Wichtige Fachzeitschriften für das Gebiet der Sozialen Arbeit

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Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin
- University of Applied Sciences -
Prof. Dr. Heiko Kleve
Grundlagen des wissenschaftliches Arbeitens
Einführende Übersichten und Arbeitsblätter
Motto:
Die „Verfahren der Wissenschaften [fügen] sich keinem gemeinsamen Schema [...] – sie sind
nicht ‘rational’ im Sinne solcher Schemata. Kluge Menschen halten sich nicht an Maßstäbe,
Regeln, Methoden, auch nicht an ‘rationale’ Methoden, sie sind Opportunisten, das heißt, sie
verwenden jene geistigen und materiellen Hilfsmittel, die in einer bestimmten Situation am
ehesten zum Ziele zu führen scheinen“ (Paul Feyerabend, Erkenntnis für freie Menschen,
Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, S. 9).
(c) Prof. Dr. Heiko Kleve, Berlin im Sommer 2003
Raum/App: 402
E-Mail: [email protected]
http://www.asfh-berlin.de/hsl/kleve
1
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ................................................................................. 2
Grundlagen-Literatur für das wissenschaftliche Arbeiten in der Sozialen Arbeit /
Sozialarbeitswissenschaft ...................................................................................... 3
Wichtige Fachzeitschriften für das Gebiet der Sozialen
Arbeit/Sozialarbeitswissenschaft .......................................................................... 4
I. Wissenschaftliches Lesen .................................................................................. 5
1. Differenzierung von Alltags-, Poesie- und Wissenschaftsdiskurs ... 5
2. Auswertung wissenschaftlicher Literatur ........................................ 7
3. Lesen und Verstehen/Interpretieren (Hermeneutik)
wissenschaftlicher Texte ...................................................................... 8
4. Methoden des Lesens von wissenschaftlichen Texten .................. 11
5. Paraphrasieren von Texten ............................................................. 12
II. Wissenschaftliches Schreiben......................................................................... 13
1. Das akademische Journal ............................................................... 13
2. Protokollieren ................................................................................. 14
3. Aufbau einer wissenschaftlichen Seminararbeit ............................ 15
4. Gliederung sozialwissenschaftlicher Texte.................................... 19
5. Zitieren und Verweisen .................................................................. 20
6. Thesen und Hypothesen ................................................................. 22
7. Techniken zum Finden von Themen und Thesen .......................... 23
8. Techniken zum Erforschen der Themen und Thesen .................... 25
9. Rhetorische Argumentationsmuster für wissenschaftliche Texte.. 26
10. Formen des wissenschaftlichen Schreibens ................................. 28
A. Beobachten, Beschreiben, Erklären, Bewerten ....................... 28
B. Deduktion, Induktion, Abduktion............................................ 31
C. Dekonstruktion ........................................................................ 32
III. Wissenschaftliches Präsentieren ................................................................... 33
2
Grundlagen-Literatur für das wissenschaftliche Arbeiten
in der Sozialen Arbeit / Sozialarbeitswissenschaft
Bango, J. (2000): Wissenschaftliches Arbeiten in der Sozialarbeit. Opladen: Westdeutscher
Verlag
Badry, E. u. a. (1998): Arbeitshilfen für Studium und Praxis der Sozialarbeit und
Sozialpädagogik. Neuwied/Kriftel/Berlin: Luchterhand
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge: Fachlexikon der sozialen Arbeit.
Frankfurt/M.: Eigenverlag
Eberhard, K. (1987): Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Stuttgart:
Kohlhammer
Eco, U. (1991): Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. Heidelberg
Engelke, E. (1992): Soziale Arbeit als Wissenschaft. Eine Orientierung. Freiburg/Br.:
Lambertus
Kleve, H. (2000): Die Sozialarbeit ohne Eigenschaften. Fragmente einer postmodernen
Professions- und Wissenschaftstheorie Sozialer Arbeit. Freiburg/Br.: Lambertus
Klüsche, W. (Hrsg.) (1999): Ein Stück weitergedacht... . Beiträge zur Theorie- und
Wissenschaftsentwicklung der Sozialen Arbeit. Freiburg/Br.: Lambertus
Mühlum, A. u. a. (1997): Sozialarbeitswissenschaft. Pflegewissenschaft. Gesundheitswissenschaft. Freiburg/Br.: Lambertus
Müller, C. W. (1988): Wie Helfen zum Beruf wurde. Band 1: Eine Methodengeschichte der
Sozialarbeit 1883-1945. Weinheim/Basel: Beltz
Müller, C. W. (1997): Wie Helfen zum Beruf wurde. Band 2: Eine Methodengeschichte der
Sozialarbeit 1945-1995. Weinheim/Basel: Beltz
Standop, E.; Meyer, M. L. G. (1998): Die Form der wissenschaftlichen Arbeit. Wiesbaden:
Quelle & Meyer
Werder, L. v. (1993): Lehrbuch des wissenschaftlichen Schreibens. Ein Übungsbuch für die
Praxis. Berlin/Milow: Schibri
Werder, L. v. (1995): Grundkurs des wissenschaftlichen Schreibens. Berlin/Milow: Schibri
3
Wichtige Fachzeitschriften für das Gebiet der Sozialen
Arbeit/Sozialarbeitswissenschaft
Archiv für Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit, Eigenverlag des
Vereins für öffentliche und privat Fürsorge, Frankfurt/M.
GISA, rundbrief gilde soziale arbeit, Herausgeber: Gilde Soziale Arbeit,
Lüneburg
neue praxis, Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik,
Herausgeber: Paul Hirschauer, Hans-Uwe Otto, Hans Thiersch, Luchterhand
Verlag, Neuwied
Soziale Arbeit, Deutsche Zeitschrift für soziale und sozialverwandte
Gebiete, Eigenverlag Deutsches Institut für soziale Fragen (DZI), Berlin
Sozialmagazin, Die Zeitschrift für Soziale Arbeit, Herausgeber: JuventaVerlag, Weinheim
Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, Herausgeber: Arbeiterwohlfahrt
Bundesverband e.V. Bonn, VOTUM-Verlag
4
I. Wissenschaftliches Lesen
1. Differenzierung von Alltags-, Poesie- und Wissenschaftsdiskurs
(nach Werder, L. v., Grundkurs des wissenschaftlichen Schreibens, Milow 1995, S. 20)
Alltagssprache
Poetische Sprache
Wissenschaftliche Sprache
Umgangswörter
Metaphern
Fachbegriffe
Klischee
Konkretion
Abstraktion
Behauptung
Eindrücke
Begründungen
Narration
Expression
Systematik
Konvention
Gefühl
Ratio
Ungereimtheiten
Widerspruch im Stil
keine Widersprüche
Regeln
ästhetische Normen
Gesetze
Unterhaltung
Katharsis
Information
Tradition des Geredes
Poetische Tradition
Wissenschaftliche
Fachtradition
„In der internationalen Schreibforschung wird die flüssige Bewegung zwischen allen drei
Schreibdiskursen als entscheidendes Kriterium für extrafunktionale höhere Arbeitsleistungen
und für gute Arbeitsmarktchancen eingeschätzt“ (L. v. Werder, a.a.O.)
5
Aufgabe 1:
Formulieren Sie drei beliebige Sätze in Ihrer Alltagssprache. Machen Sie dann aus
diesen drei Sätzen erst poetische und dann wissenschaftliche Sätze. Untersuchen Sie
dann mit Hilfe der Tabelle die Differenz zwischen den drei Diskursen!
Aufgabe 2:
Jedes der nachfolgenden Textbeispiele lässt sich entweder dem Alltags-, dem Poesieoder dem Wissenschaftsdiskurs zuordnen. Treffen Sie die aus Ihrer Sicht passenden
Zuordnungen!
Textbeispiel A:
„[...] Glauben Sie, die Vergangenheit sei, nur weil sie schon geschehen ist, fertig und
unabänderlich? Ach nein, ihr Kleid ist aus schillerndem Taft geschneidert, und jedes Mal,
wenn wir uns nach ihr umdrehen, sehen wir sie in einer anderen Farbe. [...]“
Textbeispiel B:
„[...] Sozialarbeiter reden eigentlich immer ziemlich viel herum. Hauptsache ist, sie haben
darüber geredet. Worüber weiß man eigentlich nie so genau. Dabei weiß man doch, dass das,
was die können, eigentlich jeder kann. Irgendwie sind die auch noch ziemlich uncool, die
wollen immer alles ausdiskutieren. Und dafür kassieren die unsere Steuergelder, na ja, die
produzieren doch nichts – außer bla bla bla ... Neulich traf ich aber einen, der sagte mir, eine
Sozialarbeiterin hätte ihm geholfen. Der hatte total viele Schulden, und wusste nicht mehr,
wie er seine Wohnung bezahlen kann, der hatte kein Geld, alles ausgegeben. Die
Sozialarbeiterin, sagte er, hat dann zusammen mit ihm einen Finanzplan aufgestellt, wie man
die Schulden langsam wieder loswerden kann. Und dann hat sie noch beim Sozialamt
zusammen mit ihm einen Antrag gestellt, damit die Mietschulden erst mal übernommen
werden. Na ja, ich weiß auch nicht so genau; warum brauchen wir eigentlich Sozialarbeiter?
[...]“
Textbeispiel C:
„[...] Die Paradoxie des Individualismus stellt sich als moderne Gleichzeitigkeit individueller
Freiheit und Abhängigkeit dar. Obwohl die Moderne den Menschen befreit hat von
verfestigten traditionalen (sozialen, moralischen, religiösen etc.) Einbindungen und
Integrationsformen, wird er beispielsweise abhängiger denn je von einer öffentlichen,
institutionalisierten Teilnahme an gesellschaftlichen (verrechtlichten und bürokratischen)
Organisationen, z.B. der Erziehung/Bildung, der Therapie, der Medizin und der Sozialen
Arbeit. Mit anderen Worten, die Menschen waren wohl noch nie – gleichzeitig – so frei und
so unfrei wie heute. [...]“
An welchen Textmerkmalen erkennen Sie die Zugehörigkeit zu den jeweiligen
Diskursarten? Listen Sie diese Merkmale auf.
6
2. Auswertung wissenschaftlicher Literatur
Ein „Buch [ist] wie eine Brille [...]: probiert, ob sie euch paßt; ob ihr
mit ihr etwas sehen könnt, was euch sonst entgangen wäre; wenn nicht,
dann laßt [...das] Buch liegen und sucht andere, mit denen es besser
geht. Findet die Stellen in einem Buch, mit denen ihr etwas anfangen
könnt. Wir lesen und schreiben nicht mehr in der herkömmlichen Weise.
Es gibt keinen Tod des Buches, sondern eine neue Art zu lesen. In einem
Buch gibt’s nichts zu verstehen, aber viel, dessen man sich bedienen
kann. Nichts zu interpretieren und zu bedeuten, aber viel, womit man
experimentieren kann“ (Gilles Deleuze; Felix Guattari, Rhizom, Berlin:
Merve 1976, S. 40)
Schritte der Literaturauswertung
Prüfungsergebnisse
1. Buch äußerlich prüfen
- Titel
- Klappentext
- Impressum
- Literaturangaben
- Register
- Verlag
2. Buch innerlich prüfen
- Vorwort
- Nachwort
- Zusammenfassung
- Kapitelanfänge
- wichtige Registerstichworte im Text (nach-)
lesen
- Belege prüfen
3. Kommentar im Journal
4. Buch in die bibliographische Datei
aufnehmen
(nach Werder, L. v., Grundkurs des wissenschaftlichen Schreibens, Milow 1995, S. 37)
7
3. Lesen und Verstehen/Interpretieren (Hermeneutik)
wissenschaftlicher Texte
„[...] wenn Verstehen und Verständigung gelingen, Verstehen und
Verständigung mißlingen. Frisch Verliebte, die in jeder Weise auf (Ver)Einigung und Wechseldurchdringung aus sind, wissen ein Lied davon
zu singen. Wenn sie dumm sind, haben sie sich bald nichts mehr zu
sagen. Denn sie haben sich ja immer schon verstanden. Wenn sie ein
wenig klüger sind, halten sie sich gerade rituell an die alte Regel: ‚Was
sich liebt, das neckt sich’. Und das heißt: Sie stellen, weil sie sich auch
weiterhin etwas mitzuteilen haben wollen, Mißverständnisse lustvoll
her.“ (Jochen Hörisch, Die Wut des Verstehens. Zur Kritik der
Hermeneutik, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1988, S. 105)
Mögliches Raster zur Textbearbeitung:
1.
Erkunden Sie den Kontext des Textes (Angaben zum Autor, Erscheinungsjahr, Ort der
Veröffentlichung etc.).
2.
Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Thesen/Leitgedanken/Fragen des Textes?
3.
Wie ist der Text inhaltlich gegliedert?
4.
Wie werden die Thesen/Leitgedanken/Fragen diskutiert, mit welchen Beispielen oder
Verweisen auf andere Texte bzw. AutorInnen werden sie belegt bzw. beantwortet?
5.
Ist die Diskussion bzw. das Belegen der Thesen und Leitgedanken bzw. das Beantworten
der Fragen aus Ihrer Sicht nachvollziehbar und schlüssig?
6.
Was ist an Thesen/Leitgedanken/Fragen offen geblieben?
7.
Welche Fragen hat der Text bei Ihnen hinterlassen?
8.
Woran möchte Sie weiterarbeiten, um die offenen Fragen einer Antwort zuzuführen?
8
Aufgabe 1:
Auszug aus einem sozialarbeiterischen Fachartikel von Peter Fuchs: Systemtheorie und
Soziale Arbeit, veröffentlicht in: Roland Merten (Hrsg.): Systemtheorie Sozialer Arbeit. Neue
Ansätze und veränderte Perspektiven, Opladen: Leske+Budrich 2000: S. 157-175
Peter Fuchs
Systemtheorie und Soziale Arbeit
Seit einiger Zeit wird die Frage diskutiert, ob Soziale Arbeit ein Funktionssystem der
modernen Gesellschaft sei.1 Spielt sie mit im Spiel der funktionalen Differenzierung dieser
Weltgesellschaft? Bedient sie eine genuine (schlanke) Funktion, oder ist sie eine Art
Streuphänomen, eine Diffusität in der Welt, die sich nur unter hohen Schärfeverlusten auf
eine und nur eine Funktion, auf einen und nur einen Code reduzieren läßt? Ist sie, auch so
wird gefragt, ein Parasit der Gesellschaft (im Sinne Serres), der seine Ressourcen aus den
dysfunktionalen Nebeneffekten funktionaler Differenzierung schöpft? Oder gar ein Getümmel
von Partisanen und Saboteuren, die im Dienste der Gleichheitsverteilung der Chancen für
Inklusion und der Reparatur mißlingender Inklusion die Zentralstruktur der Gesellschaft
(laufend anfallende Ungleichheiten im Kernbereich trotz Gleichheitgebotes) zu unterlaufen
trachten?2
Oder, auch das könnte erörtert werden, ist sie auf dem Wege, ein wirtschaftlicher
Superkonzern zu werden, eine Organisation von Organisationen, deren Marktchancen genau
darin liegen, daß die Gesellschaft der Moderne massenhaft Ungleichheiten auswirft?3 Das
könnte bedeuten, daß es eine andere Subversion gibt, die Subversion der zunehmenden
Wirtschaftsförmigkeit oder Wirtschaftsabhängigkeit der Sozialen Arbeit, eine Subversion, für
die
sich
die
Anzeichen
mehren,
zum
Beispiel
der
Einbau
von
Sozialökonomie/Sozialmanagement in die Curricula einschlägiger Studiengänge. Und ist dann
diese Subversion ein Segen oder ein Fluch?
Wie immer man optieren mag, Fragen solcher Art setzen jedenfalls schon voraus, daß es um
Systeme geht, sei es um Funktionssysteme und/oder Entscheidungssysteme (Organisationen),
sei es um parasitäre, partisanenhafte, sabotierende Systeme, die im Rücken der
Weltgesellschaft zäh und mutig ihre Operationen durchführen. Die Crux ist dann, daß
1
Vgl. nur Baecker, D., Soziale Hilfe als Funktionssystem der Gesellschaft, in: Zeitschrift für Soziologie, Jg.23, 1994, S.93110; Fuchs, P./Schneider, D., Das Hauptmann-von-Köpenick-Syndrom, Überlegungen zur Zukunft funktionaler
Differenzierung, in: Soziale Systeme, H.2, 1995, S.203-224. Ich habe mich im übrigen hier entschieden, ausschließlich vom
System Sozialer Arbeit zu sprechen, nicht, um eine große Vereinheitlichung zu erreichen, sondern weil ich vermute, daß die
Differenz Sozialarbeit/Sozialpädagogik eine Differenz auf der Ebene der Programme ist.
2 Vgl. Fuchs, P. Das Phantasma der Gleichheit, in: Merkur 570/571, 1996, S.959-964. Zur Parasitologie siehe Serres, M., Der
Parasit, Frankfurt 1991; zu entsprechenden Diskussionen für die Sozialarbeit siehe Bardmann, Th., Parasiten nichts als
Parasiten! Zu einer Parasitologie der Sozialarbeit, in: ders./Hansen, S., Die Kybernetik der Sozialarbeit. Ein Theorieangebot,
Aachen 1996, S.141-155.
3 Vgl. dazu Halfar, B., Wettbewerbsstrategien im Sozialbereich: Marketing ohne Marken?, in: Archiv für Wissenschaft und
Praxis der sozialen Arbeit, H.1, 1998.
9
Antworten auf diese Fragen und Entscheidungen zwischen den Antworten ihre Konsistenz
und ihre Plausibilität aus einer allgemeinen Theorie sozialer Systeme beziehen müßten, daß
aber auf dem Markt der Wissenschaften (und Halbwissenschaften) Systemtheorien in Fülle
angeboten werden. Es ist nicht gelungen, das Wort System als Begriff sakrosankt zu stellen:
Es ist, man verzeihe diese Wortbildung, prostituabel geworden — ähnlich wie
Kommunikation, ähnlich wie Holismus.
Nun kann man (und Soziale Arbeit scheint dafür prädestiniert zu sein) Pluralität schätzen,
verschiedene Theorien aus verschiedenen Disziplinen kasuistisch einsetzen, und fraglos
müssen dabei auftretende Inkonsistenzen nicht unbedingt schädlich sein. Die Praxis, die
immer eine Praxis der kleinzeitigen, der ceteris-paribus-Beobachter ist,4 könnte durch
universalistisch konzipierte, strikt monolithische Theorien hoffnungslos überfordert, sie
könnte beschädigt werden. Schließlich offerieren solche Theorien extreme Fernsichten, in
denen jede Nahsicht sofort verschwimmt.
Papier aber, so heißt es jedenfalls in der Praxis der Theoretiker, ist geduldig, und deshalb
möchte ich im weiteren eine und nur eine Theorie mit universalen Ambitionen einsetzen, die
Theorie sozialer Systeme, die Systemtheorie der Bielefelder Schule.5 Die dabei
unvermeidbaren Härten sind gemildert durch eine besondere Fragehaltung, die Haltung des
„Was wäre, wenn...“. Was wäre, wenn die Axiome und Prämissen der Bielefelder Schule auf
Soziale Arbeit angewandt würden? Was ließe sich sehen? Was verschwände aus der Sicht?
Wo lägen die Klarheitsgewinne, wo die Schärfeverluste, wo die Anschlüsse?
Die Einstellung des Textes ist daher in einem sehr genauen Sinne essayistisch, sie ist die der
kontrollierten Spekulation.
[...]
Angaben zum Autor: Fuchs, Peter, Jg. 1949, Prof. Dr. rer. soc., M.A., Fachhochschule
Neubrandenburg, Fachbereich Sozialwesen, Lehrgebiete: allgemeine Soziologie, Soziologie
der Behinderung, zahlreiche Veröffentlichungen zur Systemtheorie der Bielefelder Schule
und deren Anwendung in unterschiedlichen Disziplinen und Professionen.
Bearbeiten Sie den Text mit Hilfe des oben vorgeschlagenen Rasters.
4
Vgl. Fuchs, P., Intervention und Erfahrung, Ms. Groß Wesenberg 1998.
Luhmann würde sich entschieden gegen diese Bezeichnung gewehrt haben, aber ich brauche ein Wort für diese Theorie, die
sich mittlerweile deutlich absetzt von Theorieangeboten derselben Branche. Im übrigen muß man das Wort Schule nicht von
den Schülern her denken oder von Orten der Lehre, man kann es von ihm selbst aus denken als schola.
5
10
4. Methoden des Lesens von wissenschaftlichen Texten
Lesemethode
Intuitives Lesen
Lesetechnik
1. Lesen
2. Resultate aufschreiben
SQ 3 R
Kürzel für fünf Schritte: 1. Survey - Überblick über
den Text (Inhaltsverzeichnis, Einleitung, Überschriften,
Zusammenfassungen); 2. Question - Stellen von
Fragen an den Text (Wer [Autor]? Was [Verständnis
der Begriffe]? Wozu [schreibt er]? Warum
[Ergebnisse]? Wie [Wirkung des Textes]?); 3. Read Lesen des Textes zum Beantworten der Fragen; 4.
Recite - Formulieren der Antworten; 5. Review abschließenden Text-Überblick verschaffen.
1. Überblick über den Text
2. Fragen stellen
3. Lesen
4. Antworten auf Fragen notieren
5. Überblick kontrollieren und revidieren
Mind-Map-Lesen
1. Überblick über den Text
2. I. Mind-Map des Textes
3. Lesen
4. II. erweitertes Mind-Map
Kreatives Lesen Lesen
1. Bild zum Thema zeichnen
2. Lesen und Cluster zum gewählten Text
machen
3. Schnelles Schreiben zum gelesenen Text
4. Ergebnisse zusammenfassen
M(arkieren) E(xzerpieren)-Methode
„Das Exzerpt ist eine auszugsweise Wiedergabe des
gelesenen Textes. Exzerpte können wörtliche oder
sinngemäße Wiedergaben sein. Exzerpte entstehen
meist unter vorher gehörten Fragestellungen“ (Werder
1995, a.a.O.).
Kombinierte Methode
1. Text lesen
2. Markieren
3. Exzerpieren wichtiger Stellen
1. (Intuitives) Lesen
2. Resultate/Fragen aufschreiben
3. erneutes Lesen des Textes
4. Kernthesen des Textes mit eigenen Worten
zusammenfassen
5. Belege für die Thesen aus dem Text
notieren
6. persönliches Resümee zum Text schreiben
(Vgl. Werder, L. v., Grundkurs des wissenschaftlichen Schreibens, Milow 1995, S. 37)
11
5. Paraphrasieren von Texten
Paraphrasieren bedeutet, dass man gelesene Texte mit eigenen Worten wieder gibt. Dabei
wird – in einem ersten Schritt – über das Lesen ein fremder Text, d.h. fremde äußere Sprache
„aufgenommen“ und kognitiv in eigene innere Sprache umgewandelt. Im zweiten Schritt
muss nun durch das Paraphrasieren, durch das Schreiben die eigene innere Sprache in eigene
äußere Sprache umgewandelt werden, und zwar so, dass LeserInnen das nachvollziehen
können, was geschrieben wurde.
Aufgabe 1:
„[...] Die Menschen sind von der Scholle losgelöst. Sie müssen der Arbeit dorthin
nachwandern, wo sie Gelegenheit zum Unterhalt finden. Die Familie ist aufgerissen. Wie
Flugsand, wie Blätter, die im Winde verweht werden, treibt die Arbeit sie von Ort zu Ort. Der
Begriff der ‚Heimat’ ist dem Städter verloren gegangen. Auch das Wort ‚Beruf’ hat für viele
seinen Sinn eingebüßt. An Stelle des Berufs tritt ein immer wieder wechselndes
Arbeitsverhältnis. Die Jugend ist entwurzelt, heimat- und familienfremd. Sie ist nicht nur bei
wirtschaftlichen Notlagen gefährdet. Sie ist sich selbst überlassen, in dem Alter, in dem der
Mensch am meisten Führung bedarf. Das gilt nicht nur für die alleinstehenden, von Hause
abgewanderten jungen Leute. Die wirtschaftliche Selbständigkeit der früh verdienenden
jungen Menschen macht sie erziehlichen Einflüssen oft auch dann unzugänglich, wenn sie
noch im Elternhaus leben. [...]“
1.
Wann wurde der Text Ihrer Meinung nach geschrieben? Begründen Sie ihre
Entscheidung.
2.
Paraphrasieren Sie den Text.
3.
Bewerten Sie den Text anhand Ihrer eigenen Kriterien.
4.
Anhand welcher Kriterien haben Sie den Text bewertet.
5.
Versuchen Sie Gegenthesen zu den Thesen des Textes zu bilden.
12
II. Wissenschaftliches Schreiben
1. Das akademische Journal
Übungen zum Lesen wissenschaftlicher
Texte
- Lesen, Markieren von Texten und
Sammlung von Exzerpten (eigenen
Textnotizen, kurzen, thesenhaften
Textzusammenfassungen) im Journal.
- Kritische persönliche Kommentare zu
gelesenen wissenschaftlichen Texten.
Sammlung offener Fragen zu gelesenen
Texten.
Übungen zur Reflexion des eigenen
wissenschaftlichen Schreibens
- Identifikation mit wissenschaftlichen
Schreibern.
- Schreiben im akademischen Tagesablauf.
- Schreiberfolge an der FH.
- Akademische Schreiblehrer.
- Schreibkrisen und Schreibhilfen an der FH.
Übungen zur akademischen
Kommunikation
- Einspaltiges Journal, Kommentar in der
leeren Spalte durch Mitstudierende.
- Einspaltiges Journal, Kommentar in der
leeren Spalte durch ProfessorInnen bzw.
Lehrbeauftragte.
- Austausch gegenseitiger Kommentare von
ProfessorInnen- und StudentInnenjournalen.
Übungen zur Aufarbeitung der
Seminarerfahrungen
- Beschreiben Sie in Ihrem Journal die
menschlichen Beziehungen, die Kommunikationsform und die persönlichen
Eindrücke aus akademischen Seminaren
(nach Werder, L. v., Grundkurs des wissenschaftlichen Schreibens, Milow 1995, S. 13f.)
Vorschlag:
Legen Sie sich bereits im ersten Semester Ihres Studiums ein akademisches Journal an. Dieses
Journal – eine Mischung aus Tage- und Notizbuch – soll von Fall zu Fall Ihre Erlebnisse,
Gedanken, Gefühle an der Hochschule aufnehmen.
13
2. Protokollieren
Es lassen sich zwei Arten von Protokollen unterscheiden: das Verlaufsprotokoll und das
Ergebnisprotokoll.
In unserem Kontext erstellen wir in der Regel Ergebnisprotokolle.
Das Verfassen eines Ergebnisprotokolls dient dazu, eine Seminarsitzung mit ihren zentralen
Themen und Ergebnissen schriftlich festzuhalten, damit die Sitzung ausgewertet und
nachbereitet werden kann und damit außerdem nicht anwesende Studierende sich über die
betreffende Seminarsitzung informieren können. Ein Protokoll sollte so kurz wie möglich und
so lang wie nötig sein. Es geht darum, dass die im Seminar stichpunktartig mitnotierten
(protokollierten) Themen und Ergebnisse der Sitzung und möglicherweise auch der
Diskussionsverlauf kurz aus der Sichtweise der Protokollantin / des Protokollanten
wiedergegeben werden. Da man ohnehin nicht wiedergeben kann, wie es ‚wirklich’ war,
sondern lediglich seine eigene Perspektive, sollte man sich trauen, selbständig Wichtiges von
weniger Wichtigem zu unterscheiden; notfalls sollte man eher etwas weglassen, als zu viel
aufzuschreiben. Ob die Auswahl in der Seminargruppe auf Konsens stößt, kann nur in einer
diskursiven Auswertung des Protokolls geprüft werden.
14
3. Aufbau einer wissenschaftlichen Seminararbeit
Eine wissenschaftliche Seminararbeit (Hausarbeit) sollte aus sechs Teilen bestehen: einem
Kopfblatt, einem Inhaltsverzeichnis, einer Einleitung, einem Hauptteil, einem
Schlusskapitel und einer Literaturliste.
Das Kopfblatt sollte die wesentlichen Angaben zur Verfasserin / zum Verfasser, den Ort
(Hochschule und Seminar) sowie das Thema der Arbeit enthalten (als Beispiel siehe
beigefügtes Deckblatt).
Im Inhaltsverzeichnis sollten alle Kapitelüberschriften übersichtlich gegliedert aufgelistet
sein (als Beispiel siehe beigefügtes Inhaltsverzeichnis). Günstig und von DozentInnen gern
gesehen ist es, wenn man auch die Seitenzahlen der einzelnen Kapitel mit aufführt.
Die Einleitung soll einen Einstieg in die Arbeit bieten, so dass man sie beispielsweise
beginnen kann mit der Darstellung der persönlichen Interessen am Thema (Warum interessiert
mich dieses Thema? Warum habe ich gerade dieses Thema gewählt? Warum gerade zu dieser
Zeit? etc.). Wichtig ist, dass man seine (zentrale/n) These/n in der Einleitung ausformuliert.
Des weiteren sollte sich am Ende der Einleitung eine kurze Zusammenfassung der Inhalte der
folgenden Kapitel befinden.
Z.B.: Es geht mir mit diesen Zeilen darum zu zeigen, dass es unwahrscheinlich ist, dass
staatliche Steuerungsbestrebungen in der Art und Weise wirken, wie sie von den staatlichen
Akteuren intendiert (beabsichtigt) sind. Um diese These zu belegen, werden zunächst einige
zentrale Vorstellungen der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie referiert (2.), die mir als
Grundlage für die weiteren Kapitel der Arbeit wichtig erscheinen. Im Anschluss daran soll
jenes Steuerungsverständnis, welches aus handlungstheoretischen Konzeptionen resultiert, mit
seinen Erklärungsdefiziten konfrontiert werden (3.), um im weiteren zu zeigen, welche
Erkenntnisgewinne verbucht werden können, wenn Steuerung systemtheoretisch erklärt wird
(4.). In der Schlussbetrachtung werden die zentralen Ergebnisse der Arbeit noch einmal
zusammengefasst (5.).
Im Hauptteil werden zumeist in mehreren Kapiteln die Argumentationen zur Begründung der
These/n ausformuliert. Die Kapitel sollten übersichtlich gegliedert sein; mehr als drei
Unterdifferenzierungen sind nicht zu empfehlen (also z.B. nur 2.; 2.1; 2.1.1). Wie man die
Bezeichnung der Unterabschnitte vornimmt, ob numerisch mit arabischen oder römischen
Zahlen oder gemischt bzw. alphanumerisch, obliegt den Vorlieben der VerfasserInnen.
15
Im Schlussteil sollten noch einmal die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst
werden. Beispielsweise kann man sich auf die in der Einleitung formulierte These beziehen
und zeigen bzw. behaupten, dass man aus den vor allem im Hauptteil genannten Gründen die
These belegt (validiert) hat.
Die Literaturliste soll in übersichtlicher alphabetisch geordneter Form alle Literaturquellen
(z.B. Bücher, Zeitschriftenbeiträge, Zeitungsartikel, Manuskripte etc.) enthalten, aus denen im
Text zitiert bzw. auf die verwiesen wurde (siehe dazu weiterführend Arbeitsblatt III).
Eine wissenschaftliche Hausarbeit sollte in der Regel nicht länger als 15 bis maximal 25
Seiten lang sein, 1 ½ zeilig geschrieben und mit Seitenrändern von 2,5 bis 3,5 cm versehen
werden. Wichtig ist außerdem: Die Arbeit ist im Präsens (Gegenwartsform) zu schreiben.
Auch wenn man sich auf Autoren bezieht, die bereits verstorben sind, wird in der Regel die
Gegenwartsform benutzt.
Z.B.: Sigmund Freud (1938) zeigt in seiner Kulturtheorie, dass wir, um mit dem Todes- bzw.
Aggressionstrieb umgehen zu können, auf die Sitten, Gebräuche, Moralen etc. des
Abendlandes angewiesen sind.
16
Beispiel für ein Deckblatt einer Hausarbeit
Berlin im September 1994
Hanno Sozialisierer 4.Semester
[email protected]
Alice-Salomon-Fachhochschule für
Sozialarbeit und Sozialpädagogik
HAUSARBEIT:
SOZIALE SELBSTHILFE
zwischen neokonservativer Sparpolitik und sozialökologischer Neuorientierung
Seminar: Sozialverwaltung bei Prof. Weißbescheid
17
Beispiel für ein Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis:
Seite
1
1. Einleitung
2
2. Soziale Selbsthilfe - Eine Begriffsbestimmung
3
2.1. Selbsthilfebewegung - Entstehung und Bedeutung
5
2.2. Selbsthilfegruppen - Bestimmungselemente und Bedeutung
8
3. Selbsthilfe im Spannungsfeld sozialpolitischer Rationalität
8
3.1. Das Subsidiaritätsprinzip - Missbrauch und Bedeutung
10
3.2. Selbsthilfeförderung und neokonservative Sozialpolitik
12
4. Selbsthilfe und sozialökologische Reformansätze
13
4.1. Bestimmungselemente sozialökologischer Reformpolitik
15
4.2. Kommunitäre Subsistenzwirtschaft als Perspektive sozialökologischer
Selbsthilfe
15
16
18
20
21
21
22
23
24
25
26
4.2.1. Grundidee
4.2.2. Die Aussichten in den neuen Bundesländern
4.2.3. Prinzipien einer subsistenzwirtschaftlichen Kultur
4.2.4. Anschubfinanzierung und Starthilfe
4.3. Das selbsthilfeorientierte Subsistenzprojekt Pommeritz
4.3.1. Ziele des Projektes
4.3.2. Personelle Zusammensetzung
4.3.3. Arbeitsbereiche
4.4. Sozialökologische Selbsthilfe als Ansatz ganzheitlicher Sozialarbeit
5. Schlussbetrachtungen
Literaturquellen
18
4. Gliederung sozialwissenschaftlicher Texte
Dreiteilige Gliederung
Eigene Ideen
1. Einleitung:
- Thema kurz darstellen (was, wer, wo)
- eigene Absichten (warum, wozu)
- Darstellung der (Hypo-)These(n)
2. Hauptteil:
- Entfaltung der (Hypo-)These(n)
- Belege für die (Hypo-)These(n)
- Ergebnisse
3. Schluss
- Zusammenfassung
- Grenzen der Forschung
- Bezug zur Einleitung
(Vgl. dazu Werder, L. v., Grundkurs des wissenschaftlichen Schreibens, Milow 1995, S. 32f.)
Aufgabe 1:
Wählen Sie ein sozialarbeiterisches/sozialarbeitswissenschaftliches Thema und fassen Sie die
eigenen Ideen zum Thema in die drei o.g. Abschnitte - Einleitung, Hauptteil und Schluss kurz zusammen. Benutzen Sie dabei für die Einleitung drei Sätze, für den Hauptteil sechs
Sätze und für den Schluss drei Sätze.
19
5. Zitieren und Verweisen
Wissenschaftliche Arbeiten leben von anderen wissenschaftlichen Arbeiten, z.B. großer
WissenschaftlerInnen, von den Büchern, Aufsätzen etc. der ‘Riesen’ des Fachs, auf deren
Schultern wir ‘Zwerge’ uns stellen dürfen, wenn wir eigene wissenschaftliche Arbeiten
schreiben. Gerade das ‘Neuzusammenmixen’ von bereits Geschriebenem, von Zitaten,
Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen in den eigenen Themen- und
Thesenzusammenhängen macht das wissenschaftliche Schreiben aus. Das wiss. Können
besteht darin, dass man ein für sich selbst interessantes Thema findet, dazu Thesen formuliert
und diese Thesen mit dem verschiedensten Material (z.B. mit den Aussagen anderer
WissenschaftlerInnen) versucht zu bestätigen bzw. diskutiert. Daher ist das Einhalten der
Regeln richtigen Zitierens und Verweisens eine der wichtigsten Grundlagen des
wissenschaftlichen Schreibens.
1. Ein Zitat ist in Anführungszeichen zu setzen und mit dem Autorennamen, dem
Erscheinungsjahr des Textes und der Seitenzahl zu kennzeichnen.
Z.B. „Zu wissen, wo es lang geht, zu wissen, was der Fall ist, und damit die Ansicht zu
verbinden, man habe einen Zugang zur Realität und andere müssten dann folgen oder zuhören
oder Autorität akzeptieren, das ist eine veraltete Mentalität, die in unserer Gesellschaft
einfach nicht mehr adäquat ist“ (Luhmann 1987, S. 29).
Die Literaturangabe hinter dem Zitat verweist auf die Quelle des Zitats, die in der
alphabetisch geordneten Literaturliste am Ende der Arbeit aufgeführt ist. Die Literaturangabe
kann folgendermaßen erfolgen: Autorennachname, -vorname (Erscheinungsjahr): Titel:
Erscheinungsort: Verlag
Z.B.: Luhmann, Niklas (1987): Archimedes und wir. Interviews. Berlin: Merve
In der Literaturliste sollten die Titel mit Autorennamen, Erscheinungsjahr, -ort und -verlag
angegeben werden.
Literatur aus dem Internet kann ebenso wie andere, herkömmlich veröffentlichte Literatur
verwendet werden. Allerdings ist die besondere Angabe in der Literaturlist zu bebachten:
Nachname des Autors, Vorname des Autors (Jahreszahl): Titel. URL: http://www. ..., Datum
des Abrufs.
20
2. Zitate müssen nach Inhalt und Form genau sein.
D.h.: Jedes Zitat muss bei der Übernahme in den eigenen Text seine Form und seinen Inhalt
behalten. Auslassungen, Ergänzungen, Erläuterungen, Anpassungen oder Hervorhebungen
sind zu kennzeichnen. Jeder zitierte Text ist in seiner Rechtschreibung und Zeichensetzung
genau wiederzugeben, selbst wenn sie veraltet oder falsch sind.
3. Zitate sollen in der Regel unmittelbar sein.
Wenn man ‘aus zweiter Hand’ zitieren muss, ist dies gesondert zu kennzeichnen und die
Quelle des ‘Zweite-Hand-Zitats’ anzugeben.
Z.B.: „........“ (Luhmann, z. n. Baecker 1994, S. 155). „z. n.“ heißt: zitiert nach.
4. Einschübe und Auslassungen in Zitaten sind zu kennzeichnen.
Einschub
Auslassung
Z.B. „Die TsS [Theorie selbstreferentieller Systeme; d. Verf.] ist mittlerweile [...] sehr
bekannt.“
nicht nur in Deutschland
Verweise auf andere Quellen, aus denen nicht direkt zitiert wird, sondern auf die lediglich
hingewiesen wird oder aus denen Textstellen mit eigenen Worten zusammengefasst werden,
sind mit siehe (Abkürzung: s.) bzw. mit vergleiche (Abkürzung: vgl.) zu kennzeichnen.
Die Kennzeichnung erfolgt nach dem Verweis bzw. nach der eigenen Zusammenfassung in
Klammern. z.B. (s. Freud 1938); (vgl. Luhmann 1984, S. 167).
Wenn mehrmals hintereinander auf dieselben Texte verwiesen wird, muss nicht jedes Mal
erneut die Quelle angeführt werden, sondern es kann sich mit ebenda (Abkürzung: ebd.)
Schreibarbeit gespart werden.
21
6. Thesen und Hypothesen
„Hypothese, empirisch gehaltvolle Aussage, die einer Klasse von Einheiten bestimmte
Eigenschaften zuschreibt oder gewisse Ereigniszusammenhänge oder -folgen behauptet, d. h.
das Vorliegen einer Regelmäßigkeit im untersuchten Bereich konstatiert. Sie gilt stets nur
vorläufig und muss so beschaffen sein, daß ihre Überprüfbarkeit durch Beobachtung und
Experiment gewährleistet ist. Hypothesen sind die wichtigsten Bestandteile wissenschaftlicher
Erklärungen“ (Lexikon zur Soziologie, S. 320f.)
„[...] Die Grenzen, innerhalb deren H. als ‘richtig’ unterstellt werden können, beruhen auf
Konventionen. Sie sind also wissenschaftliche Vereinbarungen. Die Prüfung der H. zielt [...]
nicht auf den Beweis, daß der angenommene Bedeutungszusammenhang richtig ist, sondern
darauf, daß er nicht widerlegt werden kann (Falsifikationsprinzip nach Popper). Eine H. hat
nur solange Gültigkeit, solange sie nicht widerlegt werden kann. [...]“ (Fachlexikon der
sozialen Arbeit, S. 481).
„[...] Sozialarbeiter arbeiten sowohl in ihrer diagnostisch-begutachtenden als auch in der
beratenden und intervenierenden Arbeit ständig mit – meist alltagstheoretisch formulierten –
Hypothesen. Im diagnostisch-begutachtenden Bereich formulieren sie Erklärungshypothesen
– etwa über die Entstehungsbedingungen devianter Karrieren im JGH-Bereich. In der
intervenierenden und beratenden Arbeit formulieren sie explizit oder implizit H. über die
wahrscheinlichen Interventionseffekte [...]“ (Fachlexikon der sozialen Arbeit, S. 481)
„Hypothese, heuristische, unüberprüfte Vermutung über bestimmte Zusammenhänge, die
nur die Funktion hat, zu weiteren Überlegungen anzuregen“ (Lexikon zur Soziologie, S. 321).
22
7. Techniken zum Finden von Themen und Thesen
Brainstorming / freies Assoziieren / Freewriting - spontanes Aufschreiben - freies
Assoziieren (nach Sigmund Freud 1856-1939) - von (z.B. fünf) Begriffen zu einem
Themengebiet, das man bearbeiten möchte (z.B. Sozialarbeitswissenschaft). Dabei bietet es
sich an, das (häufig zusammengesetzte) Wort, welches das Themengebiet bezeichnet,
aufzugliedern in seine verschiedenen begrifflichen Bestandteile (z.B. Sozial-Arbeit[s]Wissenschaft). So kann man zu jedem der einzelnen Begriffe ein Brainstorming durchführen.
Ein nächster Schritt kann sein, dass man die frei assoziierten Begriffe - im Sinne des
Freewriting - dazu nutzt, um mit ihnen kleine Texte zu schreiben. Wichtig: Bei diesen
Methoden sollte man das Unbewusste (weitgehend) unzensiert sprechen und schreiben lassen;
denn das Unbewusste produziert mitunter die besten und kreativsten Ideen. Jede Idee sollte
also willkommen sein, auch die vermeintlich unvernünftigste. Weiterhin sind verschiedene
Modifikationen der Methoden möglich: z.B. Brainstorming in der Gruppe - jede/r schreibt zu
einem Thema Begriffe auf und reicht das beschriebene Blatt an die Nachbarn weiter, die
ebenfalls frei assoziierte Begriffe aufschreiben etc. (sog. ‘Roulettes’); z.B. Reih-Um-Text jede/r schreibt einen Satz auf dasselbe Blatt zu einem bestimmten Thema.
Mind-Mapping - Karl Marx (1818-1883), der Erfinder des Mind-Mapping hat mit dieser
Methode die zentralen Begriffe seiner Abhandlungen (z.B. Arbeit, Kapital, Arbeitslohn,
Mehrwert etc.) in Beziehung zueinander gesetzt. Das In-Beziehung-Zueinander-Setzen von
Begriffen dient dazu, ein Thema als ein dynamisches System
Begriffszusammenhänge und -ordnungen als Schreibhilfen anzufertigen.
darzustellen,
Thesen: Das Suchen der zentralen Thesen ist wichtig, wenn man wissenschaftliche Texte
liest. Gute wissenschaftliche Texte zeichnen sich dadurch aus, dass die Thesen in der
Einleitung des Textes deutlich erkennbar (als Thesen) ausformuliert sind bzw. im weiteren
Verlauf des Textes zusammengefasst werden. Das Bilden eigener Thesen ist einer der ersten
Schritte, wenn man mit dem Erstellen einer wissenschaftlichen Arbeit beginnt. Neben der
(vorläufigen) das zu bearbeitende Thema prägnant (treffend, bündig, genau) bezeichnenden
Überschrift sollte/n die These/n Ausgangspunkt sein, um die weitere Arbeit (Erstellen der
Gliederung, Literatursuche etc.) zu organisieren.
23
Schreibtechnik
Methoden
Assoziationstechnik
Assoziationskette:
10-Wort-Reihe
- Thema formulieren
- Einfälle auflisten
- Einfälle bewerten
- Beste Ideen auswählen
- Augen schließen
- Mit der linken Hand über
ein gewähltes Thema
schreiben
- Sinnvolle Textteile
unterstreichen
- Thema benennen
- Alle Einfälle auflisten
- Wichtiges unterstreichen
- Thema in Kernwort
verwandeln
- Assoziationsketten zum
Kernwort visualisieren
- Text verfassen
- Thema in Kernwort
verwandeln
- Hauptthesen im
Uhrzeigersinn um Kernwort
schreiben
- Ideenäste erweitern
- Text nach Hauptästen
schreiben
- Thema benennen
- 5 W-Fragen (was, wer, wo,
warum, wie) zum Thema
stellen
- Antworten zu den W-Fragen
als Text zusammenfassen
- Interview von Fachleuten
zum Thema vorbereiten
- Interview durchführen
- Interview auswerten
Individuelles Brainstorming
Automatisches Schreiben
Listen-Technik
Clustern
Mind-Mapping
W-Fragen
Interview
Thema
(nach Werder, L. v., Grundkurs des wissenschaftlichen Schreibens, Milow 1995, S. 21f.)
24
8. Techniken zum Erforschen der Themen und Thesen
Schreibstafette
Resultate
Meditieren Sie, um ein Thema zu finden.
Assoziieren Sie frei zu Ihrem Thema (z.B.
mittels Brainstorming).
Schreiben Sie ohne Zensur so schnell Sie
können über Ihr Thema.
Machen Sie ein Cluster zu Ihrem Thema.
Malen Sie ein Mind-Map zu Ihrem Thema.
Zeichnen Sie induktive und deduktive Leitern
zum Kennwort Ihres Themas.
Gliedern Sie Ihr Thema systematisch.
Stellen Sie alle W-Fragen an Ihr Thema.
Suchen Sie Orte auf, an denen Ihr Thema in
der Realität praktiziert wird.
(nach Werder, L. v., Grundkurs des wissenschaftlichen Schreibens, Milow 1995, S. 23)
„Leitern sind lineare Listen, die ausgehend von ihrem Kennwort deduktiv vom Abstrakten
zum Konkreten oder induktiv vom Konkreten zum Abstrakten sich aufschichten. Der
Deduktiv- und Induktivprozess wird unterstützt, wenn Sie vielstufige Leitern aufs Papier
zeichnen und ihre Stufen mit Ihrer Abstraktion oder Konkretion zu Ihrem Kennwort
ausfüllen“ (v. Werder, a.a.O.).
25
9. Rhetorische Argumentationsmuster für wissenschaftliche Texte
Rhetorische Grundmuster
Abstrakte Argumentations- Konkrete Argumentationsmuster
muster
Deduktion:
Vom Allgemeinen zum
Besonderen
Allgemeine These
Konkretisierung 1
Konkretisierung 2
Konkretisierung n
Induktion:
Vom Besonderen zum
Allgemeinen
Konkretisierung 1
Konkretisierung 2
Konkretisierung n
Allgemeine These
Erörterung:
These
Argument
Beispiel
Dialektische Ordnung
These
Antithese
Synthese
Nach der Zeit
Phase 1
Phase 2
Phase 3
Phase n
Ursache/Wirkungen
Ursache 1
Wirkung 2
Ursache 2
Wirkung 2
Ursache n
Wirkung n
Gleichheit/Unterschiede
Fall A+B:
Gleichheit
Fall A+B:
Unterschiede
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Ganzes/Teile
allgemeine Erkenntnisse
spezielle Erkenntnisse
im Wechsel
Analyse/Kritik
Vorstellung eines Textes
Kritik eines Textes
Nach dem Gefühl
Wichtiges
Besonders Wichtiges
Ganz Wichtiges
Sachliche bzw. systematische
Ordnung
Element 1
Element 2
Element 3
Element 4
Element n
des Themas
(siehe dazu auch Lutz von Werder, Grundkurs des wissenschaftlichen Schreibens, Berlin/Milow 1995, S. 35f.)
Aufgabe 1:
Schreiben Sie einen kleinen Text (10 bis 15 Sätze) zum Thema Funktion Sozialer Arbeit in
der modernen Gesellschaft. Orientieren Sie sich bei Ihrer Argumentation an die o.g.
rhetorischen Grundmuster wissenschaftlichen Schreibens, d.h. wählen Sie ein oder mehrere
Muster aus, nach dem bzw. denen Sie die Argumentation(en) Ihres Textes strukturieren
wollen.
27
10. Formen des wissenschaftlichen Schreibens
A. Beobachten, Beschreiben, Erklären, Bewerten
Beobachten heißt aus wissenschaftstheoretischer Sicht etwas von etwas anderem zu
unterscheiden und es zu bezeichnen. Beobachten lässt sich dreifach differenzieren: in
Beschreiben, Erklären und Bewerten.
Beschreiben (Deskription) ist die interpretations- und bewertungsfreie Bezeichnung. Es
handelt sich im Idealfall also um eine ‘reine’ Datenerhebung, m.a.W. um die Beobachtung
von Phänomenen, die in welchen Hinsichten auch immer ‘einfach nur’ beschrieben werden.
Erklären (Explikation) ist das Miteinander-In-Beziehung-Setzen von Beschreibungen, also
von Beobachtungen (von Phänomenen). Erklärungen sind individuell konstruierte oder sozial
ausgehandelte Zusammenhänge von Beschreibungen, die z.B. eine ‘Ursache’ und eine
‘Wirkung’ im Sinne der Kausalität verknüpfen. Allgemein akzeptierte Erklärungen wurden
zumeist durch die Wissenschaft und das heißt durch einen nach bestimmten (Spiel-)Regeln
ablaufenden sozialen Aushandlungsprozess gültig gemacht (validiert). Thesen sind in dieser
Hinsicht Erklärungen, die im wissenschaftlichen Text noch validiert werden müssen.
Bewerten ist das Einordnen von Beobachtungen / Beschreibungen nach bestimmten
Maßstäben bzw. Kriterien: z.B. nach sozialen, moralischen, politischen, ökonomischen,
ästhetischen etc. Maßstäben und Kriterien.
Zum Thema Beschreiben, Erklären, Bewerten schreibt der Sozialwissenschaftler und
Psychiater Fritz B. Simon:
„Die Relevanz dieser drei Beobachtungsdimensionen [Beschreiben, Erklären, Bewerten;
H.K.] wird deutlich, wenn wir Phänomene betrachten, die unter dem Etikett ‘psychische
Krankheit’ zusammengefasst werden. Nehmen wir als Beispiel das Verhalten eines
Individuums, das sozial auffällig und störend ist. Die Bezeichnungen ‘störend’ und ‘auffällig’
stellen bereits Bewertungen, wenn auch unterschiedlicher Art, dar. Wenn die Störung so weit
geht, dass bei irgendwem das Bedürfnis entsteht, sie zu beseitigen, dann beginnt die Suche
nach einer Erklärung. Das Verhalten könnte zum Beispiel bewusst gewählt sein (Erklärung:
Bosheit eines eigenverantwortlichen Individuums) oder aber Ergebnis einer Krankheit sein
(Erklärung: Wirkung eines vom individuellen Willen des ‘Täters’ unabhängigen, autonomen
Prozesses). Die ursprüngliche Bewertung induziert die Suche nach einer Erklärung, und die
jeweils gewählte Erklärung verändert die Bewertung. In der Folge werden viele (Be-)
Handlungskonsequenzen davon abhängen, wie Beschreibungen, Bewertungen und
28
Erklärungen sich gegenseitig beeinflussen [...]. Das diese drei Ebenen für Theorie und
Praxis [nicht nur; H.K.] der Therapie von zentraler Bedeutung sind, dürfte deutlich sein“
(Simon, Fritz B., 1995: Die andere Seite der Gesundheit. Ansätze einer systemischen
Krankheits- und Therapietheorie. Heidelberg: Auer, S. 20; Hervorhebungen von mir; H.K.).
Und dass Erklärungen bzw. Erklärungsprinzipien mit sozialen Einigungs- bzw.
Aushandlungsprozessen mehr zu tun haben als mit irgend etwas anderem, verdeutlicht der
Philosoph Gregory Bateson in einem fiktiven Dialog mit seiner Tochter:
„Tochter: Papi, was ist ein Instinkt?
Vater: Ein Instinkt, meine Liebe, ist ein Erklärungsprinzip.
T: Aber was erklärt es?
V: Alles - fast alles überhaupt. Alles, was man damit erklären will.
T: Sei nicht albern. Es erklärt doch nicht die Schwerkraft.
V: Nein. Aber nur deshalb, weil niemand will, dass ein ‘Instinkt’ die Schwerkraft erklärt.
Wollte man es, dann würde er auch das erklären. Wir könnten einfach sagen, dass der Mond
einen Instinkt hat, dessen Stärke sich umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung
verändert ...
T: Aber das ist Unsinn, Pappi.
V: Ja, sicher. Aber du hast doch mit ‘Instinkt’ angefangen, nicht ich.
T: Na gut. Aber was erklärt denn dann wirklich Schwerkraft?
V: Nichts, mein Schatz, weil Schwerkraft ein Erklärungsprinzip ist.
T: Oh.
T: Meinst Du, dass man nicht ein Erklärungsprinzip verwenden kann, um ein anderes zu
erklären? Niemals?
V: Hmmm... kaum jemals. Genau das meinte Newton, als er sagte ‘hypotheses non fingo.’
T: Und was heißt das, bitte?
V: Also Du weißt doch, was Hypothesen sind. Jede Behauptung, die zwei deskriptive
Behauptungen [Beschreibungen; H.K.] miteinander verbindet, ist eine Hypothese. Wenn Du
sagst, dass am 1. Februar und am 1. März Vollmond war und diese Beobachtungen irgendwie
miteinander verbindest, ist die verbindende Behauptung eine Hypothese.
T: Ja - und ich weiß, was non bedeutet. Was aber heißt fingo?
V: Nun - fingo, fingere ist das lateinische Wort für ‘erdichten’, ‘erfinden’. Es bildet ein
Verbalsubstantiv fictio, von dem wir das Wort Fiktion herleiten.
T: Pappi, meinst du, dass Sir Isaac Newton dachte, dass alle Hypothesen einfach wie
Geschichten erfunden werden?
V: Ja - genau das.
T: Aber hat er denn nicht die Schwerkraft entdeckt? Mit dem Apfel?
V: Nein, Liebling. Er hat sie erfunden.
29
T: Oh... Pappi, wer hat den Instinkt erfunden?
V: Ich weiß nicht. Vielleicht ist er biblisch.
T: Aber wenn die Idee Schwerkraft zwei deskriptive Behauptungen miteinander verbindet,
dann muss sie eine Hypothese sein.
V: Das stimmt.
T: Dann hat Newton also doch eine Hypothese erfunden.
V: Ja - in der Tat hat er das getan. Er war ein sehr großer Wissenschaftler.
T: Oh“ (Bateson, Gregory, 1969: Metalog: Was ist ein Instinkt?, in: ders.: Ökologie des
Geistes. Frankfurt/M.: Suhrkamp: S. 73f.)
Aufgabe:
Der folgende Text ist ein (verfremdeter) Auszug aus einem sozialarbeiterischen Bericht.
Wo und wie wird im Text beschrieben, bewertet und erklärt? Finden Sie die jeweiligen
Textstellen und begründen Sie jeweils, warum es sich um die speziellen
Beobachtungsformen handelt?
„[...]
Aufgrund der bereits im letzten Bericht konstatierten (ausgesprochen positiven) Entwicklung
in der Familie Müller kann die Erziehungshilfe (§ 31 KJHG) – auf Wunsch von Frau Müller
und im Einvernehmen mit mir als zuständige sozialpädagogische Fachkraft – mit dem Ende
des kommenden Monats beendet werden.
Nicht zuletzt aufgrund ihrer offenen kommunikativen Art konnte Frau Müller sich inzwischen
ein eigenes soziales Unterstützungsnetz – auch bezüglich der Erziehung ihres Sohnes Maik –
organisieren. So hält sie engen Kontakt mit den Lehrern und der Horterzieherin ihre Sohnes.
Des weiteren ließ sie sich über den Vermittlungsdienst für ehrenamtlich Engagierte einen
engagierten älteren Herrn („Großvater“) vermitteln, der Maik mehrmals wöchentlich, d.h.
während der Spätschicht der Mutter betreut, was von Maik sehr gut angenommen wurde.
Auch ist der „Großvater“ zu einem vertrauten Ansprechpartner für Frau Müller geworden, der
in der Familie konstruktiv und stützend zu wirken scheint.
[...]
Maik besucht weiterhin die psychologische Spieltherapie und wird dorthin von seiner Mutter
regelmäßig begleitet. Die Mutter ist mit seiner derzeitigen Entwicklung zufrieden. So sei er
inzwischen konzentrierter in der Schule und auch weniger vergesslich (siehe zu diesen
Symptomen Maiks den letzten Bericht), er hat gute bis befriedigende Schulleistungen. Auch
in meiner Arbeit mit Maik, die sich seit einigen Monaten auf zwei bis drei Termine im Monat
beschränkte, um einen allmählichen Abschied einzuleiten, beobachtete ich einige
Verhaltensänderungen. So wirkte er gelassener auf mich, konnte sich langfristig und
ausdauernd auch auf körperlich zum Teil anstrengende Spiele und Unternehmungen (z.B.
Fußball, längere Fahrradtouren etc.) einlassen, ohne sich vorschnell erschöpft zu zeigen.
Schließlich lässt sich konstatieren, dass die Aufträge der Hilfe erfüllt wurden: Die Mutter ist
weiterhin psychisch stabil und konnte – nicht nur in der Hilfe, sondern vor allem auch in einer
bereits abgeschlossenen ambulanten Psychotherapie – die aus ihren langjährigen
Depressionen resultierenden körperlichen, emotionalen, psychischen und sozialen Folgen
30
thematisieren. Dies führte nicht zuletzt zu einem klareren und eher abgegrenzten, für Frau
Müller problemfreieren Verhältnis zu ihrer Herkunftsfamilie. Des weiteren hat sie in der Hilfe
und insbesondere auch in der psychologischen Spieltherapie, an der sie als Beobachterin
teilnimmt, neue Verhaltensmöglichkeiten kennen gelernt, die sie in der Erziehung von Maik
zugleich konsequenter und gelassener werden lassen. Letztlich hat Frau Müller durch ihre
positiven Erfahrungen mit sozialpädagogischen und psycho-sozialen Angeboten gelernt, Hilfe
anzunehmen und diese auch konstruktiv für sich selbst und für ihre Familie, insbesondere für
ihren Sohn zu nutzen.
[...]“
B. Deduktion, Induktion, Abduktion
Deduktion (‘Vom Allgemeinen zum Besonderen’) bezeichnet eine Grundform des
logischen Schließens, bei der aus allgemeinen Theorien konkrete Aussagen abgeleitet werden.
(Beispiel - theoretische Grundannahme: „Alle Alkoholiker haben rote Nasen.“ „Diese
Menschen sind Alkoholiker.“ Schlussfolgerung: „Diese Menschen haben rote Nasen.“) Bei
einer deduktiven Ordnung einer wissenschaftlichen Arbeit entwickelt sich der Text von einer
allgemein gehaltenen Leitidee eines Themas (These) hin zu besonderen Themenaspekten, die
die Leitidee stützen (validieren) sollen.
Induktion (‘Vom Besonderen zum Allgemeinen’) bezeichnet eine Grundform des logischen
Schließens, bei der aus besonderen Beobachtungen / Beschreibungen allgemeine theoretische
Erklärungen abgeleitet werden. (Beispiel - Beobachtung / Beschreibung: „Diese Menschen
sind Alkoholiker.“ „Diese Menschen haben rote Nasen.“ Theoretische Schlussfolgerung:
„Alle Alkoholiker haben rote Nasen.“) Bei einer induktiven Ordnung einer wissenschaftlichen
Arbeit entwickelt sich der Text durch eine Reihe konkreter Beschreibungen, um schließlich
eine theoretische Idee darzustellen.
Abduktion (‘Vom besonderen Vielen zum allgemeinen Einen’) bezeichnet eine Form des
Schließens, bei der es darum geht, viele verschiedene Beobachtungen / Beschreibungen zu
finden, die in einer Begriffsklasse zusammengefasst werden können. (Beispiel - „Alle
Alkoholiker haben rote Nasen.“ Beobachtung / Beschreibung: „Diese Menschen haben rote
Nasen.“ Schlussfolgerung: „Diese Menschen sind Alkoholiker.“) Bei einer abduktiven
Ordnung einer wissenschaftlichen Arbeit werden ausgehend von einer allgemeinen Leitidee
(These) so viele Beobachtungen wie möglich beschrieben, um mit diesen die Leitidee stützen
zu können (oder aufgeben zu müssen). Es geht bei der Abduktion also um die Zuordnung von
besonderen Beobachtungen / Beschreibungen (Merkmalen) zu allgemeinen Klassen oder
Begriffen.
31
C. Dekonstruktion
Dekonstruktion ist eine Form wissenschaftlichen Schreibens, bei der es darum geht zu
beobachten, wie wissenschaftliche Theorien ihren Gegenstandsbereich beschreiben und
welche Beschreibungsmöglichkeiten sie aufgrund ihrer Ausgangsunterscheidungen von
vornherein ausschließen (müssen). Das Besondere einer Dekonstruktion ist, dass sie
wissenschaftliche Beobachtungen (Texte) beobachtet (beschreibt) und diese mit ihren
‘blinden Flecken’ konfrontiert. Ein ‘blinder Fleck’ geht quasi automatisch mit jeder
Beobachtung einher; denn er ist deren momentan benutzte Unterscheidung, die Operation, die
erst das Anschließen weiterer Unterscheidungen ermöglicht, er ist also, metaphorisch
formuliert, das Auge, das sich selbst nicht sehen kann beim Sehen. Aber nicht nur das
sehende Auge ist für sein eigenes Sehen unsichtbar, denn es gilt grundsätzlich: „Etwas zu
sehen heißt stets, etwas anderes zu übersehen. Es gibt kein Sehen ohne blinden Fleck“
(Wolfgang Welsch). Dekonstruktionen sensibilisieren „für Differenzen und Ausschlüsse“; es
geht ihnen um eine Leseweise, die das Ausgegrenzte wieder ans Licht bringt, die das
Ausgeblendete einblendet. In dieser Hinsicht verkomplizieren sie trivialisierte
wissenschaftliche Positionen, sie befragen sie auf allzu selbstverständliche
Argumentationslinien, um neue Theorieansätze und alternative Perspektiven zu ermöglichen.
32
III. Wissenschaftliches Präsentieren
Beim mündlichen Referieren geht es darum, zu einem bestimmten Thema, einer Fragestellung
oder einem Autor / einer Autorin mündlich das (aus der jeweiligen persönlichen Sicht)
Wesentliche vorzutragen. Da die Aufnahmekapazität der zuhörenden Studierenden begrenzt
ist und in der Regel eine längere Diskussion des Referats geplant ist, sollte ein Referat kurz
sein, d.h. nicht länger als 30, bestenfalls 15 bis 20 Minuten.
Tipps zum Referieren:
Ein Referat sollte zur Vorbereitung schriftlich ausformuliert werden. Während des
Vortrags empfiehlt es sich zu versuchen, so frei wie möglich zu sprechen. Allerdings ist ein
langsames und betontes (nicht monotones) Ablesen mit häufigen Blickwechseln vom
Vortragsblatt zum Publikum und umgekehrt besser als ein ‚ Äh... und Ah...’-Stammeln
zwischen der ‚freien’ Rede.
Ein Referat sollte eine Struktur / Gliederung besitzen (‘roter Faden’), die zu Beginn des
Vortrags in Zusammenhang mit dem Austeilen des Thesenpapiers vorzustellen ist.
Der Übergang von einem Teil des Referats zum nächsten sollte ausdrücklich betont werden
(z.B. „Ich komme jetzt zu Punkt ... meines Vortrags“). Neben dem Thesenpapier können OHFolien die Anschaulichkeit von Referaten verbessern.
Als Referierende/r sollte man zu Beginn des Vortrags seine Regeln bezüglich der
Möglichkeit von Zwischenfragen artikulieren. Wenn das Referat kurz gehalten wird, ist zu
empfehlen, keine Zwischenfragen zuzulassen, sondern am Ende alle inhaltlichen oder
Verständnisfragen zu beantworten.
Es ist zu empfehlen, Referate zu Hause probeweise (vor dem Spiegel, vor Freunden etc.)
vorzutragen und insbesondere bezüglich der zeitlichen Dauer zu testen.
Das Thesenpapier ist eine schriftliche Aufbereitung der Gliederung / Struktur des Referats
sowie der wichtigsten Fakten, Thesen und Erklärungen für die Zuhörer. Daher ist es an jeden
Seminarteilnehmer auszuteilen oder als OH-Folie während des Referats an „die Wand zu
werfen“.
33
Beispiel für ein Thesenpapier für ein Referat
ASFH Berlin
Hanno Sozialisierer
5. Semester
Seminar: Methoden Sozialer Arbeit
Seminarleiter: Prof. Weißbescheid
Thesenpapier zum Referat: Paradigmenwechsel in den Humanwissenschaften (am Beispiel der Psychologie)
nach F. Capra
1. Begriff Paradigma: Konstellation von Überzeugungen, Wertvorstellungen und Techniken, die alle Mitglieder
eines bestimmten Wissenschaftsgebietes teilen;
2. Das kartesianisch-newtonsche Paradigma oder Weltbild (R. Descartes 1596-1650 / I. Newton 1643-1727)
Ausgangsannahmen: Geist und Materie bzw. Körper und Bewusstsein existieren getrennt voneinander; die
Realität ist objektiv, d.h. unabhängig von unserem Bewusstsein gegeben
Methoden des wiss. Arbeitens: Analyse (Zerlegung, Auflösung); Reduktionismus (komplexe Ganzheiten werden
in die Funktionsweise ihrer Einzelteile zerlegt); Denken in linearen Ursache/Wirkungs-Ketten;
Zentrale Aussage: Das gesamte Universum (die Natur, die Gesellschaft, der Mensch) funktioniert wie eine
riesige komplizierte Maschinerie (‘mechanistisches Weltbild’)
2.1 Die klassische Psychologie des kartesianisch-newtonschen Paradigmas.
2.1.1 Behaviorismus: "Psychologie wie sie der Behaviorist sieht, ist ein streng objektiver Zweig der
Naturwissenschaft. Ihr theoretisches Ziel ist die Vorhersage und Kontrolle des Verhaltens. Introspektion
(Selbstbeobachtung) spielt keine wesentliche Rolle." (Zitat: John Watson 1913, zit. nach Fachlexikon der
sozialen Arbeit 1993, S. 125)
2.1.2 Die Psychoanalyse: "Analytiker...können ihre Herkunft aus der exakten Naturwissenschaft und ihre
Gemeinschaft mit deren Repräsentanten nicht verleugnen...Analytiker sind im Grunde unbelehrbare Mechanisten
und Materialisten." (Zitat: Sigmund Freud, zit. nach Capra 1982, S. 194)
3. Ein neues Paradigma - Die ganzheitliche Sicht der menschlichen Wirklichkeit
Ausgangsannahmen (inspiriert durch die ‘neue’ Physik): Komplementaritätsprinzip - unkontrollierbare
Wechselbeziehung zwischen Beobachtungsgegenstand und Beobachtungsmethode; Bewusstsein und Materie
existieren abhängig voneinander; Ablösung des linearen Ursache-Wirkungs-Denkens durch ein Denken von
zirkulär rückgekoppelt wirkenden Prozessen;
Zentrale Aussage: Alle Phänomene - physikalische, biologische, psychische, gesellschaftliche und kulturelle sind grundsätzlich miteinander verbunden und voneinander abhängig und lassen sich nach einheitlichen
Kriterien beschreiben (‘ganzheitliches Weltbild’ bzw. ‘Systembild des Lebens’);
3.1 Die ganzheitliche Psychologie
Ausgangsannahme: Ein Mensch wird in seiner Sozialisation und Lebensweise gleichermaßen von körperlichen,
seelischen, sozialen und spirituellen Bedingungen und Bedürfnissen geprägt.
3.1.1 Psychosomatischer Ansatz von Wilhelm Reich (1897-1957)
Ausgangsannahme: Körper und Psyche funktionieren trotz ihrer Gegensätzlichkeit identisch, denn ihnen liegt
dieselbe lebensenergetische Quelle zugrunde.
3.1.2 Transpersonaler Ansatz von Carl Gustav Jung (1875-1961):
Das individuelle Unbewusste sowie das Bewusste entstammen dem kollektiven Unbewussten, an dem die
gesamte Menschheit teilhat.
3.1.3 Systemischer Ansatz von Gegory Bateson (1904-1980)
Psychische Probleme (z.B. ‘Neurosen’, ‘Psychosen’ etc.) haben mehr mit der Interaktion, der Kommunikation,
den Regeln und Mustern des menschlichen Miteinanders innerhalb von sozialen Systemen (z.B. der Familie) zu
tun als mit der individuellen Psyche der Betroffenen.
Literatur: Capra, Fritjof (1982): Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild. dtv. Stuttgart (1991)
34
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