ANHANG Über die Erarbeitung der materialistischen Dialektik Von

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ANHANG
Über die Erarbeitung der materialistischen Dialektik
Von Akademiemitglied B. M. Kedrow
….Das dritte Kollektiv hat sich außerhalb von Moskau – in Alma-Ata formiert. Es benötigt
aktive Unterstützung, erst recht, da seine Teilnehmer wohl der Idee von Lenin am nächsten
kommen, nach der man die Dialektik und ihre Theorie mit Hilfe der Methode des Aufstiegs vom
Abstrakten zum Konkreten erarbeiten muss. Aber in diesem Fall ergibt sich ein etwas
eigenartiges Bild: alle Wissenschaften ohne Ausnahme werden in der Reihenfolge des Aufstiegs
von der Ausgangs-„zelle“ zum immer komplizierteren, entwickelten Gegenstand dargelegt,
außer der Dialektik selbst.
Lenin sagte, dass die Dialektik eben nach dieser Methode dargestellt werden muss. Allerdings
wird sie sehr oft so nicht dargestellt, wie Lenin es gefordert hat. Die Alma-Atiner Philosophen –
Zh. M. Abdildin, A. N. Nysanbajew und andere haben sich mit dieser Sache beschäftigt und eine
Reihe Arbeiten veröffentlicht. Zwei von ihnen nenne ich, das sind „Das Problem des Anfangs
(d.h. der „Zelle“- B.K.) in der theoretischen Erkenntnis“ (1967) und die erst kürzlich erschienene
äußerst interessante Arbeit „Dialektisch-logische Prinzipien des Theorieaufbaus“ (1973). Beide
Arbeiten zeigen, dass das erwähnte Kollektiv, obwohl es sich nur um wenige Personen handelt,
so weit gereift ist, um in dieser Richtung eine Theorie der Dialektik zu erarbeiten…
Zh. Abdildin, A. Nysanbajew: Dialektisch-logische Prinzipien des Theorieaufbaus
Alma-Ata: Nauka, 1973
In den letzten Jahren ist die Forschung auf dem Gebiet der Methodologie der Wissenschaft
merklich aktiviert worden. Das bezieht sich besonders auf die Wissenschaftsanalyse mit den
Mitteln der Logik, einer Wissenschaft, die orientiert ist auf die Reproduktion von Fragmenten
der Wissensstruktur durch formal-logische Methoden; wobei die Anzahl der Arbeiten, die der
Analyse der Methodologie auf rein philosophischem Niveau, im Rahmen der Dialektikforschung
als Logik und Theorie der wissenschaftlichen Erkenntnis gewidmet sind, vergleichsweise gering.
Um diese Lücken zu füllen, schreiben die Autoren des zu rezensierenden Buches von der
Notwendigkeit der Erforschung der dialektisch-logischen Prinzipien der Struktur und
Entwicklung der wissenschaftlichen Theorie, deren Grundideen von K. Marx im „Kapital“ und
W.I. Lenin in den „Philosophischen Heften“ und anderen Arbeiten ausgeführt sind.
Die Absicht der Autoren ist vor allem dadurch interessant, dass sie, ohne sich das rigorose Ziel
der Explikation des Begriffes der konkret-wissenschaftlichen Theorie zu stellen, im
Wesentlichen danach streben, einen Begriff der philosophischen Theorie zu konstruieren, wobei
sie von der marxistischen These der menschlichen gegenständlichen Tätigkeit ausgehen, und
danach die Probleme der Formierung und Entwicklung fachwissenschaftlicher Theorien auf dem
Kategorie-Niveau, anwendbar in Physik und Mathematik, zu untersuchen.
Die Autoren weisen auf die enge Verbindung zahlreicher wissenschaftlicher Theorien mit der
Produktion und der gegenständlichen Tätigkeit des gesellschaftlichen Subjekts hin und
konstatieren die Implikation der Begriffe und Theorien in die breite gesellschaftliche Praxis.
Analog der Tatsache, dass der Arbeitsprozess im Produkt erlischt, das im entwickelten Zustand
den gesamten vorangegangenen Tätigkeitsprozess enthält, akkumulieren auch die Begriffe, die
Theorien in sich den gesamten vorangegangenen Prozess ihrer Formierung.
Im Buch wird der Gedanke hervorgehoben, dass der wichtigste Grundzug der Theorie die
Zurückführung des Vielfältigen auf das Einzelne, die Aufdeckung der Bedingungen des
konkreten Ganzen ist. Deshalb wird in der Theorie den Ausgangsbegriffen eine wichtige
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Bedeutung beigemessen, soweit sich die weitere Entwicklung auf sie stützt. Als wichtigste
Prinzipien des Aufbaus theoretischen Wissens aber gelten die Methode des Aufstiegs vom
Abstrakten zum Konkreten, die inhaltsreiche Deduktion, die Erforschung der Wesenheit
unabhängig von ihren Erscheinungsformen, das Prinzip des dialektischen Widerspruchs.
Die herausragende Stellung des Gegenstandsbereiches der Erkenntnis wird ebenfalls von den
Autoren als Resultat des Prozesses der gegenständlichen Tätigkeit der Menschen qualifiziert,
wobei darauf hingewiesen wird, dass es nötig ist, jenes System zu finden, bezüglich dessen der
Gegenstand existiert, und ihn einer theoretischen Analyse zu unterziehen. Es sei angemerkt, dass
die Autoren, indem sie den Praxisaspekt als Kriterium der Wahrheit analysieren und an Einsteins
Analyse des Begriffs der „Gleichzeitigkeit“ (die Notwendigkeit der Berücksichtigung des
Abzählsystems) appellieren, trotzdem etwas ausladend die Auswirkung der gegenständlichpraktischen Tätigkeit auf die innere Logik des sich entwickelnden Wissens erklären. Nicht
unstrittig ist auch ihre Auslegung des Objekts und des Erkenntnisgegenstands.
Einen angenehmen Eindruck vermitteln die Seiten, die der theoretischen Analyse des
ursprünglich Ganzen und der Aufdeckung des Ausgangspunktes der Theorie, der Kriterien und
Methoden seines Auffindens gewidmet sind. Die Frage der elementaren Konkretheit wächst in
die Frage nach dem Mittel der Klärung der allgemeinen Abstraktion des Gegebenen und
konkreten Ganzen hinein und nach der Begründung des substanziellen Theorieprinzips. Im Buch
wird die These herausgestellt, dass im Laufe der Erkenntnis tiefster Verbindungen zwischen
Gegenständen und Erscheinungen das theoretische Denken folgende Stufen durchläuft:
Aufdeckung der Beziehungen festgestellter Fakten zur ursprünglichen Verallgemeinerung und
Auffindung der Gesetzmäßigkeiten der Erscheinungen und im Weiteren Rückführung dieser
Gesetzmäßigkeit zum wahren Erscheinungsgrund, zur Substanz. Folglich erweist sich die
Klärung der Substanz als eine fundamentale Aufgabe der wissenschaftlichen Theorie. Als
Beispiel der Produktivität des Substanzprinzips, des Subjekts, analysieren die Autoren die
quanten-relativistischen Ansichten von Dirac, die darwinsche Theorie von der Entwicklung der
Arten und die marxsche Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung. Im Zusammenhang damit
entsteht die Frage nach der Begründung des Hauptbegriffs der Theorie, nach der Untersuchung
der Wesenheit unabhängig von den Erscheinungsformen. Die Autoren behandeln die Wesenheit
als besondere Form der Entwicklung der Substanz, die allgemeine Bedeutung in diesem System
hat, und sehen als nächste Aufgabe der Theorie die Reproduktion des Ganzen als Ergebnis der
Selbstentwicklung der Substanz, die Einhaltung der widersprüchlichen Entwicklung, der
Formbildung, die Aufdeckung vermittelnder Glieder usw. Man kann mit solcherart Behandlung
des Einheitsprinzips der Dialektik, Logik und der Erkenntnistheorie einverstanden sein oder
nicht, der Standpunkt der Autoren wird ziemlich überzeugend dargestellt, wobei sie außer dem
naturwissenschaftlichen Material und dem „Kapital“ von Marx auch die Arbeiten von W.I. Lenin
und Angaben aus der zeitgenössischen gesellschaftlichen Praxis heranziehen.
Die ersten drei Kapitel der Arbeit können auch als origineller Versuch einer Analyse einiger
Aspekte zur Schaffung einer Theorie der materialistischen Dialektik angesehen werden, die die
Geschichte der Erkenntnis, die Ergebnisse der modernen Wissenschaft und der praktischen
Tätigkeit synthetisieren. Deshalb ähnelt die Analyse der dialektischen Herangehensweisen an die
Struktur einer wissenschaftlichen Theorie unvermeidlich der Aufgabe, eine eigene
philosophische Theorie aufzubauen, und die Ergebnisse, die in dieser Richtung erreicht werden,
ermöglichen es den Autoren auf vollkommen unzweideutige Weise, die Entwicklung der
Arbeiten dieser Art nach einem bestimmten Wege vorzugeben. Die systematische
Parallelenziehung zwischen der Entwicklung der philosophischen Logik und der
Naturwissenschaft demonstriert ebenfalls das hohe Niveau der Heuristik der dialektischen Ideen
für die fachwissenschaftlichen Disziplinen.
Großes Interesse ruft die Analyse der Diskussionen über die Logik der Relativitätstheorie
Einsteins, über die innere Verbindung und Unterordnung ihrer Kategorien hervor. Polemisierend
vom Standpunkt des Akademiemitglieds A.D. Alexandrow darüber, dass in der Logik der
Relativitätstheorie alles „Unterste zuoberst gekehrt wurde“, verfolgen die Autoren unserer
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Meinung nach den richtigen Gedanken, dass es unmöglich ist, von Anfang an die absolute
Einheit von Raum und Zeit zu postulieren, weil sie das Ergebnis einer bestimmten Etappe der
theoretischen Erkenntnis des Gegenstandes ist und deshalb besteht der wirkliche Ausweg aus der
Schwierigkeit nicht in der Kritik an der Logik der Relativitätstheorie, sondern in der
dialektischen Sinngebung des Begriffs des Abzählsystems, das es gestattet, positivistische
Verfälschungen zu vermeiden.
Einer der wesentlichen Mängel des Buches von Zh. Abdildin und A. Nysanbajew ist das Fehlen
einer Polemik mit analogen Arbeiten aus dem Gebiet der Wissenschaftslogik. Dieses Buch, das
zeigt, wie kompliziert und dornenreich die philosophische Analyse der methodologischen
Probleme der einzelnen wissenschaftlichen Theorien ist, das außerdem von nichttraditionellen
Positionen aus geschrieben ist, kann natürlich auch bestimmte Diskussionen hervorrufen. Jedoch
muss man anerkennen, dass vor uns eine inhaltsreiche Forschung liegt, die einen neuen Blick auf
eine Reihe von Problemen der wissenschaftlichen Erkenntnis freigibt.
W.A. Lektorskij
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Die Kantische Lehre von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption und das Problem
der Aktivität des Erkenntnissubjekts
Kant erarbeitete die Konzeption von der Aktivität des erkennenden Subjekts, des Bewusstseins
grundlegend in der Lehre von der ursprünglichen Einheit der Apperzeption. Mit dieser Lehre
nimmt der klassische deutsche Idealismus seinen Anfang, der die Dialektik als Dialektik der
Erkenntnis, des Denkens, der Tätigkeit, des aktiven Selbstbewusstseins, als Dialektik des
Subjekts und Objekts erarbeitete.
Ausgangspunkt dieser Lehre ist die Tatsache, dass der vielgestaltige Inhalt der Kontemplation,
wie er uns unmittelbar gegeben ist, immer eine innerlich verbundene Einheit darstellt. Diese
Vereinigung der Vielfältigkeit kann von uns überhaupt niemals über Gefühle wahrgenommen
werden, folglich kann sie auch nicht in reiner Form der sinnlich anschaulichen Form bestehen.
Sie wird durch die Wirkung des Verstandes geschaffen, „den wir mit der allgemeinen
Bezeichnung Synthese bezeichnen, um damit ebenfalls auszudrücken, dass wir uns im Objekt
nichts verbunden vorstellen können, was wir selbst vorher nicht verbunden haben; unter allen
Vorstellungen ist die Verbindung das Einzige, was durch das Objekt nicht gegeben ist, denn es
ist ein Akt seiner Selbsttätigkeit.“ (1)
Der Begriff der Verbindung setzt laut Kant außer dem Begriff der Vielfältigkeit und ihrer
Synthese auch die Einheit des Vielfältigen voraus. Diese Seite der Frage unterstreichend schrieb
der Philosoph: „Verbindung ist eine Vorstellung von der synthetischen Einheit des Vielfältigen.
Folglich kann die Vorstellung von dieser Einheit nicht aus der Verbindung entstehen, sondern
eher umgekehrt, sie macht den Begriff Verbindung hauptsächlich dadurch möglich, dass sie sich
der Vorstellung vom Vielfältigen anschließt.“ (2)
Dieser Gedanke Kants ist vor allem deshalb wichtig, weil hier nicht einfach vom Vielfältigen die
Rede ist, von der Synthese in ihrer gewöhnlichen oberflächlichen Auslegung, sondern, es wird
die Frage nach der Einheit des Vielfältigen gestellt.
Natürlich ist es im Verständnis der Einheit des Vielfältigen Kant nicht gelungen, sich auf jene
Ebene zu erheben, die wir in der Philosophie Hegels finden, aber auch die Fragestellung nach der
Einheit des Vielfältigen selbst ist eine gewaltige Errungenschaft des philosophischen Denkens.
Nämlich, um die Konzeption der Einheit des Vielfältigen in den Vordergrund zu holen, muss
man sich zuerst bewusst machen, dass es dabei nicht um zwei Begriffe geht, sondern um einen
konkret-allgemeinen Begriff.
Freilich hat Kant diesen Gedanken nirgendwo so deutlich formuliert, doch schon allein die
Fragestellung ging über die Grenzen der traditionellen Logik, des traditionellen Verständnisses
vom Einen und Vielen hinaus. Deshalb schätzte Hegel die Bedeutung der Kantischen Lehre von
der ursprünglichen Einheit der Apperzeption für die Dialektik, die dialektische Logik
außerordentlich hoch ein und wies auf den klaren Unterschied zwischen der kantischen
transzendentalen Logik und der so genannten Verstandeslogik hin. Nach der Verstandeslogik,
bemerkte Hegel, „verfüge ich über Begriffe genau so, wie ich über irgendwelche Eigenschaften
verfüge.“ Diese verstandesmäßige Vorstellung vom Begriff geriet erstmalig durch die kantische
Philosophie ins Schwanken, die einen wichtigen Grundsatz hervorhob, wie Hegel bemerkte, dass
die Einheit, die die Wesenheit des Begriffes ausmacht, die ursprüngliche Einheit der
Apperzeption ist.
Bei der verstandesmäßigen Betrachtung des Begriffes steht jedwede Vielfalt außerhalb des
Begriffs, und dem letzteren ist nur die Form der abstrakten Gesamtheit zugehörig. Das
synthetische Urteil a priori jedoch ist kein abstrakt allgemeines, sondern ein so allgemeines, in
dem der Unterschied genau so eine wesentliche Bedeutung hat. „Diese ursprüngliche Synthese
der Apperzeption“, schrieb Hegel, „ist eines der tiefgründigsten Prinzipien spekulativer
Auslegung… es enthält den Anfang des wahrhaftigen Verständnisses der Natur des Begriffes…“
(3) Hegel hat richtig erfasst, dass nach ihrer logischen Natur das synthetische Urteil und die
ursprüngliche Einheit der Apperzeption dem Abstrakt-Allgemeinen, dem MengenmäßigAllgemeinen, das in sich keine Synthese bildet, gegenüberstehen. Deshalb ist es unmöglich, das
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synthetische apriorische Wissen auf der Grundlage von Regeln der allgemeinen Logik zu
erklären.
Hegel bewertete die dialektisch-logischen Elemente in der Lehre Kants hoch, aber kritisierte
damit streng die Begrenztheit und Inkonsequenz der kantischen Dialektik. „Allerdings“, schrieb
Hegel, „entspricht diesem Anfang die weitere Auslegung wenig… Schon der Ausdruck
„Synthese“ führt leicht wieder zu der Vorstellung von einer gewissen äußeren Einheit und
einfacher Verbindung jener Momente, die von sich aus geteilt sind.“ (4)
Und tatsächlich, die hegelsche Kritik an Kant ist völlig richtig; sind doch das Allgemeine, das
Einzelne und das Vielfältige durchaus nicht äußerlich miteinander verbunden. Das Allgemeine
ist ein Begriff, der in seiner eigenen, immanenten Bewegung das Viele, das Einmalige
hervorbringt, und diese Letzteren sind dem Allgemeinen nicht etwa fremd, sondern treten als
Bestimmtheiten des Konkret-Allgemeinen auf. Im kantischen Verständnis der Dialektik dieser
Frage gibt es jedoch wesentliche Mängel: der Philosoph führte das Prinzip der Entwicklung fast
nicht in die Logik ein und verstand nicht die innere Einheit des Konkreten; die Bestimmtheit des
Einmaligen und Vielfältigen dachte er sich als etwas ursprünglich Geteiltes und Selbstständiges,
deren Synthese nur in der Folge geschehen kann. Deshalb tritt auch die Beziehung des Einzelnen
mit dem Vielfältigen nicht als Ergebnis der eigenen, immanenten Tätigkeit des Allgemeinen,
Einmaligen auf, sondern als von außen kommende Beziehung. Und Hegel warf zu Recht ein,
dass Kant eine solche immanente Synthese nicht verwirklichen konnte, weil er sich in der Logik
nicht auf das substanziell zu verstehende Prinzip der Entwicklung stützte.
In der „Kritik der reinen Vernunft“ geht Kant zur Einheit der Apperzeption über, zu der sich die
Vielfalt der Kontemplation von Anfang an im bekannten Verhältnis befinden muss, um die
Möglichkeit einer Verbindung über den Verstand zu bekommen. Kant beachtet diese Einheit der
Apperzeption besonders in seiner transzendentalen Deduktion der Kategorien. Kategorien sind
die Bedingungen der Einheit des Selbstbewusstseins – darin besteht hauptsächlich das
Charakteristikum der Deduktion. Die Verbindung setzt die ursprüngliche Einheit des
Selbstbewusstseins als notwendig voraus, sie kann nicht aus einer Vereinigung entstehen, eher
umgekehrt, sie ermöglicht erst den Begriff der Verbindung vor allem infolge dessen, dass sie
sich der Vorstellung vom Vielfältigen anschließt. Diese Einheit a priori geht allen Begriffen der
Vereinigung voraus.
Die ursprüngliche Einheit der Apperzeption unterschied Kant vom empirischen Bewusstsein, in
dem das „ICH“ ohne jede Beziehung zur Einheit „ICH“ nur den gegebenen Zustand darstellt.
Zwar unterscheidet Kant an einigen Stellen die Einheit der Apperzeption von der Apperzeption
selbst: im ersten Fall wird die Einheit der Apperzeption als diejenige Einheit ausgelegt, die durch
das Bewusstsein in die vielfältige Vorstellung eingebracht wird; in der Mehrzahl der Fälle wird
die Einheit der Apperzeption im Sinne ihrer Identität verstanden und identifiziert sich mit der
reinen Apperzeption. Übrigens ist das Letztere nur in Beziehung der analytischen Einheit der
Apperzeption richtig; die synthetische Einheit jedoch ist die Kombination der ursprünglichen
Apperzeption mit anderen Momenten der Erkenntnis. Die analytische Einheit der Apperzeption,
d.h. die Tatsache, dass ich mir die Identität meines „ICH“ zu Bewusstsein bringen kann,
unterscheidet sich von der synthetischen Einheit der Apperzeption. Das Erste ist nur mittels des
Zweiten möglich. Die Vielzahl von Vorstellungen muss ich in die Einheit einbinden und dieses
Einbinden mir als von mir Abgeleitetes bewusst machen, nur in diesem Falle kann ich die
Identität meines „ICH“ als verbindendes Subjekt bewusst machen. Die analytische Einheit des
Selbstbewusstseins ist somit nur unter der Bedingung des bewussten Einbindens von
Vorstellungen möglich und setzt deshalb überhaupt eine Verbindbarkeit, die Fähigkeit aller
meiner Vorstellungen, in der Einheit meines Bewusstseins verbunden zu sein, voraus.
Diese ursprüngliche Einheit hat mit dem empirischen oder abstrakt Allgemeinen nicht gemein,
sondern ist ein solches Allgemeines, das die Vielfalt der Vorstellungen vereint, synthetisiert,
formiert, d.h. sie zu meinen Vorstellungen macht. Wie meine Vorstellungen müssen sie sich mit
den Bedingungen gemeinsam bilden, dank denen sie sich zusammen in einem gemeinsamen
Bewusstsein befinden können: „…dank der Tatsache, dass ich den vielgestaltigen Inhalt dieser
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Vorstellungen in einem Bewusstsein verbinden kann, gibt es die Möglichkeit dafür, dass ich mir
die Identität des Bewusstseins in diesen Vorstellungen selbst vorstellen kann…“ (5)
Aber Kant beschränkte sich nicht auf die Betrachtung nur dieses Aspektes der ursprünglichen
Einheit der Apperzeption. Er unterstrich und deckte gründlich auch ein anderes Moment auf, und
zwar: dass das Objekt, die Objekt-Existenz innerlich mit dem Subjekt verbunden und bedingt ist
durch die ursprüngliche Einheit des Selbstbewusstseins. Kant war der erste Philosoph, der das
Objekt, die Objekt-Existenz vom einfachen Sein, vom „Ding an sich“ unterschied, weil es sich
außerhalb jeglicher Erkenntnistätigkeit befindet. Das wirkliche Objekt, der Gegenstand der
Erkenntnis ist, wie der Philosoph meinte, die sinnliche Vielfalt, deren Erkenntnisbedingung die
reinen Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes, die ursprüngliche Einheit der Apperzeption
sind.
Kant unterstrich mehrfach, dass gerade darin die Besonderheit der menschlichen Erkenntnis
besteht, ihr Unterschied zum unmittelbaren kontemplativen (oder göttlichen) Verstand. „Das
Objekt ist das“, schrieb Kant, „in dessen Begriff die Vielfalt vereinigt ist, die die gegebene
Kontemplation umfasst. Aber jegliche Vereinigung von Vorstellungen erfordert die Einheit des
Bewusstseins in ihrer Synthese. Somit ist die Einheit des Bewusstseins das, was allein das
Verhältnis der Vorstellungen zum Gegenstand ausmacht, also, ihre objektive Bedeutsamkeit,
folglich ihre Verwandlung in Wissen; auf dieser Einheit ist die Möglichkeit des Verstandes
begründet.“ (6)
Bekanntlich gibt es bei Kant viele Termini mit unterschiedlichen Bedeutungen. Das bezieht sich
auch auf den Begriff Gegenstand.
Gegenstände, die auf mich einwirken und dadurch in mir ein Gefühl auslösen, sind wirkliche
Dinge. Ihnen ist eine reale, von meinen Vorstellungen unterschiedliche, vollkommen
unabhängige Existenz eigen. Eine andere Sache sind Gegenstände, die mir in Form sinnlicher
Kontemplation gegeben sind (Kant nennt sie ebenfalls Objekte, ein Ausdruck, der von ihm in
einzelnen Fällen auch für „das Ding an sich“ gebraucht wird). Diese Gegenstände nennt Kant
auch Erscheinungen. Diese unsichere Terminologie vertieft natürlich die Mängel der Kantischen
Gnoseologie.
Kant beschränkte sich nicht auf die Konstatierung der Aktivität, sondern versuchte, diese Frage
mit der Möglichkeit des wissenschaftlich-theoretischen Wissens (synthetisches Urteil a priori) zu
verknüpfen. Für die Klärung des Verlaufs seiner Überlegungen vergleicht Kant die exakten
Wissenschaften mit der Philosophie und stellt mit Bedauern fest: Die Philosophie, obwohl viel
älter als die anderen Wissenschaften, ist immer noch nicht anerkannt nicht nur in den
Vorstellungen der anderen Wissenschaften, sondern auch in ihrem eigenen Metier, wobei die
Mathematik oder die theoretische Physik zum Beispiel als durchaus vollkommene
Wissenschaften gelten.
Die Sphäre der Philosophie ist eine Arena ewigen Streits und Diskussionen, in denen jedes
folgende philosophische System die Ergebnisse seiner Vorgänger glatt negiert. Im Unterschied
zu den Philosophen konnten die Mathematiker und Naturwissenschaftler auf irgendeine Weise
früher die Aktivität der menschlichen Erkenntnis verstehen. Kant ist überzeugt, dass sie gerade
dank dieser Tatsache früher als die Philosophen synthetische apriorische Urteile fällen konnten,
die Bedingung für die Existenz jedweder wirklichen Wissenschaft sind. Die traditionelle
Philosophie jedoch war so kühn, den absoluten Anfang erkennen zu wollen, die unbedingte
Synthese setzte immer den Erkenntnisgegenstand als etwas gegebenes voraus, der ursprünglich
vor jedwedem Subjekt und seiner Erkenntnis existierte und identifizierte dabei das Objekt, den
Gegenstand mit der objektiven Realität.
Kant hatte sich vorgenommen, das Gegenteil zu beweisen: dass der Gegenstand
wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ohne die Beziehung des Subjektes und seiner Erkenntnis
existiert. Gegenstand der Erkenntnis, der Wissenschaft ist nicht der Gegenstand, der an und für
sich existiert (das „Ding an sich“), sondern die Erscheinungen, die Gesamtheit der sinnlichen
Vorstellungen, die durch die Aktivität des Subjektes bedingt sind. Mit anderen Worten, für den
wirklichen Gegenstand der wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnis hielt Kant den Gegenstand
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(die Gesamtheit der Erfahrungen), dessen Möglichkeit und Wirklichkeit von Anfang an durch
apriorische Formen der Kontemplation gegeben ist, d.h. Raum und Zeit, und apriorische
Verstandesformen, d.h. logische Kategorien.
Folglich ist das Objekt nach Kant ein aktiv formierter Gegenstand. „…Die Welt öffnete sich
dem“, schrieb Kant, „der zuerst das Theorem vom gleichschenkligen Dreieck bewies (egal, ob
das Thales oder jemand anders war); er hatte verstanden, dass seine Aufgabe nicht in der
Erforschung dessen besteht, was er in der Figur erblickte oder nur in ihrem Begriff, indem er in
ihr ihre Eigenschaften abliest, sondern darin, eine Figur zu schaffen mit Hilfe dessen, was er
selbst a priori, entsprechend den Begriffen gedanklich in sie hineingelegt hat und zeigte (durch
Konstruktion). Er verstand, dass er nur in dem Falle von etwas richtiges apriorisches Wissen
haben kann, wenn er einer Sache nur das zuschreibt, was unumgänglich aus dem durch ihn selbst
in sie Hineingelegten entsprechend seines Begriffes folgt.“ (7) Die Eröffnung einer solchen
Herangehensweise hielt Kant für eine große Revolution in der Entwicklung des theoretischen
Denkens.
Eben diese revolutionäre „Denkweise“ ermöglichte es der Naturkunde, eine wirkliche
Wissenschaft zu werden. „Die Naturforscher haben verstanden“, schrieb Kant, „dass die
Vernunft nur das sieht, was sie nach eigenem Plan selbst schafft, dass sie mit den Prinzipien
ihrer Urteile entsprechend den ewigen Gesetze voranschreiten und die Natur zwingen muss, auf
ihre Fragen zu antworten, anstatt sich in ihrem Schlepptau zu bewegen.“ (8)
Die Philosophie aber, im Unterschied zur Mathematik und Naturkunde, erlebte so einen
glücklichen Augenblick noch nicht, deshalb ist sie auch noch keine echte Wissenschaft
geworden, erarbeitete noch keine synthetische Grundlage. Aus dieser Lage kann die Philosophie
laut Kant nur herausfinden, indem sie der Erfahrung der Mathematik und Naturkunde folgt.
Kant bewertete dieses Forschungsverfahren, diese gnoseologische Herangehensweise so hoch,
dass er sie mit der kopernikanischen Revolution verglich. Er äußerte die Überzeugung, dass,
ähnlich wie die Herangehensweise von Kopernikus die Astronomie zum wahren Verständnis des
Sonnensystems führte, auch die neue gnoseologische Herangehensweise es ermöglicht, auf neue
Weise auf den Gegenstand zu blicken und das Funktionieren des wissenschaftlich-theoretischen
Wissens zu erklären. Damit unterstrich Kant die Idee der Aktivität des menschlichen
Bewusstseins, stellte die Rolle der apriorischen Kategorien im Prozess der Erkenntnistätigkeit
heraus. Das menschliche Bewusstsein ist nicht passiv, es kann sich nicht mit der kontemplativen
Beziehung zum Objekt zufrieden geben. Im Gegenteil, ihm ist eine solche Beziehung eigen, die
von Anfang an mit Inhalt gefüllt ist – mit den Kategorien und apriorischen Formen der
Sinnlichkeit, und gerade diese letzten bilden eigentlich den Gegenstand, sind die allgemeinen
Bedingungen des synthetischen, allgemeinen und schöpferischen Wissens (der synthetischen
Urteile a priori).
Natürlich darf man nicht vergessen, dass die kantische Idee von der Aktivität des Bewusstseins
innerlich mit seinem Idealismus, seinem Apriorismus und seinem Agnostizismus zu tun hat.
Damit erklärt sich offensichtlich auch, dass in der weiteren Entwicklung der deutschen
klassischen Philosophie das Prinzip der Aktivität der Erkenntnis noch stärker mit dem
Idealismus in Zusammenhang gebracht wurde, dass die Nachfolger des großen Königsberger
Denkers noch weiter in dieser Richtung gingen. Wenn Kant trotzdem neben dem Objekt, dem
Gegenstand, der durch das Bewusstsein bedingt ist, die Existenz des „Ding an sich“ zuließ, so
identifizierten Fichte, Schelling und Hegel das Objekt mit der Wirklichkeit und führten
folgerichtig das idealistische Verständnis der Hauptfrage der Philosophie weiter.
Nur dem Marxismus gelang es, die idealistischen Fesseln abzuwerfen und allseitig und universell
das materialistische Prinzip der Aktivität des Menschen, der menschlichen Erkenntnis zu
begründen, die Erkenntnistätigkeit des Menschen aus seiner produktiven, sinnlichgegenständlichen Tätigkeit zu erklären, zu zeigen, dass die Aktivität des Bewusstseins, des
Denkens die ideale Form der praktischen Tätigkeit des Menschen ist.
Die marxistische Philosophie identifiziert das Objekt (den Gegenstand) nicht mit der objektiven
Realität, sondern beweist, dass die objektive Realität, die Natur als solche vor Mensch und
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Gesellschaft existierte. Wenn die objektive Realität an und für sich existiert (absolut unabhängig
vom Subjekt), so basiert das Verständnis des Objekts (des Gegenstandes) auf der
gegenständlichen Tätigkeit des Subjekts. Der Gegenstand (das Objekt) darf nicht außerhalb
seiner Beziehung zum Subjekt verstanden werden. Deshalb muss bei der Bestimmung (bei der
Auswahl) des Gegenstandsbereiches der Forschung die dialektische Beziehung des
Gegenstandes (des Objekts) zum Subjekt berücksichtigt und so genau wie möglich formuliert
werden.
Diese Art der Problemstellung ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal des dialektischen
Erkenntnisprinzips, laut dem in der Erkenntnis des Gegenstandes, des Objektes und in der
Formulierung der theoretischen Vorstellungen und Begriffe von ihm von Anfang an die Aktivität
des erkennenden Subjekts unterstrichen wird, seine Bedürfnisse, seine konkrete Beziehung zum
Objekt berücksichtigt werden.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Kant I. Die Kritik der reinen Vernunft S. 190
Ebenda, S.190 – 191
Hegel G.W.F. Die Wissenschaft der Logik. Moskau 1972, Bd. 3, S.23
Ebenda
Kant I. Schriften Bd. 3, S. 192
Ebenda S. 195
Ebenda S. 84-85
Ebenda S. 85
358
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