner, nämlich
die Liberalen und die Fortuyn-Gruppe, ihre
Unterstützung versagen, was ich zutiefst bedauere. Da es
jedoch heute in der Zweiten Kammer eine
demokratischen Mehrheit für die Beitritte geben wird,
brauchen sich die Niederlande nicht querzulegen.
Vielleicht
sollten
wir
uns
bei
unseren
sozialdemokratischen Freunden dafür bedanken.
Allerdings muss, wenn bestimmte Voraussetzungen
noch nicht erfüllt sind, von den Beitrittsländern verlangt
werden, eine letzte Kraftanstrengung zu unternehmen,
und nötigenfalls sind Schutzklauseln in solchen
Bereichen wie Lebensmittelsicherheit, Binnenmarkt
sowie Justiz und Inneres einzubauen. Ich begrüße
Der Präsident. – Frau Maij-Weggen, Sie wären sicher
sehr erfreut, wenn sie gehört hätten, wie positiv ich mich
auf einem Parteitag der Liberaldemokraten vergangene
Woche über unsere liberaldemokratischen Kollegen
geäußert habe.
3-029
Lund (PSE). - (DA) Herr Präsident, wir dürfen uns
darüber freuen, dass Irland den Vertrag von Nizza jetzt
akzeptiert hat, einschließlich seiner besonderen
Erklärung zur irischen Neutralität. Damit wurde ein
ernstes Hindernis für die Erweiterung aus dem Weg
geräumt. Die Erweiterung ist ein historisches Ereignis,
das die Kommission und die dänische Präsidentschaft
meiner Meinung nach sehr kompetent vorbereitet haben.
Die Beitrittsländer haben Großes geleistet, um sich auf
ihren Beitritt zur Union vorzubereiten.
Ich habe den Eindruck, dass die restlichen Probleme
überschaubar sind. Es liegt jetzt an den Staats- und
Regierungschefs der fünfzehn Länder, Führungskraft
und Verantwortung zu zeigen, damit die Präsidentschaft
in der nächsten Woche das notwendige gemeinsame
Mandat zum Abschluss der Verhandlungen mit den zehn
Beitrittskandidaten
auf
der
Grundlage
des
Kommissionsvorschlags vom Januar erhalten kann. Es
dürfen keine neuen Bedingungen für die Erweiterung
gestellt werden. An die Erweiterung dürfen weder
Agrar- noch Finanzierungsreform direkt geknüpft
werden. Andererseits wissen wir aber auch, dass sich die
derzeitigen und zukünftigen Mitglieder der Union beim
Gipfeltreffen im Dezember in Kopenhagen wenigsten
auf einige Grundzüge einer zukünftigen Agrar- und
Finanzierungsreform einigen sollten, die – wie wir
wissen – ab 2006 notwendig sein wird.
23/10/2002
Es ist auch wichtig, ein in Bezug auf die Beitrittsländer
gerechtes Verhandlungsergebnis zu erreichen und für
eine faire Wettbewerbssituation zu sorgen, vielleicht mit
etwas kürzeren Übergangsregelungen im Bereich
Agrarbeihilfen, sodass Volksabstimmungen in den neuen
Mitgliedsländern mit positivem Ergebnis durchgeführt
werden können.
Was das Problem Kaliningrad angeht, so hoffe ich auch,
dass eine befriedigende Lösung gefunden werden kann,
damit sich die kleine Enklave nicht zu einem
Konfliktbereich entwickelt, sondern zu einem positiven
Partner im Ostseeraum wird; eine Lösung, die
selbstverständlich sowohl Litauens Souveränität als auch
seinen Wunsch nach einer Schengen-Mitgliedschaft
vorbehaltlos respektiert. Unter allen Umständen ist eine
Korridor-Lösung, die an frühere Lösungen in Europa für
ähnliche Probleme erinnert, zu vermeiden. Es sollte
möglich sein, das Transitproblem anders zu lösen,
eventuell über eine spezielle Passregelung. Auf jeden
Fall gebührt der dänischen Präsidentschaft Dank für die
tüchtige Führungsarbeit.
3-030
Maes (Verts/ALE). – (NL) Herr Präsident, Herr
Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, Herr
Kommissar Verheugen! In Frankreich, in Deutschland
sowie nun jüngst in Irland hat der Wähler gesprochen. In
einigen weiteren Ländern muss er sich noch Gehör
verschaffen, was nicht ganz problemlos sein wird, da
hier noch Fragen offen bleiben. Die Politiker müssen
sich nun dringend an die Arbeit machen, allerdings nicht
als Teppichhändler, wie Frau Schroedter sagte, sondern
mit Weitblick und mit Mut.
Gestatten Sie mir speziell eine Frage zu der
Informationskampagne, von der Präsident Prodi
gesprochen hat. Bei meinen zahlreichen Kontakten mit
der Öffentlichkeit stelle ich fest, dass die Leute in
Flandern und Belgien immer wieder die gleichen Fragen
stellen. Meiner Meinung nach haben sie Anspruch auf
eine Antwort. Wenn mit einer Zukunftsperspektive
geantwortet wird, können wir die Bürger damit
überzeugen. Andere Fragen kehren in meinem Land
jedoch ständig wieder: Wird die Erweiterung die
Vertiefung nicht behindern? Mit anderen Worten,
bedeutet diese Erweiterung nicht das definitive Ende des
weiteren Ausbaus der Gemeinschaft? Wird der
Intergouvernementalismus damit endgültig siegen?
Diese Frage wurde in Belgien aufgeworfen und hat
beispielsweise die sozialistische Fraktion, die ja doch ein
wichtiger Regierungspartner ist, nach dem Sinn der
Erweiterung fragen lassen.
Noch ein Zweites höre ich immer wieder in der
Bevölkerung, zumindest bei den Bürgern in unseren
Regionen. Sie besuchen natürlich die Länder, die unsere
künftigen Partner sind – und in diesem Sinne nimmt
Europa in den Herzen und im Denken der Menschen
bereits konkrete Gestalt an –, stellen dabei aber fest, dass
es dort erhebliche Schwierigkeiten gibt, dass große
Armut herrscht und Minderheitenprobleme bestehen.
Andererseits befinden auch wir uns in einer Phase des
19
wirtschaftlichen Niedergangs, in einer Phase, in der das
Gespenst der Arbeitslosigkeit auch in den Ländern der
Europäischen Union selbst wieder auftaucht und
gewaltige Ausmaße angenommen hat. Den Bürgern ist
dann die Frage zu beantworten, ob wir die uns jetzt
bedrohende Arbeitslosigkeit werden bekämpfen können.
Meiner Überzeugung nach wird dies dank der künftigen
Erweiterung möglich sein. Wir sollten den Bürgern
jedoch nicht nur mit Zukunftsvisionen und mit
Zweckoptimismus begegnen, sondern ihnen konkrete
Antworten auf die Fragen geben, die täglich aktuell sind,
Fragen zu den Kosten und selbstverständlich auch die
Fragen, die ich selbst aufgeworfen habe und die im
Konvent geklärt werden müssen.
3-031
Brok (PPE-DE). - Herr Präsident! Nachdem Frau MaijWeggen klargelegt hat, dass die niederländischen
Christdemokraten nicht mehr das Problem sind, und Sie,
dass es auch die Liberalen nicht mehr sind, scheinen es
nur noch die deutschen Sozialdemokraten und die
Bundesregierung zu sein, die als Trittbrettfahrer dabei
sind, besondere Bedingungen herzustellen. Ich glaube,
wir sollten aber deutlich machen, dass bei allem
richtigen oder falschen Gewünschten keine neue
Bedingungen für die Erweiterung der Europäischen
Union errichtet werden dürfen. Das muss klargestellt
werden und das - Herr Kommissar Verheugen, Sie
wissen es am besten -, was man bei den Verhandlungen
über die Agenda 2000 versäumt hat, kann man jetzt nicht
ein viertel Jahr vor Kopenhagen wieder in Ordnung
bringen. Das müssen wir zu einem späteren Zeitpunkt
machen. Da wir ja nach Samstag wieder über die
kritischen Punkte von Nizza sprechen dürfen, ist es
richtig, dass wir deutlich machen, dass beispielsweise
bei
der
Strukturpolitik
im
Konvent
die
Mehrheitsentscheidungen durchgesetzt werden müssen,
damit
wir für die Reform 2006 bessere
Entscheidungsstrukturen haben, um dann die
notwendigen Reformen zum richtigen Zeitpunkt
durchzuführen. Das kann natürlich inhaltlich von Seiten
der Kommission und in den Debatten schon vorbereitet
werden. Aber auch hier müssen wir die entsprechenden
Schularbeiten machen, um 2006 voranzukommen.
Lassen Sie mich kurz noch einmal Kaliningrad
ansprechen. Ich glaube, das sind einige der politischen
Fragen, die noch anstehen. Wir müssen sowohl die
Souveränität Litauens als auch die Sensibilitäten
Russlands berücksichtigen und deutlich machen, dass
kleine Länder nicht Opfer der Verhandlungen von
großen sein können. Denn das muss auch das Bild dieses
Europas bestimmen, dass die kleinen Länder ihren
eigenen Stellenwert haben. Dass es hier eine Lösung
geben muss, die praktikabel ist und den Sensibilitäten
aller entgegenkommt, ist klar, und ich glaube, dass auf
der Grundlage der Vorlage der Kommission und des
gestrigen
Beschlusses
des
Ministerrates
eine
Verhandlungsbasis gegeben ist, auf der es vorangehen
kann. Ich bin der Auffassung, dass in der Tat
Kommission und Rat in der heutigen Schlachtaufstellung
ihr Bestes tun, um im Oktober zu einem Ergebnis zu
kommen.
20
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Die
Informationsarbeit, die Informationskampagne wird
sowohl in den Mitgliedsländern als auch in den
Beitrittsländern von großer Bedeutung sein. Ich hoffe,
dass sie in den Beitrittsländern besser organisiert wird
als gegenwärtig in den Mitgliedsländern der
Europäischen Union, wo sie in meinem Land nur zum
Schaulaufen der Europaminister der Bundesländer wird,
aber nichts mit der eigentlichen Informationsarbeit zu
tun hat. Herr Kommissar Verheugen, vielleicht könnten
wir darüber einmal ein Gespräch führen, wie wir dieses
verändern können.
(Beifall)
23/10/2002
Das Wichtigste ist jedoch die Information der Bürger,
von der heute so viel gesprochen wurde und die nicht
ausreichend organisiert ist. Daran muss meinem
Eindruck nach noch gearbeitet werden.
3-033
Schmidt, Olle (ELDR).  (SV) Herr Präsident! Lassen
Sie mich zu Beginn der dänischen Ratspräsidentschaft
für ihre gute Arbeit danken. Ich selbst bin nicht im
Geringsten überrascht, doch es gab und gibt ja Kollegen
mit Zweifeln am Willen und an der Fähigkeit
Dänemarks, die Erweiterung der Europäischen Union
voranzutreiben. Diese sind nun wirklich eines Besseren
belehrt worden. Wenn man Jens-Peter Bonde zuhört,
fragt man sich, ob er sich nicht in die guten alten Zeiten
zurückwünscht, in denen es noch die DDR gab.
3-032
Volcic (PSE). – (IT) Herr Präsident, die Tagungen von
gestern und heute Morgen sowie die, welche in den
kommenden Tagen in Brüssel abgehalten wird, sind alle
die Generalprobe für Kopenhagen, denn sie zielen darauf
ab, den Standpunkt der Europäischen Union im Hinblick
auf den letzten Kraftakt zum Abschluss der
Verhandlungen zu bestimmen.
Die zehn Länder haben gegenüber dem vergangenen
Jahr erhebliche Fortschritte gemacht und werden 2004
bereit sein. Ich denke, dass die Begründungen des
Berichts auch in dem in der Ausarbeitung befindlichen
Bericht des Ausschussvorsitzenden Brok enthalten sein
werden und sich nicht sehr von dem bereits Gesagten
unterscheiden werden.
Ich komme auf einen wenig problematischen Fall –
Slowenien – zu sprechen, der mir jedoch ziemlich
repräsentativ für andere kleine Länder erscheint, in dem
Sinne, dass diese Länder ohne die harte Schule der
Union psychologisch noch viel, viel weiter von der
Union entfernt wären, als sie es heute sind.
Die wirtschaftlichen, administrativen und politischen
Probleme und die Einhaltung der Kriterien von
Kopenhagen haben dazu geführt, dass Slowenien und
andere Länder zu denjenigen gehören, die mit größeren
Kraftanstrengungen zuletzt die verschiedenen Kapitel
der Umgestaltung von Verwaltung und Wirtschaft
angegangen sind. Selbstverständlich gilt es, die Arbeiten
für die wirtschaftliche Umstrukturierung fortzusetzen
und das Konkursrecht zu verbessern; gleichzeitig wird
jedoch anerkannt, dass zahlreiche Fachleute eingestellt
wurden und einige Banken, die sich vollständig im
Besitz des Staates befanden, innerhalb von einem Jahr
zu 76 Prozent privatisiert wurden. Das ist meines
Erachtens ein großartiges Ergebnis.
Das Land hat im Einvernehmen mit den europäischen
Verhandlungsführern dafür optiert, eine selbständige
Region zu bleiben, auch, um das Empfinden zu haben,
nach Wien und Belgrad nicht erneut von einer anderen
ausländischen Macht unterjocht zu werden. Es besteht
die Möglichkeit, dass sich das, in Abhängigkeit von den
nationalen Erfahrungen, 2006 ändern kann.
Herr Präsident! Am Montag war ich in der Slowakischen
Republik, in Bratislava. Dort erfuhr ich, dass man sich
im Zusammenhang mit den Äußerungen während der
Regierungskrise in den Niederlanden sehr zu Unrecht als
unzuverlässiges Kandidatenland eingestuft fühlte. Auch
andere Länder wurden genannt. Ich möchte Ihnen, Frau
Maij-Weggen, sagen, dass es viele holländische Liberale
gibt, die Ihre Auffassung teilen. Das hat auch Pat Cox
ganz richtig festgestellt. In dieser Angelegenheit ist das
letzte Wort noch nicht gesprochen. Um unsere Partner in
Bratislava, Warschau, Riga und Vilnius zu beruhigen,
fordere ich den Ratspräsidenten und die Kommissare auf
zu erklären, dass es keinen Grund zur Beunruhigung
gibt. In den Länderberichten finden sich keine Angaben,
die die Schlussfolgerung zuließen, einige Länder würden
generell schlechter abschneiden als andere. Wie
Kommissar
Verheugen
betonte,
deutet
zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nichts auf unlösbare Probleme
bei den zehn Kandidatenländern hin. Natürlich gibt es
Schwierigkeiten, doch diese können überwunden
werden!
Herr Präsident! Es ist meines Erachtens von größter
Wichtigkeit, dass Rat und Kommission in dieser Frage
deutliche Signale geben. Die historische und moralische
Wiedervereinigung Europas ist unumkehrbar. Die
Europäische Union erfüllt ihre Verträge. Wir sind
unbeirrbar! Ich zitiere auf Latein, das ich einst gelernt
habe: pacta sunt servanda.
3-034
Thyssen (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Wir stehen
vor einem recht komplizierten Europäischen Rat, zu dem
ich dem dänischen Vorsitz vollen Erfolg wünschen
möchte.
Die
Ratspräsidentschaft,
die
heutige
Europäische Union sowie die Kandidatenländer
verdienen es, dass konkrete Entscheidungen getroffen
werden können. In einigen Monaten stehen
entscheidende Beschlüsse an, und ich finde es höchst
bedauerlich, wenn wir noch immer feststellen, dass sich
79 % der Unionsbürger als unzureichend informiert
bezeichnen.
Das ist nicht nur bedauerlich, sondern auch extrem
gefährlich, weil sich ein Großteil der europäischen
Bevölkerung – und zwar in allen Mitgliedstaaten –
unsicher und im Ungewissen fühlt, und die Unsicherheit
23/10/2002
und Ungewissheit hinsichtlich der Erweiterung
verstärken solche negativen Gefühle nur noch. Meines
Erachtens ist es höchste Zeit, den Bürgern darzulegen,
dass die Erweiterung der Hebel zu einem sichereren
Europa sein kann, einem Europa, das ihnen mehr
Sicherheit bietet, und ihnen auch zu bestätigen, dass die
Europäische Union deshalb nicht weniger sozial, nicht
weniger wohlhabend oder sogar weniger demokratisch
zu werden braucht. Es ist höchst Zeit, dass wir sie
darüber aufklären und dies in Angriff nehmen.
21
wissen. Wir haben z. B. mit den Delegationen des
Ausschusses für Wirtschaft und Währung feststellen
können, welche Fortschritte gemacht worden sind und
auch welche schwierigen Fortschritte gemacht worden
sind, z. B. im Bereich der Wettbewerbspolitik oder im
Bereich der Beihilfenkontrolle. Das hat natürlich auch
Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in den
Betrittsländern gehabt, und das ist nicht ohne
Verwerfung organisierbar.
Deshalb
möchte
ich,
worum
auch
unser
Fraktionsvorsitzender
heute
den
Kommissionspräsidenten gebeten hat, von der
Kommission hören, was die von ihr geplante
Informationskampagne exakt beinhaltet, und ich möchte
ferner dem Ratsvorsitzenden die Frage stellen, ob nicht
doch auch die Staats- und Regierungschefs auf diesem
wichtigen Europäischen Rat darüber diskutieren sollten.
Umfassende Informationskampagnen auf europäischer
Ebene mit Großanzeigen in wichtigen Zeitungen mögen
zwar hilfreich sein, die Eurokampagne hat uns jedoch
gelehrt, dass bei der Informationsarbeit dezentralisiert
vorgegangen werden muss.
Daher wissen wir die Anstrengungen in den
Betrittsländern sehr wohl zu würdigen. Es ist jedoch
auch klar, dass sie, wenn sie beitreten, nicht nur
funktionsfähige Marktwirtschaften sein müssen, sondern
auch tatsächlich in der Lage sein müssen, dem
Wettbewerbsdruck standzuhalten. Hier muss noch
nachgebessert werden. Ich will nur Stahl- oder Schiffbau
als zwei Beispiele nennen. Die Energieproblematik
möchte ich hier nur am Rande erwähnen, obwohl sie
ebenso wichtig ist. Daher hat die Kommission zu Recht
Schutzklauseln eingesetzt. Ich denke, damit können die
Beitrittsländer auch umgehen, und wir müssen sehen,
dass diese Schutzklauseln so eingesetzt werden, dass sie
nicht willkürlich das eine Land oder das andere Land
treffen.
Wir müssen die Regierungen sowie die Zivilgesellschaft
in den Mitgliedstaaten mit einbinden. Andernfalls
werden die Menschen nie ausreichend informiert. Sind
solche Pläne in Vorbereitung? Beabsichtigt man, auf
diese Weise noch rasch eine Kampagne zu organisieren?
Und werden Sie, Herr Ratspräsident, in Anbetracht der
Tatsache, dass nicht wenige Regierungen in der Union
auf diesem Gebiet erheblich versagt haben, Ihre
Amtskollegen, die Staats- und Regierungschefs, auf
dieses Thema ansprechen?
Ich bin zuversichtlich, dass der Reformprozess in den
Betrittsländern weitergeht, er muss auch erfolgreich
weitergehen,
weil
es
nicht
nur
um
die
Nichtinformationen der Bevölkerung bei uns in der
Europäischen Union geht, sondern auch um den Mangel
an Informationen in den Beitrittsländern. Es wäre gut,
wenn wir auch zur Lösung dieses Problems beitragen
könnten.
3-037
3-035
Der Präsident. – Ich kann Ihren Hinweis nur
unterstreichen. Bei der Informationskampagne geht es
nicht nur um Öffentlichkeitsarbeit. Dahinter muss eine
politische Überzeugung stehen. Wenn die politische
Überzeugung fehlt, kann keine Botschaft vermittelt
werden. Wir in diesem Parlament müssen erkennen, dass
nach dem Abschluss der äußerst komplizierten Arbeit
der Kommission nun der Zeitpunkt gekommen ist, an
dem die Erweiterung wieder zu einem politischen
Thema werden muss. Dies ist die Botschaft, die wir auf
dem Gipfeltreffen am Freitag vermitteln müssen.
3-036
Randzio-Plath (PSE). - Herr Präsident! Die
Erweiterung soll ja nicht nur Frieden, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit bringen, sondern sie soll natürlich
auch
zur
Wohlstandsmehrung
in
den
Erweiterungsländern beitragen. Letztlich war die
wirtschaftliche Zusammenarbeit auch ein Erfolgsrezept
der Europäischen Union, und dieses Erfolgsrezept soll
ausgeweitet werden, so dass wir neben der Stabilität im
Sinne des äußeren Friedens auch Stabilität im Sinne des
inneren Friedens und des sozialen Friedens bekommen.
Auf die Beitrittsländer kommen noch enorme
wirtschaftliche Unsicherheiten zu, und wir müssen ihnen
zu verstehen geben, dass wir um diese Schwierigkeiten
Krarup (GUE/NGL). - (DA) Herr Präsident, dieses
Erweiterungsprojekt ist für das kleine Land, aus dem ich
komme, für Dänemark, etwas, auf das wir stolz sein
können. Die Kriterien zur Aufnahme neuer
Mitgliedsländer wurden auf dem Gipfeltreffen in
Kopenhagen 1993 festgelegt, und der Prozess soll jetzt
auf dem Gipfeltreffen im Dezember in Kopenhagen
abgeschlossen werden. Es ist irrational, dass unsere
kleine Nation darauf stolz ist, aber es stärkt unser
Selbstvertrauen, und das ist ja immer angenehm.
Das Problem ist allerdings, dass viele Fragen noch
ungelöst sind. Der belgische Unterhändler des Vertrags
von Maastricht, ein professioneller Volkswirt, meinte,
dass es noch eine ganze Reihe ungelöster
Finanzierungsprobleme
gibt.
Alle
wollen die
Erweiterung, sagt er, aber niemand möchte dafür
bezahlen. Warum sollen z. B. die Briten ihre
Rabattregelung beibehalten, während weit ärmere
Beitrittsländer den vollen Preis zahlen müssen?
Das ist eins der Probleme. Ein anderes Problem, das
völlig übersehen wird und unter dem äußerst geräumigen
Teppich liegt, unter den die Probleme gekehrt werden,
ist
die
Frage
der
Glaubwürdigkeit
der
Fortschrittsberichte. Ich kann an keiner Stelle in diesen
Analysen eine nüchterne Stellungnahme zu der
22
entscheidenden Frage des letzten und entscheidenden
Kopenhagener Kriteriums finden, nämlich dass die
Beitrittsländer nicht nur dem gemeinschaftlichen
Besitzstand entsprechen müssen, sondern auch über die
verwaltungsmäßige, rechtliche und politische Struktur
verfügen müssen, die eine Voraussetzung für seine
effektive Umsetzung ist.
In einem schwedischen Bericht der vergangenen Woche
wird darauf hingewiesen, dass diese Probleme besonders
gravierend sind. Eine recht einfache Rechnung zeigt,
dass es dem juristischen und administrativen Personal an
Ausbildung mangelt. Es fehlt die gesamte Grundlage für
die wirkliche Umsetzung des Besitzstandes. Diese
Probleme werden nicht behandelt, und ich frage daher
meinen dänischen Freund und ehemaligen Kollegen, den
dänischen Europaminister: Was will man tun, um dieses
gänzlich vernachlässigte Problem zu lösen?
23/10/2002
Es gibt natürlich eine Vielzahl von Problemen, die mit
der Erweiterung verbunden sind. Die Möglichkeiten sind
jedoch größer als die Probleme, die wir natürlich
dennoch lösen müssen. Sie dürfen aber die
Möglichkeiten nicht überschatten. Es geht hier um
unsere Kinder und Enkel, darum, für sie ein Europa des
Friedens und der Demokratie zu errichten. Es geht um
eine sauberere Umwelt. Schweden grenzt an mehrere
Kandidatenländer, mit denen wir zum Beispiel die
Ostsee gemeinsam haben. Wenn wir die Probleme der
Ostsee für die Zukunft lösen wollen, können wir das nur
mit vereinten Kräften tun.
Es geht hier auch um die Rechte der Arbeitnehmer in
unseren Nachbarländern, damit diese kein soziales
Dumping betreiben können, damit gerechtere
Verhältnisse geschaffen und die Gewerkschaften
gestärkt werden können. All dies liegt in unserer
Verantwortung.
3-038
Tannock (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße
den relativ reibungslosen Verlauf der Erweiterung.
Trotzdem sollten wir, auch wenn die gesamte
institutionelle Maschinerie der EU auf den
Erweiterungsprozess konzentriert ist, nicht vergessen,
dass es noch andere europäische Länder mit sehr
legitimen kulturellen und historischen Verbindungen zu
Europa gibt. Diese Länder sind gekränkt, weil ihr
Wunsch nach einer langfristigen Aufnahme in die EU
insbesondere von der Kommission ignoriert und als
unrealistisch bezeichnet wird. Ich denke dabei vor allem
an die Ukraine, die sich in einem politischen Zwiespalt
zwischen westlich orientierten Kräften und denjenigen
befindet, die den Beitritt der Ukraine zu einer neuen
Wirtschaftsunion mit Russland und den östlichen
Republiken wünschen.
Sobald diese Runde der Erweiterung abgeschlossen ist,
müssen wir unsere politischen Positionen gegenüber
andern Ländern in Europa überdenken. Dies gilt
insbesondere für die Balkanstaaten und die
angrenzenden Länder, wie die Ukraine, die eine feste
Verankerung in Frieden, Wohlstand und westlicher
Sicherheit brauchen. Seit dem Zusammenbruch der
ehemaligen Sowjetunion vor zehn Jahren haben diese
Länder Fortschritte auf dem Weg zu Demokratie,
Achtung
der
Menschenrechte
und
einer
verantwortungsvollen Regierungsführung gemacht, auch
wenn noch viel zu tun bleibt. Nachdem der Türkei der
Kandidatenstatus zuerkannt worden ist, hat ein Land wie
die Ukraine einen ebenso großen, wenn nicht sogar
größeren Anspruch darauf, als Kandidat für die
Aufnahme in die europäische Familie der Nationen in
einer erweiterten, größeren und weniger starren
Europäischen Union betrachtet zu werden.
3-039
Andersson (PSE).  (SV) Herr Präsident! Ich möchte
einleitend dem irischen Volk gratulieren, aber auch der
dänischen Ratpräsidentschaft, die eine außerordentlich
gute Arbeit geleistet hat sowie der Kommission, die sich
über einen langen Zeitraum mit dieser Aufgabe
beschäftigt hat.
Der Präsident betonte die Notwendigkeit von
Informationskampagnen. Natürlich werden wir solche
Kampagnen durchführen, doch handelt es sich hierbei in
erster Linie um eine politische Verantwortung. Jetzt wird
es für uns Politiker Zeit, die Tagungssäle zu verlassen
und uns hinaus zu begeben, um einen Dialog mit den
Menschen in unseren Mitgliedstaaten zu führen, um sie
von der Wichtigkeit der Erweiterung zu überzeugen.
Ich wünsche mir eine Veränderung der Agrarpolitik.
Ferner benötigen wir auch eine Änderung der
Strukturpolitik, doch darf dies nicht zu einer Bedingung
für die Erweiterung werden. Es ist unsere Verantwortung
– nicht die der Kandidatenländer – unser aller
Verantwortung, Veränderungen in der Agrar- und
Strukturpolitik herbeizuführen.
Kurz einige Worte zu Kaliningrad: Ich hoffe auf eine
Lösung, nicht zuletzt, damit sich die Menschen frei über
die Grenzen bewegen können. Lassen Sie uns dabei auch
noch einen anderen Aspekt im Auge behalten, nämlich,
die Gefahr, dass das Gefälle zwischen Kaliningrad und
Litauen zunimmt, wenn Litauen sich als Mitglied der EU
besser entwickelt. Das könnte Spannungen in den
Grenzgebieten zur Folge haben. Aus diesem Grund sind
soziale und wirtschaftliche Maßnahmen auch für die
Menschen in der Region Kaliningrad wichtig.
3-040
Stenzel (PPE-DE). - Herr Präsident! Ich möchte an die
Regierungschefs und die Außenminister, die in Brüssel
zusammenkommen, einen Appell richten: den Appell,
ihre Aufgaben und ihre Verantwortung angesichts der
Erweiterung ernst zu nehmen. Man kann nicht alles mit
allem verknüpfen. Man kann nicht angesichts der
Erweiterung eine Agrarreform erzwingen wollen. Dazu
muss später auch noch Zeit sein. Man kann nicht
einerseits mehr für die Erweiterung zahlen wollen und
andererseits andere zwingen, weniger zahlen zu wollen.
Ich glaube, es muss klar sein, dass man die
Erweiterungskosten
im
Rahmen
vernünftiger
Vorschauen eher unter dem Berliner Agenda-2000Niveau planen sollte. Man sollte eine vernünftige
23/10/2002
Agrarfinanzierung ins Auge fassen. Man sollte stabile
Rahmenbedingungen bis 2006 für die Landwirte
ermöglichen. Man sollte sich aber auch klar sein, dass
man dies nicht alles endgültig lösen kann. Es gibt keine
endgültige Agrarreform vor der Erweiterung, ohne die
Erweiterung auf den Sankt Nimmerleinstag zu
verschieben, und man kann auch nicht künftige
Budgetrahmen für nach 2006 präjudizieren.
In diesem Sinne kann ich sagen, dass wir, dass ich als
Repräsentantin der Österreichischen Volkspartei hier
eine Linie vertrete, die hundertprozentig für die
Erweiterung ist. Ich weiß, dass Ihr Team in Brüssel die
Vollmachten hat, im Sinne der Europäischen
Gemeinschaft, auch im Sinne Österreichs, vernünftig zu
handeln. Natürlich erhoffen wir Sensibilität für uns in
Fragen des Transits, Sensibilität für uns in Fragen der
Grenzlandförderung. Aber wir sind uns alle bewusst,
dass die Erweiterung eine ungeheure Chance ist, dass
diese Chance genutzt werden muss und dass man sie in
einer Politik, in einem Verfahren so gewährleisten muss,
dass die Beitrittsbewerber nicht in die berühmtberüchtigte Situation eines "Friss Vogel oder stirb"
kommen. Da frage ich Sie: Wie wollen Sie erreichen,
dass man eine Methode findet, die einerseits die
Brüsseler Konferenz nicht zu einem Konklave macht
und die andererseits genug Spielraum für die
Verhandlungen mit den Erweiterungskandidaten lässt?
(Beifall)
3-041
Wiersma (PSE). – (NL) Ich möchte mich bei Frau MaijWeggen bedanken, die uns dazu beglückwünscht hat,
dass die Sozialdemokraten in den Niederlanden unserem
Land heute jedenfalls aus einer schwierigen Lage helfen,
indem sie in Bezug auf Kopenhagen, aber auch auf den
in den nächsten Tagen stattfindenden Europäischen Rat
keine Steine in den Weg legen. Wichtig ist, dass sowohl
die Grünen als auch die Sozialdemokraten, die in den
Niederlanden der Opposition angehören, den
Niederlanden auf jeden Fall helfen, den rechten Weg zu
gehen.
Erfreulicherweise liegt die Europäische Union beim
Erweiterungsprozess noch immer im Zeitplan.
Angesichts der langen Vorgeschichte und der Bedeutung
der Erweiterung wollen wir hoffen, mit allen zehn
Beitrittskandidaten in den kommenden anderthalb Jahren
zu einem Abschluss gelangen zu können. Dass noch
einige Probleme gelöst werden müssen, geht auch aus
den Berichten der Europäischen Kommission hervor, in
denen die Situation offen dargelegt wird und wozu ich
ihr meine Anerkennung aussprechen möchte. Das
Europäische Parlament hat auch selbst mehrfach auf die
Schwachstellen
hingewiesen.
In
den
meisten
Beitrittsländern bestehen noch Mängel in solchen
Bereichen wie der Umsetzungskapazität und der
Korruptionsbekämpfung. Die von der Kommission
zugesagten detaillierteren Vereinbarungen mit den
Beitrittsländern werden daher bei der abschließenden
Beurteilung durch das Europäische Parlament eine
wichtige Rolle zu spielen haben. Noch können wir uns
23
nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Gleichzeitig gilt
für die Europäische Union das Gebot der Gerechtigkeit.
Wir können von den Bewerberländern nicht mehr
verlangen, als wir selbst zu leisten imstande sind.
Das gilt in jedem Fall auch für die Slowakei. Bis 1998
lag das Land hinter den anderen Beitrittskandidaten
zurück. Seitdem wurde dieser Rückstand weitgehend
aufgeholt, und zwar in dem Maße, dass es meiner
Meinung nach nunmehr zu Recht auf der
Kommissionsliste steht. Das rasante Tempo der in den
vergangenen Jahren durchgeführten Reformen lässt mich
hoffen, dass die noch verbleibenden Probleme schnell
gelöst werden können. „An die Arbeit!“, diese
Aufforderung möchten wir der neuen slowakischen
Regierung mit auf den Weg geben. Sie wurde nach den
Wahlen vom September zum Glück rasch gebildet und
wird ebenso wie die vorherige Regierung gut mit der
Europäischen Union zusammenarbeiten können. Uns
selbst, vor allem aber auch den Rat möchte ich aufrufen,
unter die Meciar-Ära einen Strich zu ziehen. Diese
Epoche ist vorbei, und es wäre unfair, die Slowakei
damit weiterhin zu verfolgen.
3-042
Fatuzzo (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, ich sorge
mich um die bulgarischen Rentner, und dies nicht nur,
weil ich Vertreter der Rentnerpartei und Mitglied der
Delegation im Gemischten parlamentarischen Ausschuss
EU/Bulgarien bin.
Die bulgarischen Rentner haben im Zweiten Weltkrieg
gekämpft, sie haben viele Jahre unter kommunistischer
Knechtschaft gelebt, und nun, da sie alt sind und eine
Hungerrente beziehen, hoffen sie, dass es ihnen besser
geht, wenn auch sie demnächst der Europäischen Union
beitreten.
Daher stelle ich mir selbst und dem amtierenden
Ratspräsidenten sowie dem Kommissionspräsidenten die
folgende Frage: Kann man, da auch der Stabilitäts- und
Wachstumspakt umsichtig und flexibel angewandt
werden soll, darauf hoffen, dass auch der Beschluss der
Gemeinschaftsorgane, den Beitritt Bulgariens auf 2007
zu verschieben, überdacht wird? Und kann insbesondere
der Beschluss zur Stillegung der Einheiten des
Atomkraftwerks von Kozloduj zu den vorgegebenen
Terminen revidiert werden, um Bulgarien in Anbetracht
des schweren Schadens, den die Schließung der
bulgarischen Wirtschaft zufügen würde, noch für einige
Zeit dessen Betrieb zu gestatten? Und könnte schließlich
die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden, schnell
und mit einer höheren Finanzausstattung mit der
Verwirklichung von Korridor 8 zu beginnen, der
Apulien mit Albanien, Mazedonien und Bulgarien
verbindet und in den Häfen von Warna und Burgas
endet?
3-043
Van Lancker (PSE). – (NL) Ich habe den Appell des
Kommissionspräsidenten begrüßt, mehr politische
Begeisterung für die Erweiterung zu zeigen. Ich kann
meinen Kolleginnen und Kollegen mitteilen, dass ich als
Mitglied des Konvents zur Zukunft Europas das Privileg
24
habe, mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus den
Kandidatenländern bereits sehr eng zusammenzuarbeiten
und dass ihr Engagement und ihr Enthusiasmus für das
Projekt Europa wirklich erfreulich sind. Die Behauptung
des Kollegen Gollnisch, niemand in diesem Konvent
habe sich die Frage gestellt, ob ein Europa mit 25
Mitgliedstaaten das Gleiche zu tun habe wie das Europa
der Sechs oder Fünfzehn, ist nicht zutreffend.
Allerdings bereitet mir ein anderer Punkt Sorge. Soll
diese Union mit 25 Mitgliedstaaten zu einem Erfolg
werden, so wäre es wohl angezeigt, dass sich die
Konventsmitglieder etwas ehrgeizigere Ziele für ein
starkes und demokratisches Europa mit effizienten
Institutionen setzen. Des Weiteren halte ich es für ganz
wichtig – und damit knüpfe ich an die Bemerkungen der
Kollegin Thyssen an –, dass die Begeisterung für die
Erweiterung und für das politische Projekt Europa nicht
nur bei den politischen Eliten in der Europäischen Union
herrschen darf, sondern auch die Bevölkerung davon
erfasst
sein
muss.
Die
Forderung
von
Kommissionspräsident
Prodi
nach
Informationskampagnen für die breite Öffentlichkeit
habe ich infolgedessen sehr begrüßt. Auch wir hier tun
unser Bestes, um die Bürger darüber aufzuklären,
worum es bei der Erweiterung geht, aber allein werden
wir dazu nicht imstande sein. Es gibt jedoch genügend
Argumente für die Behauptung, die Erweiterung biete
eher Lösungen für die Probleme der Menschen, als dass
sie neue Probleme aufwirft. Deshalb möchte ich mich
den Kolleginnen und Kollegen anschließen, die fragen,
wie die Kommission, die Mitgliedstaaten sowie die
Staats- und Regierungschefs uns bei unserer
Informationspflicht unterstützen können.
Zur Beruhigung der Bevölkerung kommt der
Überwachung und den Schutzklauseln wesentliche
Bedeutung zu, da sich daran zeigt, Herr Kommissar
Verheugen, dass wir die Erweiterung ernst nehmen und
wir sie seriös betreiben wollen. Sie haben von dem
Monitoring in Bezug auf die Polizei, die Justiz und den
Binnenmarkt gesprochen. Ich möchte von Ihnen die
Garantie erhalten, dass dieses Monitoring und diese
Schutzklauseln auch für die Sozial- und die
Umweltpolitik gelten, hängen diese doch sehr eng mit
dem Binnenmarkt zusammen. Vor allem in diesen
Bereichen könnten Sie meiner Meinung nach die Bürger
beruhigen.
3-044
Korakas (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Das
irische Volk wurde zur Hälfte durch eine skrupellose
Gehirnwäsche und ein Finanzpaket dazu gebracht, dem
Vertrag von Nizza zuzustimmen, indem man ihm zu
verstehen gab, dass ein Nein für die so genannten
Verteidiger der Rechte der Völker und Menschen nicht
hinnehmbar ist. Und trotz alledem wird schamlos
weitergefeiert.
Der hastig einberufene Brüsseler Gipfel soll die
Differenzen zwischen den Mächtigen der Europäischen
Union abbauen und die Enttäuschung der Völker der
Beitrittsländer zerstreuen, die feststellen, wie falsch die
23/10/2002
Versprechen sind, die ihnen die Propagandisten der
Erweiterung gaben. Der intensive und kostspielige
Werbefeldzug für den Beitritt kann allerdings die harte
Realität nicht verbergen, die so aussieht, dass diese
Länder schon im Vorfeld ihr letztes Hemd an die Bosse
der Europäischen Union abgegeben haben. Heute wird
deutlich, dass manche Beitrittsländer nicht nur keine
Nettoeinnahmen haben, sondern sogar den Haushalt
finanzieren werden.
Es wird begonnen, die direkten Agrarsubventionen in
einem Prozess der Verringerung der Agrarausgaben des
Haushalts und der Abschaffung von Subventionen, in
einer Größenordnung von 25 % bis 35 % jährlich zu
senken, um so die Haushaltsmittel für imperialistische
Aktivitäten bereitzustellen, was unvorhersehbare
katastrophale Folgen für die Landwirte sowohl der
Mitgliedstaaten der Europäischen Union als auch der
Beitrittsländer haben wird. Und nach dem, was wir heute
von den Vertretern des Rates und der Kommission
gehört haben, werden die Völker Europas bei der
Erweiterung nichts zu gewinnen haben. Bereits das
Handelsdefizit der Beitrittsländer beträgt ein Vielfaches
der Mittel, die sie vom Gemeinschaftshaushalt erhalten.
Ein besonderes Thema ist Zypern. Die zyprische
Regierung wird gezwungen, vor dem Beitritt Lösungen
zu akzeptieren, die den Interessen der beiden
Volksgruppen und des zyprischen Volkes generell
zuwiderlaufen. Der Beitritt selbst bedeutet über die
negativen Folgen für das zyprische Volk hinaus im
Wesentlichen die Legalisierung der schändlichen
Teilung. Wir, die Kommunistische Partei Griechenlands,
sind gegen alle diese Entwicklungen und werden mit all
unseren Kräften an der Seite der für ihre Rechte
kämpfenden Völker stehen.
3-045
VORSITZ: GIORGOS DIMITRAKOPOULOS
Vizepräsident
3-046
Oostlander (PPE-DE). – (NL) Ich möchte eigentlich
Ihrem Kollegen Pat Cox, dem Parlamentspräsidenten,
noch herzlich zu seinem hervorragenden Beitrag auf der
jüngsten Konferenz der Europäischen Liberalen
Demokraten
im
Vereinigten
Königreich
beglückwünschen, auf der er nach besten Kräften
bemüht war, seine niederländischen Geistesverwandten
darauf hinzuweisen, dass ihre Haltung gegenüber der
Erweiterung für echte Liberale absolut atypisch ist.
Atypisch deswegen, weil die Liberalen bekanntlich stets
die europäische Integration unterstützt haben, im
Besonderen auch die Ausdehnung der internationalen
Rechtsordnung befürworten und dies grundsätzlich auch
immer als Ausgangspunkt ihrer Bewegung verstanden
haben. Ich bin hocherfreut, dass den buchhalterischen
Zwangsvorstellungen, wie sie zusammen mit
Abschreckungsszenarien gegenwärtig in diesen Kreisen
in den Niederlanden zirkulieren, auf eine wirklich als
beeindruckend zu bezeichnende Weise widersprochen
worden ist. Dafür also mein Dank. Seine Worte werden
dazu beitragen, dass die Niederlande mit Unterstützung
der konstruktiven Opposition Ihrer Majestät auf keinen
23/10/2002
Fall eine abweichende Position einnehmen werden. Ich
muss sagen, auch von verschiedenen Seiten des
Europäischen Parlaments ist das Nötige dafür getan
worden.
Mit großem Interesse habe ich ferner die Ausführungen
unseres guten Freundes Berthel Haarder über
Kaliningrad und seine Mahnung zur Kenntnis
genommen, auf den Interessen Litauens dürfe nicht
herumgetrampelt werden – eine wohl für das
Parlamentspräsidium nachahmenswerte Rede. Wenn wir
nämlich zusammen mit der Duma eine gemeinsame
Kommission zur Behandlung von Fragen betreffend
Kaliningrad einsetzen, dann muss das litauische
Parlament darin ebenfalls vertreten sein, nicht um
Litauen unter Druck zu setzen, sondern damit diese
Vertretung die eindeutige Verteidigung der Interessen
Litauens wahrnehmen kann. Unsere Haltung gegenüber
Litauen und der Souveränität dieses Landes wird die
Nagelprobe dafür sein, wie wir künftig in der erweiterten
Gemeinschaft mit den kleinen Mitgliedstaaten umgehen
werden. Deshalb kommt der Rede von Minister Haarder
nach meinem Dafürhalten sehr große Bedeutung zu, und
ich möchte ihm dafür danken.
Schließlich ein Wort zur Türkei. Hier wird es
selbstverständlich noch eine hart Nuss zu knacken
geben. Ich spreche mich entschieden dafür aus, die
Türkei so zu behandeln wie alle anderen
Kandidatenländer. Da sich die Türkei hinsichtlich der
Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen von
den anderen Beitrittskandidaten noch wesentlich
unterscheidet, müssen wir somit für die Türkei das
Problem anders lösen. Wenn wir die gleichen Kriterien
anwenden, dann müssen wir die Türkei genauso
behandeln wie früher die Slowakei und jedes andere
Land. Obgleich das für die Türken gegenwärtig
schwierig sein mag, halte ich es doch für außerordentlich
wichtig, dass sich auch die Türkei eindeutig in Richtung
eines demokratischen Rechtsstaates entwickelt, der als
solcher einwandfrei funktioniert, und ihr auch bewusst
ist, dass sie erst nach Erreichen dieses Ziels wird
mitagieren können. Für die Türkei dürfte es mit einer nur
halben Zusage bezüglich der Rechtsstaatlichkeit auch
ehrverletzend sein, als fünftes Rad am Wagen
mitzumachen. In dieser Hinsicht können wir dem
Europäischen Rat wohl mit Zuversicht entgegensehen.
3-047
Der Präsident. – Damit ist diese Phase des Verfahrens
abgeschlossen.
Wir kommen nun zur zweiten Runde der eingetragenen
Redner der Fraktionen.
3-048
Rovsing (PPE-DE). - (DA) Herr Präsident, ich möchte
der dänischen Präsidentschaft danken, die den Prozess
von Kopenhagen bis Kopenhagen nicht als nationale,
sondern als europäische Zielsetzung geführt hat. Die
dänische Präsidentschaft hat eindeutig demonstriert, dass
sie im Dienst Europas steht und keine speziellen
dänischen Ziele verfolgt. Sie verfolgt die europäische
Zielsetzung, wie sie gewöhnlich von den übrigen
25
kleinen, eifrigen und tüchtigen Ländern verfolgt wird. Es
dürfen jetzt keine weiteren Bedingungen für die
Erweiterung gestellt werden. Das ist immer wieder
gesagt worden, und das ist eindeutig auch die Meinung
unserer Fraktion. Keine neuen Bedingungen. Natürlich
wird
eine
Diskussion
über
Agrarund
Finanzierungsreformen folgen, aber sie darf – was vor
diesem Plenum schon oft gesagt worden ist – die
Erweiterung nicht behindern. Diese Fragen müssen nach
und nach gelöst werden.
Wir diskutieren darüber, dass unsere Bürger über die
Erweiterung informiert werden müssen. Es stellt sich
jedoch die Frage, ob dies Aufgabe der Kommission ist.
Ich meine, dass die Kommission zwar die Fakten zur
Verfügung stellen kann, dass es aber dann Sache der
Politiker, unserer Regierungen und der Parteien in
unseren Ländern ist, für die notwendige Verbreitung der
Informationen zu sorgen. Darüber sollten wir uns meiner
Meinung nach im Klaren sein, weil es in den einzelnen
Ländern unterschiedliche Interessenlagen gibt. Gewisse
Dinge sind für den Norden wichtig, andere für den
Süden, aber das durchgängige Motiv muss sein, dass wir
die Erweiterung durchführen, weil wir Frieden in
unserem Territorium wollen. Frieden, wenn unsere
Kinder und Kindeskinder aufwachsen. Das ist eine sehr
einfache Botschaft, und ich finde, dass sie in diesem
Zusammenhang tragfähig ist.
Im Laufe der Zeit sind viele Fragen angesprochen
worden, und eines der Probleme, das auf jeden Fall in
einigen Ländern zur Sprache kam, ist die weit
verbreitete Korruption, die eine Bedrohung der
gerechten Verteilung von Beihilfen der EU darstellen
wird. Dieses Hindernis ist aber nicht unüberwindlich.
Natürlich müssen wir die Beitrittsländer an den
vorhandenen Beihilferegelungen zu den gleichen
Bedingungen wie die bisherigen Mitglieder teilnehmen
lassen. Wir müssen darauf vertrauen, dass auch die
Regierungen der beitrittswilligen Länder bereit sind, ihr
Möglichstes zu tun, um einen Missbrach der
gemeinsamen Mittel zu verhindern. Sie sind
gleichwertige Mitglieder; sollte aber Korruption oder
Betrug mit EU-Mitteln festgestellt werden, dann muss
die Kommission für einen Übergangszeitraum die
Verwaltung der Beihilfen übernehmen, damit das Geld
diejenigen erreicht, denen es zugedacht ist.
Wir haben eine ganze Reihe von Wünschen, unter
anderem, dass die Demokratie, die wir entwickeln und
die sich die ganze Zeit über entwickelt, durch den
Beitritt der neuen Länder gestärkt wird. Sie bringen viele
hoch gebildete, sehr interessante Menschen mit, die eine
große Bereicherung für das Gebiet sein werden, das wir
jetzt gemeinsam gestalten. Gerade ihre Mitwirkung an
der Ausarbeitung eines neuen Vertrages wird
entscheidend dazu beitragen, dass er den zahlreichen
kulturellen und nationalen Aspekten Rechnung trägt, die
Bestandteile des zu errichtenden neuen Europa werden
müssen.
3-049
26
Titley (PSE). – (EN) Herr Präsident! Im Vereinigten
Königreich heißt es, man soll nicht am falschen Ende
sparen. Ich glaube, wir alle täten gut daran, das in den
nächsten Wochen zu beherzigen. Die Einigung über die
Finanzierungsfragen wird schwierig werden, und ich
unterschätze diese Fragen keineswegs, aber wir müssen
versuchen, sachlich zu bleiben. Das Geld, das für die
Beitrittsländer bis 2006 benötigt wird, macht ein
Tausendstel des BIP der EU und 10 % der Summe aus,
die Deutschland für die deutsche Wiedervereinigung
ausgegeben hat. Die Kosten stehen in keinem Verhältnis
zu den wirtschaftlichen Vorteilen, die sich aus der
Erweiterung ergeben werden. Die Kosten stehen in
keinem Verhältnis zu den Kosten, die mit einem
Verzicht auf die Erweiterung verbunden wären, und sie
stehen in keinem Verhältnis zu den Kosten, die uns
entstehen würden, wenn wir die Stabilität des Kontinents
auf andere Weise sichern wollten.
Die sechs Mitgliedstaaten, die die Gemeinschaft
gegründet haben, sollten sich daran erinnern, warum sie
sich zu diesem Schritt entschlossen haben und welche
wirtschaftlichen Vorteile ihnen dadurch entstanden sind.
Diejenigen von uns, die der Europäischen Union später
beigetreten sind, sollten sich erinnern, warum sie
beigetreten sind und welche Anstrengungen die anderen
Länder unternommen haben, um uns erfolgreich in die
Union zu integrieren. Wir sollten an die wirtschaftlichen
Vorteile denken, die uns durch die Mitgliedschaft in der
EU entstanden sind. Wir alle sollten daran denken, dass
die finanziellen und menschlichen Anstrengungen, die
notwendig waren, um die Union in ihrer heutigen Form
zu schaffen, die effizienteste Investition war, die in
einem solchen Umfang je von Ländern eines ganzen
Kontinents getätigt worden ist. Nun ist es an der Zeit,
diese Investition auf ein ganz neues Niveau für die
Zukunft zu bringen.
Ich bin besorgt darüber, dass in dieser Debatte
offensichtlich davon ausgegangen wird, dass einem
Beitritt der zehn Länder nichts mehr im Wege steht,
obwohl dies keineswegs der Fall ist. Wir im Parlament
müssen unsere Zustimmung noch erteilen, und wir
werden die abschließenden Verträge sehr genau prüfen.
Die Beitrittsländer müssen ihre Anstrengungen zur
Erreichung der geforderten Standards fortsetzen. Wir
begrüßen den von der Kommission festgelegten
dreifachen
Überwachungsmechanismus,
der
Überwachungsmaßnahmen in den Bereichen Wirtschaft,
Binnenmarkt und Justiz und Inneres vorsieht. Wir
erwarten jedoch, dass das Parlament einbezogen wird,
falls diese Schutzklauseln angewandt werden sollten.
Wir begrüßen außerdem den Vorschlag der
Kommission, sechs Monate vor dem Beitritt einen
weiteren Fortschrittsbericht vorzulegen. Wir müssen alle
bereit sein, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen,
wenn in diesem Bericht festgestellt wird, dass die
Fortschritte eines bestimmten Landes für einen Beitritt
nicht ausreichten. Die Sozialistische Fraktion wird
darüber hinaus die soziale Komponente der Erweiterung
überwachen, weil wir sicherstellen müssen, dass sich die
23/10/2002
Lebensumstände der Menschen durch die Erweiterung
verbessern und nicht verschlechtern.
Was Kaliningrad anbelangt, erwähnte Herr Haarder
Verhandlungen mit Russland. Darf ich Herrn Haarder
freundlich daran erinnern, dass Russland weder ein
Mitgliedstaat der Europäischen Union, noch ein
Beitrittsland ist. Ich möchte Sie ferner daran erinnern,
dass viele der Probleme in Kaliningrad durch Russland
selbst verursacht werden, nicht zuletzt durch seine
Weigerung, zahlreichen Ländern dort die Einrichtung
von Konsulaten zu ermöglich. Russland kann die
Zukunft der EU nicht blockieren. Wir müssen die
Souveränität Litauens in dieser Frage uneingeschränkt
respektieren. Wir sollten auch nicht versuchen,
Lösungen zu finden, die negative historische
Erinnerungen wecken, wie dies zum Beispiel bei der
vorgeschlagenen Einrichtung von Eisenbahnkorridoren
der Fall ist. Wir müssen außerdem sicherstellen, dass
eine mögliche Lösung in der Praxis umsetzbar ist und
dass wir bereit sind, Litauen und Polen finanziell und
anderweitig bei der Umsetzung zu unterstützen.
Das irische Referendum hat uns eine wichtige Lektion
erteilt. Die Zahl der Nein-Stimmen ist in etwa gleich
geblieben, der Unterschied lag in der höheren Zahl der
Ja-Stimmen, und dies ist auf die positive
Auseinandersetzung der Politiker mit ihren Bürgern
zurückzuführen. Bei der Vorbereitung der Erweiterung
haben wir alle die Pflicht, einen Dialog mit unseren
Wählern zu führen, damit diese die Erweiterung
befürworten und die Vorteile erkennen, statt sich nur
Sorgen über die Kosten zu machen.
3-050
Malmström (ELDR).  (SV) Herr Präsident! In zwei
Wochen haben wir den 9. November. An diesem Tag
jährt sich der Fall der Berliner Mauer – der Mauer, die
die Teilung Europas, die Feindschaft und den Abstand
zwischen Ost und West symbolisierte. Am 9. November
feiern wir das 13-jährige Jubiläum des Tages, an dem
Menschen im Freudentaumel über eine bereits
bröckelnde Mauer kletterten und an dem die lange Reise
zur Versöhnung und Vereinigung begann. Nun sind wir
fast am Ziel. Wir nähern uns der Endstation. Der Bericht
der Kommission bestätigt, dass zehn Länder in gut
einem Jahr Mitglieder der Europäischen Union werden
können. Das ist phantastisch, doch die Freude wird
durch eine innere Unruhe getrübt. Es wird ernst. Wir
nähern uns der Ziellinie und stellen fest, dass viele
nervös
werden.
Die
Unterstützung
für
die
Kandidatenländer
lässt
nach,
und
mehrere
Mitgliedstaaten, führende Politiker und Parteien
sprechen von Warten, von Aufschieben und erklären:
“Wir sind noch nicht so weit”. Innenpolitische
Rücksichtnahmen überschatten die historische Aufgabe,
Europa erstmals in seiner Geschichte durch Verträge,
Verhandlungen und Kompromisse und nicht durch
Bedrohung, Panzer und Invasion zu vereinen.
Natürlich gibt es überall in Europa viele Fragen, wie die
Zusammenarbeit aussehen und sich entwickeln soll. Wir
werden auf Schwierigkeiten und Probleme stoßen. Wer
23/10/2002
hat denn gedacht, dass es einfach sein würde, Europa zu
vereinen? Aber diese Unruhe muss ernst genommen
werden. Wir müssen darüber sprechen und zeigen, dass
wir die EU wirklich reformieren und offener gestalten
wollen. Aus diesem Grunde engagiert sich die Fraktion
der Liberalen und Demokratischen Partei Europas so
stark im Konvent. Es muss einfach gelingen. Außerdem
müssen wir es lernen, die Diskussionen des Konvents
aus den Sitzungssälen in Brüssel herauszutragen.
Besonders – das ist in dieser Debatte immer wieder
angesprochen worden – wird jedoch eine klare Führung
gefordert, von uns, von der Kommission und von Ihnen
im Rat. Es ist bedauerlich, dass es innenpolitische
Rücksichtnahmen, Knauserigkeit und Populismus sind,
die der Bevölkerung vermittelt werden – an Stelle von
Aussagen über Visionen, Möglichkeiten und die große
Chance Europas.
Wir Politiker haben eine große Verantwortung, die
Öffentlichkeit aufzuklären, zu bilden und zu führen.
Gespaltene Zungen wecken Misstrauen in unseren
Ländern und in den Kandidatenländern. Aus diesem
Grund hoffe ich, dass die Tagung des Europäischen
Rates an diesem Wochenende klar und einstimmig sagt:
“Ja, Sie sind herzlich willkommen!”
3-051
Modrow (GUE/NGL). - Herr Präsident! Der Prozess
der Erweiterung der Europäischen Union um zehn
Staaten tritt in seine letzte entscheidende Phase. Unsere
Fraktion hat ihn stets aktiv, aber auch kritisch begleitet
und mitgestaltet. Es bestehen reale Befürchtungen, dass
über Jahre mit der Erweiterung genährte Hoffnungen auf
soziale
Verbesserungen
und
wirtschaftlichen
Aufschwung so nicht in Erfüllung gehen. Die kraftvollen
politischen Töne von der Überwindung der Spaltung
Europas und der Beseitigung des kommunistischen
Erbes, wie sie hier im Parlament immer wieder zu hören
sind, blenden eine differenzierte Sicht auf europäische
Nachkriegsgeschichte aus und gehen so angesichts der
vielfältigen Probleme in den mittel- und osteuropäischen
Staaten über die Köpfe hinweg.
Die Menschen werden kaum in den Prozess einbezogen.
Der Prozess verlief im Wesentlichen administrativtechnisch und von Brüssel aus als Übernahme des
gemeinsamen Besitzstandes. Die Regierungen der
Kandidatenländer hatten wohl manchmal zu wenig zu
sagen, und die Parlamente wurden auf wenig kritische
Beratungen und Zustimmung eingestellt. Der von jedem
Land zu übernehmende und umzusetzende Besitzstand
türmt sich zu einem Papierberg von über 80.000 Seiten
auf, den kaum die Beamten überschauen. Wie sollen die
Bürger ihn dann überblicken!
Unter diesen Bedingungen konnte und wollte die oft
angemahnte europäische Zukunftsdebatte weder in den
fünfzehn noch in den Beitrittsländern wirklich in Gang
kommen. Es ist kein Geheimnis, dass der Frust bei der
Landbevölkerung besonders tief sitzt. Wer sich mit den
Erweiterungsunterschieden aus früheren Beitritten
beschäftigt, kann nicht übersehen, dass die Parität erst
im Jahr 2003 hergestellt sein soll. In Verbindung damit
27
will man den genossenschaftlichen Betrieben, die
angeblich
Relikte
der
kommunistischen
Zwangswirtschaft sind, durch neue Förderrichtlinien das
Wasser abgraben. Ich sage klipp und klar: Mit einem
aufgewärmten Antikommunismus, der nicht wenige von
den Völkern der Beitrittsstaaten gewählte führende
Politiker zwangsläufig einbeziehen müsste, wird die
europäische Integration nicht gut funktionieren. Ich
könnte Ihnen hier auch manchen meiner guten
Bekannten in diesem Kreis nennen.
Angesichts der prekären Informationsdefizite scheint es
notwendig, vor allem die Frage zu stellen, wie die
Europäische Union im Alltag der Bürger wirkt und wie
wir darüber mit ihnen zu diskutieren haben. Weniger
über Transparenz und Demokratie reden, dafür umso
mehr für Transparenz und Demokratie tun, das wäre die
Forderung, die vor uns steht!
3-052
Lagendijk (Verts/ALE). – (NL) Herr Präsident! Nicht
immer ist es angenehm, Niederländer zu sein. Ehrlich
gesagt habe ich mich in den vergangenen Wochen ob der
Haltung der niederländischen Regierung geschämt, die
lange, allzu lange gezögert hat, einen endgültigen
Standpunkt einzunehmen und von dem Veto abzusehen.
Wie einige Kolleginnen und Kollegen schon
herausgestellt haben, war das im Wesentlichen auf die in
unserer
heutigen
Aussprache
auffälligerweise
abwesenden Liberalen zurückzuführen, die sich in den
Niederlanden meiner Ansicht nach wie auf einen
kurzfristigen Wahlsieg bedachte Provinzbuchhalter
aufgeführt haben, ein Verhalten, das zum Glück nicht
mit der breiten Unterstützung anderer europäischer
Liberaler rechnen kann.
Wie dem auch sei, es wird sich wohl alles auch deshalb
wieder einrenken, weil die Opposition aus
Sozialdemokraten und Grünen den bedrängten
Christdemokraten bei der heute im niederländischen
Parlament geführten Debatte zu Hilfe eilen wird.
Wahrscheinlich wird es sich auch deswegen einrenken,
weil – wie ich hier doch anmerken möchte – ein
vorzüglicher Bericht der Europäischen Kommission
vorliegt, in dem – und das finde ich wirklich mutig – die
lange Liste der Mängel, welche die Kandidatenländer
noch immer aufweisen, offen und ehrlich dargelegt wird,
in dem aber auch, und das ist sehr wichtig, für die noch
bestehenden Probleme Lösungen geboten werden. Das
entscheidende Element auf der Suche nach diesen
Lösungen sind – wie von zahlreichen Kolleginnen und
Kollegen bereits erwähnt – das Monitoring bis zum
Beitritt sowie die zweijährigen Schutzmaßnahmen. Dazu
möchte ich speziell Herrn Kommissar Verheugen eine
Frage stellen.
Herr Verheugen, Sie weilten in den letzten zwei Wochen
in den Niederlanden, Sie haben mit der niederländischen
Regierung gesprochen, und zweifellos haben Sie deren
Standpunkt zur Kenntnis genommen. Ich möchte Sie um
Ihre Stellungnahme zu zwei konkreten Punkten
ersuchen. Wie Sie wissen, schlägt die niederländische
Regierung vor, diese Schutzmaßnahmen nicht auf zwei
28
Jahre zu begrenzen, sondern sie eventuell auf drei und
auf vier Jahre zu verlängern. Wie stehen Sie dazu, und
welche
Auffassung
vertritt
die
Europäische
Kommission?
Zweitens
wird
vorgeschlagen,
dass
diese
Schutzmaßnahmen nur durch einstimmigen Beschluss
des Rates aufgehoben werden dürfen. Auch dazu möchte
ich Sie um Ihre Meinung bitten, und zu diesem letzten
Punkt hätte ich auch gern eine Stellungnahme unseres
ehemaligen Kollegen und jetzigen Ratsvorsitzenden
Bertel Haarder.
23/10/2002
wichtige Region, die Abruzzen, die bereits aus dem Ziel
1 der Kommission herausgenommen wurde.
Wäre es daher nicht angebracht – das ist meine Frage an
Kommissionspräsident Prodi -, die Parameter für die
Ziele 1 und 2 zu revidieren? Muss nicht verhindert
werden, dass die von uns allen gewollte Erweiterung zu
negativen Auswirkungen für unseren Süden führt?
Dieser, von Präsident Prodi dargelegte Standpunkt, sollte
zu einem wichtigen Element der Verbindung zwischen
Nord- und Südeuropa werden.
3-054
Was schließlich die Türkei anbelangt, so hat die
Kommission aus unbegreiflichen Gründen dazu nicht
Position bezogen. Ich möchte den Rat und insbesondere
Herrn Haarder nochmals fragen, ob es denkbar ist – und
ich wähle meine Worte mit Bedacht –, dass der Rat in
der Frage der Festlegung eines Beitrittstermins für die
Türkei zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt.
Beispielsweise weil die Türkei im Falle Zyperns in den
nächsten Monaten eine recht positive Rolle spielen
könnte und weil sie zu beweisen vermag, dass sie die
Reformen ernsthaft betreibt. Mein Appell sowohl an die
Kommission als auch an den Rat lautet: Bleiben Sie
gegenüber der Türkei kritisch, auch wir bleiben es, aber
denken Sie auch weiter darüber nach, wie der
Reformprozess anstatt behindert zu werden, vielmehr
gefördert werden kann.
3-053
Bigliardo (UEN). – (IT) Herr Präsident, verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe sowohl den
Erklärungen des Rates und der Kommission als auch den
Ausführungen unserer Kolleginnen und Kollegen sehr
aufmerksam zugehört. Vor allem hat mich das Problem
im Zusammenhang mit der Erweiterung betroffen
gemacht.
Ich bin äußerst zufrieden mit dem Ausgang des irischen
Referendums und bin davon überzeugt, dass es dieses
Parlament war, das die Bedingungen geschaffen hat,
dank deren die Iren ihre Haltung revidiert haben. Vor
allem
beeindruckt
mich
das
Wirken
von
Kommissionspräsident Prodi, der uns heute Morgen in
seiner Rede eine wichtige und notwendige
Voraussetzung genannt hat, wonach die Union ihr NordSüd-Verhältnis verbessern muss.
Speziell über diese Fragen möchte ich sprechen,
insbesondere über das Problem des Südens. Wenn ich
höre, wie mit den Strukturfonds verfahren werden soll,
wenn wir – wie ich es verstanden habe – 231 Euro pro
Kopf an die Bürger der Kohäsionsländer und 137 Euro
pro Kopf an die Bürger der neuen Mitgliedstaaten
verteilen, dann sind wir uns dessen nicht bewusst, dass
es zu Verwerfungen kommt, über die ich bereits mit
Kommissionspräsident Prodi gesprochen habe und über
die das Europäische Parlament nachdenken sollte.
Welche Folgen wird die Erweiterung für den Süden
unseres Europas haben? Wenn ich an mein Heimatland
Italien denke, so haben wir in unserem Süden eine
Belder (EDD). – (NL) Herr Präsident! Die Erweiterung
um zehn neue Mitgliedstaaten stellt die EU vor
erhebliche Schwierigkeiten. Viele der Kandidatenländer
müssen noch beträchtliche Anstrengungen unternehmen,
um 2004 für den Betritt ordentlich gerüstet zu sein.
Sodann erhebt sich die Frage, ob die EU mit so vielen
neuen Mitgliedern nicht ohnehin unregierbar wird.
Schon die notwendige Anpassung der Agrarpolitik und
der Strukturfonds stellt die heutigen Mitgliedstaaten vor
schier unüberwindbare Probleme. Welche Möglichkeiten
haben
die
Beitrittskandidaten,
dem
acquis
communautaire tatsächlich zu entsprechen?
Diese Probleme dürfen nicht so ohne weiteres zur Seite
geschoben werden. Auffallend ist allerdings, wie
einseitig die Diskussion oftmals geführt wird. Das
Argument, dass „Nichterweiterung“ oder „spätere
Erweiterung“ auch ihren Preis haben, hört man selten.
Ebenso
wenig
vernimmt
man,
dass
die
Beitrittskandidaten bereits beträchtliche Opfer erbracht
haben. Bei der Erweiterung geht es nicht darum, eine
Reihe technischer Anforderungen zu erfüllen, sondern
um
einen
Akt
der
Solidarität,
des
Geschichtsbewusstseins, der von strategischer und
wirtschaftlicher Bedeutung ist. Sie ist ein Prozess, der im
jetzigen Stadium nicht ohne schweren Schaden geändert
oder abgebrochen werden kann.
Deshalb ist zu hoffen, der Rat möge rasch zu einer
Vereinbarung über das Finanzpaket, die GAP und die
institutionellen Themen gelangen können. Insbesondere
im institutionellen Bereich gilt es, eine neue
Machtpolitik der großen gegenüber den kleinen
Mitgliedstaaten zu verhindern.
Angesichts der beträchtlichen Leistungen, die von den
Bewerberländern noch zu erbringen sind, lassen sich die
von der Kommission vorgeschlagenen Schutzklauseln
nicht vermeiden. Die Kommission muss umgehend
präzise und strikte Legislativvorschläge zur konkreten
Anwendung dieser Schutzklauseln unterbreiten. Die
Anwendungszeit sollte von zwei auf drei oder vier Jahre
verlängert werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob
die Kommission diese heiklen Instrumente nötigenfalls
tatsächlich einsetzen wird. Ihre heutige Haltung zu dem
ebenfalls so „strikten“ Stabilitätspakt verspricht
diesbezüglich nicht viel Gutes. Selbstverständlich ist das
im Moment nicht das richtige Signal an die
beitrittswilligen Länder.
3-055
23/10/2002
Haarder, Ratspräsident. - (DA) Herr Präsident, ich
möchte mich für das wahrhaft Historische an der
Diskussion herzlich bedanken, die meine ehemaligen
Kollegen hier geführt haben, und ich danke auch für das
Engagement,
das
die
Reden
von
Herrn
Kommissionspräsident Prodi und Herrn Verheugen
geprägt hat. Wir können erleben, wie wir jede Woche
dem Ziel ein Stück näher kommen. In der vorletzten
Woche kam die Empfehlung der Kommission, die
gestern in Luxemburg von einer breiten Mehrheit
unterstützt wurde. Letzte Woche haben die Iren das
Erweiterungsprojekt massiv unterstützt. Gestern haben
wir einen gemeinsamen Standpunkt zu Kaliningrad, zu
den Institutionen, zu bestimmten Berechnungsmethoden
und natürlich auch zur Auswahl der Länder erreicht.
Deshalb muss man feststellen, dass nunmehr äußerst
hohe Erwartungen in die Tagung am Donnerstag, Freitag
und vielleicht auch Samstag in Brüssel gesetzt werden,
auf der die finanziellen Aspekte geregelt werden
müssen, wie Herr Kommissar Verheugen sehr deutlich
klar gemacht hat. Die wirtschaftliche Position der
derzeitigen Mitgliedstaaten muss festgelegt werden, um
Zeit für Verhandlungen mit den neuen Mitgliedstaaten
zu gewinnen.
Ich möchte Herrn Poettering, Herrn Brok und vielen
anderen für die vorbehaltlose Unterstützung danken,
welche uns die PPE-Fraktion bei diesem gesamten
Erweiterungsprojekt zukommen lässt. Auch Herrn
Watson und vielen anderen möchte ich für die
Unterstützung in der Frage danken, dass keine neuen
Bedingungen gestellt werden dürfen. Das wurde auch
von Herrn Torben Lund und Herrn Jørgen Andersen
betont. Herr Barón Crespo sagte ganz richtig, dass - wie
bei einer Ehe, die auf Liebe beruhen muss - die
Erweiterung die Unterstützung der Bürger braucht. Viele
haben sich dazu geäußert, und es wäre vielleicht ein
Thema für meine Teilnahme an der Konferenz der
Präsidenten zum Mittagessen. Denn es ist insbesondere
für das Parlament, aber natürlich auch für die
Präsidentschaft und die Europaminister an der Zeit, diese
breite Debatte und die Unterstützung des Projekts durch
die Bürger in die Wege zu leiten.
Andererseits muss ich sagen, dass mich die sehr
schwammigen Redebeiträge von Herrn Sjöstedt, Herrn
Bonde und Herrn Modrow nicht beeindruckt haben. Es
ist gut, dass die irischen Wähler dieser unheiligen
Allianz aus alten Unionsgegnern keine Beachtung
geschenkt haben, die jede sich bietende Gelegenheit zu
dem Versuch nutzt, das europäische Projekt zu bremsen.
Dafür danke ich den irischen Wählern.
Herrn Suominen möchte ich sagen, dass wir in engem
Kontakt zu Litauen und Russland stehen. Gestern hat
uns der Rat ein Mandat für Verhandlungen mit Russland
erteilt, und dieses Mandat respektiert vorbehaltlos die
Souveränität Litauens und sein Recht, sich der
Zusammenarbeit im Rahmen von Schengen gleichzeitig
mit
den
Nachbarländern
anzuschließen.
Die
Präsidentschaft wird am Donnerstag, Freitag und
vielleicht auch Samstag alles tun, um einen
29
gemeinsamen Standpunkt auch in Bezug auf die
finanziellen Aspekte festzulegen, damit es in
Kopenhagen möglich sein wird, die Verhandlungen mit
den neuen Ländern abzuschließen.
Wir werden keine Gelegenheit versäumen, um einen
Kompromiss zu erreichen. Man sollte zwar nicht voreilig
sein, aber wir freuen uns unglaublich über alle bereits
erreichten Fortschritte, die uns Woche für Woche näher
an eine Lösung heranbringen. Nun dürfen wir uns nicht
in kühle finanzielle Berechnungen verrennen, die im
Vergleich zu dem Gewinn, der uns alle durch die
Erweiterung
erwartet,
von
mikroskopischer
Größenordnung sind. Wir dürfen den ganzen Prozess
jetzt nicht dadurch aufhalten, dass wir unsere Energien
für kleine finanzielle Details verschwenden. Vielleicht
sollten wir Parlamentarier und die Regierungen
gegenüber unseren Bürgern stärker betonen, wie gering
die Kosten pro Bürger sind. Wenn wir Freitagabend und
-nacht diskutieren würden, ob 50, 35 oder 75 Cent pro
Bürger zur Verfügung gestellt werden, wie lange würden
wir dafür benötigen? Ein Berichterstatter hat gesagt, die
gesamte Erweiterung würde nur ein Zehntel von dem
kosten, was für die deutsche Wiedervereinigung
ausgegeben wurde. Ein anderer sprach insgesamt von
einem Zehntel Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts
für die gesamte Erweiterung. Wir dürfen die vor uns
stehende historische Aufgabe nicht aufs Spiel setzen..
Mein herzlicher Dank gilt den Berichterstattern, dem
Kommissionspräsidenten und Herrn Kommissar
Verheugen. Danke auch dafür, dass das Parlament heute
wieder bestätigt hat, dass dieser historische Prozess
dynamisch vorangeht.
(Beifall)
3-056
Prodi, Präsident der Kommission. – (IT) Herr Präsident,
Herr Ratspräsident, meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordneten! Ich werde wenige Minuten für
mich beanspruchen, um einige Fragen zu beantworten,
die mir als sehr wichtig erscheinen: Wenige Minuten
nicht zuletzt deswegen, weil ich mit großer Freude die
äußerst breite Zustimmung zum Erweiterungsprozess
festgestellt habe, die wirklich fast das ganze Parlament
in dem politischen Unterfangen, das ich für das bei
Weitem wichtigste meiner gesamten Amtszeit und der
Amtszeit meiner Kommission halte, geeint hat. Nichts
ist menschlich und politisch so bedeutsam wie das, was
wir gegenwärtig tun.
Deshalb möchte ich mit einer kurzen Antwort an Herrn
Modrow beginnen. Herr Modrow, der Appell an den
Willen der Bevölkerung, die Erweiterung zu
unterstützen, mag nicht so erfolgreich gewesen sein, wie
er es hätte sein können, was wohl bei keinem politischen
Prozess der Fall ist, was ich jedoch am
bemerkenswertesten fand, was mich am meisten
beeindruckt hat, war dieses neue Engagement für die
Grundsätze der Demokratie, der Solidarität und der
Achtung der Minderheiten, das die östliche Welt
30
verändert hat. Es war für mich eine einzigartige
Erfahrung, in den Parlamenten dieser Länder die
kontinuierlichen Bemühungen der Parteien zu sehen, die,
selbst wenn sie in anderen Fragen völlig uneins waren,
hinsichtlich der Erweiterung übereinstimmten. Es tut mir
leid, dass wir uns gerade in dieser grundsätzlichen Frage
nicht einig sind.
Die Erweiterung wurde als eine ethische und politische
und nicht nur als eine wirtschaftliche Angelegenheit
empfunden. Obwohl nämlich der wirtschaftliche Aspekt
viel diskutiert wurde, wird dieses erhabene Gefühl, ein
neues Kapitel in unserer Geschichte aufzuschlagen,
dieses großartige Gefühl, Europa vereinigt zu haben – ist
sage bewusst „vereinigt“ und nicht „wiedervereinigt“,
denn Europa war niemals geeint -, außergewöhnlich
stark empfunden. Und wir haben es – auch das
wiederhole ich stets, denn das habe ich in dem Parlament
eines der in Kürze unserer Union beitretenden Länder
gelernt – nach einem anderen Kriterium vereinigt,
weshalb wir auch für kleinere Länder, auch für
Minderheiten attraktiv sind, denn unsere Union ist eine
Union der Minderheiten, eine Union, in der niemand
befiehlt: Darin besteht die neue, absolute Größe
Europas.
Die Abgeordneten Poettering und Barón Crespo haben
zwei wichtige Elemente hervorgehoben: Erstens, dass
der letzte Schritt in Bezug auf den Finanzrahmen
vollzogen werden muss. Es gibt keine Alternative, wir
dürfen dieses großartige historische Projekt nicht wegen
3 Euro pro Kopf aufs Spiel setzen. Es ist klar, dass das
Europäische Parlament und wir als Kommission Druck
machen müssen, damit diese letzten Schritte getan
werden. Zweitens: Es muss vermieden werden, wie Herr
Barón Crespo gesagt hat, dass die Kandidatenländer zu
Nettozahlern werden. Ein Mindestmaß an Solidarität
muss auch in rein formalen Angelegenheiten unter
Beweis gestellt werden. Ich sage es noch einmal,
machen wir die Rechnung auf: Wie in dem letzten
Redebeitrag gesagt worden ist, geht es um wenige Euro
pro Kopf, das ist kein großer Kraftaufwand. Ich habe
vorhin den Betrag genannt, den die Mitgliedstaaten für
das Kapitel Kohäsion im Vergleich zu den neuen
Mitgliedstaaten erhalten: Dieser Unterschied ist zu
erklären – das Leben ist schwierig, und unsere
Haushaltsmittel sind begrenzt -, doch er befriedigt uns
keineswegs,
er
befriedigt
nicht
unser
Solidaritätsempfinden.
Dasselbe Solidaritätsempfinden müssen wir uns im
Übrigen auch, wie Herr Bigliardo gefordert hat, für die
Zukunft bewahren, für die unter Ziel 1 fallenden
Regionen. Das war unser Bestreben, indem wir eben
keine rein mathematische Rechnung im Hinblick auf den
Beitritt der neuen Mitgliedstaaten angestellt haben,
sondern das Problem einmal mehr mit politischem
Verantwortungsbewusstsein und Vernunft gelöst haben.
Meine letzte Bemerkung betrifft die Probleme der
Information und der Zufriedenheit der Bürger – Fragen,
die von Frau Maij-Weggen und Frau Maes aufgeworfen
wurden. Wir müssen
größere Anstrengungen
23/10/2002
unternehmen, um unsere Bürger, die Bürger der
Mitgliedstaaten zu beruhigen. Frau Maes hat auch einige
spezifische Themen wie Erweiterung und Armut,
Minderheiten und Wirtschaftskrise vertieft. Ich muss Sie
darauf hinweisen, dass die Kommission bereits Anfang
2000 eine Kommunikationsstrategie auf den Weg
gebracht hat: Sämtliche bis heute eingegangenen Fragen
und Antworten wurden in allen Sprachen in das Internet
gestellt. Für diese Kampagne, für 28 Länder haben wir
150 Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren
vorgesehen: einen bescheidenen Betrag also, der uns
zwingt, auf den direkten Einsatz der großen
Massenkommunikationsmittel zu verzichten, weil das
unser Haushalt nicht erlaubt. Wir führen diese
Informationskampagne in Zusammenarbeit mit den
Mitgliedstaaten durch und nutzen dabei vor allem die
Strukturen der Zivilgesellschaft, die wir im Dienste
unserer Aktion unterstützen. Diese Kampagne kann
jedoch nicht die erhofften Wirkungen bringen, wenn die
politischen Führer der Mitgliedstaaten nicht dabei
mithelfen, eine Debatte über diese Probleme in die Wege
zu leiten, worauf Herr Rovsing in seinen Ausführungen
zu diesem Thema hingewiesen hat. Es ist also klar, dass
ich mehr Mittel für die Kampagnen der Mitgliedstaaten
fordere, und vielleicht könnten einige der für 2004 und
2005 vorgesehenen Ressourcen auf 2003, das Jahr, in
dem der Höhepunkt erreicht wird, vorgezogen werden.
Ich muss jedoch sagen – und bitte das Parlament dafür
um Entschuldigung -, dass ich heute Morgen die neuen
Angaben aus dem Eurobarometer erhalten habe, die auch
erst heute Morgen veröffentlicht wurden, und dass sie
wesentlich besser als die von mir vor wenigen Stunden
genannten sind. Üblicherweise tritt man vor das
Europäische Parlament mit besseren Angaben als es sich
gebührt; in diesem Fall bin ich mit weniger
ermutigenden Angaben gekommen. Diese Daten lassen
einen radikalen Wandel erkennen, der aus der Tatsache
resultiert, dass darüber diskutiert wurde, dass die Presse
das Problem auf die Titelseiten gebracht hat und
demnach
beispielsweise
68 %
der
deutschen
Bevölkerung und in Frankreich, dem Land, in dem die
Euroskepsis am stärksten verbreitet ist, sogar 72 % der
Bevölkerung für die Erweiterung sind. Das deutet darauf
hin, dass, wenn es dann ernst wird und zwischen „Ja“
oder „Nein“ entschieden werden muss, man sich in den
Ländern offenbar im Klaren ist, vor einer historischen
Entscheidung zu stehen, und in der Bevölkerung ein sehr
hohes Verantwortungsbewusstsein besteht. Ich sage es
noch einmal, wir werden diese Daten besser analysieren,
denn sie wurden mir in diesem Augenblick nur auf
einem losen Blatt überreicht, und ich möchte mir nicht
nachsagen lassen, unpräzise gewesen zu sein;
gleichwohl
zeigen
sie,
dass
das
Verantwortungsbewusstsein
der
Bevölkerung
insbesondere dann gestärkt wird, wenn sie vor wichtige
Ereignisse gestellt wird. Deshalb glaube ich, bei allen
Vorbehalten in Bezug auf eine Angabe, die mich auf
einem Notizzettel erreicht, dass dies wirklich ein
positives Zeichen sein dürfte, weil es bedeutet, dass wir
den Lauf der Geschichte ändern und dabei von den
Bürgern unterstützt werden. Und dafür möchte ich dem
Europäischen Parlament, den gesellschaftlichen Kräften,
23/10/2002
den großen Politikern, die unmittelbar nach dem Fall der
Berliner Mauer und bisweilen auch im Vorgriff auf die
Realität und die Ereignisse in uns diesen Wunsch nach
einem vereinigten Europa weckten, meinen tief
empfundenen und direkten Dank aussprechen.
Abschließend, unter Hinweis auf die Anregungen, die
uns in Bezug auf einige unserer Nachbarländer wie die
Ukraine gegeben wurden, ist klar, dass wir nun den
großen Auftrag haben, diese Erweiterung zu vollenden,
doch werden wir auch die Debatte über die Grenzen,
über die Wurzeln Europas, über all diese Themen
einleiten müssen. Ich erinnere mich, dass ich in der
ersten Sitzung, in der ich hier vor Ihnen erschien,
darüber gesprochen habe. Gewiss muss diese Debatte
weder heute noch morgen geführt werden, doch die
Erweiterung konfrontiert uns ganz klar mit unserer
Identität, unseren Wurzeln, unsere Geschichte, und
somit auch mit unserer Zukunft.
(Beifall)
3-057
Verheugen, Kommission. - Herr Präsident! Ich möchte
nur kurz die Fragen beantworten, die direkt an mich
gestellt worden sind. Zunächst noch einmal zu der Frage
der in den regelmäßigen Berichten festgestellten
Schwächen. Ich will noch einmal sehr deutlich sagen:
Wir haben ja den Auftrag, regelmäßige Berichte nur
über die künftigen Mitgliedstaaten zu schreiben. Ich
weiß nicht, was herauskommen würde, wenn wir mit
denselben Maßstäben und denselben Instrumenten
regelmäßige Berichte über die Mitgliedstaaten schreiben
würden. Glauben Sie, wir kämen dann zu dem Ergebnis,
dass es nirgendwo Korruption gibt? Glauben Sie, wir
kämen zu dem Ergebnis, dass Privatisierungsprozesse
überall transparent sind? Glauben Sie, wir kämen zu
dem Ergebnis, dass es kein Problem der Auswirkung
von Medienkonzentrationen auf die Meinungsfreiheit
gibt? Oder glauben Sie, ich könnte Ihnen nicht in jeder
beliebigen Großstadt eines Mitgliedslandes ein Viertel
zeigen, in dem die Menschen in derselben sozialen
Deklassierung leben wie in einer Roma-Siedlung in der
Slowakei, in Bulgarien oder in Rumänien? Ich meine
nur, es besteht kein Grund zur Überheblichkeit auf
unserer Seite, wenn wir die gesellschaftliche Realität bei
uns betrachten.
Nur weil es keine Fortschrittsberichte über die
Mitgliedstaaten gibt, bedeutet das noch lange nicht, dass
sie in allen Dingen wesentlich besser sein müssten, als
die Länder, die jetzt beitreten wollen. Ein bisschen auf
dem Teppich bleiben sollte man bei dieser Frage schon
und die Dinge gerecht beurteilen. Ich glaube auch nicht,
dass es möglich wäre, dass ein Mitglied der Kommission
den Regierungschef eines Mitgliedstaats auffordern
kann, mit ihm zusammen die übelsten gesellschaftlichen
und sozialen Brennpunkte aufzusuchen und öffentlich
vor den Kameras seines Landes zu erklären, dass er sich
dieser Zustände schämt und dass er sie beseitigen wird.
Ob sich irgendein Regierungschef eines Mitgliedstaats
findet, der das mit mir machen würde, da habe ich große
Zweifel.
31
(Beifall)
Was das Monitoring der safeguards angeht: Die
Monitoring-Instrumente sind ja vielfältig, und sie
werden ja alle weiter angewandt. Das Entscheidende ist
natürlich der abschließende Monitoring Bericht sechs
Monate vor dem Beitritt. Der politische Druck allein
durch diesen Bericht wird so stark sein, dass wir
wirklich mit Sicherheit davon ausgehen können, dass bis
dahin noch vorhandene Defizite ausgeräumt werden.
Bei den safeguards ist es so: Ich habe sowohl dem Rat
als auch in der vergangenen Woche schon der
niederländischen Regierung gesagt, dass das neue
safeguard-Instrument, das wir vorschlagen, in seiner
Dauer begrenzt sein muss. Irgendwann müssen ja die
normalen Instrumente des Vertrags wieder greifen und
nicht Ausnahmebestimmungen. Der Zeitraum von zwei
Jahren, den die Kommission vorgeschlagen hat, schöpft
jedoch die Möglichkeiten, die es rechtlich gibt, noch
nicht vollständig aus. Ich habe das etwas kompliziert
ausgedrückt, mit anderen Worten: Hier ist noch ein
gewisser Spielraum vorhanden, was die zeitliche Dauer
angeht, und die Kommission hat nichts dagegen, wenn
der Rat diesen Spielraum auch ausnützt.
Ich möchte aber sehr entschieden sagen, dass das ganze
Instrument nichts nützt, wenn es um komplizierte
Prozeduren gehen muss, und wir etwa einstimmige
Ratsbeschlüsse brauchen, um es anwenden zu können.
Dann können wir es vergessen.
(Beifall)
Dann brauchen wir es nicht. Um es ganz klar zu sagen:
Es geht ja gerade darum, etwas zu haben, wo wir
kleinere Probleme ganz schnell angehen können und
nicht immer gleich das große Instrument des
Vertragsverletzungsverfahrens in Gang setzen müssen.
Wenn also irgendwo in einem Land ein Schlachthof
unter dem Standard produziert, dann müssen wir in der
Lage sein, ihn am nächsten Tag zu schließen. Am
nächsten Tag und nicht erst, nachdem der Rat einen
einstimmigen Beschluss dazu gefasst hat! Es geht um
solche ganz einfachen und praktischen Fragen, und die
Bürgerinnen und Bürger Europas werden nicht beruhigt
sein, wenn sie hören müssen, dass so ein Instrument nur
angewandt werden kann, wenn es durch eine
monatelange Prozedur gegangen ist. Das möchte ich sehr
deutlich sagen: Es nützt nur dann etwas, wenn es schnell
und entschlossen angewandt werden kann.
Was die Reichweite angeht: Der Begriff Binnenmarkt
bezieht sich auf alles, was grenzüberschreitende
wirtschaftliche Wirkungen hat, bzw. auf alles, was
Auswirkungen auf den Wettbewerb hat. Ich habe
Zweifel - die Frau Abgeordnete hat ja die Frage gestellt,
ob man nicht auch Umwelt- und Sozialfragen hier
einbeziehen könnte -, wie das zu begründen wäre. Wenn
wir sehen, dass irgendwo der Umwelt-acquis nicht
vollständig umgesetzt wird, dann weiß ich nicht, warum
wir dann in Kandidatenländern das Instrument einer
32
23/10/2002
Schnellverfügung haben sollen und in den
Mitgliedstaaten
auf
das
normale
Vertragsverletzungsverfahren angewiesen sein sollen.
Wir
haben
jetzt
bereits
Tausende
von
Vertragsverletzungsverfahren in jedem Jahr. Es ist also
nicht so, dass das Problem der Nichtumsetzung des
acquis in der heutigen EU nicht bestünde. Da hätte ich
also Schwierigkeiten, ich denke, dass wir dieses
Instrument tatsächlich auf den Binnenmarkt beschränken
sollten. Im Übrigen bestehen ja Schutzklauseln in allen
möglichen Politikbereichen der Europäischen Union,
z. B. bei Lebensmittelsicherheit. Diese bestehenden
Schutzklauseln bestehen ja weiter und werden
selbstverständlich auch angewandt.
Eine letzte kurze Bemerkung noch zu Kaliningrad. Was
mich bei der ganzen Diskussion sehr besorgt macht, ist
die Tatsache, dass die russische Seite bisher nicht bereit
gewesen ist, über das wirkliche Problem zu reden. Ich
halte die Frage von Zugang, Visa und Transit nicht für
das wirkliche Problem und stimme vollständig dem zu,
was Herr Brok oder auch andere gesagt haben: Wenn
man sich die Zustände an dieser Grenze ansieht, kann
man eigentlich nicht glauben, dass es wirklich darum
geht, den Zugang zu erleichtern. Ich denke, das
wirkliche Problem besteht darin, eine Politik zu
betreiben, die verhindert, dass Kaliningrad in einer sich
sehr schnell entwickelnden Region - und diese Region
wird sich sehr schnell entwickeln - sozial und
ökonomisch
zurückbleibt,
woraus
sich
dann
notwendigerweise wirtschaftliche und letztlich auch
politische Spannungen entwickeln müssen. Wie
politische Spannungen sich in einer solchen
geographischen Situation entladen können, dazu reicht
die Phantasie eines jeden hier in diesem Saale aus.
Genau das muss verhindert werden, indem wir mit
Russland einen Dialog darüber führen, wie wir
Kaliningrad an den Vorteilen teilhaben lassen, die die
europäische Integration im ganzen baltischen Raum
bietet. Ich hoffe, dass, wenn die leidige Visa- und
Transitfrage in einigen Tagen geregelt sein wird - was
ich glaube -, dann der Weg frei ist, diese für die Zukunft
Europas so wichtige andere Frage auch zu besprechen.
(Beifall)
3-058
Der Präsident. – Vielen Dank, Herr Kommissar!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die wirklich sehr
wichtige
und
interessante
Aussprache
zum
bevorstehenden Europäischen Rat ist geschlossen.
Villiers (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, ich habe eine
Bemerkung zur Geschäftsordnung. Sie wissen sicher,
dass mehrere Mitglieder nicht an der gestrigen
Abstimmung teilnehmen konnten, weil die Flüge vom
Flughafen Gatwick aus sieben Stunden Verspätung
hatten. Sie selbst waren vermutlich ebenfalls von den
gravierenden Problemen betroffen, mit denen viele
Mitglieder bei ihrer Anreise nach Straßburg konfrontiert
waren.
Sind Sie angesichts der bevorstehenden Erweiterung der
Überzeugung, dass das Parlament hier in Straßburg
ausreichend für die Anforderungen gerüstet ist, die sich
aus der Erweiterung ergeben werden, wenn Sie sehen,
wie problematisch es für die Mitglieder und Mitarbeiter
des Parlaments ist, von einem der größten Flughäfen
Europas aus nach Straßburg zu kommen? Glauben Sie,
dass die Mitglieder und Mitarbeiter des Parlaments aus
den Teilen Europas, in denen die Verkehrsverbindungen
weniger gut sind, nach Straßburg anreisen können?
Ist es nicht an der Zeit, dass Sie sich der wachsenden
Zahl derer anschließen, die der Auffassung sind, dass
Straßburg ein ineffizienter und ungeeigneter Ort für ein
Parlament dieser Größe ist? Ich fordere Sie auf, eine
dringliche Untersuchung dieser Fragen zu veranlassen.
(Unterschiedliche Reaktionen)
3-061
Der Präsident. – Ich möchte nicht riskieren, dass mir
dieses Thema heute vor dem Mittagessen auf den Magen
schlägt. Gestern hatte ich die Ehre, eine Besuchergruppe
Ihrer Kollegin, Frau Kauppi, aus Lappland hier
willkommen zu heißen. Die Präsidentin von Lappland
berichtete, wie einfach es gewesen sei, von Lappland aus
nach Straßburg zu kommen. Sie war sehr erfreut
darüber, dass die Reise hierher so schnell ging. Ich selbst
habe die von Ihnen erwähnten Probleme allerdings auch
am eigenen Leibe zu spüren bekommen.
(Heiterkeit und Beifall)
Gestern habe ich erneut an die verantwortlichen Stellen
der betreffenden Fluggesellschaften geschrieben, um
mich, wie ich hoffe, nicht vergeblich, über die von Ihnen
erwähnten Probleme zu beschweren und zum Ausdruck
zu bringen, dass diese Vorgehensweise völlig
inakzeptabel ist. Dies gilt insbesondere für die
Verbindungen nach Straßburg, einer internationalen
Stadt.
3-062
Die Sitzung
unterbrochen.2
wird
bis
zur
3-063
Der Präsident. – Wir kommen nun zur Abstimmung.
3-059
VORSITZ: PATRICK COX
Präsident
3-060
2
Abstimmungen
Abstimmungsstunde
(Die Sitzung wird um 11.50 Uhr unterbrochen und um 12.00 Uhr
wieder aufgenommen.)
Verehrte Kollegen, wenn Sie Gurte an Ihren Sitzen
hätten, würde ich Sie jetzt auffordern, sich
anzuschnallen, denn wir werden nun über 517
Änderungsanträge abstimmen und 25 gesonderte sowie
56 namentliche Abstimmung durchführen.
23/10/2002
33
Empfehlung für die Zweite Lesung (A5-0347/2002)
des Ausschusses für Regionalpolitik, Verkehr und
Fremdenverkehr betreffend den Gemeinsamen
Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des
Rates über die Meldung von Ereignissen in der
Zivilluftfahrt (8133/1/2002 – C5-0312/2002 –
2000/0343(COD)) (Berichterstatter: Herr Collins)
(Das Parlament nimmt den Text an.)
***
Bericht (A5-0326/2002) von Herrn Perez Alvarez im
Namen des Ausschusses für Beschäftigung und
soziale Angelegenheiten über den Vorschlag für eine
Empfehlung des Rates zur Anwendung der
Rechtsvorschriften
über
Sicherheit
und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz auf Selbständige
(KOM(2002) 166 – C5-0235/2002 – 2002/0079(CNS))
(Das Parlament nimmt den Text an.)
***
Bericht (A5-0310/2002) von Herrn Hughes im Namen
des Ausschusses für Beschäftigung und soziale
Angelegenheiten
über
die
Mitteilung
der
Kommission: Anpassung an den Wandel von
Arbeitswelt
und
Gesellschaft:
eine
neue
Gemeinschaftsstrategie
für
Gesundheit
und
Sicherheit am Arbeitsplatz 2002-2006 (KOM(2002)
118 – C5-0261/2002 – 2002/2124(COS))
Vor der Abstimmung:
3-064
Hughes (PSE). – (EN) Herr Präsident, einige Mitglieder
werden sich fragen, ob ich als Berichterstatter eine
Rücküberweisung an den Ausschuss erreichen möchte.
Im Ausschuss bestand Besorgnis darüber, dass das
Strategiedokument der Kommission keine klaren
Aussagen über die Maßnahmen enthält, die im Bereich
der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz getroffen
werden sollten.
Ich kann dem Haus nun berichten, dass mir bei einem
Treffen mit Frau Diamantopoulou gestern und während
der Aussprache gestern Abend zugesichert wurde, dass
sie selbst im Ausschuss für Beschäftigung und soziale
Angelegenheiten die vorgesehenen Maßnahmen
ausführlich erläutern wird und dass jedes Jahr ein
Bericht vorgelegt werden soll, um die Überwachung der
Fortschritte durch den Ausschuss zu erleichtern. Auf
dieser Grundlage habe ich den Koordinatoren des
Ausschusses in einer Sitzung heute Morgen empfohlen,
die Abstimmung über den Bericht durchzuführen und
auf einen Antrag auf Rücküberweisung an den
Ausschuss zu verzichten. Die Koordinatoren haben
meinem Vorschlag zugestimmt, und daher empfehle ich,
dass wir mit der Abstimmung fortfahren.
3-065
(Das Parlament nimmt den Text an.)
***
Bericht (A5-0329/2002) von Herrn Brok im Namen
des Ausschusses für konstitutionelle Fragen über eine
Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem
Europäischen Parlament und dem Rat über den
Zugang des Europäischen Parlaments zu sensiblen
Informationen des Rates im Bereich der Sicherheitsund Verteidigungspolitik und über Änderungen der
Bestimmungen
der
Geschäftsordnung
(2002/2130(ACI))
Vor der Abstimmung:
3-066
Hautala (Verts/ALE). – (FI) Herr Präsident! Ich
möchte auf eine Frage zurückkommen, zu der ich mich
in der gestrigen Debatte geäußert habe. Eigentlich hat
mich Vizepräsident Imbeni aufgefordert, sie jetzt, wenn
wir über den Bericht Brok abstimmen, erneut
anzusprechen. Ich möchte die Kollegen darauf
aufmerksam machen, dass wir über das Recht des
Parlaments abstimmen, im Rahmen der Vereinbarung
über geheime Dokumente der Sicherheitspolitik auch die
Zustimmung des Präsidiums des Parlaments zu inneren
Sicherheitsmaßnahmen zu erhalten. In diesen
Sicherheitsmaßnahmen gibt es äußerst problematische
Punkte. Beispielweise müssen die Abgeordneten, die zur
Prüfung Einsicht in geheime Dokumente nehmen, von
den nationalen Sicherheitsdiensten als vertrauenswürdig
eingestuft werden.
Herr Präsident! Da Sie für diese Regelungen persönlich
verantwortlich sind, möchte ich Sie fragen, aus welchem
Grund zu diesen Sicherheitsmaßnahmen im Parlament
keine Debatte im Zusammenhang mit dem Bericht Brok
geführt wurde und in welcher Form eine solche Prüfung
durchgeführt werden soll. Meiner Ansicht nach ist das
schon ein Skandal, dass zu einer Frage wie dieser ohne
Debatte eine Abstimmung ganz insgeheim erfolgen soll.
3-067
Der Präsident. – Vom Präsidium wurde ein Vorschlag
eingereicht, der im Plenum zur Abstimmung gestellt
werden soll. Dieser Vorschlag ist in der heutigen
Abstimmungsliste aufgeführt. Er ergibt sich aus der
Debatte, die seit geraumer Zeit im Parlament über den
Zugang zu sensiblen Dokumenten geführt wird. Der
Vorschlag spiegelt außerdem die in einem früheren
Bericht erhobene Forderung des Parlaments an das
Präsidium wider, einen Vorschlag zu erarbeiten und im
Plenum zur Abstimmung zu stellen. Somit wurde dieser
Vorschlag des Präsidiums auf der Grundlage der
Debatten und Abstimmungen im Parlament eingereicht.
Vor einiger Zeit fand im Präsidium eine Diskussion über
diesen Vorschlag statt. Der Vorschlag wurde der
Konferenz der Präsidenten mehr als einmal vom
Berichterstatter, Herrn Brok, vorgelegt. Alle Fraktionen,
einschließlich Ihrer eigenen Fraktion, sind im Präsidium
und in der Konferenz der Präsidenten vertreten. Daher
dürfte es Sie nicht überraschen, dass dieser Vorschlag
heute zur Abstimmung gestellt wird. Es wurden keine
34
23/10/2002
Einwände erhoben, als dieser Punkt in die Tagesordnung
aufgenommen wurde.
Ich nehme Ihre Wortmeldung von gestern Abend und
Ihren soeben erfolgten Hinweis zur Kenntnis. Ich kann
Ihnen versichern, dass dieses Thema sehr sorgfältig
geprüft und den zuständigen Stellen im Haus schon vor
einiger Zeit vorgelegt worden ist. Dies ist kein Versuch,
die Kollegen in letzter Minute zu überrumpeln. Sie
können sicher sein, dass darüber in zahlreichen
Sitzungen des Präsidiums und der Konferenz der
Präsidenten ausführliche Debatten geführt und
sorgfältige Überlegungen angestellt wurden.
Bericht (A5-0330/2002) von Frau Rosemarie Müller
im Namen des Ausschusses für Umweltfragen,
Volksgesundheit und Verbraucherpolitik über den
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Festlegung von
Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung,
Überwachung und Pharmakovigilanz von Humanund Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer
Europäischen Agentur für die Beurteilung von
Arzneimitteln (KOM(2001) 404 – C5-0591/2001 –
2001/0252(COD))
(Das Parlament nimmt die legislative Entschließung an.)
(Das Parlament nimmt den Beschluss an.)
***
Vorschlag für einen Beschluss (B5-0526/2002),
eingereicht vom Präsidium gemäß Anlage VII
Absatz 1 der Geschäftsordnung zur Umsetzung der
Interinstitutionellen Vereinbarung über den Zugang
des Europäischen Parlaments zu sensiblen
Informationen des Rates im Bereich der Sicherheitsund Verteidigungspolitik
***
Bericht (A5-340/2002) von Frau Grossetete im
Namen des Ausschusses für Umweltfragen,
Volksgesundheit und Verbraucherpolitik über den
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Änderung der
Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines
Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel
(KOM(2001) 404 – C5-0592/2001 – 2001/0253(COD))
(Das Parlament nimmt die legislative Entschließung an.)
(Das Parlament nimmt den Beschluss an.)
***
***
Bericht (A5-0308/2002) von Herrn Hans-Peter
Martin
im
Namen
des
Ausschusses
für
konstitutionelle Fragen über Änderungen der
Bestimmungen der Geschäftsordnung betreffend
Entlastungsverfahren (2001/2060/(REG))
Vor der Abstimmung:
3-068
Corbett (PSE). – (EN) Herr Präsident, um dem
ausdrücklichen Wunsch einiger Mitglieder der PPE/DEFraktion Rechnung zu tragen, zieht meine Fraktion ihren
Antrag auf eine gesonderte Abstimmung über
Änderungsantrag 3 zurück. Damit haben Sie die
Möglichkeit, eine Blockabstimmung über alle
vorliegenden Änderungsanträge durchzuführen.
3-069
Bourlanges (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, ich
möchte lediglich der sozialdemokratischen Fraktion für
ihr Entgegenkommen danken. Ich glaube, wir haben
einen Kompromiss gefunden, der ein Ganzes darstellt,
doch mit dem einige PPE-Mitglieder nicht ganz
zufrieden sind. Aber meines Erachtens müssen wir nun
zu einer Entscheidung kommen. Ich fordere also die
Mitglieder meiner Fraktion dazu auf, den hier erzielten
Kompromiss entschlossen mitzutragen.
3-070
(Das Parlament nimmt den Entschließungsantrag an.)
***
Bericht (A5-334/2002) von Frau Grossetete im
Namen des Ausschusses für Umweltfragen,
Volksgesundheit und Verbraucherpolitik über den
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Änderung der
Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines
Gemeinschaftskodexes
für
Tierarzneimittel
(KOM(2001) 404 – C5-0593/2001 – 2001/0254(COD))
(Das Parlament nimmt die legislative Entschließung an.)
***
Bericht (A5-0325/2002) von Herrn van Hulten im
Namen des Ausschusses für Haushaltskontrolle über
den Vorschlag für eine Verordnung der Kommission
mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung
(EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates über die
Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der
Europäischen Gemeinschaften (SEK(2002) 835 – C50399/2002 – 2002/0901(CNS))
(Das Parlament nimmt die legislative Entschließung an.)
***
Bericht (A5-0332/2002) von Herrn Duff im Namen
des Ausschusses für konstitutionelle Fragen über die
Wirkung der Grundrechtecharta der Europäischen
Union und ihren künftigen Status (2002/2139(INI))
Vor der Abstimmung:
3-071
23/10/2002
35
Berès (PSE). – (FR) Herr Präsident, angesichts dieser
bereits fortgeschrittenen Abstimmungsstunde ist es
ärgerlich, Ihnen sagen zu müssen, dass unser Parlament
nicht in der Lage ist, die von ihm selbst getroffenen
Entscheidungen umzusetzen.
Wir haben beschlossen, die Charta der Grundrechte ins
Zentrum unserer Bemühungen zu stellen. Ich musste
dem Ausschuss für konstitutionelle Fragen, dem Hüter
über unsere Geschäftsordnung, einige sprachliche
Änderungsanträge vorlegen, die in einem Erratum
berücksichtigt
werden
sollten.
Einige
dieser
Änderungsanträge sind meines Erachtens nicht wirklich
sprachlicher Art, da sie das Portugiesische, das
Italienische, das Französische und das Griechische
betreffen. Es handelt sich darum, die Formulierung
„droits de l‘homme“ durch „droits de la personne“ zu
ersetzen. Zu meinem großen Bedauern ist dieser so
genannte sprachliche Änderungsantrag in dem
erwähnten Erratum nicht berücksichtig worden.
Ich weiß, dass Sie in der Konferenz der Präsidenten den
Juristischen Dienst angerufen haben, damit er uns
darüber Auskunft gibt, welcher Ausdruck in diesem
Haus verwendet werden soll. Ich hoffe, dieses Plenum
kann selbst darüber entscheiden, dass die Charta in
diesem Haus zur Grundregel gemacht wird.
(Beifall)
3-072
Der Präsident. – (FR) Frau Berès, ich werde diese
Frage und die Stellungnahme unseres Juristischen
Dienstes in der Konferenz der Präsidenten zur Sprache
bringen, so dass jede Fraktion ihre Meinung zum
Ausdruck bringen.
kommerziellen und finanziellen Interessen der
Fluggesellschaften? Wir brauchen im Gegenteil
größtmögliche Transparenz und in erster Linie
vollständige Transparenz gegenüber der Bevölkerung,
denn nur so kann die gesamte Kette der
Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit den hier
diskutierten „Ereignissen“ aufgedeckt werden. Diese
Kette der Verantwortlichkeiten muss bis ganz oben
zurückverfolgt werden können, das heißt, bis zu den
direkten und in letzter Instanz Verantwortlichen, also bis
zu den Fluggesellschaften und den Flughafenbetreibern.
Daher enthalten wir uns bei der Abstimmung über diesen
Bericht.
3-076
Marques (PPE-DE), schriftlich. – (PT) Im Einklang mit
den Gemeinschaftsinstrumenten, die vor kurzem zur
Verbesserung der Sicherheit in der Zivilluftfahrt
angenommen wurden, zielt der Vorschlag für eine
Richtlinie des Parlaments und des Rates über die
Meldung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt darauf ab,
dass jede Situation gemeldet wird, die eine Gefahr für
ein Flugzeug bzw. seine Insassen bedeutet. Dank der
erfassten Daten wird der Informationsaustausch
erleichtert, so dass Lehren zur Verhütung von Unfällen
gezogen werden.
Ich beglückwünsche den Kollegen Collins zu dem
ausgezeichneten Bericht, den er zu diesem Thema
erarbeitet hat und den ich uneingeschränkt unterstütze,
insbesondere in der Frage der Vertraulichkeit der
obligatorischen Meldung von Ereignissen, dem einzigen
Weg um sicherzustellen, dass ein menschlicher Fehler
bei einem potenziellen Flugzeugunglück offen gelegt
wird, was – im Gegensatz beispielsweise zu technischen
Fehlern – selten unaufgefordert geschieht.
3-073
(Das Parlament nimmt den Entschließungsantrag an.)
Die Abstimmung ist geschlossen.
***
Erklärungen zu den Abstimmungen
Ich möchte ferner die Notwendigkeit hervorheben, die
Einrichtung von Meldesystemen auf regionaler Basis zu
fördern, die dem integrierten Netz der nationalen
Systeme zur Meldung von Ereignissen angeschlossen
würden, so dass eine ganze Region Informationen über
bestimmte Sachlagen erhalten kann.
3-077
3-074
- Bericht Collins (A5-0347/2002)
3-075
Bordes, Cauquil und Laguiller (GUE/NGL),
schriftlich. – (FR) Es wäre wohl das Geringste, dass die
Mitgliedstaaten der Europäischen Union über
„Ereignisse“ (Zwischenfälle, Beinaheunfälle usw.) in der
europäischen Zivilluftfahrt informiert werden, was
derzeit jedoch nicht der Fall ist. Dieser Bericht
befürwortet nun zwar, dass diese Ereignisse erfasst und
an die Staaten weitergeleitet werden, aber gleichzeitig
wird gefordert, dass die „Vertraulichkeit“ der
diesbezüglichen Informationen gewahrt werden muss.
Aber wozu soll diese Vertraulichkeit denn dienen, wenn
nicht zur Verschleierung der Tatsachen gegenüber den
Flughafenanwohnern, den Passagieren und den im
Flugverkehr tätigen Mitarbeitern sowie zur Wahrung der
Ribeiro e Castro (UEN), schriftlich. – (PT) Die
Schaffung von Systemen zur Verbreitung von
Informationen aus den Meldesystemen verschiedener
Zivilluftfahrtbehörden wird alle interessierten Akteure in
die Lage versetzen, aus ihren Fehlern zu lernen und ein
für alle Nutzer der Luftfahrt sicheres System zu
entwickeln. Diese Richtlinie ist insofern überaus
bedeutsam, als sie die Effektivität des Systems zur
Meldung von Ereignissen deutlich verbessern wird.
Ebenfalls zu begrüßen ist, dass der Rat eine große
Anzahl der in der ersten Lesung vorgeschlagenen
Änderungen in seine Gemeinsame Stellungnahme
aufgenommen hat. Dennoch gibt es nach wie vor
Differenzen,
wobei ich die Positionen des
Berichterstatters unterstütze, die im Übrigen auch vom
Fachausschuss getragen werden: Einerseits müssen die
Mitgliedstaaten rechtliche Maßnahmen ergreifen
können, wenn das gemeldete Ereignis aus einer groben
36
Fahrlässigkeit resultiert; andererseits ist der Inhalt von
Artikel 9 zur vertraulichen Meldung in der
ursprünglichen, von der Kommission vorgeschlagenen
Fassung beizubehalten, denn die „Entpersonalisierung“
der Meldungen ist häufig entscheidend, um die Faktoren
besser zu verstehen, die bei einem Flugzeugunfall eine
Rolle spielen können.
3-078
- Bericht Perez Alvarez (A5-0326/2002)
3-079
Bastos (PPE-DE), schriftlich. – (PT) Die Besorgnis
erregenden Arbeitsunfall-Quoten der Selbständigen und
die Notwendigkeit der Gewährleistung des Rechts auf
gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen
verlangen eben diesen Ansatz, und deshalb unterstütze
ich den ausgezeichneten Bericht von Herrn Pérez
Álvarez.
Obwohl der Vorschlag der Kommission unzureichend
ist, stellt er doch einen wichtigen Beitrag zur Lösung des
Problems des Schutzes der Selbständigen in Bezug auf
die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz dar.
Es sei darauf hingewiesen, dass in den Sektoren, die als
Hochrisiko-Bereiche gelten (Landwirtschaft, Fischerei,
Straßenverkehr, verarbeitende Industrie und Bauwesen),
in denen sehr viele Selbständige tätig sind, die
Arbeitsunfallquote hoch ist. Deswegen muss unbedingt
eine wirksame Politik der Vorbeugung im Verein mit
Maßnahmen zur Ausbildung, Information und
Sensibilisierungskampagnen umgesetzt werden.
Vor dem Hintergrund einer wachsenden beruflichen
Mobilität kommt es maßgeblich darauf an, dass
Gemeinschaftsmaßnahmen beschlossen werden, um das
unterschiedlich hohe Schutzniveau der Selbständigen in
den einzelnen Mitgliedstaaten bei gleichzeitiger
Anerkennung und Umsetzung der Rechtsvorschriften in
diesem Bereich zu harmonisieren.
3-080
- Bericht Hughes (A5-0310/2002)
3-081
Alavanos (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Aus Anlass
der Aussprache und der Abstimmung zum Bericht
Hughes über eine „neue Gemeinschaftsstrategie für
Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2002-2006“,
die einen positiven Inhalt hat, möchte ich das Thema der
Nachlässigkeit der Kommission bei Fragen der
Regelanwendung für Gesundheit und Sicherheit am
Arbeitsplatz ansprechen. Mein Land, Griechenland, hält
einen makabren Rekord bei der Zahl der Arbeitsunfälle
ebenso wie bei der geringen Zahl und der geringen
Effektivität der Kontrollen. Trotz wiederholter Anfragen
an die Kommission sowohl von mir als auch von
anderen Kolleginnen und Kollegen wartet die
Kommission seit fünf Jahren auf die Auswertung der
entsprechenden Daten, die ihr von Griechenland
geliefert werden. Diese Situation muss beendet werden,
und es müssen Kontrollmechanismen für die
Anwendung
der
Gesundheitsund
Sicherheitsmaßnahmen insbesondere am Arbeitsplatz
23/10/2002
eingerichtet werden. Es kann nicht sein, dass wir
kontrollieren, Verwarnungen aussprechen und Strafen
auferlegen für staatliche Defizite, gleichzeitig aber in
Bezug auf die Gesundheit und Sicherheit die Augen und
Ohren verschließen.
3-082
Bastos
(PPE-DE),
schriftlich.
–
(PT)
Die
Gemeinschaftsdaten zur Gesundheit und Sicherheit am
Arbeitsplatz offenbaren eine allgemeine Tendenz zur
Verbesserung. In einigen Mitgliedstaaten ist die Lage
allerdings immer noch recht kritisch. In diesem
Zusammenhang stelle ich fest, dass die Situation in
Portugal Besorgnis erregend ist, vor allem in Sektoren
wie dem Bauwesen, der Textilindustrie und der
Landwirtschaft.
Ich habe für den Bericht gestimmt und möchte folgende
Punkte hervorheben:
- die Notwendigkeit, die in diesem Bereich bestehenden
gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zu kodifizieren
und zu vereinfachen und die Mitgliedstaaten
anzuspornen, sie energischer anzuwenden,
- die dringende Forderung an die Kommission, mit dem
Parlament einen detaillierten Aktionsplan mit
verbindlichen Finanz- und Terminangaben unter
Einbeziehung der Geschlechterdimension und neuer
Arten von Gefahren und Krankheiten zu erarbeiten,
- die Notwendigkeit, die partnerschaftliche Arbeit zu
fördern, um eine bessere Datenerfassung zu ermöglichen
und die Kommunikation zwischen den Beteiligten zu
erleichtern,
- die Integration der Bewerberländer in die
entsprechenden Institutionen und Organe, um eine
wirksame technische und finanzielle Unterstützung zu
gewährleisten,
- schließlich die Bedeutung eines Präventionskonzepts
für die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das
auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausgerichtet ist.
3-083
Bushill-Matthews (PPE-DE), schriftlich. – (EN) Über
diesen Bericht wurde gemäß Artikel 110 Absatz a) der
Geschäftsordnung abgestimmt, der besagt, dass zu
diesem Bericht keine Änderungsanträge eingebracht
werden können. Früher hat die britische Delegation der
PPE-DE-Fraktion versucht, Änderungsanträge zu
Berichten einzubringen, wenn diese Berichte von ihr
nicht unterstützt werden konnten. Nach der neuen
Bestimmung gibt es jedoch keine andere Möglichkeit
mehr, als bestimmte Berichte abzulehnen.
Die britischen Konservativen unterstützen die Mitteilung
der Kommission über die Gesundheit und Sicherheit am
Arbeitsplatz, in der die Bedeutung der Gesundheit und
Sicherheit am Arbeitsplatz hervorgehoben und darauf
hingewiesen wird, dass die Präventionskultur gestärkt
und die bestehenden Rechtsvorschriften konsequenter
angewandt werden müssen. Von der Kommission wird
23/10/2002
eingeräumt, dass der Rechtsrahmen der Gemeinschaft
als zu komplex und ungenau angesehen wird, und sie
schlägt daher dessen Vereinfachung vor. Die britischen
Konservativen unterstützen diesen Vorschlag.
Der Berichterstatter verfolgt jedoch genau den
gegenteiligen Ansatz und schlägt vor, den
Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie auszudehnen,
neue Rechtsvorschriften über das Mobbing am
Arbeitsplatz einzuführen, eine neue Richtlinie über die
ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen zu
erlassen, die Richtlinie über die Arbeit an
Bildschirmgeräten zu stärken und die Richtlinie über die
manuelle Handhabung von Lasten zu ändern.
Wir sind der Meinung, dass die Schlussfolgerungen des
Berichterstatters falsch sind, weil seine Analyse einen
grundlegenden Fehler aufweist. Die britischen
Konservativen lehnen diesen Bericht daher ab.
3-084
Eriksson, Herman Schmid, Seppänen und Sjöstedt
(GUE/NGL), schriftlich.  (SV) Der Bericht behandelt
Probleme der Gesundheit und der Sicherheit an den
Arbeitsplätzen in der Europäischen Union. In ihm wird
Besorgnis darüber geäußert, dass sich die Situation eher
verschlechtert als verbessert. Der Berichterstatter schlägt
eine Vielzahl von Maßnahmen vor, darunter eine
verbesserte
Umsetzung
der
existierenden
Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet. Diese Vorschläge
haben unsere uneingeschränkte Unterstützung.
37
erwähnt – in der drastischen Reduzierung des in diesen
Bereichen tätigen Personals um mehr als 40 % in den
letzten zehn Jahren deutlich zum Ausdruck kommt.
Der endgültige Text, Ergebnis einer überaus
eingehenden Debatte, an der wir mit verschiedenen
Vorschlägen beteiligt waren, greift verschiedene
Aspekte dieser Problematik auf und stellt bestimmte
Forderungen, wie etwa folgende:
- die dringend gebotene Ausarbeitung eines detaillierten
Aktionsplans
mit
verbindlichen
Finanzund
Terminangaben für jeden Hauptvorschlag,
- die besondere Aufmerksamkeit für die Geschlechter
unter Berücksichtigung der Diskriminierungen, denen
die Frauen aufgrund der geringeren Aufmerksamkeit für
die berufliche Bildung, der Schwierigkeiten beim
Zugang zur Beschäftigung, der schweren, gefährlichen
und schlecht bezahlten Arbeit, die sie oftmals verrichten,
nach wie vor ausgesetzt sind,
- die Vorlage einer umfassenden Richtlinie über die
ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen, um die
vorhandenen Richtlinien zu verbessern und Muskel- und
Skeletterkrankungen zu berücksichtigen, unter denen
mehr als die Hälfte der von mit der Arbeit
zusammenhängenden
körperlichen
Beschwerden
betroffenen Personen in der Europäischen Union leiden.
3-086
- Bericht Brok (A5-0329/2002)
Er fordert aber auch neue Richtlinien über die
Belästigung am Arbeitsplatz und über die ergonomische
Gestaltung von Arbeitsplätzen. Wir sprechen uns sowohl
aus Prinzip als auch auf Grund der praktischen
Gegebenheiten gegen eine Anwendung von Richtlinien
auf diesen Gebieten aus. Existierende Richtlinien im
Bereich der Arbeitsumwelt funktionieren schlecht, was
hauptsächlich auf dem Widerstand der Arbeitgeber, aber
auch auf zu schwachen Gewerkschaften beruht. Die in
den Richtlinien verankerten Mindestanforderungen
neigen häufig dazu, die Sozialpartner an Verträge mit
allzu niedrigen Schutzniveaus zu binden. Starke
Gewerkschaften und nationale Regierungen mit sozialen
Zielsetzungen hingegen könnten auf Ebene der
Mitgliedstaaten präzisere und effizienter umzusetzende
Rechtsvorschriften mit höheren Schutzniveaus erreichen.
Wir haben letztendlich aber für den Bericht gestimmt, da
wir dessen politisches Streben nach einer Verbesserung
der Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten
unterstützen.
3-085
Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Dieser
Bericht, den wir angenommen haben, behandelt ein in
der Europäischen Union äußerst wichtiges Thema, und
zwar sowohl wegen seiner Bedeutung bei der
Würdigung der Arbeit und Schaffung besserer
Arbeitsbedingungen als auch wegen der geringen
Aufmerksamkeit,
die
die
Kommission dieser
Problematik der Gesundheit und Sicherheit am
Arbeitsplatz gewidmet hat, was – wie im Bericht
3-087
Arvidsson, Cederschiöld, Grönfeldt Bergman und
Stenmarck (PPE-DE), schriftlich.  (SV) Als die
Verordnung (EG) Nr. 1049 des Europäischen Parlaments
und des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu
Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates
und der Kommission verhandelt wurde, fiel die
Entscheidung, den Zugang des Europäischen Parlaments
zu sensiblen Dokumenten in einer gesonderten
interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem
Parlament und dem Rat zu regeln, um es dem
Europäischen Parlament zu ermöglichen, seinen
Verpflichtungen gemäß Artikel 21 des Vertrags über die
Europäische Union nachzukommen.
Alle zwischen Rat und Parlament abgeschlossenen
Vereinbarungen müssen jedoch der Grundregel der
Loyalität und Informationspflicht zwischen den
Institutionen folgen. Es ist mit anderen Worten
inakzeptabel, dass der Rat über die Geschäftsordnung
des Parlaments beschließt und somit eine deutliche
Rangordnung unter den Einrichtungen vornimmt.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass kleinen Ländern
und Fraktionen Informationen vorenthalten werden. Die
Vereinbarung begrenzt durch die Bildung eines
Ausschusses mit besonderem Zugang zu Informationen
das in der Verordnung (EG) Nr. 1049 verankerte Recht
aller Abgeordneten und der Öffentlichkeit.
Eine interinstitutionelle
sensiblen
Gebiet
Vereinbarung auf diesem
sollte
mit
strengen
38
23/10/2002
Geheimhaltungsregeln (vergleichbar denen der NATO)
verknüpft sein. Solche Regeln hätten für Dokumente, die
die Sicherheits- und Verteidigungspolitik berühren,
ausgearbeitet werden können, ohne dadurch die
interinstitutionelle Struktur zu verändern.
3-088
Bordes, Cauquil und Laguiller (GUE/NGL),
schriftlich. – (FR) Der Berichterstatter fordert, das
Europäische Parlament müsse Zugang zu Dokumenten
im Bereich der Sicherheit und Verteidigung erhalten, die
als „vertraulich“, „geheim“ oder „streng geheim“
eingestuft
werden,
wobei
gleichzeitig
darauf
hingewiesen wird, dass diese Dokumente „dem Zugang
der Öffentlichkeit entzogen“ und somit den Bürgern der
Europäischen Union vorenthalten werden, obwohl
letztere vorgibt, die Verteidigung und Sicherheit eben
dieser Bürger zu gewährleisten. Dies unterstreicht nur
die Lächerlichkeit dieser Forderung und die Heuchelei
verschiedener europäischer Institutionen, die keine
Gelegenheit auslassen, die angebliche „Transparenz“
ihrer Aktivitäten herauszustreichen.
Hinsichtlich der Frage, ob die Vereinbarung zwischen
dem Rat, der Kommission und dem Europäischen
Parlament (bei der die als „streng geheim“ eingestuften
Dokumente sowieso ausgeschlossen sind) wenigstens
einigen sorgfältig ausgewählten Abgeordneten den
Zugang zu den übrigen Dokumenten im Bereich der
Sicherheit und Verteidigung ermöglicht, wird es laut
Berichterstatter „entscheidend darauf ankommen, wie sie
(diese Vereinbarung) in der Praxis angewandt wird“. Im
Klartext bedeutet dies, dass das Europäische Parlament
über Fragen der Sicherheit und Verteidigung sowie über
alle anderen von Rat und Kommission als bedeutsam
eingestuften Themen nur in dem Maße informiert wird,
wie letztere dies für angebracht halten. Dies wird nur
diejenigen erstaunen, die glauben, das Europäische
Parlament habe noch eine andere Funktion als den von
den Interessen der herrschenden Klassen diktierten
Politiken, die keinerlei Kontrolle dulden, ein
demokratisches Mäntelchen umzuhängen.
Wir stimmen gegen diesen Bericht und
dazugehörigen Vorschlag für einen Beschluss.
Grundrechte abschaffen möchte, mag dies ja
vorübergehend gerechtfertigt sein. Geheimhaltung kann
aber auch bedeuten, dass mächtige Profiteure vor dem
Volkszorn geschützt werden. Die gewählte Lösung,
nämlich eine freiwillige Vereinbarung zwischen dem
Europäischen Parlament und dem Rat, erscheint besser
als sie tatsächlich ist. Die Öffentlichkeit erhält keine
Einsicht. Das Parlament darf zwar Einsicht nehmen, aber
dieses Recht gilt nur für vier von den
Fraktionsvorsitzenden
gemeinsam
benannten
Mitgliedern eines unter der Leitung des Vorsitzenden
des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame
Sicherheit
und
Verteidigungspolitik stehenden Ausschusses. Die große
Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments
und selbst ganze parlamentarische Fraktionen werden in
der Praxis nicht informiert sein. Ein solcher Ausschuss
für Sicherheitsangelegenheiten wird dann nur die
Geheimhaltung schützen.
3-090
Ribeiro e Castro (UEN), schriftlich. – (PT) Ich
gratuliere dem Berichterstatter herzlich zu seiner Arbeit
und begrüße auch, dass nun ganz klar Vorschriften
niedergelegt sind, die einen wichtigen Fortschritt in der
Arbeitsweise der Gemeinschaftsinstitutionen und ihrer
politischen Transparenz auch in so sensiblen Bereichen
wie Sicherheit und Verteidigung festschreiben. Die
heutigen letzten Schritte krönen einen langen,
tiefgreifenden und mühsamen Prozess politischer
Gewichtung und interinstitutioneller Verhandlungen, der
zu einem sehr positiven und ausgeglichenen Ergebnis
geführt hat. Worauf es wirklich ankam, war eine
vernünftige und gerechte Ausgewogenheit zwischen der
gebotenen
Transparenz
einerseits
und
dem
unabdingbaren Schutz des hoch geheimen Charakters
dieser Art von Informationen herzustellen. Anders wäre
kein Fortschritt in diesem sensiblen Bereich möglich.
Angesichts der gefundenen praktischen Lösungen, dem
vorherrschenden guten Willen und einer strengen
politischen Gewichtung kann man dem Parlament, den
Bürgern allgemein und allen Gemeinschaftsinstitutionen
nur gratulieren.
den
3-089
Meijer (GUE/NGL), schriftlich. – (NL) Es gab eine
Zeit, in der die Vorbereitung und Ausführung staatlicher
Politik so weit als möglich geheim gehalten wurde, denn
das gewöhnliche Volk brauchte ja nicht zu wissen, wie
und mit welchen Argumenten man regierte. Dieser
Wunsch nach Geheimhaltung hat sogar die Einführung
des allgemeinen Wahlrechts überlebt. Heutzutage wird
zwar davon ausgegangen, dass alle Menschen vor dem
Gesetz gleich sind, dass sich die Regierungen ihren
Wählern gegenüber zu verantworten haben und dass
Informationen über die staatliche Politik öffentlich
zugänglich sein müssen. Sobald es jedoch um die
öffentliche
Sicherheit,
Verteidigung
und
Militärangelegenheiten geht, herrscht wieder das
traditionelle Gesetz der Geheimhaltung. Im Falle der
Bedrohung der Bevölkerungsmehrheit durch eine
gefährliche Minderheit von Nutznießern, die deren
3-091
Sacrédeus und Wijkman (PPE-DE), schriftlich.  (SV)
Wir haben heute gegen den Entwurf einer
Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem
Europäischen Parlament und dem Rat über den Zugang
des Europäischen Parlaments zu sensiblen Informationen
des Rates im Bereich der Sicherheits- und
Verteidigungspolitik gestimmt. Hauptgrund dafür ist
unsere Auffassung, dass der vorgeschlagene besondere
Ausschuss mit nur vier benannten Mitgliedern viel zu
klein ist. Die Möglichkeiten der Einflussnahme für
kleinere Länder und Fraktionen wären in einem solchen
Ausschuss minimal. Ihr Informationsdefizit würde
zunehmen.
Zur Gewährleistung von mehr Offenheit und Gleichheit
sollte sich der Ausschuss aus einer größeren Anzahl
fester Mitglieder zusammensetzen. Gleichzeitig könnte
eine bestimmte Zahl von Mitgliedern so benannt werden,
wie es in der Vereinbarung vorgeschlagen wird.
23/10/2002
3-092
- Bericht Martin (A5-0308/2002)
3-093
Ribeiro e Castro (UEN), schriftlich. – (PT) Meiner
Ansicht nach haben wir gegenüber der früheren
Regelung, die immer wieder zu Problemen und
Verwirrung führte, gute Fortschritte erzielt. Das neue
Verfahren, das mit dieser Revision des Anhangs V der
Geschäftsordnung festgeschrieben wird, ist ohne Zweifel
klarer und effektiver. Bedauerlich finde ich jedoch, dass
Frau Theatos Änderungsanträge, die von der PPE/DEFraktion eingereicht wurden, zurückgezogen wurden,
denn ich meine, die Position des Berichterstatters und
der Mehrheit des Ausschusses für konstitutionelle
Fragen, die letztlich auch im Plenum vorherrschte,
könnte doch etwas zu weit gehen, wenn bei der ersten
Lesung im April die Möglichkeit hingenommen wird,
dass die Entlastung stillschweigend einfach indirekt
deshalb erteilt werden kann, weil kein Antrag auf
Aufschiebung angenommen wurde.
3-094
- Bericht Müller (A5-0330/2002)
3-095
Stihler (PSE). – (EN) Herr Präsident, ich habe in letzter
Minute darum gebeten, eine Erklärung zu den
Abstimmungen über die Berichte von Frau Müller und
Frau Grossetete abgeben zu können. Wir haben
Änderungsantrag 78 unterstützt, weil darin der Einsatz
von Generika grundsätzlich befürwortet wird. Ideal wäre
es, wenn sich der Änderungsantrag auf eine Erweiterung
der Zulassung statt auf verkürzte Anträge beziehen
würde, aber grundsätzlich ist der Verkauf von Generika
in mehr als einem Land möglich, ohne dass dazu die
Anmeldeverfahren wiederholt werden müssen.
Bei der Abstimmung über den Änderungsantrag 63 im
Bericht von Frau Grossetete haben wir denselben Ansatz
verfolgt wie im Ausschuss. Im Zusammenhang mit
Änderungsantrag 113 wurden wir darauf hingewiesen,
dass das Wort Werbung im zweiten Teil falsch ausgelegt
werden könnte.
39
der Nicht-Strafverfolgung kleiner und mittlerer
Unternehmen. 2. Es muss eine Genehmigung für das
Inverkehrbringen generischer Arzneimittel erteilt
werden, deren Referenzarzneimittel seit mindestens acht
Jahren (und nicht zehn, wie die Kommission vorschlägt)
in einem Mitgliedstaat oder in der Gemeinschaft
zugelassen ist. 3. Im Hinblick auf die Information ist der
Vorschlag der Kommission zweideutig, doch man muss
auf jeden Fall dafür Sorge tragen, dass direkte Werbung
verboten wird.
3-097
Ribeiro e Castro (UEN), schriftlich. – (PT) Dieser
Vorschlag für eine Verordnung ist äußerst wichtig, da er
auf die Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus der
Gesundheit von Mensch und Tier mittels strengerer
Verfahren zur Überwachung des Marktes und der
Pharmakovigilanz abzielt, um die Anzahl der
verfügbaren Arzneimittel zu erhöhen, den Binnenmarkt
für pharmazeutische Erzeugnisse zu errichten und
schließlich um die Ziele und Methoden der Tätigkeit der
Europäischen Agentur für die Beurteilung von
Arzneimitteln mit Blick auf die Erweiterung der EU zu
ändern. Was ich bemängele, sind nicht diese großen
Ziele und auch nicht der Wunsch aller Patienten,
gemeinschaftsweit rascher über sichere und wirksamere
Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen zu verfügen,
sondern bestimmte konkrete Details der Verordnung,
wie mein Stimmverhalten zu dieser Frage bewies.
Insbesondere zur zentralen Frage, in welchem Umfang
die Zulassung der Arzneimittel völlig zentralisiert bei
der Europäischen Agentur für die Beurteilung von
Arzneimitteln liegen sollte, möchte ich feststellen, dass
ich - wie die Mehrheit, die sich im Fachausschuss des
Parlaments herauskristallisiert hat - dafür bin, dass
Humanarzneimittel, die neue Wirkstoffe enthalten, von
den nationalen Agenturen zugelassen werden können.
Ich bin also gegen eine aufgebauschte Zentralisierung,
die fatal wäre, d. h. ich bin für die Möglichkeit der Wahl
zwischen zentralisiertem Verfahren und nationaler
Zulassung, eventuell flankiert von einem Verfahren der
gegenseitigen Anerkennung.
3-098
3-096
Moreira da Silva (PPE-DE), schriftlich. – (PT) Mit der
Festlegung eines Binnenmarktes für Arzneimittel sollen
nicht nur bessere Gesundheitsstandards in der
Europäischen Union erreicht werden, sondern auch die
wissenschaftliche und technologische Innovation mit
Blick auf die Entwicklung neuer Arzneimittel gefördert
und die Herstellung und das Inverkehrbringen
generischer Arzneimittel beschleunigt werden. Zu den
wichtigsten in dieser ersten Lesung diskutierten Fragen
vertrete ich folgende Auffassung: 1. Ohne dass dies eine
völlige Abschaffung des dezentralisierten (nationalen
und gegenseitig anerkannten) Verfahrens bedeuten
sollte, halte ich bezüglich der Inhaber der Genehmigung
für das Inverkehrbringen eine zunehmende Anwendung
des zentralisierten Verfahrens (über die Europäische
Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln) für
wesentlich, insbesondere – wenn es sich um neue
Wirkstoffe handelt – mit dem Ziel eines rascheren
Zugangs der Patienten zu einem neuen Medikament und
- Bericht Grossetete (A5-0340/2002)
3-099
Meijer (GUE/NGL), schriftlich. – (NL) Arzneimittel
sind Handelsware, an der Geld verdient wird. Deshalb
erregt die Prüfung für ihre Zulassung derart die
Gemüter. Konkurrenzunternehmen und -verfahren
profitieren von Rechtsvorschriften, aufgrund derer
größtmögliche Absatzchancen für die eigenen
Erzeugnisse bestehen und mithin andere vom Markt
verdrängt werden können. Für das eigene Produkt
wünscht man sich einen übermäßigen Verbrauch,
während Alternativen ausgeschlossen werden sollen. Im
Gegensatz zur Europäischen Kommission möchte der
Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und
Verbraucherpolitik zu Recht keine Werbung für
Medikamente für Aids, Asthma und Diabetes. Hersteller
und Verbraucher alternativer Arzneimittel sowie Ärzte,
die solchen Medikamenten den Vorzug geben,
befürchten, die vorgeschlagenen Regelungen gereichten
40
vor allem der chemischen Industrie zum Vor- und den
Naturerzeugnissen zum Nachteil. Bisweilen handelt es
sich dabei um jahrhundertealte, nach Ansicht der
Verbraucher wirksame Arzneimittel, deren Effizienz
jedoch nie wissenschaftlich belegt worden ist. Sofern sie
unbedenklich sind und ihre Zusammensetzung bekannt
ist,
sind
sie
im
Zweifelsfall
zuzulassen.
Gesundheitsschädliche und untaugliche Arzneimittel, die
nur hergestellt werden, um Geld zu verdienen, sind zu
verbieten, doch gibt es keinen einzigen Grund, der
Pharmaindustrie eine Monopolstellung zuzugestehen.
Deshalb stimme ich gegen die Vorschläge der Industrie
und für diejenigen, die von Ärzten und Verbrauchern
befürwortet werden.
23/10/2002
Wir sind außerdem der Meinung, dass die Genehmigung
dieser Tierarzneimittel alle fünf Jahre erneuert und keine
unbefristete Genehmigung erteilt werden sollte.
Wir teilen die Auffassung der Kommission nicht, dass
alle neuen aktiven Wirkstoffe für Tierarzneimittel nach
dem zentralisierten Verfahren genehmigt werden sollten.
Dies hätte erhebliche Auswirkungen auf die
Entwicklung neuer Produkte für bestimmte regionale
Tierarten/Erkrankungen und würde die Probleme der
Verfügbarkeit solcher Tierarzneimittel noch verschärfen.
Deshalb muss die Flexibilität weiterhin gewahrt bleiben.
3-103
- Bericht Duff (A5-0332/2002)
3-100
Sacrédeus und Wijkman (PPE-DE), schriftlich.  (SV)
Wir haben uns für die Änderungsanträge ausgesprochen,
die für generische Arzneimittel, d. h. preiswertere
Präparate, ein frühzeitiges Inverkehrbringen erleichtern
und damit eine Senkung der ständig steigenden
Arzneimittelkosten ermöglichen, die sich beispielsweise
in Schweden in den neunziger Jahren jährlich um 10
Prozent erhöht haben.
Das Zulassungsverfahren für Generika muss vereinfacht
werden, damit es möglich wird, generische Arzneimittel
unmittelbar nach Ablauf der zehn Jahre ab Erteilung der
ersten Genehmigung für das Referenzprodukt in den
Verkehr zu bringen. Mit der Herstellung der Generika
könnte somit vor dem Ablauf der oben erwähnten
Zehnjahresperiode begonnen werden. Aus diesem Grund
stimmten wir auch gegen die Änderungsanträge, die
einen Vertrieb von generischen Arzneimitteln durch den
Schutz kleiner Änderungen im Originalarzneimittel
erschweren.
Wir vertreten darüber hinaus den Standpunkt, dass das
gegenwärtige Verbot der direkt an die Öffentlichkeit
gerichteten Werbung für verschreibungspflichtige
Arzneimittel beibehalten werden muss. Die Patienten
haben ein legitimes Bedürfnis nach glaubwürdiger
Information über Arzneimittel von unabhängigen
Quellen.
3-101
- Bericht Grossetete (A5-0334/2002)
3-102
Whitehead (PSE), schriftlich. – (EN) Im Namen der
britischen Labour-Delegation möchte ich erklären, dass
wir im Hinblick auf die Vorschläge im Bericht von Frau
Grossetete über Tierarzneimittel der Meinung sind, dass
die Kommission die derzeitige Praxis im Vereinigten
Königreich und Irland akzeptieren sollte. Diese
Regelung
ermöglicht
es
einem
registrierten
Personenkreis, eine Vielzahl von Tierarzneimitteln ohne
tierärztliche Verschreibung in Fällen zu verabreichen, in
denen das Hinzuziehen eines Tierarztes für den sicheren
und wirksamen Einsatz nicht als notwendig erachtet
wird. Dieses Verfahren wird seit vielen Jahren effektiv
und ohne Probleme für die Sicherheit der Verbraucher
oder der Benutzer dieser Tierarzneimittel angewandt.
Der Präsident. – Herr Fatuzzo, mich würde
interessieren, was die Rentner über den Bericht von
Herrn Duff denken.
3-104
Fatuzzo (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, die Rentner,
die ich die Freude habe, im Europäischen Parlament zu
vertreten, sagen mir, sie seien sehr zufrieden, dass ich –
wie ich es tatsächlich getan habe – für diesen Bericht
stimme, weil sie es für wichtig erachten und sehnsüchtig
darauf warten, dass Europa entweder eine Verfassung
oder eine Grundrechtecharta mit Verfassungsrang erhält,
auf die sie sich berufen können, um Gerechtigkeit zu
fordern, wenn ihnen Unrecht widerfährt. Das geschieht
in allen Staaten der Welt leider oft, sowohl wenn man
jung als auch wenn man alt ist, aber für den älteren
Bürger ist es besonders bitter und schmerzlich, sich noch
als Opfer von Ungerechtigkeiten zu fühlen. In der Charta
ist verankert, dass die Union die Rechte der älteren
Menschen achtet, weshalb die älteren Bürger und die
Rentner ganz Europas inständig darauf warten, dass sie
zur Verfassung der Europäischen Union wird.
3-105
Hager (NI). - Herr Präsident! Ich habe geträumt, dass
die Tochter des Kollegen Fatuzzo meinen Sohn
angerufen hat, der ebenfalls Jus studiert, und sie hat ihn
gefragt, ob er mit meinem Abstimmungsverhalten zum
Bericht Duff einverstanden ist. Ich kann die Antwort
nicht wiedergeben, weil ich etwas verschreckt
aufgewacht bin. Daher möchte ich ausdrücklich erklären,
dass wir dem Bericht zugestimmt haben, obwohl einige
Probleme meiner Meinung nach umgekehrt sind. Vor
allem bin ich anders als der Berichterstatter der
Meinung, dass das Problem einer möglichen
divergierenden Judikatur der Höchstgerichte in
Grundrechtsfragen nicht gelöst ist. Ich weiß als
ehemaliger Höchstrichter, wovon ich spreche. Dennoch,
die Verankerung der Grundrechte prävaliert, und daher
insgesamt ein positives Votum.
3-106
Ahern (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident, ich begrüße
den Bericht von Herrn Duff. Es ist wichtig, dass wir die
Charta der Grundrechte in die bestehenden Verträge der
Europäischen Union aufnehmen, aber ich hoffe auch,
dass die Europäische Menschenrechtskonvention in die
EU als Institution einbezogen wird und nicht nur in die
Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten.
23/10/2002
Eine moderne Verfassung der Europäischen Union, die
das Ziel des Konvents über die Zukunft Europas ist,
wäre ohne einen verbindlichen Katalog von Rechten
undenkbar. Sollte der Konvent eine solche Verfassung
ohne die Charta erarbeiten, so wäre dies in meinen
Augen skandalös. Mit der Charta werden den Organen
der Europäischen Union keineswegs mehr Rechte
übertragen,
sie
begrenzt
im
Gegenteil
die
Machtausübung der EU-Organe, weil sie verpflichtet
sind, die Menschenrechte zu respektieren.
Die Charta sollte rechtsverbindlich und im Rahmen des
EU-Rechts einklagbar sein. Sie ist kein Substitut für die
Grundrechtsbestimmungen der Mitgliedstaaten, wie der
Berichterstatter sagt, sondern ergänzt sie.
3-107
Alavanos (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Es ist
unverständlich, dass die Europäische Union eine
Verfassung in Angriff nimmt, ohne die Festschreibung
der Menschenrechte vorzusehen. Deshalb muss die
Charta der Grundrechte Verfassungsrang erhalten und
mit Abschluss der Revision der EU-Verträge und vor der
Aufnahme der neuen EU-Mitglieder in die Gesetzestexte
der Europäischen Union einbezogen werden. Auf diese
Weise erhält die Charta eine rechtliche Dimension, und
man kann sich dann sowohl vor Europäischen als auch
nationalen Gerichten auf sie berufen. Während ich mit
dem Standpunkt des Ausschusses für konstitutionelle
Fragen übereinstimme, teile ich nicht die Ansicht des
Berichterstatters, dass die Charta unverändert bleiben
sollte. Ihr Anwendungsbereich muss im Gegenteil
vertieft und erweitert werden, da sie hinsichtlich der
Unterstützung der Grundrechte weit hinter fast allen
europäischen Verfassungen zurückbleibt.
3-108
Alyssandrakis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) In der
Aussprache über die „Charta der Grundrechte“ vor zwei
Jahren haben wir den Text als nutzlos und gefährlich
charakterisiert und das damit begründet, dass sein Inhalt
weit hinter internationalen Verträgen und den nationalen
Verfassungen einer Reihe von EU-Länder zurückbleibt.
Wir hatten befürchtet, dass er den Kern einer
zukünftigen Verfassung der EU bilden sollte, die den
Weg zum Föderalismus bereitet.
Unsere Vermutungen haben sich bestätigt. Die EU wird
mehr und mehr autokratisch und dies letztlich auch mit
Hilfe des „Terrorismus“. Sie modernisiert ihr Arsenal
(Europäisches
Antiterrorgesetz,
Europäischer
Haftbefehl, Europäische Armee und Europäische
Polizei), um dem Widerstand gegen ihre Politik zu
begegnen. Die Arbeitnehmer kennen das „Sozial“Modell bereits sehr gut: Flexibilisierung der Arbeit,
Verteilung der Arbeitslosigkeit, Demontage des Sozialund
Rentensystems sowie Privatisierung von
Gesundheits- und Bildungswesen.
Die Befürworter der Charta einschließlich des
Berichterstatters,
der
keinerlei
korrigierende
Änderungen für notwendig hält, haben die
Hunderttausenden von Demonstranten völlig ignoriert,
41
die bei jedem Gipfeltreffen gegen das errichtete
volksfeindliche und monopolfreundliche System
protestieren. Sie wollen lediglich durchdrücken, dass die
Charta in die Verträge integriert und für die EU-Organe
und die Mitgliedstaaten verbindlich wird. Dies wird
zu einem konservativeren und autokratischeren
institutionellen
Rahmen
führen,
der
die
verfassungsmäßig verbrieften Errungenschaften der
Arbeitnehmer zunichte machen wird.
Deshalb haben die Abgeordneten der Kommunistischen
Partei Griechenlands im Europäischen Parlament gegen
den Bericht gestimmt.
3-109
Andersson, Färm, Hedkvist Petersen, Hulthén und
Karlsson (PSE), schriftlich.  (SV) Wir haben für den
Bericht gestimmt, da wir die Einbeziehung der Charta in
einen künftigen Vertrag (Verfassung) prinzipiell
unterstützen. Allerdings möchten wir zum besseren
Verständnis unserer Entscheidung auf einige Aspekte
hinweisen.
Im Bericht werden Maßnahmen zur Erleichterung des
direkten Zugangs zum Gericht erster Instanz
vorgeschlagen. Wir verstehen diese Formulierung als
direkten Zugang Einzelner zum Gericht erster Instanz
der Europäischen Gemeinschaften, basierend auf den in
der Charta verankerten Rechten. Das wäre eine
unglückliche Maßnahme, die die Gefahr in sich birgt,
den Weg für eine gerichtliche Überprüfung von mehr
oder weniger allen EU-Beschlüssen zu ebnen (angesichts
des Umfangs der Charta). Wir würden eine Regelung
bevorzugen, die dem heutigen Zugang zum Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften entspricht: die Rechte
der Charta werden indirekt wahrgenommen, also über
das Recht der nationalen Gerichte, sich an den
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu
wenden.
Der Bericht ist von einer rigiden Einstellung zu
Änderungen in den horizontalen Klauseln der Charta
gekennzeichnet. Wir sind jedoch der Auffassung, dass
auch Änderungen in der Substanz der Klauseln möglich
sein müssen, um der Charta einen bindenden Charakter
zuerkennen und eine in der Praxis funktionierende
Anwendung gewährleisten zu können. Damit teilen wir
die Auffassung der entsprechenden Arbeitsgruppe des
Konvents.
Ganz allgemein wollen wir unterstreichen, dass eine
bindende Charta auf keinen Fall das Modell für
Tarifverträge unterminieren darf, das auf den
Arbeitsmärkten in Nordeuropa zur Anwendung kommt.
3-110
Berthu (NI), schriftlich. – (FR) Der Bericht Duff, der
die Aufnahme der Grundrechtecharta in eine
Europäische Verfassung fordert, wurde trotz unserer
Ablehnung mit großer Mehrheit verabschiedet. Sollten
diese
Schlussfolgerungen
nach
der
nächsten
Regierungskonferenz in die Tat umgesetzt werden, so
wären wir innerhalb der europäischen Institutionen mit
42
einem Widerspruch konfrontiert, dessen negative Folgen
wir bald zu spüren bekämen.
Vorgestern haben wir über den Stabilitätspakt diskutiert,
und letztlich waren zahlreiche Redner, ebenso wie
Romano Prodi, der Ansicht, dass dieser Pakt dumm ist,
weil er zu starre Regeln vorschreibt. Was wäre eine in
die Verträge integrierte Charta jedoch anderes als ein auf
die politischen Rechte angewandter Stabilitätspakt? Wir
würden bald feststellen, dass diese rigide Charta genauso
wenig an die Realität einer Union unterschiedlicher
Völker angepasst ist wie der derzeit geltende
Haushaltsstabilitätspakt.
Obwohl unser Parlament die negativen Auswirkungen
starrer Regeln vor Augen hat, verfällt es aufgrund seiner
altbekannten Verblendung und im Streben nach einem
Superstaat als höchstem Ziel immer wieder in dieselben
Fehler.
Die MPF-Delegation hat ihrerseits einen neu gestalteten
Gründungsvertrag für Europa vorgeschlagen, der sich
sehr von der Verfassung eines Superstaates
unterscheiden würde, da er die Notwendigkeit flexibler
Beziehungen zwischen den souveränen nationalen
Demokratien anerkennt.
3-111
Caudron (GUE/NGL), schriftlich. – (FR) Ich gehöre zu
denjenigen, die die Ausarbeitung, Verabschiedung und
Verkündung der Grundrechtecharta im Jahr 2002
begrüßt und unterstützt haben, auch wenn man sich –
wie ich mir dies wünsche und sogar anstrebe – weiterhin
für zusätzliche Fortschritte im menschlichen,
bürgerlichen und sozialen Bereich einsetzen kann. Die
sorgfältige Lektüre aller Artikel unserer Charta
verdeutlicht den eindeutigen Nutzen eines derartigen
gemeinsamen Dokuments, das heute für 15 und bald für
25 Mitgliedstaaten Gültigkeit besitzt.
Mit dieser Charta wurde das Europa der Bürger endlich
in Gang gebracht!
Als Verfechter einer Europäischen Verfassung
befürworte ich daher, ebenso wie der Berichterstatter,
die Einbindung unserer Grundrechtecharta in diese
Verfassung.
Das schließt natürlich eine sehr kritische Haltung zum
gegenwärtigen Europa nicht aus, das aus wirtschaftlicher
Sicht zu liberal und den Finanz- und Börsenmächten
allzu sehr unterworfen ist, das politisch gegenüber den
USA bei der Bewältigung der großen internationalen
Probleme faktisch keine Rolle spielt.
Ich vertrete allerdings die Ansicht, dass wir mit Hilfe
einer Europäischen Verfassung, die die Charta der
Grundrechte einschließt, Fortschritte im Hinblick auf
eine tiefgreifende Umgestaltung des von mir kritisierten
heutigen Europas erzielen können.
3-112
Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Wir lehnen
den Bericht wegen seiner unverhältnismäßigen
23/10/2002
Unterstützung eines äußerst schwachen Dokuments im
Bereich der Verteidigung der Grundrechte ab. Beispiele
dafür sind:
- das Bestreben, die verbindliche Einbeziehung der
Grundrechtecharta in die Verträge als Teil
verfassungsmäßiger Bestimmungen einer künftigen
„Europäischen Verfassung“ eindeutig festzuschreiben,
- das Bestreben, ein Rechtsinstrument zu schaffen, dem
entgegen aller anderslautenden Bekundungen die
nationalen Verfassungen der Mitgliedstaaten möglichst
untergeordnet werden sollen (erwähnt sei das Ziel, die
Kompetenzen der Gemeinschaft in verschiedenen
Bereichen zu erhöhen).
Das Festhalten am Inhalt des Berichts wird es nur
schwieriger machen, die verbindliche Einbeziehung
dieser Charta in eine künftige „Verfassung“ zu sichern.
Dieser Inhalt ist gekennzeichnet durch eine
Formulierung von Rechten, die in der Praxis einen
Rückschritt gegenüber dem darstellen, was in nationalen
Verfassungen, wie etwa der portugiesischen Verfassung,
oder in europäischen Konventionen, denen EUMitgliedstaaten beigetreten sind, erreicht worden ist.
Nicht zuletzt sollten wir auch die Befürwortung der
künftigen Methodik zur Änderung des Inhalts der Charta
ablehnen, bei der praktisch das Bestehen eines ständigen
„Konvents“ (bzw. der proklamierten neuen Institution –
des „Kongresses“) oder anderer Mechanismen zur
Änderung von so genannten konstitutionellen Inhalten
verankert und damit einmal mehr die derzeitige
ausschließliche Zuständigkeit der Staaten (Regierungen
und Parlamente) für die Änderung der Verträge
überschritten wird.
3-113
Meijer (GUE/NGL), schriftlich. – (NL) Alle Menschen
haben Anspruch auf Schutz vor behördlicher Willkür
und vor Ausnutzung durch diejenigen, die Vorrechte
genießen. In einer auf der Gleichwertigkeit aller sowie
auf dem Recht auf Individualität beruhenden
Gesellschaft sind vor den Gerichten einklagbare
individuelle und soziale Grundrechte unabdingbar. Die
im Jahr 2000 proklamierte Charta der Grundrechte der
EU ist weniger weitreichend als manche Bestimmungen
in den Verfassungen der Mitgliedstaaten oder als die
europäische Sozialcharta und die Europäische
Menschenrechtskonvention des Europarates, deren
Geltungsbereich sich nicht nur auf das Gebiet der EU
erstreckt. Deshalb ist es nicht richtig, eine vernünftige
Regelung
der
Grundrechte
einem
Dokument
gleichzusetzen, das nicht mehr ist als das Ergebnis der
Beratungen eines Konvents, in dem ohne Abstimmung
unterschiedliche Wünsche auf einen gemeinsamen
Nenner gebracht wurden. Ein höherer Status der
Grundrechtecharta kann zu zwei ziemlich konträren
Resultaten führen, nämlich zum einen zu mehr
Propagandamöglichkeiten für die EU und zum anderen
zu weniger Garantien für die Rechte der Einwohner der
EU-Staaten.
Deshalb
stellt
der
Vorschlag,
Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, um eine Hohe
23/10/2002
Vertragsschließende Partei der EMRK zu werden,
meines Erachtens den positivsten Teil des vorliegenden
Berichts dar. Warum nehmen wir eigentlich anstelle der
Grundrechtecharta nicht gleich die EMRK?
3-114
Pasqua (UEN), schriftlich. – (FR) Als entschiedener
Gegner einer Europäischen Verfassung, welche die
Existenz eines bisher überhaupt nicht vorhandenen
„europäischen Volkes“ voraussetzt (es gibt lediglich die
Völker der Mitgliedstaaten), lehne ich diesen Bericht ab.
Diese unter äußerst zweifelhaften Umständen verfasste
Charta ist keineswegs auf den verstärkten Schutz der
Grundrechte im Rahmen der Rechtsordnung der
Gemeinschaft ausgerichtet. Dieses Argument dient
lediglich als Vorwand, denn mehrere Instrumente
existieren bereits: die Rechtsprechung des EuGH, die
Europäische Menschenrechtskonvention und vor allem
die nationalen Verfassungen (deren Status grundlegend
neu bewertet werden sollte) werden dieser Aufgabe
hervorragend gerecht.
Diese Charta verfolgt nur ein einziges Ziel, das im
vorliegenden Bericht übrigens eindeutig gefordert wird:
sie soll als Präambel für eine angebliche Europäische
Verfassung dienen. Hier soll mit Hilfe eines Textes,
dessen juristische Tragweite beträchtlich wäre
(vorrangiger Status innerhalb des Primärrechts) und
dessen Inhalt gravierende Auswirkungen auf die
verfassungspolitischen Traditionen der Staaten haben
könnte,
den
nationalen
Souveränitäten
ein
entscheidender Schlag versetzt werden.
Da dieser Bericht außerdem die nationalen Verfassungen
in ihren wesentlichen Teilen der ausschließlichen
Aufsicht durch den EuGH unterstellt, legt er eine
unerträgliche und beleidigende Verdachtshaltung
gegenüber den Mitgliedstaaten an den Tag. Der Wortlaut
und der Geist dieses Berichts sind ganz einfach
unannehmbar.
3-115
Ribeiro e Castro (UEN), schriftlich. – (PT) Zur
weiteren Begründung meiner Ausführungen während der
Aussprache möchte ich hervorheben, dass dieser Bericht
nur von denen begeistert unterstützt werden kann, die
die Grundeinstellung des Berichterstatters teilen, die er
ganz offen zum Ausdruck brachte, als er zu demselben
Thema am 14. März 2000 hier vor uns sprach und dabei
Folgendes sagte: „Die Charta bietet uns die Chance, eine
moderne postnationale Gesellschaft aufzubauen.“
Tatsächlich besteht entgegen dem, was in der
Entschließung und während der Debatte verkündet
wurde, nach wie die große Gefahr, dass sich eine
militante und aufgewiegelte Minderheit der Charta
sofort, wenn sie in die Verträge integriert wird und
Rechtsstatus erhält, ungezügelt bemächtigt, und dass sie
dann aus der Bahn geworfen wird, um die
Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten einschneidend zu
begrenzen, und zwar eben beim zentralen Kern der
Souveränität und Selbstbestimmung der entsprechenden
Völker
mit
der
Absicht,
sich
über
die
Grundrechtssysteme der Mitgliedstaaten hinwegzusetzen
43
und diese völlig unterzuordnen. Anderthalb Jahre der
„de facto“-Rechtsgültigkeit verhalten sich einzelne
Organen so, „als ob“ die Charta direkt anwendbar sei
und liefern damit auf gefährliche Art und Weise den
Beweis dafür. Leider bewegt sich das Parlament
willentlich in Richtung dieses Verhängnisses und setzt
sich nicht mit Nachdruck für die Verteidigung des
Rechtsstaates und der in den Verträgen festgelegten
Regeln ein.
3-116
Schörling (Verts/ALE), schriftlich.  (SV) Ich habe für
den Bericht über die Wirkung der Grundrechtecharta der
EU und ihren zukünftigen Status gestimmt.
Ich bin für die Aufnahme der Charta in den Vertrag,
wende mich jedoch gegen die Argumentation, dies setze
die EU als selbständige juristische Person voraus oder
die Charta sei ein Schritt in Richtung eines europäischen
Staates.
3-117
Stockton (PPE-DE), schriftlich. – (EN) Da die Charta
offensichtlich ihre eigenen Ziele und Grenzen (oder
besser gesagt ihre unbegrenzten Freiheiten) festlegt,
müssen grundlegende Fragen geklärt werden, bevor wir
die Weiterentwicklung der Charta zulassen.
Es ist zwar durchaus angemessen, dass für ein
Rechtsetzungsorgan wie die Europäische Union
Mindeststandards für das gelten, was in einer
zivilisierten Gesellschaft akzeptabel ist, aber es wird
nichts gewonnen sein, wenn die Umsetzung der Charta
nach dem in diesem Bericht festgelegten Konzept
fortgeführt wird.
Was wird bei einer widersprüchlichen Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte geschehen? Welche
Rechtsprechung wird Vorrang haben? Wer wird,
abgesehen von den Rechtsanwälten, profitieren, wenn
einmal vor dem einen und einmal vor dem anderen
Gerichtshof geklagt werden kann?
Wie kann in einem rechtsverbindlichen Dokument
behauptet werden, dass alle Rechte, sei es das Recht auf
Leben oder das Recht auf Streik, gleichwertig sind?
Handelt es sich bei vielen dieser Fragen in Wirklichkeit
nicht eher um Fragen politischer Natur als um
Grundrechte?
Hatte Kommissar Byrne nicht Recht, als er sagte, dass
Fragen der Bildung, der Gesundheitsvorsorge und des
Wohnungswesens - und deren finanzielle Auswirkungen
- besser den gewählten Politikern als den Richtern
überlassen werden sollten?
3-118
Theorin (PSE), schriftlich.  (SV) Im Bericht wird die
Charta der Grundrechte behandelt und vorgeschlagen,
ihr bindenden Charakter zu verleihen. Eine bindende
Charta mit dieser Tragweite und diesem Schutzumfang
wird zu einem Motor für noch mehr Integration und
Überstaatlichkeit. Die Befugnisse des Gerichtshofs der
44
23/10/2002
Europäischen Gemeinschaften im Hinblick auf die
Rechtsprechung
in
Fällen
von
Menschenrechtsverletzungen werden erweitert. Eine
Charta mit Primärrechtsstatus öffnet im Grunde die
Türen für das auf der Charta basierende Sekundärrecht
(Verordnungen und Richtlinien). Ich teile die
Auffassung des schwedischen Reichstags, der sich gegen
eine bindende Charta ausgesprochen hat und vertrete den
Standpunkt, dass die Europäische Union nur der
Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten
sollte. Aus diesem Grunde kann ich den Vorschlag nicht
unterstützen.
und den USA eine unverzichtbare Voraussetzung des
Erfolgs ist.
Bisher haben wir feststellen können, dass die Terroristen
das Gegenteil erreicht haben, falls sie versucht haben
sollten, die westlichen Demokratien zu spalten. Diese
Erkenntnis sollte uns eine Lehre für die Zukunft sein.
Auch aus diesem Grund ist die externe Rolle der EU ein
sehr wichtiges Element im Kampf gegen den
Terrorismus.
Was hat die EU seit dem 11. September 2001
unternommen, und wie effektiv war dies?
3-119
Der Präsident. – Die Erklärungen
Abstimmungen sind geschlossen.
zu
den
(Die Sitzung wird um 13.29 Uhr unterbrochen und um
15.00 Uhr wiederaufgenommen.)
3-120
VORSITZ: GÉRARD ONESTA
Vizepräsident3
3-121
Terrorismusbekämpfung
3-122
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgen die
Erklärungen des Rates und der Kommission zur
Terrorismusbekämpfung.
Ich erteile umgehend Herrn Minister Haarder das Wort,
der im Namen des Rates zu uns sprechen wird.
3-123
Haarder, Ratspräsident. - (DA) Herr Präsident, als ich
gebeten wurde, eine Erklärung zu diesem Thema
abzugeben, wussten wir nichts über die aktuelle Tragik.
Wir reden heute über dieses Thema unter dem Eindruck
des grausamen Terroranschlags auf Bali vom
12. Oktober, der mehr als 200 Menschen das Leben
kostete. Diese Katastrophe war völlig unfassbar und hat
uns auch vor Augen geführt, dass die Terrordrohung
weiterhin sehr ernst genommen werden muss. Wir
dürfen uns nichts vormachen – der Kampf gegen den
Terrorismus wird zeitaufwändig und mühsam sein.
Das letzte Mal durfte ich in diesem Parlament am
11. September dieses Jahres über den Terrorismus
sprechen, als wir gemeinsam den Jahrestag des
Terroranschlags auf die USA begingen. Damals habe ich
betont, dass die USA wegen ihrer Stärke Ziel des
Terroranschlags wurden, weil sie auf der westlichen
Demokratie bestehen, auf Freiheit und Toleranz, aber
dass wir auch selbst das Ziel hätten sein können. Der
unerwartete Terrorangriff auf Bali hat gezeigt, dass sich
niemand sicher fühlen kann. Die Terroristen haben die
zahlreichen Vorteile der Globalisierung für ihr
unmenschliches und rücksichtsloses Spiel missbraucht.
Der Kampf gegen den Terrorismus ist ein globaler
Kampf, bei dem die Zusammenarbeit zwischen der EU
Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung –
Übermittlung Gemeinsamer Standpunkte des Rates: siehe Protokoll.
3
Die EU hat nach der Katastrophe des vergangenen
Jahres sehr schnell und tatkräftig reagiert. Zunächst
wurde in einer entschiedenen Erklärung der Staats- und
Regierungschefs der EU betont, dass die EU alles tun
wird, um sicherzustellen, dass die Verantwortlichen zur
Verantwortung gezogen und betraft werden. Die EU
machte auch deutlich, dass die amerikanische Regierung
und das amerikanische Volk auf die volle Solidarität und
Kooperation im weiteren Kampf gegen den Terrorismus
zählen können. Daran wird sich auch nichts ändern. Die
EU ließ es nicht bei Worten bewenden. Am
21. September
beschlossen
die
Staatsund
Regierungschefs den Aktionsplan, der zur Grundlage der
EU-Maßnahmen wurde. Die Liste der Erfolge ist
ziemlich beeindruckend.
Ein Hauptpunkt auf dieser Liste war die Verbesserung
der polizeilichen und juristischen Zusammenarbeit.
Besondere Erwähnung verdient die Einführung eines
europäischen Haftbefehls, die Festlegung einer
gemeinsamen Definition terroristischer Handlungen und
die Schaffung gemeinsamer Ermittlerteams. In diesen
Bereichen hat die EU einen Quantensprung vollzogen,
und die erforderlichen Rechtsakte zügig beschlossen.
Darüber hinaus wurde Einigkeit über einen Beschluss
zum Einfrieren von Geld- und Beweismitteln erzielt.
Dabei werden Regeln festgelegt, wie die Mitgliedstaaten
auf ihrem Hoheitsgebiet Beschlüsse über das Einfrieren
anerkennen und vollziehen, die von einer juristischen
Behörde eines anderen Mitgliedstaats erlassen worden
sind. Auch dadurch wird es für Terroristen schwieriger,
in den Mitgliedstaaten zu operieren. Ferner sind
Verhandlungen
mit
den
USA
über
ein
Kooperationsabkommen in Bezug auf Auslieferung und
gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen eingeleitet
worden, und es wird damit gerechnet, dass ein
Abkommen zwischen Europol und den USA über den
Austausch von Personendaten Ende des Jahres unter
Dach und Fach sein wird. Insgesamt muss man sagen,
dass die EU das getan hat, was man von ihr erwarten
konnte – und noch mehr.
Ein weiterer Hauptpunkt ist die effektive Beendigung
der Finanzierung des Terrorismus. Bereits im Dezember
2001 wurden die erforderlichen Rechtsakte zur
Umsetzung der Resolution Nr. 1373 des Sicherheitsrates
beschlossen.
23/10/2002
Dadurch wird die Finanzierung terroristischer Aktionen
wesentlich erschwert, ohne die der internationale
Terrorismus nicht existieren kann.
Hinzu kommen wichtige Maßnahmen im Bereich
Flugsicherheit.
Insgesamt haben wir Anlass, zufrieden und stolz auf die
Art und Weise zu sein, in welcher der Kampf gegen den
Terrorismus geführt worden ist. Es ist schwieriger
geworden, Terrorist zu sein und Terroraktionen in den
Mitgliedsländern durchzuführen, und wir haben mehr
Sicherheit und Schutz für unsere Bürger bekommen.
Können wir die Möglichkeit terroristischer Anschläge in
Zukunft ausschließen? Nein, das können wir nicht, aber
aus eben diesem Grunde müssen wir den Kampf mit
neuer Energie führen. Das gilt in Bezug auf die
Verfolgung von Terroristen, wo immer sie sich befinden
mögen, und es gilt für zielgerichtete Beihilfen, um die
zugrunde liegenden Ursachen zu beseitigen, die
mitverantwortlich für die Entstehung des Terrorismus
sind.
Haben wir die Rechtssicherheit der Bürger aufs Spiel
gesetzt? Für uns Politiker ist dies ein grundlegendes
politisches Dilemma. Ist es akzeptabel, unsere Freiheit
einzuschränken, um uns selbst gegen den Terrorismus zu
schützen? Schaffen wir eine Big Brother-Gesellschaft
mit dem Verweis auf den Schutz unserer Freiheit und
Sicherheit? Wo sollen wir die Grenze ziehen? Ich
glaube, dass der bekannte liberale Philosoph Karl Popper
uns einen Weg weist, wenn er sagt: „Wenn wir nicht
bereit sind, eine tolerante Gesellschaft gegen Angriffe
von Intoleranten zu verteidigen, dann werden die
Toleranten und mit ihnen die Toleranz vernichtet.“ Diese
Grenze erkenne ich auch im Entschließungsantrag des
Parlaments, in dem betont wird, dass Entschlossenheit
gefordert ist, wenn es darum geht, den Terroristen das
Handwerk zu legen. Die Präsidentschaft stimmt diesem
Prinzip zu, das sich aus dem Entschließungsantrag
ergibt, Erfolge für den Terrorismus zu verhindern.
Ich meine, dass wir das richtige Gleichgewicht gefunden
haben. Gleichzeitig kommt die Präsidentschaft auch zu
der Einschätzung, dass gegenwärtig innerhalb der EU
keine weiteren wesentlichen Antiterrormaßnahmen
erforderlich sind.
Für die dänische Präsidentschaft steht die Bekämpfung
des Terrorismus an erster Stelle. Terrorbekämpfung war
bisher insbesondere auf die externe Rolle der EU
gerichtet. Gleichzeitig wollen wir natürlich die
Durchführung der internen Maßnahmen fortsetzen.
Die dänische Präsidentschaft verfolgt das Ziel, durch
Integration der Terrorbekämpfung in alle Aspekte der
Außenpolitik der EU Fortschritte zu erzielen. Neben der
Verbesserung der internationalen Rolle der EU durch die
stärkere Betonung der Terrorismusbekämpfung in der
Außenpolitik der EU und die systematische Bewertung
der Maßnahmen von Drittländern im Kampf gegen den
Terrorismus verfolgt die EU das Ziel, als Bannerträger
bei der UN und in anderen internationalen Foren
45
aufzutreten. Die Aufrechterhaltung der internationalen
Antiterrorkoalition und die Zusammenarbeit mit den
USA sind unabdingbar. Weitere Aspekte sind der
Abschluss einer allgemeinen Anti-Terror-Konvention
und die weltweite Umsetzung der 12 bestehenden
internationalen Konventionen über die Bekämpfung
spezieller Terrorakte.
Mit den Schlussfolgerungen des Rates vom 22. Juli 2002
über die externe Aktion der EU gegen den Terrorismus
begann ein neues Kapitel im Kampf gegen den
Terrorismus. In Zukunft wird die EU bei Abkommen mit
Drittländern die Maßnahmen dieser Länder gegen den
Terror
stärker
berücksichtigen
und
einen
zielgerichteteren und, wenn nötig, deutlicheren
politischen Dialog mit Drittländern führen. Es wurde
außerdem
beschlossen,
konkrete
Maßnahmen
festzulegen, um Drittländern bei der Erfüllung ihrer
Verpflichtungen gemäß Resolution Nr. 1373 des
Sicherheitsrats zu helfen und sich im Hinblick auf die
Durchführung eines Pilotprojekts in Zusammenarbeit
mit dem UN-Ausschuss zur Bekämpfung des
Terrorismus auf eine geringere Anzahl Länder zu
konzentrieren. Es sollen insbesondere Länder
angesprochen werden, die zwar den politischen Willen
haben, aber nicht in der Lage sind, die Resolutionen der
UN umzusetzen. Besonders in den zuletzt genannten
Bereichen besteht die Hoffnung, dass konkrete
Ergebnisse
bereits
während
der
dänischen
Präsidentschaft erreicht werden können, indem ein oder
zwei Pilotprojekte auf den Weg gebracht werden.
Um den Inhalt vertraglicher Beziehungen zu
Drittländern aus der Sicht des Abschlusses von
Vereinbarungen neu bewerten zu können, den
politischen Dialog erforderlichenfalls zu verstärken und
die eventuelle Notwendigkeit von Hilfe für Drittländer
einzuschätzen, ist jedoch eine genaue und umfassende
Bewertung der Bedrohung notwendig. Daher hat es die
Präsidentschaft
als
vorrangig
angesehen,
die
erforderliche Analyse der einzelnen Länder und
Regionen anzufertigen. Die Arbeit macht gute
Fortschritte, und wir gehen davon aus, dass die dafür
benötigten analytischen Grundlagen bald vorliegen
werden.
Wir müssen unseren Gesprächspartnern in Drittländern
die Botschaft vermitteln, dass ihr Verhalten bei der
Terrorbekämpfung ihre Beziehungen zur EU wesentlich
beeinflussen werden. Deshalb freue ich mich auch, dass
dieser Gedanke im Entschließungsantrag zum Ausdruck
kommt.
Die EU kann in Bezug auf ihre Reaktionen nach dem
Terroranschlag vom 11. September mit Sicherheit stolz
auf ihr Handeln sein. Wir haben unser eigenes Haus
entsprechend den UN-Resolutionen in Ordnung
gebracht, und wir haben das so getan, dass die
Rechtssicherheit der Bürger nicht auf der Strecke
geblieben ist.
Jetzt müssen wir nach draußen sehen und international
die Rolle spielen, die von uns erwartet wird. Wir müssen
46
23/10/2002
uns an der Antiterrorkoalition beteiligen und mit unseren
engsten Partnern, vor allem den USA, intensiv
zusammenarbeiten. So können wir hoffen, erfolgreich zu
sein. Ich rechne daher mit der weiteren Unterstützung
des Parlaments für die hier vorgestellte Linie und
möchte mich bei den beiden Kommissaren für die
Zusammenarbeit in diesem Bereich bedanken.
Was die polizeiliche Zusammenarbeit anbelangt, so
wurden wichtige Schritte zur Stärkung der
operationellen Zusammenarbeit zwischen den nationalen
Anti-Terroreinrichtungen und Europol getan. Diese
operationelle Kooperation ist bisweilen nicht besonders
sichtbar, aber sie existiert und hat sich im Laufe des
vergangenen Jahres deutlich verbessert.
(Beifall)
Die Kommission darf durchaus stolz sein auf ihre
Bemühungen zur Verbesserung der analytischen
Kapazitäten, vor allem hinsichtlich der Einschätzung der
Terrorgefahr durch Europol und insbesondere
hinsichtlich der konkreten Maßnahmen, die zur
Erhöhung des Informationsflusses in Richtung Europol
eingeleitet wurden, einschließlich des Austausches
zwischen
den
Polizeidiensten
und
den
Nachrichtendiensten der Mitgliedstaaten, um zu
gewährleisten, dass dieses Kooperations- und
Analyseinstrument gezielter und häufiger zum Einsatz
kommen kann.
3-124
Vitorino, Kommission. – (FR) Herr Präsident, Herr
amtierender Ratspräsident, meine Damen und Herren
Abgeordnete! Die jüngsten dramatischen Ereignisse in
Indonesien sind der Beweis dafür, dass der Terrorismus,
dieses blinde und feige Verbrechen, trotz der
Anstrengungen, die die internationale Gemeinschaft im
Allgemeinen und die Europäische Union im Besonderen
seit einem Jahr unternommen haben, immer noch brutal
zuschlagen kann.
Dies kann uns nur in der Überzeugung bestärken, dass
wir diesen Terror unermüdlich mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln und mit einer globalen Perspektive
bekämpfen müssen. In diesem Kampf spielt die Union
eine vorrangige Rolle, wie dies Minister Haarder beredt
dargelegt hat.
Unsere Antwort auf den Terrorismus gründet sich auf
den Wunsch, der Europäischen Union und den
Mitgliedstaaten möglichst rasch die Mittel für eine
effizientere Zusammenarbeit zur Verfügung zu stellen,
und zwar auf der Grundlage der uneingeschränkten
Beachtung unserer demokratischen Grundsätze, damit
der Schutz der Grundfreiheiten und des Rechtsstaates
ebenfalls verstärkt wird.
Im Übrigen ist festzuhalten, dass die schnelle Reaktion
der Europäischen Union nach den Attentaten vom
11. September
weitgehend
dem
effizienten
Zusammenwirken unserer Institutionen – Parlament,
Kommission und Rat – zu verdanken ist. Eben dieses
Zusammenwirken kam auch bei der Umsetzung eines
grundpfeilerübergreifenden
Lösungsansatzes
zum
Ausdruck, welcher dem Ausmaß der Herausforderung
angemessen ist, die der Terrorismus – sei es der
internationale Terrorismus oder der Terrorismus in den
einzelnen Mitgliedstaaten – darstellt.
Ich werde nicht nochmals auf die Erfolge eingehen, die
die Umsetzung der vor nunmehr einem Jahr
beschlossenen Strategie bereits erbracht hat. Ich erwähne
lediglich, dass die Union auf der Grundlage der
Kommissionsvorschläge
eine
gemeinsame
Terrorismusdefinition verabschiedet, den Strafenkatalog
für Terrorakte harmonisiert und einen europäischen
Haftbefehl eingeführt hat. Diese Instrumente erweisen
sich als hilfreich bei den Verhandlungen über das
Internationale
Übereinkommen
zur
Terrorismusbekämpfung, die derzeit im Rahmen der
Vereinten Nationen stattfinden.
Die Kommission ihrerseits hat auf Initiative des
Europäischen Parlaments dem Rat vorgeschlagen,
bestimmte Aktivitäten, mit Hilfe derer Europol mit den
erforderlichen zusätzlichen Instrumenten zur Stärkung
und Koordination der Maßnahmen der Mitgliedstaaten
zur Terrorismusbekämpfung ausgestattet werden soll,
aus dem Gemeinschaftshaushalt zu finanzieren.
Was die interne Terrorismusbekämpfung anbelangt, so
wird weiterhin an der Präzisierung der Instrumente
gearbeitet, die das Einfrieren von Guthaben und die
Sperrung der Gelder von Terrororganisationen
erleichtern, sowie an der gegenseitigen Anerkennung,
die die Vollstreckung von Entscheidungen zum
Einfrieren von Guthaben von Seiten der Justizbehörden
eines Mitgliedstaates auch in anderen Mitgliedstaaten
ermöglichen. Die Kommission wird im kommenden Jahr
eine Bewertung der verabschiedeten Mechanismen zur
Bekämpfung der Finanzkriminalität durchführen.
Gleichzeitig wird sie einen Vorschlag bezüglich des
Einfrierens und der Beschlagnahme des Vermögens von
Gruppierungen vorlegen, die von Personen kontrolliert
werden, welche in die Finanzierung terroristischer
Aktivitäten verwickelt sind, damit gewährleistet ist, dass
rechtmäßige Geschäfte nicht zur Finanzierung des
Terrorismus missbraucht werden können. Der Schutz
unserer Außengrenzen war ebenfalls Gegenstand
intensiver Bemühungen und erster innovativer
Vorschläge, die manche für gewagt halten, die meines
Erachtens jedoch gut geeignet sind, die zahlreichen
schwierigen Aufgaben zu meistern, auf die sich die
Union zur Wahrung ihrer Stabilität und inneren
Sicherheit vorbereiten muss.
Im Außenbereich – wobei ich hier nicht detailliert auf
unsere Maßnahmen, über die Kommissar Patten Sie
später informieren wird, eingehen möchte – verdient die
Zusammenarbeit mit den USA besondere Erwähnung.
Das Abkommen über die strategische Zusammenarbeit
zwischen Europol und den USA, das den Austausch von
strategischen
Informationen
und
von
Verbindungsoffizieren ermöglicht, ist ein gutes Beispiel
23/10/2002
für diese Zusammenarbeit. Derzeit wird ihre
Ausdehnung auf die Polizeidienste im Rahmen einer
Zusammenarbeit auf gerichtlicher Ebene innerhalb von
Eurojust beraten. Die gegenwärtig verhandelten
Übereinkommen, beispielsweise in den Bereichen
Austausch persönlicher Daten, Auslieferung oder
gegenseitige Amtshilfe, werden ebenfalls eine
wesentliche Rolle spielen. Die Kommission begrüßt es,
dass die vom Rat erteilten Mandate die Gewährleistung
der vollständigen Anerkennung unserer Werte und
unserer Rechtsgrundsätze durch die geplanten
Kooperationsabkommen vorschreiben.
Sofern dies erforderlich sein sollte, sei nochmals daran
erinnert, dass es bei der Terrorismusbekämpfung nicht
nur um den Schutz unserer Grundsätze geht, sondern vor
allem um den Schutz unserer Mitbürger sowie um die
Gewähr dafür, dass – sollte das Schlimmste eintreten –
die Solidarität zum Tragen kommen kann. In diesem
Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass die
Kommission vergangene Woche vorgeschlagen hat, alle
Opfer von Kriminalität und Terror in der Europäischen
Union für Personenschäden und erlittene Verluste zu
entschädigen,
wobei
eine
generelle
Mindestentschädigung festgelegt werden soll. Solidarität
und Prävention stehen auch im Mittelpunkt der äußerst
konkreten Initiativen, die in den Bereichen
Luftverkehrssicherheit und Zivilschutz zur verbesserten
Koordinierung und Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten
ergriffen wurden. Hierzu zählen auch Fragen der
Volksgesundheit und des Schutzes öffentlicher
Einrichtungen, die für das Gemeinwesen von
wesentlicher
Bedeutung
sind
wie
Wasserversorgungsanlagen oder Elektrizitäts- und
Atomkraftwerke.
Am 27. und 28. Oktober 2002 findet zum ersten Mal
eine europaweite Zivilschutzübung statt, bei der die
Folgen eines Terroranschlags unter Einbeziehung
radioaktiver und chemischer Stoffe simuliert werden, um
das neue, von der Kommission geschaffene
Überwachungs- und Informationszentrum zu testen. All
diese Bemühungen dürfen und werden sich jedoch nicht
auf
diese
Aspekte
beschränken.
Die
Terrorismusprävention und -bekämpfung erfordert mehr
denn je die Stärkung der Union als Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts. Dies ist eine unserer
wichtigsten Aufgaben innerhalb des Konvents zur
Zukunft Europas. Die Kommission wird in diesem
Zusammenhang
institutionelle
Reformvorschläge
unterbreiten, damit die Union über alle erforderlichen
Mittel zur tatkräftigen und effizienten Bewältigung der
aktuellen
und
insbesondere
der
künftigen
Herausforderungen verfügt.
(Beifall)
3-125
Patten, Kommission. – (EN) Herr Präsident, ich freue
mich über die Gelegenheit, einen Beitrag zu dieser
Debatte zu leisten. Wie der Ratspräsident und mein
Freund und Kollege, Herr Vitorino, bereits sagten,
47
zeigen die jüngsten Ereignisse in Indonesien klar und
deutlich, dass weiterhin eine sehr reale Bedrohung der
internationalen Gemeinschaft durch Terroranschläge
besteht, trotz der enormen Anstrengungen, die wir im
vergangenen Jahr unternommen haben, um dieser
Bedrohung entgegenzutreten. Wir sprechen all denen
unser Mitgefühl und unser Beileid aus, die bei den
Anschlägen auf Bali Angehörige verloren oder selbst
entsetzliche Verletzungen erlitten haben. Wir denken
insbesondere an unsere Freunde in Australien, denen wir
versichern, dass wir Wege zu einer engen
Zusammenarbeit finden werden, um den Terrorismus in
allen seinen Erscheinungsformen zu bekämpfen. Wir
werden schon bald eine hochrangige Troika nach
Indonesien entsenden, die dort klären wird, welchen
Beitrag wir zu diesem Vorhaben leisten können. Diese
Troika wird anschließend nach Australien weiterreisen,
um sicherzustellen, dass wir uns so umfassend wie
möglich einbringen und auch mit Australien
zusammenarbeiten können.
Wir in der Europäischen Union beteiligen uns in
vorderster Reihe an den internationalen Anstrengungen
zur Bekämpfung des Terrorismus. Unsere Maßnahmen,
die wir unmittelbar nach dem 11. September getroffen
haben, verdeutlichen einen Punkt, den ich im
Zusammenhang mit der Debatte über die Wirksamkeit
der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen
Union erwähnt habe: Wenn der politische Wille
vorhanden ist, können wir unabhängig von der
institutionellen Architektur wirksame Maßnahmen
ergreifen.
Schon wenige Tage nach den Anschlägen in Amerika
wurden von der Europäischen Kommission eine Reihe
konkreter Maßnahmen vorgeschlagen. Danach wurde,
wie bereits erwähnt, auf einer Sondertagung des
Europäischen Rates am 21. September ein Aktionsplan
verabschiedet. Eine Woche später wurde im
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution
1373 angenommen, eine wirklich richtungweisende
Resolution, in der zum ersten Mal ein klar definiertes
Maßnahmenpaket festgelegt
wurde, dem alle
Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus
folgen müssen. Ich sage ganz bewusst, folgen „müssen“.
Diese Resolution wurde gemäß Kapitel VII der UNCharta gebilligt, und dies bedeutet, dass sie obligatorisch
ist. Die Unterstützung aller Mitglieder für eine solche
Resolution zeigt, wie groß die internationale Empörung
über die Anschläge vom 11. September war.
Der Aktionsplan der Europäischen Union ist nicht in
Stein gemeißelt. Wir haben ihn an die neuen
Gegebenheiten, zu denen unter anderem die
Verabschiedung der Resolution 1373 gehört, angepasst.
Wir haben außerdem einen „Fahrplan“ vorbereitet, in
dem die Instrumente zur Umsetzung des Aktionsplans
festgelegt sind. Wir haben auf Unionsebene praktische
Schritte unternommen, um Terrororganisationen
verbieten und ihnen den Zugang zu ihren
Finanzierungsquellen versperren zu können. Einige
Redner haben dies bereits erwähnt. Mein Kollege hat die
wesentlichen Schritte soeben erläutert, die wir im
48
Bereich
der
polizeilichen
und
justiziellen
Zusammenarbeit, der Grenzsicherheit und anderer
interner Fragen unternommen haben.
Alle diese Maßnahmen zur Bekämpfung des
Terrorismus können jedoch nur dann etwas bewirken,
wenn sie überall angewandt werden, wenn es keinen Ort
mehr gibt, an dem sich Terroristen verstecken können
und wenn ihre Finanzierungsquellen austrocknen. Daher
besteht die neue Herausforderung, vor der wir nun
stehen, in der Unterstützung der Länder, die selbst nicht
zur vollständigen Umsetzung der Resolution 1373 in der
Lage sind, weil die institutionellen Voraussetzungen
fehlen, weil sie nicht über die notwendige
Fachkompetenz oder die erforderlichen finanziellen
Mittel verfügen.
Hier kommt der Europäischen Union eine wichtige Rolle
zu. Ein großer Teil der notwendigen Arbeit muss in
Bereichen geleistet werden, in denen die Europäische
Union durch ihre Programme, wie zum Beispiel Phare,
Tacis, Meda und Cards, eine hohe Fachkompetenz
entwickelt hat. Ich denke hier an die Arbeit, die wir
bereits leisten, indem wir unsere Partnerländer beim
Aufbau schlagkräftiger Strafverfolgungsbehörden, bei
der Verbesserung der Grenzüberwachung und der
Bekämpfung der Geldwäsche unterstützen. In den
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 22. Juli
wurden wir aufgefordert zu prüfen, was wir über die
bereits laufenden Maßnahmen hinaus noch tun können.
Wir haben erst kürzlich eine Strategie zur Ermittlung
von Pilotländern erarbeitet, die aus unserer Sicht Hilfe in
Bereichen benötigen, in denen die Kommission über
mehr Erfahrung verfügt. Diese Strategie wurde vom Rat
im Ausschuss der Ständigen Vertreter des COREPER
am 3. Oktober gebilligt. Wir prüfen, welche Maßnahmen
in den Ländern möglich sind, die bei der Bekämpfung
des Terrorismus eine besonders wichtige Rolle spielen:
in Zentralasien, Süd- und Südostasien und der
Golfregion. Wir hoffen, dass wir schon bald
Delegationen in einige dieser Länder entsenden können,
damit konkrete Projekte, insbesondere im Bereich der
Finanzierung von Terrororganisationen, erarbeitet
werden können.
Außerdem haben wir die Bekämpfung des Terrorismus
in
alle
Aspekte
unserer
Außenbeziehungen
aufgenommen. Wir nehmen eine systematische
Überprüfung unserer Beziehungen zu Drittländern vor,
bei der die Frage im Mittelpunkt steht, ob diese Länder
möglicherweise den Terrorismus unterstützen. In diesem
Zusammenhang prüfen wir, wo Elemente der
Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung
nachträglich in bestehende Abkommen aufgenommen
oder in neue Abkommen einbezogen werden können,
wie bei unseren Assoziierungsabkommen mit dem
Libanon, Algerien und Chile geschehen.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass unsere
außenpolitischen Maßnahmen über den politischen
Dialog hinausgehen. Die Europäische Union leistet in
beträchtlichem Umfang Entwicklungshilfe. Wir stellen
23/10/2002
etwa 55 % der gesamten internationalen Hilfe und
immerhin zwei Drittel aller Zuschüsse bereit. Dies ist ein
oft übersehener Beitrag zur internationalen Sicherheit im
weitesten Sinne. Armut und Umweltprobleme sind
weder die Ursache noch eine Rechtfertigung für den
Terrorismus. Außerdem sind Arme keine schlechteren
Menschen als alle anderen. Tatsache ist jedoch nicht nur,
dass arme Menschen in reichen Gesellschaften häufiger
Opfer von Straftaten werden, sondern auch, dass
politische Instabilität und Gewalt in den ärmsten
Ländern weiter verbreitet sind. Dies wird ganz besonders
in zerfallenen oder zerfallenden Staaten deutlich. Wenn
wir erreichen wollen, dass es keinen Ort mehr gibt, von
dem aus El-Kaida und andere Terrornetze weitere
Verbrechen planen können, müssen wir alles in unserer
Macht Stehende tun, um schwache oder zerfallende
Staaten zu unterstützen.
Unsere Aktion in Afghanistan ist ein gutes Beispiel. Die
Europäische Union ist der größte Geldgeber beim
Aufbau dieses zerstörten Landes. Die Gemeinschaft
allein hat für die nächsten fünf Jahre über 1 Milliarde
EUR aus dem Haushalt zugesichert. Dazu gehört ein
umfangreicher Beitrag zu den laufenden Kosten der
neuen Regierung, einschließlich der Gehälter für die
Polizei, für Krankenschwestern, Ärzte, Lehrer und
Zivilbedienstete.
Dies ist unser Beitrag, den wir bisher zur Bekämpfung
des Terrorismus geleistet haben. Schließen möchte ich
mit dem Gedanken, dass wir die Maßnahmen zur
Bekämpfung des Terrorismus aus einem engeren oder
aus einem weiteren Blickwinkel betrachten können. Der
engere Blickwinkel ist ausschließlich auf Terroristen und
Terroranschläge, auf die Festnahme von Terroristen und
die Verhütung oder die strafrechtliche Verfolgung von
Terroranschlägen beschränkt. Es gibt jedoch auch einen
Blickwinkel, der mehr als das einschließt: Unsere
Maßnahmen
müssen
im
Kontext
unserer
unerschütterlichen Unterstützung für Demokratie,
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit betrachtet
werden. Wir besitzen eine Vielzahl von Instrumenten,
mit denen wir die Ursachen des Terrorismus bekämpfen
können, sowohl im Bereich der Armutsbekämpfung und
der Wirtschaftsentwicklung als auch beim Aufbau von
Institutionen und Rechtsstaatlichkeit. In diesen
Bereichen wird unser Beitrag zur Bekämpfung des
Terrorismus die größte Wirkung zeigen.
Der Kampf gegen den Terrorismus ist nicht mit einer
konventionellen Militäraktion zu vergleichen. Wir
können nicht davon ausgehen, dass es einen Anfang,
eine Mitte und ein siegreiches Ende mit
Kapitulationserklärung und Friedensverträgen geben
wird. Dieser Kampf, den nur ein paar tausend
Terroristen gegen die gesamte Menschheit führen, wird
in vielen unterschiedlichen Formen noch lange Zeit
weitergehen.
Der Ratspräsident hat am Anfang dieser Aussprache aus
Karl Poppers Werk „Die offene Gesellschaft und ihre
Feinde“ zitiert. Ich glaube, in unserer Generation hat
dieses Buch unsere Einstellungen fast ebenso
23/10/2002
entscheidend geprägt, wie alle anderen Werke der
großen politischen Philosophen. Als Karl Popper die
zitierten Worte schrieb, bezog er sich auf den
Totalitarismus als Feind der Gesellschaft, einen viel
klareren Feind also. Um diesem Feind begegnen zu
können, sagte er, gestützt auf andere politische
Philosophen wie Burke, müsse die Freiheit bis zu einem
gewissen Grad eingeschränkt werden, damit sie erhalten
werden könne.
Wir sind heute mit einem anderen Problem konfrontiert.
Terroranschläge auf freie Gesellschaften können in
offenen Gesellschaften viel leichter verübt werden. Der
einzige Weg, um den Terrorismus ganz zu unterbinden,
ist eine Art globaler „Orwellianismus“, der Liberale, wie
den Ratspräsidenten und mich, zu der Art von Angriffen
provozieren würde, die andere als terroristisch
betrachten könnten. Wir befinden uns hier in einer
wirklich paradoxen Situation. Deshalb ist es so wichtig,
dass
offene
Gesellschaften
und
freiheitliche
Demokratien, ohne ihre Werte aufzugeben, umfassend,
kooperativ und intelligent zusammenarbeiten.
Die Kampagne gegen den Terrorismus erfordert eine so
breit angelegte und so umfassende internationale
Zusammenarbeit, wie es sie vorher noch nie gab: Sie
schließt
die
politische
Zusammenarbeit,
die
wirtschaftliche
Zusammenarbeit
und
die
Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen ein. Die
Europäische Union muss energisch, großzügig und
kreativ ihren Beitrag zu diesen Anstrengungen leisten,
und ich hoffe, sie wird ein Schlüsselpartner in einer
sorgfältig geplanten und entschlossen geführten
Kampagne des multilateralen Engagements sein.
(Beifall)
3-126
Brok (PPE-DE), Vorsitzender des Ausschusses für
auswärtige
Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik. - Herr
Präsident,
Herr
Ratspräsident,
meine
Herren
Kommissare! Ich möchte hier meinen Protest zum
Ausdruck bringen. Diese Entschließungen, zu denen die
Fraktionen jetzt Änderungsanträge eingebracht haben,
wurden von zwei Ausschüssen vorbereitet. Ich finde es
nicht richtig, dass der Kollege des anderen Ausschusses
nicht auch am Anfang der Rednerliste steht. Ich bitte, die
Rednerliste zu ändern, so dass mein Kollege nach mir zu
Wort kommt und dann die Sprecher der Fraktionen
folgen. Ich glaube auch, niemand von den anderen
Fraktionen hat etwas dagegen.
Das Thema des Terrorismus wird ja gerade symbolhaft
von diesen beiden Ausschüssen behandelt. Die Tatsache,
dass wir eine gemeinsame Arbeit als Grundlage für die
Anträge der Fraktionen vorgelegt haben, macht deutlich,
dass dies eine völlig neue Angelegenheit ist, nämlich
dass innere und äußere Sicherheit gemeinsam in Aktion
treten müssen, um das Krebsgeschwür des Terrorismus
zu bekämpfen. Wir können nicht mehr mit den
klassischen Polizeimethoden und der innerstaatlichen
49
Repression ankommen, und dieser Situation ist auch
nicht mehr mit klassischen militärischen Mitteln
beizukommen. Jetzt ist eine neue Definition von
Sicherheitspolitik geboten - eine neue Definition, die
deutlich macht, dass man es hier mit einem
grenzüberschreitenden Problem zu tun hat. Der Gegner
steht nicht mehr hinter einer festgelegten Grenze,
sondern er ist innerhalb unserer Grenzen. Meist befindet
er sich innerhalb von Grenzen, die ihn schützen, weil er
sich dort auf seine Tat, die er in einem anderen Land
begehen wird, vorbereitet, d. h., die Grenzen trennen uns
nicht länger von dem Gegner, sondern sie schützen ihn.
Aus diesem Grunde müssen wir hier neue Methoden
entwickeln, und wir versuchen, hier einige Vorschläge
zu unterbreiten.
Dabei ist allerdings völlig klar, dass eine Kooperation in
allen Bereichen des Militärischen, der inneren
Sicherheit, der Sicherheitsorgane und der Geheimdienste
notwendig ist, um auf diese Art und Weise zu
Kenntnissen zu gelangen, wie man gegen den
Terrorismus vorgehen kann. Es kann nicht sein, dass die
Bürger innerhalb unserer Staaten zu Tode kommen, weil
die Nationalstaaten nicht bereit sind, Informationen
auszutauschen.
Ich meine, dass nach allen wichtigen Maßnahmen, die
nach dem 11. September getroffen wurden, doch nur ein
Teil von dem realisiert wurde, was man damals
besprochen hatte. Das schreckliche Ereignis in Bali zeigt
erneut - Herr Patten hat ja besonders deutlich darauf
hingewiesen -, in welcher Weise solche Vorkommnisse
weiter um sich greifen werden. Allerdings muss dabei
klar sein, dass sie nur erfolgreich bekämpft werden
können, wenn wir den Rechtsstaat und das Völkerrecht
respektieren. Wir dürfen nicht selbst mit einem
Rechtsbruch reagieren. Wir müssen jedoch in der Lage
sein, gleichzeitig den Rechtsstaat und das Völkerrecht zu
gewährleisten und handlungsfähig zu sein. Deswegen
haben wir ja diese komplizierte Situation, die im
Zusammenhang mit den Vereinten Nationen bzw. der
Rolle des Sicherheitsrates steht. Der Sicherheitsrat hat
natürlich in erster Linie und prioritär seine Funktion
dahin gehend auszuüben, dass man im außenpolitischen
Bereich über diese Schiene kommt, aber es kann nicht
der einzige Weg sein!
Ich finde es gut, dass man hier von einer allgemeinen
Konvention gegen den Terror spricht. Ich meine auch,
dass deutlich gemacht werden muss, dass weder die
Religion noch Armut, noch irgendein anderer Grund
rechtfertigen kann, dass Zivilpersonen durch Terroristen
zu Tode gebracht werden. Es gibt keine Entschuldigung,
welche auch immer, für Terrorismus!
(Beifall)
3-127
Hernández Mollar (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident,
Herr Brok hat zu Beginn seiner Rede eine Bitte geäußert,
und diese verdient meiner Ansicht nach zumindest eine
Antwort seitens des Präsidiums. Jedenfalls unterstütze
ich seine Worte, wobei außerdem zu berücksichtigen ist,
50
dass die Konferenz der Präsidenten bei der Erteilung des
Auftrags für diese Entschließung den Ausschuss für
auswärtige
Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik und
den Ausschuss für Freiheiten und Rechte der Bürger
konsultiert hat. So steht es in der Abstimmungsliste der
Dienste des Parlaments.
23/10/2002
3-132
Der Präsident. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich kann Ihnen Folgendes vorschlagen: Ich werde mich
an die Kollegin wenden, die jetzt normalerweise laut
Anzeige und gemäß unserer Geschäftsordnung an der
Reihe wäre. Sofern sie einverstanden ist, werde ich
selbstverständlich keinen Einwand erheben und zunächst
Herrn Hernández Mollar das Wort erteilen.
3-128
Der Präsident. – Ihrer Bitte um eine Antwort von Seiten
des Vorsitzes komme ich gerne nach: die Reihenfolge
der Redner ist durch die Geschäftsordnung festgelegt.
Werter Kollege, Sie verwechseln Artikel 37 mit
Artikel 42 oder 50, die in der Tat beide bewirken, dass
zunächst die Verfasser oder die Verantwortlichen der
Ausschüsse zu Wort kommen. Für Artikel 37 trifft dies
jedoch nicht zu, es sei denn, die Konferenz der
Präsidenten hätte anders entschieden, was jedoch hier
nicht der Fall war. Folglich bin ich verpflichtet, die
Geschäftsordnung anzuwenden, so leid es mir auch tut.
Zu gegebener Zeit wird Ihnen die für Sie vorgesehene
Redezeit zustehen, aber ich bin verpflichtet, die
angezeigte Reihenfolge einzuhalten.
3-129
Brok (PPE-DE). - Herr Präsident! Unabhängig davon,
was die Konferenz der Präsidenten festgelegt haben
mag, möchte ich doch festhalten, dass man sich in der
Tat an die Geschäftsordnung halten sollte. Sie haben
gesagt, die Autoren kommen am Anfang. Die Autoren
sind die beiden Autoren der Ausschüsse. Dann steht
dort: Diese Berichte werden durch die Änderungsanträge
von diesem bzw. jenem ersetzt. Das ist das normale
Verfahren bei Änderungsanträgen. Die beiden Autoren
sitzen hier. Vielleicht hat man sich ja auch geirrt!
Vielleicht ist das Präsidium, insbesondere die Beamten
des Präsidiums, ja so flexibel, einen solchen Irrtum
einzugestehen, damit wir wirklich zu neuen Ufern
kommen können und nicht mit der mangelnden
Flexibilität auch unsere Unfähigkeit, Politik zu machen,
zum Ausdruck bringen.
3-130
Der Präsident. – Ich sage es noch einmal, denn
vielleicht wurden meine Ausführungen nicht richtig
übersetzt oder ich habe mich unklar ausgedrückt. In
diesem Fall findet Artikel 37 Anwendung, in dem der
Begriff Verfasser nicht vorkommt.
3-131
Ludford (ELDR). – (EN) Herr Präsident, ich habe eine
Bemerkung zur Geschäftsordnung. Ich bestehe darauf,
dass der Vorsitzende meines Ausschusses, Herr
Hernandez Mollar, vor meinem Redebeitrag spricht.
Herr Brok hat Recht: Dies ist ein gemeinsamer
Entschließungsantrag von zwei Ausschüssen. Als
Sprecherin der Liberaldemokraten im Ausschuss für
Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und Innere
Angelegenheiten bitte ich darum, dass dem Vorsitzenden
meines Ausschusses vor mir das Wort erteilt wird. Wenn
dies in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen ist, sollte
sie dahingehend geändert werden. Wir sollten flexibel
genug sein, um eine sinnvolle Reihenfolge zu
akzeptieren.
3-133
Terrón i Cusí (PSE). – (ES) Herr Präsident, das bei der
Ausarbeitung dieser Entschließung angewendete
Verfahren war etwas seltsam und hat uns allen
Schwierigkeiten bereitet.
Selbstverständlich hat der Kampf gegen den Terrorismus
derzeit sowohl innen- als auch außenpolitische Aspekte,
und ich möchte die Bedeutung der Arbeit meines
eigenen Ausschusses nicht geschmälert sehen.
Daher würde ich Sie bitten zu erlauben, dass Herr
Hernández Mollar vor mir spricht. Wenn dies nach der
Geschäftsordnung nicht möglich ist, bin ich bereit,
meinen Redeplatz mit seinem zu tauschen, was den
Diensten ja wohl keine größeren Schwierigkeiten
verursachen dürfte.
3-134
Der Präsident. – Der allgemeinen Stimmung folgend,
die sich abzuzeichnen scheint, werden wir uns also über
die Geschäftsordnung hinwegsetzen, und somit darf ich
nun mit großem Vergnügen Herrn Hernández Mollar das
Wort erteilen.
Wie Sie sicherlich alle verstehen, muss ich mich als
Hüter der Regeln natürlich an die Texte halten, da Sie
mich andernfalls kritisieren könnten.
3-135
Hernández Mollar (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, in
der Politik werden Dogmen durch den Mehrheitswillen
überwunden, und in diesem Fall glaube ich, dass meine
Kollegen, für deren Worte ich sehr dankbar bin, ihren
Willen sehr deutlich zum Ausdruck gebracht haben.
Herr Präsident, Herr amtierender Präsident des Rates,
meine Damen und Herren Kommissionsmitglieder! Das
jüngste von der Kommission veröffentlichte Barometer
für 2002 zeigt, dass sechs Monate nach den Ereignissen
des 11. September mehr als zwei Drittel der
europäischen Bürgerinnen und Bürger der Ansicht
waren, der Kampf gegen den Terrorismus sei eine
Angelegenheit, die eher auf der Ebene der Europäischen
Union als auf nationaler Ebene angesiedelt sein sollte.
Verdienen nun, dreizehn Monate später, die Union und
ihre Mitgliedstaaten weiterhin dieses Vertrauen? In
diesen Kontext sollte sich die heutige Debatte einordnen.
Wir haben uns zusammengefunden, um über die
Fortschritte der Europäischen Union in dem schwierigen
Kampf gegen den Terrorismus und über ihre künftige
Strategie zu diskutieren.
Nach der intensiven Arbeit und den unternommenen
Anstrengungen ist der Moment gekommen, innezuhalten
23/10/2002
und sich zu fragen: Was haben wir erreicht? Wobei sind
wir gescheitert? Und folglich: Welche nächsten Schritte
müssen wir unternehmen? Es ist gewiss eine gewaltige
Arbeit geleistet worden. Denken wir an die Annahme
des Aktionsplans zur Bekämpfung des Terrorismus, die
Verabschiedung einer gemeinsamen Definition und
gemeinsamer Strafen sowie des Europäischen
Haftbefehls in Rekordzeit und außerdem an die
Ingangsetzung – wie hier bereits gesagt wurde – von
Eurojust und die Reaktivierung von Europol. Wir
müssen jedoch ehrlich sein, und zwar nicht nur uns
selbst gegenüber, sondern auch gegenüber unseren
Bürgerinnen und Bürgern. Angesichts der Realität und
Aktualität der terroristischen Bedrohung sind viele
europäische Maßnahmen noch rein theoretisch.
Die Anschläge vom 11. September haben alle
Hindernisse ans Licht gebracht, die der vollständigen
Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und
des Rechts entgegenstehen. Glauben Sie, meine Damen
und Herren, dass sich die europäischen Bürgerinnen und
Bürger und mehr noch die Opfer des Terrorismus und
deren Familienangehörige im Falle einer erneuten
Krisensituation mit einer Erklärung von uns zufrieden
geben würden, dass die fehlende Wirksamkeit bei der
Reaktion der Europäischen Union auf ihre eigene
Architektur in Form von Pfeilern, auf die Schwierigkeit
der einstimmigen Annahme von Entscheidungen, auf die
Haltung einiger Mitgliedstaaten, auf die Weigerung zur
Übermittlung von Daten an Europol zurückzuführen ist?
Ehrlich gesagt, ich bezweifle das.
Der 11. September hat uns gezeigt, dass die Europäische
Union nicht voll auf den neuen globalen Kontext
vorbereitet ist. Ich möchte drei Hauptpunkte
hervorheben. Der Erste betrifft die Frage, dass der
Terrorismus den Rechtsstaat destabilisieren will. Unsere
Aufgabe muss es daher sein, den Inhalt und die
Rechtmäßigkeit der europäischen Gesetzgebung zu
stärken. Heute gibt es nur eine Möglichkeit, dies zu tun,
nämlich die Arbeiten des Konvents über die Zukunft der
Europäischen Union zur Vergemeinschaftung aller
Aspekte zu nutzen, die mit der Realisierung des Raums
der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts verbunden
sind, und sie den gleichen Regeln demokratischer und
hoheitlicher Kontrolle zu unterwerfen.
Der Terrorismus will den Konflikt zwischen den
Bürgern ein und derselben Gemeinschaft fördern. Wir
müssen berücksichtigen, dass mit Terrorismus nicht nur
die gemeint sind, die Bomben legen oder mit Pistolen
schießen, sondern dass der Terrorismus auch eine
Infrastruktur, finanzielle Mittel, Rechtsberatung,
Informationen über mögliche Ziele und Zufluchtsorte
erfordert. Daher ist ein wesentlicher Aspekt der
Bekämpfung des Terrorismus die Ablehnung all jener
Kräfte durch die Gesellschaft, die sich der Bedrohung
und des Verbrechens bedienen.
Schließlich macht sich der Terrorismus die Öffnung
unserer Gesellschaft zunutze, um den größtmöglichen
Schaden zu verursachen. Die Terroristen nutzen die
Abschaffung der physischen Grenzen und das
51
Fortbestehen der rechtlichen und polizeilichen Grenzen
zwischen den Mitgliedstaaten, und deshalb ist es
unbedingt erforderlich, die Schaffung dieses Raums
voranzubringen und zu vermeiden, dass er durch die
Gerichte missbräuchlich verwendet wird.
In dem Ausschuss, dem vorzustehen ich die Ehre habe,
werden wir mit der gleichen Aufmerksamkeit die
Ergebnisse der Anwendung des Aktionsplans gegen den
Terrorismus und die künftige Strategie der Union
verfolgen. Außerdem behalten wir uns das Recht vor,
dieses Parlament zu informieren, wenn wir eine
Schwächung im Engagement der Union gegen den
Terrorismus feststellen oder wenn die Streitigkeiten
zwischen Behörden oder Regierungen die Sicherheit der
Unionsbürger gefährden sollten.
3-136
Der Präsident. – Bevor ich Frau Terrón i Cusí, die nun
also im Namen der Fraktion der Sozialdemokratischen
Partei Europas sprechen wird, das Wort erteile, danke
ich ihr nochmals für ihr Verständnis und ihre
Flexibilität, die es uns ermöglicht haben, den
Terrorismus unserer Geschäftsordnung zu bekämpfen.
3-137
Terrón i Cusí (PSE). – (ES) Danke, Herr Präsident! Im
Namen meiner Fraktion möchte ich daran erinnern und
hervorheben, dass die Geschwindigkeit, mit der die
Europäische Union nach dem 11. September Beschlüsse
gefasst hat, als Zeichen für den politischen Willen und
für die großen Dinge, die dieser Wille zu bewegen
vermag, stehen muss. Ich erinnere daran, weil wir ein
Jahr danach mit Sorge sehen, dass die Umsetzung dieser
Beschlüsse nicht im gleichen Tempo erfolgt.
Wir brauchen den politischen Willen, aber – und ich
schließe mich den Worten des Vorsitzenden meines
Ausschusses an – wir brauchen auch neue Verfahren, die
es uns ermöglichen, den Forderungen der Bürgerinnen
und Bürger zu entsprechen.
Der Konvent muss diese Frage behandeln und die
notwendigen Änderungen vorschlagen, damit wir zu
einer einheitlichen Struktur gelangen, die den Bereich
der Justiz innerhalb der EU abdeckt. Was als
unverständlicher Gemeinschaftsjargon erscheinen mag,
bedeutet beispielsweise, dass wir in der Lage sein
müssen, uns eine kohärente Rechtsgrundlage zu geben –
über die wir derzeit nicht verfügen –, das Vermögen der
Terroristen einzufrieren, die innerhalb der Europäischen
Union agieren, und solche Fragen wie die von Europol
zu lösen. Ich möchte den Rat fragen, ob wir es erneut
zulassen werden, dass dieses Parlament Europol
Haushaltsmittel der Gemeinschaft zuweist und diese
Mittel pro memoria dienen und nicht ausgegeben
werden, und wie lange wir dies noch den Bürgerinnen
und Bürgern erklären können.
Ich möchte Sie direkt fragen, ob Sie bereit sind, für ein
funktionierendes Eurojust, für die Lösung von
Problemen, wie den unterschiedlichen Ebenen des
Datenschutzes, tätig zu werden. Ich hoffe, das dies der
Fall ist und dass Sie das Parlament voll in diese Arbeit
52
einbeziehen werden, so wie Sie es in Ihrer Reaktion auf
den 11. September taten, womit Sie beweisen, dass dies
positiv war.
Wir glauben zudem, dass diese Maßnahmen nicht von
anderen, auf die Stärkung der Verteidigung unserer
Gesellschaft gerichteten Maßnahmen zu trennen sind,
der Verteidigung des Rechtsstaats, der Stärkung des
Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in ihre
Institutionen, vom demokratischen Dialog, der
besonderen Sorge um die Vermeidung von Rassismus
und
Fremdenfeindlichkeit,
der
Achtung
und
Entschädigung der Opfer – und in diesem Sinne heiße
ich den Vorschlag des Kommissars willkommen – und
auch einer Außenpolitik auf der Grundlage dieser
Prinzipien: stark im Kampf gegen den Terrorismus, stark
auch bei der Schaffung der Bedingungen, die es
ermöglichen, Situationen von Instabilität, die für uns
extrem gefährlich sind, dort, wo sie auftreten, zu
bekämpfen.
In dieser Hinsicht möchte ich Sie auch fragen, wie
gegenwärtig die Verhandlungen mit den USA über die
Zusammenarbeit in diesem Bereich laufen. Und ich
möchte Sie fragen, ob Sie das Parlament über den
Verlauf dieser Verhandlungen und deren Ergebnis
informieren werden und ob Sie im Zusammenhang
damit die Entschließung des Parlaments vom Dezember
des letzten Jahres berücksichtigen werden.
Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen:
Niemand
in Europa
wird
verstehen,
wenn
Begrifflichkeiten wie Einstimmigkeit, Blockade, Pfeiler
usw. unsere Zusammenarbeit im Kampf gegen den
Terrorismus bremsen.
Wir müssen eine größere Freiheit für die Bürgerinnen
und Bürger sichern, indem wir für die Zusammenarbeit
zwischen den Mitgliedstaaten mit dem Ziel einer
höheren Effizienz Sorge tragen.
(Beifall)
3-138
Ludford (ELDR). – (EN) Herr Präsident, es kann keine
Kompromisse mit denjenigen geben, die Freiheit und
Demokratie verabscheuen. Toleranz gegenüber den
Intoleranten kann es nicht geben. Vor diesem
Hintergrund müssen wir uns noch stärker darum
bemühen, die Herzen und die Köpfe mit einer Vision
von Europa und den Vereinigten Staaten zu gewinnen, in
der diese ein Vorbild für die Achtung der
Menschenrechte, für Nichtdiskriminierung, für das
Respektieren von Unterschieden und die Offenheit
gegenüber Kritik sind. Es ist paradox, dass junge
Menschen in Afrika und Asien sehnsüchtig auf den
American Way of Life blicken und gleichzeitig die
Vereinigten Staaten als den „großen Satan“ verdammen.
Wir müssen beispielsweise zeigen, dass wir den
Unterschied zwischen einer gemäßigten, vernünftigen
und mitfühlenden Religion und dem dogmatischen
Fundamentalismus erkennen, den es in allen Religionen,
23/10/2002
nicht nur im Islam gibt. Wir müssen besondere
Anstrengungen unternehmen, um den Dialog mit den
Muslimen fortzuführen und sie in die europäischen
Gesellschaften zu integrieren. Wir müssen zeigen, dass
wir andere so behandeln, wie wir unsere eigenen Bürger
behandelt sehen möchten. Wäre es nicht eine großartige
Geste und moralisch angebracht gewesen, alle
indonesischen Opfer des Anschlags auf Bali nach Hause
zu fliegen, um zu zeigen, dass wir uns nicht nur um die
reichen weißen Bürger aus dem Westen kümmern?
Vielleicht ist es noch nicht zu spät, etwas zu tun.
Der internationale Kampf gegen den Terrorismus berührt
zwangsläufig auch die Frage der Zerstörung von
Massenvernichtungswaffen. Wir alle kennen die
aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem
Irak. Es besteht die Gefahr, dass bei einem
Präventivschlag in Form eines Eroberungskriegs mit
dem Ziel, einen Regimewechsel herbeizuführen, der
Eindruck entstehen wird, dass die Vereinigten Staaten
als imperialistische Macht im Nahen Osten auftreten.
Als Gegenreaktion könnten neue Terroranschläge
folgen.
Wir müssen bei der Verabschiedung von Maßnahmen
zur Bekämpfung des Terrorismus Transparenz und die
Wahrung der Freiheit und der Demokratie sicherstellen,
aber in dem dreißigseitigen Fahrplan zur Bekämpfung
des Terrorismus wird das Parlament nur viermal
erwähnt. Im Rat werden Verhandlungen über
Abkommen über die gegenseitige Rechtshilfe, die
Auslieferung und den Austausch von Personendaten mit
den Vereinigten Staaten geführt, bei denen es unter
anderem auch um die Zusammenarbeit zwischen
Europol und FBI geht. Dagegen ist grundsätzlich nichts
einzuwenden, aber diese Verhandlungen finden ohne
demokratische oder richterliche Kontrolle statt. Obwohl
es um den Bereich Justiz und Inneres geht, zu dem das
Parlament in der Regel einen Beitrag leistet, wird ohne
parlamentarische Kontrolle über Abkommen mit
Drittländern verhandelt. Diese Situation ist nicht
befriedigend, und durch dieses Vorgehen wird unser
Anspruch, die Freiheit und die Demokratie zu
vereidigen, untergraben.
(Beifall)
3-139
Frahm (GUE/NGL). - (DA) Herr Präsident, der Bericht
über die Bekämpfung des Terrorismus enthält viele
schöne Worte. Es gibt viele schöne Worte über die
Sicherung der Demokratie, die Sicherung der
Bürgerrechte und über zivile Krisenvorbeugung. Die
Wahrheit ist aber, dass wir uns gegenwärtig in einer sehr
entscheidenden Situation befinden, in der sich die EU
entscheiden muss, ob sie den USA blind folgen will,
ohne Rücksicht auf deren Vorhaben gegenüber dem Irak.
Es lohnt, sich einigen der Befürchtungen zuzuwenden,
die mein Kollege Ludford in Bezug auf „preemptive
strikes“ geäußert hat. Wir haben ein Problem, wenn wir
schöne Worte benutzen, aber anders handeln, und dabei
denke ich insbesondere an die Bürgerrechte. Der
23/10/2002
Beschluss unterstützt das Antiterrorpaket der EU ohne
Einschränkungen, also auch die Liste der EU von
terroristischen Organisationen. Wir stehen also jetzt vor
einem aktuellen Problem, dass nämlich die „National
Peoples Army“ und die Kommunistische Partei der
Philippinen wahrscheinlich – zusammen mit ihrem
Führer José Maria Sison, der übrigens im Exil in den
Niederlanden lebt, – auf der Terroristenliste der EU
stehen werden,. Das Problem besteht darin, dass diese
Gruppen ein ziemlich wichtiger Teil jenes Netzwerks
sind, das an den Friedensverhandlungen auf den
Philippinen teilnimmt. Im Übrigen ist das ein Prozess,
der schon seit vielen Jahren im Gange ist.
Das Parlament hat mindestens zwei Beschlüsse gefasst,
die diesen Prozess aktiv unterstützen, und ich glaube
sogar, dass Bertil Haarder für einen davon gestimmt hat.
Jetzt stehen wir im Begriff, einen wichtigen Teilnehmer
am Friedensprozess auf die EU-Liste der terroristischen
Organisationen zu setzen. Wenn das nicht heißt, das
Gegenteil von dem zu tun, was mit schönen Worten über
Krisenvorbeugung gesagt wurde, dann weiß ich nicht,
wie man es sonst nennen sollte. Wir sind dabei, ein
Problem zu schaffen, und ich möchte Herrn Patten und
Herrn Haarder empfehlen, ihren Popper noch einmal zu
lesen. Es gibt noch immer totalitäre Regimes, denen man
sich widersetzen muss, und wenn die EU nicht in der
Lage ist, zwischen Terroristen und Freiheitskämpfern zu
unterscheiden, dann steuern wir alle auf eine sehr
traurige Welt zu.
Mich interessiert ganz konkret: Ist es wahr, dass Herr
Sison, die NPA und die Kommunistische Partei der
Philippinen auf der Terroristenliste der EU stehen
werden? Ist es wahr, dass dadurch dieser gesamte
Friedensprozess zum Scheitern verurteilt ist? Hat man
überhaupt Überlegungen angestellt, wie man einen
Zusammenhang zwischen den schönen Worten und der
rauen Wirklichkeit herstellen kann?
3-140
Lagendijk (Verts/ALE). – (NL) Die erste Assoziation,
die Terrorismus und Terrorismusbekämpfung bei vielen
– ich denke, bei fast allen – Menschen erwecken, sind
Bilder schrecklicher Gewalt, wie wir sie jüngst auf Bali
sehen konnten. Im Falle des Terrorismus ist diese
Assoziation mit der Gewalt leider gerechtfertigt. Sie ist
aber nicht gerechtfertigt und sollte es nicht sein dürfen,
wenn es um die Bekämpfung des Terrorismus geht.
53
Terrorismusbekämpfung bilden. Hinzu kommen die
Besorgnis über das einseitige Vorgehen der USA und die
Ablehnung der so genannten pre-emptive strikes, die
starke Betonung des Schutzes der grundlegenden
Bürgerrechte sowie die Anerkennung der Notwendigkeit
strafrechtlicher Mindestnormen. Mit Recht kann wohl
gesagt werden, der vorliegende Entschließungsantrag
enthalte eine ausgewogene Übersicht über die Ursachen
und möglichen Gegenmaßnahmen, das heißt ein nach
meinem Dafürhalten europäisches Konzept in Bezug auf
den Terrorismus, das nicht per se dem amerikanischen
Konzept entgegengesetzt ist, sondern die Grundlage für
einen ausgewogenen Dialog zwischen gleichberechtigten
Partnern über den Terrorismus bildet.
Allerdings müssen wir Acht geben, dass dieses zu Papier
gebrachte ausgewogene Konzept nicht durch eine Praxis
untergraben wird, bei der Unterdrückung und
militärische Mittel weiterhin im Vordergrund stehen.
Meiner Überzeugung nach werden wir den Kampf gegen
den Terrorismus nur gewinnen können, wenn in der
Praxis die gleiche Balance gefunden wird wie in dem
vorliegenden Entschließungsantrag, ohne dabei neue
Ursachen für den Terrorismus zu schaffen.
In dem Entschließungsantrag wird schließlich an einer
Stelle das globale Satellitennavigations- und ortungssystem Galileo erwähnt, das derzeit von der
Europäischen Union entwickelt wird. Ich habe die
Aussprache über das Galileo-Projekt nochmals
nachgelesen. Darin heißt es immer wieder, Galileo sei
ein ziviles System, das im Prinzip nicht zum Sammeln
militärischer Informationen benutzt wird bzw. werden
sollte, und ich habe den Eindruck, dass jedenfalls die
erste Galileo-Generation für das Sammeln von
Informationen welcher Art auch immer, die für die
Terrorismusbekämpfung nützlich sein könnten, völlig
ungeeignet ist. Ganz ehrlich verstehe ich nicht so recht,
dass das Parlament diesen Hinweis auf Galileo
aufnehmen möchte. Meiner Ansicht nach ist diese
Erwähnung entweder voreilig, weil das gegenwärtige
Galileo überhaupt keinem Zweck dienen kann, oder das
Europäische Parlament wurde in der Vergangenheit
falsch informiert. Galileo ist doch ein System mit
doppeltem Verwendungszweck, und wegen dieser
beiden Argumente sollte meines Erachtens der Hinweis
auf Galileo in dem vorliegenden Entschließungsantrag
zum Terrorismus gestrichen werden.
3-141
Erfreulicherweise konnte im Europäischen Parlament
Übereinstimmung über eine vorwiegend gewaltfreie
Terrorismusbekämpfung erzielt werden. Lassen Sie mich
einige Elemente nennen: Terrorismus ist kein
Naturphänomen, sondern hat auch wirtschaftliche und
gesellschaftliche Wurzeln, und genau hier könnten die
Aktionspläne der Europäischen Union von zusätzlichem
Nutzen sein. Die wirksamste Antiterrorstrategie ist – wie
Kommissar Patten soeben erwähnt hat – die
Konfliktverhütung. Militäraktionen dürfen nur durch und
über die Vereinten Nationen legitimiert werden. Alle
diese Punkte werden von meiner Fraktion überaus
begrüßt, da sie die Kernelemente der gewaltlosen
Camre (UEN). - (DA) Herr Präsident, vielleicht ist es
falsch, wenn ich es hier sage, aber die Demokratisierung
der islamischen Welt ist von entscheidender Bedeutung
für die Sicherheit der westlichen Welt. Eine effektive
Vorbeugung und Bekämpfung des Terrorismus ist nicht
möglich, solange so viele Millionen Menschen in einem
hoffnungslosen Zustand von Unwissenheit, Armut,
politischer und wirtschaftlicher Stagnation und
Unfreiheit leben. Das werden sie leider tun, bis der
Westen eingreift.
Die führenden europäischen Politiker – ausgenommen
Tony Blair und die dänische Regierung – befinden sich
54
in dem unaufrichtigen Glauben, dass sich alles intern
regeln lässt, wenn wir uns auf diplomatische Floskeln
beschränken, eine abwartende Haltung einnehmen, die
USA kritisieren und darauf hoffen, dass die Terroristen
nicht ernsthaft in einer europäischen Großstadt
zuschlagen. Kein Führer der arabischen Welt wurde in
den letzten 80 Jahren durch einen Aufstand des Volkes
gestürzt, und nichts wird sich ändern, wenn wir
weiterhin passiv sind. Europa befindet sich wieder dort,
wo es sich 1938 befand, als Chamberlain von seinem
Treffen mit Adolf Hitler in München zurück kam und
verkündete, in unserer Zeit werde Friede herrschen.
Ich habe Verständnis dafür, dass die USA
möglicherweise Probleme haben, uns zu respektieren, da
wir uns nicht trauen, unseren vielen schönen Worten
Taten folgen zu lassen. Europa wird nicht zum Akteur,
indem es wer weiß wie viele Resolutionen annimmt. Wir
werden es nur dann, wenn wir unsere Länder im selben
Umfang wie die USA militärisch entwickeln.
Die diktatorischen Regimes jener Länder, die Terroristen
hervorbringen und für den Terrorismus bezahlen,
werden nicht von ihren Völkern unterstützt, doch die
Völker sind so stark unterdrückt, dass sie den
notwendigen Umsturz nicht bewerkstelligen können.
Wenn uns unser Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie
etwas wert ist, dann ist es auch unsere Pflicht, Seite an
Seite mit den USA mit den diktatorischen Staaten
abzurechnen, die eine Brutstätte des Terrorismus sind.
Ich danke Herrn Minister Haarder, dass er diese
Notwendigkeit klar betont hat.
3-142
Belder (EDD). – (NL) Herr Präsident! An jenem
unvergesslichen Tag des 11. September 2001 weilte ich
mit einer Delegation dieses Parlaments in Washington.
Dieser Tag ist das Bezugsdatum für den weltweiten
Kampf gegen den so genannten internationalen
Terrorismus. Die islamischen Motive der Terroristen
dieses schwarzen Dienstags sind mittlerweile
hinreichend dokumentarisch belegt. Und diese Gefahr ist
bislang noch keineswegs gebannt, wie die jüngsten
Anschläge in Indonesien und Israel zeigen.
Die Dringlichkeit einer weltweiten Bekämpfung des
islamischen Terrorismus steht daher außer Zweifel. Der
vorliegende gemeinsame Entschließungsantrag des
Europäischen Parlaments ist dabei allerdings wenig
hilfreich. Erstens wird nicht deutlich genug
herausgestellt, dass es sich um die Bedrohung durch
einen islamisch geprägten Terrorismus handelt. In dem
Entschließungsantrag wird lediglich nach möglichen
Lösungen zur Verhinderung einer Ausbreitung des
Islamismus verwiesen. Das ist unzureichend. Wir sollten
den Charakter dieser Bedrohung wesentlich ernster
nehmen. Grundvoraussetzung dafür ist ein besseres
Wissen um das Gedankengut dieser Terroristen.
Außerdem stiftet der Entschließungsantrag Verwirrung.
Ich beziehe mich speziell auf Ziffer 28 des gemeinsamen
Entschließungsantrags. Darin wird empfohlen, das
Instrument der Antiterrorismusklauseln in die
23/10/2002
Abkommen zwischen der Europäischen Union und
Drittländern aufzunehmen. Wer könnte schon dagegen
sein? Als leuchtendes Beispiel wird jedoch ein
Assoziierungsabkommen mit der Republik Libanon
angeführt, ausgerechnet mit einem Staat, in dem eine
islamische Terrorbewegung, die Hisbollah, ein an
Bedeutung zunehmender Machtfaktor ist. Obendrein
unterhält diese Hisbollah enge Beziehungen zu Syrien
und vor allem zur Islamischen Republik Iran.
Aus eben diesem Grund möchte ich vom Rat und von
der Kommission hören, wie denn die Republik Libanon
in
die
EU-Strategie
zur
weltweiten
Terrorismusbekämpfung passen soll! Ich erwarte eine
konkrete Antwort.
3-143
Borghezio (NI). – (IT) Herr Präsident, ich greife einige
der soeben vom Kollegen Belder entwickelten
Argumente auf, um eine Bemerkung allgemeiner Art
anzuführen; es scheint – von einigen wenigen
Redebeiträge abgesehen -, dass wir hier ein wenig
allgemein sozusagen über die Kant’sche Vorstellung
vom Terrorismus sprechen, während doch die Gefahr
nicht nur von außen, sondern leider auch innerhalb der
Grenzen der Europäischen Union droht. Ich denke dabei
an den islamischen Terrorismus, der schon fast bis in
unsere Häuser vorgedrungen ist.
Nach dem 11. September haben die Vereinigten Staaten,
wenngleich im Rahmen einer unleugbaren, auch
politischen Interessenverflechtung mit den Erdöl
produzierenden
Ländern,
dem
Problem
des
terroristischen Fundamentalismus unverhohlen den
Kampf angesagt, indem sie der mehrköpfigen Hydra der
Al-Qaida einen allseitigen Krieg erklärten und
begannen.
Hier in Europa müssen wir jedoch beobachten, dass die
Atmosphäre nicht mehr so gespannt ist, was auch
semantisch zum Ausdruck kommt, da es uns schwer
fällt, dem Begriff „Terrorismus“ die Adjektive
„islamisch“
oder
„islamisch-fundamentalistisch“
hinzuzufügen. Es scheint, als wolle Europa die Rolle, die
einige arabische und islamische Länder wie Irak, Syrien,
Libyen, Sudan, Iran und andere auf dem Gebiet des
Terrorismus spielen, verharmlosen.
Herr Belder hat soeben zu Recht den Libanon genannt,
bei dem es um drei Gründe geht: erstens ist dies ein
Versuch, einen Neutralitätsstatus zu erlangen, womit wir
uns der Illusion hingeben, auf diese Weise terroristische
Aktionen auf dem eigenen Hoheitsgebiet zu vermeiden;
zweitens ist dies ein Versuch, Geschäftsbeziehungen zu
bewahren; drittens ist dies ein Versuch, die
Erdöllieferungen aufrecht zu erhalten. Drei sehr
handfeste Gründe also: Angst, Geld und Erdöl. Europa
scheint sich aus diesen Gründen in Bezug auf eine
Gefahr, die, wie hervorzuheben ist, bereits innerhalb
seiner Grenzen besteht, etwas vorzumachen. Erst vor
wenigen Tagen hat in meinem Heimatland ein auf die
Terrorismusbekämpfung spezialisierter Richter –
Gerardo D'Ambrosio – auf die Anwesenheit von 1 500
23/10/2002
bis 2 000 Kämpfern Allahs allein in Italien hingewiesen.
Die Anti-Mafia-Kommission hat mehrfach auf das
stillschweigende Einverständnis zwischen Mafia und
Terrorismus aufmerksam gemacht: In Italien liefert die
Mafiaorganisation Camorra den Terroristen regelmäßig
gefälschte Papiere. In dem Entschließungsantrag ist
davon die Rede, dass die Europäische Union jeden
Versuch, terroristische Handlungen zu rechtfertigen und
zu entschuldigen, ablehnt. Das ist eine genaue
Beschreibung des Verhaltens, das seit den Tagen
unmittelbar nach dem 11. September von mindestens
100 Imams in 100 Moscheen oder islamischen Zentren,
angefangen bei der berühmten Londoner Moschee, an
den Tag gelegt wird.
Es ist unsere Pflicht, solche Haltungen und
Verhaltensweisen von Personen, Gruppen und
Organisationen, die Propaganda für den Terrorismus
machen, ernsthaft zu verfolgen und zu unterdrücken.
3-144
Galeote Quecedo (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident,
beim derzeitigen Stand der Debatte kann niemand in
Zweifel ziehen, dass der Terrorismus heute die
Hauptbedrohung für unsere Sicherheit als Europäer
darstellt. Man sollte nicht zwischen nationalem und
internationalem Terrorismus unterscheiden, denn in der
Welt, in der wir leben, hat der Terrorismus globalen
Charakter, und die Mitgliedstaaten haben für sich allein
genommen nicht die Fähigkeit, ihn wirksam zu
bekämpfen.
Insofern muss anerkannt werden, dass wir seit den
tragischen Anschlägen vom 11. September 2001 auf
europäischer und internationaler Ebene beträchtliche
Fortschritte im Kampf gegen dieses Übel gemacht
haben. Daher geht es heute nicht darum, eine Erklärung
zu unserer Verpflichtung im Kampf gegen den
Terrorismus abzugeben – das gilt als vorausgesetzt –,
sondern wir müssen mit der Kommission und dem Rat
über die konkreten eingeleiteten Maßnahmen, die
Effektivität ihrer Anwendung in allen Mitgliedstaaten
und vor allem darüber beraten, was wir noch weiter tun
können und müssen.
Dazu müssen wir als Rahmen den bereits
angenommenen Aktionsplan und als Ziel die notwendige
Übertragung des entsprechenden Mandats zur
Entwicklung des dritten Pfeilers und zum weiteren
Ausbau der Rechtsgrundlage der Gemeinschaft an den
Konvent über die Zukunft der Europäischen Union
nutzen.
Ich möchte kurz über einige Gedanken sprechen, die auf
Vorschlag meiner Fraktion in die gemeinsame
Entschließung einbezogen wurden, über die wir morgen
abstimmen werden, da sie die impulsgebende Rolle
betreffen, die das Europäische Parlament auch schon vor
den Anschlägen des 11. September gespielt hat.
An erster Stelle steht die Verabschiedung neuer
Bestimmungen zum Schutz der Opfer des Terrorismus
durch
die
Harmonisierung
der
nationalen
55
Rechtsvorschriften und – warum nicht – auch durch die
Schaffung eines Gemeinschaftsinstruments zum Schutz
der Opfer. Wir müssen auch Demokratieklauseln in die
Assoziierungsund
Partnerschaftsabkommen
aufnehmen, die die Union mit Drittstaaten unterzeichnet
– das in Kürze mit dem Libanon zu unterzeichnende
Abkommen kann dafür ein Präzedenzfall werden –, und
wir müssen in den Mitgliedstaaten gemeinsame
Maßnahmen ergreifen, die die Instrumentalisierung des
demokratischen Rahmens zum Nutzen der Terroristen
direkt und ihrer benötigten Komplizen und Helfer
indirekt verhindern.
Die Europäische Union muss im Rahmen der
bestehenden
Gesetzgebung
und
auch
im
rechtsstaatlichen Rahmen gegenüber jedem Versuch der
Rechtfertigung von Gewaltanwendung stets wachsam
sein, denn es gibt keine guten und bösen Terroristen.
Alle sind sie gleichermaßen verachtenswert. Die
Motivation ihrer Verbrechen ist immer die gleiche, und
ihr Resultat, das von ihnen angerichtete Unrecht, hat
schon zu Toten im Baskenland und in Indonesien
geführt.
3-145
Wiersma (PSE). – (NL) Herr Präsident! Diese
Aussprache findet gut ein Jahr nach den Anschlägen in
den Vereinigten Staaten statt. Das ist, so meine ich, der
richtige Zeitpunkt, um sich mit den bisherigen
Fortschritten beim Kampf gegen den internationalen
Terrorismus zu befassen, aber auch um sich auf die
Grundsätze zu besinnen, auf denen dieser Kampf
beruhen muss. Wie die jüngsten Vorfälle zeigen, hält die
Bedrohung unvermindert an. Man denke nur an die
schreckliche Katastrophe, die sich vor einigen Wochen
auf Bali ereignet hat.
Die Kernfrage, die sich bei der Strategie der
Europäischen Union stellt, lautet selbstverständlich,
inwieweit die bisher ergriffenen Maßnahmen dazu
beigetragen haben, die Terrorismusgefahr zu bannen.
Können sich die Kommission und der Rat dazu äußern?
Das Europäische Parlament möchte über die
Durchführung des Aktionsplans häufiger und besser
informiert werden. Unsere Parteibasis verlangt danach.
Zwar habe ich Verständnis dafür, dass die Informationen
vielfach sensibel sind, ein allgemeiner Überblick über
die Aktivitäten lässt jedoch noch nicht unmittelbar
erkennen, ob die Strategie auch effizient ist. Gelingt es
uns tatsächlich, die Terrornetzwerke zurückzudrängen?
In dem Entschließungsantrag des Europäischen
Parlaments wird der Rolle der Vereinten Nationen in
dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu
Recht große Aufmerksamkeit geschenkt. Der UN fällt
eine Schlüsselrolle zu. Wir wollen ein internationales
Vorgehen gegen ein internationales Problem auf der
Grundlage des kollektiven Sicherheitskonzepts, das heißt
also im Rahmen des UN-Sicherheitsrates und nicht
durch einseitiges Vorgehen oder durch die Bildung von
Gelegenheitskoalitionen. Das ist nicht nur eine
Grundsatzfrage, sondern auch wünschenswert, weil sich
die Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf ein
56
23/10/2002
möglichst breites Fundament stützen muss. Bei der
Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus ist es am
wirksamsten, dem Phänomen den Nährboden zu
entziehen. Wir möchten, dass dabei solche Maßnahmen
wie Förderung der Demokratie und Beseitigung der
Armut zu wesentlichen Bestandteilen werden. Die
Politik sollte nicht auf Militär- oder Polizeioperationen
beschränkt werden. Die Europäische Union verfügt wie
keine andere Organisation über das ganze Spektrum der
dazu erforderlichen Mittel. Im Grunde genommen geht
es um eine Form der Konfliktverhütung, die doch
generell das vorrangige Ziel der EU und ihrer
Außenpolitik ist.
Zusammenarbeit, nachrichtendienstliche Tätigkeit und
Aufklärung. Es handelt sich hierbei aber auch um eine
langfristige präventive Zusammenarbeit mit dem Ziel,
die Ursachen des Terrorismus zu beseitigen oder
wenigstens zu minimieren. Das beste Gegenmittel ist
Demokratie. Die internationale Allianz muss aus diesem
Grund umfangreichen Maßnahmen zur Stärkung von
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der
Menschenrechte Priorität einräumen. Aber auch Handel,
Entwicklungshilfe und die Zusammenarbeit in
internationalen Organisationen sind von Bedeutung. Der
Frieden im Nahen Osten wäre ein sehr wichtiger Schritt
im Kampf gegen den Terrorismus.
Damit komme ich zu dem auch von Kommissar Patten
angesprochenen speziellen Problem der so genannten
failed states, das heißt der Staaten, in denen jegliche
Ordnung zusammengebrochen ist oder sich derzeit in
Auflösung befindet. Dabei handelt es sich vor allem um
Staaten in Afrika, aber auch um weniger ferne Länder
wie die von der Republik Moldau abtrünnige DnjestrRepublik. Diese Länder oder Regionen bieten eine
hervorragende Operationsbasis und ein Operationsfeld
für kriminelle und terroristische Aktivitäten, die häufig
miteinander verflochten sind. Die Europäische Union
sollte nach meinem Dafürhalten insbesondere im Falle
einiger weniger entfernt liegender Gebiete – und ich
habe eines bereits genannt – stärker in Aktion treten und
die Lösung beispielsweise des Problems in Transnistrien
nicht anderen Ländern und Organisationen allein
überlassen.
Die Fraktion der Liberalen und Demokratischen Partei
Europas ist sich der Notwendigkeit einer vertieften
Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Terrorismus voll
und ganz bewusst. Vieles ist bereits getan worden, aber
vieles bleibt noch zu tun. Wir dürfen jedoch nicht
vergessen, dass die offene Gesellschaft die wichtigste
Zielscheibe des Terrorismus darstellt. Aus diesem Grund
dürfen wir in unserem Eifer, den Terrorismus zu
bekämpfen, nicht das Fundament der Demokratie
untergraben. Die Rechtssicherheit darf niemals auf dem
Altar
der
Handlungskraft
geopfert
werden.
Sonderregelungen, Militärgerichte und unklare Gründe
dafür, warum eine Person oder Organisation auf eine
bestimmte Liste gelangt, können nicht akzeptiert
werden. Es ist skandalös, dass die Gefangenen auf dem
US-Militärstützpunkt Guantanamo Bay noch immer in
einer rechtlichen Grauzone leben. Ich möchte den Rat
fragen, was unternommen wird, um Klarheit nicht
zuletzt über die Situation der Staatsangehörigen
europäischer Staaten auf Kuba zu erhalten.
Abschließend sind wir der Meinung, dass die
Europäische Union bei ihren Betrachtungen über ihre
Rolle im Kampf gegen den Terrorismus durchaus etwas
ehrgeiziger sein könnte, was den Einsatz der neuen
Instrumente
der
Gemeinsamen
Außenund
Sicherheitspolitik zur Bekämpfung des Terrorismus
betrifft. In Anbetracht der Ausnahmesituation, in der wir
uns befinden, müssen wir uns fragen, ob es nicht weitere
Aufgaben gibt, die über die Petersberger Aufgaben
hinausgehen. Dies entspräche auch unserer allgemeinen
Auffassung, dass der Kampf gegen den Terrorismus eher
auf EU- als auf einzelstaatlicher Ebene geführt werden
muss. Bei einem gemeinsamen Vorgehen der EU kann
auch im Rahmen der UN mehr erreicht werden.
3-146
Malmström (ELDR).  (SV) Herr Präsident!
Unabhängig davon, ob es sich um einen einzelnen
Heckenschützen in Washington oder große Netzwerke
wie Al-Qaida handelt, immer verbreitet der Terrorismus
Angst und Schrecken. Der Terrorismus als solcher ist
kein neues Phänomen. Er wurde nicht am
11. September 2001
„erfunden“.
Der
weltweite
Terrorismus
mit
einem
globalen
Netzwerk,
hochtechnologischen
Waffen
und
scheinbar
unerschöpflichen finanziellen Ressourcen hingegen ist
ein neues und äußerst beängstigendes Phänomen.
Nach den Anschlägen in New York und auf Bali ist allen
klar, dass der Kampf gegen den Terrorismus global
geführt werden muss – durch polizeiliche und justizielle
Herr Ratspräsident, Sie zitierten Karl Poppers Die offene
Gesellschaft und ihre Feinde. Wir dürfen aber nicht
selbst zu Feinden unserer offenen Gesellschaft werden,
denn wenn dies geschieht, gewinnen die Terroristen
einen leichten Sieg.
3-147
Krivine (GUE/NGL). – (FR) Herr Präsident, ebenso
wenig wie gestern werden wir auch heute nicht für eine
Entschließung stimmen, die unter dem Deckmantel der
Terrorismusbekämpfung auf die Kriminalisierung
sozialer Bewegungen abzielt. Unter dem Einfluss der
Bush-Adminstration sind die europäischen Regierungen
jetzt
dabei,
ein
ganzes
freiheitsfeindliches
Instrumentarium aufzubauen. Bereits jetzt ist die
Gleichsetzung von Einwanderern, Jugendlichen,
Straftätern und Terroristen gängige Praxis. Damit
besorgt man das Geschäft der Rechtsextremen.
In Frankreich gibt man sich nicht mit der Verhaftung
von Gewerkschaftern zufrieden, sondern die Regierung
will demnächst auch Gesetze zur Bestrafung von
Bettlern, Obdachlosen, Zigeunern und Prostituierten
verabschieden lassen. In Italien hofft Herr Berlusconi,
die Durchführung des Europäischen Sozialforums in
Florenz verhindern zu können, indem er das Schengener
Abkommen aussetzt und die Grenzen dicht macht.
23/10/2002
57
Wir haben stets jede Aktion abgelehnt, mit der Völker
terrorisiert werden sollen, ob es sich nun um den
privaten Terrorismus eines Bin Laden oder um den
staatlichen Terrorismus von Sharon handelt. Wir werden
diese Geißel nicht aus der Welt schaffen, indem wir die
demokratischen Freiheiten einschränken, sondern im
Gegenteil, indem wir die Ursachen dieser Geißel, wie
etwa Armut und Unterdrückung, beseitigen. Es sind die
Diktatur der Banken und die imperialistischen Kriege,
die Menschen wie Bin Laden hervorbringen.
geht gegen eine kolonisierte Nation, unabhängig von der
Religion, zu der sie sich bekennt.
3-148
Abschließend, Herr Präsident, möchte ich Folgendes
sagen: Die Bekämpfung des Terrorismus darf nicht –
wie es in der Entschließung heißt – zu einem Kampf
gegen politische Gruppen werden, die mit friedlichen
Mitteln nach Veränderungen in den politischen und
sozialen Strukturen streben, wie das zum Beispiel in
Spanien und insgesamt in Europa geschieht. Und oft
fehlt die Unterstützung für den notwendigen politischen
Dialog, nicht nur zwischen politischen Gruppen, sondern
auch zwischen verschiedenen betroffenen Institutionen,
die unter den Auswirkungen des Terrorismus leiden.
Nogueira Román (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident,
meine Damen und Herren Abgeordneten, verehrte
Vertreter des Rates und der Kommission! Zunächst
möchte ich meine volle Unterstützung für die
Entschließung und die Worte der hier anwesenden
Vertreter des Rates und der Kommission zum Ausdruck
bringen.
Es ist nicht notwendig, dass ich nochmals im Namen
meiner Fraktion oder meiner galicischen politischen
Organisation den Terrorismus kategorisch ablehne und
verurteile.
In diesem Zusammenhang möchte ich hervorheben, dass
die
Entschließung
fordert,
Bedingungen
zur
Bekämpfung des Terrorismus zu schaffen, die auf der
strikten Achtung des Gesetzes und der Menschenrechte
fußen, sowohl durch die Ausmerzung von Armut und
Ausgrenzung wie auch durch die Bekämpfung
fundamentalistischer Ideologien, die sich häufig – sogar
mehr als die Armut – als Hauptrechtfertigung des
Terrorismus darstellen.
Im Folgenden will ich auf drei konkrete Fragen
eingehen. Zunächst halte ich es für notwendig, über eine
praktische Politik zu sprechen und – wie es die
Entschließung bis zu einem gewissen Grade auch tut –
den militaristischen Unilateralismus der USA und ihre
Doktrin des Präventivschlags, der mit allen
internationalen Regeln bricht, abzulehnen.
Hierbei sei betont, dass die USA eine Aktion gegen
einen anderen diktatorisch regierten Staat vorbereiten,
gegen eine Ideologie, die wir eindeutig nicht teilen;
dagegen haben sie es praktisch nicht vermocht, Personen
dingfest zu machen, die in Verbindung mit den
Attentaten vom 11. September standen. Nicht eine
einzige. 20 Personen waren in den USA in diese
Anschläge eingebunden, und niemand ist in direktem
Zusammenhang mit diesen Anschlägen verhaftet
worden.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auch auf das Problem
im Nahen Osten lenken. Ich glaube, wir sind uns alle
einig, dass das Problem Palästinas an der Wurzel des
internationalen Terrorismus angesiedelt ist und
offensichtlich eine
Rechtfertigung
für
diesen
Terrorismus darstellt. Es geht hier nicht darum, dies als
ein religiöses Problem zu lösen; es geht um einen Staat,
unabhängig von der Religion, zu der er sich bekennt, es
Ich glaube, diese Frage sollte besonders beachtet
werden. Solange das Problem zwischen Israel und
Palästina nicht gelöst wird, wenn der Frieden nicht
gefördert und der palästinensische Staat nicht geschaffen
wird, wird es uns schwer fallen, einen wesentlichen Teil
der offensichtlichen Rechtfertigung des Terrorismus zu
bekämpfen.
3-149
Queiró (UEN). – (PT) Herr Präsident, die Anschläge
vom 11. September und in jüngerer Vergangenheit auf
der Insel Bali haben die Unvorhersehbarkeit der
terroristischen Bedrohung, ihr tödliches Ausmaß und
unsere Verwundbarkeit ihr gegenüber deutlich gemacht.
In den sechziger und siebziger Jahren war Europa mit
der
Gewalt
von
kommunistisch
orientierten
extremistischen Bewegungen, mit den Roten Brigaden
oder der Baader-Meinhof-Gruppe konfrontiert. Heute
sind es extremistische Organisationen wie El Kaida, die
die Zerstörung der Modernität repräsentieren. Sie halten
sich für legitimiert, auf Mittel der Gewalt
zurückzugreifen, um die geltenden demokratischen
Ordnungen zu stürzen und glauben, dass sie einen
totalen Krieg führen, um den Islam gegen die
Hegemonie des Westens zu schützen, und zwar gegen
die – wie sie sie nennen - Ungläubigen, die diese
Anschauungen nicht teilen, wobei sie sogar gemäßigte
islamische Länder angreifen.
Sicher gibt es noch andere Gründe für terroristische
Aktivitäten, ob nun politischer, nationalistischer oder
separatistischer Natur, auch auf dem europäischen
Boden, die wir ebenso erschreckend finden, die jedoch
heute leider von dieser vorherrschenden Form des
Terrorismus übertroffen werden, die besonders
gefährlich ist, weil sie überall zuschlägt, bei der
Anwendung von Gewalt keine Unterschiede macht und
sich als von jeglichem moralischen oder humanen
Zwang befreit betrachtet.
Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass Europa
aufgrund seiner Freiheit und seiner Tradition, politische
Exilanten aufzunehmen, zu einem Zufluchtsort
zahlreicher radikaler und terroristischer Gruppen
geworden ist. Trotz dieser großzügigen Politik säen
diese Extremisten Hass und nutzen die ihnen von den
demokratischen Systemen zur Verfügung gestellten
Einrichtungen, organisieren sich, finanzieren sich,
58
werben neue Mitglieder und planen Anschläge auf Ziele
auf unserem Kontinent und weltweit.
Der Kampf gegen den Terrorismus als wahrhaft
grenzüberschreitendes Phänomen, der zu jedem
beliebigen Zeitpunkt unser aller Rechte, Freiheiten und
Garantien in Gefahr bringen kann, muss daher
Gegenstand einer globalen Strategie von Union und
Mitgliedstaaten sein, die für sich allein entweder im
Rahmen
der
Vereinten
Nationen
oder
in
Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten innerhalb
der NATO terroristische Akte verhindert und unterbindet
und gleichzeitig den Rechtsstaat stärkt.
Auf europäischer Ebene muss sich die Strategie der
Mitgliedstaaten – wie bereits gesagt – auf den
wirksamen Einsatz aller Mechanismen der justiziellen
und
polizeilichen
Zusammenarbeit
und
des
Informationsaustauschs gründen und darüber hinaus ein
erweitertes Konzept der Sicherheit und Verteidigung
verstärken, das die Notwendigkeit, sich dieser erneuerten
internationalen
Bedrohung
entgegenzustellen,
berücksichtigt. Wir sind uns bewusst, dass die
Vorbeugung und Unterdrückung von Terrorismus auch
verbunden sein kann mit der Förderung des Dialogs
zwischen Zivilisationen und der Annahme effektiver
Maßnahmen zur Bekämpfung sozialer, ökonomischer
oder kultureller Faktoren, die zwar keinesfalls
terroristische Gewalt rechtfertigen können, aber doch
systematisch von aktiven Vertretern des Terrorismus
ausgenutzt und instrumentalisiert werden. Ausgehend
von diesen Prinzipien der einheitlichen Vorstellungen im
Kampf gegen den Terrorismus, die natürlich die
Vorbehalte aufwiegen, die wir gegenüber einigen
Schlussfolgerungen im Entwurf der Gemeinsamen
Entschließung hegen, die wir hier diskutieren, werden
wir diese Entschließung unterstützen und für sie
stimmen.
3-150
Coûteaux (EDD). – (FR) Meine Damen und Herren
Vertreter der Mitgliedstaaten, ich werde nicht das
kürzlich von dem hochwürdigen Herrn Prodi in Mode
gebrachte Wort aufgreifen und die soeben gehörten
Erklärungen des Rates und der Kommission als dumm
bezeichnen. Wir müssen allerdings zugeben, dass die als
„Terrorismusbekämpfung“ bezeichnete Problematik, mit
der wir uns so beharrlich befassen, schon etwas recht
Törichtes an sich hat, denn diese Bezeichnung und der
Begriff Terrorismus selbst sind reichlich unpassend, um
eine augenscheinliche Tatsache zu beschreiben, nämlich
dass die Politik, die von der – wie es allgemein heißt –
„internationale Gemeinschaft“, also im Klartext: von den
USA und der imperialen Kamarilla ihrer Gefolgsleute
durchgeführt wird, weltweit auf immer heftigeren
Widerstand stößt, so dass wir uns, wie alle anderen
Imperien auch, dazu veranlasst sehen, als „Terrorismus“
zu bezeichnen, was man genauso gut auch Widerstand
nennen könnte, worauf mein Kollege Krivine vorhin
bereits völlig zu Recht hingewiesen hat.
Selbstverständlich billige ich keineswegs Anschläge auf
Unschuldige, wobei allerdings meines Wissens in einer
23/10/2002
Demokratie niemand völlig unschuldig ist. Doch dies
nur am Rande. Natürlich verurteile ich die Anschläge
vom 11. September ebenso nachdrücklich wie das
jüngste Attentat auf Bali und den kürzlich erfolgten
Angriff auf einen französischen Tanker, oder auch die
bereits 1995 erfolgten Anschläge auf die Pariser Metro.
In diesem Zusammenhang muss ich wieder einmal
beklagen, dass der für diese Anschläge Verantwortliche
bis heute in einem Mitgliedsland der Europäischen
Union Unterschlupf gefunden hat, das sich damit im
Grunde zu einem Komplizen macht. Woran man sieht,
dass nichts einfach ist.
Dies alles ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen
Feststellung, dass wir kein Tribunal sind. Wir haben
nicht über Gut und Böse zu entscheiden. Wir müssen die
heutige Welt hinnehmen, wie sie ist. Und wir werden
kaum jemanden lange hinter das Licht führen können
mit der Behauptung, dass der so genannte Westen nur
einem einzigen Feind habe, nämlich Bin Laden, ElKaida und sein mutmaßliches Netzwerk. In Wirklichkeit
gibt es weltweit unendlich viele so genannte Terroristen;
sie breiten sich immer stärker aus und werden immer
radikaler, je mehr das Imperium seine Herrschaft
ausbaut und je gewaltsamer es diese gegen die Völker
durchsetzt, deren Werte und Geheimnisse es missachtet
und die es verteufelt, obwohl sie ihm – militärisch
versteht sich – eindeutig nicht gewachsen sind.
Es wird niemals Frieden herrschen zwischen reichen
Völkern, die zu reich und arrogant sind, und armen
Völkern, die zu arm und gedemütigt sind. Es ist ein
Gesetz der Geschichte, dass jedes Imperium, das sich in
maßlosem Machtanspruch nur mit Gewalt vergrößern
und aufrechterhalten kann, unweigerlich Rebellionen
hervorruft. Ein anderes Gesetz der Geschichte besagt,
dass die Rebellion unterdrückter Völker gewaltsam,
blind und ungezügelt ist, und nichts wäre gravierender
für uns Nationen Europas, die wir die Geschichte
kennen, als in eine Entwicklung hineinzugeraten, die uns
unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung zu
einem allgemeinen Misstrauen gegenüber dieser Dritten
Welt veranlassen würde, die bekanntlich drei Viertel der
Völker dieser Erde umfasst.
3-151
Oostlander (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Bei der
Betrachtung des Terrorismus stellen wir auch in dem
vorliegenden Entschließungsantrag fest, wie schnell sich
Ansichten wandeln können. Früher waren wir im Grunde
der Meinung, der Terrorismus habe hauptsächlich etwas
mit instabilen Ländern zu tun und nicht mit solchen, in
denen scheinbar Ruhe herrscht. Das hat sich nun völlig
geändert, denn wie wir jetzt wissen, floriert der
Terrorismus auch in friedlichen Ländern wie meinem,
den Niederlanden, wenngleich die Terroristen auch auf
Gewaltlosigkeit bedacht sind. Statt dessen nutzen sie,
wie auch der Herr Kommissar schon bemerkt hat, die
freie und offene Gesellschaft mit den Möglichkeiten, die
sie bietet, um ungehindert Terrorakte vorzubereiten, die
sie dann anderswo verüben. Deshalb ist für die
Europäische Union und auch für ihre sehr friedlichen
23/10/2002
Mitgliedstaaten größte Wachsamkeit geboten, um den
Terrorismus auch im eigenen Land zu bekämpfen.
Darüber hinaus sind nicht alle Kategorien von Bürgern
in den Mitgliedstaaten betroffen, wenn der Rechtsstaat
bedroht wird. Bisweilen werden nur bestimmte Gruppen
in unseren Ländern von ihren Landsleuten erpresst, die
für Terrorakte beispielsweise in Nordafrika Geld
sammeln. Es sind bestimmte Kategorien von Bürgern in
den Niederlanden und in anderen Mitgliedstaaten, die
das Opfer solcher Erpressungen sind, und auch für
solche Menschen müssen wir kämpfen, damit der
Rechtsstaat für sie nicht mehr in Gefahr ist.
Die Ursachen des Terrorismus werden häufig in der
Armut gesucht. Das glaube ich eigentlich nicht.
Bekanntlich werden Revolutionen ja auch nicht von den
Allerärmsten angezettelt, sondern zumeist von einer
anderen Art Mensch. Beim Terrorismus verhält es sich
ebenso. Die für die schrecklichen Anschläge
Verantwortlichen waren über eine hervorragende
Bildung verfügende, gut situierte Personen, die sich in
jede zivilisierte Gesellschaft, auch in die westliche
Gesellschaft, zu integrieren vermochten und dort sogar
in beachtliche Positionen aufgestiegen sind. Das
Problem liegt oft darin, dass der Wunde Punkt des
Menschen, seine festen Überzeugungen, ausgenutzt und
in der eigentlichen Keimzelle des gesellschaftlichen
Organismus der giftige Keim des gewalttätigen
Terrorismus gelegt wird. Es gibt immer Menschen, die
dafür empfänglich sind. Auch liegt es nicht per se am
Fundamentalismus, denn es gibt unsäglich viele
friedliebende Fundamentalisten. Um gewalttätig zu
werden, bedarf es eines qualitativen Sprungs.
Die Attentate auf Bali haben uns alle aufgeschreckt. Wir
sollten meiner Ansicht nach große Anstrengungen
unternehmen, um der indonesischen Regierung
größtmögliche Unterstützung zuteil werden zu lassen,
damit auch der Staat Indonesien stark genug sein kann,
um dem Terrorismus im Inneren bestmöglich vorbeugen
und ihn bekämpfen zu können.
3-152
De Rossa (PSE). – (EN) Herr Präsident, vor dem
Hintergrund des entsetzlichen Bombenanschlags auf
Bali, bei dem Hunderte von Menschen getötet wurden,
sprechen wir heute erneut über das Thema Terrorismus.
Ich möchte mich meinen Vorrednern anschließen und
den Verwandten und Freunden der Opfer mein tiefstes
Mitgefühl aussprechen. Nicht alles, aber das meiste, was
hier gesagt wurde, kann ich unterstützen. Es ist klar, was
zu tun ist: Die Rechtsstaatlichkeit muss respektiert, die
Rechte müssen geschützt, die Maßnahmen unserer
Staaten im Kampf gegen den Terrorismus müssen
überwacht, ein demokratischer Dialog über die zugrunde
liegenden Ursachen muss geführt werden und so weiter.
All dies ist dringend notwendig.
Was kann man dem noch hinzufügen? Ich glaube, ein
Punkt, den man hinzufügen könnte, ist die Erkenntnis,
dass wir den Terrorismus nicht einfach dadurch
ausmerzen können, dass wir diejenigen töten oder hinter
59
Gitter bringen, die Terroranschläge verüben. Natürlich
sind es im Allgemeinen nicht die Armen, die diese
Anschläge verüben, aber diejenigen, die dafür
verantwortlich sind, sind häufig arm. Wir müssen etwas
gegen die Hoffnungslosigkeit tun, die sie zu ihren Taten
treibt. Wir müssen die Vorstellung aufgeben, dass es nur
einen wahren Glauben, nur eine wahre Version der
Geschichte und nur eine Wahrheit gibt, die von den
Auserwählten verkündet wird. Ich spreche hier nicht nur
von der Religion, sondern auch von der Politik. Wir
müssen den Dialog mit den Menschen suchen, damit wir
ihnen und uns die Augen für die Ursachen ihrer
Hoffnungslosigkeit öffnen können.
Es reicht nicht aus, den Terrorismus einzudämmen, auch
wenn ich nicht daran zweifle, dass unsere Staaten dazu
in der Lage sind. Nicht alle, aber ein großer Teil der
Mitgliedstaaten der Europäischen Union waren seit dem
Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Problem des
Terrorismus konfrontiert. Das ist sehr ungewöhnlich,
wenn wir bedenken, dass die Europäische Union eine
der stabilsten und friedlichsten Regionen der Welt ist.
Wir müssen echte Aufklärungsarbeit leisten und den
Menschen klarmachen, dass die Welt sehr vielfältig ist
und ein sehr toleranter und guter Platz zum Leben wäre,
wenn es uns endlich gelingen würde, miteinander zu
leben.
3-153
Andreasen (ELDR). -(DA) Herr Präsident, die
Ereignisse in Bali machen deutlich, dass wir den Terror
multilateral bekämpfen müssen. Wir wissen jetzt, dass
die Terroristen überall auf der Welt zuschlagen können,
und es ist klar geworden, dass wir über Grenzen und den
Atlantik hinweg zusammenarbeiten müssen, um den
Terrorismus ausmerzen zu können. Europa hat nach dem
11. September schnell gehandelt. Das können wir mit
Zufriedenheit feststellen. Wir wollen in einem Raum der
Sicherheit, der Freiheit und der Gerechtigkeit leben, und
der Kampf gegen den internationalen Terrorismus stellt
die größte Herausforderung im außen- und
sicherheitspolitischen Bereich dar. Bei näherer
Betrachtung der in den letzten Monaten geführten
europäischen Debatte über das Verhältnis zu den USA
wundert man sich etwas über den dort zum Ausdruck
kommenden Mangel an Ausgewogenheit und die
Einseitigkeit. Wir haben wichtige Werte mit den
Amerikanern
gemein.
Unmittelbar
nach
den
Terroranschlägen im September vergangenen Jahres
haben viele von uns empfunden, dass wir selbst und
unsere eigenen Werte angegriffen wurden. Die USA und
Europa teilen grundlegende Werte und Prinzipien in
Bezug auf Demokratie, Freiheit, Rechtssicherheit,
Menschenrechte und das Recht des Einzelnen auf die
optimale Entfaltung seiner Möglichkeiten. Daran müssen
wir festhalten. Es gibt Meinungsverschiedenheiten
zwischen uns, aber das Gemeinsame ist viel stärker als
das Trennende. Wir müssen die Amerikaner im Rahmen
eines multilateralen Ansatzes bei der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus beeinflussen – eines
Terrorismus, der kein Recht kennt.
3-154
60
23/10/2002
Alavanos (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Die
Aussprache ist interessant, aber man fragt sich, welchen
Nutzen diese vielen Seiten Text mit ihren fünfzig
Paragraphen zum Thema Terrorismus haben, abgesehen
von der Rolle als Medium für den internen
Meinungsaustausch zwischen den Fraktionen des
Europäischen Parlaments.
Wenn man allerdings die Massenmedien betrachtet, die
der europäische Bürger konsumiert, stellt man fest, dass
das zentrale Thema in Verbindung mit dem Terrorismus
der Angriff auf den Irak ist, der ein Land ist oder als ein
Land betrachtet wird, das Massenvernichtungswaffen
besitzt, die wiederum zur Unterstützung terroristischer
Handlungen usw. benutzt werden könnten. Hier hat sich
die Europäische Union in der ganzen Welt lächerlich
gemacht, denn bei der gegenwärtigen Arbeit des
Sicherheitsrates haben wir einerseits die britische
Regierung, die hintenherum die Vorschläge entwirft, die
von den Vereinigten Staaten präsentiert werden, und
andererseits die französische Regierung, die es ablehnt,
einen bedingungslosen Angriff gegen den Irak
mitzutragen.
Ich denke, das Europäische Parlament sollte sich diesen
Themen stellen. Dies wird jedoch absichtsvoll durch
unklare
Formulierungen
im
vorliegenden
Entschließungsantrag vermieden, der meiner Meinung
nach weder dem, was den europäischen Bürger
interessiert, noch den Bedürfnissen des Augenblicks
entspricht.
3-155
VORSITZ: CATHERINE LALUMIÈRE
Vizepräsidentin
3-156
Pacheco Pereira (PPE-DE). – (PT) Frau Präsidentin,
ich möchte einige kurze Bemerkungen zu Texten
machen, die ich für etwas unklar halte. Erstens: Obwohl
die gewaltigsten terroristischen Anschläge des letzten
Jahres in New York und Bali stattgefunden haben, wäre
es interessant, einmal darüber nachzudenken, wie
Europa reagiert hätte, wenn der ursächliche Anschlag,
der das Ausmaß des Terrorismus in unser Blickfeld
rückte, der Anschlag vom 11. September 2001, in
Europa stattgefunden hätte, wenn die Flugzeuge nicht
die Türme von New York, sondern den Eiffel-Turm, die
Gebäude des Europäischen Parlaments oder irgendein
anderes bedeutendes europäisches Gebäude getroffen
hätten. Vielleicht hätte uns eine solche Selbstbetrachtung
zu tiefergehenden Einsichten in die Unklarheiten und
Schwierigkeiten verholfen, auf die wir beim Umgang
mit dem Phänomen Terrorismus treffen, das wir immer
noch nicht völlig verstanden haben.
Der zweite Aspekt, den ich – neben meinem Lob für den
Vorsatz des Rates, mit den Vereinigten Staaten zu dieser
Frage die Zusammenarbeit fortzusetzen – anführen
möchte, lautet – und das ist ein wichtiger Punkt –, dass
der Terrorismus in der Tat kaum etwas mit Armut zu tun
hat. Natürlich sind Arme an terroristischen Aktivitäten
beteiligt, aber diejenigen, die an den Kommandostellen
sitzen, sind nicht arm. Und wenn wir uns die Welt als
Ganzes anschauen, dann sind die Ärmsten nicht am
Phänomen des Terrorismus beteiligt: Wenn ein
Zusammenhang zwischen Terrorismus und Armut
bestünde, dann müsste Afrika die Hauptquelle für
terroristische Akte sein. Doch dem ist nicht so!
Terrorismus ist eine Erscheinung, hinter der ein
politisches Motiv steht, das das Erreichen bestimmter
Ziele verlangt, und sie verlangt auch einen Grad von
Macht. Und das kommt gewiss nicht von den Ärmsten,
oder zumindest nicht direkt von den Ärmsten.
Abschließend möchte ich auf etwas eingehen, was
Kommissar Patten sagte, als er Popper zitierte. Das
Problem, mit dem wir es heute zu tun haben, ist auch ein
Problem, das Popper benannt hat: Es geht nicht so sehr
um das Dilemma zwischen der Notwendigkeit,
Freiheiten zu schützen, und unserer Auffassung von
Sicherheit und Verteidigung einer freien Gesellschaft,
sondern um unsere Unfähigkeit und mangelnde
Bereitschaft, an die moralische Überlegenheit von
Demokratie und Freiheit zu glauben. Ausgehend von
diesem Konzept, das eine Grundlage unserer Zivilisation
ist und nach dem sich Völker der ganzen Welt und vor
allem die Armen sehnen, sollten wir vielleicht auch
fähig und bereit sein, gegen Terrorismus vorzugehen.
Leider hindern uns zur Zeit einige Unklarheiten in
Europa daran.
3-157
Ceyhun (PSE). - Frau Präsidentin, Herr Kommissar und
lieber ehemaliger Kollege, Herr Ratspräsident Haarder!
Ich denke, wenn wir heute noch einmal über
Terrorismus reden und von Terrorismusbekämpfung
sprechen, sind wir uns alle einig, dass Terrorismus
bekämpft werden muss, und wir sind uns auch alle einig,
dass dies nur auf internationaler Ebene erfolgen kann,
weil nämlich Terrorismus mittlerweile auch eine
internationale Problematik ist. Aber wenn wir
Terrorismus international bekämpfen wollen, dann
müssen wir natürlich auch mit uns selbst kritisch
umgehen.
Als
Haushaltsberichterstatter
vom
Innenausschuss, in dem wir früher gemeinsam gesessen
haben, Herr Ratspräsident, stelle ich fest, dass wir mit
kleinkarierten Streitigkeiten zu tun haben. Wir wollen
den Terrorismus bekämpfen, und dafür brauchen wir
eine europäische Polizeibehörde, Europol, dafür
brauchen wir eine erfolgreiche Behörde, wie z. B.
Eurojust. Aber ich stelle jetzt fest, nachdem wir im
Europäischen Parlament z. B. für Eurojust sogar schon
2,8 Mio. € zur Verfügung gestellt haben, dass diese
Gelder nicht ausgegeben werden können, weil unsere
europäischen Behörden aus nationalen, kleinkarierten
Gründen nicht funktionieren können. Wenn die
nationalen Polizeibehörden nicht bereit sind, mit
Europol zusammenzuarbeiten, wenn die nationalen
Justizministerien nicht bereit sind, Eurojust zu
unterstützen, werden wir weiter schöne Sonntagsreden
halten und sagen, wie wichtig es ist, Terrorismus zu
bekämpfen, aber wir werden keinen Erfolg haben, weil
wir nämlich präventiv handeln müssen! Um vorbeugend
handeln zu können, brauchen wir auch funktionierende
Behörden, und das gelingt uns nur, wenn die
Nationalstaaten,
die
15
Mitgliedsstaaten
der
23/10/2002
Europäischen Union, es endlich ermöglichen, dass
unsere Behörden, wie Europol und Eurojust, in der Lage
sind zu handeln. Aus diesem Grund möchte ich Sie, Herr
Haarder, und auch unseren Kommissar Vitorino bitten,
diesen Punkt immer wieder gegenüber den
Nationalstaaten im Rat deutlich zu machen, sonst
werden wir keinen Erfolg haben.
3-158
Schröder, Ilka (GUE/NGL). - Frau Präsidentin! Wir
werden in der nächsten Debatte zu ECHELON
vermutlich wieder größtenteils Kritik an dem angeblich
zu gut funktionierenden Abhörsystem und damit an den
USA zu hören bekommen. Gleichzeitig nehme ich aber
eine grundsätzlich positive Einstellung und ein
zustimmendes Abstimmungsverhalten zur AntiterrorGesetzgebung wahr. Diese dient aber gar nicht in erster
Linie dem Kampf gegen terroristische Aktivitäten,
sondern bringt vor allem mehr Ermittlungskompetenzen
für die EU wie zum Beispiel beim SchengenInformationssystem II und beim europäischen
Haftbefehl. Mit dieser qualitativen und quantitativen
Erweiterung von EU-Zuständigkeiten geht eine
Umschreibung der Grundrechte einher, und das bedeutet
vor allem mehr Eingriffe des modernen bürgerlichen
Staates und weniger Verteidigungsrechte, für welche
Angeklagten auch immer.
An der völlig beliebigen Terrorismusdefinition erkennt
man am leichtesten, dass der Antiterrorkampf wenig mit
der Bekämpfung von Terror zu tun hat, sondern einmal
mehr als oberstes Ziel den Abbau der Grundrechte in der
EU verfolgt.
3-159
Morillon (PPE-DE). – (FR) Frau Präsidentin, ich
erinnere mich daran, wie ich nach der Rückkehr von
meiner Mission in Bosnien-Herzegowina im Auftrag der
UNO im Oktober 1993 in Brüssel von Manfred Wörner
empfangen wurde, der damals NATO-Generalsekretär
war. Ich habe dabei deutlich zu verstehen gegeben, dass
die Allianz sich darauf vorbereiten müsse, auf dem
Balkan einzugreifen oder langfristig auf ihre Existenz zu
verzichten. Die Argumente, die ich damals vorbrachte,
lassen sich leicht auf die heutige Zeit übertragen.
In der Zeit nach dem Kalten Krieg musste die
Nordatlantische Allianz entweder in der Lage sein, sich
in der großen Krise zu engagieren, die im Herzen
Europas ausgebrochen war, oder die europäischen
Bürger würden sich fragen, wozu sie noch nützlich sei,
ob es noch der Mühe wert sei, dafür weiterhin einen Teil
ihrer Steuergelder aufzuwenden. Es brauchte zwei lange
Jahre und die Tragödie des Falls von Srebrenica, bis die
Botschaft verstanden wurde. Am 31. August 1995
jedoch leistete die Allianz mit ihrer Unterstützung des
Einsatzes der Eingreiftruppe der UNO, die auf dem Berg
Igman aufmarschiert war, um die serbischen Batterien
zum Schweigen zu bringen, welche die blindwütige
Beschießung von Sarajevo wieder aufgenommen hatten,
einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Krise.
Dadurch wurden die Unterzeichnung der Abkommen
von Dayton und ein endgültiger Waffenstillstand
möglich. Seitdem hat die Allianz sich wieder erfolgreich
61
engagiert: im Kosovo und in jüngster Zeit in
Mazedonien, wo sie zur Beruhigung der Lage
beigetragen hat, auch wenn sie nicht alle politischen
Probleme lösen konnte.
Heute wird in ähnlicher Weise darüber diskutiert, welche
Rolle das Nordatlantische Bündnis bei der Bekämpfung
des internationalen Terrorismus übernehmen sollte. Die
Allianz befindet sich in einer Krise, weil sie feststellen
musste, dass die Amerikaner es im Afghanistankrieg
nicht für nötig gehalten hatten, auf ihre Organisation
zurückzugreifen. Bedeutet dieser Unilateralismus den
Tod der Allianz? Ich glaube es solange nicht, bis die
Amerikaner selbst dies festgestellt und den Wunsch zum
Ausdruck gebracht haben.
Aufgabe der Allianz bleibt es, innerhalb des
europäischen Territoriums und in dessen Umfeld überall
dort zu intervenieren, wo ihre Werte bedroht sind, auf
die mein Freund Pacheco Pereira gerade hingewiesen
hat. Der internationale Terrorismus ist eine solche
Bedrohung, eine große Bedrohung. Deshalb besteht die
einzige Möglichkeit, die NATO zu reformieren und
ihren Weiterbestand sicherzustellen darin, endlich das
Europa der Verteidigung zu realisieren.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder überlässt die
Europäische Union die Lösung militärischer Probleme
auf ihrem Kontinent den Amerikanern und begnügt sich
damit, neben ihnen einen mehr oder weniger
bedeutenden Beitrag zur Verwaltung des Friedens zu
leisten, so wie dies die Athener im alten Rom taten, oder
sie engagiert sich entschlossen an deren Seite und
übernimmt mit ihnen gemeinsam ihre Verteidigung
gegen alle Gefahren, wie es die Amerikaner seit
Bestehen des Nordatlantischen Bündnisses immer
wieder von uns gefordert haben.
3-160
Theorin (PSE).  (SV) Frau Präsidentin! Wir können
Terrorismus nicht akzeptieren. Darin sind wir uns alle
einig. Unterschiede gibt es möglicherweise in unseren
Auffassungen
über
die
Methoden
der
Terrorismusbekämpfung.
Es ist von entscheidender Bedeutung, wie die
Europäische Union ihre Strategie für den Kampf gegen
den Terrorismus entwickelt. Das Prinzip der
Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte dürfen in
diesem wichtigen Kampf nicht untergraben werden. Das
macht die Entschließung, die hier von den beiden
Ausschüssen gemeinsam vorgelegt wird, so wichtig.
Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame
Sicherheit
und
Verteidigungspolitik hat seinerseits die zentralen
Instrumente hervorgehoben, die der EU zur
Konfliktverhütung zur Verfügung stehen, wie z. B. die
Entwicklung der Demokratie, der Handel und die
Diplomatie. Selbstverständlich gehört es auch zu den
zentralen Aufgaben, die grundlegenden Ursachen des
Terrorismus
zu
bekämpfen,
d. h.
Armut,
Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung.
62
Im Schatten des 11. September besteht die Gefahr, dass
grundlegende
Menschenrechte
bei
der
Terrorismusbekämpfung vernachlässigt werden. Darüber
hinaus ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen,
dass sich die einzige existierende Großmacht außerhalb
des Systems der Vereinten Nationen einseitig Freiheiten
herausnimmt. Aus diesem Grunde ist es von großer
Bedeutung, dass sich das Europäische Parlament
eindeutig zur Charta der Vereinten Nationen bekennt
sowie dazu, dass das Recht eines angegriffenen Staates
auf Selbstverteidigung nur dann legitim ist, wenn es vom
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anerkannt oder
beschlossen wird. Jetzt mit sprachlichen Formulierungen
zu laborieren und zu sagen, ein UN-Beschluss wäre
wünschenswert, würde die Vereinten Nationen in
direkter Weise schwächen.
Mit Zufriedenheit nehme ich zur Kenntnis, dass wir
einhellig den Standpunkt vertreten, dass eine Strategie,
die auf einen von der Regierung der USA geplanten
Präventivschlag – einen so genannten preventive strike –
hinausläuft,
keine
effektive
Art
der
Terrorismusbekämpfung darstellt, und dass wir betonen,
eine Lösung des Konflikts im Nahen Osten in
Übereinstimmung mit den Resolutionen der Vereinten
Nationen wäre ein sehr wichtiges Element der
Terrorismusbekämpfung.
23/10/2002
Informationsweitergabe an unsere Dateien, nicht nur in
den Mitgliedstaaten, sondern auch aus den Drittstaaten
in die Europäische Union.
Zweitens sollten wir prüfen, wie wir die Dateien, die uns
zur Verfügung stehen, entsprechend miteinander
verbinden, um effizientere Instrumente zur Hand zu
haben. Ich meine die Europol-Datei, die Schengen-Datei
und die Eurodac-Datei.
Das Dritte ist, dass wir teilweise noch mit äußerst
antiquierten Systemen wie dem fingerprint-System
arbeiten. Wir müssen dazu übergehen, endlich
biometrische Systeme zu verwenden, um Identitäten
eindeutig
festzustellen
und
das
für
unsere
Überprüfungen zu nutzen.
Viertens dürfen wir nicht nur an die Kooperation mit den
USA denken, sondern sollten das Angebot, die Hand, die
uns aus den asiatischen Staaten gereicht wird, ergreifen
und mit asiatischen Staaten im Kampf gegen den Terror
zusammenarbeiten.
Ich selbst war bei der letzten ASEP-Konferenz in Manila
dabei, und wir haben großartige Angebote erhalten, um
die Kooperation gegen den Terrorismus mit asiatischen
Staaten erfolgreich zu beginnen.
3-162
Das Völkerrecht ist für einen Rechtsstaat von zentraler
Bedeutung. Das gilt nicht zuletzt auch für kleinere
Staaten. Das Unterminieren der Vereinten Nationen
muss zwangsläufig zu einer Katastrophe führen. Aus
diesem Grunde gehört es zu den wichtigsten Aufgaben
der Europäischen Union, die Vereinten Nationen und
ihre Charta auch in schweren Zeiten zu verteidigen und
die zentrale Rolle der Vereinten Nationen für den
Frieden in der Welt zu stärken.
3-161
Pirker (PPE-DE). - Frau Präsidentin, Herr
Staatspräsident, Herr Kommissar! Die Terrorakte vor
einem Jahr, aber auch die folgenden, haben die
Europäische Union wachgerüttelt, wie das vorher noch
nie der Fall war. Die Europäische Union hat so schnell
reagiert, wie das vorher noch nie der Fall war, und ich
glaube, sie hat in relativ kurzer Zeit äußerst effiziente
Maßnahmen getroffen.
Wir sind aber noch lange nicht am Ende mit den
Maßnahmen, die wir zu treffen haben. Die
Innenstrategie ist in jedem Fall erfolgreich gewesen.
Was wir jetzt brauchen, ist eine erfolgreiche
Außenstrategie. Ich möchte hier auf einige Punkte
eingehen, die mir notwendig erscheinen, um die
Kooperation mit Drittstaaten auszubauen und zu
verstärken.
Das Erste ist, dass wir das Netzwerk, das wir bereits
aufgebaut haben, mit Verbindungsbeamten von Europol
entsprechend ausbauen und für Analysezwecke nutzen,
für Strafverfolgung, aber auch für Hilfestellungen in den
Drittstaaten. Was wir brauchen, ist eine bessere
Izquierdo Rojo (PSE). – (ES) Frau Präsidentin, in
dieser neuen Politik der Europäischen Union sollten wir
uns nicht darauf beschränken, die traditionellen
terroristischen Politiken sklavisch zu kopieren, sondern
wir müssen vielmehr in der Lage sein, die spezifischen
Merkmale des gegenwärtigen Terrorismus detailliert
herauszustellen und mit politischen Mitteln den drei
Faktoren begegnen, die dem aktuellen Terrorismus
zugrunde liegen und die eindeutig identifiziert werden
können: der religiöse Fundamentalismus, die
Verzweiflung der Palästinenser und der terroristische
Ultranationalismus.
Es genügt heute nicht, Herr Kommissar, die Terroristen
zu inhaftieren. Wir müssen die mörderischen Ideologien
neutralisieren, die Terroristen hervorbringen. Bis jetzt
richteten sich unsere Aktionen weitaus stärker auf die
Folgen des Terrorismus als auf seine Wurzeln. Von jetzt
an muss sich die Europäische Union auch darauf
konzentrieren, diese Tod bringenden Ideologien, die das
Fundament des heutigen Terrorismus bilden, zu
identifizieren, zu verfolgen und zu zerschlagen.
3-163
Sousa Pinto (PSE). – (PT) Frau Präsidentin, Ziel der
heutigen Aussprache ist es, ein Jahr nach dem 11.
September Bilanz zum Kampf gegen den Terrorismus zu
ziehen. Wie hat die Europäische Union auf dieses
tragische Ereignis reagiert? Sie erklärte ihre Solidarität
und Bereitschaft, die Vereinigten Staaten zu
unterstützen, machte auf die Gefahr der Verbindung
zwischen Terrorismus und der islamischen arabischen
Welt aufmerksam und beschleunigte ihre Beteiligung an
der Terrorismusbekämpfung mittels eines sechzig
Maßnahmen umfassenden Aktionsplans und einer Reihe
23/10/2002
von Rahmenbeschlüssen, wozu auch der Europäische
Haftbefehl und die polizeiliche Zusammenarbeit bei der
Bekämpfung des Terrorismus gehören. Sie betonte die
dringende Notwendigkeit, politische Wege zur Lösung
der Konflikte zu finden, die den terroristischen
Fanatismus nähren, nicht zuletzt in der israelischpalästinensischen Frage.
Die Entschlossenheit, den Terrorismus auszurotten, und
die dringende Notwendigkeit, für dieses Ziel ein neues
und wirksames Instrumentarium zu schaffen, darf unter
keinen Umständen die persönlichen Rechte, Freiheiten
und Garantien unverhältnismäßig beeinträchtigen.
Gerade die Bekräftigung der Unantastbarkeit der
Grundrechte begründet doch in Demokratien die
Legitimität der Gewaltanwendung durch den Staat.
Gleichermaßen muss der kompromisslose Kampf gegen
die terroristische Bedrohung auf jeden Fall auf dem
Boden des Völkerrechts stattfinden. Totalitäre
Gesellschaften missachten das Primat des Rechts sowohl
national als auch in den internationalen Beziehungen.
Der Gedanke der internationalen Legalität ist die
Erfindung der Demokratien. Wenn die Staaten, die
Opfer von Terrorismus sind, auf diese Bedrohung unter
Verletzung der Regeln und Grundsätze des Völkerrechts
reagieren, erweisen sie den Verbrechern eine unerhoffte
Gunst, was für die Zivilisation einen Rückschritt
bedeuten würde.
Der fanatische Hass, der Menschen dazu bringt, andere
anzugreifen und Selbstmord zu begehen, wird häufig
durch andauernde Situationen der Ungerechtigkeit oder
Erniedrigung genährt. Diese Tatsache darf nicht als
Rechtfertigung der abscheulichen Anschläge gegen
Zivilbevölkerungen ausgelegt werden, sondern muss als
Element gesehen werden, das für das Verständnis dieses
Phänomens der Gewalt eine maßgebende Rolle spielt.
Aus rein europäischer Sicht müssen wir hier die
Unfähigkeit und mangelnde Bereitschaft betonen und
anprangern,
die
von
den
Regierungen
der
Mitgliedstaaten hartnäckig an den Tag gelegt wird, wenn
es darum geht, den Vorschlag zur Harmonisierung von
Maßnahmen und Einführung gemeinsamer Instrumente
der Terrorismusbekämpfung, den die Kommission
rechtzeitig vorgelegt hat, voranzubringen. Der
Terrorismus ist eine Bedrohung, die eine einheitliche
und grenzübergreifende Reaktion verlangt. Auf
europäischem Territorium lässt diese Reaktion noch
immer keine ausreichenden Lebenszeichen erkennen.
3-164
Cushnahan (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, für den
Terrorismus gibt es keine Rechtfertigung. Wichtig ist
auch, dass wir eine klare und eindeutige Haltung
gegenüber diesem Übel einnehmen.
Dies ist bedauerlicherweise nicht immer der Fall. Wenn
die Vereinigten Staaten berechtigterweise eine weltweite
Aktion gegen Organisationen, die für den Terrorismus
verantwortlich sind, und gegen die Regime, die den
Terrorismus unterstützen, durchführen, sollten wir die
USA daran erinnern, dass sie sich mit Osama Bin Laden
63
und Saddam Hussein verbündet haben, als dies ihren
eigenen außenpolitischen Zielen diente.
Außerdem ist es unglaubwürdig, wenn die Vereinigten
Staaten den Terrorismus verurteilen, sich jedoch nicht
klar und unmissverständlich gegen den Staatsterrorismus
Israels wenden, der dazu führen könnte, dass zukünftig
ganze Generation von Terroristen in dieser Region
heranwachsen.
Ich kritisiere jedoch nicht nur die Vereinigten Staaten,
ich sehe auch die widersprüchliche Haltung der EU,
insbesondere des Rates, in diesen Fragen. So sehen wir
in unserem derzeitigen globalen Kampf gegen den
Terrorismus immer wieder über die Defizite der
undemokratischen Regime hinweg, die wir um ihre
Unterstützung in diesem Kampf gebeten haben.
Ob aus geopolitischen Gründen, wie im Fall Pakistans,
oder weil den Handelsinteressen Vorrang vor den
Menschenrechten eingeräumt wird, wie im Fall Chinas,
haben wir es immer wieder versäumt, eine eindeutige
und konsistente Haltung gegenüber den Ländern
einzunehmen, deren Regierungsstrukturen auf der
Einschüchterung ihrer Bürger beruhen. Diese Länder
setzen sich über demokratische Grundsätze hinweg, sie
verletzten die Menschenrechte und sie missachten die
Rechtsstaatlichkeit.
Diese Widersprüchlichkeit und Heuchelei führen dazu,
dass dem Westen im Allgemeinen vorgeworfen werden
kann, dass seine Definition des Terrorismus nicht
objektiv ist und in erster Linie von der
wahrgenommenen Bedrohung westlicher Interessen
bestimmt wird.
Der weltweite Kampf gegen den Terrorismus wird nur
Wirkung
zeigen,
wenn
sein
Ansatz
nicht
widersprüchlich und heuchlerisch ist und wenn die
Ungerechtigkeit beseitigt wird, die der eigentliche
Nährboden für den Terrorismus ist.
3-165
Gemelli (PPE-DE). – (IT) Frau Präsidentin, als Erstes
bekunde ich
meine
Wertschätzung für die
Arbeitsmethode, die bei der Behandlung dieses
Entschließungsantrags des Europäischen Parlaments
angewandt wurde.
Sodann möchte ich eine Frage stellen: Gegen wen richtet
sich der Terrorismus und welche Logik liegt ihm
zugrunde? Meines Erachtens richtet sich der Terrorismus
gegen die Menschen; er verstößt demnach gegen die
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und kann
keinen ideologischen oder religiösen Ursprung haben.
Wenn es heute eine allgemeine, weltweite Mobilisierung
gegen den Terrorismus gibt, dann deshalb, weil er just
gegen das verstößt, was die ganze Welt, alle Staaten und
alle Bürger in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte besiegelt haben. Wenn wir nun den
Terrorismus definieren, so tun wir das der Einfachheit
halber, indem wir die Gruppen anführen, die in seinem
Rahmen operieren; ich möchte jedoch nicht, dass wir
64
dadurch auf eine schiefe Bahn geraten und diese
Gruppen zusammen mit denen verurteilen, die wir dann
als religiöse Elemente definieren, die wesentlich
umfangreicher und komplexer sind als das, was der
Terrorismus verkörpert.
Wenn wir einen Schritt nach vorn tun müssen, so auch
mittels eines Aufrufs, den wir als Europäische Union zur
Überwachung der Strafrechtssysteme aller Staaten, die
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
unterzeichnet haben, starten müssen, denn oftmals
stehen die Strafrechtssysteme mit ihren eigenen, internen
Definitionen der Menschenrechte nicht im Einklang mit
dieser Erklärung.
Darauf wollte ich in meinen Ausführungen hinweisen,
weil wir meines Erachtens die Konfliktsituation
überwinden und konstruktivere Vorschläge für das Wohl
der ganzen Welt unterbreiten müssen.
3-166
Van Orden (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin, wir
mögen entsetzt über die jüngsten Terroranschläge sein,
aber die Art dieser Anschläge sollte uns nicht
überraschen. Terroristen haben keine Macht, wenn sie
keine Angst verbreiten können. Je ungeheuerlicher,
schockierender,
unerwarteter
und
öffentlichkeitswirksamer ein Anschlag ist, desto
erfolgreicher ist er. Trotzdem gibt es noch immer
Menschen, die die Terroristen in Schutz nehmen wollen
und versuchen, Terroranschläge und zum Beispiel die
Maßnahmen, die von den Sicherheitskräften der
demokratischen Regierungen zur Bekämpfung des
Terrorismus ergriffen werden, moralisch auf die gleiche
Stufe zu stellen. Der Terrorismus muss mit einer breiten
Palette politischer Instrumente bekämpft werden, und
militärische Gewalt ist nur eines dieser Instrumente.
Der Bereich, in dem unsere Demokratien seit jeher am
schwächsten sind, ist die Zerstörung der Legitimität der
Terroristen und deren systematische und gezielte
politische Bekämpfung. Dieser Aspekt wird kaum
beachtet. Wir haben die IRA niemals politisch bekämpft,
weil wir uns nie über unsere eigenen politischen Ziele
im Klaren waren. Jetzt gehören IRA-Terroristen der
Regierung an.
Durch unsere Maßnahmen stärken wir allzu oft die
Glaubwürdigkeit und den Status von Terroristen und
fördern so den Terrorismus. Die Botschaft der letzten
Jahre ist, dass Terrorismus funktioniert, und das ist eine
fatale Botschaft.
Der Entschließungsantrag beinhaltet einige Elemente,
die nicht zu kritisieren sind, aber der Antrag ist sehr
unausgewogen und enthält die übliche Mischung aus
Anti-Amerikanismus und übertriebener Sorge um die
Rechte von Terroristen, Extremisten sowie deren
Unterstützern. Darüber hinaus werden damit die
föderalistischen Ziele der Europäischen Union
unterstützt. Zu diesem Thema haben auch andere Redner
bereits ausführlich Stellung genommen. Ich kann die
indirekte Verurteilung präventiver Maßnahmen in einer
23/10/2002
so gefährlichen Welt, wie wir sie heute haben, nicht
akzeptieren, in der irrationale und fanatische Terroristen
in den Besitz von Massenvernichtungswaffen gelangen
können. Das Mittel der Abschreckung wirkt nicht
immer. Wir können nicht warten, bis ein Anschlag
verübt wird, bevor wir handeln. Wenn dies der Fall
wäre, würden die Regierungen ihre Pflichten
vernachlässigen.
Der Verweis in Absatz 4 des Entschließungsantrags auf
das Recht auf Selbstverteidigung ist nicht korrekt und
gibt eine verzerrte Darstellung der Charta der Vereinten
Nationen wider. In Artikel 51 der UN-Charta heißt es:
„Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten
Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen
keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen
oder kollektiven Selbstverteidigung,”
Der Entschließungsantrag hat einen Umfang von 12
Seiten, aber er trägt nur wenig zur Erweiterung unseres
Wissens oder unserer Kapazitäten bei. Wo ist die
Forderung nach politischer Solidarität und der
verstärkten Zusammenarbeit aller Demokratien? Wo ist
die Forderung nach einem Ausbau der militärischen
Kapazitäten und einer Stärkung des politischen Willens
durch die europäischen Staaten, und wo sind die
Maßnahmen gegen diejenigen, die den Terrorismus
unterstützen? Das ist es, was wir brauchen.
3-167
Pomés Ruiz (PPE-DE). – (ES) Frau Präsidentin, die
unaufhörliche Eskalation des Terrorismus macht seine
Bekämpfung zum vorrangigen Ziel vieler Politiken,
natürlich auch der, die wir hier im Parlament verfolgen.
Jüngste Ereignisse wie die auf Bali, den Philippinen und
in Israel verdeutlichen die Dringlichkeit einer
gemeinsamen und koordinierten Aktion zur Ausmerzung
dieses sozialen Übels, das einen Angriff auf die
grundlegendsten Rechte darstellt, wie das Leben und die
Demokratie, das Regierungssystem, das wir für uns
erwählt haben.
Glücklicherweise haben wir uns schnell verständigt und
bereits zehn Tage nach den Attentaten vom
11. September 2001 einen Plan zum gemeinsamen
Kampf gegen den Terrorismus unterzeichnet. Herr
Vitorino und Herr Patten – der jetzt abwesend ist –, dies
ist der Zeitpunkt, uns über die Probleme bei der
Ausführung dieses Plans zu berichten und die
Beteiligten zu benennen. Wir brauchen keine allgemeine
Einschätzung. Es gilt, ganz detailliert aufzuzeigen,
welche Staaten mehr und welche weniger mitarbeiten,
denn dieses Problem haben wir auch vor unserer
Haustür.
Vergangenen Samstag rief die Bürgerinitiative Basta ya,
der wir den Sacharow-Preis verliehen haben, zu einer
Großkundgebung in San Sebastián für die Freiheit der
baskischen und spanischen Bürger auf, damit jeder
Einzelne, ob Nationalist oder nicht, gemäß der von ihm
gewünschten politischen Überzeugung leben kann. Am
letzten Dienstag unterbrachen wir die Plenarsitzung, um
23/10/2002
das Attentat zu verurteilen, bei dem der Polizeichef von
Leiza (Navarra), Juan Carlos Beiro, sein Leben verlor.
Dies ist ein vorrangiges Ziel, das alle europäischen
Bürgerinnen und Bürger veranlassen sollte, von Ihnen zu
fordern, vor uns Erklärungen zu geben, und vom Rat, die
Staaten zu benennen, die ihre Pflicht erfüllen und den
Aktionsplan vom 21. September 2001 durchsetzen und
die dies nicht tun.
Wenn wir nicht klarstellen, wer seiner Pflicht gut und
wer ihr schlecht nachkommt, erweisen wir unseren
Wählern keinen Dienst und verteidigen nicht die
Demokratie mit demokratischen Mitteln.
3-168
Haarder, Rat. -(DA) Frau Präsidentin, ich möchte mich
für die ausführliche und spannende Debatte bedanken
und noch ein paar Anmerkungen dazu machen. Viele
haben die Ausgewogenheit angesprochen, die zwischen
effektiver Terrorbekämpfung und Wahrung der
Bürgerrechte gefunden werden muss.
Wenn wir eine auf Rechtssicherheit beruhende
internationale Gemeinschaft schaffen wollen, in der die
Staaten den Rechtsweg beschreiten anstatt das Gesetz in
die eigenen Hände zu nehmen, brauchen wir
Entschlossenheit zum Handeln – wenn nötig unter
Anwendung von Gewalt – gegenüber den Kräften, die
den
Lebensnerv
der
offenen
demokratischen
Rechtsstaaten mit Gewalt und Terror angreifen wollen.
Natürlich muss man in der Lage sein, bei solch
entschiedenen Aktionen mit anderen zu kooperieren. Ich
bin nicht der Meinung, dass Präventivmaßnahmen
ausgeschlossen werden können, wenn es deutliche
Anzeichen für einen bevorstehenden Angriff, einen
Terrorakt oder ähnliches gibt. Dann könnte es durchaus
angebracht sein, einen solchen Angriff oder Anschlag zu
verhindern.
Was die Rolle und Position der EU betrifft, möchte ich
sagen: Wir beteiligen uns aktiv an dieser Abrechnung
mit dem internationalen Terrorismus. Wir wollen die
Verantwortlichen vor Gericht bringen, damit ihre
Straftaten im Rahmen eines Verfahrens aufgedeckt
werden können, das den rechtsstaatlichen Prinzipien
einer fairen Verhandlung entspricht. Die EU legt großen
Wert darauf, dass bei der Bekämpfung des Terrorismus
nicht die Menschenrechte verletzt werden. Wie das Ziel
nicht die Mittel heiligen darf und niemals den
Terrorismus legitimieren kann, so darf auch in unserem
Kampf gegen den Terrorismus das Ziel die Mittel nicht
heiligen.
Was die Finanzierung angeht, so hat der Rat
entsprechend der Resolution Nr. 1373 Maßnahmen
ergriffen, um die Terroristen und Terrororganisationen
gehörenden
Mittel
einzufrieren.
Die
ersten
Terroristenlisten wurden im Dezember des vergangenen
Jahres beschlossen. Seitdem wurde die Terroristenliste
der EU während der spanischen Präsidentschaft zwei
Mal überarbeitet, und es ist damit zu rechnen, dass
während der dänischen Präsidentschaft in Kürze eine
65
weitere Revision durchgeführt wird. Es wäre nicht
korrekt, die Änderungen zu kommentieren, bevor die
Liste fertig ist. Deshalb möchte ich dazu nichts sagen.
Das Verhältnis zwischen der EU und den USA ist im
Wesentlichen felsenfest und beruht auf einer
Wertegemeinschaft,
was
auch
von
mehreren
Berichterstattern festgestellt worden ist. Wir sind für
einander die wichtigsten Kooperationspartner in
politischer, militärischer, wirtschaftlicher und kultureller
Hinsicht, und der 11. September hat uns noch enger
zusammengeschweißt. Wir brauchen die USA und sie
brauchen uns. Was uns vereint, ist stärker als das, was
uns trennt.
Auf der außerordentlichen Ratstagung am 21. September
letzten Jahres haben wir den USA eine deutliche
Botschaft der Solidarität und Zusammenarbeit
zukommen lassen. Das verpflichtet uns und war auch
erfolgreich und wird jetzt hoffentlich durch ein
Abkommen über gegenseitige Rechtshilfe und
Auslieferung gekrönt werden. In diesem wie in anderen
Bereichen gilt, dass viel für Recht und Freiheit in der
Welt getan werden kann, wenn die EU und die USA
zusammenarbeiten. Es ist von entscheidender
Bedeutung, die enge Zusammenarbeit mit den USA
fortzuführen, in diesem und in anderen Bereichen, und
wir müssen uns natürlich laufend dafür einsetzen, dass
sich die USA für den multilateralen Kurs, nicht für einen
einseitig amerikanischen, entscheiden.
3-169
Vitorino, Kommission. – (EN) Ich möchte im Namen
der Kommission anmerken, dass man aus dieser Debatte
sicherlich schließen kann, dass bei allen Maßnahmen,
die auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten
im Kampf gegen den Terrorismus beschlossen worden
sind, streng auf die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und
die Merkmale einer offenen Gesellschaft geachtet
wurde. Niemand kann kritisieren, dass die von der Union
oder den Mitgliedstaaten gebilligten Maßnahmen
Notstands- oder Ausnahmeregelungen sind. Sie sind voll
in unseren gemeinschaftlichen Rechtsrahmen integriert.
Sie zeigen klar und deutlich, dass die Demokratie im
Kampf gegen die organisierte Kriminalität oder den
Terrorismus keineswegs schwach ist. Eine der
möglichen Ursachen für eine Entfremdung ist die
Auffassung der Bürger, dass die Demokratie nicht
wirksam genug gegen den Terrorismus oder die
organisierte Kriminalität vorgehen kann.
Wie Herr Patten sagte, ist der Terrorismus eine
internationale und globale Bedrohung, die internationale
und globale Antworten erfordert. Diese Tatsache wird
langsam von den Mitgliedstaaten anerkannt. Wir können
dem Terrorismus nicht so begegnen, als wäre er eines
der alltäglichen Probleme. Wir müssen polizeiliche und
justizielle Instrumente einsetzen, aber diese Instrumente
allein reichen nicht aus. Wir müssen darüber hinaus
militärische und andere Ressourcen mobilisieren. Wir
müssen auf europäischer Ebene Informationen
austauschen. Sie wissen aus Ihrer eigenen nationalen
Erfahrung, wie schwierig es sein kann, einen
66
ordnungsgemäßen Informationsaustausch zwischen der
Polizei und den Geheimdiensten in Ihren Heimatländern
sicherzustellen. Die Zusammenarbeit, die seit dem
11. September im Kampf gegen den Terrorismus
zwischen den Nachrichtendiensten und der Polizei auf
europäischer Ebene stattfindet, kann erfolgreich sein.
Wir dürfen jedoch zwei andere, sehr wichtige Bereiche
nicht vergessen.
23/10/2002
Zum Abschluss dieser Erklärung teile ich Ihnen mit,
dass ich gemäß Artikel 37 Absatz 2 der
Geschäftsordnung vier Entschließungsanträge erhalten
habe4.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr
statt.
Der erste Bereich ist die Finanzierung des Terrorismus,
der weitaus komplexer ist. Er erfordert zusätzliche
Anstrengungen. Die Kommission wird diesem Thema
im nächsten Jahr Priorität einräumen.
Der zweite Bereich sind multilaterale Maßnahmen. Wir
teilen die Auffassung des Parlaments, dass diesem
Bereich Vorrang eingeräumt werden sollte. Die
Vereinten Nationen sind die erste Stufe. Ein Anlass zur
Sorge ist, dass die Verhandlungen über ein weltweites
Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus
derzeit in den Vereinten Nationen blockiert werden. Wir
dürfen die wichtige Rolle des Europarats bei der
Bekämpfung des Terrorismus nicht vergessen. Ich hoffe
auf einen Erfolg der Verhandlungen, die derzeit im
Europarat über ein Übereinkommen zur Bekämpfung
des Terrorismus geführt werden.
Im Dialog mit den Vereinigten Staaten über die
Bekämpfung des Terrorismus und über die
Zusammenarbeit von Polizei und Justiz sollten wir
erkennen, dass die in Amerika geführte Debatte über die
Grundfreiheiten ein wichtiger Beitrag zur unserer
eigenen europäischen Debatte über die Grundrechte und
die Grundfreiheiten sein kann. Wir sollten die laufende
Debatte in den Vereinigten Staaten über diese wichtigen
Themen nicht unterschätzen und die Gruppen, die sie
führen, nicht allein lassen. Deshalb führen wir auch
einen Dialog mit den Vereinigten Staaten über ein
Abkommen zur gegenseitigen Rechtshilfe und ein
Auslieferungsabkommen, in dem wir unseren eigenen
Standpunkt und unsere Werte verteidigen. Wir werden
auch prüfen, ob von Seiten der Vereinigten Staaten der
politische Wille besteht, unsere Positionen zu
akzeptieren und zu respektieren.
Schriftliche Erklärung (Artikel 120)
3-171
Souchet (NI), schriftlich. – (FR) Die jüngsten
islamistischen Anschläge (Bali, Jemen, Kuwait)
bestätigen, dass die Staatengemeinschaft künftig ständig
mit dem Zerstörungswillen und der Zerstörungskraft
zahlreicher nichtstaatlicher Akteure konfrontiert sein
wird. Die Zusammenarbeit zwischen den Staaten muss
noch aktiver werden, damit den islamistischen
Extremisten kein Zufluchtsort bleibt. Der Sturz der
Taliban in Afghanistan war ganz offensichtlich nur ein
erster Schritt in diesem Kampf, der in erster Linie
innerhalb unserer eigenen Staaten geführt werden muss.
In diesem Zusammenhang sollte sich Kommissar Patten,
der mit Ratschlägen gegenüber nichteuropäischen
Ländern nicht geizt, zuerst einmal fragen, welche
Schlupflöcher das britische System für Terroristennetze
bietet.
Weit davon entfernt, die Staaten zu mehr Wachsamkeit
und Zusammenarbeit aufzurufen, schlägt der Entwurf
einer gemeinsamen Entschließung einen gefährlichen
Kurs ein, indem er eine Ausweitung des QuartettVerfahrens empfiehlt, was letztlich dazu führen könnte,
dass der Sicherheitsrat umgangen wird. Dieselbe
Entschließung gleitet ins Lächerlich ab, wenn versucht
wird, glauben zu machen, dass die im Vertrag über die
Europäische Union vorgesehene Drei-Pfeiler-Struktur
ein Haupthindernis bei der Bekämpfung des Terrorismus
sei! Alles lässt sich im Interesse des Föderalismus
instrumentalisieren, sogar der Terrorismus.
3-172
Der Testfall für Herrn Pomes Ruiz wird schon sehr bald
eintreten, wenn die auf europäischer Ebene getroffenen
Entscheidungen umgesetzt werden. Wie Sie wissen,
müssen die Rahmenbeschlüsse über den Terrorismus bis
Ende dieses Jahres und über den europäischen
Haftbefehl bis Anfang 2004 in das nationale Recht der
Mitgliedstaaten
umgesetzt
werden.
Sieben
Mitgliedstaaten haben sich, wie Ihnen bekannt ist,
verpflichtet, den europäischen Haftbefehl bereits im
ersten Halbjahr 2003 in ihre Rechtsordnungen zu
übernehmen.
Die
Kommission
möchte
diese
Mitgliedstaaten zur Einhaltung dieser Verpflichtung
ermutigen.
3-170
Die Präsidentin. – Danke, Herr Kommissar.
Echelon
3-173
Die Präsidentin. – Nach der Tagesordnung folgen die
Erklärungen des Rates und der Kommission zu Echelon.
Herr amtierender Ratsvorsitzender, Sie haben das Wort.
3-174
Haarder, Rat. - (DA) Frau Präsidentin, mit seinen
klugen, abschließenden Worten hat Herr Vitorino nicht
nur diese Debatte optimal beendet, sondern auch zur
jetzt folgenden übergeleitet. Es ist gut ein Jahr her, dass
das Europäische Parlament einen Beschluss über die
Existenz eines globalen Systems zum Abhören privater
und wirtschaftlicher Kommunikation getroffen hat – das
4
Siehe Protokoll.
23/10/2002
so genannte Echelon-Abhörsystem. Im Beschluss heißt
es, dass die Existenz eines weltweiten Abhörsystems für
Kommunikation nicht mehr bezweifelt wird. Der
Beschluss beruht auf einem Bericht des nichtständigen
Ausschusses für das Echelon-Abhörsystem. In diesem
Bericht wurde auf eine Reihe von Maßnahmen zum
Schutz von Bürgern und Unternehmen in der Union
hingewiesen. Hier ist meiner Ansicht nach umfassende
und gute Arbeit geleistet worden. Der Bericht hat in
hohem Maße dazu beigetragen, dass diesem Bereich in
der EU, in den Mitgliedstaaten und in den nationalen
Parlamenten besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Als Mitglied des Parlaments durfte ich an einer vom
Ausschuss durchgeführten Anhörung teilnehmen.
Die Aufmerksamkeit, die der Abhörmöglichkeit zum
Zwecke der Gewinnung wirtschaftlicher Vorteile zuteil
wurde, hat auch der europäischen Bevölkerung und den
europäischen Unternehmen zur Einsicht verholfen, dass
etwas zum Schutz der Kommunikation unternommen
werden muss.
Im Zusammenhang mit der Behandlung des Berichts im
Parlament kam die damalige belgische Präsidentschaft in
ihrem Redebeitrag auf die grundlegenden Prinzipien zu
sprechen, die für jedes Abhörsystem gelten müssen. Die
Präsidentschaft erwähnte in diesem Zusammenhang u. a.
die zentralen Grundsätze des Schutzes der Privatsphäre
und des Rechts auf freie Kommunikation, die in Artikel
8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und
Artikel 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union zum Ausdruck kommen.
Ich möchte mich auf das beziehen, was die damalige
belgische Präsidentschaft darüber gesagt hat. Mein
Ansatz ist jedoch ein anderer. In meiner Eigenschaft als
Vertreter der Ratspräsidentschaft möchte ich mich auf
den Schutz unserer Kommunikation konzentrieren. Wir
müssen die Tatsache in Betracht ziehen, dass die
technologische Entwicklung es weit mehr als früher
technisch möglich gemacht hat, unsere Kommunikation
abzuhören. Illegales Abhören privater Kommunikation
oder Abhören von Unternehmen mit dem Ziel der
Wettbewerbsverzerrung
ist
selbstverständlich
inakzeptabel und ein ernsthaftes Vergehen, und deshalb
ist es wichtig, dass man sich in den Mitgliedstaaten und
auf europäischer Ebene dieser Form des Abhörens
bewusst ist und sich laufend um den bestmöglichen
Schutz der Kommunikation von Bürgern und
Unternehmen bemüht.
Auf EU-Ebene wird bereits an der Verbesserung der
Kommunikationssicherheit für den Einzelnen gearbeitet.
Jüngstes Ergebnis dieser Bemühungen ist die Richtlinie
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli
2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten
und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen
Kommunikation. Die Präsidentschaft ist der Auffassung,
dass darüber hinaus Anstrengungen zu unternehmen
sind, den Einsatz der Verschlüsselung und die Sicherheit
im IT-Bereich zu erhöhen – in den EU-Institutionen
ebenso wie in den Nationalstaaten.
67
Sicherheit im IT-Bereich steht im gemeinsamen
europäischen Aktionsplan eEurope 2005 an oberster
Stelle. Der Plan befasst sich u. a. mit der Entwicklung
sicherer Kommunikation zur Verwendung beim sicheren
Austausch vertraulicher öffentlicher Informationen
innerhalb der Gemeinschaft. Der Aktionsplan dient auch
dem Zweck, eine Sicherheitskultur in allen Bereichen zu
entwickeln, in denen mit der Entwicklung und dem
Einsatz
von
Informationsund
Kommunikationssystemen gearbeitet wird. Schließlich
umfasst der Aktionsplan auch die Gründung einer
Taskforce Computersicherheit, die in Zusammenarbeit
mit den Mitgliedstaaten und dem privaten Sektor
Katalysator für Initiativen im Sicherheitsbereich sein
soll.
Die dänische Präsidentschaft ist der Ansicht, dass die
Realisierung der Initiativen im Aktionsplan eEurope
2005 wichtig ist. Ich möchte abschließend noch
anmerken, dass sich die Präsidentschaft auch für die
Annahme einer Resolution des Rates einsetzen möchte,
die auf die Schaffung einer gemeinsamen Strategie zur
Netzwerk- und Informationssicherheit im Hinblick auf
die Einführung einer gemeinsamen europäischen
Sicherheitskultur abzielt. Im Resolutionsentwurf werden
u. a.
die
Mitgliedstaaten
dazu
aufgefordert
sicherzustellen, dass IT-Sicherheit in die Vorschriften
der einzelnen Staaten als wesentliches Element
aufgenommen
wird.
Außerdem
müssen
die
Mitgliedstaaten ausreichende Vorkehrungen treffen, um
Sicherheitsproblemen vorbeugen und auf sie reagieren
zu können.
Schließlich werden die Mitgliedstaaten im Entwurf dazu
aufgefordert, Partnerschaften zwischen Hochschulen und
Unternehmen zu fördern, damit auf diesem Wege sichere
Technologien und Sicherheitsdienstleistungen entwickelt
werden können.
3-175
Liikanen, Kommission. – (EN) Frau Präsidentin, vor gut
einem Jahr fand in diesem Haus eine Aussprache über
die Ergebnisse der Arbeit des nichtständigen
Ausschusses über das Abhörsystem Echelon statt. Einige
Tage später, am 11. September, stand die ganze Welt
unter Schock.
Die Welt hat sich verändert. Die Rolle der Sicherheit der
Netze und Informationen hat sich als äußerst wichtig
erwiesen. Wir haben außerdem erkannt, dass die
europäische Gesellschaft in zunehmendem Maße
anfällig für Probleme ist, die mit der Sicherheit der
Netze und Informationen zusammenhängen.
Bevor ich auf die wichtigsten Anliegen des
Europäischen Parlaments eingehe, möchte ich, wie ich
dies bereits im vergangenen Jahr getan habe, einen
wichtigen und klaren Grundsatz hervorheben: Die
Europäische Union beruht auf den Grundsätzen der
Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie
dies in Artikel 6 des Vertrags und in der Charta der
Grundrechte verankert ist.
68
Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass die
Mitgliedstaaten nach Titel V des Vertrags über die
Europäische Union weiterhin die Verantwortung für die
Durchführung
und
Überwachung
der
nachrichtendienstlichen Tätigkeit tragen, sofern der Rat
nichts anderes beschließt.
Durch
die
rasche
Verbreitung
der
Informationstechnologie
ist
das
reibungslose
Funktionieren der IKT ein Faktor von zunehmender
Bedeutung für Wirtschaftswachstum, Produktivität,
Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit.
In der heutigen Aussprache wird die Sicherheit der
Netze und Informationen unter dem Aspekt der
Sicherstellung der Verfügbarkeit von Dienstleistungen
und Daten, der Verhinderung der Störung und des
unbefugten Abhörens des Fernmeldeverkehrs, der
Gewährleistung der Vertraulichkeit von Daten und des
Schutzes von Informationssystemen gegen unbefugten
Zugriff beleuchtet.
Absolute Sicherheit wird es niemals geben. Es wird
immer Schwachstellen, Angriffe, Zwischenfälle und
Störungen geben, die Schäden verursachen. Darin
unterscheidet sich dieser Bereich nicht von anderen
Technologien oder anderen Aspekten des täglichen
Lebens. Die Gesellschaft als Ganzes muss ebenso wie
jeder Einzelne lernen, mit den Gefahren umzugehen, die
im
Zusammenhang
mit
Netzwerken
und
Informationssystemen bestehen.
Daher ist die Sicherheit zu einem wichtigen politischen
Thema geworden. Die Verantwortung der Regierungen
gegenüber der Gesellschaft ist komplexer geworden, und
von staatlicher Seite werden Anstrengungen zur
Verbesserungen der Sicherheit im eigenen Land
unternommen.
23/10/2002
weiterentwickelt. Darin wird die Absicht der
Kommission begrüßt, Vorschläge für die Einrichtung
eines Sonderstabs für Computer- und Netzsicherheit
vorzulegen.
Das Europäische Parlament hat sich mit diesem Thema
befasst und einen Bericht über den Vorschlag der
Kommission vorgelegt, der gestern gebilligt wurde und
in dem eine entschiedene europäische Antwort auf das
wachsende Problem der Informationssicherheit gefordert
wird.
Da sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat
und die Kommission für eine engere europäische
Koordinierung eintreten, wird nun als effizienteste
Möglichkeit zur Erreichung dieses Ziels die Schaffung
einer „Sicherheitseinrichtung“ erwogen.
Der Vorschlag, der derzeit geprüft wird, enthält eine
Reihe von Themen, Fragen und Anliegen, mit denen sich
das Parlament befasst. Basierend auf diesen Anliegen
könnten folgende Maßnahmen vorgeschlagen werden:
Einrichtung eines Kompetenzzentrums, in dem Experten
zusammenarbeiten, die sowohl das Vertrauen von
öffentlichen
Stellen
und
nationalen
und
Gemeinschaftsinstitutionen als auch des Privatsektors
genießen; dieses Zentrum wird die Erarbeitung
international anerkannter Standards unterstützen und in
der Lage sein, effizient und schnell zu handeln.
Ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen
werden daher für die reibungslose und flexible Arbeit
dieses Zentrums ebenso erforderlich sein wie ein
kohärenter Ansatz, der mehrere Säulen einschließt, da
die Sicherheit auch bestimmte Bereiche berührt, welche
die Durchsetzung von Rechtsvorschriften und nationale
Sicherheitsfragen betreffen.
Das Ziel des erst kürzlich verabschiedeten Aktionsplans
eEurope 2005 besteht darin, den Austausch von
Informationen und bewährten Praktiken zu verbessern,
ein europäisches Kompetenzzentrum einzurichten, eine
Sicherheitskultur zu entwickeln und ein sicheres
Kommunikationsumfeld zu schaffen. Wir müssen allen
an den Informations- und Kommunikationstechnologien
beteiligten Sektoren Verantwortung übertragen, um eine
Sicherheitskultur zu schaffen.
Lassen Sie mich nun auf den Datenschutz eingehen. In
Artikel 17 der allgemeinen Datenschutzrichtlinie ist der
Grundsatz der Datensicherheit verankert. Die neue
Richtlinie über die Verarbeitung personenbezogener
Daten und den Schutz der Privatsphäre in der
elektronischen Kommunikation wurde im Juli
verabschiedet. Sie sieht ein hohes Schutzniveau für
verarbeitete personenbezogene Daten vor. Sie enthält
eine Bestimmung, nach der die Mitgliedstaaten
verpflichtet sind, die Vertraulichkeit der mit öffentlichen
Kommunikationsnetzen und öffentlich zugänglichen
Kommunikationsdiensten übertragenen Nachrichten und
der damit verbundenen Verkehrsdaten sicherzustellen
und jede Form der Überwachung von Nachrichten und
der damit verbundenen Verkehrsdaten zu untersagen.
Die Mitgliedstaaten können gemäß der Europäischen
Menschenrechtskonvention jedoch Maßnahmen zur
Wahrung
der
nationalen
oder
öffentlichen
Sicherheitsinteressen oder zur Untersuchung und
Verfolgung von Straftaten treffen, wo dies notwendig
ist.
In der Entschließung des Rates vom 28. Januar 2002 zu
einem gemeinsamen Ansatz und spezifischen
Maßnahmen
im
Bereich
der
Netzund
Informationssicherheit wurde dieses Konzept ebenfalls
Die Kommission hat Initiativen eingeleitet, um die
Vereinbarkeit zwischen den Bestimmungen über den
Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre einerseits
und den Erfordernissen der Strafverfolgung andererseits
Dies war das Ziel der Mitteilung der Kommission über
die Sicherheit der Netze und Informationen, in der
zahlreiche
Maßnahmen,
zum
Beispiel
zur
Sensibilisierung und zur Verbesserung der Mechanismen
für den Informationsaustausch vorgeschlagen wurden.
Ein Beispiel für die Sensibilisierung ist das
Benchmarking
der
nationalen
Politiken
zur
Gewährleistung
eines
sicheren
elektronischen
Geschäftsverkehrs.
23/10/2002
69
zu gewährleisten. Zu diesem Zweck wurde ein EUForum über Cyberkriminalität eingerichtet.
Modalitäten für die zukünftige Arbeit im Bereich der
Netz- und Informationssicherheit festgelegt.
Was die Überwachung der Telekommunikation zum
Zweck der Strafverfolgung betrifft, vertritt die
Kommission die Auffassung, dass die Bestimmungen
über
die
Überwachung
im
Europäischen
Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen
zum jetzigen Zeitpunkt einen ausgewogenen Ansatz
darstellen.
Darüber hinaus gilt es, die weltweite Zusammenarbeit zu
verbessern. Ein erwähnenswertes Beispiel für diese
Zusammenarbeit ist die umfassende Beteiligung der
Kommission an der Erarbeitung der kürzlich
verabschiedeten OECD-Leitlinien für die Sicherheit von
Informationssystemen und Kommunikationsnetzen.
Durch die „dual-use“-Verordnung, die seit September
2000 in Kraft ist und Bestimmungen über die
Ausfuhrkontrolle von Informationssicherheitsprodukten
und -dienstleistungen enthält, werden die Verfügbarkeit
und der freie Verkehr von Verschlüsselungsprodukten
und Technologien in der Europäischen Union
gewährleistet. Diese Verordnung wurde erfolgreich
umgesetzt, und von der Kommission wird derzeit das
komplexe Thema der Ausfuhrkontrollen mit den
Beitrittsländern erörtert.
Im Bereich der Technologie konnten durch das
Forschungsrahmenprogramm
der
Gemeinschaft,
insbesondere durch das Programm Technologien der
Informationsgesellschaft, die Bedingungen für die
Entwicklung
von
marktführenden
Verschlüsselungsprodukten verbessert werden. Damit
komme ich nun zu den Maßnahmen, die zur
Verbesserung unserer eigenen internen Informationsund Kommunikationssysteme in Angriff genommen
wurden.
Nach der Verabschiedung der Verordnung zum Schutz
natürlicher
Personen
bei
der
Verarbeitung
personenbezogener Daten durch die Organe und
Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft wurde
eine
weit
reichende
Sicherheitsüberprüfung
durchgeführt. Nach dieser Überprüfung wurde eine
Entscheidung
der
Kommission
gebilligt,
die
Sicherheitsbestimmungen
und
umfassende
Bestimmungen über die IT-Sicherheit enthält. Durch
diese Entscheidung wird der Schutz von nicht für die
Öffentlichkeit
zugänglichen
Dokumenten
der
Kommission grundlegend verbessert. Außerdem werden
die verschiedenen Zuständigkeiten der Beteiligten klar
definiert,
darunter
fallen
unter
anderem
Sicherheitsüberprüfungen
von
Mitarbeitern
und
Sicherheitsinformationen.
Darüber hinaus wurde in der gesamten Kommission eine
technische Überprüfung durchgeführt. Derzeit laufen
Maßnahmen zur Verbesserung der Situation. Wie Sie
sehen, haben wir bereits vieles erreicht, dennoch liegt
noch eine Menge Arbeit vor uns.
Durch die kürzlich verabschiedete Datenschutzrichtlinie,
den Bericht des Europäischen Parlaments über die
vorgeschlagene Politik auf dem Gebiet der
Informationssicherheit, den Aktionsplan eEurope 2005
und die Pläne zur Einrichtung einer Europäischen
Agentur für Computersicherheit werden die weiteren
Durch diese Leitlinien wird die Bedeutung der
Anwendung bestimmter gemeinsamer Grundsätze für
die Informationssicherheit unterstrichen, die Arbeit auf
europäischer Ebene wird untermauert, und sie stehen im
Einklang
mit
dem
Grundgedanken
der
„Sicherheitskultur“ im Aktionsplan eEurope 2005.
Im Dezember wird der Rat „Telekommunikation“ den
Stand der Umsetzung der gemeinsamen europäischen
Strategie für die Sicherheit der Netze und Informationen
erörtern
und
überprüfen.
Die
Netzund
Informationssicherheit ist ein Thema, dem vom
dänischen Ratsvorsitz hohe Priorität eingeräumt wird.
Durch diese Maßnahmen der europäischen Organe und
der Mitgliedstaaten wollen wir die Aufmerksamkeit auf
dieses Thema lenken und die Anstrengungen zur
Verbesserung der Sicherheit der Netze und
Informationen verstärken. Dies ist ein wichtiger Schritt,
um illegale Überwachungen oder Wirtschaftsspionage
zu verhindern und das reibungslose Funktionieren
unserer Volkswirtschaften und Gesellschaften zu
gewährleisten.
3-176
Flesch (ELDR). – (FR) Zum Verfahren, Frau
Präsidentin. Die Ausführungen, die wir gerade gehört
haben, waren sicherlich sehr interessant, doch abgesehen
vom letzten Satz von Herrn Liikanen bezogen sie sich
nicht auf das Thema, das auf unserer Tagesordnung
steht, nämlich Echelon.
3-177
Die Präsidentin. – Ihre Bemerkung wird zur Kenntnis
genommen, Frau Abgeordnete.
3-178
von Boetticher (PPE-DE). - Frau Präsidentin, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich auf ein paar
Anmerkungen zur Kommission beschränken. Der
Echelon-Ausschuss hat ja vor einem Jahr seinen
Abschlussbericht vorgelegt. Die Arbeit wurde auch
mehrfach gelobt. Aber schon während unserer Arbeit
damals wurde deutlich, dass die Kommission die
Angelegenheit behandelt hat wie die berühmten drei
Affen, die nach dem buddhistischen Glauben am
Koshin-Fest über die Menschen berichten sollen, nach
dem Motto "Nichts hören, nichts sehen und nichts
sagen". Nach einem Jahr könnte man fast hinzufügen
"Auch nicht allzu viel umsetzen". Denn von den im
Bericht beschriebenen Defiziten und den Aufträgen hat
die Kommission bis heute in der Tat nicht allzu viel
umgesetzt.
70
Herr Kommissar, Sie kennen unsere Aufforderung an die
Kommission aus den Punkten 27 bis 44 des Berichts.
Die Frage, die im Raum stehen bleibt, ist: Was haben Sie
getan hinsichtlich der Information unserer Bürger und
Unternehmen über die Gefahren durch Echelon? Was
haben Sie getan für eine systematische Verschlüsselung
von E-mails innerhalb der Kommission? Und was wurde
getan hinsichtlich der Ausbildung des Personals der
Kommission in Fragen der neuen Technologien und
Verschlüsselungen? Es reicht nicht, wenn man neue
Techniken einführt, sondern man muss dann auch das
Personal weiter schulen.
Ihre Datenschutzlinien, die sehr wichtig und sehr
weitreichend sind, interessieren ja nur bedingt. Die
Frage ist auch dort: Was ist innerhalb der Kommission
geschehen? Sie sagten, Sie haben einen Beschluss
gefasst. Ich kann allerdings nicht erkennen, dass die
Kommission inzwischen die von uns geforderte
Sicherheitsanalyse erstellt hat, die eben auch eine
komplette Geheimschutzklassifizierung von Personen
und Dokumenten beinhaltet. Sie haben das ansatzweise
erkennen lassen. Meine Frage ist dann: Wer ist bei Ihnen
dafür zuständig? Ich erinnere mich nämlich noch sehr
gut an den Auftritt von Herrn Perkins, den Sie uns
damals geschickt haben. Er war Leiter des
Chiffrierdienstes der Kommission. Er konnte uns aber
gerade mal sagen, wie der Technikstand der
Chiffriergeräte ist, aber nichts über den allgemeinen
Sicherheitsstandard in der Kommission. Offenbar gab es
keine feste Zuständigkeit dafür, und - das ist jedenfalls
mein Gefühl - es gibt sie auch heute noch nicht. Oder,
Herr Kommissar, sind Sie oder eine der
Generaldirektionen dafür zuständig, dass Dokumente
durchgehend klassifiziert werden, dass Sie sich in
Personalfragen einmischen und Personen klassifizieren,
um die Sicherheit in der Kommission zu gewährleisten?
Jede
nationale
Institution
hat
heute
einen
Geheimschutzbeauftragten, der genau diese Aufgaben
durchführt. Gibt es einen solchen Beauftragten
mittlerweile in Ihrer Kommission, der auch die nötige
Sensibilisierung für mögliche Angriffe durch das
Echelon-System aufweist? Ach ja, arbeiten Sie
eigentlich immer noch mit einer britischen
Faxverschlüsselung, Herr Kommissar? Ich fürchte
beinahe, ja, denn dazu haben Sie nichts gesagt.
Darum werden wir Ihnen mit einer neuen Entschließung
erneut auf die Sprünge helfen, und, Herr Kommissar,
sollte hier weiterhin so wenig geschehen wie bisher und
sollte auch weiterhin die Umsetzung unserer Punkte
quasi ignoriert werden, dann müssten wir uns auch mal
auf die nächste anstehende Entlastung der Kommission
miteinander verständigen.
Unser Auftrag an Sie wird demnächst auf dem Tisch
liegen. Ich bitte Sie, handeln Sie!
(Beifall)
3-179
23/10/2002
Wiersma (PSE). – (NL) Ich möchte mich den
Bemerkungen des Kollegen von Boetticher anschließen.
Letztes Jahr wurden zu diesem Thema viele Anfragen
eingereicht. Das Parlament hat der Kommission und dem
Rat zahlreiche Empfehlungen unterbreitet, zu denen wir
praktisch nie eine Stellungnahme erhalten haben.
Vermutlich werden andere Kolleginnen und Kollegen
ebenfalls auf diesen Punkt eingehen. Ich möchte mich
nur auf einen Aspekt unserer im Vorjahr geführten
Aussprache konzentrieren.
In der im vergangenen Jahr verabschiedeten
Entschließung über die Existenz eines globalen
Abhörsystems wurde der politischen Bedeutung der
internationalen nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit
besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Ein wichtiger
Punkt in der seinerzeitigen Aussprache war der, dass die
überwältigende Mehrheit dieses Parlaments an sich nicht
gegen das Abhören ist und dass selbst in einer
Demokratie Nachrichtendienste erforderlich sind. In dem
Bericht des Nichtständigen Ausschusses wurde
hervorgehoben,
dass
effizient
arbeitende
Nachrichtendienste in unserer modernen Gesellschaft
notwendig sind, und zwar nicht nur bei der Bekämpfung
des Terrorismus und der internationalen Kriminalität,
sondern auch als wesentliches Element bei der
Entwicklung
einer
eigenen
Europäischen
Sicherheitspolitik.
Sollen
eine
autonome
Verteidigungskapazität
und
eine
eigene
Interventionsmacht im Rahmen der Petersberg-Aufgaben
aufgebaut werden, dann gehören dazu auch die
Möglichkeit
und
die
Fähigkeit
zur
Informationssammlung. Deshalb hat das Europäische
Parlament nachdrücklich die Verbesserung der
europäischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet sowie
eine
stärkere
demokratische
Kontrolle
der
nachrichtendienstlichen Tätigkeit gefordert. Unserem
Bericht zufolge weisen auch hier einige Länder noch
erhebliche Defizite auf.
Unter dem Druck des internationalen Terrorismus und
der Ereignisse des vergangenen Jahres hat sich die
Zusammenarbeit der Nachrichtendienste offensichtlich
nicht nur innerhalb der Europäischen Union, sondern
auch mit den USA verbessert. Hinsichtlich der
demokratischen Kontrolle scheint sich indes wenig
geändert zu haben. Die Unionsbürger haben ein Recht
darauf zu wissen, dass die in ihren nationalen
Rechtsvorschriften verankerte Privatsphäre auch bei der
internationalen nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit
geschützt wird. Die Bürger und Unternehmen Europas
müssen sich darauf verlassen können, dass für die
Vertraulichkeit ihrer Kommunikation in allen Ländern
der Europäischen Union die gleiche Gewähr geboten
wird. Sichergestellt muss sein, dass europäische
Nachrichtendienste nicht dazu missbraucht werden,
Betriebsgeheimnisse zu stehlen, sondern dazu dienen,
kriminelle Tätigkeiten wirksam zu bekämpfen.
Selbstverständlich danken wir Herrn Kommissar
Liikanen, dass er hier im Namen der Europäischen
Kommission Auskunft über die technischen Aspekte des
globalen Abhörens von Kommunikation erteilt hat.
23/10/2002
Leider ist jedoch Kommissar Patten heute hier nicht
zugegen, um uns über die internationalen Aspekte, von
denen ich soeben gesprochen habe, eingehender zu
informieren. Ohne hinreichende Klarheit in diesem
Punkt ist die Politik der Europäischen Union nicht nur
unvollständig, sondern auch unglaubwürdig.
3-180
Plooij-van Gorsel (ELDR). – (NL) Sehr geehrte
Vertreter des Rates, verehrter Herr Kommissar! Herr
Haarder hat mit aller Deutlichkeit über den notwendigen
Schutz von Kommunikation gesprochen und auch
gesagt, die Technik ermögliche das Abhören in großem
Stil. Das Abhören wird durch diese Technik nicht nur
möglich, es wird auch tatsächlich praktiziert, wie wir
anhand unserer hierzu vorgelegten Studie gezeigt haben.
Dann stelle ich mir die Frage, was wir eigentlich
dagegen unternehmen.
Herr Liikanen erwähnte die Charta der Grundrechte, für
die liberale Fraktion stand jedoch fest, dass es eines
Rechtsrahmens bedarf, um illegalen Abhörpraktiken
Schranken zu setzen und legales Abhören klar zu
definieren sowie diesbezüglich eine wirksame Kontrolle
auf europäischer Ebene vorzusehen. Die liberale
Fraktion plädierte hierbei für ein zweigleisiges
Vorgehen, nämlich einerseits Schutz der Rechte und der
Privatsphäre des einzelnen Bürgers und andererseits
Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Union
durch
Maßnahmen
zur
Verhütung
von
Industriespionage. Wir haben dazu auch konkrete
Vorschläge unterbreitet. Im Rat Justiz und Inneres ist
statt dessen nunmehr von weit reichenden Kompetenzen
der Mitgliedstaaten betreffend die Datenspeicherung
sowohl im Bereich der Telekommunikation als auch des
Internet die Rede. Wer schützt eigentlich unsere Bürger
vor dem Staat?
Mein nächster Punkt ist der, dass wir auch ganz konkrete
Maßnahmen zur Steigerung des Problembewusstseins
der Bürger und der Unternehmen gefordert haben. Dazu
gehören
die
Entwicklung
einer
europäischen
Verschlüsselungssoftware und die Erstellung von
Sicherheitsanalysen. Ich möchte nun sowohl den
Ratsvorsitzenden als auch den Kommissar fragen, was
diesbezüglich effektiv unternommen wird, was bislang
erreicht worden ist und was diesbezüglich noch geplant
ist? Ich habe nämlich den Eindruck, dass von allen
unseren Empfehlungen kaum etwas umgesetzt wird, und
ich möchte nochmals auf die Bemerkung meiner
Kollegin Colette Flesch an die Adresse von Kommissar
Liikanen verweisen.
3-181
Di Lello Finuoli (GUE/NGL). – (IT) Frau Präsidentin,
bis vor wenigen Jahren wurde jeder Versuch, mit dem
Rat oder mit der Kommission über ECHELON zu
sprechen, mit der Ausrede vereitelt, es handle sich um
Folgerungen der Presse, die keines Kommentars
bedürfen. Nach den Arbeiten des ECHELONAusschusses hat die Europäische Union die Existenz
dieses Abhörsystems schließlich anerkannt, und das
Thema dieser Debatte ist – wie Frau Flesch zu Beginn
der Aussprache ganz richtig in Erinnerung brachte -
71
ECHELON. Um nichts anderes geht es, wir kommen
nicht darum herum.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen; nachdem ich Herrn
von Boetticher und die anderen Kollegen gehört habe,
kann ich ihren Ausführungen zustimmen und ihnen
beipflichten, weil sie bereits ausführlich dargelegt haben,
was alles nach dieser Arbeit nicht getan worden ist. Wir
haben Zeit und Personal investiert, um dann ein
Mäuschen zu gebären, denn bis heute haben weder die
Kommission noch der Rat etwas für den Schutz der
Bürgerinnen und Bürger unternommen. Dabei geht es
auch um das folgende Problem: Die Unternehmen und
Institutionen können sich mit all den ihnen zur
Verfügung stehenden personellen und materiellen
Mitteln gut schützen, doch der eigentliche Appell, der
vom ECHELON-Ausschuss ausging, betraf den Schutz
der Bürger und ihrer Privatsphäre, des Grundrechts auf
Privatsphäre. Bisher wurde also in Europa nichts auf
diesem Gebiet unternommen, und ich betrachte es als
eine Delegitimation der Organe und auch des
Europäischen Parlaments, dass sie keine konkrete
Maßnahme in Bezug auf ECHELON und das
Abhörproblem ergriffen haben. Damit wird unseren
Organen die Legitimation wahrhaftig entzogen.
Ich möchte den Rat und die Kommission dazu
auffordern, zumindest über einen Rahmenbeschluss
nachzudenken, der die Bürgerinnen und Bürger vor
willkürlichen Abhöraktionen schützt und deren
Justiziabilität festlegt, d. h. die Möglichkeit, ein
nationales
Gericht
anzurufen,
um
derartige
Abhörtätigkeiten zu bestrafen.
3-182
McKenna (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident, ich
halte es ebenso wie einige andere Redner für
bedauerlich, dass seit dem Bericht des Parlaments über
Echelon nichts geschehen ist. Die Bevölkerung hat
weiterhin den Eindruck, dass sie nicht ausreichend
geschützt ist. Vom Rat sollte ein Rahmenbeschluss
gefasst werden, der Schutz vor den Aktivitäten der
Nachrichtendienste anderer Mitgliedstaaten oder von
Drittländern bietet. Die bloße Existenz eines Systems für
das willkürliche Abhören von Kommunikationen
verstößt gegen Artikel 6 des EU-Vertrags, wie Herr
Liikanen selbst eingeräumt hat.
Wichtig ist darüber hinaus, dass die Europäische Union
und die Vereinigten Staaten ein Abkommen schließen, in
dem jede Partei zur Einhaltung der Bestimmungen zum
Schutz der Privatsphäre der Bürger und der
Vertraulichkeit der Kommunikation von Unternehmen
verpflichtet wird.
Meine Fraktion lehnt die vom Rat getroffenen
Maßnahmen entschieden ab, mit denen die
Möglichkeiten des Abhörens von Telekommunikation an
die neuen Technologien angepasst werden sollen. Wir
lehnen insbesondere die Verabschiedung der Richtlinie
ab, die es den Mitgliedstaaten unter anderem ermöglicht,
gesetzliche Maßnahmen für die zeitlich begrenzte
Speicherung von Daten zu beschließen.
72
Vom Ratsvorsitz muss eine Strategie vorgelegt werden,
wie die parallel bestehenden Datenschutzsysteme
innerhalb der Europäischen Union durch ein
gemeinsames System abgelöst werden können und wie
die Zunahme von Kontrollbehörden und -mechanismen,
wie Schengen, Europol oder Zollabkommen, verhindert
werden kann. Sie arbeiten auf der Grundlage
unterschiedlicher Schutzstandards und unterliegen keiner
echten demokratischen oder rechtlichen Kontrolle.
Zum Abschluss möchte ich darauf hinweisen, dass der
verstärkte Einsatz der Verschlüsselung die Suche nach
politischen Lösungen, zum Beispiel strengere
Rechtsgarantien und eine wirksamere parlamentarische
Kontrolle, nicht ersetzen kann. Wenn wir sagen, dass wir
unsere Probleme durch die Verschlüsselung lösen
können, gestehen wir damit unser Scheitern ein.
3-183
Coelho (PPE-DE). – (PT) Frau Präsidentin, Herr
Kommissar, Herr Ratspräsident, verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Im Verlaufe eines Jahres hat das
Europäische Parlament in dem Ausschuss, dem ich die
Ehre hatte vorzustehen, eine umfangreiche Arbeit
geleistet. Es wurden viele Sachverständige gehört, viele
Reisen unternommen und unzählige Dokumente
analysiert, die in den ausgezeichneten Bericht von Herrn
Gerhard Schmid mündeten, dessen Schlussfolgerungen
von der übergroßen Mehrheit in diesem Parlament
angenommen wurden.
Fast unsere gesamte Arbeit vollzog sich in der
Öffentlichkeit. Es gab wenige Ausnahmen, wenn der
Charakter der Maßnahmen oder der konsultierten Stellen
dazu zwang, hinter verschlossenen Türen zu handeln.
Wir gelangten zu der Schlussfolgerung, dass es ein Netz
„Echelon“ geben muss, das Kommunikationen abhören
und verarbeiten kann und an dem die Vereinigten
Staaten, das Vereinigte Königreich, Kanada, Australien
und Neuseeland beteiligt sind. Wir haben deutlich unsere
Sorge über das niedrige Schutzniveau unserer
persönlichen Freiheiten gegen diese Bedrohung und in
Bezug auf die Kommunikationssicherheit unserer
Unternehmen und auch hinsichtlich eines fairen Handels
auf dem internationalen Markt zum Ausdruck gebracht.
Außerdem haben wir in diesem Plenum 44
Empfehlungen angenommen, die vor allem an den Rat,
die Kommission und die Mitgliedstaaten gerichtet
waren. Ich habe den Eindruck, dass alle diesen Bericht
und seine Schlussfolgerungen lieber vergessen wollten.
Ich kann vor allem die Entscheidung des Präsidiums
dieses Parlaments, die Veröffentlichung des Berichts
nicht zu fördern, nur beklagen. Und um auf den Rat und
die Kommission zurückzukommen: Es ist an der Zeit,
ganz klar zu sagen, dass in diesem Jahr wenig geschehen
ist. Die Situation, in der wir uns heute gegenüber
unseren Bürgern und unseren Unternehmen befinden,
unterscheidet sich nicht wesentlich von der vor einem
Jahr. Wir haben sogar eine Tendenz festgestellt, der wir
unbedingt entgegentreten müssen – und in diesem
Zusammenhang verweise ich auf den Beitrag von Herrn
23/10/2002
Haarder in der vorhergehenden Debatte –, dass nämlich
geäußert wird, der Kampf gegen das internationale
Verbrechen und den Terrorismus müsse zwangsläufig
auf Kosten unserer Freiheiten geführt werden.
Ich muss wiederholen und betonen, dass die Sicherheit
ein Instrument ist, um unsere Freiheit zu schützen, aber
wenn Sicherheitserfordernisse Freiheiten ersticken, üben
wir Verrat an unseren Grundwerten und gleiten ab in
Tyrannei. Ich hoffe, dass wir uns in einem Jahr nicht
erneut an den Rat und die Kommission und die
Mitgliedstaaten wenden und wiederholen müssen, was
wir heute gesagt haben: das wenig getan wurde und fast
alles wie zuvor ist.
3-184
Vattimo (PSE). – (IT) Frau Präsidentin, insbesondere
nach den Ausführungen, die soeben Herr Coelho, unser
Vorsitzender und Koordinator unseres Ausschusses im
vergangenen Jahr, gemacht hat, wäre wenig
hinzuzufügen.
Ich möchte lediglich in Erinnerung bringen, dass sich die
Delegation der Italienischen Sozialistischen Partei im
vorigen Jahr bei der Abstimmung über den Bericht
Schmid der Stimme enthalten hat, weil unseres
Erachtens nicht genügend hervorgehoben wurde, dass
die globalen Abhörmaßnahmen, deren sich ECHELON
bedient,
jeglicher
durch
die
Menschenrechte
vorgesehenen Legalität widersprechen. Sie erfolgen
nämlich grenzüberschreitend, beruhen auf keinem
vorherigen richterlichen Beschluss und werden ziellos
durchgeführt. Es ist, als würde man ein Netz auswerfen
und darauf warten, dass jemand das Wort „Bombe“ oder
„Attentat“ usw. ausspricht. Danach haben wir nichts
mehr gesagt.
Nach dem 11. September hat sich natürlich niemand
mehr an diese Dinge erinnert, weil uns gesagt wurde:
„Seht Ihr, wie notwendig der Geheimdienst ist?“ Das
stimmt sicherlich, doch hätte man einwenden können,
dass er vielleicht nicht viel taugt, wenn es ihm bis jetzt
nicht gelungen ist, den Terrorismus zu verhindern.
Jedenfalls liegt uns heute ein Bericht vor, aus dem
hindurchsickert, dass nicht viel getan worden ist, um den
Forderungen bzw. unseren 44 Empfehlungen
nachzukommen.
Als
Erstes
halte
ich
die
Veröffentlichung des Berichts der Kommission für sehr
wichtig, damit die Bürger informiert werden; sie ist
ferner sehr wichtig, um darauf zu dringen, dass es in
allen EU-Staaten eine Gesetzgebung gibt, welche die
Charta der Rechte, d. h. sowohl die Europäische
Menschenrechtskonvention als auch die von uns vor
dem Gipfel in Nizza angenommene Charta, respektiert.
Das ist entscheidend für die Mitgliedschaft in der Union.
Selbstverständlich stellt sich außerdem das Problem der
demokratischen Kontrolle über die Geheimdienste in den
verschiedenen Staaten, die effektiv weitgehend
inexistent ist. Schließlich möchte ich darauf hinweisen –
ich will nicht geschmacklos erscheinen -, dass das
Vereinigte Königreich immer noch an ECHELON
beteiligt ist und meines Wissens weiterhin mit den USA
23/10/2002
zusammenarbeitet, d. h. mit denjenigen, die sämtliche
Antiterroraktionen steuern und die Menschenrechte
explizit verletzten – siehe Guantanamo, die
Bombardierungen und dergleichen. Wie können wir
darauf vertrauen, dass unsere angeblichen Verbündeten
nicht auch bei den Abhöraktionen die Menschenrechte
verletzen?
3-185
Turco (NI). – (IT) Frau Präsidentin, ich glaube,
Kommissar Liikanen und dem Herrn Minister Haarder
ist ein schwieriger Drahtseilakt gelungen, indem sie ein
Ergebnis erzielten, das wir nicht einmal während der
Ausschussarbeit zu erreichen vermochten, nämlich die
Einvernehmlichkeit des Europäischen Parlaments. Ich
schließe mich sämtlichen bisherigen Ausführungen an,
möchte jedoch etwas Besonderes hinzufügen.
Es wird fortwährend, wie auch in dem letzten
Redebeitrag des Kollegen Vattimo, auf das angloamerikanische System zum systematischen und
allgemeinen durch Suchmaschinen gefilterten Abhören
hingewiesen, wobei jedoch bewusst ignoriert wird –
denn wir alle wissen davon -, dass diese Systeme auch in
europäischen Ländern wie Deutschland, Holland und
Frankreich genutzt werden. Anders gesagt, einige
Mitgliedstaaten der Union hören die Tätigkeit von
Institutionen, Bürgern und Untenehmen anderer
Mitgliedstaaten ab.
Solche globalen Abhörsysteme für Kommunikation,
Daten und Dokumente verstoßen gegen das in Artikel 8
der Europäischen Menschenrechtskonvention und
Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union
garantierte Grundrecht des Schutzes der Privatsphäre.
Kommissar Liikanen hat uns bereits darauf hingewiesen:
Diese Systeme verstoßen offenkundig gegen die
Grundrechte der Unionsbürger, die Logik des freien
Marktes und die Sicherheit der Union. Für uns sind diese
Verstöße nicht hinnehmbar, und die Worte des Herrn
Kommissars, die er hier im Rahmen einer Debatte
geäußert hat, reichen nicht aus, wenn sie dann zu
keinerlei Konsequenz führen.
Ich möchte den Herrn Kommissar und den Herrn
Minister lediglich an Ziffer 9 der Empfehlungen unseres
Parlaments erinnern, wo dazu aufgefordert wird,
ein System zur demokratischen Überwachung und
Kontrolle
der
eigenständigen
europäischen
nachrichtendienstlichen Kapazitäten – worüber wir gar
nichts gehört haben – sowie anderer damit im
Zusammenhang
stehender
nachrichtendienstlicher
Tätigkeiten auf europäischer Ebene einzurichten.
Alles in allem können so heikle Fragen wie die der
Abhör- und Überwachungstätigkeit der Polizei-,
Sicherheits- und Spionagedienste nicht angepackt
werden, ohne nicht für ein wesentliches und
ausschlaggebendes Element Sorge zu tragen, nämlich
die gerichtliche und parlamentarische Kontrolle, mithin
die demokratische Kontrolle.
3-186
73
Schmid, Gerhard (PSE). - Frau Präsidentin! Es ist gut,
dass diese Debatte heute stattfindet. Der EchelonAusschuss hat nach einem Jahr Arbeit Empfehlungen
und Forderungen auf den Tisch gelegt. Es ist nur gute
parlamentarische Kontrolle, wenn wir nach einem Jahr
nachfragen, was daraus geworden ist. Lassen Sie mich
eine Vorbemerkung machen. Wenige Tage nach der
Debatte, die wir letztes Jahr hatten, kam es am 11.
September zu dem schrecklichen Anschlag in den
Vereinigten Staaten von Amerika. Darauf hat es zwei
Reaktionen gegeben. Die einen haben gesagt: Diese
Abhörsysteme taugen nichts, wie man sieht, die müssen
abgeschafft werden, die anderen wollten die
Geheimdienste und ihr Tun zur öffentlichen Anbietung
ausstellen. Beide Reaktionen sind falsch!
Es war die Überzeugung der Mehrheit dieses Hauses,
dass strategische Fernmeldekontrolle, wenn sie
gesetzlich abgesichert ist und ordentlich kontrolliert
wird, ein nützliches Instrument für Nachrichtendienste
sein kann. Der 11.9. ändert aber nichts an unseren
Forderungen, dass es klarer gesetzlicher Grundlagen
bedarf, dass es einer parlamentarischen Kontrolle bedarf
und dass die Vorschriften der europäischen
Menschenrechtskonvention eingehalten werden müssen.
Ich möchte aus der Palette unserer Forderungen im
Wesentlichen die Aspekte herausgreifen, für deren
Umsetzung die Kommission verantwortlich ist - also
nichts im außenpolitischen Bereich, nichts im
internationalen Bereich. Die Kommission hat, wie Herr
Kommissar Liikanen ausführte, Etliches im Bereich der
IT-Sicherheit unternommen. Wer dieses Detail
untersucht, stellt fest, dass es sich um Aktionen handelt,
die ohnehin wegen des e-commerce und der Förderung
der IT-Industrie notwendig gewesen wären. Das
Europäische Parlament hatte präzise Forderungen, die jedenfalls meinem Eindruck nach, Herr Kommissar nicht vollständig eingelöst wurden.
Wir
wollten
zum
einen,
dass
die
Verschlüsselungssoftware auf der Basis von open source
gefördert wird, damit man sicher weiß, was die Software
tut. Wir wollten, dass die Kommission zur Verbreitung
von open source-Software beiträgt, damit wir sicher sein
können, dass in den Netzwerken keine Hintertüren
eingebaut sind. Die Kommission tut da zu wenig. Sie
selbst benutzt im übrigen zu meinem Leidwesen auch
keine open source-Software, das Europäische Parlament
auch nicht.
Was den Schutz von vertraulichen Informationen in der
Kommission betrifft, mit dem wir uns ja auch
beschäftigt haben, hat Herr Liikanen ausgeführt, dass
sich da Etliches geändert hat. Das ist auch gut so. Als
wir uns das in der Kommission das letzte Mal angesehen
haben, hat man noch Verschlüsselfaxe benutzt, wobei
ein Teil der Schlüssel in Großbritannien generiert
wurde! Es wäre gut, Herr Kommissar, wenn die
Kommission einigen Mitgliedern dieses Ausschusses
von damals anbieten könnte, sich vor Ort vom jetzigen
Stand der Sicherheit in der Kommission zu überzeugen.
Mir ist klar, dass Sie in einer öffentlichen Debatte keine
74
Details darlegen können, aber für uns wäre es hilfreich,
noch ein bisschen genauer zu erfahren, was da eigentlich
geschehen ist.
(Beifall)
3-187
Haarder,
Rat.
(DA)
Frau
Präsidentin,
Nachrichtendienste sind wichtig, um die offene
Gesellschaft zu schützen. Deshalb haben sich viele
Länder vernünftigerweise dazu entschlossen, ihre
Nachrichtendienste in Anbetracht des 11. September
auszubauen,
und
natürlich
arbeiten
die
Nachrichtendienste der einzelnen Nationen auch
zusammen.
Ich muss allerdings auch sagen, meine Damen und
Herren, wie die Dinge im Moment stehen, ist das ein
nationales Anliegen, und die Zusammenarbeit zwischen
den Ländern bzw. den Diensten ist eine
zwischenstaatliche Angelegenheit und nicht Sache des
Rates. Man kann es sich anders wünschen, aber so ist die
Situation zur Zeit. Deshalb will noch kann ich nichts
Näheres
zu
den
einzelnen
Anträgen
im
Parlamentsbeschluss des letzten Jahres sagen.
Wie die belgische Präsidentschaft muss ich mich daran
halten, dass ich hier als Vertreter der dänischen
Präsidentschaft stehe, und ich muss mich auf Dinge
konzentrieren und Aussagen zu Umständen machen, die
den Rat oder Institutionen der Union betreffen.
Der Rat kann und möchte dazu beitragen, die
Zusammenarbeit im Hinblick auf den Schutz unserer
Kommunikation zu verbessern. Darauf habe ich mich in
meinem Redebeitrag konzentriert, in dem ich besonders
die
Verschlüsselung
als
Schutzverfahren
für
Kommunikation hervorgehoben habe.
Ich habe die Debatte natürlich mit großem Interesse
verfolgt wie damals, als ich als Mitglied dieses
Parlaments bei einer Anhörung zu Echelon unter dem
Vorsitz von Herrn Gerhard Schmid zugegen war.
Damals war ich Abgeordneter des Parlaments. Jetzt bin
ich Mitglied des Rates und sein Sprecher, und ich muss
mich an das halten, was bis auf weiteres die Rolle des
Rates und damit meine eigene ist. Ich habe verstanden,
dass das Parlament die Bemühungen der Union in
diesem Bereich nicht für ausreichend hält und nehme es
zur Kenntnis. Ich werde das natürlich im Gedächtnis
behalten, aber ich kann hier leider nicht sagen: Ja, meine
lieben Kollegen, dann machen wir also dies und das.
Dafür habe ich kein Mandat, und ich glaube, Herr
Schmid weiß das noch besser als ich.
3-188
Liikanen, Kommission. – (EN) Frau Präsidentin, ich
möchte auf die beiden Kommentare von Frau Flesch und
von Herrn von Boetticher eingehen.
Frau Flesch, ich habe Echelon genauso oft erwähnt, wie
es im Entschließungsantrag des Parlaments erwähnt
wurde. Echelon wurde darin nur einmal erwähnt, weil im
diesem Entschließungsantrag die Maßnahmen für die
23/10/2002
Sicherheit der Informationen und Netze im Vordergrund
stehen.
Was die konkreten Maßnahmen anbelangt, habe ich
leider die schlechte Angewohnheit, mich an die vom
Parlament vorgegebene Redezeit zu halten, und deshalb
habe ich neun Minuten und siebenundfünfzig Sekunden
der vorgesehenen zehn Minuten gesprochen. Insgesamt
sind es 70 Maßnahmen. Das heißt, ich hätte 20
Sekunden für jede Maßnahme. Wie von Ihnen
gewünscht, werde ich also auf jede einzelne Maßnahme
eingehen. Ich hoffe, Sie werden zur Kenntnis nehmen,
was wir getan haben.
Zu Punkt 27 kann ich berichten, dass der Vorschlag der
Kommission für einen Sonderstab für Computer- und
Netzsicherheit Anfang Dezember oder, wenn wir Glück
haben, schon im November vorgelegt werden wird.
Dadurch kann ein Netz von Experten auf diesem Gebiet
aufgebaut werden, und es können Computer-Notdienste
(CERT) eingerichtet werden. Dies betrifft sowohl Punkt
27 als auch Punkt 28.
Punkt 29 bezieht sich auf die Forschung im Bereich der
Verschlüsselungstechnologie. Ich habe persönlich
sichergestellt, dass diesem Bereich im IST-Programm
des Sechsten Forschungsrahmenprogramms höhere
Priorität eingeräumt wird. Wir haben unseren
Ausschüssen erst kürzlich entsprechende Anweisungen
erteilt. Die Entwicklung von open sourceVerschlüsselungssoftware gehört zu den höheren
Prioritäten des RP6.
Ein dritter Punkt ist die Förderung von open sourceSoftware. Ich persönlich habe zu diesem Zweck eine
IDA-Konferenz,
eine
Konferenz
über
den
Datenaustausch zwischen den Verwaltungen, organisiert,
zu der die Mitgliedstaaten eingeladen wurden, um sich
über die Einsatzmöglichkeiten für Software mit frei
zugänglichem
Quellcode
in
den
öffentlichen
Verwaltungen zu informieren. Diese Konferenz war ein
großer Erfolg.
Beim Thema open source-Software möchte ich noch auf
einen Aspekt hinweisen. Wir sollten bedenken, dass ein
frei zugänglicher Quellcode nicht nur für Entwickler
offen ist, sondern auch für Abhördienste. Wir können
also damit nicht alle Probleme lösen, aber ich befürworte
ihn ausdrücklich.
Punkt 31 betrifft die Standardisierung. Sie sagten, es sei
nichts getan worden. Das trifft nicht zu. Ich habe
europäische Normungsgremien angewiesen, sich mit
diesem Thema zu befassen. Von diesen Organisationen
wurde im Juni 2002 eine Arbeitsgruppe Sicherheit der
Netze und Informationen eingerichtet. Das Ziel besteht
darin, den Bedarf für neue Sicherheitsstandards zu
ermitteln, um die Sicherheitsmaßnahmen verbessern zu
können.
In den Punkten 32 und 34 werden die europäischen
Institutionen und die öffentlichen Verwaltungen der
Mitgliedstaaten aufgefordert, die Verschlüsselung von
23/10/2002
E-Mails systematisch durchzuführen. In der Strategie der
Kommission gibt es nun eine Reihe von Maßnahmen,
mit denen ein Eindringen in das interne Netzwerk der
Kommission verhindert werden soll und ein hohes
allgemeines Sicherheitsniveau gewährleistet wird.
Angesichts der Sensibilität der Daten mussten spezielle
Lösungen gefunden werden.
Die Mittel in diesem Bereich sind weiterhin begrenzt, es
steht lediglich 1 Million EUR zur Verfügung. Ich hoffe,
dass die Haushaltsbehörde sich kooperativer zeigen und
die Mittel erhöhen wird.
In Punkt 34 wird gefordert, dass der Position der
Bewerberländer besondere Aufmerksamkeit gewidmet
wird. Wir haben Gespräche aufgenommen, um ganz
gezielt nach geeigneten Lösungen für eine
technologieneutrale elektronische Signatur zu suchen.
Darüber hinaus haben wir Forschungsprogramme für die
Beitrittsländer initiiert.
Die Punkte 36, 37 und 39 beziehen sich auf unsere
internen Entscheidungen. Ich habe bereits erwähnt, dass
die Kommission ein internes Audit durchgeführt hat, um
mögliche Schwachstellen bei der Konfiguration von
Servern, bei Primary Domain Controllern, EinzelplatzComputern und Webservern aufzudecken. Im November
2001 wurden neue Sicherheitsbestimmungen für die
Kommission beschlossen. Von unserer Direktion
Sicherheit wurde ein Entwurf für ein neues Programm
für die Sicherheit der Informationssysteme vorgelegt.
75
Punkten Stellung genommen, bei denen Sie der
Kommission spezifische Aufgaben übertragen haben.
Viele Aufgaben wurden den Mitgliedstaaten übertragen,
und dazu werden die Mitgliedstaaten direkt antworten.
3-189
Die Präsidentin. – Danke, Herr Kommissar. Das war
wirklich eine reife Leistung: auf alle Fragen eine präzise
Antwort zu geben, ohne faktisch die Redezeit zu
überschreiten.
3-190
Plooij-van Gorsel (ELDR). – (EN) Frau Präsidentin,
ich habe eine Bemerkung zur Geschäftsordnung. Ich
danke Herrn Liikanen für seine klare Antwort, aber er
sagte, er habe ein spezielles Treffen zum Thema
Software mit frei zugänglichem Quellcode organisiert,
um die Verwendung dieser Software im öffentlichen
Sektor zu fördern. Meine Frage ist, was die Kommission
selbst tut. Wird die Kommission zukünftig nur noch mit
open source-Software arbeiten, so dass auch für uns der
Schutz in diesem Bereich verbessert wird?
3-191
Liikanen, Kommission. – (EN) Frau Präsidentin, wir
haben einige Maßnahmen auf diesem Gebiet eingeleitet,
und die Arbeit wird auf Abteilungsebene, nicht an den
einzelnen Arbeitsplätzen weitergeführt. Ich werde mich
darüber bei meinem Kollegen informieren, der ein
internes Computersystem einsetzt, und die Frau
Abgeordnete schriftlich über die aktuelle Situation
unterrichten.
3-192
Kürzlich wurde eine gesonderte Entscheidung für die
Außenstellen getroffen, und nachfolgend haben wir das
Verschlüsselungssystem
für
die
sichere
Datenübertragung zwischen der Hauptverwaltung und
den weltweiten Außenstellen der Kommission
modernisiert und ausgeweitet.
In Punkt 40 ersuchen Sie die Kommission und die
Mitgliedstaaten
im
Rahmen
des
6. Forschungsrahmenprogramms in neue Technologien
der Ent- und Verschlüsselungstechnik zu investieren.
Dies wird zu den wichtigsten Prioritäten gehören.
In Punkt 42 wird die Kommission aufgefordert, einen
Vorschlag zur Schaffung eines koordinierten Netzes von
Beratungsstellen vorzulegen. Das ist genau das, was
vom Sonderstab für Computer- und Netzsicherheit
vorgeschlagen wird.
Ich bin durchaus bereit, Kritik zu akzeptieren, aber wenn
Sie sagen, nichts sei geschehen, dann lassen meine
Kommunikationsfähigkeiten sehr zu wünschen übrig.
Wie dem auch sei, ich werde den Mitgliedern des
Parlaments die Informationen schriftlich zukommen
lassen.
Wir arbeiten hier in einem äußerst schwierigen Bereich.
Herr Schmid, der Berichterstatter für dieses sehr
komplexe Thema, hat sich auf allgemeine Fragen
betreffend die Sicherheit der Netze und Informationen
und nicht nur auf Echelon konzentriert. Ich habe zu den
Die Präsidentin. – Danke, Herr Kommissar.
Die Aussprache ist geschlossen5.
Die Abstimmung findet
7. November 2002, statt.
am
Donnerstag,
dem
3-193
VORSITZ: ALONSO JOSÉ PUERTA
Vizepräsident
3-194
Fragestunde (Rat)
3-195
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die
Fragestunde (B5-0494/2002). Wir behandeln eine Reihe
von Anfragen an den Rat.
Das Wort hat
Geschäftsordnung.
Herr
Ortuondo
Larrea
zur
3-196
Ortuondo Larrea (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident,
zur Geschäftsordnung. Ich möchte hier meine tiefe
Besorgnis zum Ausdruck bringen, da ich der Meinung
bin, dass einige Europaabgeordnete gestern in der
Fragestunde mit Anfragen an die Kommission
diskriminierend behandelt wurden.
5
Frist für die Einreichung von Entschließungsanträgen: siehe
Protokoll.
76
23/10/2002
Zu meinem Erstaunen konnte ich im Fernsehen
verfolgen, wie die Vizepräsidentin der Kommission und
Kommissarin für Verkehr und Energie, Frau Loyola de
Palacio, vor der Tür des Plenarsaals und vor den Medien
persönlich auf die Anfrage Nr. 93 einer Abgeordneten
antwortete, auf die keine mündliche Antwortet gegeben
worden war, da die für die Fragestunde zur Verfügung
stehende Zeit abgelaufen war.
sagten, dass die Anfrage Nr. 2 nicht beantwortet würde,
bin ich natürlich gegangen. Ein solches Verhalten darf es
nicht geben.
Wir anderen Abgeordneten, deren Anfragen weit vor der
Nummer 93 eingeordnet worden waren, haben keine
persönliche
Erklärung
von
einem
der
Kommissionsmitglieder erhalten, wir haben noch nicht
einmal die vorgeschriebene schriftliche Antwort
bekommen. Ich halte dies für eine Diskriminierung, und
da es keine europäischen Bürger erster und zweiter
Klasse gibt und alle Abgeordneten die Unionsbürger
vertreten, muss dies angesprochen werden; eine solche
Diskriminierung darf sich nicht wiederholen.
3-199
3-197
Der Präsident. – Herr Ortuondo Larrea, ich kann Ihnen
versichern, dass wir gestern gemäß unserer
Verantwortung im Parlament die Reihenfolge der
Anfragen gewissenhaft eingehalten haben und dass alle
Abgeordneten, deren Anfragen nicht mündlich
beantwortet wurden, entsprechend der Geschäftsordnung
eine schriftliche Antwort erhalten werden.
Alle anderweitigen Antworten oder Reden, die es
möglicherweise
gab,
liegen
nicht
im
Zuständigkeitsbereich dieses Präsidiums, und daher kann
ich darauf nicht eingehen. Ich spreche nur über die
Einhaltung der Reihenfolge der Fragestunde in diesem
Hohen Haus.
Ich würde Sie bitten, meine Damen und Herren
Abgeordneten, dass wir zur Tagesordnung zurückkehren
können, mit dem Vorbehalt, das Ihnen das Wort erteilt
wird, wenn Sie zur Geschäftsordnung zu sprechen
wünschen. Sonst gibt es heute, wie Sie wissen, noch
mehr Abgeordnete, die keine Antwort erhalten.
Wenn Frau de Palacio ihre persönliche politische
Meinung darlegen möchte, so kann sie das jederzeit tun,
ohne dass sie zu solchen Manipulationen greifen muss,
die ich für wirklich bedauerlich halte.
Der Präsident. – Herr Nogueira Román, ich würde
keine Bewertung wagen, schon gar nicht würde ich von
einer Regelwidrigkeit sprechen wollen, und außerdem ist
dies nicht meine Aufgabe. Ich versichere Ihnen
nochmals, dass gestern nicht viele Anfragen im
Plenarsaal behandelt wurden und dass die Kommission
daher prinzipiell allen Abgeordneten schriftlich
antworten wird.
Für alle Fälle empfehle ich Ihnen, mit Frau de Palacio zu
sprechen.
Es gibt eine dritte, hoffentlich letzte, Frage zur
Geschäftsordnung. Herr Galeote Quecedo, Sie haben das
Wort.
3-200
Galeote Quecedo (PPE-DE). – (ES) Es geht um
Unterstellungen, denn ich hatte die Gelegenheit und
auch, nebenbei bemerkt, die Genugtuung, eine Antwort
der Europäischen Kommission zu kommentieren, die in
voller Übereinstimmung mit den Regeln gegeben wurde,
und daher möchte ich bitten, dass der Hinweis auf eine
Manipulation zurückgenommen wird.
Es war hier die Rede von Bürgern erster und zweiter
Klasse. Natürlich sind jene Bürger aus der Region von
Herrn Ortuondo Larrea, die systematisch bedroht, aus
ihren Häusern vertrieben und in einigen Fällen ermordet
werden, nicht Bürger zweiter Klasse. Ich würde mir
wünschen, dass Herrn Ortuondo Larreas Sorge auch
diesen Personen gilt, die – das betone ich – keine Bürger
zweiter Klasse sind.
3-198
Nogueira Román (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident,
ich möchte klarstellen, dass die Situation, in der die
Kommissarin und Vizepräsidentin der Kommission
diese ungewöhnliche Antwort auf die Anfrage Nr. 93 im
Korridor gab, noch dadurch verschlimmert wurde, dass
ihre Worte – die sie als Vertreterin der Kommission
äußerte – von zwei Europaabgeordneten begleitet und
kommentiert wurden, von der Abgeordneten der
Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas, die
die Anfrage gestellt hatte, und von einem Abgeordneten
der
Fraktion
der
Europäischen
Volkspartei
(Christdemokraten) und der europäischen Demokraten.
Ich hoffe, dass sich eine derartige Manipulation,
unabhängig von unseren politischen Positionen, die alle
zu respektieren sind, in diesem Hohen Haus nicht
wiederholen wird. Für mich ist das eine sehr
bedauerliche Tatsache. Ich hatte auf die Anfrage Nr. 2
der „Sonstigen Anfragen“ gewartet, habe Sie, Herr
Präsident, mit einer Geste konsultiert, und als Sie mir
3-201
Der Präsident. – Meine Damen und Herren, ich muss
Sie daran erinnern und Ihnen nahe legen, dass wir zum
eigentlichen Zweck dieser Sitzung zurückkommen
sollten, nämlich Anfragen an den Rat zu stellen und
nicht eine Debatte zwischen Abgeordneten zu führen.
Ich weiß, dass Sie das Recht haben, Unterstellungen von
sich zu weisen, aber ich würde Sie bitten, diese nicht
persönlich zu nehmen, damit wir die Debatte beginnen
können.
Da Sie mich wegen persönlicher Unterstellungen um das
Wort bitten, weil es eine persönliche Anspielung
gegeben hatte, erteile ich Herrn Ortuondo Larrea das
Wort, dem Abgeordneten, den Herr Galeote Quecedo
gemeint hatte.
Herr Ortuondo Larrea, ich bitte Sie, sich so kurz wie
möglich zu fassen.
23/10/2002
3-202
Ortuondo Larrea (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident,
ich möchte sagen, dass die Worte meines Vorredners
nicht zulässig sind. Es ist nicht zulässig, dass angesichts
einer von mir korrekt formulierten Beschwerde über eine
diskriminierende Behandlung diese diskriminierende
Behandlung der Abgeordneten, ohne auf den Inhalt der
Anfrage überhaupt Bezug zu nehmen, mit einer Situation
im Baskenland in einen Topf geworfen wird, die leider
gerade das Ergebnis der Engstirnigkeit und des Mangels
an Demokratie im spanischen Staat ist.
3-203
Der Präsident. – Meine Damen und Herren! Sie werden
verstehen, dass ich, obwohl ich die Ehre habe, aus dem
spanischen Wahlgebiet zu kommen, hier nur in meiner
Eigenschaft als Sitzungspräsident der Fragestunde mit
Anfragen an den Rat sprechen darf.
Wahrscheinlich würde ich gern an dieser Debatte
teilnehmen, aber wir haben kein Recht dazu, ich am
wenigsten. Und daher wird der amtierende Ratspräsident
– den ich wegen dieser Verzögerung um Entschuldigung
bitte – die Anfrage von Herrn Nogueira Román
beantworten.
3-204
Der Präsident. – Anfrage Nr. 1 von Camilo Nogueira
Román (H-0606/02):
Betrifft: Die Milcherzeugung im Rahmen der von der Kommission
vorgeschlagenen Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik
Galicien hat einen hohen Anteil an der Milcherzeugung des spanischen
Staates; seine Agrarstruktur beruht auf dem kleinen Familienbetrieb,
der für eine nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raums am besten
geeignet ist; außerdem hat Galicien in den letzten zehn Jahren
außerordentliche Anstrengungen zur Modernisierung dieses Sektors
unternommen. Für ein Land wie Galicien sollte die GAP daher die
Erhöhung der Milcherzeugung fördern, um zumindest den Bedarf des
iberischen Marktes zu decken, wobei eine Übergangszeit festgelegt
werden sollte, in der der Interventionspreis beibehalten wird.
Ist der Rat der Ansicht, dass eine derartige Regelung mit den Optionen
vereinbar ist, die in dem Vorschlag zur Reform der GAP für die Zeit
nach 2008 vorgesehen sind? Könnte diese Regelung für Länder, die
sich in einer ähnlichen Situation wie Galicien befinden, bereits vor
2008 eingeführt werden?
3-205
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, am 12. Juli dieses
Jahre hat die Kommission eine Mitteilung zur
Halbzeitevaluierung der gemeinsamen Agrarpolitik und
ein Arbeitsdokument über den Molkereisektor
veröffentlicht. Außer diesen beiden Dokumenten hat der
Rat keine formellen Vorschläge zur Änderung der
derzeitigen
Vorschriften
für
gemeinsame
Marktorganisationen vorgelegt, folglich auch nicht in
Bezug auf die Vorschriften zur gemeinsamen
Marktorganisation von Molkereiprodukten.
Sobald die Kommission, der das Initiativrecht zukommt,
dem Rat die seiner Meinung nach notwendigen
Vorschläge vorlegt, wird sich der Rat umgehend damit
befassen, und der Rat wird vor einer Entscheidung auf
jeden Fall die Stellungnahme des Parlaments
berücksichtigen. Der Rat hat die verschiedenen Berichte
77
zur Kenntnis genommen, die der Mitteilung der
Kommission zur Halbzeitevaluierung beilagen, und hat
zuletzt in diesem Monat intensiv u. a. über
Molkereiprodukte diskutiert. Diese Debatte ging von
einer Reihe von Anfragen an die Präsidentschaft aus und
verfolgte das Ziel, die wichtigsten Probleme abzuklären.
3-206
Nogueira Román (Verts/ALE). – (PT) Herr Präsident,
Herr Ratspräsident! Ich möchte sagen, dass mein Land
ohne die vom spanischen Staat und Galizien
aufgestellten Hindernisse eine Milchproduktion ähnlich
der Irlands oder Dänemarks erreichen könnte, derzeit
aber nur 1,8 Mio. Tonnen erzeugt. Auf alle Fälle wäre es
in der Lage, seinen Eigenbedarf zu decken und seine
Produktion zu verdoppeln.
Eingedenk dessen und unter Berücksichtigung der
Agrarstruktur Galiziens, die auf Familieneigentum
basiert und klar auf die Milchproduktion ausgerichtet ist,
möchte ich den Herrn Ratspräsidenten fragen: Würde
der Rat spezielle Maßnahmen akzeptieren – die auch für
ein anderes Land zur Anwendung kommen könnten –,
die
es
Galizien
ermöglichen
würden,
bei
vorübergehender Beibehaltung des Systems der
Interventionspreise seine Produktion zu steigern?
3-207
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, das Initiativrecht
liegt bei der Kommission. Deshalb muss die
Kommission einen Vorschlag einreichen. Danach wird
sich der Rat damit befassen und – wie ich gesagt habe –
auch die Position des Parlaments berücksichtigen, bevor
er eine Entscheidung trifft. Deshalb kann es durchaus
sehr sinnvoll sein, dass Herr Nogeira das Thema heute
zur Sprache gebracht hat.
3-208
Der Präsident. – Anfrage Nr. 2 von Josu Ortuondo
Larrea (H-0608/02):
Betrifft:
Erklärung des EU-Vorsitzes zur Insel Perejil
Am 13. Juli 2002 äußerte der EU-Vorsitz in einer Erklärung seine
Besorgnis über die von Marokko geschaffene Situation auf der Insel
Perejil. Er erklärte seine uneingeschränkte Solidarität mit Spanien und
forderte Marokko auf, seine Truppen unverzüglich abzuziehen. Diese
Haltung gegenüber einem Mitgliedstaat ist zu begrüßen.
Dem Vorsitz scheint jedoch unbekannt zu sein, dass es spanische
Historiker gibt, denen zufolge keinerlei Rechte oder Titel die spanische
Oberhoheit über dieses Eiland belegen, das bis in die sechziger Jahre
des 20. Jahrhunderts zwecks Sicherung des Gebietes von spanischen
Truppen besetzt gehalten wurde. Diese Truppen wurden im Rahmen
der Beendigung des spanischen Protektorats über Marokko nach
dessen Unabhängigkeit von 1956 wieder abgezogen.
Ist der Ratsvorsitz nicht der Ansicht, dass die spanische Regierung die
Grenzen des Erlaubten überschritten hat, indem sie Streitkräfte
entsandte, um diese Insel zu besetzen, was von Marokko als
kriegerischer Akt gewertet wurde, und dass die Europäische Union
besser darauf verwiesen hätte, die Frage der Hoheit über Perejil vom
Internationalen Gerichtshof in Den Haag entscheiden zu lassen? Ist er
nicht der Ansicht, dass es widersinnig ist, wenn Spanien vom
Vereinigten Königreich die Hoheit über Gibraltar fordert und Marokko
die Hoheit über die Insel Perejil und andere Besitztümer auf dem
afrikanischen Kontinent verweigert?
3-209
78
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, an diese Sache
kann ich mich sehr gut erinnern, denn sie wurde aktuell,
als die dänische Präsidentschaft begann.
Anfang Juli waren wir alle sehr besorgt über die
Entwicklung der Ereignisse um diese kleine Insel. Es
gab keinen Zweifel in Bezug auf den Status der Insel,
über den Einvernehmen bestand. Spanien und Marokko
hatten sich darauf verständigt, dass die Insel unbewohnt
bleiben sollte, keine Seite sollte Souveränitätszeichen
zur Schau stellen.
Als Marokko gegen diese Übereinkunft und den Status
verstieß, veröffentlichte die dänische Präsidentschaft
eine Erklärung, in der sie ihrer Besorgnis über die
Situation Ausdruck verlieh und sich mit Spanien
solidarisch erklärte. Gleichzeitig wurde Marokko
nachdrücklich
aufgefordert,
seine
Einheiten
zurückzuziehen.
Der Rat war sehr erleichtert, als die neue spanische
Außenministerin Ana Palacio, die gerade von diesem
Parlament in den Rat gekommen war, unmittelbar nach
dem Zwischenfall mit ihrem marokkanischen Kollegen
in Rabat zusammentraf und beide bestätigten, man wolle
zum früheren status quo zurückkehren. Die dänische
Präsidentschaft vertraut darauf, dass diese und die
folgenden Treffen dazu beitragen werden, die engen
Verbindungen zwischen Spanien und Marokko zu
verbessern.
Ich möchte im Namen des Rates betonen, dass die
Beziehungen der EU zu Marokko auf allgemeiner Ebene
traditionell gut sind. In den letzten Jahren sind große
Fortschritte gemacht worden, und die gegenseitige
Zusammenarbeit ist in vielen Bereichen ausgebaut
worden. Das reicht vom Handel bis zu empfindlichen
Themen wie Migration – alles auf der Grundlage des
Assoziierungsabkommens, das vor zweieinhalb Jahren in
Kraft getreten ist.
3-210
Ortuondo Larrea (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident,
Herr amtierender Ratspräsident! Ich glaube nicht, dass
Marokko mit Ihrer Bemerkung einverstanden sein wird,
die Insel Perejil gehöre keiner der Seiten.
Ich möchte Sie fragen: Hält es der Rat für gerecht und
demokratisch, dass die spanische Regierung geltend
macht, dass die Bürger von Ceuta und Melilla keine
Marokkaner sein wollen, weil sie Spanier sind, und
gleichzeitig ablehnt, dass die Einwohner von Gibraltar
frei in einem Referendum entscheiden können, ob sie
Briten oder Spanier sein wollen?
3-211
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, ich käme niemals
auf die Idee, diese Frage zu beantworten. Sie liegt
vollständig außerhalb des Themas der Anfrage, und dazu
kann sich der Rat auf keinen Fall äußern.
23/10/2002
einen Mitgliedstaat gegen die irrige und unrechte
Haltung von Marokko – einem privilegierten Partner der
Europäischen Union, wie gerade klargestellt wurde –
gegen eine Maßnahme in Schutz genommen hat, die aus
politischer und rechtlicher Sicht unannehmbar ist.
Es ist skandalös, dass sich ein baskischer Abgeordneter,
wie Herr Ortuondo Larrea, mehr um die Ziegen von
Perejil als um die Lage der ETA-Opfer sorgt, um die er
sich nie gekümmert hat und zu denen es von ihm keine
Anfrage in diesem Parlament gab, ebenso wenig zum
Kampf gegen den Terrorismus. Seine Abwesenheit
während der gerade geführten Debatte verrät dies und
diskreditiert jeden, der die Unverfrorenheit besitzt, diese
Anfrage zu stellen und zu sagen, was wir in diesem
Hause anhören mussten.
Ist der Rat nicht der Meinung, dass diese Anfrage aus
den von mir dargelegten Gründen sinnlos ist?
3-213
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, genau das habe ich
in meiner ersten Antwort angedeutet.
3-214
Der Präsident. – Der Herr Ratspräsident kann
antworten, wie er es für zweckmäßig hält. Ich bitte Sie,
versuchen Sie nicht, dem Rat zu sagen, was und wie er
zu antworten hat.
Die einzige Frage, die hier akzeptiert werden kann, ist,
dass Herr Ortuondo zum zweiten Mal wegen
persönlicher Anspielungen zu Wort kommt, darauf achte
ich genau. Natürlich bitte ich Herrn Ortuondo, sich so
kurz wie möglich zu halten, und auf Erwiderungen sollte
möglichst verzichtet werden.
3-215
Ortuondo Larrea (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident,
es gibt Leute, die sind versessen darauf, die Opfer des
Terrorismus zu benutzen und zu manipulieren. Diese
Worte sind nicht von mir. Dies erklärte kürzlich der
Vorsitzende der wichtigsten Oppositionspartei in
Spanien.
Ich muss dem Abgeordneten, der vor mir gesprochen hat
– und der eine Anfrage über Gibraltar, Marokko und
Spanien mit dem Terrorismus, mit den Opfern usw. in
einen Topf warf –, sagen, dass diejenigen, die sich im
Baskenland wirklich dafür einsetzen, den politischen
Konflikt zu überwinden, in dem wir uns seit mehr als
drei Jahrhunderten befinden – einen politischen Konflikt
mit dem spanischen Staat, mit der Zentralregierung in
Madrid –, und die sich eben darum bemühen, dass keine
Attentate, Morde und Gewalttaten mehr im Baskenland
geschehen, wir baskischen Nationalisten sind. Wir
baskischen demokratischen Nationalisten
haben
genügend Beweise unseres guten Willens, unserer
Ablehnung der Gewalt, unseres Kampfes gegen den
Terrorismus und unserer Verteidigung der Freiheiten
erbracht.
3-212
Hernández Mollar (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident,
die Präsidentschaft hat ganz richtig gehandelt, indem es
3-216
23/10/2002
79
Der Präsident. – Herr Ortuondo Larrea, Sie haben mit
diesen Bemerkungen das Thema der persönlichen
Anspielungen erschöpft.
3-217
Der Präsident. – Anfrage Nr. 3 von Alexandros
Alavanos (H-0610/02):
Betrifft: Erheblicher
Rückgang
Baumwollerzeuger in Griechenland
der
Einkommen
der
Im Zeitraum 2001-2002 wurde in Griechenland, auch auf Grund der
besonders günstigen Witterungsbedingungen, besonders viel
Baumwolle erzeugt. Infolge der Anwendung der neuen Regelungen
und der unbegrenzten „Strafen“, die in der Verordnung
1051/2001/EG6 vorgesehen sind, ist das Einkommen der
Baumwollerzeuger im Vergleich zum Vorjahr dramatisch, d. h. um ca.
30 %, zurückgegangen. Tausende Landwirte sowie ganze Regionen,
die von der Baumwollerzeugung leben, sind in eine hoffnungslose
wirtschaftliche Lage geraten. Die Verordnung 1051/2001/EG wurde
am 1.6.2001 veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die
Aussaat und Pflanzung der Baumwolle bereits beendet war und die
Erzeuger keinerlei Möglichkeit mehr hatten, Änderungen
vorzunehmen, um die neuen – und anders als bis dahin behauptet –
außerordentlich strengen „Strafen“ und die anderen Regelungen zu
berücksichtigen.
Der Rat, der laut Antwort der Kommission auf meine Anfrage E1698/017 entscheidungsbefugt ist, wird deshalb gebeten, Folgendes
mitzuteilen: Wird er den Termin für das Inkrafttreten der Verordnung
1051/2001/EG auf der Grundlage der Einhaltung des Prinzips des
„schutzwürdigen Vertrauens“ verschieben, wie dies auch in anderen
Fällen geschehen ist (Tabak 1992, Flachs und Hanf 1999), um dem
wirtschaftlichen
Niedergang
der
Baumwollerzeuger
entgegenzuwirken? Wird er Artikel 21 der Verordnung anwenden, der
Übergangsmaßnahmen zur Erleichterung der Umstellung vorsieht? Hat
ein Mitgliedstaat die Aussetzung der Verordnung sowie die Ergreifung
von Übergangsmaßnahmen beantragt?
3-218
angesichts einer Verordnung, die mitten in der
Anbauperiode kam, sehr groß. Ich habe die Antwort des
Ministers gehört, und ich habe auch gehört, dass keine
Regierung die Ergreifung von Übergangsmaßnahmen
beantragt hat, und ich möchte den Minister einfach
fragen, ob der Rat bereit ist, nationale Beihilfen zu
genehmigen, die das Überleben von Tausenden kleinen
und mittleren Baumwollerzeugern in Griechenland
sichern könnten, und ob er beabsichtigt, Griechenland
die Gewährung nationaler Stützungen zu gestatten, die
ein völlig unzureichendes und für die Erzeuger ruinöses
Einkommen ergänzen würden.
3-220
Haarder, Rat. - (DA) Ich kann darauf nur antworten,
dass eine Lösung wie die hier angedeutete ebenfalls
einen Antrag der Kommission voraussetzt, und ich
glaube
nicht,
dass
ein
Mitgliedstaat
einen
entsprechenden Antrag vorgeschlagen hat. Mehr kann
ich dazu nicht sagen.
3-221
Patakis (GUE/NGL). – (EL) Ich möchte an die Frage
des Kollegen Alavanos anknüpfen, die die Ernte des
Jahres 2001-2002 betrifft, die bereits abgeschlossen ist.
Das Problem ist jedoch, dass diese Situation nicht nur
die Ernte des letzten Jahres, sondern auch die
kommenden Ernten betrifft. Im Moment wird das
Produkt geerntet. Die Erzeuger befinden sich das zweite
Jahr in Folge in einer verzweifelten Situation, da die
griechische Regierung die Erzeugung willkürlich auf
275 kg/1000 m2 festgelegt hat, obwohl der Ertrag viel
größer ist, und ohne dass man weiß, was mit dieser
Produktion geschehen soll.
Haarder, Rat. -(DA) Vielen Dank, Herr Präsident, dass
Sie kurz erwähnt haben, worum es in dieser Frage geht.
Ich finde oft, dass es merkwürdig sein muss, Zuhörer zu
sein und nicht zu wissen, worauf geantwortet wird.
Deshalb bedanke ich mich für die kleine pädagogische
Hilfestellung. Ich möchte daran erinnern, dass die
Ratsverordnung Nr. 1051 aus dem letzten Jahr gemäß
ihrem Artikel 23 am 1. Juni 2001 in Kraft getreten ist.
Der Rat kann keine Vorschrift eines Rechtsakts ändern,
ohne dass ein entsprechender Antrag der Kommission
vorliegt.
Im Februar 2001 wurde in diesem Saal fast einhellig für
die Erhöhung der Baumwollerzeugung gestimmt, da die
Europäische Union hier ein Defizit von 70 % aufweist.
Die griechische Regierung hat nicht nur versäumt, auf
die Verwirklichung dieses Beschlusses des Europäischen
Parlaments zu dringen, um so die griechischen
Baumwollerzeuger und ihr Produkt zu schützen, sondern
sie hat sich auch, wie bereits gesagt wurde, zur
unrechten Zeit beeilt, die neue Verordnung umzusetzen,
es aber abgelehnt, die Entschließung des Europäischen
Parlaments zu nutzen.
Im Übrigen möchte ich den Herrn Abgeordneten daran
erinnern, dass es Sache der Kommission ist, das
Verfahren gemäß Artikel 21 der genannten Verordnung
zu betreiben, was sie auch bereits getan hat, um
Übergangsmaßnahmen durchzuführen. Beim Rat ist
übrigens kein Antrag eines Mitgliedstaates eingegangen,
der das von dem Herrn Abgeordneten angesprochene
Thema zum Gegenstand hat.
Ich möchte Sie, Herr Präsident, aufrufen, sich für die
elementare Umsetzung dessen, was wir hier diskutiert
haben, zu engagieren, und ich fordere den Vertreter des
Rates auf, zur Forderung der griechischen
Baumwollerzeuger nach sofortiger und vollständiger
Änderung dieser verhängnisvollen Verordnung Stellung
zu nehmen und die vom Ruin bedrohten Erzeuger sowie
das in Griechenland als Nationalprodukt betrachtete
Produkt zu schützen.
3-219
Alavanos (GUE/NGL). – (EL) Wir sind von den
Themen Basken und Spanien abgekommen, aber wir
befinden uns weiter auf explosivem Gebiet, denn die
Verzweiflung der Baumwollerzeuger Griechenlands ist
6
7
ABl. L 148 vom 1.6.2001, S. 3.
ABl. C 350 E vom 11.12.2001, S. 211.
3-222
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, ich muss auf das
verweisen, was ich gerade gesagt habe. Das Verfahren
ist ziemlich eindeutig. Solche Anträge sind
gegebenenfalls von der Kommission einzureichen, und
wie ich erwähnte, hat kein Mitgliedstaat darum gebeten.
Ich kann auf keinen Fall mehr dazu sagen, obwohl es
80
23/10/2002
natürlich immer legitim ist, dass Abgeordnete die für sie
wichtigen Fragen aufgreifen. Das kann ich ihnen auf
keinen Fall verübeln.
3-223
Der Präsident. – Anfrage Nr. 4 von Bart Staes (H0612/02):
Betrifft: Durchsetzung des Verhaltenskodexes
Europäischen Union über Waffenausfuhren
der
Im Juni 1998 erzielte der Rat eine Einigung über einen
Verhaltenskodex der Europäischen Union für
Waffenausfuhren. Dieser Kodex ist rechtlich nicht
verbindlich. Die Mitgliedstaaten werden u. a. ersucht, im
Falle einer Verweigerung der Ausfuhrgenehmigung das
Bestimmungsland, eine Beschreibung der Ausrüstung
und den Endverwender bekannt zu machen. Noch vor
kurzem lieferte die Firma FN-Herstal gemeinsam mit der
wallonischen
Provinz
als
Teilhaber
5 500
Maschinenpistolen an einen unbekannten Endverwender.
Welche Schritte wird der Rat unternehmen, um den
verabschiedeten Verhaltenskodex rechtsverbindlich zu
machen und Unternehmen wie FN dazu zu verpflichten,
die im Verhaltenskodex aufgelisteten Informationen
bekannt zu machen, auch im Falle einer
Liefergenehmigung?
3-224
Haarder, Rat. - (DA) Entscheidungen über die Erteilung
von Ausfuhrgenehmigungen werden individuell von
jedem einzelnen Mitgliedstaat getroffen, unter
vollständiger Berücksichtigung des Verhaltenskodex für
den Waffenexport und der darin enthaltenen Kriterien.
Die Umsetzung der Waffenexportpolitiken und damit
auch
des
Kodex
liegen
weiterhin
im
Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten.
Der Rat ist nicht auf die Situation hingewiesen worden,
die von dem Herrn Abgeordneten in seiner Anfrage
erwähnt wird. Auf keinen Fall erhält der Rat
Informationen
über
die
Begründung
von
Genehmigungen oder Ablehnungen von Exportanträgen
durch die Mitgliedstaaten, und es liegt nicht im
Kompetenzbereich des Rates, sich darüber irgendein
Urteil zu erlauben. Auf seiner Tagung vom 25. Januar
1999 behandelte der Rat einen Vorschlag der
Präsidentschaft, den Kodex rechtlich verbindlich zu
machen, z. B. durch einen gemeinsamen Standpunkt.
Darüber konnte jedoch keine Einigung erzielt werden,
und die Änderung des Kodex in einen juristisch
verbindlichen Rechtsakt ist daher seitdem nicht mehr
diskutiert worden.
3-225
Staes (Verts/ALE). – (NL) Herr Präsident! Ich danke
dem Ratsvorsitzenden für seine Antwort. Der belgische
Außenminister, Herr Michel, hat nach der Nepal-Krise
in Belgien im September in einer Presseerklärung
mitgeteilt, er werde seine Amtskollegen im Rat
ersuchen, den Verhaltenskodex, der jetzt tatsächlich
nicht bindend ist, in nationales Recht umsetzen zu
lassen. Kann mir der Ratsvorsitzende mitteilen, ob Herrn
Michels Vorschlag im Rat zur Sprache gekommen ist?
Könnte er mich ferner wissen lassen, ob seiner Ansicht
nach die Möglichkeit besteht, dass sich der Rat
verpflichtet, in jedem Land die Umsetzung des
Verhaltenskodex in nationales Recht sicherzustellen?
3-226
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, wenn ich in der
Anfrage um die Information gebeten worden wäre, die
jetzt nachgefragt wird, hätte ich das vielleicht tun
können. Aber in der Anfrage stand nichts darüber und
deshalb kann ich keine Antwort darauf geben.
Aber vielleicht kann der Abgeordnete die Anfrage
schriftlich einreichen, wenn die Antwort von Bedeutung
ist. Vielleicht kann er auch beim belgischen
Außenministerium anrufen, wo man ihm, glaube ich,
gerne Auskunft erteilen wird.
3-227
Der Präsident. – Da sie dasselbe Thema betreffen,
behandeln wir nun die Anfragen Nr. 5, 6 und 7
gemeinsam.
Anfrage Nr. 5 von Mihail Papayannakis (H-0616/02):
Betrifft:
Internationaler Strafgerichtshof
Nach ihrer Weigerung, das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs
(IStGH) am 1. Juli zu ratifizieren, unterzeichneten die USA mit
Rumänien ein bilaterales Abkommen über die Nichtauslieferung von
Amerikanern an den IStGH. Kann der Rat im Hinblick darauf, dass
Rumänien ein EU-Beitrittsland ist und die USA offenkundig
versuchen, entsprechende bilaterale Abkommen auch mit anderen
Beitrittsländern abzuschließen, angeben, ob er über einschlägige
Missfallensbekundungen hinaus Maßnahmen in Bezug sowohl auf die
USA als auch auf die einzelnen Beitrittsländer treffen will, um zu
verhindern, dass der Internationale Strafgerichtshof schon in seinen
Anfängen geschwächt wird?
Anfrage Nr. 6 von Carlos Carnero González (H0667/02):
Betrifft: Immunitätsabkommen mit den Vereinigten Staaten im
Hinblick auf den Internationalen Strafgerichtshof
In seinen Schlussfolgerungen vom 30. September eröffnete der Rat
„Allgemeine Angelegenheiten“ die Möglichkeit, dass Mitglieder der
Union mit den Vereinigten Staaten unter bestimmten Bedingungen die
Immunität ihrer in das Gemeinschaftsgebiet entsandten Diplomaten
und Militärs vor dem Internationalen Strafgerichtshof vereinbaren
können. Es steht zu befürchten, dass dieser Standpunkt den IStGH
schon bei seiner Gründung schwächt und Drittstaaten ermutigt,
genauso oder noch schlechter als die EU vorzugehen, und lehnt daher
das Ansinnen des Rates ab.
Geht der Rat davon aus, dass die genannte Schlussfolgerung der
Mehrheitsmeinung der europäischen Bürger entspricht? Hat der Rat
den Standpunkt der nichtstaatlichen Organisationen und der Juristen
berücksichtigt, die sich von Anfang an für die Gründung des IStGH
eingesetzt
haben?
Ist
dem
Rat
bekannt,
welche
Gemeinschaftsmitglieder Immunitätsabkommen mit den Vereinigten
Staaten schließen werden und welchen Beschränkungen diese
unterliegen? Glaubt der Rat nicht, dass die EU so ihrem ursprünglichen
Konzept zuwiderhandelt und vor der internationalen Gemeinschaft an
Glaubwürdigkeit einbüßt?
Anfrage Nr. 7 von Sarah Ludford (H-0681/02):
23/10/2002
Betrifft:
Internationaler Strafgerichtshof
Der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ verabschiedete auf seiner
Tagung vom 30. September 2002 Leitlinien, auf deren Grundlage die
Mitgliedstaaten bilaterale Vereinbarungen mit den Vereinigten Staaten
aushandeln können, mit denen Angehörigen der amerikanischen
Streitkräfte eine gewisse Immunität vor dem Internationalen
Strafgerichtshof gewährt werden kann.
Der Rat ist der Ansicht, dass der Internationale Strafgerichtshof „ein
wertvolles Instrument der Völkergemeinschaft im Kampf gegen die
Straflosigkeit schwerster internationaler Verbrechen“ ist.
Wie kann der Vorsitz dennoch seine Behauptung aufrechterhalten,
wonach bilaterale Vereinbarungen mit den Vereinigten Staaten das
Römische Statut und die Integrität des Internationalen
Strafgerichtshofes nicht untergraben?
Wie können angesichts dieser Tatsache die Leitlinien des Rates
„Allgemeine Angelegenheiten“ vom 30. September mit der
Rechtsberatung der Dienststellen der Kommission und des Rates in
Einklang gebracht werden?
Weshalb hat der Rat nicht mehr unternommen, um die Regierung
Rumäniens vor bilateralem Druck zu schützen, als sie von den
Vereinigten Staaten ersucht wurde, vor Ausarbeitung der EU-Leitlinien
ein bilaterales Abkommen zu schließen, und warum wurde Rumänien
als Bewerberland nicht ausreichend auf den Standpunkt der EU zum
Gerichtshof eingeschworen?
3-228
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, ich möchte auf die
drei Fragen zusammen antworten. Zunächst möchte ich
betonen, dass die Schlussfolgerungen des Rates zum
Internationalen Strafgerichtshof keine Empfehlung
enthalten, bilaterale Abkommen zur Nicht-Auslieferung
abzuschließen. Es wird darauf hingewiesen, dass
bestehende Abkommen zwischen den USA und den
einzelnen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind.
Unserer Meinung nach können viele amerikanische
Bedenken durch die bereits bestehenden Abkommen aus
dem Weg geräumt werden. Es bleibt jedem Mitgliedstaat
überlassen, selbst einzuschätzen, ob seine bilateralen
oder multilateralen vertraglichen Vereinbarungen mit
den USA ausreichend sind, um den amerikanischen
Wünschen zu entsprechen.
Sollte ein Mitgliedstaat es für notwendig erachten,
bestehende Abkommen zu ändern oder ein neues
Abkommen mit den USA abzuschließen, sind diesen die
Leitlinien der EU zugrunde zu legen. Wenn sich die
Einzelstaaten bei ihren bilateralen Kontakten mit den
USA in diesem festgelegten Rahmen bewegen, wird die
Autorität des Gerichtshofs nicht beeinträchtigt. Wir
sagen im Übrigen deutlich, dass es mit den aus dem
Statut des Gerichtshofs erwachsenden Verpflichtungen
eines am Internationalen Strafgerichtshof teilnehmenden
Staates nicht vereinbar ist, Abkommen zu schließen, wie
sie von den USA jetzt vorgeschlagen werden.
Gemäß den Leitlinien der EU muss jede Lösung
geeignete Durchführungsbestimmungen haben, die
sicherstellen, dass Personen, die der Rechtsprechung des
Internationalen
Strafgerichtshofs
unterstehende
Straftaten begangen haben, keine Straffreiheit genießen.
Sie müssen also rechtlich verfolgt und gegebenenfalls
bestraft werden. Solche Vorschriften müssen also
81
sicherstellen können, dass geeignete Ermittlungen
eingeleitet werden und die nationalen Behörden, wenn
ausreichend Beweise vorliegen, Personen auf Verlangen
des Gerichts rechtlich belangen.
Diese Leitlinie stellt sicher, dass Personen zur
Verantwortung
gezogen
werden,
wenn
sie
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit
oder Völkermord begangen haben. Und sie werden vor
Gericht gestellt, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um
Amerikaner oder um Europäer handelt. Die EU und die
USA sind sich darüber einig, dass für die schlimmsten,
die internationale Gemeinschaft betreffenden Straftaten
eine individuelle Verantwortlichkeit bestehen muss. Die
USA haben viele Jahre lang in enger Zusammenarbeit
mit der EU eine führende Rolle im Zusammenhang mit
der Schaffung internationaler Strafgerichtshöfe zur
Strafverfolgung solcher Verbrechen gespielt.
Ein weiterer Grundsatz besagt, dass neue Abkommen
nur für Personen gelten dürfen, die nicht
Staatsangehörige
eines
sich
am
Gerichtshof
beteiligenden Landes sind. Und die EU hat genau
definiert, welcher Personenkreis in Frage kommen kann.
So wird festgelegt, dass bestimmte Personen der
Rechtsprechung des Gerichtshof nicht unterstellt sind,
weil sie laut Völkerrecht Immunität genießen. Hiervon
abgesehen darf jede Lösung nur Personen umfassen, die
sich in dem Staat aufhalten, der zur Auslieferung einer
Person an den Gerichtshof aufgefordert wird, weil sie
vom Senderstaat dorthin geschickt worden sind. Dies
entspricht der sehr engen Definition des Personenkreises
im Statut von Rom, der von Abkommen zur NichtAuslieferung betroffen sein sollte.
Betrachtet man die Alternativen, so ist der EU-Ansatz,
den wir gerade beschrieben haben, die beste Art, den
Internationalen Strafgerichtshof zu verteidigen. Jede
andere Lösung hätte dazu geführt, dass die starke
Unterstützung der EU für den Strafgerichtshof
abgebröckelt wäre und ihn geschwächt hätte. Eine
einfache Ablehnung des amerikanischen Vorschlags
hätte sich andererseits sehr negativ auf die
transatlantischen Beziehungen ausgewirkt, wodurch das
absolutnotwendige amerikanische Engagement für
friedenserhaltende Maßnahmen weltweit in Gefahr
gebracht worden wäre.
Wäre keine gemeinsame EU-Haltung festgelegt worden,
wäre dem Gerichtshof irreparabler Schaden zugefügt
worden. In diesem Zusammenhang möchte ich
erwähnen, dass bilaterale Verträge bereits zwischen den
USA und 12 Ländern bestehen, die nicht die
Möglichkeit haben, auf die Haltung der EU zu
verweisen. Würde man es den EU-Mitgliedstaaten und
anderen überlassen, bilaterale Verhandlungen mit den
USA zu führen, ohne sie durch eine starke EU-Einigkeit
und eindeutige Kriterien in Bezug auf die solchen
Abkommen unterliegenden Personen zu unterstützen,
erhielte man eine Vielfalt bilateraler Abkommen, die
ganz sicher die Autorität des Gerichtshofs untergraben
würde.
82
Im Hinblick auf die Ansichten von EU-Bürgern, NRO
und Rechtsexperten möchte ich betonen, dass der Rat
dieses Thema nicht im luftleeren Raum diskutiert hat
und erst recht nicht im luftleeren Raum zu diesem
Ergebnis gekommen ist. Die Schlussfolgerungen des
Rates beruhen auf umfassenden Beratungen zwischen
den Mitgliedstaaten und auf wertvollen Hinweisen des
Juristischen Dienstes des Rates und der Kommission.
Der Rat hat auch die von den betroffenen NRO
geäußerten Ansichten berücksichtigt. Während des
gesamten Verfahrens gab es Kontakte mit Drittländern,
die Teilnehmer des Gerichtshofs sind, und auch die
Präsidentschaft hat Sondierungsgespräche mit den USA
geführt. Der Rat hat selbstverständlich auch die
Ansichten der gewählten Volksvertreter in der EU
berücksichtigt, die in den Parlamenten der Einzelstaaten
und im Europäischen Parlament vorgetragen wurden.
Im Hinblick darauf, welche Mitgliedstaaten eventuell
Abkommen über die Nicht-Auslieferung mit den USA
abschließen werden, kann ich im Moment leider keine
Angaben machen, ich möchte aber auf die Frage nach
dem bilateralen Abkommen Rumäniens mit den USA
antworten. Es wurde am 1. August 2002 unterzeichnet.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihre
Aufmerksamkeit auf den gemeinsamen Standpunkt
lenken, der am 11. Juni letzten Jahres beschlossen und
am 20. Juni dieses Jahres geändert wurde. Dieser
Standpunkt fand auch die Unterstützung der
Beitrittsländer. Der Rat stand während der gesamten
Vorarbeiten zum Standpunkt in engem Kontakt mit den
Beitrittsländern und wird diesen Kontakt auch
aufrechterhalten, um diese über die weitere Entwicklung
auf dem Laufenden zu halten. Der Rat hat festgestellt,
dass Rumänien das betreffende Abkommen noch nicht
ratifiziert hat, und hofft, dass Rumänien den Standpunkt
berücksichtigen wird, der von der EU nach Abschluss
des Abkommens angenommen worden ist.
3-229
Papayannakis (GUE/NGL). – (EL) Ich danke dem
Herrn Ratsvorsitzenden für seine Antwort. Offen gesagt
gibt es allerdings einige Punkte, die ich nicht verstanden
habe. Fordern denn nun die Vereinigten Staaten eine
Sonderrolle in der Welt und erkennen wir sie an? Ja oder
nein? Es ist nun schon das x-te Mal nach den KyotoAbkommen und vielen anderen Gelegenheiten.
Und Sie sagen, dass Sie so verfahren, um die
transatlantischen Beziehungen nicht zu stören. Auch das
kann ich, ehrlich gesagt, nicht verstehen. Wie ich auch
nicht verstehe, dass die Schuldigen, wie Sie sagen, durch
nationale Gericht abgeurteilt werden. Nicht durch
Gerichte der Vereinigten Staaten, Herr Ratsvorsitzender!
Auf keinen Fall! Und die Frage lautet: Wird dies nicht
auch für andere Länder gelten? Übermorgen für die
Russen oder wer auch immer sich in Friedensmissionen
befinden wird? Und wie können Sie sagen, dass auf
diese Art nicht der Gerichtshof untergraben wird? Im
Fall Rumänien, zu dem ich Sie um eine Stellungnahme
gebeten habe, stellt sich jedenfalls die folgende Frage:
Ihre Hoffnung, dass der von Rumänien unterzeichnete
Vertrag nicht ratifiziert wird, ist für mich uninteressant.
23/10/2002
Was mich interessiert, ist: Gedenken Sie, Rumänien
mitzuteilen, wobei es auch andere Beitrittsländer hören
sollen, dass eine Bedingung für seinen Beitritt die
Akzeptanz des Gemeinsamen Standpunkts der
Europäischen
Union
zum
Internationalen
Strafgerichtshof ist?
3-230
Haarder, Rat. - (DA) Ich möchte betonen, dass es eine
Lösung gibt, die den Internationalen Strafgerichtshof
nicht beeinträchtigt. Diese Lösung wird u. a. für die
Beitrittsländer in Mittel- und Osteuropa sehr hilfreich
sein, die sich etwas unschlüssig darüber waren, was sie
tun sollten. Es wurde auch eine Lösung gefunden, die
bestehende Abkommen beeinträchtigt. Das halte ich,
insgesamt gesehen, für ein recht gutes Ergebnis. Die EU
kann nicht die ganze Welt kontrollieren. Wir haben
sichergestellt, dass der Internationale Gerichtshof vor
einer Schwächung geschützt wird, und mehr kann ich
dazu nicht sagen.
3-231
Carnero González (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr
Haarder! Einleitend zu meiner Anfrage möchte ich Ihnen
sagen, dass ich mit dem Beschluss des Rates nicht
einverstanden bin. Bitte präzisieren Sie folgende Punkte:
Zunächst, welchen rechtlichen Status hat der Beschluss
des Rates? Wie würden Sie ihn definieren? Zweitens, ist
er in Abhängigkeit von seinem rechtlichen Status Teil
des gemeinschaftlichen Besitzstands oder nicht?
Sollte er zum gemeinschaftlichen Besitzstand gehören,
sind die Mitgliedstaaten und die Beitrittsländer
verpflichtet, ihn zu respektieren, und können somit keine
bilateralen Abkommen mit den USA ratifizieren, die im
Widerspruch zum Beschluss des Rates stehen.
Und abschließend, wie gedenkt der Rat die
Entscheidungen der Mitgliedstaaten zu kontrollieren,
wie beispielsweise solche, die diese vielleicht durch
wirkliche, eventuell bilaterale Abkommen mit den USA
treffen können, indem sie andere mit den USA schon
bestehende ändern?
3-232
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, darüber bin ich in
der schriftlichen Anfrage ja nicht befragt worden. Ich
möchte nur sagen, dass es sich um einen gemeinsamen
Standpunkt handelt. Es wird erwartet, dass sich alle –
einschließlich aller Beitrittsländer - an den gemeinsamen
Standpunkt halten. Es würde mich sehr wundern, ja sehr
überraschen, wenn das nicht der Fall wäre. Deshalb
glaube ich, der verehrte Abgeordnet kann sich da recht
sicher sein.
3-233
Ludford (ELDR). – (EN) Herr Präsident, ich habe
gehört, was Herr Haarder gesagt hat. Ich räume ein, dass
die Einigung auf Leitlinien besser ist als gar keine
Einigung, und ich gratuliere dem dänischen Ratsvorsitz
dazu, dass zumindest diese Leitlinien erreicht worden
sind. Nach der Rechtsberatung für die EU-Organe
verstößt eine Partei, die das Römische Statut
unterzeichnet hat und bilaterale Abkommen schließt, die
über den sehr engen Rahmen von Artikel 98
23/10/2002
hinausgehen, jedoch gegen Ziel und Zweck des Statuts.
Trifft es zu, dass die Leitlinien nicht ausreichen, um
Vereinbarungen, die Immunität vor dem Internationalen
Strafgerichtshof gewähren, zu verhindern?
Herr Haarder hat einen Gemeinsamen Standpunkt
erwähnt. Ich bitte um Auskunft darüber, ob die
Leitlinien rechtlich gesehen ein Gemeinsamer
Standpunkt sind. Wird der Rat unabhängig davon
zumindest versuchen, diese sehr vagen Leitlinien vom
30. September zu stärken, die Schlupflöcher für eine
Verletzung des Statuts lassen? Auf diese Weise könnten
wir unseren Gemeinsamen Standpunkt stärken und
zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen aufnehmen. Diese
Maßnahmen sollten Folgendes beinhalten: die
Überwachung nationaler Zusicherungen durch den
IStGH; Garantien, dass die USA amerikanische
Staatsangehörige strafrechtlich verfolgt, die der
Begehung von Straftaten beschuldigt werden, die durch
den IStGH geahndet werden; die Forderung an die USA,
ihre Bundesgesetze zu aktualisieren, um sicherzustellen,
dass alle amerikanischen Gerichte alle Straftaten
verfolgen können, die durch den IStGH geahndet werden
– was derzeit nicht der Fall ist; eine Vereinbarung über
die Beschränkung des Zuständigkeitsbereichs des IStGH
auf Angehörige der Streitkräfte oder das zivile Personal
der Streitkräfte, und beispielsweise nicht auf Söldner;
Aufnahme einer Auflösungsklausel und einer
Bestimmung über die Kontrolle dieser Vereinbarungen
durch die jeweiligen nationalen Parlamente.
3-234
Haarder, Rat. - (DA) Im Hinblick auf den letzten Punkt
finde ich es ziemlich eindeutig, welcher eng
eingegrenzte Personenkreis gemeint ist. Was den ersten
Punkt angeht, zu dem eine Frage gestellt wurde, möchte
ich sagen, dass ein gemeinsamer Standpunkt ein
gemeinsamer Standpunkt ist. Es gibt keine
Strafmaßnahmen gegenüber Ländern, die sich nicht an
einen gemeinsamen Standpunkt halten, aber in der
Union hält man sich normalerweise an gemeinsame
Standpunkte, und ich glaube, dass das auch die
Beitrittsländer tun werden.
83
Zusammenarbeit
im
Rechtsbereich
betrachtet,
andererseits aber hinsichtlich der amerikanischen
Erpressung von Drittländern ein Auge zudrückt und
diese akzeptiert. Der Ratspräsident sagte, in Bezug auf
die Erpressung von Rumänien sei eine Lösung gefunden
worden. Ich möchte nur eine einzige konkrete Frage
stellen: Was ist das für eine Lösung, und findet der Rat
diese Lösung akzeptabel? Wenn dies der Fall ist, dann
gibt es nach wie vor ein Glaubwürdigkeitsproblem.
3-236
Haarder, Rat. - (DA) Ja, in Bezug auf den letzten Punkt
kann ich sagen, dass es eine Lösung gibt, die meiner
Meinung nach gewährleisten wird, dass keine anderen
Beitragsländer Abkommen abschließen, die dem von
Rumänien abgeschlossenen entsprechen. Und ich
möchte hinzufügen, dass Rumänien, soweit mir bekannt
ist, dieses Abkommen noch nicht ratifiziert hat.
Was den ersten Punkt angeht, möchte ich antworten,
wenn die USA wirklich einen solchen Druck ausüben,
wie von Herrn Krarup dargestellt, dann ist ein
gemeinsamer Standpunkt, auf den man sich berufen
kann, eine gute Sache. Dadurch kann man sich einem
eventuell bestehenden Druck besser widersetzen. Meiner
Ansicht nach besteht einer der großen Vorteile des
gemeinsamen Standpunkts darin, dass er Ländern in
Fällen den Rücken stärkt, in denen sie einem Druck
ausgesetzt werden, von dem ich zwar selbst keine
Kenntnis habe, von dem der Herr Abgeordnete aber
gesprochen hat. Wenn das der Fall wäre, ist ein solcher
Standpunkt wie gesagt vorteilhaft, da sich auch die
neuen Mitgliedstaaten darauf berufen können.
3-237
Der Präsident. – Da der Fragesteller nicht anwesend ist,
ist die Anfrage Nr. 8 hinfällig.
Anfrage Nr. 9 von Efstratios Korakas, der von Herrn
Alyssandrakis vertreten wird (H-0623/02):
Betrifft: EU-USA-Abkommen über Ausweisungen,
geheime
Polizeioperationen
und
Kommunikationsüberwachung
3-235
Krarup (GUE/NGL). - (DA) Herr Präsident, ich muss
sagen, dass die Antwort des Ratspräsidenten den
Eindruck erweckt, dass sie viel Raum für
Interpretationen lässt, aber – wie wir in Dänemark sagen
– man muss sehr charakterstark sein, wenn man
Gummiband als Meterware verkauft. Es lässt sich in alle
Richtungen dehnen, und ich finde nicht, dass der
Ratspräsident zum Kern der Frage kommt, ob es eine
amerikanische Strategie gibt, durch die andere Länder zu
bilateralen Abkommen gedrängt werden, mit denen sie
sich dazu verpflichten, keine amerikanischen
Staatsbürger auszuliefern. Das passt zu der Tatsache,
dass sich die USA konsequent und beharrlich weigern,
den Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof zu
ratifizieren. Ich kann nachvollziehen, dass der Rat ein
Glaubwürdigkeitsproblem hat, wenn er sich einerseits
weiterhin voll und ganz für die Gründung des
Internationalen Strafgerichtshofs einsetzt und die
Gründung als
Grundstein der
internationalen
Informationen von Statewatch zufolge planen die EU
und die USA den Abschluss eines Abkommens über
Terrorismusbekämpfung
und
strafrechtliche
Angelegenheiten, wobei es u. a. um gemeinsame
Polizeioperationen, Kommunikationsüberwachung, die
Ermittlung und Einziehung von durch Straftaten
hervorgebrachten
Gegenständen
sowie
die
Vereinfachung der Ausweisungsverfahren für Europäer
und Nicht-Europäer und die Beschränkung der
Asylbewilligung geht.
Welche Position vertritt der Rat, insbesondere im
Hinblick darauf, dass die dänische Präsidentschaft
angeblich einen Plan für Kommunikationsüberwachung
ausarbeitet, sowie darauf, dass solche repressiven
Maßnahmen in jeder Hinsicht gegen die Menschenrechte
verstoßen und nicht mit bisherigen Erklärungen in
Einklang stehen, dass die EU kein Abkommen
84
abschließen werde, das die Ausweisung in Länder wie
die USA vorsieht, in denen noch die Todesstrafe gilt?
23/10/2002
Terrorismus einen autoritären und repressiven
Mechanismus aufgebaut hätte, welcher gegen jeden
eingesetzt wird, der sich ihrer Politik widersetzt.
3-238
Haarder, Rat. - (DA) Ich kann garantieren, dass jedes
Abkommen, das zwischen den USA und der EU
geschlossen wird, die Menschenrechte gemäß Artikel 6
des EU-Vertrags respektieren wird, in dem es heißt:
„Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der
Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese
Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.“ Das
bezieht sich nicht nur auf die Abkommen über die
strafrechtliche Zusammenarbeit, über die bereits
verhandelt wird, sondern auf jedes Abkommen über den
Austausch polizeilicher Informationen, das zwischen den
USA und Europol abgeschlossen wird, nachdem es vom
Rat genehmigt worden ist.
Es ist ein Missverständnis, dass die dänische
Präsidentschaft verbindliche Regelungen vorgeschlagen
haben
soll,
dass
Informationen
über
Telekommunikationsverbindungen gespeichert werden,
dass Anbieter von Telekommunikationsdiensten solche
Informationen bis zu zwei Jahre lang speichern müssen
und dass solche Informationen in zentralen Datenbanken
gesammelt und den übrigen Mitgliedstaaten zur
Verfügung
gestellt
werden
sollen.
Dieses
Missverständnis – ich möchte fast sagen, dieses sehr
kreative Missverständnis – hätte sich vermeiden lassen,
wenn sich die Medien an die Präsidentschaft gewandt
hätten. Die Präsidentschaft hat Vorschläge für
Schlussfolgerungen des Rates erstellt, die sich auf
Maßnahmen
im
Zusammenhang
mit
der
Informationstechnologie beziehen, die sich aus der
Notwendigkeit ergeben, in Sachen organisierte
Kriminalität zu ermitteln und die Straftäter zu verfolgen.
Der Vorschlag steht in keinem Zusammenhang mit der
verstärkten Zusammenarbeit mit den USA, in deren
Zuge mit den USA über ein Abkommen zur
gegenseitigen
Rechtshilfe
und
gegenseitiger
Auslieferung verhandelt wird.
Ich möchte auch an die Erklärung erinnern, die der Rat
am 30. September 2002 über die Todesstrafe und
besonders grausame Formen der Hinrichtung abgegeben
hat. Darin wird noch einmal betont, dass sich die
Europäische Union seit langem gegen jede Anwendung
der Todesstrafe wendet und diese auch weiterhin
entschieden ablehnt.
Beunruhigung über die Auswirkungen dieser Gespräche
mit den USA äußerte auch die englische Zeitung
Guardian in ihrer Ausgabe vom 3. September. Wenn der
Guardian ein Mal beunruhigt ist, Herr Ratsvorsitzender,
haben wir zehn Mal das Recht, es zu sein.
Ich möchte Ihnen eine konkrete Frage stellen: In welcher
Weise werden sich die nationalen Parlamente und das
Europäische
Parlament
bei
der
inhaltlichen
Ausgestaltung dieser Abkommen beteiligen, und welche
Rolle werden sie generell bei der Ratifizierung dieser
Abkommen spielen?
3-240
Haarder, Rat. - (DA) Die einzelnen Staaten werden
solche Abkommen natürlich entsprechend ihren
nationalen Vorschriften abschließen, während die
europäischen Institutionen die Regelungen der
Europäischen Union anwenden werden.
3-241
Krarup (GUE/NGL). - (DA) Herr Präsident, aus der
von Statewatch vorgelegten Dokumentation ergibt sich
eindeutig, dass Verhandlungen über diese Abkommen
bereits im letzten Herbst eingeleitet wurden, und zwar
unter strengster Geheimhaltung. Tony Bunyan von
Statewatch hat Akteneinsicht verlangt, ist aber teilweise
abgewiesen
worden,
da
es
sich
um
Geheimverhandlungen handelte. Laut Vertrag ist es ja
so, dass das Parlament in solchen Fragen nicht angehört
werden muss, woraus sich die Frage ergibt, warum man
nicht öffentlich zu erkennen gegeben hat, dass es sich
um einen Teil der Antiterrormaßnahmen handelt, die in
Arbeit sind. Meine erste Frage lautet, warum der Rat so
zugeknöpft ist, da es sich doch um Dinge handelt, für die
ein breites allgemeines Interesse besteht. Die zweite
Frage betrifft den Inhalt der Abkommen. Liest man die
Titel V und VI des EU-Vertrags, so ergibt sich aus
Artikel 24, dass in Fällen, in denen zur Durchführung
dieser Titel ein Abkommen mit einem oder mehreren
Staaten usw. geschlossen werden muss, solche
Abkommen vom Rat geschlossen werden können, ohne
das Parlament anzuhören und ohne öffentliche Debatte.
Wie weitreichend ist diese Befugnis nach Auffassung
des Rates? Und warum ist das Parlament nicht informiert
worden?
3-242
3-239
Alyssandrakis
(GUE/NGL).
–
(EL)
Herr
Ratsvorsitzender! Wenn ich Ihre Antwort richtig
verstanden habe, gibt es tatsächlich Gespräche zwischen
den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union.
Hinsichtlich Ihrer Versicherungen bezüglich der
Menschenrechte hätte ich kein Problem, ihnen Glauben
zu schenken, wenn nicht die Art und Weise, wie die
Europäische Union die Menschenrechte in der Praxis
interpretiert, sich ziemlich stark von dem unterscheidet,
was jeder normale Mensch darunter versteht; wenn nicht
die Europäische Union auch mit Unterstützung des
Haarder, Rat. - (DA) Ich hätte Herrn Krarup gerne eine
Antwort gegeben, aber ich habe nicht gelesen, was in
Statewatch steht, und ich weiß auch nicht, ob richtig ist,
was da gesagt wird. Im Übrigen ist es meine Aufgabe,
auf im Voraus gestellte Anfragen zu antworten, und
diese Fragen wurden nicht im Voraus gestellt. Deshalb
tut es mir leid, Herr Krarup, aber vielleicht wäre es
möglich, dass sie eine schriftliche Anfrage einreichen
oder Ihre Fragen das nächste Mal stellen.
3-243
Der Präsident. – Da der Fragesteller nicht anwesend ist,
ist die Anfrage Nr. 10 hinfällig.
23/10/2002
Anfrage Nr. 11 von María Izquierdo Rojo (H-0626/02):
Betrifft:
Neue Perspektiven in den Beziehungen zu Libyen
Wie sind die jüngsten Erklärungen des libyschen Staatschefs
Muhammad Gaddafi, seine politische Kehrtwende und der Inhalt
seiner Fernsehansprache anlässlich des 33. Jahrestages seiner
Machtübernahme zu beurteilen? Welche Perspektiven eröffnen sich
angesichts dieser neuen Situation für die Beziehungen zwischen
Libyen und der Europäischen Union?
3-244
Haarder, Rat. - (DA) Der Rat hat die Reden Muammar
Gadaffis nicht besprochen. Er ist aber für seinen Teil
weiterhin dazu bereit, Libyen die volle Mitgliedschaft
am Barcelona-Prozess anzubieten, sobald das Land die
Barcelona-Regeln
vollständig
und
vorbehaltlos
akzeptiert. Libyen hat auf diesen Vorschlag noch nicht
geantwortet. Bis dahin ist Libyen weiterhin eingeladen,
an den Sitzungen des Euro-Mediterranen Ausschusses
und den Besprechungen hochrangiger, für politische und
sicherheitsrelevante Fragen zuständiger, Beamter als
Beobachter teilzunehmen. Libyen nahm an der
Ministerkonferenz in Valencia als Gast der
Präsidentschaft teil.
In Libyen scheint es zur Zeit zwei grundlegende
Tendenzen zu geben. Einerseits sucht man eine
Annäherung an die EU und signalisiert deutlich einen
Bruch mit der Vergangenheit, während andererseits
deutlich gemacht wird, dass das Engagement Libyens
auf dem afrikanischen Kontinent mit der Teilnahme am
Barcelona-Prozess
unvereinbar
ist.
Das
Durchsetzungsvermögen dieser beiden libyschen
Standpunkte ist natürlich davon abhängig, was
Muammar Gadaffi möchte.
Nach Auffassung der EU ergänzen sich ein starkes
Engagement in Afrika und die Teilnahme am BarcelonaProzess recht gut. Davon zeugt die Euro-afrikanische
Partnerschaft, deren nächstes Gipfeltreffen für die nahe
Zukunft geplant ist. Der Rat begrüßt es im Übrigen, dass
bestimmte politische Gefangene in Libyen freigelassen
wurden, und er betont, dass Libyen auf Antrag am
Barcelona-Prozess teilnehmen kann, sobald die noch
offenen Fragen eindeutig und zufrieden stellend geklärt
wurden. Eine solche Teilnahme an der EuroMediterranen Partnerschaft beinhaltet auch, dass Libyen
wie die übrigen Partner ein Assoziierungsabkommen
abschließen und an der MEDA-Verordnung teilhaben
würde.
85
Auf jeden Fall möchte ich Ihnen folgende Zusatzfrage
stellen: Ist der Wille vorhanden, den Weg der
gegenseitigen Annäherung fortzusetzen? Gibt es Pläne
zur Verbesserung der gegenseitigen Verständigung
zwischen der Europäischen Union und Libyen? Welche
Übereinkommen könnten, wenn alles gut verläuft,
getroffen werden? Die gleichen wie mit anderen
nordafrikanischen Ländern im Rahmen der EuropaMittelmeer-Partnerschaft?
Wie
könnte
der
voraussichtliche Zeitplan für Aktionen aussehen?
3-246
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, eigentlich bin ich
der Meinung, dass die Antwort ziemlich eindeutig war.
Wenn Libyen die noch offenen Fragen klar und
zufrieden stellend beantworten kann und wenn es darum
ersucht, dann kann Libyen auch am Barcelona-Prozess
teilnehmen - auch dann, wenn Libyen eine Annäherung
an den afrikanischen Kontinent anstrebt. Ich habe ja
gerade gesagt, dass hier nicht unbedingt ein Widerspruch
vorliegt. Aber in Libyen gibt es offenbar zwei
gegensätzliche Tendenzen. Das ist nichts, was ich gerade
erfunden habe, wir haben das in Libyen beobachtet.
3-247
Der Präsident. – Anfrage Nr. 12 von Lennart Sacrédeus
(H-0629/02):
Betrifft:
Gewährung eines Vorzugsstatus für die Ukraine
Auf dem Kopenhagener Gipfeltreffen EU-Ukraine im vergangenen Juli
wurde der Ukraine ein Vorzugsstatus in Bezug auf die EU gewährt.
Dabei handelt es sich um ein neues Konzept, das noch mit Inhalt
gefüllt werden muss. Was beinhaltet dieser Status konkret? Sollen für
die Ukraine dieselben Bedingungen gelten wie beispielsweise für
Belarus? Soll dieser Status dereinst für alle Länder gelten, die nach der
Erweiterung eine gemeinsame Grenze mit der Europäischen Union
haben?
3-248
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, ich beantworte
sehr gerne die Frage von Herrn Sacrédeus zur Ukraine.
Auf dem Gipfeltreffen zwischen der EU und der Ukraine
im Sommer in Kopenhagen wurde die Ukraine über den
Beschluss des Rates vom April informiert,
Möglichkeiten zu Verbesserungen der Beziehungen
zwischen der erweiterten Union und den neuen
Nachbarn dieser erweiterten Union zu untersuchen.
Beide Seiten betonten, dass es wichtig sei zu
berücksichtigen, dass die Beziehungen zwischen der EU
und den betreffenden Ländern Unterschiede in Bezug
auf den Charakter und die politische und wirtschaftliche
Entwicklung aufweisen.
3-245
Izquierdo Rojo (PSE). – (ES) Herr Präsident, ich muss
gestehen, dass der amtierende Ratspräsident in Bezug
auf diese Anfrage nicht sehr explizit war. Ich habe
seinen Ausführungen aufmerksam zugehört, und
manchmal erschienen sie mir widersprüchlich in dem
Sinne, dass Libyen zwar zur Teilnahme eingeladen
werden würde, dass es aber nicht so aussieht, als
bestände die Absicht, die Situation zu ändern.
Die EU und die Ukraine waren sich darüber einig, dass
durch die Erweiterung neue Möglichkeiten und
Herausforderungen
in
verschiedenen
Bereichen
entstehen. Beide Seiten bestätigten, dass die Ukraine
diese Möglichkeiten am besten nutzen könne, indem sie
ihre Bemühungen um die Angleichung ihrer Gesetze,
Normen und Standards an die der EU intensiviert. Man
war sich auch einig über die Intensivierung der
Verhandlungen der relevanten Partnerschafts- und
Zusammenarbeitsorgane über die Auswirkungen der
86
Erweiterung, u. a. auf Fragen des Handels,
Personenbewegungen, Visa und die Förderung der
regionalen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
Die EU erkennt die europäischen Bestrebungen der
Ukraine an. Es ist wichtig, dass die Ukraine ihren
Verpflichtungen besser nachkommt, wenn diese
Wünsche Aussicht auf Erfolg haben sollen. Die EU wird
den Reformprozess der Ukraine weiterhin unterstützen,
darunter die Verbesserung des Justizsystems, der
Medienfreiheit,
der
Menschenrechte
und
der
Zivilgesellschaft.
Die dänische Präsidentschaft sieht es als ihre Pflicht an,
die Zusammenarbeit EU-Ukraine zu intensivieren. Der
Arbeitsplan für die Durchführung der gemeinsamen EUStrategie für die Ukraine ist dem Rat vorgelegt worden,
der ihn am 22. Juli dieses Jahres zur Kenntnis
genommen hat. Die Präsidentschaft ist der Ansicht, dass
es übergeordnetes Ziel der EU sein muss, den Dialog
und die Zusammenarbeit mit der Ukraine zielgerichteter
und ergebnisorientierter zu gestalten.
Die Prioritäten dieses Arbeitsplans lauten wie folgt: In
erster Linie Konsolidierung von Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und öffentlichen Institutionen;
zweitens
Unterstützung
des
wirtschaftlichen
Übergangsprozesses, hierunter Integration der Ukraine
in die europäische und die Weltwirtschaft sowie die
regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den
Nachbarländern; drittens Zusammenarbeit bei der
Verbesserung von Stabilität und Sicherheit innerhalb
und außerhalb Europas; viertens Verbesserung der
Zusammenarbeit im Umwelt- und Energiebereich sowie
im Bereich der nuklearen Sicherheit; fünftens
Unterstützung der besseren Zusammenarbeit im
Zusammenhang mit der Erweiterung der EU; und
schließlich sechstens Ausbau der Zusammenarbeit im
Bereich Justiz und Inneres.
Die Entwicklung einer generellen EU-Politik gegenüber
den neuen Nachbarn der EU bei voller Respektierung
der Unterschiede zwischen den betreffenden Ländern
wird dazu beitragen, das Gesamtziel zu erreichen. Auf
der Grundlage eines gemeinsamen Beitrags des Hohen
Vertreters, Herrn Solana, und Herrn Kommissar Patten
diskutierte der Rat auf seiner Tagung am 30. September
über die Beziehungen zwischen der erweiterten Union
und ihren östlichen Nachbarn. Der Rat gab erneut seiner
Überzeugung Ausdruck, dass die Erweiterung der EU
eine gute Gelegenheit zur Verbesserung der
Beziehungen zwischen der Union und ihren neuen
Nachbarn bietet, um Stabilität zu schaffen und die
Unterschiede im Wohlstand an den neuen Grenzen der
EU zu verringern.
3-249
Sacrédeus (PPE-DE).  (SV) Ich möchte Herrn Bertil
Haarder und der dänischen Ratpräsidentschaft für diese
ausführliche und hervorragende Antwort herzlich
danken. Persönlich glaube ich, dass es von großer
strategischer Bedeutung war, dass Ministerpräsident
Göran Persson auf seiner letzten außenpolitischen Reise
23/10/2002
während des schwedischen Ratsvorsitzes Kiew besuchte
und mit der ukrainischen Regierung zusammentraf. Ich
betrachte die dänische Linie als Fortsetzung dieser
Politik.
Ich hätte noch zwei Zusatzfragen. Erstens: Ist es
denkbar, dass der Ukraine in relativ naher Zukunft ein
spezielles Abkommen angeboten wird, das einer
osteuropäischen
Variante
besonderer
Wirtschaftsbeziehungen entsprechen könnte, d. h. eine
Art osteuropäisches EWR-Abkommen, auf Dänisch
EØS-Abkommen?
Zweitens: Ich würde gerne wissen, wie sich Ihrer
Auffassung nach die Behauptungen über eine
militärische Zusammenarbeit der Ukraine mit dem Irak
auf die Beziehungen zwischen der Europäischen Union
und der Ukraine ausgewirkt haben.
3-250
Haarder, Rat. - (DA) Ich danke Herrn Sacrédeus für
sein großes Interesse an der Ukraine. Es ist wichtig, die
Ukraine zu berücksichtigen, denn sie ist ein sehr
wichtiges europäisches Land. Ich möchte dem Parlament
für seinen Bericht über die Ukraine meine Anerkennung
aussprechen, der – wenn ich mich recht erinnere – vor
etwa einem Jahr verabschiedet wurde. Ich kann
ergänzen, dass die dänische Präsidentschaft damit
rechnet, dass der Rat die Kommission noch in diesem
Jahr bitten wird, einen Vorschlag zur Entwicklung einer
umfassenden EU-Politik den neuen EU-Nachbarn
gegenüber vorzulegen, und die Ukraine ist mit Sicherheit
eine sehr wichtige Nation unter diesen Nachbarn.
3-251
Rübig (PPE-DE). - Herr Präsident, sehr geehrter Herr
Ratspräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass Sie
erwähnt haben, dass Sie sich auch in der Ukraine um die
nukleare Sicherheit bemühen. Mich würde interessieren,
ob es eigentlich vorgesehen ist, die Standards der
Internationalen Atomenergiebehörde zugrunde zu legen,
um hier die Sicherheit zu gewährleisten?
3-252
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, angesichts der uns
allen bekannten historischen Voraussetzungen besteht
nicht der geringste Zweifel, dass in allen Gesprächen
zwischen der Europäischen Union und der Ukraine auch
über die nukleare Sicherheit gesprochen werden wird.
3-253
Der Präsident. – Anfrage Nr. 13 von Bernd Posselt (H0631/02):
Betrifft:
EU – Mazedonien
Wie beurteilt die dänische Ratspräsidentschaft die aktuelle Lage in
Mazedonien, und plant sie Schritte, um das Assoziierungs- und
Stabilisierungsabkommen mit mehr Leben zu erfüllen, etwa durch
zusätzliche finanzielle Hilfen oder durch Abschaffung der
Visumspflicht?
3-254
Haarder, Rat. - (DA) Die Präsidentschaft ist erfreut,
dass die Parlamentswahlen am 15. September in der
23/10/2002
Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien ruhig
und geordnet stattgefunden haben. Bei seiner
Zusammenkunft am 21. Oktober äußerte sich der Rat
zufrieden mit der Einigkeit über die neue Regierung in
Skopje.
87
Haarder, Rat. - (DA) Gerade wegen seiner großen
psychologischen Bedeutung – auf die Herr Posselt ganz
richtig hingewiesen hat – habe ich nicht vor, auf diesen
Punkt überhaupt einzugehen.
3-257
Der Rat hat diese neue Regierung dazu ermuntert, der
vollständigen Umsetzung des Rahmenabkommens und
des Stabilisierungs- und Assoziierungsverfahrens
Vorrang zu geben, und er betonte, dass er einer engen
und fruchtbaren Zusammenarbeit entgegensieht. Die
Union will sich weiterhin stark engagieren und eine
reformbereite Regierung aktiv unterstützen. Der Rat
erwartet auch, dass die geplante Volkszählung
entsprechend den internationalen Standards durchgeführt
wird.
Die Stabilisierungs- und Assoziierungsvereinbarung ist
nicht in Kraft getreten, da sie noch nicht ratifiziert ist.
Bis dahin besteht eine Interimsvereinbarung über
Handelsaspekte, die vor gut einem Jahr in Kraft getreten
ist. Die Europäische Gemeinschaft hat als Bestandteil
eines mehrjährigen Programms für die Jahre 2002-2004
130,5 Mio. Euro für die Ehemalige Jugoslawische
Republik Mazedonien bereit gestellt, um dem Land die
Erfüllung seiner Verpflichtungen zu ermöglichen, die
mit der Interimsvereinbarung und der Stabilisierungsund Assoziierungsvereinbarung verbunden sind.
Die Frage des Visumzwangs für mazedonische Bürger
wurde auf der letzten Sitzung des Kooperationsrates
zwischen der EU und Mazedonien diskutiert, die am 1.2. Juli dieses Jahres stattfand, und bei dieser Gelegenheit
erinnerte die Kommission die mazedonischen Behörden
daran, dass sie eine Reihe konkreter Maßnahmen
durchführen müssen, bevor die EU die Aufhebung des
Visumzwangs prüfen kann. Die Mitgliedstaaten und die
Kommission beobachten genau, welche Fortschritte die
Behörden der Ehemaligen Jugoslawischen Republik
Mazedonien bei der Erfüllung dieser Kriterien machen.
3-255
Posselt (PPE-DE). - Herr Präsident! Herr Ratspräsident,
vielen Dank für diese sehr konkrete und sehr gute
Antwort und für die große Sachkunde, die wir ja an
Ihnen schätzen, mit der Sie diese Dinge betreiben. Ich
möchte nur noch eine kurze Zusatzfrage stellen. Die ist
allerdings heikel, das gebe ich zu. Sie haben auch einmal
von der Ehemaligen Jugoslawischen Republik
Mazedonien gesprochen.
Wir sehen, dass der Begriff Jugoslawien im ehemaligen
Jugoslawien,
in
Restjugoslawien,
eigentlich
verschwunden ist und durch Serbien-Montenegro ersetzt
werden soll. Es gäbe dann das Wort Jugoslawien nur
noch im Staatsnamen von Mazedonien. Ich möchte Sie
fragen, ob man nicht auf Dauer eine diplomatische
Lösung in der Namensfrage finden kann, denn es ist für
dieses Land schon eine Belastung, die vielleicht nicht
existentiell ist, aber psychologisch doch sehr in die Tiefe
geht.
3-256
Rübig (PPE-DE). - Herr Präsident, Herr Ratspräsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube,
gerade im Fall von Mazedonien ist es wichtig, darüber
nachzudenken, wie wir am effizientesten die Förderung
betreiben, um die Stabilisierung in diesem Raum zu
erreichen. Hier spielen natürlich der Mittelstand und die
kleinen und mittleren Unternehmen eine besondere
Rolle. Deshalb würde es mich interessieren, ob bei
diesem Förderungsprogramm, das Sie angesprochen
haben, in der Höhe von 135 Millionen Euro für den
Zeitraum 2000-2004, auch Mittel zur Förderung des
Mittelstands vorgesehen sind.
3-258
Haarder, Rat. - (DA) Spontan kann ich nicht sagen, ob
Gelder für den Mittelstand vorhanden sind. Man kann
aber keine Beihilfen zur wirtschaftlichen Entwicklung
gewähren, ohne dass sie dem Mittelstand Nutzen
bringen, und ich bin überzeugt, dass die kleinen und
mittleren Unternehmen davon profitieren. Soviel ich
weiß, hat die Ehemalige Jugoslawische Republik
Mazedonien keine anderen Unternehmen, weshalb sich
der verehrte Abgeordnete keine Sorgen machen muss.
Im Übrigen möchte ich noch einmal sagen, wie sehr
mich die Entwicklung in Mazedonien freut, nicht zuletzt
die politische Entwicklung. Das lässt für die Zukunft
hoffen, wenn ich bedenke, wie schwierig die Lage noch
vor einem Jahr war.
3-259
Der Präsident. – Anfrage Nr. 14 von Olivier Dupuis
(H-0634/02):
Betrifft:
Entführung des Arztes Ali Khanbiev in Tschetschenien
In der Nacht vom 3. auf den 4. September wurde zwischen 3 und 4 Uhr
morgens Ali Khanbiev von maskierten Männern aus seinem Haus in
der Ortschaft Benoj (Tschetschenien) entführt. Der 1958 geborene Ali
Khanbiev arbeitete nach wie vor als Arzt im Krankenhaus von Benoj.
Er ist der Bruder von Umar Khanbiev, dem Minister für
Gesundheitswesen in der Regierung von Aslan Maschadow.
Welche Informationen liegen dem Rat über die Entführung von Ali
Khanbiev vor? Ist sich der Rat dessen bewusst, dass diese Entführung
alle Merkmale einer Entführung durch russische Streitkräfte oder
paramilitärische Kräfte trägt und daher für die körperliche
Unversehrtheit von Ali Khanbiev das Schlimmste zu befürchten ist?
Welche Maßnahmen hat der Rat ergriffen oder beabsichtigt er zu
ergreifen, um zu veranlassen, dass die russischen Behörden alles in
ihrer Macht Stehende unternehmen, um die unverzügliche Freilassung
von Ali Khanbiev zu erreichen?
3-260
Haarder, Rat. - (DA) Der Rat ist über diese Entführung
nicht informiert worden, aber ich kann sagen, dass der
Rat weiterhin über die Situation in Tschetschenien sehr
besorgt ist und die zahlreichen Entführungen
entschieden verurteilt, durch welche sich die in der
Region vorherrschende schwierige humanitäre Lage
weiter zuspitzt. Der Rat betont, dass er die vorbehaltlose
Einhaltung der Menschenrechte für außerordentlich
wichtig erachtet, ebenso wie die Bemühungen um das
88
Zustandekommen einer politischen Lösung und die
Verbesserung der humanitären Situation. Mir ist klar,
dass Herr Dupuis gerne mehr hören möchte, auch dass
mehr getan werden wird, aber das ist alles, was ich im
Moment sagen kann. Im Übrigen möchte ich Herrn
Dupuis für sein jahrelanges Engagement danken – nicht
zuletzt in Bezug auf die humanitäre Situation in
Tschetschenien – das er an den Tag legt, seit er, ebenso
wie ich, Mitglied dieses Parlaments ist.
3-261
Dupuis (NI). – (FR) Herr Minister Haarder, ich verstehe
nicht recht. Sie sagen, dem Rat liegen keine
Informationen über die Entführung von Ali Khanbiev
vor. Die einzige Information, die wir seit anderthalb
Monaten haben, ist, dass er tatsächlich entführt worden
ist. Hat der Rat diese Informationen nicht erhalten oder
hat er sie nicht erhalten können oder nicht erhalten
wollen? Dies ist meine erste Frage.
Die zweite Frage ist die folgende: Sie bereiten das
wichtige Treffen von Kopenhagen vor, d. h. das
Gipfeltreffen Europäische Union-Russland. Wird im
Rahmen dieser Vorbereitungen die Frage der
Verschwundenen, der Folterungen und der leider auch
sehr häufig vorkommenden Hinrichtungen von
Zivilpersonen auf die Tagesordnung gesetzt werden, wie
der Fall von Ali Khanbiev, der Arzt ist und nichts weiter
als Arzt? Und vor allem, wird der Rat dafür sorgen, dass
zumindest versucht wird, eine Person zu retten, dass
versucht wird, Ali Khanbiev zu retten, dass versucht
wird, der Entwicklung in Tschetschenien eine andere
Richtung zu geben und damit den russischen Behörden
ein klares Zeichen zu geben?
3-262
Haarder, Rat. - (DA) Die Tagesordnung für das am
12. November
in
Kopenhagen
stattfindende
Gipfeltreffen EU-Russland steht noch nicht fest. In
Bezug auf diese Entführung kann ich nur wiederholen,
dass der Rat keine Informationen darüber erhalten hat,
aber wie ich bereits gesagt habe, ist dem Rat bekannt,
dass zahlreiche Entführungen stattgefunden haben, und
er hat dies ebenso wie das Parlament wiederholt
bedauert. Leider hat Herr Dupuis wahrscheinlich Recht
mit dem, was er sagt, aber dem Rat liegen noch keine
Informationen vor.
3-263
Posselt (PPE-DE). - Herr Präsident! Ich möchte eine
Frage stellen: Wir hatten hier mit Herrn Kommissar
Nielson oft die Möglichkeit eines Besuches von
Kommissar Nielson in Tschetschenien diskutiert, um die
humanitäre Situation dort genauer zu untersuchen – und
auch wir als Parlament wollen ja nach Tschetschenien
reisen. Könnten Sie nicht eventuell bei diesem EURussland-Gipfel auf die Tagesordnung setzen, dass sich
auch die europäischen Institutionen einmal an Ort und
Stelle in Tschetschenien über die Lage informieren?
Vielleicht könnten Sie auch diesbezüglich mit Herrn
Kommissar Nielson sprechen – solange Dänemark den
Ratsvorsitz innehat, können Sie das ja auch in seiner
Muttersprache tun. Aber unabhängig davon wäre es
wichtig, dass hier ein offizieller Besuch stattfindet.
23/10/2002
3-264
Haarder, Rat. - (DA) Ich möchte Herrn Posselt für sein
Engagement und seinen Vorschlag danken. Ich kann
natürlich hier nicht im Namen des Rates sagen, wie die
Antwort ausfallen wird, aber ich bedanke mich für den
Vorschlag und kann im übrigen ergänzen, dass der Rat
sich natürlich mit den hier angesprochen Fragen intensiv
befasst.
3-265
Der Präsident. – Anfrage Nr. 15 von Paulo Casaca (H0638/02):
Betrifft:
Menschenrechte
Einer Meldung der Financial Times vom 8. Juli zufolge haben die
iranischen Regierungsstellen der stellvertretenden belgischen
Premierministerin Laurette Onkelinx in Teheran zu verstehen gegeben,
dass sie die Praxis der Steinigung von Frauen gutheißen, „um die
Unverletzlichkeit der Familie zu gewährleisten“ und Ehebruch zu
bestrafen.
Kann der Rat erklären, wie sich die Unterstützung dieser Praxis auf die
Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Iran ausgewirkt
hat, insbesondere unter Berücksichtigung des Vorrangs, den der Rat
wiederholt den Menschenrechten eingeräumt hat?
3-266
Haarder, Rat. - (DA) Der Rat kommentiert prinzipiell
niemals
Presseberichte.
Wenn
Kommentare
veröffentlicht werden, dann geschieht das durch die
Präsidentschaft. Was den betreffenden Besuch angeht,
möchte
ich
klarstellen,
dass
die
belgische
Vizepremierministerin, Frau Onkelinx, die Steinigung
während ihres Besuchs verurteilt hat. Und sie
wiederholte die Haltung der Europäischen Union hierzu,
um jedem Missverständnis in Bezug auf die Aussagen
während des betreffenden Gesprächs vorzubeugen.
Menschenrechtsfragen – insbesondere bestimmte
grausame Formen der Hinrichtung wie Steinigung –
waren immer ein wichtiges Thema in dem umfassenden
politischen Dialog, der im Rahmen halbjährlicher
Treffen zwischen dem Iran und der EU stattfindet. Beim
letzten Treffen in Teheran am 10. September 2002
wurden auch eine Reihe spezieller Probleme die
Menschenrechte betreffend behandelt. Außerdem
reagiert die EU auf solche Vorgänge regelmäßig mit
Stellungnahmen. Uns sind im Augenblick drei Fälle im
Iran bekannt, in denen eine Person zum Tode durch
Steinigen verurteilt worden ist. In allen drei Fällen ist
Berufung eingelegt worden, die Urteile sind also noch
nicht endgültig. Es besteht nicht der geringste Zweifel
daran, dass der Rat diese Vorfälle sehr genau verfolgen
wird.
Generell kann ich die Auskunft geben, dass die EU über
eine Initiative diskutiert hat, die das Ziel verfolgt, mit
dem Iran einen formellen Dialog über die
Menschenrechte einzuleiten – auf der Grundlage der
Leitlinien für Dialoge mit Drittländern, die vom Rat im
Dezember letzten Jahres gebilligt wurden. Erst diesen
Monat haben sich europäische und iranische
Menschenrechtsexperten
zu
einer
Reihe
Sondierungsgespräche in Teheran getroffen.
23/10/2002
Ich möchte noch hinzufügen, dass die Menschenrechte
einer von vier wesentlichen Bereichen sind, in denen der
Rat vor dem Hintergrund der Entwicklung enger
Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Iran
Fortschritte sehen möchte.
89
ist das völlig richtig. Es handelt sich dabei um einen
Dialog, bei dem einerseits etwas entschieden verurteilt
wird und man gleichzeitig versucht, Verbesserungen zu
erreichen.
3-269
Der Rat betonte am 21. Oktober, also vor einigen Tagen,
dass er es für sehr wichtig hält, dass ein Dialog über die
Menschenrechte dazu führt, dass konkrete Fortschritte
im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte erzielt
werden. Er hat daher beschlossen, einen solchen Dialog
auf der Grundlage der Bedingungen, des Zeitplans, der
Themen, der „Benchmark-Punkte“ – also der
Zielsetzungen
–
sowie
der
Auswahl
der
Gesprächspartner einzuleiten, die im Verlauf der
Untersuchungsmission im Iran besprochen wurden. Es
wurde ferner beschlossen, dass die erste Sitzung im
Rahmen des Dialogs noch in diesem Jahr in Teheran
stattfinden soll. Schließlich hat der Rat auf der
Grundlage einer Initiative der Präsidentschaft eine Reihe
von Fällen der letzten Zeit in mehreren Ländern
aufgegriffen, hierunter im Iran. Der Rat nahm am
30. September vor dem Hintergrund dieser Initiative eine
Erklärung über die Todesstrafe und besonders grausame
Formen der Hinrichtung an. In der Erklärung betont der
Rat erneut klar und unmissverständlich, dass die EU die
Todesstrafe ablehnt – insbesondere die Hinrichtung
durch Steinigung.
3-267
Casaca (PSE). – (PT) Frau Präsidentin, Herr
Ratspräsident! Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihre
direkte Antwort. Ich möchte Sie aber darauf hinweisen,
dass genau am Vorabend eines Besuchs von EUExperten im Iran im Oktober dort insgesamt fünf
öffentliche Hinrichtungen stattfanden, über die in der
gesamten Weltpresse berichtet wurde. Ich hoffe, der
Ratspräsident sagt jetzt nicht, dass er keine Kenntnis
davon hatte, was in der Presse stand. Solche Handlungen
sind ein eindeutiger Beweis für die Haltung der
iranischen Behörden, d. h. in ihrer Auffassung von
Menschenrechten keinen Schritt zurückzuweichen. In
den vergangenen drei Jahren hat sich die Zahl der
gemeldeten Hinrichtungen im Iran verdreifacht, und
unter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob die
Europäische Union nach all diesen systematischen
Menschenrechtsverletzungen ein Handelsabkommen mit
dem Iran abschließen wird? Das wollte ich gern von
Ihnen erfahren.
3-268
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, ich habe nicht
gesagt, dass ich – und der Rat – keine
Pressemitteilungen und Zeitungen lesen. Ich habe
gesagt, dass der Rat keine Pressemitteilungen
kommentiert. Das ist etwas völlig anderes.
Und mein lieber Kollege hat ohne Zweifel Recht mit der
Aussage, dass die Todesstrafe nicht nur theoretisch
existiert, sie wird im Iran auch angewandt. Das ist
zutiefst tragisch, aber der Rat hat eine Strategie
ausgearbeitet, die es erlaubt, mit Ländern, die diese
Strafe verhängen, trotzdem in einen Dialog über die
Menschenrechte einzutreten. Und meiner Meinung nach
Dupuis (NI). – (FR) Herr Ratsvorsitzender, ich denke,
dass Herr Casaca etwas ganz Spezielles angesprochen
hat. Es ging ihm nicht nur um die Todesstrafe, sondern
um die Todesstrafe durch Steinigung, die absolut
unannehmbar ist. Die Erfahrungen mit den
Assoziationsabkommen mit einigen Drittländern, vor
allem mit Ländern, die uns recht nahe sind, wie
Tunesien, zeigen, dass die Menschenrechtsklausel keine
Wirkung zeitigt, wenn es darum geht, die
Landesbehörden zu Fortschritten auf dem Weg zur
Demokratie, zum Rechtsstaat zu bewegen. Im Gegenteil,
sie haben dieses Assoziationsabkommen genutzt, um
ihre Macht auszubauen und mafiose Gruppen zu fördern,
die sich in der Wirtschaft des Landes und auch in
unserer Europäischen Union einen mehr oder weniger
großen Einfluss gesichert haben.
Glauben Sie nicht, dass der Vorschlag, ein
Assoziationsabkommen mit dem Iran abzuschließen, zu
genau der gleichen Situation führen wird, wie sie heute
zwischen der Europäischen Union und Tunesien besteht?
3-270
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, eine solche Frage
kann nicht allgemein beantwortet werden, aber wenn
man etwas wie eine Antwort wünscht, erweist es sich oft
als gut, die demokratischen Kräfte des betreffenden
Landes zu befragen.
3-271
Der Präsident. – Da die Fragestellerin nicht anwesend
ist, ist die Anfrage Nr. 16 hinfällig.
Anfrage Nr. 17 von Konstantinos Alyssandrakis (H0648/02):
Betrifft: Förderung von Polizeistaat-Praktiken
Denunziantentum in einer Veröffentlichung
EUROPOL
und
von
Einer Meldung der griechischen Zeitung „Rizospastis“
zufolge werden in einem Dokument von EUROPOL
über die „Besten europäischen Praktiken im Umgang mit
Informanten“ Richtlinien und Leitsätze veröffentlicht für
die „Rekrutierung und Behandlung“ von Informanten.
Diese
Leitlinien
beziehen
sich
u. a.
auf
Zahlungsmodalitäten und Höhe der Entlohung bis hin zu
persönlicher Immunität in gewissen Fällen; so sollen
Informanten nicht verhaftet werden, wenn sie innerhalb
eines gewissen Rahmens ein Verbrechen begehen, und
es soll ihnen auch die Beteiligung an verbrecherischen
Handlungen erlaubt sein, und zwar nach Genehmigung
durch eine gemäß diesen Richtlinien einzurichtende
Behörde.
Billigt der Rat diesen EUROPOL-Text, der eindeutig die
Menschenrechte und die Würde des Menschen
missachtet? Wird er unverzüglich Maßnahmen ergreifen,
90
um diese Tendenz zu Denunziantentum, Totalitarismus
und Ausspionierung der Privatsphäre der Bürger und
ihrer politischen, kulturellen, gewerkschaftlichen und
gesellschaftlichen
Tätigkeiten
sowie
ihrer
gewerkschaftlichen Vertretungen zu stoppen?
3-272
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, es tut mir leid,
dass ich mich so oft wiederholen muss, aber der Rat gibt
keine Kommentare zu Erklärungen in Medien ab. Ich
kann aber bestätigen, dass es ein Europol-Dokument
über das hier erwähnte Thema gibt. Dieses Dokument
beschreibt beispielhafte Praktiken für den Umgang mit
Informanten zwecks Unterstützung der Polizeibehörden
in den Mitgliedstaaten. Das Dokument ist nicht
verbindlich und wurde auf der Grundlage von Artikel 3,
Abs. 2, Buchstabe i) der Europol-Konvention erstellt. Es
beruht u. a. auf dem Beschluss des Exekutivkomitees
vom 29. April 1999 über allgemeine Grundsätze der
Vergütung für Informanten und auf dem Beschluss der
Zentralgruppe vom 22. März 1999 über allgemeine
Grundsätze der Vergütung für Informanten. Sie sind also
Bestandteile des ordnungspolitischen Rahmens der
Europäischen Union, vgl. das Protokoll zur
Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen
der Europäischen Union, und beide wurden im Amtsblatt
der Europäischen Gemeinschaften vom 22. September
2000 veröffentlicht. Der Einsatz von Informanten durch
die Polizei, hierunter Fragen der Vergütung und der
Immunität, ist natürlich auch abhängig von der Lage des
nationalen Rechts im jeweiligen Mitgliedsland.
3-273
Alyssandrakis
(GUE/NGL).
–
(EL)
Herr
Ratsvorsitzender! Ich bewundere die Klarheit Ihrer
Antwort, die wir sonst nicht so von Ihnen gewohnt sind.
Gleichzeitig erschaudere ich bei dem Gedanken, dass
wir von einem Netz von Spitzeln umgeben sind, und ich
frage mich, ob vielleicht die Klarheit in Ihrer Antwort
zum Ziel hatte, uns zu erinnern und zu warnen, dass wir
bei unseren kleinsten Vergehen unter ständiger Kontrolle
stehen. Da offensichtlich Europol die Spitzel
institutionalisiert, frage ich mich, ob es nicht vielleicht
auch ein festgelegtes Entlohnungssystem und öffentliche
Stellenanzeigen für diese Posten gibt, so dass sich
eventuell auch einige unserer arbeitslosen Jugendlichen
für diese Jobs bewerben könnten.
3-274
Haarder, Rat. - (DA) Herr Präsident, Europol ist ein
Gemeinschaftsorgan, das sich mit der Verfolgung
einiger der schlimmsten Straftaten befasst, gegen die
sich Demokratien schützen müssen. Ich halte es daher
nicht für angemessen, von einem „Spitzelstaat“ zu
sprechen. Von diesem Ausdruck möchte ich mich
distanzieren.
Europol wurde u. a. auf Wunsch dieses Parlaments und
des Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der
Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten gegründet,
die auch zum Teil um die Erweiterung der Kompetenzen
ersucht haben. Ein Grund dafür ist, dass die Aufgabe
von Europol darin besteht, die Bürger zu schützen, nicht
ihnen Unannehmlichkeiten zu bereiten.
23/10/2002
3-275
Der Präsident. – Da die für die Fragestunde
vorgesehene Redezeit erschöpft ist, werden die Anfragen
Nr. 18 bis 37 schriftlich beantwortet8.
(Die Sitzung wird um 19.35 unterbrochen und um 21.00
Uhr wieder aufgenommen.)
3-277
VORSITZ: ALONSO JOSÉ PUERTA
Vizepräsident
3-278
Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste
3-279
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die
Aussprache über den Bericht (A5-0298/2002) von Herrn
Lisi im Namen des Ausschusses für Regionalpolitik,
Verkehr und Fremdenverkehr über den Vorschlag für
eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des
Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichsund Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der
Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer
Verspätung von Flügen (KOM(2001) 784 - C50700/2001 - 2001/0305(COD)).
3-280
De Palacio, Kommission. – (ES) Herr Präsident, ich
freue mich über die Gelegenheit, dem Parlament diesen
wichtigen Vorschlag unterbreiten zu können. Er ist
Bestandteil unserer Politik, dem Verkehr ein
menschliches Antlitz zu verleihen, das heißt, uns um die
Rechte der Bürgerinnen und Bürger, die Rechte der
Reisenden zu kümmern, wie wir in unserem Weißbuch
angekündigt hatten.
Flugreisenden fällt es schwer, eine Verweigerung der
Beförderung zu akzeptieren. Sie haben den Flugschein
bezahlt, ihren Platz reserviert und sind pünktlich zur
Abfertigung auf dem Flughafen erschienen, um dann zu
hören, dass es im Flugzeug keine Plätze mehr gibt, weil
die Fluggesellschaft den Flug überbucht hat oder ein
anderer Zwischenfall eingetreten ist. Dies ist
Bürgerinnen und Bürgern unbegreiflich, ruft große
Verwirrung, ein Frustrationsgefühl und schließlich Groll
hervor. In der Gemeinschaft sind nahezu 250 000
Personen jährlich damit konfrontiert, dass ihnen – nach
Bezahlung des Flugscheins und Erledigung aller
Formalitäten – die Beförderung verweigert wird.
Wenngleich die Europäische Gemeinschaft anerkannte,
dass die Fluggesellschaften für die Bewirtschaftung ihrer
Kapazitäten flexibel sein müssen, nahm sie 1991 – kurz
vor
der
Verabschiedung
des
endgültigen
Liberalisierungsgesetzes – eine Verordnung über die
überbuchungsbedingte Nichtbeförderung an, die den
betroffenen Reisenden eine Ausgleichszahlung und
darüber hinaus eine Betreuung gewährleistet, die jedoch
sehr begrenzt ist. Deshalb hat die Kommission eine neue
Verordnung vorgeschlagen, um die Zahl der
nichtbeförderten Personen drastisch zu senken und den
Schutz für die Betroffenen zu verbessern.
8
Siehe Anlage „Fragestunde“.
23/10/2002
Beabsichtigen die Fluggesellschaften, die Beförderung
zu verweigern, so werden sie zunächst verpflichtet sein,
Freiwillige zu suchen, die gegen eine bestimmte
Vergünstigung auf ihre Plätze verzichten; nur wenn sich
nicht genügend Freiwillige finden, kann die Beförderung
der Fluggäste gegen deren Willen verweigert werden.
Damit die Verordnung wirkungsvoll ist, muss sie einen
starken Anreiz für einen freiwilligen Rücktritt schaffen.
Daher haben wir eine kräftige Anhebung der
Entschädigung vorgeschlagen, die über das derzeitige
Niveau hinausgeht, das teilweise von der Inflation
absorbiert wurde und das heute die Fluggesellschaften
nicht abschreckt, die Beförderung zu verweigern.
Gelingt es den Fluggesellschaften, Freiwillige zu finden,
zahlen sie diese Entschädigung natürlich nicht. Was die
genauen Beträge angeht, so ist der Standpunkt der
Kommission flexibel, sie müssen aber so erheblich sein,
dass sie die Gesellschaften veranlassen, Freiwillige zu
suchen.
Unser Vorschlag wird auch die Beschränkungen der
bestehenden Verordnung aufheben. Zunächst wird die
Anwendung der Rechte der nichtbeförderten Passagiere
auf alle jene Fluggäste erweitert, deren Flüge gestrichen
werden. Letztendlich kommt eine Annullierung einer
Beförderungsverweigerung für den gesamten Flug
gleich. Allerdings betrifft dies nur jene Annullierungen,
für die die jeweilige Fluggesellschaft verantwortlich ist,
denn es wäre natürlich gegebenenfalls ungerecht, die
gesamte Haftung auf die Gesellschaft zu übertragen.
Des Weiteren schafft die vorgeschlagene Verordnung
grundlegende Rechte für die Reisenden, die
Verspätungen in Kauf nehmen müssen, indem sie ihnen
gestattet, die Reise auf andere Art und Weise zu
organisieren, anstatt für unbestimmte Zeit auf den
Flughäfen zu warten. In diesem Fall haben sie jedoch
keinen Anspruch auf Entschädigung. Schließlich wird
unser Vorschlag alle diese Rechte für die Fluggäste
sowohl bei Linien- als auch bei Charterflügen gewähren.
Deshalb werden die Pauschalreisenden davon genauso
profitieren wie die Passagiere, die nur einen Flugschein
kaufen. Es wäre nicht gerecht, die Fluggäste
unterschiedlich zu behandeln, wenn sie mit gleichartigen
Schwierigkeiten konfrontiert sind.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dies sind die
wesentlichen Punkte unseres Vorschlags, der den Schutz
der Fluggäste bei Problemen mit den Flügen in hohem
Maße erweitert und zu einer beträchtlichen
Verbesserung der Servicequalität beiträgt und somit die
Garantien für die Bürger erhöht.
3-281
Lisi (PPE-DE), Berichterstatter. – (IT) Herr Präsident,
Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In
diesen schwierigen Zeiten für die Zivilluftfahrt, über
deren Zukunft wir vor kurzem in diesem Hohen Haus im
Zusammenhang mit den Vorschriften über den
einheitlichen europäischen Luftraum beraten haben, hat
die Europäische Kommission eine neue Verordnung für
91
Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im
Falle der Nichtbeförderung vorgeschlagen.
Die Liberalisierung des Luftverkehrs hat den Fluggästen
zahlreiche Vorteile gebracht. Die Konkurrenz auf vielen
Flugrouten hat zu einer Senkung der Preise sowie einer
Diversifizierung der Strecken und Zielorte geführt.
Trotzdem haben die Verbraucher triftige Gründe, sich zu
beschweren. Nichtbeförderung und Annullierungen von
Flügen führen zu einer tiefen Enttäuschung, und die
Betreuung bei übermäßigen Verspätungen lässt sehr oft
zu wünschen übrig.
Aufgrund der Vielzahl von Flügen, die wir absolvieren,
haben viele unter uns
Abgeordneten diese
Schwierigkeiten am eigenen Leibe erfahren, weshalb es
uns nicht schwer fällt, uns in die Lage der Bürger zu
versetzen und zu begreifen, dass eine tatsächliche
Wahrung ihrer Rechte durch eine neue Rechtsvorschrift
gewährleistet werden muss.
In Anbetracht der Mängel der geltenden Vorschriften
schlägt die Kommission nun vor, das Problem anders
anzugehen: einerseits durch einen „Appell an
Freiwillige“, in Anlehnung an das wirksame System der
Vereinigten Staaten, und andererseits durch ein System
der Abschreckung, das die Gesellschaften verpflichtet,
den Fluggästen einen höheren Ausgleich für den
entstanden Schaden zu gewähren. Außerdem wird, wie
wir gleich sehen werden, der Schutz wesentlich
erweitert.
Gleichwohl dürfen wir den Gesamtzusammenhang, in
dessen Rahmen dieser Vorschlag unterbreitet wird, nicht
außer Acht lassen. Im Ausschuss für Regionalpolitik,
Verkehr und Fremdenverkehr haben wir eine äußerst
konstruktive Debatte geführt und dabei das Problem von
allen Seiten beleuchtet.
Wie die Frau Kommissarin soeben in Erinnerung
brachte, ist die Überbuchung, d. h. die Hauptursache der
Nichtbeförderung, verglichen mit dem jährlichen Strom
von Flugpassagieren im Gemeinschaftsraum eher eine
Randerscheinung.
Um eine kleine Gruppe von Fluggästen stärker zu
schützen, darf man jedoch keine Bestrafung des
gesamten Spektrums der Reisenden durch eine etwaige
generelle Erhöhung der Preise riskieren. Wir müssen
sehr vorsichtig vorgehen und die besten Lösungen für
die Erreichung des Ziels auch unter dem Aspekt der
wirtschaftlichen Auswirkungen genau ermitteln, ohne
dass es zu negativen Begleiterscheinungen kommt.
Unter diesem Blickwinkel, Frau Kommissarin, muss ich
leider kritisieren, dass die Kommission zur
Untermauerung ihres Vorschlags nur ungenügende
statistische Angaben geliefert hat. Um zu entscheiden,
benötigen wir konkrete Daten und Fakten, und dieser
Mangel hat mir mit Sicherheit nicht wenige Probleme
bei der Ausarbeitung meines Berichts bereitet.
92
Ich fasse nun die wichtigsten Argumente zusammen, die
wir im Hinblick auf die Formulierung des endgültigen
Dokuments herausgearbeitet haben. Das erste betrifft die
Definitionen. Unter methodologischen Gesichtspunkten
halte ich es für wesentlich, alle beteiligten Akteure und
die verwendeten Begriffe genauer zu definieren, um
jedwede Verwechselung zum Nachteil sowohl der
Fluggäste als auch der Fluggesellschaften zu vermeiden.
In diesem Sinne wurden einige Änderungsanträge
angenommen, die auf eine genauere Präzisierung der
Begriffe von Artikel 2 abzielen.
Der zweite Punkt betrifft die Reiseunternehmen.
Passagiere, die eine Pauschalreise gebucht haben,
werden bereits durch die Richtlinie 90/314 mehr als
zufriedenstellend geschützt. Der Vorschlag der
Kommission könnte daher Verwirrung in Bezug auf den
Referenztext stiften, was hauptsächlich den Fluggästen
zum Nachteil gereichen würde; deshalb war es
notwendig – wie wir es getan haben –, die Haftung der
Reiseunternehmen im Rahmen dieser Verordnung auf
die seats-only-Passagiere zu beschränken.
Und nun zum strittigsten Punkt, nämlich der
Entschädigung der Fluggäste
im Falle
der
Nichtbeförderung. Der Vorschlag der Kommission hat
zahlreiche Diskussionen und viel Verunsicherung
hervorgerufen. Weder die für die Bestimmung der neuen
Entschädigungen festgelegten Kriterien noch die
Bewertung der Auswirkungen haben die Mitglieder des
Verkehrsausschusses überzeugt. Für uns kommt es
darauf an, das Gleichgewicht zwischen dem Schutz der
Fluggäste und der Dynamik eines so wichtigen
Wirtschaftssektors wie dem des Luftverkehrs zu wahren.
Deshalb haben wir eine Einteilung in drei
Entfernungskategorien und eine Senkung des Betrags für
die Entschädigungen vorgeschlagen. Wir müssen uns
nämlich vergegenwärtigen, dass wir nicht so sehr auf die
Entschädigungen, sondern mehr auf die Verwirklichung
des freiwilligen Systems abzielen müssen.
Außerdem
halte
ich
die
Ausdehnung
der
Entschädigungen auf die übermäßigen Verspätungen für
völlig unangebracht, und zwar aus mehreren Gründen:
Erstens, weil es nicht leicht ist, sofort die Ursache der
Verspätung zu ermitteln, und zweitens, weil dies eine
Kettenreaktion von Verspätungen auslösen würde. Diese
Gleichsetzung ist deshalb abzulehnen, während die
zwischen der Nichtbeförderung und der Annullierung
äußerst angezeigt ist.
Vielmehr müssen wir sicherstellen, dass im Falle von
Verspätungen sowohl hinsichtlich der Information als
auch
der
Logistik
eine
systematische
und
menschenwürdige
Betreuung,
insbesondere
für
Menschen mit Behinderungen und Kinder, gewährleistet
wird, und in dieser Richtung haben wir mehrere
Änderungsanträge angenommen.
Abschließend möchte ich nur noch schnell etwas zu den
eingereichten Änderungsanträgen sagen: Sie zeigen, dass
die Diskussion zwischen denen, die einen höheren, und
denen, die einen niedrigeren Betrag für die
23/10/2002
Entschädigungen anstreben, noch nicht abgeschlossen
ist. Sicher besteht gegenwärtig nur eine gewisse
Unzufriedenheit sowohl seitens der Fluggesellschaften
als auch der Verbraucher mit unserem Vorschlag,
weshalb ich, Frau Kommissarin, Grund zu der Annahme
habe, der von uns erzielte Kompromiss stellt, vielleicht
gerade weil er alle unzufrieden stimmt, die denkbar
ausgewogenste und weiseste Lösung dar.
3-282
Whitehead (PSE), Verfasser der Stellungnahme des
Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und
Verbraucherpolitik. – (EN) Herr Präsident, ich möchte
als Erstes Herrn Lisi zu seinem Bericht gratulieren. Herr
Lisi hat in der Zeit, in der er seinen Bericht erstellte, im
Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und
Verbraucherpolitik an den Diskussionen über meine
Stellungnahme teilgenommen und viele der dort
angesprochenen Punkte in seinen Bericht aufgenommen.
Unsere Positionen weichen wirklich nur geringfügig
voneinander ab, aber ich möchte noch einmal auf die
einzelnen Punkte eingehen. Wie Herr Lisi sagte,
sprechen die Mitglieder hier in diesem Haus über viele
Themen, über die sie nur unzureichende Kenntnisse
besitzen, aber wir alle betrachten uns selbst als Experten,
wenn es um die Probleme des Reiseverkehrs geht. Mit
diesen Problemen sind wir in unserem Arbeitsleben
konfrontiert. Deshalb wurde der Vorschlag von Frau de
Palacio, die Verordnungen von 1991 nicht nur im
Hinblick auf die Nichtbeförderung, sondern auch auf die
Verspätung oder Annullierung von Flügen zu ändern,
sehr positiv aufgenommen.
Wir sind uns darin einig, dass eine, wie wir es nennen,
Hierarchie der Ausgleichsleistungen gelten muss, die mit
Entschädigungszahlungen, abhängig von der Länge der
Strecke beginnt. Ich glaube, dass die meisten
Fluggesellschaften positiv auf diese Debatte reagiert und
mit
der
Fluggast-Verpflichtung
bereits
Kooperationsbereitschaft
gezeigt
haben.
Den
Fluggesellschaften, die hier eine Außenseiterposition
einnehmen und dies alles ignorieren – wir kennen ihre
Zielflughäfen, auch wenn wir nicht immer wissen, wo
ihr eigentlicher Standort ist –, möchte ich sagen, dass sie
gut beraten sind, die Stimmung in der Öffentlichkeit
ernst zu nehmen. Auch wer keine Serviceleistungen
anbietet, sollte die Rechte der Verbraucher
berücksichtigen.
In unserer Stellungnahme wird eine Änderung zu Artikel
7 vorgeschlagen, nach der die Höhe der
Entschädigungszahlung auf der Grundlage einer
besonderen Prüfung der Auswirkungen festgelegt
werden sollte, damit nicht behauptet werden kann, diese
Entschädigung würde leichtfertig verlangt. Ich muss
sagen, dass die Höhe der Entschädigung im Bericht von
Herrn Lisi stark von dem abweicht, was wir in Artikel 7
gefordert haben. Wir wollten eine obligatorische
Entschädigung zwischen 300 und 1 500 EUR, abhängig
von der Entfernung und der Prüfung der Auswirkungen.
Diese Beträge wurden auf zwischen 200 und 600 EUR
reduziert, aber ich räume ein, dass dies bereits ein
Fortschritt für die Verbraucher ist. Ich bin jedoch
23/10/2002
weiterhin besorgt darüber, dass diese Regelung nicht
unbedingt in den in Änderungsantrag 31 genannten
Fällen gilt, in dem auf Artikel 9 und nicht auf Artikel 8
verwiesen wird. Vielleicht kann Frau de Palacio mir
zusichern, dass diese Änderungen zur Anwendung
kommen werden.
Abgesehen von diesen Punkten haben Herr Lisi und sein
Ausschuss durch ihre Arbeit den Schutz der Verbraucher
verbessert und uns die Möglichkeit gegeben, nun ein
Rankingsystem für Luftfahrtunternehmen einzuführen.
Es wäre sehr erfreulich, wenn dieses System auf alle
Luftfahrtunternehmen, auf alle Flüge und alle Probleme
angewandt werden könnte. Jeden Tag gibt es neue
Horrormeldungen. Bei einer britischen Fluggesellschaft
musste eine Frau während eines elfstündigen Flugs
neben einer drei Zentner schweren Mitreisenden
ausharren, die den ganzen Flug über mehr auf ihr als
neben ihr saß. Sie zog sich dabei ernste Verletzungen zu,
und als Entschädigung wurden ihr von der
Fluggesellschaft zunächst 15 GBP angeboten. In diesem
Fall könnte man sagen, dass der Flug mit einer
gesundheitlich beeinträchtigten Person begann und mit
zwei
endete.
Durch
unsere
Reisen
sollten
Beeinträchtigungen gemildert, nicht verstärkt werden.
Ich begrüße diesen Bericht als Schritt in diese Richtung.
3-283
Foster (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, ich möchte
zunächst meinem Kollegen, Herrn Lisi, für seine
schwierige Arbeit an diesem Bericht danken. Ich
schließe mich seinen Ausführungen an.
Generell möchte ich anmerken, und damit widerspreche
ich der Position der Kommission, dass dieser Bericht für
uns eine unerfreuliche Überraschung war, nicht zuletzt,
weil im vergangenen Jahr ein Bericht über die
Fluggastrechte von Herrn Collins im Ausschluss
gebilligt wurde, mit dem sich das Parlament mit
überwältigender
Mehrheit
für
freiwillige
Vereinbarungen ausgesprochen hatte. Außerdem erfolgte
keine Konsultation über dieses Thema mit den
Luftverkehrsunternehmen, und es wurde keine
umfassende Prüfung der wirtschaftlichen Auswirkungen
durchgeführt. Daten über die voraussichtlichen Kosten
für die Reiseunternehmen sind nicht vorhanden; eine
Prüfung
der
Auswirkungen
auf
die
Wettbewerbsfähigkeit - sowohl zwischen EUReiseunternehmen als auch im Vergleich zu anderen
Reiseunternehmen - wurde nicht durchgeführt noch
liegen Informationen über die direkten Auswirkungen
und die Folgen dieser Rechtsvorschriften vor.
Die
Vereinbarung
über
die
freiwillige
Selbstverpflichtung
zur
Verbesserung
der
Dienstleistungen für Fluggäste wurde im Februar in
Straßburg unterzeichnet. Fast alle europäischen
Fluggesellschaften haben sich dieser Vereinbarung
angeschlossen. Darin wird auf mehrere Punkte
verwiesen, die in diesem Vorschlag enthalten sind und
die sich auf Verspätungen, Annullierungen und
Umleitungen, Fluggäste mit besonderen Bedürfnissen,
93
Reduzierung
der
Anzahl
der
zwingenden
Nichtbeförderungen und so weiter beziehen.
Warum also haben sich Herr Collins und unser
Ausschuss darum bemüht, die Zustimmung des
Parlaments zu seinem Bericht zu erhalten, wenn die
Kommission bereits einen Legislativvorschlag in der
Schublade hatte? Die Vereinbarung über die freiwillige
Selbstverpflichtung ist nicht gescheitert, sie ist noch gar
nicht zum Einsatz gekommen. Mit dieser Debatte
unterminieren wir und die Kommission die freiwillige
Selbstverpflichtung weiter.
Der Vorschlag weist in einigen Schlüsselbereichen
Mängel auf: der grundlegende Unterschied zwischen
Liniendiensten und Nichtliniendiensten wird nicht
anerkannt; die Pauschalreiserichtlinie, durch welche die
Rechte von Charterpassagieren sichergestellt werden,
wird zum Beispiel nicht berücksichtigt. Der Vorschlag
bezieht sich insbesondere auf Annullierungen und große
Verspätungen, und dies ist auch der Grund für die durch
unseren Ausschuss unterstützte Einbeziehung der
Reiseunternehmen.
Im Vorschlag wird außerdem weder der Anteil der
Zwischenfälle aufgrund von Mängeln bei den
Monopolanbietern,
wie
zum
Beispiel
Flugverkehrskontrolle und Flughäfen, berücksichtigt,
noch die Tatsache, dass die Fluggesellschaften dafür
keine Entschädigungsleistungen erhalten.
Da die Flugpreise in den letzten zehn Jahren gesunken
sind, macht die vorgeschlagene Anhebung der
Ausgleichsleistungen für Nichtbeförderung unglaubliche
400 % aus. Wenn die Ausgleichsleistungen auf diesem
Niveau blieben, würde diese Verordnung bei den
Liniengesellschaften Kosten in einer Größenordnung
von etwa 1,35 Milliarden EUR verursachen. Die vielen
regionalen und Billigfluggesellschaften wären stärker
betroffen, da ihre Gewinnspannen sehr viel niedriger
sind. Hinzu kommt, dass keine dieser Bestimmungen für
Fluggesellschaften aus Drittländern gilt. Wir in Europa
werden erneut unter den Auswirkungen der ungleichen
Wettbewerbsvoraussetzungen zu leiden haben, und dies
ist ein weiteres Beispiel, bei dem die Kommission völlig
überzogen reagiert.
Zum Abschluss möchte ich darauf hinweisen, dass wir
durch die Arbeit unseres Berichterstatters eine
vernünftigere und realistischere Lösung erreicht haben.
Ich hoffe, dass die Kommission auf das Parlament hören
und entsprechend handeln wird.
Die Bürger erwarten zu Recht einen guten
Kundenservice und verdienen diesen Service auch, aber
dieser Vorschlag geht zu weit.
3-284
Stockmann (PSE). - Herr Präsident, Frau Kommissarin,
liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Dank gilt dem
Berichterstatter. Der im Ausschuss gefundene
Kompromiss ist aus unserer Sicht ein großer Schritt hin
zu mehr Verbraucherschutz. Endlich gibt es
94
Rechtssicherheit auch in weiteren Fragen und nicht nur
freiwillige Selbstverpflichtungen der Fluggesellschaften.
Außerdem wird die Regelung ja auch auf größere
Verspätungen und Annullierungen von Flügen
ausgeweitet. Ich war nicht selten Opfer von
Annullierungen bei der ehemaligen Sabena. Andere
Kollegen haben sicher vergleichbare Erfahrungen mit
anderen Airlines. Nicht zuletzt verdoppeln wir die
gegenwärtige
Entschädigungshöhe,
die
dazu
differenzierter als bisher in drei Stufen gestaffelt ist.
Am größten ist sicher unser Diskussionsbedarf bei der
Höhe der Entschädigungen. Das Ziel der Verordnung
kann nicht die Abschaffung der Praxis des overbooking
sein,
sondern
ein
angemessenerer
und
verbraucherorientierterer
Umgang
mit
diesem
Verfahren. Natürlich kann man das overbooking auch
abschaffen, wie das die low cost carrier tun, wenn
andererseits das Umbuchen von Flügen aufgehoben
würde und ein Flug bei Nichtantritt automatisch verfiele.
Aber das ist weder verbraucherfreundlich noch
ökologisch vertretbar. Die Verbraucher brauchen
Flexibilität bei der Reiseplanung und ökologisch machen
halbleere Flugzeuge keinen Sinn.
Noch evidenter ist die ökonomische Argumentation.
Eine Erhöhung der Flugpreise wäre bei einem Streichen
des overbooking zwangsläufig und kann weder den
Verbrauchern noch den Fluggesellschaften, und zwar im
internationalen Wettbewerb, zugemutet werden.
Aus unserer Sicht können wir den im Ausschuss
gefundenen Kompromiss bei der Höhe der
Entschädigung auch deshalb mittragen, weil es für die
Verbraucher wichtig ist, dass sie diese verbesserte und
verbindliche Regelung möglichst schnell bekommen und
nicht Jahre auf sie warten müssen, weil die
Gesetzgebung, wie so oft, beim Rat liegen bleibt.
Aus Verbrauchersicht stimmt meine Fraktion gegen
einen Teil des Änderungsantrags 29, weil wir eine
Entschädigung für die Annullierung von Flügen erst ab
48 Stunden vor dem Abflug für unangemessen halten.
Hier sind mindestens zwei Wochen erforderlich, die mit
Rat und Kommission nachverhandelt werden sollten.
Außerdem halten wir die Einbeziehung der
Pauschalreisen im Kommissionsvorschlag für nicht
erforderlich, weil sie durch die Pauschalreiserichtlinie
abgedeckt sind.
Es ist ein starkes Votum für den Verbraucher, dass der
Ausschuss
für
Regionalpolitik,
Verkehr
und
Fremdenverkehr für die Einführung eines Rankings der
Benutzerfreundlichkeit unter den Fluggesellschaften
plädiert hat. Ein solches Ranking, wie es in den USA
gang und gäbe ist, kann einen Qualitätswettbewerb
zwischen
den
Fluggesellschaften
um
den
verbraucherfreundlichsten Gesamtservice mitverstärken
helfen. Ich hoffe, dieser Vorschlag hat auch im Plenum
Bestand.
Vor dem Hintergrund der jetzigen Situation stellt der
Bericht einen energischen Schritt in Richtung auf mehr
23/10/2002
Verbraucherfreundlichkeit
dar.
Manche
Verbraucherträume fliegen zwar weiter, sind aber heillos
überbucht.
(Beifall)
3-285
Vermeer (ELDR). – (NL) Ich gehe mit dem
Berichterstatter im Wesentlichen konform, jedenfalls im
Hinblick auf den ursprünglichen Vorschlag der
Kommission. Vor allem bei den Überbuchungen war es
höchste Zeit für eine verbesserte Regelung. Im Falle der
Annullierungen und Verspätungen von Flügen ist der
Kommissionsvorschlag meines Erachtens jedoch völlig
unzulänglich.
In
diesem
Bereich
werden
Fluggesellschaften für ein Problem haftbar gemacht, das
überwiegend beim Luftverkehrsmanagement und bei den
Luftfahrtbehörden liegt. Meine Bedenken beruhen auf
folgenden Gründen.
Dem Kommissionsvorschlag liegt keine solide
wirtschaftliche Folgenabschätzung zugrunde, und die
Konsequenzen der Maßnahme für den Sektor sowie
insbesondere für die Preise der Flugtickets bleiben
unberücksichtigt. Obgleich der Vorschlag mehr Schutz
bietet, schränkt er die freie Wahl des Verbrauchers ein.
Die sowohl von der Kommission als auch von unserem
eigenen Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und
Fremdenverkehr formulierte Definition des Begriffs
höhere Gewalt bietet keine ausreichende Gewähr,
zwischen Verspätungen und Annullierungen von Flügen,
die nicht den Luftfahrtunternehmen anzulasten sind,
richtig unterscheiden zu können. Zwar kann
argumentiert
werden,
die
Luftfahrtunternehmen
brauchten sich nur bei der betreffenden Partei schadlos
zu halten, in der Praxis ist dies jedoch nicht
durchführbar. Zumindest im Falle von Billiganbietern
oder Regionalfluggesellschaften wäre es eventuell
besser, den Verbraucher selbst entscheiden zu lassen, auf
den Preis eines Flugscheins einen Zuschlag zu zahlen.
Vielleicht kann er sich dann gegen die Annullierung von
Flügen selbst versichern. Diese Option könnte ohne
weiteres vom Sektor selbst eingeführt werden. Der
Kommission möchte ich nun noch einige Fragen stellen.
Kann die Kommission bestätigen, dass sie beabsichtigt,
eine eingehende Prüfung der wirtschaftlichen
Auswirkungen und Folgen ihres Vorschlags, der
Kostensteigerungen für die Luftfahrtunternehmen und
der neuen Luftfahrttarife in den verschiedenen
Segmenten des Luftfahrtmarktes vorzunehmen? Kann
die Kommission bestätigen, dass sie gedenkt, die
wirklichen Ursachen für annullierte und verspätete Flüge
untersuchen zu lassen, um einen besseren Einblick zu
gewinnen,
inwieweit
die
Gründe
von
den
Luftfahrtunternehmen zu vertreten sind? Hat die
Kommission ferner sonstige politische Maßnahmen
erwogen, um die Rechte von Fluggästen gegenüber
ihrem jetzigen Vorschlag noch weiter verbessern zu
können? Eine Reiseversicherung für Annullierungen und
Verspätungen von Flügen könnte eine mögliche Lösung
sein.
23/10/2002
Wir haben hier im Parlament weitere Debatten und
weitere Diskussionen erlebt. Die von mir eingereichten
Änderungsanträge stellen eine notwendige Ergänzung
im Hinblick auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen
Ticketpreis und Ausgleichsleistung dar. In meinem
ersten Antrag geht es um die Nichtbeförderung und die
Annullierung von Flügen. Ich schlage vor, neben dem
vernünftigen Kompromiss noch für eine weitere Klasse
von Flugscheinen unter 200 EUR eine andere Regelung
zu treffen. Das gilt sowohl für die Nichtbeförderung als
auch für die Annullierung. Mein zweiter Antrag betrifft
die Flüge aus Drittländern, die Frau Foster bereits
angesprochen hat, und er entspricht damit ihren
Wünschen. Genau darum geht es in meinem
Änderungsantrag, und deshalb erwarte ich bei der
morgigen Abstimmung Ihre Unterstützung.
3-286
Maes (Verts/ALE). – (NL) Herr Präsident!
Selbstverständlich ist es durchaus erfreulich, dass die
Preise nach der Liberalisierung gesunken sind, nie zuvor
sind jedoch Flugreisende so häufig Leidtragende von
Annullierungen,
Nichtbeförderung,
großen
Verspätungen, verloren gegangenem Gepäck und
dergleichen mehr geworden. Auch dass man in einem
Flugzeug wie Sardinen zusammengepfercht sitzt, ist
noch ziemlich neu. Sie haben deshalb Recht, es mussten
dringend Maßnahmen ergriffen werden. Meines
Erachtens sollten diese Missbräuche allesamt abgestellt
werden. Gleichwohl verstehe ich, dass dies nicht so
drastisch
geschehen
kann.
Die
von
den
Fluggesellschaften zu zahlenden Ausgleichsleistungen
müssen jedenfalls hoch genug sein, um abschreckend zu
wirken. Dies gilt insbesondere für ein auf Freiwilligkeit
basierendes System, das nicht so attraktiv sein darf, um
der Praxis der Überbuchung auch noch Vorschub zu
leisten. Deshalb hoffe ich, Sie werden unseren
Änderungsanträgen zur Erhöhung der konkreten
Entschädigungsbeträge und zur Einführung einer
Klassifizierung nochmals Ihr besonderes Augenmerk
schenken. Denken Sie nur daran, dass wir selber bei
unseren Flügen einige Male die Erfahrung gemacht
haben, dass unser Gepäck bei der Ankunft fehlte.
Welche Gesellschaft ist denn eigentlich noch
verbraucherfreundlich? Sollte diese Ergänzung nicht
mittels eines getrennten Änderungsantrags möglich sein,
so möchte ich Herrn Lisi fragen, ob er in seinem Bericht
nicht eine solche Klassifizierung, sei es alle 5 Jahre,
aufnehmen könnte. Hoffentlich werden letzten Endes
auch für Bahnreisende und für alle diejenigen
Entschädigungen eingeführt, die praktisch Opfer von
hohen Preisen und schlechtem Service sind.
95
Prinzip der Freiwilligkeit zu nutzen, dass die
Fluggesellschaft also durch ein Angebot an den
Einzelnen denjenigen heraussucht, der nicht dringend
mit dem nächsten Flugzeug fliegen muss, sondern auch
das übernächste nehmen kann. Es ist richtig, in Amerika
wurden mit dem Prinzip der Freiwilligkeit gute
Erfahrungen gemacht. Wenn es aber nicht genügend
Freiwillige gibt, und alle nach Hause oder zum
Geschäftstermin wollen und jemand nicht befördert
wird, dann muss es einen gesetzlichen Anspruch für
diesen Passagier geben. Denn er hat einen Flug gebucht,
er hat ein O.K. auf seinem Ticket, und dann muss er
einen Anspruch haben, befördert zu werden. Wenn die
Fluggesellschaft aus wirtschaftlichem Interesse heraus
überbucht, weil sie weiß, dass es viele no shows gibt,
dann muss sie, wenn sie die Buchungsgarantie nicht
einhalten kann, dafür zahlen. So einfach ist das. Denn
der Passagier hat die Gewissheit, dass er mitkommt,
wenn er ein O.K. auf seinem Flugticket hat, und wenn
das nicht der Fall ist, muss die Fluggesellschaft zahlen.
Frau Kommissarin, Sie waren natürlich ein bisschen hart
hinsichtlich der Höhe der Zahlungen. Meine Kollegin
Foster, mit der ich nicht immer übereinstimme, hat etwas
durchaus Richtiges bemerkt. Die Flugpreise sind in den
letzten Jahren gesunken, und deshalb ist die
Argumentation, wir müssten die Entschädigung sehr
hoch ansetzen, um die Kostensteigerungen der letzten
Jahre zu berücksichtigen, natürlich nicht ganz richtig,
denn es hat Senkungen bei den Flugpreisen gegeben. Die
meisten von uns jedenfalls kennen das ausgeklügelte
System von Sondertarifen, mit dem man gut und sicher
zu günstigeren Tarifen als den vorgeschriebenen fliegen
kann. Insofern haben Sie bitte Verständnis dafür, dass
wir die Entschädigung abgesenkt haben auf eine Höhe,
die wir als wirtschaftlich fair erachten.
Wir sind der Auffassung, wenn man zu hohe
Entschädigungen für die Passagiere auszahlt, die nicht
mitgenommen werden, werden die Fluggesellschaften
diese Kosten auf alle Passagiere umlegen, und dann wird
es ein allgemein höheres Preisniveau geben, was mehr
Leute trifft als die Nichtbeförderung.
Jarzembowski (PPE-DE). - Herr Präsident, liebe Frau
Vizepräsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst erlauben Sie mir zu bestätigen, dass die
Mehrheit der EVP-ED-Fraktion natürlich den Vorschlag
der Kommissarin unterstützt, allerdings mit den
wesentlichen Verbesserungsvorschlägen des Kollegen
Lisi.
Meinen Kollegen von der Liberalen Fraktion - wir sind
meistens auf einer Linie, aber heute einmal nicht - sage
ich: Wir müssen die Entschädigung pauschal festsetzen,
und zwar aus zwei Gründen. Erstens, der Schaden, wenn
jemand nicht befördert wird, ist immer derselbe, ob er
nun 150, 500 oder mehr Euro für sein Ticket bezahlt hat.
Er hat die Garantie bekommen, dass er mitfliegen darf,
und er wird stehen gelassen. Da spielt es gar keine Rolle,
welchen Preis das Ticket hatte. Ihm ist ein
Vertrauensschaden zugefügt worden, und mehr als das.
Deshalb glaube ich, müssen auch low cost carrier - die
ja gar keine Probleme mit overbooking haben, da sie ja
gar nicht mehr Passagiere mitnehmen, als gebucht haben
- dem Passagier den Schaden ersetzen, wenn sie aus
wirtschaftlichen Gründen einen Flug streichen, und sie
tun dies offensichtlich öfter.
Der Vorschlag geht durchaus zweistufig vor. Er
appelliert zunächst an die Fluggesellschaften, das
Wir müssen einheitliche Tarife haben, um den armen
Mitarbeitern am Flughafen ihre Arbeit zu erleichtern.
3-287
96
Denn wir wollen, dass die Entschädigung am Gate
ausgezahlt wird, wenn ein Fluggast nicht befördert wird
oder wenn ein Flug gestrichen wird. Sie können wirklich
nicht von der armen Bordstewardess verlangen, dass sie
Tausende von Preisen ausrechnet, und die Leute warten,
bis sie die einzelnen Entschädigungen ausgerechnet hat.
Ich glaube also, dass unser Vorschlag ganz vernünftig
ist.
Erlauben Sie mir im Sinne meiner Kollegin, Frau Ria
Oomen-Ruijten, die heute Abend leider nicht sprechen
kann, und die mich gebeten hat, ihre Argumente
vorzutragen, noch einmal auf eine getrennte
Abstimmung hinzuweisen, die wir zu Artikel 3 Absatz 2
vorschlagen. Da heißt es, dass die Verordnung nicht für
die Fluggäste gilt, die zu einem reduzierten Flugpreis
reisen, der der Öffentlichkeit nicht mittel- oder
unmittelbar verfügbar ist. Wir haben die Befürchtung,
dass diese Formulierung eine sehr graue Formulierung
ist. Wir sollten völlig klar sagen, auch ein Passagier, der
zu einem reduzierten Preis fliegt, hat Anspruch auf eine
volle Kompensation. Ich glaube, es ist ganz wichtig,
dass man das so sieht.
Frau Kommissarin, eine Frage, die ich noch an Sie
richten möchte. Der Kollege Lisi hat ja zu Artikel 13
einen sehr guten Vorschlag gemacht, nämlich, dass die
Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass eine
Fluggesellschaft, wenn sie zahlen muss und sachlich
nicht für die Verspätung oder die Annullierung
verantwortlich ist, Rückgriff auf die Verantwortlichen
nehmen kann, seien es Flugsicherungssysteme oder
sonstige, auch staatliche Systeme. Können Sie uns
zusichern, dass sie im Sinne eines fairen burden sharing
- wenn wir den Fluggesellschaften schon die primäre
Auszahlungsflächenverantwortung geben - auch
Rückgriff auf staatliche Organisationen nehmen kann,
die die Ursache für die Verspätung oder die
Annullierung herbeigeführt haben? Sie würden uns sehr
helfen, wenn Sie diesen Teil unserer Änderungsanträge
unterstützen würden.
3-288
Vairinhos (PSE). – (PT) Herr Präsident, Frau
Kommissarin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die
Liberalisierung des Flugverkehrs hat den Passagieren
zahllose Vorteile gebracht. Doch wie wir alle wissen,
haben auch niedrigere Preise und eine größere
Nachfrage Verbraucherklagen nicht verstummen lassen.
Wie einige Kollegen bereits sagten, kommt es zu
Streichungen oder Verspätungen von Flügen, wird
Passagieren die Beförderung verweigert, gibt es
Probleme mit dem Gepäck und dergleichen mehr. Für
einen besseren Schutz der Verbraucher muss die
Liberalisierung des Flugverkehrs mit einem besseren
Marktmanagement und Rationalisierung einhergehen.
Angesichts der neuen Sachlage erlangt die
Harmonisierung der geltenden Rechtsvorschriften
maßgebende Bedeutung.
Unbedingt sinnvoll ist auch die Einbindung der
Unternehmen des Sektors, indem sie gezwungen werden,
Bestimmungen zum Schutz der Bürger festzulegen, so
23/10/2002
dass die Behörden einschreiten können, wenn sich die
angekündigten Schutzgarantien als unzureichend
erweisen. Ich bin außerdem der Meinung, dass das
Eingreifen der Behörden äußerst wichtig ist. Die
Einbindung von Fluggästen durch die Unternehmen
mittels Angeboten für Freiwillige, die dann direkt in die
Aushandlung und Annahme alternativer Modalitäten
einbezogen werden, ist ein guter Ansatz, der das
Buchungsverfahren flexibler gestalten und zum Schutz
beitragen wird, wodurch sich die Effektivität des
Vorgangs verbessert. Ich möchte an dieser Stelle auch
den Aspekt der zuständigen Behörde noch einmal zur
Sprache bringen: Der Verordnungsvorschlag offenbart
die Bedeutung von Artikel 14, in dem es um die Pflicht
der Behörde in diesem Bereich geht, Passagiere über
ihre Rechte aufzuklären. Im Grunde wird damit ein
Änderungsantrag wieder aufgegriffen, den das Parlament
in seiner Stellungnahme zum Kommissionsvorschlags
von 1998 angenommen hatte. Der Fluggast muss klar
und transparent darüber informiert werden, wie er die
nationale Behörde – von der er oft, ja sogar in der Regel
keine Kenntnis hat -, die für Beschwerden bei Verstößen
gegen die Verordnung zuständig ist, erreichen kann.
Ebenso wichtig ist Artikel 17 zur Durchführung, der den
Mitgliedstaat verpflichtet, die für die Durchführung der
Verordnung zuständige Stelle zu benennen, diese
bekannt zu geben und ihn anhält, die Maßnahmen zu
überwachen und einzuhalten, mit denen für die Achtung
der Rechte der Fluggäste gesorgt wird.
3-289
Ripoll y Martínez de Bedoya (PPE-DE). – (ES) Her
Präsident, Frau Vizepräsidentin der Kommission!
Zunächst möchte ich dem Berichterstatter, Herrn Lisi,
gratulieren, denn ich habe gesehen und erlebt, mit
welcher Intensität er an seinem Bericht gearbeitet hat.
Dieser Bericht ist schwierig, denn, wie man sieht, sind
eine Reihe von Kontroversen in Bezug auf den
Vorschlag der Kommissarin aufgetreten, mit der dieser
Ausschuss normalerweise einer Meinung ist. Und in
diesem Fall sehen wir, dass es gewisse Diskrepanzen
zwischen dem Vorschlag der Kommission und dem
derzeitigen
Konzept
des
Ausschusses
für
Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr gibt.
Ich möchte auch die Kommissarin beglückwünschen,
denn unabhängig von den in der heutigen Aussprache
aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten ist klar, dass
in der Debatte der Kommission großer Mut erforderlich
war, eine Reihe von Fragen anzupacken, deren Lösung
die Bürger, die europäischen Reisenden derzeit von den
Fluggesellschaften fordern. Auch wenn wir momentan
nicht zustimmen und den Vorschlägen der Kommission
nicht folgen, hat sie uns veranlasst, über das Thema zu
diskutieren und Positionen anzunähern. Ich möchte auch
sagen, dass ein Sektor weder von Subventionen noch
vom Missbrauch seiner Benutzer leben kann und darf,
ansonsten hat er keine Zukunft. Wir stehen – und der
Sektor weiß das – vor der Notwendigkeit der
Umstrukturierung des Sektors.
23/10/2002
Wir müssen dem Sektor sagen, dass er eine letzte
Chance hat, dass wir den Vorschlägen der Kommission
nicht folgen, dass wir frühere Vorschläge verbessern,
verstärken und verschärfen sollten, aber dass der Sektor
sich der Gegenwart stellen, dass er sich umstellen,
modernisieren und reagieren können muss. Andernfalls
werden die Bürger, unsere Wähler, von uns verlangen,
dass wir ihre Rechte zu verteidigen wissen. Gleichzeitig
müssen wir auch versuchen – und dies ist die Botschaft
des parlamentarischen Ausschusses –, dem Sektor auf
dem schwierigen Weg der Umstellung und
Modernisierung die Hand zu reichen. Es geht um einen
schwierigen, komplizierten Sektor, und wir stehen ihm
bei.
Ich verstehe die Schwierigkeiten und beglückwünsche
sowohl den Berichterstatter als auch die Vizepräsidentin
zu dem Mut, dieses Thema anzupacken.
3-290
Savary (PSE). – (FR) Herr Präsident, zunächst einmal
möchte ich Frau Loyola de Palacio zu dem Vorschlag
beglückwünschen, den sie uns unterbreitet hat. Ich
glaube, er war in Hinblick auf zwei Aspekte notwendig
und wichtig. Dabei handelt es sich einerseits um die
Demokratisierung des Luftverkehrs in allen ihren
Formen und mit allen ihren Konsequenzen, auf die wir
frühzeitig reagieren müssen, und andererseits um die
Zunahme der Fälle von Beförderungsverweigerung, zum
Teil und recht häufig – immer häufiger im Übrigen – aus
Gründen, die unausgesprochen bleiben und oft
wirtschaftlicher Art sind. Es war also äußerst wichtig,
die Rechte der Benutzer besser zu schützen, sich dabei
jedoch vor jeder Schwarz-Weiß-Malerei zu hüten, d. h.
vor allem davor, den Luftfahrtgesellschaften allein die
Schuld zuzuschieben.
In dieser Hinsicht möchte ich unserem Berichterstatter
sowie dem gesamten Ausschuss für Regionalpolitik,
Verkehr und Fremdenverkehr meine Glückwünsche
aussprechen. Ich glaube, im Anschluss an diese
Beratung im Verkehrsausschuss werden wir letztlich zu
einer
angemessenen
Ausgewogenheit
kommen.
Zunächst einmal zur Ausgewogenheit zwischen den
Rechten der Fluggäste und der Flexibilität des Service.
Die Überbuchung ist vor allem dann ein Übel, wenn sie
systematisch aus rein wirtschaftlichen Gründen erfolgt.
Sie bietet aber auch Flexibilität, wenn Fluggäste im
letzten Moment stornieren – denn auch sie sind häufig
für die Überbuchung verantwortlich – und andere ihre
Plätze übernehmen wollen. Weiterhin geht es um die
Ausgewogenheit zwischen der Pflicht der Gesellschaften
zur
Entschädigung
und
den
grundlegenden
wirtschaftlichen Erfordernissen des Luftverkehrs, damit
die Zahlung von Entschädigungen in einer wirtschaftlich
schweren
Zeit
nicht
zu
unangemessenen
Kostenbelastungen für die Gesellschaften oder zu
Preiserhöhungen für die Benutzer führt. Und schließlich
geht es um die Ausgewogenheit zwischen den Kosten
der Nichtbeförderung und dem Grundsatz der Vorsorge
im Bereich der Sicherheit. Es musste unter allen
Umständen verhindert werden, dass der Umfang der
Sanktionen oder Ausgleichszahlungen dazu führt, dass
97
die Gesellschaften größere technische Störungen auf die
leichte Schulter nehmen, mit anderen Worten, dass die
Kosten der Nichtbeförderung zu Lasten der Sicherheit
gehen.
Ich glaube, dass der Verkehrsausschuss dank dieser
Ausgewogenheit Herrn Lisi gefolgt ist und uns heute
einen guten Text vorlegt. Ich hoffe, dass die
Kommission die Anmerkungen und Anregungen des
Europäischen Parlaments berücksichtigt. Eine Sache
allerdings bedaure ich: Wir waren im Hinblick auf die
Wartelisten, die oft sehr undurchsichtig sind, vielleicht
nicht konsequent genug und hätten von den
Gesellschaften fordern müssen, dass sie die Fluggäste in
der Reihenfolge ihrer Eintragung an Bord nehmen.
3-291
Rack (PPE-DE). - Herr Präsident, Frau Kommissarin,
liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle hier im Saal
verbringen weitaus mehr Zeit, als uns lieb ist, in
Flugzeugen und auf Flugplätzen. Wir sind allzu oft
betroffen, weil wir selbst Betroffene von Verspätungen
etwa oder von Annullierungen, Überbuchungen und
dergleichen mehr sind. Manchmal sind wir auch nur
betroffen, wenn und weil wir miterleben, was mit
anderen Fluggästen passiert, und das ist nicht immer
schön. Häufig ist es sogar sehr unschön. In dieser
Situation muss der europäische Gesetzgeber im Interesse
der Konsumenten, aber auch im Interesse des
Flugverkehrs insgesamt tätig werden.
Über die Regelungen, die wir hier in erster Lesung
prüfen und morgen beschließen werden, über die Art
und Weise, mit dem Problem der Nichtbeförderung
umzugehen, und über vernünftige Regelungen im Fall
von Verspätungen ist bereits viel gesagt worden. Die
Industrie hat mit all diesen Regelungen naturgemäß
wenig Freude, vor allem nicht in der jetzigen
schwierigen wirtschaftlichen Situation. Aber es geht
eben nicht nur um die Fluglinien, es geht auch und vor
allem um die Passagiere. Sie sind jedenfalls in der
Situation, in der sie sich immer wieder und immer
häufiger finden, die Schwächeren, und sie müssen wir
mit europäischen Recht beschützen und unterstützen.
An noch jemanden sollten wir in diesem Zusammenhang
denken, nämlich an die Flughafenbetreiber. Sie hatten
und haben wegen der verstärkten Sorgen um
Terrorismus und Sicherheit in letzter Zeit viele
Probleme. Sie haben einige davon gelöst, zum Teil
haben sie ihre Tätigkeiten aber extrem teuer abgelten
lassen.
Ein anderes Problem ist nach wie vor ungelöst: das
Umgehen mit Passagieren. Fliegen ist heutzutage ein
Massengeschäft, das ist keine Frage. Das darf aber nicht
dazu führen, dass Passagiere wie Herdentiere behandelt
werden. Vielleicht kann man auch diese Aspekte des
Fliegens in absehbarer Zeit angehen und vernünftig
regeln. Die Passagiere werden es uns danken.
3-292
De Palacio, Kommission. – (ES) Ich möchte allen
Parlamentariern meinen Dank für ihre Redebeiträge
98
23/10/2002
aussprechen, in denen sie ihre Überlegungen und in
einigen Punkten auch ihre unterschiedliche Meinung
darlegten, dabei aber stets die Verbesserung der
Dienstleistungsqualität im Flugverkehr im Sinn hatten.
Wie schon mehrere Redner aus Ihren Reihen erklärt
haben, sind wir alle wichtige Nutzer dieser
Beförderungsart und deshalb auch Opfer der niedrigen
Servicequalität.
Ein bedeutender Teil der Änderungsanträge 25 und 33
würde die Rechte der Passagiere unnötig einschränken,
und deshalb lehnen wir sie ab.
Ich möchte ganz besonders Herrn Lisi für die
Bemühungen danken, einen gemeinsamen Nenner für
alle Positionen zu finden.
Schließlich schlagen die Änderungsanträge 5, 35 und 37
Maßnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs der zur
Diskussion stehenden Verordnung vor. Obwohl wir uns
mit den von ihnen verfolgten Zielen identifizieren und
einschlägige Vorschläge vorbereiten, können wir sie
bedauerlicherweise nicht akzeptieren, und ich möchte
darauf hinweisen, dass, wie Herr Vairinhos gerade sagte,
die Unterrichtung der Passagiere ganz wesentlich ist,
damit diese Rechte Wirkung zeigen können; daher die
Kampagnen, die wir bis jetzt mit Unterstützung der
Flughäfen
und
der
Betriebsunternehmen
der
Reiseveranstalter, aber auch – das muss ich ganz
deutlich
sagen
–
mit
Unterstützung
der
Fluggesellschaften durchgeführt haben, die in
bedeutendem Maße zum Ziel der Verbesserung der
Servicequalität beigetragen haben.
Bestimmte Änderungsanträge laufen darauf hinaus, die
Pauschalreisenden aus dem Anwendungsbereich der
Verordnung auszunehmen. Unserer Meinung nach
müssen auch solche Passagiere geschützt werden. Es
stimmt, dass dieser Schutz in der spezifischen
Verordnung vorgesehen ist, aber nicht automatisch,
sondern nach einer Reihe von äußerst komplizierten
Verfahren, in einigen Fällen sogar der Klage vor
Gericht.
Es geht darum, eine einfache, sofortige und
automatische Lösung für die Pauschalreisenden zu
finden; daher können wir die Änderungsanträge 2, 3, 13
und 15 nicht akzeptieren.
Was die Höhe der Entschädigungen angeht, so sagte ich
eingangs, dass wir bereit sind, unsere ursprüngliche
Position flexibel zu gestalten, und in diesem Sinne kann
sich die Kommission mit Änderungsanträgen wie Nr. 23
und Teilen von Nr. 24 und 31, in dem die Entschädigung
bei geringen Verspätungen beseitigt wird, nicht
einverstanden erklären. Aus dem gleichen Grund können
wir die Nr. 44 und 45 nicht akzeptieren. Wir können
jedoch den Änderungsantrag 40 – über den Frau Maes
gerade gesprochen hat – billigen, denn damit wird
unsere Position flexibel, und wir bieten Beträge an, die
vielleicht ausgewogener sind.
Gleichzeitig muss ganz klar sein, wer für die
Entschädigung der Fluggäste und ihre Betreuung auf den
Flughäfen zuständig ist. Wir haben eine einfache Lösung
gewählt: Die Verantwortung liegt bei dem Unternehmen,
das einen Vertrag mit dem Fluggast abgeschlossen hat,
das kann eine Fluggesellschaft oder ein Reiseveranstalter
sein.
Was den Änderungsantrag 43 angeht, der die Flüge aus
den Drittländern ausschließen würde, können wir ihm
nicht zustimmen, denn er würde einen Nachteil für die
Betriebsunternehmen der Gemeinschaft darstellen.
Ich möchte Herrn Lisi und Ihnen, meine Damen und
Herren, nochmals meinen Dank aussprechen und hoffe,
dass wir ein gutes Ergebnis zum Nutzen der Verbraucher
erreichen können.
3-293
Der Präsident. – Vielen Dank, Frau Vizepräsidentin.
Sie haben heute viele Glückwünsche erhalten; ich denke,
die Damen und Herren Abgeordneten werden die
Gratulation aufrechterhalten, auch wenn Sie nicht alle
vorgeschlagenen Änderungsanträge akzeptiert haben,
und wir hoffen auf Eintracht und Erfolg im Hause.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.30 Uhr statt.
Ich muss Ihnen sagen, dass für heute zahlreiche Berichte
vorliegen und die Debatten heute abgeschlossen werden
sollten. Deshalb bitte ich Sie, sich so weit wie möglich
an die vorgesehene Zeit zu halten.
3-294
Agrarpolitik in den Entwicklungsländern
Der
Verkehrsausschuss
hat
die
gemeinsame
Verantwortung von Reise- und Luftfahrtunternehmen
empfohlen, aber das könnte Unsicherheit bei den
Passagieren hervorrufen. Deshalb können wir die
Änderungsanträge 16, 17, 18, 19, Teile von 28 und 29,
Nr. 30 und zum Teil 31 nicht akzeptieren.
Die Änderungsanträge Nr. 4 und 21 könnten die
Flexibilität einschränken, die die Luftfahrtgesellschaften
benötigen, um mit den möglichen Freiwilligen zu
verhandeln, und die Änderungsanträge Nr. 7, Nr. 14
teilweise, Nr. 17, 20 und zum Teil Nr. 22 könnten die
praktische Anwendung der Bestimmungen erschweren.
3-295
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die
Aussprache über den Bericht (A5-0316/2002) von Herrn
Khanbhai im Namen des Ausschusses für Entwicklung
und Zusammenarbeit über eine nachhaltige Agrarpolitik,
die Landreform und die ländliche Entwicklung im
Hinblick
auf
die
Eigenständigkeit
der
Entwicklungsländer (2001/2274(INI)).
3-296
Corrie (PPE-DE), in Vertretung des Berichterstatters. –
(EN) Herr Präsident, Herr Khanbhai bedauert es sehr,
dass er heute nicht hier sein kann, um seinen Bericht
23/10/2002
vorzutragen. Unvorhergesehene Umstände zwangen ihn,
heute Abend ins Vereinigte Königreich zurückzukehren.
Ich möchte betonen, dass dies sein Bericht ist, und ich
danke ihm für seine Arbeit und seine Bereitschaft zur
Zusammenarbeit mit anderen Parteien. Mit Herrn
Khanbhai wurde ein geeigneter Berichterstatter für
diesen Bericht ausgewählt, denn er wurde in Tansania
geboren, wo seine Familie schon seit 170 Jahren lebt. Er
und ich haben viele gemeinsame Reisen in die
ländlichen Gebiete Afrikas unternommen, und unsere
Auffassungen im Hinblick auf die Beseitigung der
Armut in den Entwicklungsländern sind sehr ähnlich.
Daher ist es eine Ehre für mich, ihn heute zu vertreten.
Wir können nicht hinnehmen, dass auch heute noch
mehr als eine Milliarde Menschen in den ländlichen
Gebieten der Entwicklungsländer mit weniger als einem
Dollar pro Tag auskommen müssen. Diese Menschen
haben keinen Zugang zu Wasser, sanitären
Einrichtungen, Elektrizität, Gesundheitsdiensten oder
Bildung. Die Armen hungern, sie haben keine Arbeit
und sie haben Angst vor Krankheiten. Seit über 40
Jahren wird internationale Hilfe geleistet, und doch ist es
nicht gelungen, die Armut zu beseitigen. Viele dieser
armen Länder haben unermessliche Schulden, und ihrer
Bevölkerung geht es heute schlechter als vor 25 Jahren,
als die Unterstützung im Rahmen der Lomé-Abkommen
begann. Die EU ist der größte Geldgeber weltweit.
Warum haben wir die länderspezifischen Probleme nicht
erkannt, um so unsere Hilfe auf die Bekämpfung der
Armutsursachen konzentrieren zu können?
Seit mehr als 20 Jahren besuche ich die AKP-Länder.
Die Hauptursache der Armut ist das Fehlen von
Investitionen in ländlichen Gebieten. Wir müssen in
Projekte investieren, die es der ländlichen Bevölkerung
ermöglichen, einen Beitrag zu ihrer lokalen Wirtschaft
zu leisten. Diese Menschen brauchen Infrastruktur,
Fachkenntnisse in den Bereichen Landwirtschaft und
Tierhaltung, und sie brauchen berufliche Bildung, um
kleine
Unternehmen
auf
dem
Gebiet
der
landwirtschaftlichen Verarbeitung, der Technik, der
Informationstechnologie und im Dienstleistungssektor
aufbauen zu können. Sie brauchen die Art von
Unterstützung,
die
durch
Initiativen
für
Kleinfinanzierungen, wie zum Beispiel die GramineBank in Bangladesh, angeboten wird. Ich unterstütze
Herrn Khanbhai in diesem Punkt ausdrücklich. Ein von
der Basis ausgehender Ansatz ist die einzige
Möglichkeit zur Erneuerung der ländlichen Gebiete.
Asiatische Länder wie China, Indien und Bangladesh
waren vor zwanzig Jahren noch mit Lebensmitteln
unterversorgt und Nettoimporteure. Durch Subventionen
für die Landwirte, die Auswahl geeigneten Saatguts,
Bewässerung,
Kleinfinanzierungen
für
kleine
landwirtschaftliche Betriebe, den Aufbau von
Genossenschaften für die Nahrungsmittelproduktion und
ähnliche Investitionen in den ländlichen Raum hat sich
die Landwirtschaft dieser Länder gewandelt. Heute
erzeugen sie genug Nahrungsmittel, um ihre große
Bevölkerung ernähren und Überschüsse ausführen zu
können. Aus diesen Erfahrungen müssen wir lernen.
99
Die EU und die USA unterstützen ihre Landwirte mit
enormen Subventionen. Ohne diese Subventionen gäbe
es keinen wirtschaftlichen Wohlstand in Ländern wie
Spanien, Portugal, Irland, Italien und Frankreich, die alle
von den europäischen Subventionen profitieren konnten.
Ohne Investitionen in die ländliche Infrastruktur Europas
würde die EU nicht so funktionieren, wie dies heute der
Fall ist. Leider ist die internationale Hilfe für ländliche
Gebiete im Afrika südlich der Sahara von 14 Milliarden
EUR im Jahr 1988 auf 8 Milliarden EUR im Jahr 1998
gesunken. Die Folge war ein starker Rückgang der
Nahrungsmittelproduktion. Die Situation wurde durch
Naturkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen
weiter verschärft. Ein Jahrzehnt des Hungers und der
Unterernährung hat zu Krankheit, Angst, sozialen
Spannungen und Bürgerkriegen in vielen armen Ländern
geführt.
Die EU muss die Landreform, die effiziente und
gerechte Nutzung der Wasserressourcen und den
Technologietransfer zur ländlichen Bevölkerung in
armen Ländern unterstützen. Wir müssen diese
Menschen lehren, ihre eigenen Nahrungsmittel zu
produzieren, ihre eigenen Beschäftigungsmöglichkeiten
zu schaffen und ihre eigenen Volkswirtschaften zu
erhalten. Die Armen wollen nicht um ihren
Lebensunterhalt betteln, für sie sind Selbstachtung und
Würde ebenso wichtig wie für uns. Sie wollen unseren
Fisch nicht. Sie wollen lernen, wie sie selbst fischen und
sich selbst ernähren können. Ich teile die Ansicht von
Herrn Khanbhai, dass sich die EU bei der Überprüfung
ihrer Beihilfepolitik von diesem Grundgedanken leiten
lassen sollte.
Die Unterstützung der EU sollte sich auf die vorrangigen
Bereiche Landwirtschaft, Agrarreform und Entwicklung
der ländlichen Wirtschaft konzentrieren. Dadurch
können die Produktion, die Beschäftigung und die
nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen in den
Entwicklungsländern gefördert werden, und dadurch
geben wir den Armen die Möglichkeit, ein
selbstbestimmtes Leben zu führen und von unserer Hilfe
unabhängig zu werden. Ich hoffe, das Haus wird diesem
Bericht zustimmen. Herr Khanbhai hat mehr als
75 Prozent
aller
vorgelegten
Änderungsanträge
berücksichtigt.
3-297
Wallström, Kommission. – (EN) Herr Präsident, die
Kommission möchte Herrn Khanbhai und Herrn Corrie,
der ihn vertreten hat, für ihre Arbeit danken, mit der sie
ein so wichtiges Thema wie die nachhaltige ländliche
Entwicklung in den Mittelpunkt dieser Debatte gerückt
haben.
Armut
und
Ernährungsunsicherheit
in
den
Entwicklungsländern können ohne umfangreiche
Investitionen in den ländlichen Gebieten nicht beseitigt
werden. Die Kommission unterstützt die wesentlichen
Punkte des Berichts im Hinblick auf die Bedeutung der
ländlichen und landwirtschaftlichen Entwicklung für die
Armen in den Entwicklungsländern.
100
Neben der ländlichen Entwicklung werden in dem
Bericht auch Themen behandelt, die den Handel und die
Agrarpolitik der EU betreffen. So wird hervorgehoben,
dass die Handelsmöglichkeiten für die arme ländliche
Bevölkerung verbessert werden müssen, und dies ist eine
Auffassung, die wir teilen. Auf dem Weltgipfel für
nachhaltige Entwicklung wurden die diesbezüglichen
Verpflichtungen in der WTO-Ministererklärung in Doha,
der so genannten Entwicklungsagenda von Doha,
bekräftigt. Hierzu zählen die Berücksichtigung der
besonderen Gegebenheiten in den Entwicklungsländern
in den Handelsgesprächen und die Einleitung
flankierender Maßnahmen, wie beispielsweise der
Aufbau von Kapazitäten und technische Hilfe im
Handelsbereich. Von der Kommission wurde dem Rat
und dem Parlament kürzlich eine Mitteilung vorgelegt,
die den politischen Rahmen für diese Art der
Unterstützung bilden wird.
Die
Kommission
möchte
die
positiven
Handelsregelungen hervorheben, die ergänzend zum
WTO-Prozess von der Europäischen Union unterstützt
und in Johannesburg verabschiedet wurden. Ich möchte
ferner daran erinnern, dass sich die Union verpflichtet
hat, den am wenigsten entwickelten Ländern im Rahmen
der
Initiative
„Alles
außer
Waffen“
den
uneingeschränkten steuer- und quotenfreien Zugang zum
europäischen Markt zu gewähren. Wir hoffen, dass
andere Industrieländer ähnliche Initiativen beschließen
werden.
Was die Landwirtschaft anbelangt, unterstützt die
Kommission die Betonung der Multifunktionalität der
Landwirtschaft,
ein
Konzept,
das
für
die
Entwicklungsländer von besonderer Bedeutung ist. Ich
möchte Ihre Aufmerksamkeit jedoch auf das im
vorliegenden
Bericht
erwähnte
Dumping der
europäischen Agrarproduktion lenken. Von der
Gemeinschaft werden Ausfuhrerstattungen gewährt, um
die Differenz zwischen dem höheren Gemeinschaftspreis
und dem Weltmarktpreis zu verringern. Genau
genommen kann dies nicht als Dumping bezeichnet
werden. Die Höchstgrenzen für Ausfuhrerstattungen,
bezogen auf den Umfang und den Wert, werden durch
die WTO geregelt, und diese Höchstgrenzen wurden
zwischen 1995 und 2000 reduziert. Von der
Gemeinschaft
wurde
die
Gewährung
von
Ausfuhrerstattungen kontinuierlich und über die
Vorgaben der WTO hinaus verringert. Diese positiven
Anstrengungen sollten anerkannt werden.
Im Mittelpunkt des Berichts steht jedoch die ländliche
Entwicklung. Für viele Geldgeber, und dazu gehört auch
die Europäische Kommission, hat die ländliche Armut
viele Ursachen. Um sie beseitigen zu können, müssen
Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen kombiniert
werden. Auf nationaler Ebene müssen wir die
Einkommen verbessern, die Ungleichheit beim Zugang
zu Investitionen und Dienstleistungen reduzieren, die
Zerstörung natürlicher Ressourcen verhindern und die
Anfälligkeit für Risiken verringern. Auf internationaler
Ebene müssen wir die Kohärenz zwischen den internen
23/10/2002
Politiken der Industrieländer, insbesondere in den
Bereichen Handel und Landwirtschaft, und den Zielen
ihrer Entwicklungshilfe verbessern.
In den Entwicklungsländern erfordert die Bewältigung
eines so komplexen Themenbereichs kohärente und
ausgewogene nationale Strategien, die auf die lokalen
Erfordernisse,
Ressourcen
und
institutionellen
Rahmenbedingungen zugeschnitten sind. Obwohl es
keine einheitliche Lösung gibt, hat die Kommission in
ihrer kürzlich vorgelegten Mitteilung „Bekämpfung der
ländlichen Armut“ einige wichtige Grundsätze
festgelegt, die bei allen Maßnahmen zur ländlichen
Entwicklung angewandt werden sollen. Hierzu zählen
die Förderung der Gleichstellung von Frauen und
Männern, ein größtmöglicher Beitrag zur Minderung der
ländlichen Armut, die Unterstützung nationaler
Strategien und die Beteiligung der Zielgruppen sowie
die Einbeziehung des Umweltschutzes in alle
Politikbereiche.
Die Unterstützung von Landreformen zugunsten der
Armen, der Aufbau von Kapazitäten, die Verbesserung
des
Zugangs
zu
Finanzdienstleistungen,
zur
Agrarforschung, zu Infrastruktur und Dienstleistungen
sind Bereiche, deren Bedeutung in der Strategie der
Kommission hervorgehoben wird und die im Rahmen
des
Entwicklungsprogramms
der
Gemeinschaft
umfassend gefördert werden.
Die Kommission schließt sich im Wesentlichen auch
weiteren, konkreteren Empfehlungen an, wie zum
Beispiel hinsichtlich der Unterstützung der Entwicklung
des Kunsthandwerks, ländlicher Ausbildungszentren und
der Domestizierung von wild lebenden Tierarten. Die
Priorität solcher Maßnahmen hängt jedoch von den
lokalen Gegebenheiten und der Relevanz dieser
Maßnahmen für die Armutsbekämpfung ab. Die
Unterstützung solcher Aktivitäten muss daher von Fall
zu Fall und im Einklang mit den Prioritäten erfolgen, die
in den nationalen Strategien festgelegt sind.
Im Mittelpunkt der ländlichen Entwicklung stehen
außerdem die Dezentralisierung und die örtliche
Verwaltung. Die Mittel werden nur dann die arme
ländliche Bevölkerung erreichen, wenn sie effizient
verwaltet werden und ihr Einsatz partizipatorisch und
unter aktiver Einbeziehung der lokalen Gemeinden
geplant wird. Die am stärksten benachteiligten Gruppen
der Gesellschaften, insbesondere Frauen, müssen in
diesen Prozessen wirksam vertreten und umfassend
einbezogen werden. Die Stärkung und Demokratisierung
lokaler Institutionen ist eine zentrale Herausforderung
für Regierungen und Geber gleichermaßen. Im
vorliegenden Bericht wird zu Recht die besondere
Bedeutung einer verantwortungsvollen Staatsführung für
die Nachhaltigkeit aller Entwicklungsmaßnahmen
hervorgehoben.
Zum Abschluss möchte ich Herrn Khanbhai, dem
Berichterstatter, und Herrn Corrie nochmals danken.
3-298
23/10/2002
Schierhuber (PPE-DE). - Herr Präsident, Frau
Kommissarin, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zunächst möchte ich Herrn Khanbhai sehr herzlich für
die Erstellung seines Berichts danken und auch dafür,
dass wir so gut mit allen Kollegen zusammengearbeitet
haben. Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sind
sowohl in der EU als auch für die Entwicklungsländer
von zentraler Bedeutung. Deshalb unterstütze und
begrüße ich, dass die Ernährungssicherheit und die
Schaffung einer Strategie für eine nachhaltige ländliche
Entwicklung eine der ausdrücklichen sechs Prioritäten
der EU-Strategie für die Entwicklungszusammenarbeit
darstellen.
Das Modell der multifunktionellen Landwirtschaft und
seine Philosophie halte ich auch für die
Entwicklungsländer für den einzig richtigen Weg. Wir
sollten den Ansatz einer nachhaltigen Bewirtschaftung
mit nicht handelsbezogenen Überlegungen unterstützen
und weiterführen.
Zur Erinnerung. Die EU ist weltweit und mit Abstand
der größte Importeur von Agrarprodukten aus armen
Ländern. Die Kommissarin hat schon darauf
hingewiesen, dass die EU die Zugangsmöglichkeiten der
ärmsten Länder in den letzten Jahren sehr erweitert hat.
Ich hoffe, dass auch andere Industriestaaten diesem
Beispiel der EU folgen werden. Die agrarpolitischen
Maßnahmen in den Entwicklungsländern dürfen nicht
ausschließlich auf den Export ausgerichtet sein, sondern
müssen vor allem die Ernährungssicherheit der eigenen
Bevölkerung gewährleisten.
Oberstes Ziel der Entwicklungspolitik muss weiterhin
die Bekämpfung der Armut sein. Dabei ist die
Verbesserung
der
Infrastruktur
für
die
Energieversorgung, den Verkehr, die Wasserwirtschaft
sowie für Gesundheit und Bildung eine wichtige
Voraussetzung. Vor allem aber sind verbesserte
Regierungs- und Verwaltungssysteme sowie Demokratie
und Rechtsstaat nötig, wie schon angesprochen wurde,
damit eine solide Politik gemacht werden kann. Eine
angemessene Landreform und der Zugang zu Wasser
und
Produktionsressourcen
muss
es
der
Landbevölkerung ermöglichen, ihren Lebensstandard zu
erhöhen, und zur Förderung der wirtschaftlichen
Entwicklung beitragen.
Um den Aufbau geeigneter Kapazitäten in den
Entwicklungsländern zu unterstützen, sollte die
Europäische Gemeinschaft vermehrt technische Hilfe für
die Bauern leisten und hier auch technisches Know-how
vermitteln, beispielsweise für erneuerbare Energien und
vieles andere mehr. Ein anderer wesentlicher Aspekt ist
meines Erachtens die Politik im ländlichen Raum, damit
die Abwanderung in die Slums gestoppt wird, und
wichtig ist auch, dass die Aufwertung der Frauen und
ihrer Arbeit gewährleistet wird.
3-299
Kinnock, Glenys (PSE). – (EN) Herr Präsident, im
Mittelpunkt des Berichts von Herrn Khanbhai stehen die
Landwirtschaft, die Unterstützung der ländlichen
101
Entwicklung und der Schutz der ländlichen Gemeinden.
Darüber hinaus hat er viele der grundlegenden
Ungerechtigkeiten angesprochen, die das Leben der
armen ländlichen Bevölkerung kennzeichnen. Von
anderen Rednern wurde die wichtige Rolle der
Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten bereits
hervorgehoben. Ich glaube, dass wir unsere Kenntnisse
über die wahren Gründe der so genannten Landflucht
aus ländlichen Gebieten und über die Auswirkungen der
Systeme und Strukturen erheblich verbessern müssen,
die zur Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen
von Menschen, die vom Land leben, beitragen.
Die Europäische Union ist natürlich ein Teil der Lösung.
Als größter Handelsblock spielen wir eine wichtige
Rolle. Ich betrachte es als reine Heuchelei, die
Wettbewerbsposition unserer eigenen Landwirtschaft
weiterhin mit höheren Subventionen zu schützen und
gleichzeitig die Entwicklungsländer zur Liberalisierung
zu zwingen. Die schnelle Öffnung ihrer Märkte stellt
eine Gefahr für die Ernährungssicherheit und den
nachhaltigen
Lebensunterhalt
in
den
Entwicklungsländern dar. In den weiteren parallelen
Verhandlungen, die in der WTO und zwischen den
AKP-Staaten und der Europäischen Union geführt
werden, muss die Europäische Union zeigen, dass sie
sich darüber im Klaren ist, dass der Handels- und
Marktzugang und das Zollniveau direkt und untrennbar
mit unseren Strategien zur Erreichung dieser wichtigen
Millennium-Entwicklungsziele verbunden sind.
Es ist paradox, dass in einer Zeit des weltweiten
Überflusses die Bauern in den Entwicklungsländern ihr
Land verlassen und sich von der Landwirtschaft
abwenden. Sie können einfach nicht mit den hoch
subventionierten Nahrungsmitteln konkurrieren, die ihre
Märkte überschwemmen und dort unter Preis abgesetzt
werden. In dem Bericht wird beschrieben, welche
Folgen die Dumpingpreise bei Milch für Jamaika und
bei Rindfleisch für Westafrika haben. In Uganda zum
Beispiel hat sich die Lage für die Kaffeeanbauer
dramatisch verschlechtert. Ein Kaffeeanbauer bekommt
für seinen Kaffee 150 Uganda-Schilling pro Kilo. Im
Sheraton in Kampala zahlt man 1 000 Uganda-Schilling
für eine einzige Tasse Kaffee.
Bei einem so geringen Lohn, den die Erzeuger für ihre
Arbeit erhalten, überrascht die Einschätzung von Oxfam
nicht, dass sich eine solche Situation auf die Gesundheit
und die Bildung sowie die gesamte ländliche
Gemeinschaft auswirkt.
So bleibt für Kleinbauern von Haiti bis Mexiko und von
Mosambik bis Tansania keine andere Alternative, als
ihre Existenz aufzugeben. Sie können nicht mit den
reichen Landbaronen konkurrieren. Das ist die Realität,
mit der wir konfrontiert sind, eine Realität, auf die
Herr Khanbhai ausführlich eingegangen ist. Er erinnert
uns in seinem Bericht außerdem durchaus zu Recht
daran, dass 75 % der 1,2 Milliarden Menschen, die mit
weniger als einem Dollar täglich auskommen müssen, in
ländlichen Gebieten leben. Das dürfen wir nicht
hinnehmen, wir sind aufgerufen zu handeln.
102
3-300
Boudjenah (GUE/NGL). – (FR) Herr Präsident, das
Bestehen und die Entwicklung eines Agrarsektors sind
für die Länder des Südens Fragen von größter
Bedeutung. Ihr Potenzial in diesem Bereich ist häufig
sehr groß. Weitreichende Reformen wurden bereits
eingeleitet oder stehen bevor. Doch vor allem stellt sich
die Frage ihrer Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln.
Aus diesem Grund möchte ich gleich eingangs die
Forderung meiner Fraktion unterstützen, in einem
besonderen Übereinkommen der Vereinten Nationen das
Recht auf Ernährungssouveränität anzuerkennen, mit
anderen Worten, das Recht der Völker, ihre eigene
Politik festzulegen.
Die Entwicklungsländer sind häufig auf die Ausfuhr
bestimmter unverarbeiteter Erzeugnisse beschränkt.
Alles deutet jedoch darauf hin, dass eine Spezialisierung
auf die Ausfuhr von Rohstoffen wenig einbringt und die
Wirtschaft schwächt, weil diese damit den
Schwankungen der Weltmärkte ausgesetzt wird.
Außerdem profitieren von der Zerstörung der
traditionellen
nahrungsmittelerzeugenden
Landwirtschaft, die durch den Anbau von Monokulturen
für den Export ausgelöst wird, nahezu ausschließlich die
multinationalen Unternehmen.
Darüber hinaus hat der unkontrollierte freie Welthandel
verheerende Auswirkungen auf die Landwirtschaft des
Südens, wie es im Bericht ganz richtig heißt. Die
Öffnung der Agrarmärkte zwingt die Landwirte, zu
Weltmarktpreisen zu produzieren. Diese Preise sind so
niedrig, dass weder die Landwirte im Norden noch die
im Süden umweltverträglich produzieren und ein
ausreichendes Einkommen für den Unterhalt ihrer
Familie erwirtschaften können.
Wie kann man unter diesen Bedingungen behaupten, so
fragt eine NRO aus Burkina Faso, dass der Welthandel
der Schlüssel zur Entwicklung der Länder des Südens
sei? Die Länder des Nordens haben ihre Landwirtschaft
immer abgeschottet. Warum sollte das, was im Norden
stets gut funktioniert hat und auch weiterhin funktioniert,
für den Süden nicht mehr gelten? Daher stellt sich die
Frage, ob die Öffnung den Landwirten oder den
multinationalen Unternehmen nutzen soll, die
beispielsweise die Bananenplantagen in Kamerun oder
in Côte d’Ivoire aufkaufen.
Will
man
das
grundlegende
Recht
der
Entwicklungsländer auf Ernährungssicherheit und das
Überleben ihrer Bauern gewährleisten, müssen bei den
internationalen Verhandlungen klare Grundsätze gelten,
angefangen damit, dass die WTO die differenzierte
Präferenzbehandlung der Entwicklungsländer unter
Berücksichtigung dieses Ziels anerkennt.
Was uns betrifft, so kann die Europäische Union nicht
weiterhin auf der einen Seite für die Entwicklung der
Länder des Südens eintreten und auf der anderen Seite
eine Agrarpolitik verfolgen, die viele ihrer Bemühungen
in diesem Bereich zunichte macht. Daher ist es
unumgänglich, die Abschaffung der von der Union
23/10/2002
gewährten Ausfuhrsubventionen zu beschleunigen.
Ebenso
ist
die
deutliche
Erhöhung
der
Agrarsubventionen zu verurteilen, die mit dem
amerikanischen
Gesetz
zur
Ausrichtung
der
Landwirtschaft beschlossen wurde, das Subventionen in
Höhe von 180 Milliarden Dollar über einen Zeitraum
von zehn Jahren vorsieht.
Ferner müsste sich die EU sehr viel nachdrücklicher für
gerechte Preise auf dem Weltmarkt einsetzen und damit
die Verschlechterung der terms of trade verhindern. Die
Schuldenlast führt auch dazu, dass vermehrt
Exportkulturen angebaut werden, um die für die
Rückzahlung dieser Schulden notwendigen Devisen zu
beschaffen. Die Frage des Schuldenerlasses ist also
aktueller denn je.
Schließlich, und damit komme ich zum Schluss, müssen
dringend
Investitionen
in
den
Bereichen
Humanressourcen und Infrastrukturen, vor allem im
Verkehr, getätigt werden. Ebenso dringlich ist auch die
Erhaltung der Wasservorkommen und der Artenvielfalt
als öffentliche Güter.
3-301
Maes (Verts/ALE). – (NL) Herr Präsident! Der
vorliegende Bericht findet meine uneingeschränkte
Unterstützung, ich frage mich aber, Frau Kommissarin,
ob wir dann, wenn wir Ihre berechtigten Forderungen
nicht zu erfüllen vermögen und wenn wir den
Empfehlungen des vorliegenden Berichts nicht zu
entsprechen in der Lage sind, Teil des Problems oder
Teil der Lösung sind.
Mit unserem Reichtum sollten wir eigentlich Teil der
Lösung sein. Wenn ich in dem Bericht lese, dass selbst
die Investitionen in die ländliche Wirtschaft innerhalb
von zehn Jahren fast um die Hälfte zurückgegangen
sind, dann darf es uns nicht wundern, dass auch die
Einkommen der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten
gesunken sind.
Bei meinen Reisen durch Afrika fühlte ich mich
beschämt, denn die weitab der Städte in den ländlichen
Gebieten gleich welchen Landes lebenden Menschen
sind
völlig
mittellos
und
haben
kaum
Überlebenschancen. Deshalb möchte ich dazu
auffordern, dass wir Prioritäten setzen, dass wir von jetzt
an erklären, wir werden den Absatz von Produkten
unserer Märkte stoppen, die den lokalen Herstellern
Probleme bereiten. Wir sollten faire Preise festlegen. Ich
stimme den Ausführungen zum Kaffeepreis zu. Ich
möchte vorschlagen, dass wir jetzt damit beginnen,
unnötige Ausfuhrsubventionen auslaufen zu lassen und
einen Stufenplan aufzustellen, in dem wir beweisen, dass
wir die ländliche Wirtschaft und den Anbau in den
ländlichen Gebieten fördern sowie die dort lebenden
Männer und Frauen – wie Sie zu Recht unterstrichen
haben – unterstützen wollen, damit sie eigenständig mit
unserer speziellen Hilfe umweltverträglich und mittels
neuer Energieformen zu einer Selbstversorgung mit
Lebensmitteln gelangen können, ohne in eine
Agrarproduktion hineingezogen zu werden, die sich
23/10/2002
auch für unsere eigenen Länder als nachteilig erwiesen
hat.
103
Probleme der Entwicklungsländer zu sehen, vor allem,
wenn wir die von mir genannten Gründe
berücksichtigen.
3-302
Hyland (UEN). – (EN) Herr Präsident, wir haben noch
einen langen Weg vor uns, wenn wir die Kluft zwischen
der Armut in der Dritten Welt und dem Lebensstandard
in den Industrieländern schließen wollen. Die geplante
Erweiterung der Europäischen Union führt uns die
Unterschiede zwischen den bestehenden Mitgliedstaaten
und den Beitrittsländern in Mittel- und Osteuropa vor
Augen. Ich will damit nicht sagen, dass wir unsere
Anstrengungen auf die Unterstützung dieser Länder statt
auf die Dritte Welt konzentrieren sollten, aber je stärker
wir die Volkswirtschaften, und insbesondere die
Agrarwirtschaften,
der
zukünftigen
neuen
Mitgliedstaaten stärken, um so besser werden wir unsere
Entwicklungsziele für die Dritte Welt erreichen.
Es kann nicht schaden, uns selbst in Erinnerung zu
rufen, und ich sage dies nicht aus egoistischen Gründen,
dass das Engagement der EU zugunsten der
Nachhaltigkeit der Familienbetriebe, sowohl in den
bestehenden Mitgliedstaaten als auch bei neuen
Mitgliedern, mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden
ist. Die Vorschläge der Kommission für eine weitere
Reform der GAP stehen sicherlich stärker im Einklang
mit dem Entwicklungsbedarf der Dritten Welt, aber ich
fürchte, dass unsere Ziele im Hinblick auf den Schutz
der Bauern in der Gemeinschaft, insbesondere in den
Randgebieten, nur schwer zu erreichen sein werden.
Die Tatsache, dass 1,2 Milliarden Menschen in den
ländlichen Gebieten der Entwicklungsländer in Armut
leben, stellt eine schwerwiegende Anklage gegen die
Industrieländer dar. Die langfristige Entwicklung und
die Nachhaltigkeit der Volkswirtschaften der Dritten
Welt hängen jedoch auch von unseren Anstrengungen
und von unserer hoffentlich erfolgreichen Unterstützung
ab, die wir diesen Ländern bei der Entwicklung ihrer
natürlichen Ressourcen und bei der Steigerung des
Mehrwerts dieser Ressourcen durch entsprechende
Maßnahmen zur Erleichterung des Marktzugangs für
ihre Produkte gewähren. Wir sollten jedoch nicht
vergessen, dass die EU der weltweit größte
Nahrungsmittelimporteur ist und dass 53 % dieses
Handels dank der eingeräumten Handelskonzessionen,
die im Einklang mit der GAP stehen, aus
Entwicklungsländern stammen.
Ich stimme mit dem Ausschuss des Parlaments für
Landwirtschaft und ländliche Entwicklung darin überein,
dass der unkontrollierte freie Welthandel verheerende
Auswirkungen auf den Anbau von Nahrungspflanzen in
den Entwicklungsländern hat und dass diese Länder das
Recht haben, ihre Erzeuger durch Zölle zu schützen.
Was die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung
betrifft, so verfolgen die EU und die Entwicklungsländer
gleichermaßen das Ziel, eine multifunktionale Form der
Landwirtschaft zu entwickeln, deren Schwerpunkte
verstärkt die ländliche Entwicklung und die
Nachhaltigkeit ländlicher Gemeinden bilden. Es ist
falsch, die Gemeinsame Agrarpolitik als Ursache für alle
Ich befürworte den weiteren Zugang von Produkten aus
Entwicklungsländern zu den Märkten der Gemeinschaft,
bin aber auch der Meinung, dass diese Entwicklung
schrittweise und sorgfältig geplant gemeinsam mit der
GAP-Reform erfolgen muss. Ich mag den Begriff
„dumping“ nicht, wenn damit die Überproduktion von
Nahrungsmitteln gemeint ist. Die Überproduktion eines
Nahrungsmittels, für das es keine Nachfrage gibt, macht
keinen Sinn, und es macht noch weniger Sinn, dieses
Nahrungsmittel dann in einer Weise abzusetzen, die zu
einer Beeinträchtigung der Agrarwirtschaft der
Entwicklungsländer führt. Es muss verhindert werden,
dass die Landwirte und die nahrungsmittelverarbeitende
Industrie die Märkte
der Entwicklungsländer
überschwemmen, um so schlechte Absatzmöglichkeiten
und eine unzureichende Produktdiversifizierung
innerhalb der Gemeinschaft oder in anderen
Industrieländern zu kompensieren.
3-303
Belder (EDD). – (NL) Herr Präsident! Der Zielsetzung
des Berichts Khanbhai kann ich voll und ganz
zustimmen, geht es doch um die Frage, wie die
europäische Landwirtschaft mit der landwirtschaftlichen
Entwicklung in den Ländern der Dritten Welt in
Einklang gebracht werden kann. Zu dem ausgewogenen
und konkreten Bericht habe ich drei Bemerkungen
anzubringen.
Erstens bedarf es wirksamer Antidumpingmaßnahmen,
um zu faireren Weltmarktpreisen zu gelangen. Der
Verkauf überschüssiger Erzeugnisse zu Dumpingpreisen
auf dem Weltmarkt führt gewöhnlich zu sehr niedrigen
Weltmarktpreisen. Landwirten in armen Ländern ist die
eigenständige
Teilnahme
am
Welthandel
zu
Marktbedingungen dadurch schier unmöglich.
Die Europäische Union macht sich jedoch weiterhin des
Dumpings mittels Ausfuhrsubventionen schuldig. Diese
Subventionen machen 8 % des Agrarhaushalts aus, der
sich auf 40 Milliarden EUR beläuft. Die notwendige
Abschaffung der Ausfuhrsubventionen hätte der
Berichterstatter durchaus noch etwas nachdrücklicher
betonen können.
Zweitens kann die Situation der armen Länder dadurch
verbessert werden, dass ihnen für Erzeugnisse, die für
sie von existenzieller Bedeutung sind, der Zugang zu
den Märkten der EU erleichtert wird. Tarifäre und
insbesondere nichttarifäre Handelshemmnisse wie
Gesundheits- und Umweltanforderungen erschweren den
Zugang zum Gemeinschaftsmarkt. Namentlich für
Länder, die im Bereich nur einer Produktkategorie wie
Bananen, Zucker oder Baumwolle tätig sind, ist ein
verstärkter Marktzugang extrem wichtig. Der
Berichterstatter anerkennt die Notwendigkeit der
Diversifizierung und unterbreitet dazu auch praktische
Vorschläge.
104
Letzter
Punkt:
Durch
eine
gezielte
Entwicklungszusammenarbeit kann die Handelsposition
armer Länder gefestigt werden. In dem Bericht wird
ganz richtig auf die notwendige Unterstützung durch
Erleichterungen hingewiesen. Da die strukturelle Hilfe
für die Basisinfrastruktur in erster Linie durch die
Mitgliedstaaten geleistet wird, sollte der Bericht die
Prioritätensetzung für die Verwendung dieser Mittel den
Geber- und Empfängerländern selbst überlassen.
Summa summarum trägt der Bericht zur möglichen
Schaffung eines nutzbringenden Verhältnisses zwischen
den Agrarsektoren Europas und der Entwicklungsländer
bei.
23/10/2002
wirtschaftlichen oder sozialen Grund mehr für die
Aufrechterhaltung des GAP-Systems. Der von der
Kommission vorgelegte Reformvorschlag ist dem nicht
angemessen, weil die Höhe der Beihilfen insgesamt
beibehalten wird. Der vorliegende Bericht hilft uns zu
begreifen, wie verheerend sich das auf die
Entwicklungsländer auswirkt.
Die Frau Kommissarin hat zu Recht die Initiative „Alles
außer Waffen“ erwähnt, doch ich möchte sie und alle
Kolleginnen und Kollegen daran erinnern, dass speziell
diese Initiative vorsieht, die endgültige Abschaffung der
Zollbarrieren für drei wichtige Erzeugnisse wie
Bananen, Reis und Zucker auf 2009 zu verschieben. Das
gereicht uns nicht grade zur Ehre.
3-304
Della Vedova (NI). – (IT) Herr Präsident, Frau
Kommissarin, der vorliegende Bericht enthält sehr
bedeutende Feststellungen, insbesondere insofern er
anerkennt, dass die Mechanismen zum Schutz der EULandwirte im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik
mit den Interessen der Landwirte in den
Entwicklungsländern in Wettbewerb stehen, die
schrittweise
Beseitigung
von
Handelsund
Steuerhemmnissen sowie den verstärkten Zugang zu
Märkten für die Hersteller aus den Entwicklungsländern
fordert – was die Kolleginnen und Kollegen mehrfach
getan haben – und die Praxis bedauert, bei der die EU
von
ihr
subventionierte
Produkte
in
Entwicklungsländern zu Dumpingpreisen verkauft.
Der Bericht enthält dazu widersprüchliche Passagen,
indem verheerende Auswirkungen des freien Handels
vorausgesagt werden, die nach meinem Dafürhalten im
Agrarbereich nicht eintreten werden. Der wichtigste
Aspekt jedoch, ich wiederhole es, auf den auch in der
heute Abend geführten Aussprache mehrmals
hingewiesen wurde, sind – und müssen es auf
europäischer Ebene auch sein – die Hemmnisse, mit
denen die Europäische Union nach wie vor den Zugang
von aus den Entwicklungsländern stammenden, auch
landwirtschaftlichen, Erzeugnissen behindert. Wir
müssen uns vor Augen halten, dass sich die
Agrarsubventionen
der
reichen
Länder
auf
350 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen, mithin also auf
das Siebenfache der 50 Milliarden Dollar, die von diesen
Ländern jährlich für die Auslandshilfe bereitgestellt
werden. In diesem Zusammenhang könnten wir auch an
die Feststellung von Oxfam erinnern, wonach die Hilfen,
die wir beispielsweise einem Kontinent wie Afrika
gewähren, aufgrund der bloßen Handelsbarrieren
faktisch unter den Handelsmöglichkeiten liegen, die wir
diesen Ländern bieten.
Ich möchte zwei Bemerkungen zur Europäischen
Kommission anführen. Meines Erachtens muss über die
Modalitäten einer nachhaltigen Agrarpolitik für die
Entwicklungsländer und somit über die Tatsache, dass
die Gemeinsamen Agrarpolitik nicht nachhaltig ist,
nachgedacht werden. Man sollte es endlich aussprechen,
dass die GAP, wenn auch mit einigen Abstufungen,
abgeschafft werden muss, denn es gibt auf nationaler,
europäischer oder internationaler Ebene keinen
3-305
Cunha (PPE-DE). – (PT) Herr Präsident, zunächst
möchte ich Herrn Khanbhai für seinen ausgezeichneten
Bericht danken. Trotz des moderaten Tons des Berichts
übt er eine gewisse Kritik an der Europäischen Union
und der GAP, die ich in einigen Fällen für ungerecht
halte.
Erstens erkennt der Bericht nicht an, dass die
Europäische Union heute der weltweit größte Markt für
Agrolebensmittel aus den ärmsten Ländern ist. Es sei nur
daran erinnert, dass die EU der weltweit führende
Importeur von Agrarerzeugnissen ist und dass aus
Entwicklungsländern jährlich für mehr als 27 Mrd. EUR
Waren eingeführt werden, also mehr als die Vereinigten
Staaten, Japan, Neuseeland, Kanada und Australien
zusammen aus diesen Ländern importieren.
Zweitens leisten die Europäische Union und ihre
Mitgliedstaaten die mit Abstand umfassendste Hilfe für
diese Länder, indem sie beispielsweise ca. 28 Mrd. USD
Entwicklungshilfe bereitstellen, während aus Japan
11 Mrd. USD und aus den USA 9 Mrd. USD kommen.
Drittens sollten wir daran denken, dass sich schließlich
die Europäische Union bei den Verhandlungen in der
Welthandelsorganisation am vehementesten für eine
positive Diskriminierung der Entwicklungsländer
eingesetzt hat, und dass sie es war, die die bisher
bedeutendste Initiative zugunsten der fünfzig ärmsten
Länder der Welt ins Leben gerufen hat, die Initiative
„Alles außer Waffen“, um den wichtigsten Erzeugnissen
dieser Länder den Zugang zum Gemeinschaftsmarkt
ohne irgendwelche Abgaben und ohne dass die Länder
Gegenleistungen akzeptieren mussten zu ermöglichen.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass
die Landwirtschaft in der EU im Wesentlichen die
Landwirtschaft der Entwicklungsländer ergänzt, da sie
ein wichtiger Importeur von Erzeugnissen aus
gemäßigten Klimazonen sind, während die Europäische
Union Großimporteur tropischer Produkte ist. Oft wird
der Konflikt mehr vom Standpunkt der Interessen
einiger Unternehmen aus gesehen, die in diesen Ländern
tätig sind, und nicht vom Standpunkt der Interessen der
einheimischen Bevölkerung aus.
3-306
23/10/2002
Martínez Martínez (PSE). – (ES) Herr Präsident, in
diesem Jahr 2002, in dem die internationale
Gemeinschaft nacheinander in Monterrey, Rom und
Johannesburg tagte, wo sie die vorrangige Aufgabe
stellte, zwei Drittel der Menschheit, die an Hunger,
Armut und Unterentwicklung leiden, aus dieser Situation
herauszuhelfen, hielt es das Europäische Parlament für
notwendig, Überlegungen anzustellen und einen
Standpunkt zu finden, wie die Europäische Union die
Agrarpolitik und die Politik der ländlichen Entwicklung,
die zum Aufschwung der Länder des Südens beitragen,
unterstützen kann.
Die
zahlreichen
Änderungsanträge,
die
vom
Berichterstatter flexibel akzeptiert wurden, haben dazu
beigetragen, dass vor uns nun ein annehmbarer und
ausgewogener Entschließungsantrag liegt. Aber es gibt
einen prinzipiellen Ansatz, den wir bei der Bewertung
der verschiedenen Politiken der Europäischen Union und
natürlich auch der Agrarpolitiken der Gemeinschaft
stärker berücksichtigen sollten.
Die Sozialisten haben lange Jahre jede Politik der
Gemeinschaft an ihrem Beitrag zur sozialen Kohäsion
gemessen. So haben wir eine bestimmte Politik als
positiv eingeschätzt, wenn sie einen Mehrwert im
Bereich des Zusammenhalts unserer Gesellschaften
bedeutete, und als negativ, wenn sie zum Anstieg der
Ungleichgewichte unter den Europäern beitrug. Nun, in
der uns immer stärker umgebenden globalen Welt ist
klar, dass die Solidarität keine ausschließlich interne,
innereuropäische Wertvorstellung sein kann. Und so
verdient jede Gemeinschaftspolitik unsere Zustimmung,
die nicht nur zum sozialen Zusammenhalt innerhalb
unserer Grenzen, sondern auch zum Abbau von
Ungleichheiten weltweit beiträgt.
Für uns war die Gemeinsame Agrarpolitik positiv, denn
sie unterstützte unsere Landwirte, damit sie nicht von
einem Prosperitätsprozess abgekoppelt wurden, von
denen andere Sektoren der Gesellschaft profitierten.
Künftig jedoch wird es bei der Bewertung der
Agrarpolitiken der Gemeinschaft nicht genügen zu
beurteilen, ob sie zum Erhalt oder zur Verbesserung der
Lage unserer Landwirte und Viehzüchter beitragen. Wir
werden außerdem bedenken müssen, ob die unseren
Erzeugern gewährten Subventionen auch
zur
Verbesserung der Situation der Dritten Welt beitragen
oder ob sie ihren Ruin verursachen, indem die Kluft
noch vergrößert wird, die sie von unserer entwickelten
Welt trennt. In diesem Fall werden solche Politiken nicht
annehmbar sein, und so schwierig die Aufgabe auch sein
wird, es werden andere Politiken gefunden werden
müssen, die gut und gerecht sind und einen Ausgleich
für den Norden schaffen, die gleichzeitig gut und gerecht
für den Süden sind und ein Gleichgewicht in den
Beziehungen zwischen dem Süden und dem Norden
schaffen.
Aus dieser Sicht werden wir für die Entschließung
stimmen, die der Ausschuss für Entwicklung und
Zusammenarbeit als Schlussfolgerung aus dem von
Kollegen Khanbhai präsentierten Bericht vorschlägt.
105
3-307
Patakis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Das
Problem der Lebensmittelversorgung und des Hungers,
von dem 20 % der Erdbevölkerung betroffen sind, stellt
zweifellos einen dunklen Punkt in der modernen
Zivilisation dar und zeigt, dass der Kapitalismus selbst
elementare Probleme nicht zu lösen vermag. Der Text
des Berichts ist gekennzeichnet durch ein heuchlerisches
Interesse für die Völker und Landwirte der
Entwicklungsländer,
durch
Wunschdenken
und
Widersprüche, und er ist darauf ausgerichtet, den
Verantwortlichen für dieses Problem ein Alibi zu geben,
um diese das Problem weiter verstärkende Politik
fortzusetzen.
Ziel des vorgeschlagenen Plans ist die Lösung des
Problems der Lebensmittelversorgung mit einer
Zwischenetappe bis zum Jahr 2015, in der die Anzahl
der Menschen, die gezwungen sind, mit einem Dollar am
Tag zu leben, halbiert werden soll. Dieses Ziel wird
jedoch durch die Reformen der GAP aufgehoben, die die
Agrarproduktion der Gemeinschaft einschränken, um sie
in Übereinstimmung mit dem von der WTO definierten
Weltmarkt zu bringen, anstatt sich an den Bedürfnissen
der Menschheit nach Nahrungsmitteln zu orientieren.
Und warum? Weil entsprechend der in der Europäischen
Union herrschenden Meinung das Nahrungsmittel kein
Produkt ist, das Ernährungsbedürfnisse erfüllt, sondern
das Handel und Industrie und den multinationalen
Konzernen hohe Gewinne bietet.
Mit den ständigen Reformen der GAP wird die
Europäische Union hinsichtlich der Produkte immer
defizitärer, sie ruiniert ihre Landwirte und zwingt
gleichzeitig die Entwicklungsländer mit erpresserischen
Verträgen und Preismechanismen, ihre Agrarerzeugnisse
zu Niedrigpreisen zu verkaufen. Damit zieht sie die
Schlinge um den Hals der Völker dieser Länder immer
fester und sichert die Profite der multinationalen
Konzerne.
Die Lösung besteht nicht in der Abschaffung der
Beihilfen in den entwickelten Ländern, die damit ihre
Landwirte ins Elend stürzen und sie letztlich mit den
Landwirten der Entwicklungsländer gleichstellen
würden, sondern in der Sicherung gleichberechtigter
internationaler Handelsbeziehungen zwischen den
entwickelten und den Entwicklungsländern, um so das
Lebensniveau ihrer Völker zu verbessern, ihre
Auslandsschulden zu verringern und ihre gesamte
inländische Produktion zu steigern. Das Wunschdenken
und die Widersprüche in dem Bericht erreichen den
Gipfel der Heuchelei mit dem Vorschlag, genetisch
veränderte Organismen in der Landwirtschaft der
Entwicklungsländer zu nutzen, die ihnen von
verschiedenen
multinationalen
Konzernen
ohne
Rücksicht auf die Konsequenzen geliefert werden.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Problem des
Hungers ein politisches und soziales und kein
technisches ist. Die heutigen Produktionsmöglichkeiten
und -voraussetzungen würden ausreichen, um die
weltweiten Ernährungsbedürfnisse unter Respektierung
106
der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit
abzudecken, was aber das existierende soziale System,
nämlich die Herrschaft des Kapitalismus, nicht erlaubt.
Der von uns diskutierte Bericht folgt den
Standardformeln und enthält keine positiven Vorschläge
zur Lösung des weltweiten Ernährungsproblems. Er
schlägt im Gegenteil Maßnahmen vor, die die Probleme
noch verschärfen und ernste Gefahren für die Umwelt
und die öffentliche Gesundheit mit sich bringen sowie
die Entwicklungsländer in Abhängigkeit von den
multinationalen Konzernen der entwickelten Länder
stürzen.
3-308
VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS ROCA
Vizepräsident
3-309
Souchet (NI). – (FR) Herr Präsident, von den sechs
Milliarden Menschen auf der Welt leiden heute mehr als
800 Millionen unter Unterernährung. Dreiviertel von
ihnen sind Landbewohner, arme, schlecht ausgerüstete
Bauern, die keine Märkte haben, auf denen sie ihre
Erzeugnisse verkaufen können, und ihre Produktion
daher auf das für ihren eigenen Verbrauch Nötige
beschränken. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass die
Mehrheit derer, die Hunger leiden, keine Städter sind,
die Nahrungsmittel kaufen, sondern Landbewohner, die
Nahrungsmittel für den Verkauf erzeugen. Schuld am
Hunger in der Dritten Welt ist also der Rückgang der
Preise für Agrarerzeugnisse. Nur durch den Zugang zu
Märkten mit einträglichen Preisen können diese armen
Landwirte ein ausreichendes Einkommen erwirtschaften,
um ihre Produktionsmethoden zu modernisieren, Geräte
anzuschaffen und Zugang zu Betriebsmitteln,
Bewässerungsanlagen und besserem Saatgut zu erhalten.
Die größten Fortschritte bei der Bekämpfung des
Hungers haben die Länder gemacht, die – wie
insbesondere Indien und China – ihren Landwirten mit
Hilfe einer Politik der Agrarpreisstützung und der
Subventionierung
von
Betriebsmitteln,
Verkehrsinfrastrukturen und Bewässerungsanlagen den
Zugang zum eigenen Binnenmarkt verschafft und damit
eine Erhöhung ihrer Kaufkraft, ihrer Produktivität und
ihrer Erzeugnisse ermöglicht haben. Zugenommen hat
der Hunger hingegen in Ländern, in denen der Rückgang
der Agrarpreise zur Verarmung der Landwirte geführt
hat, wodurch die Vermarktungskreisläufe ruiniert und
zahlreiche von der Not bedrohte Landbewohner in die
unzureichend ausgestatteten Vororte der Großstädte oder
in die Emigration getrieben wurden.
Daher muss der Rückgang der Agrarpreise gestoppt
werden. Der Zugang zu einem einträglichen lokalen
Markt
ist
das
erste
Recht
eines
jeden
landwirtschaftlichen
Erzeugers,
die
wichtigste
Bedingung für ein Wachstum der landwirtschaftlichen
Erzeugung, eine notwendige Voraussetzung, um den
Hunger in der Welt zu bekämpfen. Die wahnwitzige
Vorstellung, man könne aus der Welt einen riesigen
Agrarmarkt ohne Grenzen machen, muss aufgegeben
werden. Ein Wettbewerb zwischen einem Bauern aus
23/10/2002
dem Tschad und einem Farmer aus Minnesota, oder
zwischen einem Schäfer aus den Anden und einem
großen Schafhaltungsbetrieb in Neuseeland ist
schlichtweg unmöglich. Die Länder, die diesen
gemeinsamen Weltmarkt propagieren, vor allem die
Cairns-Gruppe, sind keine Länder, in denen Hunger
herrscht, sondern Länder, die aufgrund besonders
niedriger Produktionskosten, großer Agrarbetriebe,
niedriger Löhne und umfangreicher Agrarinvestitionen
in der Lage sind, die Landwirte der Länder zu ruinieren,
in denen diese günstigen Bedingungen nicht bestehen.
Für die Politik der Europäischen Union sind daraus drei
Schlussfolgerungen zu ziehen. Erstens, die Projekte für
die Entwicklung der Landwirtschaft, die wir in den
Entwicklungsländern finanzieren, müssen alle eine
Komponente zur Unterstützung der Vermarktung von
Nahrungsmitteln vorsehen. Zweitens, wir müssen die
Entwicklungsländer bzw. die Ländergruppen mit
ähnlichen Produktionskosten dabei unterstützen, ihren
Binnenmarkt vor den Dumpingpreisen des Weltmarktes
mit Hilfe von Instrumenten zu schützen, ohne die ihre
eigenen Erzeuger in den Ruin getrieben werden. Drittens
müssen
wir
uns
bei
den
internationalen
Handelsverhandlungen nachdrücklich für das Recht auf
Ausnahmeregelungen für die Landwirtschaft einsetzen,
für das Recht der Nationen, ihre Landwirte, die sie
ernähren, zu schützen.
In diese Richtung gingen die Änderungsanträge, die
unser Landwirtschaftsausschuss eingereicht hat. Der
Ausschuss für Entwicklung hat sie angenommen, nun
bitte ich Sie, diese Anträge ebenfalls zu unterstützen.
3-310
Keppelhoff-Wiechert (PPE-DE). - Herr Präsident, Frau
Kommissarin! Zuerst möchte auch ich meinem
Kollegen, Herrn Khanbhai, für seinen Initiativbericht
sehr herzlich danken. Als Mitglied der AKP-Delegation
des Europäischen Parlaments beschäftigt mich diese
Thematik seit Jahren. Nachhaltige Agrarpolitik, die
Landreform und die ländliche Entwicklung sind eine
wichtige politische Herausforderung im Hinblick auf die
Eigenständigkeit der Entwicklungsländer. Warum haben
wir mit unserer großen finanziellen Unterstützung nicht
entscheidender zur Verbesserung in den ärmsten
Ländern beitragen können? Ich frage mich immer, was
macht Europa falsch? Was machen die reichen Länder
falsch, aber welche Chancen haben auch die
Armutsländer durch verstärkte eigene Bemühungen? Ich
finde, wir müssen in diesen Fragen sehr viel
ungeduldiger werden, denn wir stellen fest - und wir
haben Beispiele dafür -, dass die Weltbevölkerung diese
Ungerechtigkeit nicht länger hinnehmen wird. Als
europäische Agrarpolitiker wissen wir zu gut, dass die
gemeinsame
Agrarpolitik
der
Europäischen
Gemeinschaft in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die
Landwirtschaft der ärmsten Länder ganz regelmäßig
scharf kritisiert wird, und das war heute Abend hier auch
bei einigen Debattenbeiträgen wieder der Fall.
Richtig ist jedoch, dass die Kritiker sich diese Antwort
aus meiner Sicht regelmäßig zu leicht machen, denn es
23/10/2002
ist falsch zu glauben, dass eine größere Öffnung des
Handels zwangsläufig zu einer besseren Entwicklung
des Nahrungsmittelsektors in den Entwicklungsländern
führen werde. Viele haben es gesagt: Die EU ist schon
jetzt der größte Nahrungsmittelimporteur der Welt, und
vor
diesem
Hintergrund
wird
das
Landwirtschaftsproblem der überwiegenden Mehrheit
der Entwicklungsländer nicht allein durch einen
intensiveren Handel und eine landwirtschaftliche
Deregulierung gelöst. Es ist nämlich falsch - dies auch
an die Adresse von Frau Kinnock -, eine totale
Liberalisierung mit dem Verzicht auf nationale Quoten
in den Entwicklungsländern zu fordern. Das würde zu
einer gnadenlosen Wettbewerbsverzerrung führen, die
Kleinbauern hätten überhaupt keine Chance zu bestehen.
Lassen Sie mich abschließend drei Fakten erwähnen:
Wir brauchen die Produktion für die Selbstversorgung,
für den Export auf geklärten Landbesitzverhältnissen,
wir brauchen eine bessere Beschäftigung, wir brauchen
eine nachhaltige Bewirtschaftung, und wir sollten uns
neue Wege überlegen.
3-311
Wallström, Kommission. – (EN) Herr Präsident, wir
könnten die ganze Nacht über die Themen ländliche
Entwicklung, Agrarsubventionen, Gleichstellung von
Frauen und Männern, Landreform, Erhöhung der
öffentlichen Entwicklungshilfe zur Unterstützung der
ländlichen Entwicklung und so weiter diskutieren, aber
das wäre sicher nicht in Ihrem Sinne, auch wenn diese
schwierigen Fragen unsere ganze Aufmerksamkeit
verdienen.
Wir
werden
zum
nächsten
Tagesordnungspunkt übergehen, und wir haben diese
überaus sensiblen und wichtigen Themen kaum berührt.
Die Agrarreform, wie sie in der Überprüfung festgelegt
ist, geht in die richtige Richtung, aber das wird auf lange
Sicht sicher nicht ausreichen.
Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass die
Bekämpfung der Armut beim Weltgipfel für nachhaltige
Entwicklung in Johannesburg ganz oben auf der
Tagesordnung stand. Dies wird unsere zukünftigen
Diskussionen unterstützen. Dieser Bericht leistet ebenso
wie die von meinem Kollegen, Herrn Nielson,
vorgelegte Mitteilung über die Leitlinien zur
Gemeinschaftsinitiative für die Entwicklung des
ländlichen Raums einen wertvollen Beitrag für die
Umsetzung und die Nachbearbeitung des Gipfeltreffens.
Ich danke Ihnen für diese sehr wichtige und interessante
Debatte.
3-312
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.30 Uhr statt.
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNG (Art. 120)
3-313
Piétrasanta (Verts/ALE), schriftlich. – (FR) Die
Subventionen für die europäischen landwirtschaftlichen
Großbetriebe benachteiligen unsere kleinen Erzeuger,
107
aber auch die Betriebe der Entwicklungsländer, die nicht
in der Lage sind, einer solchen Konkurrenz
standzuhalten.
Die GAP muss diesbezüglich revidiert werden. Dabei
sind alle Maßnahmen aufzunehmen, die es diesen
Ländern ermöglichen, eine in Hinblick auf
Produktionskosten
und
Erzeugnisqualität
wettbewerbsfähige Landwirtschaft zu entwickeln. Für
den Schutz der Umwelt muss Sorge getragen werden,
damit die Verschlechterung der Umweltbedingungen
nicht zu einer Verschlechterung der Ackerböden führt,
insbesondere durch Intensivkulturen, den übermäßigen
Einsatz von chemischen Düngemitteln und Pestiziden
sowie die Verunreinigung der Agrarerzeugnisse mit
GVO. Auf diese Weise kann eine gesunde und
ökologische Landwirtschaft erhalten werden. Diese
Fragen verdienen eine sorgfältige Untersuchung in
Zusammenarbeit
mit
der
Gemeinsamen
Forschungsstelle.
Zudem sind der Schutz und die rationelle Nutzung der
Wasservorkommen für diese Länder äußerst wichtig.
Die Programme SMAP und MEDA sowie die anderen
Programme der Zusammenarbeit der Europäischen
Union mit Drittländern können ebenfalls in dieser
Richtung weiterentwickelt werden.
3-314
CITES
3-315
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt
Erklärung der Kommission zur 12. Konferenz
Vertragsparteien des Übereinkommens über
internationalen Handel mit gefährdeten Arten
lebender Tiere und Pflanzen (CITES).
die
der
den
frei
3-316
Wallström, Kommission.  (SV) Herr Präsident,
verehrte Abgeordnete! Die Europäische Union trägt eine
besondere Verantwortung für die Gewährleistung eines
nachhaltigen Handels mit gefährdeten Arten frei
lebender Tiere und Pflanzen, da wir einen der größten
Märkte für solche Arten und ihre Produkte darstellen.
Darüber hinaus müssen wir den Entwicklungsländern bei
der Entwicklung effizienter Strategien zum Schutz wild
lebender Arten helfen.
Wie Sie wissen, hat die Kommission im September im
Vorfeld der Konferenz in Santiago de Chile Richtlinien
für die Gemeinschaft vorgeschlagen. Unser Vorschlag
basierte auf der Achtung der wissenschaftlichen
Kriterien, die entscheiden, in welchen Anhang zum
CITES-Übereinkommen
verschiedene
Arten
aufgenommen werden. Zu diesen Kriterien gehört auch
das Vorsorgeprinzip.
Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, dass der Standpunkt
der Kommission sich nur unbedeutend von den
Gesichtspunkten unterscheidet, die vom Ausschuss für
Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik
vorgetragen wurden. Die Kommission stimmt den
Empfehlungen für Wale, Süßwasserschildkröten,
108
Meeresschildkröten sowie Seepferde zu. Mich freut auch
der Beschluss des Ausschusses, eine Empfehlung zur
Ratifizierung der Gaborone-Änderung mit aufzunehmen,
durch die die Gemeinschaft die Möglichkeit erhält,
Vertragspartei des Übereinkommens zu werden.
Die Kommission unterstützt die Aufnahme von
kommerziell genutzten Fischarten in die Anhänge, wenn
sie die jeweiligen Kriterien erfüllen und die
Bewirtschaftung ihrer Bestände nicht in anderer Weise
auf internationaler Ebene ausreichend geregelt ist. Vor
diesem Hintergrund schließe ich mich Ihrer
Unterstützung der Aufnahme des Riesenhais und des
Walhais in Anhang II des CITES an.
Das gleiche Prinzip liegt der Einschätzung des
Vorschlags über die Aufnahme von Arten des
australischen und antarktischen Schwarzen Seehechts in
Anhang II durch die Kommission zu Grunde. Ich
verstehe, dass für diesen Vorschlag wichtige biologische
Gründe vorliegen. Gleichzeitig weiß ich, dass die
Nutzung dieser Arten gegenwärtig von der Kommission
für die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der
Antarktis (CCAMLR) geregelt wird, in der die
Gemeinschaft vertreten ist. Auch wenn diese
Kommission nur über eine begrenzte Anzahl von
Mitgliedern verfügt, beinhaltet die von der CCAMLR
eingeführte
Fangdokumentationsregelung
Bestimmungen, die eine hohe Ähnlichkeit zu denen von
CITES aufweisen. Meines Erachtens sollte die
Aufnahme in das CITES-Verzeichnis unterstützt werden,
wenn dadurch die Durchführung dieser Regelung
gefördert werden kann und andere Länder zu ihrer
Umsetzung ermuntert werden. Die Kommission ist
jedoch der Auffassung, dass der Vorschlag in seiner
gegenwärtigen Formulierung nicht zur Erreichung dieses
Ziels führen wird. Ich hoffe, dass man sich auf der
Konferenz über Änderungen verständigen kann, die den
Vorschlag effizienter machen.
Ich kann an dieser Stelle auch bestätigen, dass sich die
Kommission einer Wiederaufnahme des kommerziellen
Handels mit Elfenbein widersetzt, solange nicht völlig
außer Zweifel steht, dass ein solcher Handel nicht zu
einer Zunahme der Wilderei führen und sich nicht
negativ auf den Status der Elefantenpopulation
auswirken wird. Bisher lässt die Beweisführung in dieser
Frage keinerlei Schlussfolgerungen zu. Aus diesem
Grunde ist es angemessen, eine Vorgehensweise zu
wählen, die auf dem Vorsorgeprinzip basiert.
Allerdings müssen wir zwischen kommerziellem Handel
mit Elfenbein und der Frage unterscheiden, in welchem
der CITES-Verzeichnisse die Elefanten am besten
aufgeführt werden sollten. Wir können nicht davon
absehen, dass es eine große Anzahl afrikanischer
Elefanten in mehreren Ländern im südlichen Afrika gibt,
deren Populationen gegenwärtig im Anhang II
aufgeführt sind. Diese Populationen werden gut
bewirtschaftet und vergrößern sich. Aus diesem Grunde
wird der Vorschlag Kenias und Indiens, alle
Populationen des afrikanischen Elefanten in Anhang I
aufzunehmen, durch die in CITES verankerten
23/10/2002
wissenschaftlichen Kriterien nicht untermauert. Statt
diesen Konflikt wieder aufleben zu lassen, sollte die
Gemeinschaft meiner Meinung nach versuchen,
Lösungen zu finden, die das Überleben der Elefanten in
ihrem gesamten Verbreitungsgebiet fördern und von
allen Staaten in diesem Gebiet unterstützt werden
können.
Herr Präsident! Ich möchte dem Europäischen Parlament
abschließend mitteilen, dass im Vorfeld der Konferenz
neben den in seiner Entschließung enthaltenen Punkten
auch eine Vielzahl anderer Vorschläge vorgelegt worden
sind, die sich positiv auf den Erhalt der Arten auswirken
und von der Kommission unterstützt werden. Hierzu
gehören ein Vorschlag, eine Art des echten Mahagoni in
das Verzeichnis des Anhangs II aufzunehmen sowie
Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsmethoden von
CITES.
3-317
Corbey (PSE). – (NL) Herr Präsident! Der Schutz der
biologischen Vielfalt ist eine der wichtigsten, aber auch
schwierigsten Aufgaben. Immer wieder stehen wir vor
Situationen, in denen die Entscheidung für den
Artenschutz bisweilen weniger opportun erscheint.
Immer wieder gibt es triftige Gründe, gelegentlich von
strengen und einschneidenden Maßnahmen zum Schutz
vom Aussterben bedrohter Tierarten abzusehen. Dies ist
auch jetzt der Fall. Ich werde nun kurz auf den
afrikanischen Elefanten eingehen.
Für eine nicht völlige Unterbindung des Handels mit
Elfenbein gibt es meiner Meinung nach stichhaltige
Argumente. Erstens entspricht der afrikanische Elefant
wissenschaftlichen Gutachten zufolge keineswegs den
festgelegten Kriterien, die Population nimmt zu und ist
gesund. Zweitens wird ein völliges Verbot meiner
Überzeugung nach nicht dazu führen, dass nicht mehr
gewildert wird. Durch ein Verbot kann der illegale
Handel sogar gefördert und der Preis in die Höhe
getrieben werden. Damit ist keinem Elefanten geholfen.
Drittens stößt die Vernichtung von Elfenbein auf
massiven Widerstand. Vernichtung widerspricht
jeglichem Konzept einer nachhaltigen Nutzung. Weshalb
soll denn ein natürliches, geschätztes und wertvolles
Material wie Elfenbein vernichtet werden?
Ohne Verpflichtungen seitens der örtlichen Behörden
und der Lokalbevölkerung wird schließlich der
Artenschutz meines Erachtens nicht funktionieren. Von
unseren Elfenbeintürmen hier in Straßburg aus können
wir zwar anderen das Gesetz zu diktieren versuchen; wir
können
von
unseren
elfenbeinernen
Kanzeln
Moralpredigten halten. Allerdings sollten wir uns
darüber im Klaren sein, dass wir damit nichts erreichen.
Fünf Länder im südlichen Afrika haben Alternativpläne
vorgelegt. Sie haben Erfahrungen gesammelt und waren
auch erfolgreich. Mit ihren Argumenten sollten wir uns
jedenfalls ernsthaft auseinandersetzen. Naturschutz kann
von der internationalen Gemeinschaft nicht oktroyiert
werden, und das sollte auch nicht unser Bestreben sein.
Deshalb haben wir allen Anlass, morgen nicht für die
23/10/2002
Wiederaufnahme des afrikanischen Elefanten in Anhang
I zu stimmen. Es gibt aber auch gute Gründe, eines zu
tun, nämlich ein politisches Signal zu setzen – das
Signal, dass das Europäische Parlament den Artenschutz
ernst nimmt; dass sich das Europäische Parlament jetzt
dafür einsetzt, dass auch in der Europäischen Union
nunmehr alles für den Erhalt der Artenvielfalt getan
wird.
Kurzum, dem vorliegenden Entschließungsantrag kann
ich mit Müh und Not zustimmen. Allerdings muss nach
meinem Dafürhalten zusätzlich noch ein politisches
Versprechen gegeben werden, das Versprechen nämlich,
dass wir uns auch selbst um die Biodiversität bemühen
werden; dass wir bemüht sein müssen, eine Lösung zu
finden, die auch für die afrikanischen Bevölkerungen
gültig ist.
3-318
de Roo (Verts/ALE). – (NL) Auch ich möchte über den
Elefanten sprechen. Fünf Länder im südlichen Afrika
wollen ihre Elfenbeinvorräte verkaufen. Das wäre
absolut falsch. Auf den vorigen CITES-Konferenzen
wurde – leider mit Zustimmung der Europäischen
Kommission und der Mehrheit der 15 EU-Regierungen,
jedoch gegen den Willen des Europäischen Parlaments –
beschlossen, Elefanten nicht mehr zu schützen. Das hat
sich als eine Katastrophe erwiesen, denn jetzt werden,
auch im südlichen Afrika, Elefanten in großer Zahl
illegal abgeschossen. Der Ausschuss für Umweltfragen,
Volksgesundheit und Verbraucherpolitik schlägt
einstimmig vor, Elefanten wieder vollständig zu
schützen. Die Kommission muss ihre feige und
halbherzige Haltung aufgeben.
Das System MIKE (Überwachung des illegalen
Abschusses von Elefanten) funktioniert nicht. Wir
sollten mit EU-Mitteln – 10 bis 15 Mio. EUR würden
reichen – die Elfenbeinbestände des südlichen Afrika
aufkaufen und vernichten, und wenn die europäischen
Regierungen dies mehrheitlich nicht möchten, dann
müssen eben die NRO genug Geld sammeln, um den
Ausverkauf der Elefanten zu stoppen. In Asien gibt es
nur noch 10 000 und in Afrika 300 0000 Elefanten.
1981, vor 20 Jahren, waren es noch 1 500 000. Die
Behauptung, Elefanten seien nicht gefährdet, ist
schlichtweg falsch. Das Abschießen von Elefanten heiße
ich nicht für gut, es ist unzivilisiert. Ich bin gespannt,
wer morgen für den Abschuss stimmen wird.
3-319
Sandbæk (EDD). – (EN) Herr Präsident, ich glaube
nicht, dass sich jemand von uns hier ernsthaft fragt, ob
der Handel mit Elfenbein erlaubt werden sollte oder
nicht: Natürlich darf es keinen Handel mit Elfenbein
geben. Dies hat jedoch nichts mit der Tatsache zu tun,
dass südafrikanische Elefanten nicht erneut in Anlage I
aufgenommen werden sollten.
Ich weiß nicht, ob Sie den Brief gesehen haben, den wir
diese Woche von der Europäischen Fachgruppe
Nachhaltige Nutzung erhalten haben. Darin werden wir
darauf hingewiesen, dass eine solche Entscheidung im
Widerspruch zu dem wissenschaftlichen Rat stünde, den
109
die Vertragsparteien von der IUCN, dem offiziellen
Beratungsgremium
der
CITES-Konferenz
über
Vorschläge zur Aufnahme von Arten, erhalten haben.
Diesem wissenschaftlichen Rat zufolge werden die
Kriterien für eine Aufnahme in Anhang I im Fall der
erwähnten
Elefantenpopulationen
in
den
südafrikanischen Ländern nicht erfüllt, während die
Voraussetzungen für eine Auflistung in Anhang II erfüllt
sind. Wissenschaftlich gesehen, besteht also überhaupt
kein Grund, eine Änderung vorzunehmen. Auch wenn
wir die Populationen erhalten wollen, sollten wir keine
Änderung vornehmen, denn es besteht kein Zweifel
daran, dass die Nutzung von wild lebenden Ressourcen,
wenn diese nachhaltig sind, wie dies im südlichen Afrika
der Fall ist, ein wichtiges Instrument für die Erhaltung
ist. Durch die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile, die
sich aus einer solchen Nutzung ergeben, werden Anreize
für die Bevölkerung zur Erhaltung dieser Arten
geschaffen.
Wenn wir die Elefanten unter den gegebenen Umständen
wieder in Anhang I aufnehmen, würden wir damit den
Ländern mit einer kleinen Elefantenpopulation ein
falsches Signal geben. Wir würden ihnen damit sagen,
dass es sich für sie nicht auszahlt, Geld in die Erhaltung
ihrer Elefantenpopulationen zu investieren. Sie
verschwenden also Geld für die Elefanten, statt dieses
Geld für Schulen oder Krankenhäuser auszugeben.
Welchen Anreiz zum Schutz der Elefanten erhalten die
Länder mit kleinen Elefantenpopulationen dadurch?
Es ist schade, dass nicht mehr Mitglieder dieses Hauses
beim Vortrag der Ministerin für Natur und Tourismus
aus Botswana anwesend waren. Sie sagte, in Botswana
liebe man die Elefanten. Man wolle die Elefanten
erhalten, und dieses Ziel könne am besten erreicht
werden, wenn die Elefanten weiterhin in Anhang II
aufgelistet bleiben.
3-320
Miguélez Ramos (PSE). – (ES) Herr Präsident, ich
möchte auf Absatz 3 dieses Entschließungsantrags
eingehen und speziell auf die Art mit der
wissenschaftlichen Bezeichnung Dissostichus, die als
südlicher oder schwarzer Seehecht bekannt ist. Der
Dissostichus hat einen großen kommerziellen Wert (er
wird als „schwarzes Gold“ bezeichnet), und sein
Gleichgewicht ist sehr empfindlich.
Der Fischereiausschuss, dessen Mitglied ich bin,
erarbeitet derzeit drei Berichte über diesen Bestand, und
ich bin Berichterstatterin über die Schaffung eines
Systems zum Dokumentieren der Fänge.
Heute möchte ich vor diesem Hohen Haus die
Nichtaufnahme dieser Spezies in die CITES-Liste
verteidigen, und zwar aus folgenden Gründen: Wir
dürfen nicht vergessen, dass bereits eine internationale
Organisation besteht – das Übereinkommen über die
Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis,
abgekürzt CCAMLR –, die seit zwanzig Jahren
erfolgreich über den Erhalt dieser und anderer Arten der
110
Antarktis wacht. Die Gemeinschaft ist Vertragspartei
dieses Übereinkommens.
Der Vorschlag, den Dissostichus in das Übereinkommen
CITES aufzunehmen, kam nicht von uns, sondern von
Australien. Weder wir noch – soweit ich weiß – die
Kommission sind dagegen; wir halten es einfach für
nützlicher, wenn CCAMLR selbst diesen Beschluss auf
seiner Jahresversammlung fasst, die in dieser und der
nächsten Woche in Chile stattfindet und auf der das
Europäische Parlament durch Herrn Stevenson, den
Vorsitzenden des Fischereiausschusses, vertreten sein
wird.
Gegenwärtig hat CCAMLR nach schwierigen
Verhandlungen Kanada und Mauritius als assoziierte
Mitglieder aufgenommen. Kanada ist neben den USA
der kommerzielle Hauptabnehmer der Art Dissostichus,
und Mauritius ist ein wichtiger Durchgangsort. Ihr
Beitritt zu CCAMLR gibt dieser internationalen
Organisation die Kontrolle über 98 % des Welthandels
bei Dissostichus. Für uns wäre CITES als Ergänzung zu
CCAMLR nützlich. Aber wir müssen vorsichtig sein,
denn – falls wir mit unserer Entscheidung dem
natürlichen Verlauf der Ereignisse vorauseilen – wir
könnten ungewollt einen nicht gewünschten Effekt
hervorrufen, indem wir eine Organisation schwächen,
die in ihrem langen Leben hinlänglich gezeigt hat, dass
sie eine gute Arbeit in Bezug auf die höchst sensible
Unterwasserwelt der Antarktis leistet.
Wir müssen unsere Anstrengungen bündeln, dürfen uns
nicht verzetteln, und wir müssen unsere Präsenz in den
multilateralen Fischereiorganisationen verstärken, die
einzige Möglichkeit, den schwierigen Aufgaben gerecht
zu werden, die die Erhaltung der Fischarten weltweit
stellt.
3-321
Isler Béguin (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, Frau
Kommissarin! Wie Sie und auch meine Kollegen bereits
erwähnten, wird die Frage der Elefanten auf der
nächsten
CITES-Konferenz
wieder
auf
der
Tagesordnung stehen. Wird die auf Antrag Indiens und
Kenias beschlossene Wiederaufnahme der Afrikanischen
Elefanten in Anhang I genügen, um den dramatischen
Rückgang dieser Tiere in einigen afrikanischen Ländern
aufzuhalten, während ihre Zahl in anderen Ländern
steigt? Die Meinungen sind geteilt.
Das höchst komplizierte System MIKE hat bisher keine
zufriedenstellenden Antworten gebracht, was sich
zahlreichen Experten zufolge auch in Zukunft nicht
ändern wird. Es hat jedoch umfangreiche Mittel
verschlungen, die besser hätten verwendet werden
können, wenn man sie beispielsweise für die
Bekämpfung der Wilderei oder die Ausbildung der
Wildhüter eingesetzt hätte.
Das Verbreitungsgebiet der Elefanten, die wegen ihres
Elfenbeins oft illegal abgeschossen werden, hat sich
erheblich verändert und verkleinert. Sollte ihre Nutzung
zugelassen werden, könnte dies unabhängig von den
23/10/2002
dafür
festgelegten
Rahmenbedingungen
und
Beschränkungen zu einem erneuten Anstieg der Wilderei
führen und langfristig ihre Ausrottung in einigen
afrikanischen Ländern mit sich bringen. Die Europäische
Union muss daher jeglicher genereller Wiederaufnahme
des Elfenbeinhandels eine deutliche Absage erteilen.
Doch abgesehen davon, welches Recht hätten wir, der
einheimischen Bevölkerung, die ihre Fauna in
vernünftigem Umfang wirtschaftlich nutzen wollte,
Lehren zu erteilen, wenn wir, in Frankreich
beispielsweise, noch nicht einmal in der Lage sind, die
Bedingungen für das Überleben einiger Bären in den
Pyrenäen oder einiger weniger Wölfe in den Alpen zu
gewährleisten?
Verglichen damit ist Kuba zu beglückwünschen, das
seinen Antrag auf Handel mit Schildkröten
zurückgezogen hat. Parallel dazu muss die Europäische
Union den im Namen der Kaimaninseln gestellten
Antrag auf das Züchten von Suppenschildkröten in
Gefangenschaft ablehnen, denn das könnte den illegalen
Handel mit diesen Tieren begünstigen. Die Erhaltung der
Artenvielfalt auf der Erde muss über strikte und gezielte
Beschlüsse sichergestellt werden, die den illegalen
Händlern jeglicher Art keine Schlupflöcher lassen.
Dabei muss es der einheimischen Bevölkerung
ermöglicht werden, ihre natürlichen Ressourcen,
einschließlich der Fauna, nachhaltig zu bewirtschaften,
auch wenn dies bisweilen der Quadratur des Kreises
gleichkommen mag.
3-322
Wallström, Kommission. – (EN) Herr Präsident, ich
möchte zum Abschluss noch zwei kurze Anmerkungen
zu Elefanten und dem Zahnfisch machen. Erstens
möchte ich Ihnen versichern, dass die Kommission auch
weiterhin alle Maßnahmen ablehnt, die zu einer
Zunahme des widerrechtlichen Tötens von Elefanten
führen könnten. Ich habe bereits erklärt, dass wir gegen
die Wiederaufnahme des kommerziellen Handels mit
Elfenbein sind, solange der Nachweis nicht erbracht
werden kann, dass dies nicht zu einem Anstieg der
Wilderei führen wird.
Gleichzeitig möchte ich die großen Fortschritte
würdigen, die in einigen Ländern des südlichen Afrika
beim Management der dortigen Elefantenpopulationen
erreicht worden sind. Es ist verständlich, dass man in
diesen Ländern manchmal das Gefühl hat, für die
unternommenen Anstrengungen bestraft statt belohnt zu
werden. Wenn ihre Anliegen nicht berücksichtigt
werden, besteht eine echte Gefahr, dass in diesen
Ländern die öffentliche Unterstützung für die Erhaltung
der Elefanten und für CITES im Allgemeinen nicht mehr
gewährleistet werden kann. Wir sollten Maßnahmen wie
die vorgeschlagene strengere Klassifizierung für
Elefanten in CITES vermeiden, die nur zu einer
Polarisierung der Debatte führen wird, ohne dass
dadurch ein echter zusätzlicher Schutz dieser Tiere
erreicht wird.
23/10/2002
111
Was den Zahnfisch anbelangt, müssen wir die
Kompetenzen
von
CAMLAR
und
anderen
Fischereiorganisationen respektieren und gleichzeitig
eine konstruktive Haltung gegenüber allen Vorschlägen
einnehmen, mit denen ein besserer Schutz für Fischarten
mit Bedeutung für den Handel erreicht werden kann.
Sie können also meiner Unterstützung und der
Unterstützung der Kommission sicher sein, wenn durch
eine Auflistung in CITES eine Stärkung und Ergänzung
des derzeitigen Managements von Zahnfisch erreicht
werden kann.
3-323
Der Präsident. – Ich teile Ihnen mit, dass ich zum
Abschluss der Debatte über diese Erklärung gemäß
Artikel
37
der
Geschäftsordnung
den
Entschließungsantrag B5-0527/2002 im Namen des
Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und
Verbraucherpolitik erhalten habe.
Die Abstimmung findet morgen um 11.30 Uhr statt.
3-324
Gefährliche Produkte
3-325
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die
gemeinsame Aussprache über zwei Berichte von Herrn
Blokland im Namen des Ausschusses für Umweltfragen,
Volksgesundheit und Verbraucherpolitik:
– (A5-0291/2002) über den Vorschlag für eine
Verordnung des Rates über die Aus- und Einfuhr
gefährlicher Chemikalien (KOM(2001) 803 - C50320/2002 - 2002/0026(CNS)),
– (A5-0290/2002), über den Vorschlag für einen
Beschluss des Rates über die Genehmigung des
Rotterdamer Übereinkommens über das Verfahren der
vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für
bestimmte
gefährliche
Chemikalien
sowie
Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel im
internationalen Handel im Namen der Gemeinschaft
(KOM(2001) 802 - C5-0095/2002 - 2002/0030(CNS)).
3-326
Wallström, Kommission.  (SV) Herr Präsident,
verehrte Abgeordnete! Ihnen liegen zwei Vorschläge der
Kommission zum Rotterdamer Übereinkommen über
das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach
Inkenntnissetzung (PIC-Verfahren) für bestimmte
gefährliche Chemikalien sowie Pflanzenschutz- und
Schädlingsbekämpfungsmittel im internationalen Handel
vor. Es handelt sich dabei einerseits um einen Beschluss
des
Rates
über
die
Genehmigung
dieses
Übereinkommens im Namen der Gemeinschaft und
andererseits um die für eine Durchführung des
Übereinkommens in der Gemeinschaft notwendige
Verordnung. Der Beschluss über die Ratifizierung
bedarf wohl kaum einer weiteren Erläuterung.
Der Vorschlag der Kommission über eine
Durchführungsverordnung widerspiegelt sowohl den
Standpunkt der Kommission als auch den der
Mitgliedstaaten, dass die Durchführungsbestimmungen
über die reine Einbeziehung des Übereinkommens – das
Ergebnis eines Kompromisses zwischen allen
Vertragsparteien – hinausreichen sollten. Die
Gemeinschaft hat an bestimmten Stellen strengere
Bestimmungen gefordert, dafür aber kein Gehör
gefunden.
Die Kommission betrachtet die Vorschläge als
ausgewogen. Sie werden zur Erreichung des Ziels der
Gemeinschaft beitragen, den Schutz der menschlichen
Gesundheit und der Umwelt gegen schädliche
Auswirkungen gefährlicher Chemikalien in den
einführenden
Ländern
–
besonders
in
den
Entwicklungsländern – zu verbessern, ohne eine
reibungslose Umsetzung des Übereinkommens zu
behindern.
Die Kommission bedankt sich beim Ausschuss für
Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik
für seine Unterstützung der Vorschläge. Sie wünscht
sich, dass die Gemeinschaft in Übereinstimmung mit den
Schlussfolgerungen
des
Welt-Umweltgipfels
in
Johannesburg das Übereinkommen möglichst früh
ratifiziert. Die Kommission verleiht deshalb ihrer
Hoffnung Ausdruck, dass baldmöglichst eine
Vereinbarung über die Durchführungsverordnung
erreicht werden kann, die die Kommission als
Voraussetzung
für
die
Fortsetzung
der
Ratifizierungsarbeit ansieht. An dieser Stelle möchten
wir das Engagement von Rat und Parlament
hervorheben, welches die Arbeit an den Vorschlägen
vorangetrieben hat. Besonders seien in diesem
Zusammenhang die erreichten Kompromisse genannt,
die die Grundlage für eine mögliche Vereinbarung
zwischen Rat und Parlament in der ersten Lesung des
Vorschlags zur Durchführungsverordnung bilden.
Abschließend möchte ich dem Berichterstatter Blokland
herzlich danken, was ich meinen Ausführungen hätte
voranstellen sollen.
3-327
Blokland (EDD), Berichterstatter. – (NL) Herr
Präsident! Es kommt nicht oft vor, dass ich über 10
Minuten Redezeit verfüge; hoffentlich werde ich sie aber
nicht gänzlich in Anspruch zu nehmen brauchen. Uns
liegen zwei Berichte über die Aus- und Einfuhr
gefährlicher Chemikalien vor.
Der erste Bericht betrifft die Billigung des Rotterdamer
Übereinkommens über das Verfahren der vorherigen
Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte
gefährliche Chemikalien sowie Pflanzenschutz- und
Schädlingsbekämpfungsmittel im internationalen Handel
im Namen der Gemeinschaft. Da das Übereinkommen
früher in Kraft treten kann, sobald es von genügend
Vertragsparteien ratifiziert worden ist, empfehle ich eine
schnellstmögliche Zustimmung.
In dem Übereinkommen geht es hauptsächlich um
folgende drei Punkte:
112
Erstens
dürfen
Vertragsparteien
im
Anhang
aufgenommene Chemikalien in ein anderes Land, das
Vertragspartei ist, nur bei vorheriger Zustimmung der
einführenden Vertragspartei exportieren. Dies ist das so
genannte PIC-Verfahren: Prior Informed Consent.
Zweitens können in den Anhang neue Chemikalien
aufgenommen werden, die dem PIC-Verfahren
unterliegen.
Drittens: Exportiert eine Vertragspartei Chemikalien, die
verboten sind oder strengen Beschränkungen
unterliegen, muss diese Vertragspartei der einführenden
Vertragspartei Informationen bereitstellen. Außerdem
müssen sämtliche in den Anhang aufgenommene
Chemikalien, die unter das PIC-Verfahren fallen,
gekennzeichnet werden.
Diese Punkte sind in einer Verordnung aus dem Jahr
1992 bereits mehr oder weniger geregelt. Da überdies
die chemische Industrie im April dieses Jahres schon mit
der
freiwilligen
Umsetzung
des
Rotterdamer
Übereinkommens begonnen hat, besteht kein Grund
mehr, noch länger mit der Ratifizierung des
Übereinkommens zu warten.
Der zweite Bericht betrifft die Durchführung des
Rotterdamer
Übereinkommens
mittels
einer
Verordnung. Diese Verordnung geht in einigen Punkten
weiter als das Rotterdamer Übereinkommen. Sie ist
strikter, präziser und umfassender, was als eine
Verbesserung der Rechtsvorschriften angesehen werden
kann. Ebenso werden die Informationen an Drittländer,
vor allem an Entwicklungsländer, verstärkt.
Ein etwas komplizierterer Punkt ist die Tatsache, dass
sich die Kommission in ihrem ursprünglichen Vorschlag
selbst ein Monopol auf die Verfahren verleihen wollte,
was insofern nicht sinnvoll ist, als nicht in allen
Mitgliedstaaten die gleichen Rechtsvorschriften für
Chemikalien gelten. Dies ist insbesondere bei Pestiziden
und Bioziden der Fall. Bekanntlich wird es noch fünf bis
zehn Jahre dauern, bis es in diesem Bereich eine
einheitliche Regelung auf EU-Ebene gibt. Da außerdem
selbst nach dieser Zeit für die Mitgliedstaaten die
Möglichkeit von Ausnahmen besteht, ist es richtig, in
der vorliegenden Verordnung einen Spielraum für die
Mitgliedstaaten zu belassen.
Im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und
Verbraucherpolitik wurden 15 Änderungsanträge
angenommen. Die Rechtsgrundlage wurde von
Binnenmarkt auf Umwelt geändert, was bedeutet, dass
das Europäische Parlament mitentscheidet. Da auch für
die einzelnen Mitgliedstaaten mehr Freiheit geschaffen
wird, können diese weiter gehende Maßnahmen treffen.
Dies kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass
einzelne Mitgliedstaaten auch vorschlagen können, neue
Stoffe in die Liste einzubeziehen, die dem PICVerfahren unterliegen. Für eine Gruppe von Stoffen wie
Schädlingsbekämpfungsmittel gibt es nämlich noch
23/10/2002
immer
keine
Rechtsvorschriften.
harmonisierten
europäischen
Eine weitere Verbesserung betrifft die Bestimmung,
wonach die Listen gefährlicher Stoffe zumindest einmal
jährlich überprüft werden müssen. Besonders wichtig ist,
dass persistente organische Stoffe in diese Verordnung
mit einbezogen wurden. Die im Rahmen des
Übereinkommens
von
Stockholm
getroffenen
Vereinbarungen sind in die Liste der verbotenen Stoffe
aufgenommen.
Da sich gezeigt hat, dass der Rat eine ähnliche Ansicht
vertrat wie der Ausschuss für Umweltfragen,
Volksgesundheit und Verbraucherpolitik, habe ich als
Berichterstatter versucht, das Legislativverfahren in
erster Lesung abzuschließen. Dazu hatten mir die
Fraktionen das Mandat erteilt. Die diesbezüglichen
Verhandlungen sind zufriedenstellend verlaufen. Der Rat
hat die Änderungsanträge des Ausschusses für
Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik
größtenteils übernommen. Die vorwiegend technischen
Anpassungen des Rates ließen sich gut einfügen. Aus
diesem Grunde wurden 42 neue Änderungsanträge
eingereicht, die von den meisten Fraktionen
unterschrieben wurden. Der Rat hat in einem Schreiben
zugesagt, er werde, wenn das Europäische Parlament das
gesamte Kompromisspaket annimmt, den Gemeinsamen
Standpunkt dementsprechend festlegen. Somit könnten
wir das Verfahren bereits in erster Lesung abschließen,
was einen erheblichen Zeitgewinn von zumindest einem
Jahr bedeutet. Mit großer Freude habe ich von Frau
Wallström vernommen, dass dem auch die Europäische
Kommission uneingeschränkt zustimmen kann.
Um besondere Aufmerksamkeit bitte ich für
Änderungsantrag
22.
Hinsichtlich
des
Anwendungsbereichs wurde mit dem Rat vereinbart,
dass die Bestimmungen in jedem Fall für Mengen von
mehr als 10 kg gelten, die in der Praxis besser
anwendbar und kontrollierbar sind. Auch dies ist
Bestandteil des Gesamtpakets.
Herr Präsident, das vorliegende Kompromisspaket stellt
ein höchst befriedigendes Ergebnis dar, das ich dem
Parlament nachdrücklich empfehlen möchte. Die
Abstimmungsliste umfasst 4 Blöcke: Block 1 mit den
Änderungsanträgen, bei denen es sich um einen mit dem
Rat erzielten Kompromiss handelt. Wenn Block 1
angenommen wird, wird Block 2 hinfällig. Block 3 mit
den
Änderungsanträgen
des
Ausschusses
für
Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik,
die vom Rat angenommen wurden, so dass wir also
dafür stimmen müssen. Block 4 schließlich mit 3
Änderungsanträgen, die unter Berücksichtigung des
Gesamtkompromisses vom Parlament abzulehnen sind.
Abschließend möchte ich den Schattenberichterstattern,
dem Ausschuss für Recht und Binnenmarkt sowie dem
dänischen Vorsitz für die vorzügliche und konstruktive
Zusammenarbeit herzlich danken.
3-328
23/10/2002
Redondo Jiménez (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident,
Frau Kommissarin! Vor uns liegen zwei Vorschläge: ein
Vorschlag für einen Beschluss des Rates und ein
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den
Handel und die Aus- und Einfuhr gefährlicher
Chemikalien.
Im Vorschlag für einen Beschluss wird gefordert, so
bald wie möglich das Rotterdamer Übereinkommen zu
ratifizieren, dessen Hauptziel in der Regelung des
internationalen Handels der gefährlichen Chemikalien,
aber auch, wie wir im Parlament meinen, im Schutz der
menschlichen Gesundheit und der Umwelt besteht; und
es ist wichtig, die Sache jetzt anzupacken. Deshalb
haben wir im Rahmen der Mitentscheidung eine
Änderung der Rechtsgrundlage von Artikel 133 EGVertrag zur Regelung der Handelspolitik zu Artikel 175
verlangt.
In dem Vorschlag für eine Verordnung, die erschöpfend
und sehr strikt ist, werden sehr strenge Regelungen für
den
innergemeinschaftlichen
Handel
mit
Pflanzenschutzmitteln getroffen. Worum wir bitten, ist
eine gewisse Flexibilität. Wie bereits Herr Blokland
sagte, sind wir nach vielen Diskussionen zwischen allen
Fraktionen zu einer wichtigen Übereinkunft gelangt,
damit diese Änderungspakete nach der Änderung der
Rechtsgrundlage sowohl von der Kommission als auch
vom Rat ratifiziert und übernommen werden, um diese
Stellungnahme des Parlaments in erster Lesung
abschließen und zu einer Schlussfolgerung kommen zu
können, mit der wir alle einverstanden sind.
Nicht
alle
Vorschriften
in
Bezug
auf
Pflanzenschutzmittel sind – wie auch Herr Blokland
sagte – in allen Ländern gleich, und die Kommissarin
weiß genau, dass sie vereinheitlicht werden, aber erst
nach Ablauf eines Mindestzeitraums von 5 bis
10 Jahren.
Bei den Vorschriften für Pflanzenschutzmittel und den
Analysen für die Homologierung sind wir im Verzug,
denn von den mehr als achthundert Wirkstoffen, die
einer Regelung bedürfen, sind nicht einmal hundert
geprüft worden. Daher können wir vermuten, dass sich
dieses Thema hinziehen wird.
Die Verordnung, die wir annehmen werden, ist wichtig
in Bezug auf das Verfahren der vorherigen Zustimmung
nach Inkenntnissetzung, denn so erfährt der Empfänger
im Voraus, was der Absender ihm liefern wird. Dies gilt
nicht nur für die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union, sondern auch für die Länder, die keine Mitglieder
sind und an die wir die gleichen Anforderungen stellen
müssen.
Ich bitte die Mitglieder des Parlaments, den Bericht in
dieser Form zu unterstützen, mit der Abstimmungsliste,
wie sie von Herrn Blokland vorgeschlagen wurde, dem
ich aufrichtig gratuliere, denn er hat eine große Arbeit zu
einem sehr kontroversen und schwierigen Thema mit
einem ausgesprochen wissenschaftlichen Charakter
geleistet.
113
3-329
Bowe (PSE). – (EN) Herr Präsident, es gibt nicht mehr
viel zu sagen, weil Herr Blokland bereits auf die meisten
Punkte eingegangen ist. Ich möchte mich als Erstes
meiner Vorrednerin anschließen. Dies ist ein guter
Bericht, und die Berichterstatter haben wirklich gute
Arbeit geleistet.
Wir würden es begrüßen, wenn schon bei der ersten
Lesung eine Einigung erreicht werden könnte, auch
wenn dies zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sicher ist.
Wir glauben, dass die Änderungsanträge im Großen und
Ganzen vernünftige Ergänzungen des Textes sind. Etwas
besorgt sind wir über die Vorschläge, nach denen auch
die Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur Notifizierung im
Hinblick auf die Aufnahme von Chemikalien in das PICVerfahren erhalten sollen, und wir sind der Meinung,
dass alle Beteiligten ordnungsgemäß konsultiert werden
sollten, falls diese Regelung eingeführt wird.
Wir brauchen diese Maßnahme so schnell wie möglich.
Sie wird zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit
und des Umweltschutzes sowohl innerhalb als auch
außerhalb der Europäischen Union beitragen. Uns ist
sehr daran gelegen, dass diese Berichte angenommen
werden, und wir werden morgen den größten Teil der
Änderungsanträge unterstützen und den Empfehlungen
des Berichterstatters folgen. Wir möchten so schnell wie
möglich eine Lösung erreichen. Wir brauchen mehr
internationale Vereinbarungen wie diese und müssen
zügig handeln. Bei vielen Rechtsvorschriften für den
Bereich Chemie hat es in der Vergangenheit viel zu lang
gedauert, bis sie ordnungsgemäß umgesetzt wurden.
3-330
Schörling (Verts/ALE).  (SV) Herr Präsident, Frau
Kommissarin, verehrte Kollegen! Ich bin sehr froh
darüber, dass wir diesen Kompromiss finden konnten,
wodurch nun auch ein Kompromiss mit dem Rat bereits
in der ersten Lesung möglich sein sollte. Ich möchte dem
Berichterstatter, Herrn Blokland, der dänischen
Ratspräsidentschaft und der Kommission dafür danken,
dass sie sich wirklich um eine gute und für uns alle
annehmbare Lösung bemüht haben, auch wenn es uns
nicht gelungen ist, für alle Änderungsanträge Gehör zu
finden.
Die Ziele des Rotterdamer Übereinkommens sind
wichtig und auch, dass es baldmöglichst ratifiziert
werden kann, da es hierbei um den Handel mit sehr
gefährlichen Stoffen geht. Ich bin außerdem der
Meinung, dass die Kommission mit diesem Vorschlag
für eine Verordnung, die die jetzigen Rechtsvorschriften
für gefährliche Chemikalien sowie Pflanzenschutz- und
Schädlingsbekämpfungsmittel durch die Bestimmungen
des Rotterdamer Übereinkommens ersetzen soll, eine
ausgezeichnete Arbeit geleistet hat. Der Vorschlag geht
sogar noch einen Schritt weiter als das Übereinkommen,
z. B.
durch
die
Empfehlung,
das
Ausfuhrnotifizierungsverfahren auch auf Artikel
auszuweiten, die bestimmte reaktionsfähige Chemikalien
im Ausgangszustand enthalten, und den Vorschlag, die
Ausfuhr bestimmter Chemikalien völlig zu verbieten.
114
Aus diesem Grunde bin ich mit dem Vorschlag sehr
zufrieden.
Sinn und Zweck dieser Übung und des Übereinkommens
ist die Verbesserung der Kontrolle des Handels mit sehr
gefährlichen Chemikalien. Darüber hinaus sollen die
ausführenden
und
einführenden
Länder
eine
gemeinsame und größere Verantwortung übernehmen.
Es geht um den Schutz der menschlichen Gesundheit
und der Umwelt. Aus diesem Grunde bin ich auch der
Auffassung, dass es angebracht und richtig ist, dass der
Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und
Verbraucherpolitik, mit Unterstützung des Ausschusses
für Recht und Binnenmarkt an Stelle des Artikels 133
des EG-Vertrags Artikel 175 als Rechtsgrundlage
herangezogen hat, wodurch das Europäische Parlament
ein Mitentscheidungsrecht erhält. Gleichzeitig sind
dadurch strengere Vorschriften in den Mitgliedstaaten
erlaubt. Ich hoffe daher wirklich, dass wir morgen eine
große Mehrheit und vielleicht sogar eine Einstimmigkeit
für diesen Bericht erreichen können. Wir haben meines
Erachtens allen Anlass, uns selbst zu beglückwünschen.
3-331
Korhola (PPE-DE). – (FI) Herr Präsident! Die heute
behandelten Vorschläge für eine Verordnung im
Rahmen des Rotterdamer Übereinkommens stellen einen
wichtigen Schritt für den Schutz der Gesundheit der
Menschen und der Umwelt in allen Ländern vor
möglichen Gefahren dar, die durch den Handel mit
gefährlichen
Chemikalien
und
Schädlingsbekämpfungsmitteln
entstehen.
Unser
Berichterstatter, Kollege Blokland, hat wie immer eine
präzise und gute Arbeit geleistet, für die ihm unser Dank
gebührt.
Ziel des Übereinkommens ist es, die gemeinsame
Verantwortung und die gemeinschaftlichen Bemühungen
der Vertragsparteien im internationalen Handel mit
bestimmten gefährlichen Chemikalien und somit auch
den Schutz der Umwelt und Gesundheit zu fördern.
Gleichzeitig soll durch mehr Transparenz und
Informationsaustausch zu einer umweltverträgliche
Verwendung der Chemikalien beigetragen werden.
Dies alles sind im Sinne der EU-Ziele ehrgeizige
Vorsätze, aber die jetzt zur Behandlung vorliegenden
Vorschriften gehen teilweise sogar weiter als das
Übereinkommen von Rotterdam. Das gilt beispielsweise
für die Bestimmungen über die Fristen und die
Häufigkeit der Ausfuhrnotifizierungen sowie die Art der
verlangten Informationen. Das muss meiner Ansicht
nach auch so sein: Vertragsparteien bei international
abgeschlossenen Verträgen zu Umweltfragen sind
Staaten mit einem sehr unterschiedlichen Niveau, und
das im Übereinkommen anerkannte Niveau ist für die
Ziele der EU keineswegs ausreichend. Aus diesem
Grund sollten meines Erachtens Umweltvereinbarungen
in der EU einen Grad ehrgeiziger umgesetzt werden als
dies durch die Vereinbarung selbst vorgegeben ist: nur
so bekommen wir eine Dynamik, die eine Umkehr aus
der für Umwelt und menschliche Gesundheit negativen
Entwicklung in eine bessere Richtung ermöglicht.
23/10/2002
Der Vorschlag des Berichterstatters, das im Mai des
vergangenen Jahres unterzeichnete Stockholmer
Übereinkommens über POP in dieser Verordnung zu
berücksichtigen, ist zu unterstützen. Die Verordnung
zielt auf den Schutz der Umwelt und der menschlichen
Gesundheit. Dies ist ebenfalls Hauptziel des
Übereinkommens von Rotterdam. Aus diesem Grund ist
der Berichterstatter Herr Blokland zu der richtigen
Schlussfolgerung gelangt, dass anstelle von Artikel 133
des EG-Vertrags zur gemeinsamen Handelspolitik besser
Artikel 175 als Rechtsgrundlage für den Vorschlag
geeignet ist. Danach unterliegen die Vorschläge für
Rechtsvorschriften
eindeutig
dem
Mitentscheidungsverfahren.
3-332
Wallström, Kommission. – (EN) Herr Präsident, ich
möchte kurz auf einige der Änderungsanträge eingehen,
die für die morgige Abstimmung vorgelegt wurden. Die
meisten Änderungsanträge beziehen sich auf den
Entwurf der Durchführungsverordnung.
Erstens vertritt die Kommission, wie sie bereits im Rat
deutlich gemacht hat, die Auffassung, dass Artikel 133
und nicht Artikel 175 Absatz 1 die korrekte
Rechtsgrundlage ist. Die Kommission muss sich ihr
Recht vorbehalten, von den ihr zur Verfügung stehenden
Rechtsmitteln Gebrauch zu machen.
Angesichts unserer Position zur Rechtsgrundlage kann
die Kommission nicht akzeptieren, dass nationale
Regelungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten nur unter den
Anwendungsbereich der Verordnung fallen und den
Verfahren für Ausfuhr- und PIC-Notifizierung
unterliegen sollen. Daher kann die Kommission den
Änderungsanträgen 3, 6, 7, 8, 13, 16, 17, 20, 26, 33 und
34 nicht zustimmen. Andererseits erkennt die
Kommission an, dass die Antworten der Gemeinschaft
auf die Anmeldungen der Einfuhr von dem PICVerfahren unterliegenden Chemikalien uns außerdem
ein möglichst vollständiges Bild vermitteln sollten. Die
Kommission kann daher die Änderungsanträge 11 und
18 akzeptieren.
Was die Rolle der Kommission im Hinblick auf die
Beteiligung der Gemeinschaft am Übereinkommen
anbelangt, kann die Kommission angesichts ihrer
Position zur Rechtsgrundlage Änderungsantrag 28 nicht
billigen. Artikel 14 des Vorschlags der Kommission
sieht die Möglichkeit eines Ausfuhrverbots für
bestimmte Chemikalien vor, die in Anhang V aufgelistet
werden sollen. Die Kommission weiß, dass das
Parlament und der Rat die Chemikalien, die dem
Übereinkommen über POP unterliegen, gemäß den
Bestimmungen der jeweiligen Anhänge zu diesem
Übereinkommen in Anhang V aufnehmen möchte. Die
Kommission kann Änderungsantrag 56 in der
vorliegenden
Fassung
sowie
die
damit
zusammenhängenden Änderungsanträge 41 bis 46, 48,
50 und 53 billigen.
23/10/2002
115
Die übrigen Änderungsanträge sind technischer Natur
und zielen hauptsächlich darauf ab, bestimmte
Vorschriften zu präzisieren. Die Kommission kann alle
diese Änderungsanträge akzeptieren.
Ich möchte nun auf den Vorschlag für einen Beschluss
des Rates über die Genehmigung des Rotterdamer
Übereinkommens eingehen. Drei Änderungsanträge
wurden vorgelegt, und aus den Gründen, die ich soeben
erläutert habe, kann die Kommission weder die in
Änderungsantrag 1 vorgeschlagene Änderung der
Rechtsgrundlage noch Änderungsantrag 3 akzeptieren,
der sich aus Änderungsantrag 1 ergibt.
Die Kommission kann Änderungsantrag 2 akzeptieren,
mit dem der Grundsatz wieder aufgenommen wird, dass
die Kommission eine wichtige Rolle bei der Vertretung
der
Gemeinschaft
in
den
verschiedenen
Durchführungsorganen des Übereinkommens spielen
soll.
Ich werde eine Zusammenfassung der Position der
Kommission zu den mündlichen Erklärungen verteilen,
wenn Sie damit einverstanden sind.
Zum Schluss möchte ich Herrn Blokland nochmals für
seine harte Arbeit an einem konstruktiven und
wertvollen Bericht danken.
3-333
Der Präsident. – Die gemeinsame Aussprache ist
geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.30 Uhr statt.
können, dass die Entwicklung zufrieden stellend war,
und auch, dass dieses Programm als solches dieser
Beurteilung unterzogen wurde. In diesem Jahr wurde uns
ein Vorschlag der Kommission zur Verlängerung des
Programms – das zu Silvester dieses Jahres ausläuft –
um weitere fünf Jahre, das heißt, bis zum Jahre 2007,
vorgelegt.
Meiner Meinung nach enthält das Programm, das in den
kommenden fünf Jahren gültig sein wird (Fiscalis 2007),
gegenüber dem vorangegangenen zwei neue Elemente:
Es wird um die direkte Besteuerung erweitert – was eine
gute Nachricht ist – und um die Erfordernisse der
Bewerberländer, was eine noch bessere Nachricht ist.
Das derzeit von uns geprüfte Programm Fiscalis 2007
hat nach meiner Einschätzung drei allgemeine Ziele:
Erstens strebt es an, dass die Steuersysteme der
Mitgliedstaaten ordnungsgemäß funktionieren; zweitens,
dass diese bessere Funktionsweise über die
Zusammenarbeit der mit seiner Anwendung beauftragten
Steuerverwaltungen erreicht wird, und drittens, dass
diese
durch
die
Zusammenarbeit
verbesserte
Funktionsweise zur Beseitigung von Betrug dient.
Was den ersten Gedanken anbelangt, das heißt, das
ordnungsgemäße Funktionieren der Steuersysteme, so
geht es bei diesem Programm nicht darum, einen
weiteren Schritt auf dem Weg zur Steuerharmonisierung
zu tun – so haben es die Kommission und der Rat
ausdrücklich erklärt –, wenngleich mir etwas mehr
Ehrgeiz,
ein
entschiedenerer
Schritt
im
Harmonisierungsprozess der Gemeinschaft durchaus
zugesagt hätte.
3-334
Fiscalis 2003 - 2007
3-335
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die
Aussprache über die Empfehlung für die zweite Lesung
(A5-320/2002) betreffend den Gemeinsamen Standpunkt
des Rates im Hinblick auf den Erlass der Entscheidung
des Europäischen Parlaments und des Rates über ein
gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Verbesserung
der Funktionsweise der Steuersysteme im Binnenmarkt
(Fiscalis-Programm 2003-2007) (10612/2/2002 - C50383/2002 - 2002/0015(COD)).
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr García-Margallo
y Marfil.
3-336
García-Margallo y Marfil (PPE-DE), Berichterstatter.
– (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Gemeinsame
Standpunkt, über den wir hier diskutieren, hat eine kurze
aber intensive Geschichte.
1998 verabschiedeten dieses Parlament und der Rat ein
Programm zur Verbesserung der Funktionsweise der
Steuersysteme im Binnenmarkt. Vor nur einem Jahr,
2001, erfolgte eine Beurteilung der ersten drei Jahre des
Funktionierens dieses Systems. Ich freue mich sagen zu
Zweitens ist die Zusammenarbeit ein Gedanke, der in
allen Dokumenten der Kommission wiederkehrt. In den
Vorschlägen von 1987 zur Einführung der auf dem
Ursprungslandprinzip
beruhenden
Mehrwertsteuerregelung sprach man von der
Zusammenarbeit zwischen Verwaltungen; im Programm
von 1996, in der neuen Mehrwertsteuerstrategie von
2000, im Monti-Kodex zur Reform der direkten Steuern
usw. ist dasselbe Ziel vorgesehen. „Zusammenarbeit“ ist
ein Zauberwort, ein Totem, das wiederholt wird und von
dem ich möchte, dass es stärker Realität wird, als das
gegenwärtig der Fall ist.
Ich stimme voll und ganz mit diesen drei Zielen überein,
aber ich muss einige Anmerkungen zu den spezifischen
Zielen im Bereich der Mehrwertsteuer und im Bereich
der direkten Steuern machen.
In erster Lesung brachten wir einige Änderungsanträge
ein, die wir in zweiter Lesung, zu Ehren des
Kommissars, nicht wieder aufnehmen wollten. Zurzeit
besteht die Dringlichkeit darin, dieses Programm zu
verabschieden, damit es am 1. Januar 2003 in Kraft ist –
andernfalls würde es verfallen –, und wir hatten einige
legitime Bestrebungen opfern müssen, an die ich hier
jedoch erinnern möchte, da wir sie zu einem späteren
Zeitpunkt wieder einbringen werden.
116
Im Programm Fiscalis 2007 heißt es zur Mehrwertsteuer,
dass es gut ist zu wissen, wie diese funktioniert, und
dieses Streben nach Wissen, Zusammenarbeit und
Koordination passt gut zu den vier Zielen zur Festlegung
der Mehrwertsteuerstrategie für 2003: vereinfachen,
modernisieren, die Steuer möglichst einheitlich
anwenden und die Zusammenarbeit zwischen den
einzelnen Verwaltungen stärken.
Aber ich bedauere, Herr Kommissar, dass dieses
Programm nicht genutzt worden ist, um einen weiteren
Schritt in dem Prozess des Übergangs zur Besteuerung
im Herkunftsland voranzukommen. In sämtlichen
Kommissionsdokumenten wird bis zum Überdruss
wiederholt, dass der Binnenmarkt nur mit einer
Mehrwertsteuer nach dem Ursprungslandprinzip
ordentlich funktionieren wird – oder besser
funktionieren wird, wenn Ihnen das lieber ist. Uns wird
auch gesagt, dass der fehlende Fortschritt bei der
Besteuerung im Herkunftsland darauf zurückzuführen
ist, dass die Mitgliedstaaten kein Vertrauen in das
Ausgleichssystem und das System zur Umverteilung von
Mitteln haben, das anfangs auf den Steuererklärungen
und später auf statistischen Daten basierte, das aber die
Mitgliedstaaten niemals zufrieden gestellt hat. Wir
hätten mit diesem Programm weiter vorankommen
müssen, um die Daten und das Geflecht zu kennen, die
einen Ausgleich und gleichzeitig den gewünschten
Übergang zur Besteuerung im Herkunftsland ermöglicht
hätten.
Im Bereich der direkten Steuern wurde die Chance
ebenso wenig genutzt, um – wie es im Änderungsantrag
hieß, den wir nicht wiederholen wollten – die Beziehung
zwischen der Steuerpolitik und den übrigen
Gemeinschaftspolitiken zu vertiefen. Es ist bekannt, dass
die Steuerpolitik in Bezug auf diese anderen Politiken
einen instrumentellen Charakter hat; ich möchte nur drei
Beispiele anführen: Der Kommissar weiß sehr wohl,
dass es im Aktionsplan für Finanzdienstleistungen hieß,
dass parallel Fortschritte in der Liberalisierung des
Sektors, bei den Aufsichts- und Kontrollvorschriften –
die jetzt nach dem Fall von Enron so gut bekannt sind –
und bei der Harmonisierung der indirekten Steuern
erforderlich sind, damit die Liberalisierung nicht in einer
Zentralisierung von Finanzaktivitäten in den steuerlich
günstigsten Zonen oder Ländern ihren Ausdruck findet.
In Bezug auf die Bestimmungen über den Wettbewerb
besteht ein offensichtlicher Zusammenhang – vor allem
im Hinblick auf die staatlichen Beihilfen – mit der
Steuerpolitik. Der Verhaltenskodex, der Bestandteil des
Monti-Pakets ist, nahm Bezug auf die steuerlichen
Verzerrungen, die das Funktionieren des Binnenmarkts
beeinträchtigen könnten. Die nachhaltige Entwicklung –
wir hatten eine Aussprache zu dem Thema – ist eng mit
der Energiebesteuerung verbunden. Daher empfahlen
wir mit unserer Abänderung, dieses Programm für den
Austausch von Informationen, Kenntnissen und
Ausbildung zu nutzen, um einen besseren Kenntnisstand
zwischen der Steuerpolitik und den anderen Politiken
der Union zu ermöglichen.
23/10/2002
Die Kommission hat diese Reise nicht genutzt, um in der
Kenntnis der Daten voranzukommen, die den Übergang
zur Erhebung der Mehrwertsteuer im Herkunftsland
möglich gemacht hätten. Das ist auch künftig das
verlorene Paradies, das wir alle erreichen wollen. Die
Kommission hat die Chance nicht genutzt, um die
Kenntnis und die Wechselbeziehung zwischen der
Steuerpolitik und den anderen Gemeinschaftspolitiken,
denen erstere dienen soll, zu fördern.
Dennoch betone ich, dass ich die allgemeinen Ziele des
Programms für richtig halte: Kennen lernen der
Funktionsweise der Steuersysteme und Zusammenarbeit
zwischen den Verwaltungen zur Beseitigung des
Betrugs. Mir scheint es wichtig, dass dieses Programm
schnellstmöglich in Gang gesetzt wird, und deshalb
geben wir Ihnen unser Vertrauensvotum, Herr
Kommissar, indem wir die in erster Lesung
eingebrachten
Änderungsanträge
nicht
wieder
aufnehmen, um ein Vermittlungsverfahren zu
vermeiden, und damit dieses Programm – von dem ich
sicher bin, dass der Kommissar es sehr gut verwalten
wird – so schnell wie möglich verwirklicht wird.
Ich behalte mir das Recht vor, die anderen Ziele bei
weiteren Gelegenheiten anzusprechen, aber zum jetzigen
Zeitpunkt sind meiner Meinung nach die Vernunft und
die Dringlichkeit wichtiger als der Wert und die
Vervollkommnung des Programms.
Herr Kommissar, ich wünsche Ihnen viel Glück bei
seiner Umsetzung.
3-337
Bolkestein, Kommission. – (EN) Herr Präsident, als
Erstes möchte ich dem Berichterstatter, Herrn GarciaMargallo y Marfil, im Namen der Kommission für seine
Arbeit und für seine große Kooperationsbereitschaft
danken. Wir begrüßen es außerdem, dass Herr GarciaMargallo y Marfil auf eine erneute Vorlage der
Änderungsanträge verzichtet hat, die bei der ersten
Lesung dieses Vorschlags eine Rolle spielten.
Ich habe die Ausführungen von Herrn Garcia-Margallo y
Marfil mit großem Interesse verfolgt. Viele der von ihm
angesprochenen Themen sind wichtig, aber im Moment
ist das Fiscalis-Programm stärker eingeschränkt, als er
dies wollte. Es ist jedoch wichtig, dass das Programm
verabschiedet wird, bevor das derzeitige FiscalisProgramm am 31. Dezember dieses Jahres ausläuft. Ich
freue mich deshalb sehr, dass durch diesen Vorschlag
die Unterstützung des Europäischen Parlaments in der
zweiten Lesung sichergestellt werden konnte. Ich
möchte an dieser Stelle insbesondere den positiven
Beitrag des Berichterstatters des Ausschusses für
Wirtschaft und Währung, Herrn Garcia-Margallo y
Marfil, würdigen.
Wie Sie sicher aus der Mitteilung der Kommission an
das Parlament über den Gemeinsamen Standpunkt des
Rates wissen, hat die Kommission es begrüßt, dass vom
Rat der allgemeine Ansatz, den die Kommission in
ihrem ursprünglichen Vorschlag verfolgte, gebilligt
23/10/2002
wurde. Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass vom
Rat die Fortführung der Maßnahmen unterstützt wird,
die derzeit im Rahmen des bestehenden FiscalisProgramms durchgeführt werden. Ganz besonders
begrüßt die Kommission die Unterstützung des Rates für
eine Ausweitung dieser Maßnahmen auf den Bereich der
direkten Besteuerung.
Gleichwohl wird in der Mitteilung die Reduzierung der
im ursprünglichen Vorschlag vorgesehenen Mittel von
56 Millionen EUR auf 44 Millionen EUR bedauert. Ich
freue mich, dass eine Einigung zwischen dem
Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission
möglich war, so dass das neue Programm in Kürze
verabschiedet werden kann. Für diese Unterstützung
danke ich den Mitgliedern des Parlaments und noch
einmal ganz besonders Herrn Garcia-Margallo y Marfil.
117
versuchen in Bereichen wie den oben genannten stets,
die Arbeitsweise der Systeme zu verbessern und zu
erreichen, dass Dinge besser funktionieren. Dies gehört
sicher zu den Verdiensten des Fiscalis-Programms.
Daher ist es, wie Herr Bolkestein sagte, zu bedauern,
dass die Haushaltsmittel gekürzt werden sollen. Wir
können nur hoffen, dass die jetzt vorgesehenen Mittel
ausreichen werden, um das Programm voranzubringen.
Insgesamt begrüße ich den Gemeinsamen Standpunkt
und die Tatsache, dass die Chancen für eine Einigung
und eine Ausweitung des Programms gut stehen. Ich
freue mich außerdem darüber, dass wir nun
unmissverständlich klargestellt haben, dass es hier
keineswegs um eine Steuerharmonisierung geht, sondern
um Verwaltungssysteme.
3-339
3-338
Honeyball (PSE). – (EN) Herr Präsident, auch ich
begrüße die Fortschritte in diesem Bericht über das
Fiscalis-Programm für die nächsten fünf Jahre. Ich freue
mich besonders über die Erklärung im Gemeinsamen
Standpunkt, auf die ich ihre Aufmerksamkeit lenken
möchte. Wie der Berichterstatter bereits sagte, wird
darin unterstrichen, dass dies kein politisches Programm,
sondern ein Programm ist, mit dem die administrative
Zusammenarbeit zwischen den Finanzbeamten der
Mitgliedstaaten verbessert werden soll. Es ist wichtig,
dass wir dieses Ziel klarstellen. Wir sprechen hier von
einer Verbesserung der Verwaltung und in keiner Weise
über eine Steuerharmonisierung.
Als zum ersten Mal vorgeschlagen wurde, dass die
Ausweitung des Programms auf die direkte Besteuerung
abzielen sollte, bestand insbesondere im Vereinigten
Königreich große Besorgnis darüber, dass dies der erste
Schritt zu einer Harmonisierung der direkten
Besteuerung sein könnte. Wir freuen uns deshalb, dass
im Gemeinsamen Standpunkt klargestellt wird, dass dies
nicht der Fall sein wird.
Wir begrüßen dies ganz besonders, und hier spreche ich
nochmals im Namen des Vereinigten Königreichs, weil
wir zu den aktivsten Nutzern des Fiscalis-Programms in
den letzten Jahren gehörten. Wir halten das Programm
für sehr nützlich, und ich wäre deshalb beunruhigt, wenn
Entscheidungen getroffen würden, durch die dieses
Programm
beeinträchtigt
und
bestimmten
Mitgliedstaaten die Teilnahme erschwert würde.
Das Programm hat viel zu bieten. Im Rahmen des
Programms wird ein Austausch von Beamten
durchgeführt; es werden Seminare über Steuerfragen von
gemeinsamem Interesse veranstaltet; multilaterale
Prüfungen
werden
durchgeführt
und
Fortbildungsmaßnahmen, wie zum Beispiel zum Erwerb
von Audit-Qualifikationen, wurden entwickelt; die
Sprachausbildung
wurde
verbessert
und
Kommunikations- und Informationsaustauschsysteme
wurden eingeführt und werden funktionsfähig erhalten.
All dies sind wertvolle Maßnahmen, die zu begrüßen
sind, die fortgeführt und verbessert werden sollten. Wir
Santos (PSE). – (PT) Herr Präsident! Wie ja der
Berichterstatter bereits festgestellt hat, würde das Fehlen
einer Institutionellen Vereinbarung zu einer heiklen
Situation führen, da die Annahme eines neuen
FISCALIS-Rahmens dringend erforderlich ist, der ab
dem 1. Januar 2003 in Kraft treten könnte. Doch es ist
ein Schande, dass die Zustimmung des Rates zu den
Positionen
des
Parlaments
nur
für
einen
Mindestzeitraum möglich wurde. Im Übrigen ist es
bedeutsam, dass die Kommission zwar anerkennt, dass
das Ziel des FISCALIS-Programms nicht in der
Harmonisierung von Steuergesetzen besteht, aber
begrüßt, dass in die Protokolle eine Erklärung in diesem
Sinne aufgenommen wurde. Auch wenn es vielleicht
akzeptabel wäre, das FISCALIS-Programm als reines
Instrument für den Ausbau der administrativen
Zusammenarbeit anzusehen, muss sich das Europäische
Parlament doch um die politischen Auswirkungen der
Umsetzung eines solchen Programms sorgen.
Sicher weisen Steuerflucht und -betrug eine für jedes
Land spezielle nationale Dimension auf, aber sie nehmen
auch und in wachsendem Maße eine supranationale
Dimension an, die aus dem Einsatz moderner Verfahren
und Regelungen erwächst. In einer für die öffentlichen
Finanzen der Union besonders heiklen Situation dürfen
diese Faktoren nicht außer Acht gelassen werden; und
noch weniger darf man die sich ergebenden
Möglichkeiten ungenutzt lassen, um die Steuersituation
zu verändern und zu verbessern. Hinzu kommt noch,
dass die Europäische Union an der Schwelle zu einer
historischen Erweiterungsrunde steht, was bedeutet, dass
durch den Beitritt neuer Länder und verschiedener
Steuerpolitiken auch neue und bis dahin unbekannte
Probleme auf uns zukommen werden.
Im Grunde wird der Anwendungsbereich in dem neuen
Programm nicht nur um die direkte Besteuerung,
sondern auch um die Kandidatenländer erweitert. Die
Optimierung
der
Funktionsweise
der
Besteuerungssysteme auf dem Binnenmarkt ist an sich
ein lobenswertes Anliegen, doch der Kampf gegen
Steuerbetrug und -flucht sowie die Schaffung der
Grundlagen mit einer Mindestharmonisierung stellen
auch Gelegenheiten dar, die nicht vertan werden dürfen.
118
Deshalb bedaure ich, dass die Kommission im
Zusammenhang mit dieser Frage Artikel 59 des Vertrags
ins Spiel gebracht und nicht gewagt hat, sich auf Artikel
93 zu berufen. Mit den formulierten Vorbehalten und
eingedenk der Notwendigkeit des In-Kraft-Tretens eines
neuen Programms unterstütze ich die Empfehlung des
Berichterstatters.
3-340
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.30 Uhr statt.
(Die Sitzung wird um 23.45 Uhr geschlossen.)9
9
Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll.
23/10/2002
23/10/2002
119
INHALT
SITZUNG AM MITTWOCH, 23.
OKTOBER 2002.......................................5
Vorbereitung der Tagung des
Europäischen Rates am 24./25. Oktober
2002 in Brüssel .......................................5
Abstimmungen ..................................... 32
Terrorismusbekämpfung ..................... 44
Echelon ................................................. 66
Fragestunde (Rat) ................................. 75
Ausgleichs- und Betreuungsleistungen
für Fluggäste ......................................... 90
Agrarpolitik in den
Entwicklungsländern ........................... 98
CITES ................................................... 107
Gefährliche Produkte ......................... 111
Fiscalis 2003 - 2007 ............................ 115
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