BIP und mehr - Messung des Fortschritts

Werbung
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
NAT/453
"BIP und mehr - Messung
des Fortschritts"
Brüssel, den 29. April 2010
STELLUNGNAHME
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
zu der
"Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament:
Das BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel"
KOM(2009) 433 endg.
_____________
Berichterstatter: Josef ZBOŘIL
_____________
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
Rue Belliard/Belliardstraat 99 — 1040 Bruxelles/Brussel — BELGIQUE/BELGIË
Tel. +32 25469011 — Fax +32 25134893 — Internet: http://www.eesc.europa.eu
DE
-1Die Europäische Kommission beschloss am 20. August 2009, den Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu
ersuchen:
"Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament: Das BIP
und mehr - Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel"
KOM (2009) 433 endg.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 25. Februar 2010 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 462. Plenartagung am 28./29. April 2010 (Sitzung vom
29. April) mit 168 gegen 3 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
*
*
*
1.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Europäischen
Kommission "Das BIP und mehr - Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel"
und die darin vorgeschlagenen Initiativen. Er betont, dass wir erst am Beginn dieses langen
Weges stehen und die Wahl der richtigen Instrumente und Messgrößen sowie deren Berücksichtigung bei der Steuerung der wichtigsten Maßnahmen und Strategien kein leichtes Unterfangen sein wird.
1.2
Die Europäische Kommission steht vor der immensen Aufgabe, eine Pilotversion des umfassenden Umweltindex auszuarbeiten, der offenbar als aggregierter Index angelegt ist. Daher
muss die Frage beleuchtet werden, wie die Auswirkungen der einzelnen ökologischen Faktoren gewichtet werden sollen. Die Interessenträger sollten im Rahmen einer Konsultation von
Beginn an in die Ausarbeitung dieses Index eingebunden werden.
1.3
Die Ausarbeitung eines umfassenden Index für die Lebensqualität und den sozialen Zusammenhalt wird sich noch schwieriger gestalten. Es müssen unbedingt Pilotprojekte in diesem
Bereich konzipiert werden. Die Europäische Kommission sollte diesen Bereich als Nadelöhr
des gesamten Vorhabens erkennen und rasch Pilotprojekte auf den Weg bringen.
1.4
Für Strategieplanung und Politikgestaltung sind die langfristigen Entwicklungstrends der
grundlegenden Parameter von Bedeutung. Daher sollten die in Echtzeit zu überwachenden
Faktoren aus diesem Blickwinkel festgelegt werden. Es gilt, überlegt und rasch auf die ermittelten Veränderungen zu reagieren.
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
.../...
-2-
1.5
Auch für die Europäische Union insgesamt sollte die nationale Ebene innerhalb eines klaren,
vereinheitlichenden Gemeinschaftsrahmens weiterhin als Grundlage für die Datenerhebung,
-auswertung und -umwandlung in Indikatoren und Messgrößen dienen. Für ihre Bewertung
muss ein ganzheitlicher, holistischer Ansatz gewählt werden, um Konflikte bei der Beurteilung bestimmter Instrumente und etwaige, von ungelösten Konflikten ausgehende Risiken zu
verringern.
1.6
Zweck der Bewertung der nachhaltigen Entwicklung ist die Erfassung der Trends in zwei
grundlegenden Bereichen: 1.) die Bewertung der Tragfähigkeit sowie 2.) die Bewertung der
Entwicklung der gesellschaftlichen Governance. Die Kommission geht mit dem in ihrer Mitteilung festgehalten Vorschlag (Anzeiger für nachhaltige Entwicklung und Überwachung der
Schwellenwerte für Schadstoffe) in diese Richtung; dies wird vom Ausschuss begrüßt.
1.7
Der Ausschuss begrüßt außerdem die Anstrengungen der Europäischen Kommission, die
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auf ökologische und soziale Aspekte auszudehnen.
Anfang 2010 soll ein Vorschlag für einen Rechtsrahmen für die umweltökologische Gesamtrechnung vorliegen. Die in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen bereits verfügbaren
sozialen Indikatoren werden noch nicht voll genutzt. Diese Indikatoren werden wahrscheinlich umso stärker herangezogen werden müssen, je umfassender und integrierter der Ansatz
für die Bemessung und Bewertung des Fortschritts in einer sich wandelnden Welt wird.
1.8
Dieser bevorstehende Wandel wird weder schnell noch einfach sein. Aus diesem Grund muss
insbesondere der analytischen Vorbereitung und Planung der Instrumente besonderes Augenmerk gewidmet werden. Ihre Wechselwirkungen müssen dazu eingehend untersucht werden
und Gegenstand weitreichender Konsultationen der Interessenträger sein, um die Akzeptanz
des Wandels in einem breiten internationalen Kontext zu erleichtern.
1.9
Um die Arbeiten voranbringen und die nächsten Schritte strukturieren zu können, müssen
sämtliche verfügbaren Überlegungen und Vorhaben herangezogen werden. Das entscheidende
Kriterium muss die Gewährleistung des höchsten Maßes an Objektivität und die Wahrung der
Unabhängigkeit und Qualität der Statistiken sein. Der Ausschuss ist bereit, zur Bewertung der
grundlegenden Veränderungen beizutragen und ihre Akzeptanz in der Zivilgesellschaft zu fördern.
1.10
Die Kommission sollte einen Zeitplan und Fristen für die einzelnen Elemente des zu schaffenden Systems festlegen. So sollte insbesondere die Aufnahme einiger neuer Maßnahmen in die
neue EU-2020-Strategie und die Strategie für nachhaltige Entwicklung angestrebt werden.
Bis 2011 sollte ein Rahmen festgelegt werden, in dem klare Vorschläge für international vergleichbare Maßnahmen für den Weltgipfel zur nachhaltigen Entwicklung ausgearbeitet werden können, den die Vereinten Nationen für 2012 einberufen werden.
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
.../...
-32.
Einleitung
2.1
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der bekannteste Maßstab für die makroökonomische
Tätigkeit. (BIP = Verbrauch der privaten Haushalte + Investitionen + Staatsverbrauch + (Ausfuhren - Einfuhren). Der Rechtsrahmen und die Berechnungsregeln sind im europäischen System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen festgelegt, das weitgehend mit dem UNSystem der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen übereinstimmt.) Das BIP wurde zur
Standard-Benchmark, das politische Entscheidungsträger weltweit anwenden und das in
öffentlichen Diskussionen allgemein herangezogen wird. Das BIP ist der aggregierte Mehrwert aller auf Geld basierenden wirtschaftlichen Tätigkeiten. Es beruht auf einem eindeutigen
Verfahren, wodurch Vergleiche im Zeitverlauf und zwischen verschiedenen Ländern und
Gebieten möglich werden.
2.2
Das BIP hat inzwischen auch die Rolle eines stellvertretenden Indikators für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung und den Fortschritt im Allgemeinen. Insbesondere misst das BIP weder
die Nachhaltigkeit im Umweltbereich noch die soziale Integration. Diese Einschränkungen
müssen berücksichtigt werden, wenn das BIP in politischen Analysen und Diskussionen herangezogen wird (Eine aktuelle Übersicht über die Schwachpunkte des BIP findet sich in Stiglitz/
Sen/Fitoussi (2008) Issues Paper: "Commission on the Measurement of Economic Performance
and Social Progress", siehe http://www.stiglitz-sen-fitoussi.fr/documents/Issues_paper.pdf).
2.3
Seit rund zehn Jahren werden auf unterschiedlicher Ebene Diskussionen geführt. Der Ausschuss hat im Oktober 2008 eine Initiativstellungnahme1 verabschiedet, in der er aktuelle
Überlegungen beleuchtet und die Anstrengungen zur Suche nach geeigneten ergänzenden
Messgrößen unterstützt, die der Entwicklung der Gesellschaft besser gerecht werden.
2.4
In der Mitteilung der Kommission werden einige Maßnahmen vorgestellt, die kurz- und mittelfristig getroffen werden können. Allgemeines Ziel ist, umfassendere Indikatoren zu entwickeln, die eine zuverlässigere Wissensgrundlage für eine bessere öffentliche Diskussion und
eine sachgerechtere Entscheidungsfindung schaffen. Die Europäische Kommission möchte in
Zusammenarbeit mit den Interessengruppen und Partnern Indikatoren erarbeiten, die international anerkannt und angewandt werden.
3.
Zusammenfassung der Kommissionsmitteilung
3.1
Die Europäische Kommission schlägt die nachstehenden fünf Maßnahmenkategorien vor, die
je nach dem Ergebnis der für 2012 geplanten Überprüfung überarbeitet oder ergänzt werden
können.
1
ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53.
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
.../...
-43.2
Ergänzung des BIP durch ökologische und soziale Indikatoren: Indikatoren, die wichtige
Fragen in einer einzigen Zahl zusammenfassen, sind entscheidende Kommunikationshilfsmittel. Das BIP, die Arbeitslosenquote und die Inflation sind bekannte Beispiele für solche
zusammenfassenden Indikatoren. Diese Indikatoren sind aber nicht für die Standortbestimmung in Umweltfragen oder beim Abbau sozialer Ungleichheiten geeignet. Die Europäische
Kommission will daher einen umfassenden Umweltindex erarbeiten und die Indikatoren für
die Lebensqualität verbessern.
3.2.1
Ein umfassender Umweltindex: Es gibt zurzeit keinen umfassenden Umweltindex. Infrage
kämen hierfür insbesondere der ökologische und der CO2-Fußabdruck, aber diese beiden
Messwerte haben einen begrenzten Anwendungsbereich (Der CO2-Fußabdruck gibt nur die
Treibhausgasemissionen wieder. Beim ökologischen Fußabdruck sind mehrere Auswirkungen, z.B. auf das Wasser, ausgeklammert. Die Europäische Kommission prüft ihn jedoch
zusammen mit weiteren Indikatoren, um die Umsetzung der thematischen Strategie für die
nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und den Aktionsplan zur Erhaltung der biologischen Vielfalt zu überwachen.) Die Kommissionsdienststellen wollen 2010 eine Pilotversion
dieses umfassenden Umweltindex vorstellen. In diesen Index werden die wichtigsten Bereiche der Umweltpolitik einfließen:





Klimawandel und Energieverbrauch;
Natur und Artenvielfalt;
Luftverschmutzung und Auswirkungen auf die Gesundheit;
Wasserverbrauch und -verschmutzung;
Abfallerzeugung und Ressourcenverbrauch.
3.2.2
Lebensqualität und Wohlergehen: Einkommen, öffentliche Dienstleistungen, Gesundheit,
Freizeit, Wohlstand, Mobilität und eine saubere Umwelt sind Mittel zur Erreichung und
Unterstützung dieser Ziele. Die Kommission hat Studien zur Durchführbarkeit von Indikatoren für das Wohlergehen und zur Stärkung der Verbraucherrechte und - zusammen mit der
OECD - zu der Frage in Auftrag gegeben, was die Menschen unter Wohlergehen.
3.3
Informationen in Beinahe-Echtzeit für die Entscheidungsfindung: Die Zahlen zum BIP und
zur Arbeitslosigkeit werden oft schon innerhalb weniger Wochen nach dem erfassten Zeitraum veröffentlicht, was eine Entscheidungsfindung beinahe in Echtzeit ermöglicht. Umweltund Sozialdaten sind oft schon zu alt, um brauchbare Informationen etwa zur schnellen Veränderung der Luft- und Wasserqualität oder zu Arbeitsmerkmalen zu liefern.
3.3.1
Deshalb wird die Europäische Kommission darauf hinarbeiten, die Zeitnähe der Umwelt- und
Sozialdaten zu verbessern, um die politischen Entscheidungsträger EU-weit besser zu informieren. Dank Satelliten, automatischer Messstationen und Internet wird es immer einfacher,
die Umwelt in Echtzeit zu überwachen. Hier seien die INSPIRE-Richtlinie (Richtlinie 2007/2/EG) und das GMES-System (Global Monitoring for Environment and Security globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung, KOM(2009) 223 endg.) genannt.
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
.../...
-5-
3.3.2
Wo möglich wird die Zeitnähe sozialer Daten verbessert, etwa mit dem neuen Europäischen System sozialstatistischer Erhebungsmodule.
3.4
Genauere Berichterstattung über Verteilung und Ungleichheiten: Der soziale und der wirtschaftliche Zusammenhalt sind übergreifende Ziele der Gemeinschaft. Vorhandene Daten aus
der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, etwa zu den Einkommen der Privathaushalte oder
aus sozialen Erhebungen wie EU-SILC (Statistics on Income and Living Conditions –
Gemeinschaftsstatistiken über Einkommen und Lebensbedingungen), lassen bereits eine Aufschlüsselung nach den wichtigsten Verteilungsfragen zu.
3.5
Entwicklung eines europäischen Anzeigers für nachhaltige Entwicklung: Die Indikatoren
der EU für nachhaltige Entwicklung (vgl. Eurostat-Statistikband "Measuring progress towards
a more sustainable Europe - 2007" (Messung der Fortschritte auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Europa)) wurden zusammen mit den Mitgliedstaaten entwickelt und werden in dem
alle zwei Jahre erscheinenden Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission aufgegriffen.
Dieses Überwachungsinstrument reicht aber nicht aus, um neue, noch nicht in amtlichen
Statistiken berücksichtigte Entwicklungen in wichtigen Bereichen (wie etwa Nachhaltigkeit in
Entwicklung und Verbrauch oder ordnungspolitische Fragen) in vollem Umfang zu erfassen.
3.5.1
Deshalb prüft die Europäische Kommission die Möglichkeiten, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten einen Anzeiger für nachhaltige Entwicklung zu erarbeiten. Dieser Anzeiger, der
sich auf die Daten des EU-Index für nachhaltige Entwicklung stützt, könnte auch andere
öffentlich verfügbare quantitative und qualitative Informationen einbeziehen.
3.5.2
Ein Hauptziel der Datensätze des Anzeigers für nachhaltige Entwicklung ist die Beachtung
der Grenzen der natürlichen Ressourcen. Dies beinhaltet die begrenzte Kapazität der Natur
zur Bereitstellung natürlicher Ressourcen einerseits und zur Aufnahme von Schadstoffen
andererseits. Es ist wichtig zu wissen, wo die "Gefahrenbereiche" vor den eigentlichen KippPunkten liegen, und entsprechende Warngrenzwerte festzusetzen. Daher wäre es sinnvoll,
Schwellenwerte für die wichtigsten Schadstoffe und erneuerbaren Ressourcen festzulegen und diese regelmäßig zu aktualisieren, damit Informationen für die politische Diskussion bereitstehen und die Festsetzung von Zielen und die Bewertung von Maßnahmen
unterstützt wird.
3.6
Einbeziehung ökologischer und sozialer Anliegen in die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen: Das Europäische System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ist das wichtigste Instrument für die Wirtschaftsstatistik der EU und für viele wirtschaftliche Indikatoren
(einschließlich des BIP). Der Europäische Rat hat in seinen Schlussfolgerungen vom
Juni 2006 die EU und die Mitgliedstaaten aufgefordert, die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auf Kernaspekte der nachhaltigen Entwicklung auszudehnen. Die Kommission
wird dafür sorgen, dass die Arbeiten bei künftigen Überarbeitungen des internationalen und
des europäischen Systems volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen weitergeführt werden.
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
.../...
-6Auf längere Sicht wird davon ausgegangen, dass eine stärker integrierte ökologische, soziale
und volkswirtschaftliche Gesamtrechnung die Basis für neue Indikatoren auf oberster Ebene
bildet.
3.6.1
Integrierte umweltökonomische Gesamtrechnung: Die Kommission hat 1994 ihre erste Strategie zu einem "grünen" Rechnungssystem vorgelegt (KOM(1994) 670 endg.). Seitdem haben
Eurostat und die Mitgliedstaaten - in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und der
OECD - die Rechnungslegungsverfahren so weit entwickelt und erprobt, dass mehrere Mitgliedstaaten inzwischen in regelmäßigen Abständen erste umweltökonomische Gesamtrechnungen vorlegen. In der Folge können physische umweltökonomische Gesamtrechnungen für
Energieverbrauch, Abfallerzeugung und -behandlung sowie monetäre Rechnungen für umweltbezogene Subventionen erstellt werden. Um sicherzustellen, dass diese Gesamtrechnungen
untereinander vergleichbar sind, plant die Europäische Kommission, Anfang 2010 einen
Vorschlag für einen Rechtsrahmen für die umweltökonomische Gesamtrechnung vorzulegen.
3.6.2
Verstärkte Anwendung vorhandener sozialer Indikatoren aus der volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnung: Das gegenwärtige europäische System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen enthält bereits Indikatoren, die auf sozial maßgebliche Themen hinweisen, so
z.B. das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte oder das verfügbare Einkommen (Ausgabenkonzept), bei dem die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern im Sozialschutz
berücksichtigt sind.
4.
Allgemeine Bemerkungen
4.1
Die Problematik einer kohärenteren Messung des Fortschritts der gesellschaftlichen Entwicklung ist zunehmend ins Interesse von Politik und Öffentlichkeit gerückt. Es bedarf neuer
Konzepte, um aufzeigen zu können, wie die demografische und wirtschaftliche Entwicklung
der Gesellschaft mit der Begrenztheit unseres Planeten und seiner Ressourcen in Einklang
gebracht werden können.
4.2
Neue Konzepte und Methoden zur Messung des Fortschritts sind in unserem heutigen immer
komplexeren gesellschaftlichen Umfeld unabdingbar, um eine strategische Vision für Formen
des gesellschaftlichen Zusammenlebens wie die EU besser festlegen zu können. Sie sind
wichtig, um den Ressourcenbedarf für die Verwirklichung der strategischen Ziele festzulegen,
insbesondere der nachhaltigen Entwicklung, die u.a. auf einem effizienten Klimaschutz und
einem sparsamen Ressourcenumgang beruht.
4.3
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Festlegung wesentlicher Gemeinschaftsmaßnahmen zur
Berücksichtigung aller messbaren Auswirkungen und Einflüsse sowie deren Wechselwirkungen und natürlich die Beurteilung der Durchführung dieser Maßnahmen.
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
.../...
-74.4
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt daher die Mitteilung der Europäischen Kommission "Das BIP und mehr - Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel" und die darin vorgeschlagenen Initiativen. Obwohl bereits zahlreiche Tätigkeiten und
Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden, betont der Ausschuss, dass wir erst am Beginn
eines langen Weges stehen und die Wahl der richtigen Instrumente und Messgrößen sowie
deren Berücksichtigung bei der Steuerung der wichtigsten Maßnahmen und Strategien kein
leichtes Unterfangen sein wird.
4.5
Damit die Instrumente auch wirklich erfolgreich sein können, müssen sie so einfach wie möglich gestaltet und zu handhaben sein, und die betroffenen Akteure müssen sie auch annehmen.
Instrumente, die sich die Nutzer nicht vollständig aneignen und die nicht allgemein anerkannt
werden, können keinesfalls die gewünschten Ergebnisse bringen. Es braucht natürlich eine
gewisse Zeit, bis ein neues Instrument als Messgröße für den Fortschritt angenommen wird.
Keines der Instrumente darf jedoch nur ein Selbstzweck sein. Instrumente, die sich als ineffizient erweisen, sollten aufgegeben werden.
4.6
Der Weg führt deutlich vom Einfacheren zum immer Komplexeren. Die Komplexität darf
jedoch den zu erwarteten Nutzen nicht einschränken. Auch für die Europäische Union insgesamt sollte die nationale Ebene innerhalb eines klaren, vereinheitlichenden Gemeinschaftsrahmens weiterhin als Grundlage für die Datenerhebung, -auswertung und -umwandlung in Indikatoren und Messgrößen dienen.
4.7
Die Aggregation von Parametern für die gesamte Europäische Union sollte außerdem die
Möglichkeit eröffnen, koordinierte und kohärente Strategien und Maßnahmen auf nationaler
und EU-Ebene unter strenger Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit festzulegen. Auf EU-Ebene wird es daher besonders wichtig sein, im
Einklang mit den Entwicklungstrends zu handeln. Mit den gewählten Instrumenten sollten
selbst schwache Warnsignale für potenziell gefährliche Veränderungen ausreichend früh und
zuverlässig ermittelt werden können.
4.8
Trotz seiner bekannten Unzulänglichkeiten ist das BIP eine einzigartige aggregierte Messgröße, die rasch auf Entwicklungen reagiert. Das gesuchte Instrument sollte ebenfalls eine
aggregierte Messgröße sein, das soziale und ökologische Faktoren berücksichtigt. Dies wird
offensichtlich eine sehr schwere Aufgabe. Nach Meinung des Ausschusses sollten daher bei
der Bewertung mehrerer Parameter aus verschiedenen Bereichen Entscheidungskriterien für
die Konzipierung von Maßnahmen ausgewählt werden, die eine nachhaltige gesellschaftliche
Entwicklung weltweit fördern.
4.9
Der Ausschuss ist überzeugt, dass ein individueller Ansatz nur für die Entwicklung individueller Instrumente möglich ist. Für deren Bewertung und wirksame Umsetzung muss ein
ganzheitlicher, holistischer Ansatz gewählt werden, um Konflikte bei der Beurteilung von Instrumenten und Parametern so weit wie möglich zu verringern. Werden diese Konflikte nicht
gelöst, können sie unausgewogene politische und strategische Entscheidungen zu Folge haben.
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
.../...
-8-
4.10
Der bevorstehende Wandel wird weder schnell noch einfach sein. Aus diesem Grund muss
insbesondere der analytischen Vorbereitung und Planung der Instrumente besonderes Augenmerk gewidmet werden. Ihre Wechselwirkungen müssen dazu eingehend untersucht werden
und Gegenstand einer weitreichenden Konsultation der Interessenträger sein.
4.11
Es gilt, Prioritäten und einen Zeitplan für die nächsten Schritte festzulegen. Diese werden in
der Kommissionsmitteilung jedoch lediglich grob umrissen. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission insbesondere auf, diese rechtzeitig in die Ziele und Bewertungsmechanismen der neuen EU-2020-Strategie und der langfristigen Strategie für nachhaltige Entwicklung aufzunehmen. Er bedauert außerdem die fehlende Beteiligung weiterer Interessenträger wie der mit Wirtschaftsfragen befassten Generaldirektionen der Europäischen Kommission in dieser ersten Etappe. Es reicht nicht, dass sich die GD Umwelt, die Europäische
Umweltagentur und Eurostat mit diesem radikalen Wandel beschäftigen.
4.12
Um die Arbeiten voranbringen und die nächsten Schritte strukturieren zu können, müssen
sämtliche verfügbare Überlegungen und Vorhaben herangezogen werden, namentlich der
Bericht der Kommission zur Messung von Wirtschaftsleistung und sozialem Fortschritt (der
so genannte "Stiglitz-Bericht", http://www.stiglitz-sen-fitoussi.fr/en/index.htm - nur auf EN
und FR verfügbar), die Studie des TEEB (The Economics of Ecosystems and Biodiversity (Die
wirtschaftlichen Aspekte von Ökosystemen und biologischer Vielfalt), http://www.teebweb.org/),
die Arbeiten der Europäischen Umweltagentur, von Eurostat und weiterer Akteure, die an
diesem komplexen EU- und weltweiten Projekt mitarbeiten. Das entscheidende Kriterium
muss die Gewährleistung der Unabhängigkeit und der Qualität der Statistiken sowie die allgemein anerkannte Aussagekraft der Instrumente sein.
4.13
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat unlängst beschlossen, 2012 einen neuen
Weltgipfel einzuberufen, um die in den letzten 20 Jahren seit dem Weltgipfel in Rio 1992
erzielten Fortschritte in Bezug auf die nachhaltige Entwicklung zu bewerten. Es ist klar, dass
der Übergang zu einer "grünen", emissionsarmen Weltwirtschaft eines der Hauptthemen dieses Weltgipfels sein wird. Daher wäre es sinnvoll, wenn die EU bis 2011 einen klaren Rahmen für die Bewertung ihrer eigenen Fortschritte festlegt und der Weltgemeinschaft 2012
genau definierte Vorschläge unterbreiten kann.
5.
Besondere Bemerkungen
5.1
Die besonderen Bemerkungen beziehen sich auf die fünf wichtigsten Maßnahmenbereiche
und ihre Teilbereiche, wie sie in Ziffer 3 dargelegt sind.
5.2
Die Europäische Kommission steht vor der immensen Aufgabe, eine Pilotversion des umfassenden Umweltindex auszuarbeiten. Sie will diesen Index noch in diesem Jahr vorstellen.
Dieser Index ist offenbar als aggregierter Index angelegt. Daher muss bei seiner Bewertung
die Frage beleuchtet werden, wie die Auswirkungen der einzelnen ökologischen Faktoren
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
.../...
-9gewichtet werden sollen. Die bisherigen Messgrößen ökologischer und CO2-Fußabdruck
umfassen spezifische Aspekte in den Bereichen Umwelt und Ressourcenverbrauch. Es bestehen noch weitere Konzepte wie der "Wasser-" oder der "Wald-Fußabdruck", doch reichen
auch diese nicht aus, um einen echten umfassenden Index zu schaffen. Die Interessenträger
sollten im Rahmen einer Konsultation von Beginn an in die Ausarbeitung dieses Index eingebunden werden. Die Gewichtung der einzelnen Faktoren im Rahmen dieses komplexen Index
sollte sehr sorgfältig erfolgen.
5.3
Die Ausarbeitung von Indikatoren für Lebensqualität und Wohlergehen2 wird - ungeachtet des
Vorliegens von Machbarkeits- und sonstigen Studien - ähnlich anspruchvoll sein; diese Indikatoren beruhen großteils auf einer subjektiven Wahrnehmung und sind keine exakten Messgrößen. Allerdings sollte betont werden, dass auch das BIP keine 100% exakte Messgröße ist.
5.4
Informationen in beinahe Echtzeit für die Entscheidungsfindung sind von wesentlicher
Bedeutung für das "Betriebsmanagement" der Lebensqualität und für korrektive Eingriffe im
Sozialbereich. In Bezug auf strategische Fragen und die Politikgestaltung sind die längerfristigen Trends der grundlegenden Parameter noch wichtiger. Daher sollten die in Echtzeit zu
überwachenden Messgrößen auf der Grundlage dieser Unterscheidung festgelegt werden,
damit die Beschlussfassung nicht unnötig durch individuelle Informationen gebremst wird. In
diesem Zusammenhang ist es wichtiger, überlegt und rasch auf die Veränderungen zu reagieren. Die Überwachung im Rahmen des GMES-Systems wird zwar in erster Linie zum
"Betriebsmanagement", aufgrund der Ermittlung der längerfristigen Trends aber auch zur
Politikgestaltung beitragen.
5.5
Stichhaltige Informationen über die Unterschiede und Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten und Regionen sind für die Konzipierung der Gemeinschaftspolitik, für die gemeinsame Anstrengungen erforderlich sind, von grundlegender Bedeutung. Ziel ist es, ausgeprägte
Ungleichheiten durch angemessene Maßnahmen zu beseitigen. Hierfür sind genauere Daten
unerlässlich. Der Erfolg dieser Maßnahmen hängt davon ab, ob sie allgemein anerkannt und
angenommen werden. Hierfür muss jedoch eine gerechte Behandlung gewährleistet werden.
Dieser Ansatz wird auch das Bild beeinflussen, das sich die Bürgerinnen und Bürger in
Zukunft von ihrer Union machen werden.
5.6
Die Bewertung der nachhaltigen Entwicklung ist äußerst schwierig. Da die nachhaltige Entwicklung eine langfristige und übergreifende Strategie ist, verfolgt sie keine konkreten Ziele
mit konkreten Fristen - und kann dies auch nicht. Aufgrund der Natur der Dinge müssen die
Ziele ausreichend allgemein formuliert werden. Zweck der Bewertung der nachhaltigen Entwicklung ist in erster Linie die Erfassung der Trends in zwei grundlegenden Bereichen:
1.) die Bewertung der Tragfähigkeit der Ökosysteme einschl. der erneuerbaren und nicht
erneuerbaren Ressourcen sowie 2.) die Bewertung der Entwicklung der gesellschaftlichen
Governance im Allgemeinen. Je nach Entwicklung dieser beiden grundlegenden Faktoren
2
ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53.
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
.../...
- 10 wird die Weltgemeinschaft einschl. der EU sich in einer nachhaltigen Weise weiterentwickeln
oder eben nicht. Die Kommission geht mit dem in ihrer Mitteilung festgehalten Vorschlag
(Anzeiger für nachhaltige Entwicklung und Überwachung der Schwellenwerte für Schadstoffe) in diese Richtung; dies wird vom Ausschuss begrüßt.
5.7
Der Ausschuss begrüßt außerdem die Anstrengungen der Europäischen Kommission, die
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auf ökologische und soziale Aspekte auszudehnen.
Die Verfügbarkeit ausreichend zuverlässiger und gut strukturierter Informationen aus diesen
Rechnungen kann erheblich zur angestrebten rationellen Internalisierung der externen Kosten
in Bereichen beitragen, in denen diese Informationen auch wirklich zur Verfügung stehen und
das Marktgleichgewicht nicht beeinträchtigt wird. Die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen enthalten bereits jetzt wertvolle Daten, die allerdings für den Vergleich zwischen den
Mitgliedsstaaten problematisch sein können. Daher müssen die betroffenen Akteure ein optimales System für die Erhebung und Speicherung der Daten entwickeln, die der erforderlichen
Einrichtung physischer umweltökonomischer Gesamtrechnungen Rechnung tragen. Die Kommission hat Anfang 2010 die schwierige Aufgabe in Angriff genommen, einen Rechtsrahmen
für die umweltökologische Gesamtrechnung zu schaffen. Die in den volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnungen bereits verfügbaren sozialen Indikatoren werden noch nicht voll genutzt.
Diese Indikatoren werden wahrscheinlich umso stärker herangezogen werden müssen, je
umfassender und integrierter der Ansatz für die Bemessung und Bewertung des Fortschritts in
einer sich wandelnden Welt wird.
Brüssel, den 29. April 2010
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschusses
Mario SEPI
_____________
NAT/453 – CESE 647/2010 (CS/FR  EN) KI/AK-KI-KI/AK/ss
Herunterladen