Das Revolutionsjahr 1848 und die ersten modernen Verfassungen in Österreich Überblick: 1. Das 19. Jhd. als Zeitalter der bürgerlichen Revolutionen: Brennpunkte des Geschehens in Europa, im Deutschen Bund und in Österreich. 2. Die Hauptkonfliktpunkte in den Verfassungskämpfen 3. Ein Blick auf die moderne Verfassung: Wie sind diese Konfliktpunkte in der modernen Verfassung gelöst? 4. Übersicht über die wichtigsten Verfassungen in Europa (Vorbilder) 5. Die ersten Verfassungen in Österreich Revolutionen und politische Neuordnung Europas in der ersten Hälfte des 19. Jhds. 1789 1799 1805 1813/15 franz. Napo- Friede Waterloo Rev. leon von Wiener Preß- Konburg gress 1830 1848 Moderne Demokratie und konstitutionelle Monarchie Grundstruktur einer „konstitutionellen“ Verfassung König Ernennung Exekutive Legislative Judikative (Regierung) („Parlament“) (Verwaltung) 1.Kammer 2. Kammer „Oberhaus“ „Volkskammer“ „Herrenhaus“ „Abgeordnetenh. Wahl Wahlberechtigte Teile des „Volkes“ Die „parlamentarische Demokratie“ und „Präsidialdemokratie“ moderner Prägung Wahl Exekutive (Regierung) Legislative (Parlament) Wahl Das „Volk“ (der „Souverän“) „Staatspräsident“ Ernennung Exekutive (Regierung) Legislative (Parlament) Wahl Wahl Das „Volk“ (der „Souverän“) Hauptkonfliktpunkte in den Verfassungskämpfen des 19. Jhd. 1.) Fürstensouveränität („Monarchisches Prinzip“) oder Volkssouveränität? „Gewaltenteilung“ als Kompromißformel 2.) Wer erlässt („gewährt“) die Verfassung? Verfassungsgebende Nationalversammlung oder Monarch (oktroyierte Verfassung)? 3.) „Ministerverantwortlichkeit“ gegenüber dem Parlament? 4.) Zusammensetzung der Volksvertretung: - Ständevertretung oder - Vertretung des „ganzes Volkes“? 5.) eine oder zwei „Parlamentskammern“? 6.) Selbstversammlungsrecht des Parlamentes? 7.) Hat das Parlament das Recht der „Gesetzesinitiative“? 6.) absolutes oder suspensives Vetorecht des Monarchen gegenüber den Parlamentsbeschlüssen? 7.) Parlamentarischer Einfluß auf die Regierungsbildung? 8.) Wahlmodus/ Wahlrecht 9.) Grundrechte? 10.) Spezialproblem im Deutschen Bund und in Österreich: Deutscher undesstaat mit oder ohne Österreich ? Lösungen in der modernen Verfassung: 1.) „Monarchisches Prinzip“ oder „Volkssouveränität“? ungeteilte Volkssouveränität : -> Art. 1 B-VG: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volke aus.“ -> durch Wahl legitimiertes Staatsoberhaupt (BPräs) 2.) Wer gibt die Verfassung? Entscheidung einer Konstituante („Konstituierende Nationalversammlung“) 3.) „Ministerverantwortlichkeit“? Nicht mehr erforderlich, da sowohl BPräs als BReg vor dem VfGH angeklagt werden können 4.) Zusammensetzung der Volksvertretung? Abgeordnete sind Vertreter des „ganzes Volkes“ und nicht lediglich einzelner Gruppen oder „Stände“ 5.) eine oder zwei Kammern? zwei Kammern aber: die „zweite Kammer“ neben dem NR ist eine Länderkammer (Bundesrat) 6.) Kompetenzabgrenzung im Bereich der Gesetzgebung? Veto? Gesetzgebung in der alleinigen Kompetenz des Parlamentes 7.) Parlamentarischer Einfluß auf die Regierungsbildung: BReg wird vom seinerseits gewählten BPräs ernannt (Art. 70 I B-VG) und bedarf wegen Art. 74 I B-VG des Vertrauens des NR 8.) Wahlmodus/ Wahlrecht: allgemein, gleich, unmittelbar 9.) Grundrechte + Lösungen in den konstitutionellen Verfassungen in Österreich 1848/49 1.) „Pillersdorfsche (oktroyierte) Verfassung“ -> § 1: „Sämtliche zum österreichischen Kaiserstaat gehörigen Länder bilden eine untrennbare konstitutionelle Monarchie.“ a) „Monarchisches Prinzip“ oder „Volkssouveränität“? Monarchisches Prinzip: Allein der Monarch ist Träger der Staatsgewalt b.) Wer gibt die Verfassung? Oktroyierte Verfassung c.) Bindung des Monarchen an die Verfassung? „Ministerverantwortlichkeit“? § 8: Der Kaiser „ist für die Ausübung der Regierungsgewalt unverantwortlich; seine Anordnungen bedürfen aber zur vollen Gültigkeit der Mitfertigung eines verantwortlichen Ministers.“ d) Zusammensetzung der Volksvertretung: Ständisches Prinzip oder Vertretung des „ganzes Volkes“? Kombination beider Prinzipien .-> e) e) eine oder zwei Kammern? Zweikammersystem -> Der „RT“ besteht aus: * Senat („neuständisch“): - die volljährigen Prinzen des ksl. Hauses - 150 „von den bedeutendsten Großgrundbesitzern aus ihrer Mitte“ gewählter Mitglieder (§ 35 a) - weitere vom Ks. auf Lebenszeit ernannte Mitglieder * Abgeordnetenhaus: „Vertretung aller staatsbürgerlicher Interessen“ (§ 36) f) Kompetenzabgrenzung im Bereich der Gesetzgebung zwischen Monarch und Parlament § 10: „Dem Kaiser gebührt die vollziehende Gewalt allein und er übt die gesetzgebende Gewalt im Vereine mit dem Reichstag aus.“ Initiativrecht? Ja! Selbstversammlungsrecht? Nein! Pflicht zur Einberufung? Ja! Vetorecht des Kaisers? absolutes Vetorecht! g) Parlamentarischer Einfluß auf die Regierungsbildung? Nein! § 10: „Dem Kaiser gebührt die vollziehende Gewalt allein.“ h) Wahlmodus/ Wahlrecht? gleiche, aber nur mittelbare Wahl keine allgemeine Wahl: Ausschluß der „Arbeiter gegen Tag- oder Wochenlohn“, der Dienstboten und der Fürsorgeempfänger (WahlO v. 8. 5. 1848) i) Grundrechte? Ja! k) föderaler Staatsaufbau? Unitarische Grundtendenz: Keine eigene Gesetzgebung der Länder, keine Beteiligung an der Reichsgesetzgebung Länder werden zu bloßen Provinzen 2.) Entwurf des RT von Kremsier („Entwurf der Constitutionsurkunde“) a) „Monarchisches Prinzip“ oder „Volkssouveränität“? „Volkssouveränität“ -> Geplanter Passus: „Alle Staatsgewalten gehen vom Volke aus“ (in der Endberatung gestrichen!) b.) Wer gibt die Verfassung? RT als Konstituante c.) Bindung des Monarchen an die Verfassung, „Ministerverantwortlichkeit“ § 8: Der Kaiser ist „für die Ausübung der Regierungsgewalt nicht verantwortlich“. Aber: Eid auf die Verfassung § 38: Die vollziehende Gewalt […] wird durch verantwortliche Minister ausgeübt d) Zusammensetzung der Volksvertretung: Ständisches Prinzip oder Vertretung des „ganzes Volkes“? „Volkskammer“ wird in gleicher und direkter Wahl gewählt e) eine oder zwei Kammern? Zweikammersystem, aber im modernen Sinne: * Volkskammer * Länderkammer f) Kompetenzabgrenzung im Bereich der Gesetzgebung zwischen Monarch und Parlament § 35: Die gesetzgebende Reichsgewalt wird vom Ks. gemeinschaftlich mit dem Reichstag ausgeübt. Initiativrecht? Ja! Selbstversammlungsrecht? Ja! Vetorecht des Kaisers? Nur suspensives Vetorecht! (-> §§ 87,88) g) Parlamentarischer Einfluß auf die Regierungsbildung? Nein ! h) Wahlmodus/ Wahlrecht? gleiche, unmittelbare, d.h. direkte Wahl Zensuswahlrecht (§ 96) i) Grundrechte? Ja! k) föderaler Staatsaufbau? Ja! - Länder mit eigenem Reichsverfassungsorgan -> „Länderkammer“ - Länder mit eigener Gesetzgebungskompetenz 3.) oktroyierte „Märzverfassung“ von 1849 Modifikationen gegenüber dem Kremsierer Entwurf: - Monarchisches Prinzip -> Oktroyierte Verfassung - absolutes Vetorecht! Revolutionsgeschehen 1848/49 in Österreich „Das tolle Jahr“ „Februarrevolution“ in Paris 1848 Landtag der Ungarischen Stände in Pressburg 3. März 1848 „Märzunruhen“ in Wien März 1848 „Pillersdorfsche Verfassung“ „Verfassungsurkunde des österreichischen Kaiserstaates“ 25. 4. 1848 „Maiunruhen“ – „Sturmpetition“ Ungarische Reichsverfassung 11. 4. 1848 Wahlen zu einem „Reichstag“ (Juli 1848) *Bauernbefreiung *Grundentlastung konstituierender *Entwurf Reichstag einer Verfassung militärische Besetzung Wiens oktroyierte Verfassung 4. 3. 1849 „Kremsierer Entwurf“ „Entwurf der Constitutionsurkunde“ Auflösung des Reichstages (4. 3. 1849) „Sylvesterpatente“ vom 31. 12 1851 1852 – 1867: Verfassungspolitische Experimentierphase zwischen „Neoabsolutismus“ und „neuständisch beschränkter Monarchie“ I.) Die „Silvesterpatente“ 1851/52: *1. Patent: - formelle Aufhebung der Reichsverfassung 1849 - Garantie der Gleichheit aller Staatsangehörigen vor dem Gesetz - Bestätigung + Garantie der Aufhebung Untertänigkeit u. Grundentlastung *2. Patent. - Aufhebung Grundrechtspatent 1849 - öffentliche Religionsausübung + Selbstverwaltung für gesetzlich anerkannte Kirchen absolute Monarchie in Form eines Einheitsstaates -> Länder sind bloße Verwaltungssprengel II.) Das „Oktoberdiplom“ von 1860: 1.) Reich: „verstärkter Reichsrat“: - Beratungsrecht in einzelnen Sachen - Beschlußrecht in Steuersachen Angelegenheiten des Reichrats“ Absolutes Vetorecht des Kaisers! „Prärogative der Krone“ -> Gesetzgebung allein durch den Monarchen ohne Beteiligung des Reichsrats 2.) Länder: Wiedererrichtung der Landtage -> „neuständisch“ Beratungsrecht in „Landesangelegenheiten“ (in Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen Beschlußkompetenz) -> „differenzierter Föderalismus“ III.) Die „Februarverfassung“ 1861 = sog. „Reichsverfassung“ bestehend aus: * „Februarpatent“ von 1861 -> MantelG, schließt ein: - Grundgesetz über die Reichsvertretung - Landesordnungen für die cisleithanischen Länder - Wiederhergestellte ungarische Verfassung 1848 (soweit nicht in Widerspruch zur „Februarverfassung“) * Pragmatische Sanktion von 1713 * Oktoberpatent Die wichtigsten Neuregelungen der „Februarverfassung“ -> Der Reichsrat wird in Herrenhaus (Oberhaus) und Abgeordnetenhaus (Unterhaus) gegliedert: *Abgeordnetenhaus: Wahl durch die Landtage *Herrenhaus: - volljährige Prinzen des kaiserlichen Hauses - best. Adelsgeschlechter - kirchliche Würdenträger - vom Kaiser ernannte Mitglieder -> Bisherige Beratungsrechte des RR werden in Beschlußrechte umgewandelt Es bleibt absolutes Vetorecht des Kaisers! Es bleiben „Prärogativen der Krone“! Gesetzgebungskompetenzen im „Oktoberdiplom“ von 1860 Angelegenheiten, die unter die „Prärogative der Krone“ fallen: -> Gesetzgebung allein durch den Monarchen Angelegenheiten des Reichrates - Geld- und Kreditwesen - Zoll- und Handelssachen - Eisenbahnwesen: Beratungsrecht des RR Landesangelegenheiten BeratungsRecht der - Steuersachen Landtage - Staatsanleihen Zustimmungsrecht + absolutes Vetorecht des Kaisers! Gesetzgebungskompetenzen in der „Februarverfassung“ von 1861 Angelegenheiten, die unter die „Prärogative der Krone“ fallen: -> Gesetzgebung allein durch den Monarchen Angelegenheiten des engeren RR gesamten RR - Zivil- und - Steuersachen Strafgesetz- - Geld- und Kregebung ditwesen ???? u.s.w. enumerative Aufzählung Zustimmungsrecht des RR -> absolutes Veto des Kaisers Landesangelegenheiten ZustimmungsRecht der Landtage + absolutes Veto Der „Reichsrat“ (RR) 1.) Bereits im „Kremsierer Entwurf“ und in der oktroyierten Verfassung 1849 vorgesehen: reines Beratungsorgan für die Exekutive vom Kaiser ernannte Mitglieder „wird in allen fragen der Gesetzgebung gehört“ (§ 7 RR-Statut 1851) 2.) „Oktoberdiplom“ von 1860: „verstärkter Reichsrat“ ein Teil der Mitglieder soll vor Ernennung durch den Kaiser von den Landtagen nominiert werden überwiegend Beratungsfunktion 3.) „Februarverfassung“ 1861: REICHSRAT Herrenhaus „neuständisch“ besetzt: Abgeordnetenhaus durch die Landtage gewählt - Prinzen des kaiserl. Hauses - Adel mit erbl. Herrenhauswürde - Bischöfe - weitere ernannte Mitglieder Landtage ihrerseits neuständisch besetzt! 3 Kurien: - Großgrundbesitzer - Einwohner der Städte - Landbewohner Unterscheidung zwischen - „gesamtem“ und - „engerem“ Reichsrat -> ohne Vertreter aus den „Ländern der ungarischen Krone“ Die wichtigsten Merkmale der „Februarverfassung“ 1861 Monarchisches Prinzip einseitige Verfassungsordnung durch den Kaiser keine Ministerverantwortlichkeit keine echte Volksrepräsentation – „Abgeordnetenhaus“ ist bloßes Scheinparlament Gesetzgebungsrecht des „Parlamentes“ nur in bestimmten Angelegenheiten – daneben „Prärogative der Krone“ absolutes Veto des Monarchen Zentralstaat und Länder I.) Mittelalter: „Dynastien-Union“ von „Ländern“ (Lb S. 49-55) Personalunion: Integration der Länder durch die Person des gemeinsamen Fürsten bzw. die personelle Größe der Dynastie („Haus Habsburg“) II.) Frühe Neuzeit bis zur Mitte des 18. Jhd.: „Monarchische Union“ von „Ständestaaten“ (Lb S. 69-75) Realunion zwischen „dualistischen Ständestaaten“. Integration * durch Zentralbehörden mit reichsweiter Zuständigkeit * durch Gesetzesrecht mit reichsweiter Gültigkeit III.) Ab der Mitte des 18. Jhds: „Monarchischer Staat mit differenziertem Föderalismus“ (Lb 8. Kap.) Länder schrumpfen zu autonomen Gebietskörperschaften (statt Ständestaaten) Lb S. 98 f. Nebeneinander von - „Land“ und - „Gouvernementsbezirken“ / „Provinzen“ (Lb S. 100) Nebeneinander - staatlicher Mittel- und Unterbehörden und - den Resten ständischer Selbstverwaltung mit ganz geringen Kompetenzen (Lb 103) Tendenz zum Zentralstaat ! sehr schwach ausgeprägtes föderales Element ! Was bedeutet „differenzierter Föderalismus“? -> das föderale Element der Länder ist nicht überall gleich ausgeprägt: Unterschiedliche Entwicklung in: den „Deutschen Erbländern“ Ungarn (verbleibt stärker im Muster des „dualistischen Ständestaates“!) IV.) 1848 (Lb Kap. 11): Versuch einer (begrenzten) Aufwertung der Länder im „Kremsierer Entwurf“ - Länder mit eigenem Reichsverfassungsorgan -> „Länderkammer“ - Länder mit eigener Gesetzgebungskompetenz - Die traditionellen ständischen Landtage sollen zur „Volksrepräsentation“ umgeformt werden (Lb S. 129) aber: Keine eigenen Landesbehörden! Keine eigene Landes-Verwaltung (Lb S. 130)! Keine Länder als Teilstaaten eines „Bundesstaates“ Lediglich autonome Gebietskörperschaften mit Selbstverwaltung (wie die Gemeinden!) V.) 1852 – 1860 (Lb 14. Kap. I+II A) Länder als bloße staatliche Verwaltungssprengel -> Keine Selbstverwaltung -> Keine Landtage VI.) ab 1860/61 (Lb 14. Kap. II B + III A ): Wiederherstellung als Selbstverwaltungskörperschaften (-> Landtage!) im Oktoberdiplom / „Februarverfassung“) -> „Statute über die Landesvertretung“ 1860 (Lb 14. Kap. II B 1) -> „Landesordnungen“ 1861 [als Teil der „Reichsverfassung“] (Lb 14. Kap. II B 2) Organe der Länder: - Landtag -> „neuständisch“ zusammengesetzt (Lb S. 150, Nr.3) - Landesauschuß als ausführendes Organ - Landeshauptmann (vom Kaiser ernannt) -> Vorsitz im LT und Landesausschuß Kompetenzen der Länder (Lb 14. Kap. III A 2) nur Gesetzgebung in (wenigen !) „Landesangelegenheiten“ keine eigene Verwaltung -> Eigenständige Entwicklung in Ungarn: -> verstärkte Kompetenzen des Landtages -> „differenzierter Föderalismus“