DOC - Europa.eu

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SPEECH/06/43
Benita Ferrero-Waldner
EU-Kommissarin für
Nachbarschaftspolitik
Außenbeziehungen
und
Europäische
Quo vadis Europa?
Die EU im Zeitalter der Globalisierung
Universität Salzburg
Universität Salzburg 26.1. 2006
I.
Magnifizenz!
Spektabilität!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Studentinnen und Studenten!
Es ist mir eine Freude, heute als Absolventin dieser altehrwürdigen Universität an
meine „akademischen Wurzeln“ zurückzukehren.
Es freut mich nicht nur als Salzburgerin, sondern auch als Europäerin. Denn unsere
Universitäten sind Laboratorien jener europäischen Identität, die wir als Basis
des EU-Erfolgsprojektes brauchen.
Europa heißt, „Grenzen zu überschreiten“. Denken Sie nur an den großen
Salzburger, das europäische Genie Mozart, der ein Drittel seines Lebens im
europäischen Ausland verbracht hat.
Heute sind nach einer aktuellen Umfrage 98% der Salzburgerinnen und Salzburger
„stolz Europäer zu sein“. Das ist der bei weitem höchste Wert in Österreich.
Leider kann dieser Salzburger Optimismus nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
EU vor einer Bewährungsprobe steht:
Die Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden im letzten Jahr
waren ein Blitzableiter für einen tieferen Vertrauensverlust der Bürger. Es ging
nicht so sehr um den Text des Verfassungsentwurfes, sondern um den politischen
Kontext. Die EU ist daher auf der Inhaltssuche.
Diese Richtungsdebatte ist eine Chance, Europa anzukurbeln und es „neu zu
gründen und zu begründen“ Wir brauchen neuen Elan und eine neue „EuroVision“.
Es wäre daher unsinnig, in Untergangrhetorik zu verfallen. Zu diskutieren, ob die
Verfassung „tot“ ist, mag für Mediziner interessant sein. Politisch ist das nicht sehr
sinnvoll.
Die Verfassung war einige Zeit im „Gefrierfach“, um eine breite Debatte zu
ermöglichen. Jetzt ist es Zeit, sie langsam „aufzutauen“.
Wenn wir also die Frage „Quo vadis, Europa?“ stellen, dann müssen wir - nach
einer Bestandsaufnahme - auch Lösungen anbieten. Wir müssen von der Analyse
zur Therapie schreiten.
II.
Meine Damen und Herren!
Zu meinem ersten Punkt, der Analyse.
Wir sollten, bei aller nötigen Kritik, nicht vergessen, was für ein enormes
Erfolgsprojekt die EU ist.
All das, was für mich und meine Generation noch außergewöhnlich war – weil wir
es selbst oder über unsere Eltern ganz anders kannten – ist heute
selbstverständlich. Aber an dieser Selbstverständlichkeit scheint Europa zu
kränkeln.
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Friede und Freiheit, Wohlstand und Sicherheit sind heute Realität in der EU. Krieg
als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist undenkbar. Das ist zum
wesentlichen Teil der Erfolg der Integration.
Doch diese Errungenschaften sind als Legitimationsgrundlage nicht mehr
ausreichend.
Neue Herausforderungen bewegen die Bürger: Angst vor der Arbeitslosigkeit, die
Aufnahmefähigkeit und Konsolidierung der EU und die „Grenzen Europas“, die
Migration, Bedrohungen wie organisiertes Verbrechen und Terrorismus,
Energiesicherheit und nicht zuletzt die rapide Globalisierung, die in die gefühlte
„kleine Welt“ vieler eindringt.
Diese Sorgen müssen wir ernst nehmen. Sie werden oft auf die EU projiziert.
Europas Bürger erwarten viel von der Union – vielleicht zu viel. Jedenfalls muss
die
EU
stärker
als
bisher
gemeinsame
Antworten
auf
diese
grenzüberschreitenden Herausforderungen formulieren.
Gleichzeitig hat es den falschen Anschein, als würde Europapolitik auf einem
fremden „Planeten Brüssel“ stattfinden, außerhalb jeder Kontrolle. Dieses
Gerücht hält sich hartnäckig und trägt zu einer gewissen „Entfremdung“ von Europa
bei. Europapolitik ist manchmal auch zu „undurchsichtig“.
Drittens hatte die EU-Politik der letzten 15 Jahre ein sehr hohes Tempo. Doch wer
zu sehr voranprescht, läuft zuweilen auch Gefahr, den Kontakt zum Bürger zu
verlieren. Wir haben unsere Erfolge, vom Euro bis zur Erweiterung, nicht immer
gut kommuniziert und die EU noch nicht konsolidiert.
All das erzeugt jenes „Unbehagen an Europa“, das sich 2005 herauskristallisiert
hat.
Wir müssen diese Vertrauenskrise überwinden und den „Mehrwert“ Europas
stärker herausarbeiten.
Dazu müssen wir den Verfassungsentwurf „auftauen“.
Dieser Text ist kein Bauplan für eine europäische Föderation. Er ist auch kein
Quantensprung in einen unkontrollierbaren „Superstaat“. Europa ist nicht auf dem
Weg zur „Verstaatlichung“. Die EU wird kein Hobbesscher „Leviathan“.
Wir können zwar mit den aktuellen Verträgen gut arbeiten. Aber letztlich brauchen
wir für die EU der 25 oder 27 bessere „Spielregeln“.
Wir müssen die EU transparenter und effizienter machen; um die Menschen
besser in Entscheidungen einzubinden, und um ihnen deutlichere Resultate zu
liefern.
Es ist daher wichtig, dass wir die aktuelle Reflexionsphase nützen. Um einen
breiten Dialog zu führen und dann, noch unter österreichischer Präsidentschaft,
einen „Zeitplan“ für den weiteren Prozess festzulegen. Wir dürfen diesen – sicher
komplexen - Prozess nicht abbrechen. Noch können wir einfach einzelne
„Rosinen“ aus der Verfassung herauspicken.
Man hat die EU-Finalitätsfrage lange bewusst nicht beantwortet. Jetzt aber wollen
die Bürger wissen, wohin die europäische Reise grundsätzlich geht.
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III.
Meine Damen und Herren!
Ich komme damit zu einigen Ideen für die „Therapie“.
Es geht dabei nicht nur um die institutionelle „Form der EU“. Es geht vor allem um
deren Funktion und letztlich um ihre Fundamente.
Zuerst zur „Form der EU“:
Es wäre falsch, Scheingegensätze zwischen einer „Wirtschaftsgemeinschaft“ und
einer „politischen Union“, zwischen einem „angelsächsischen“ und einem
„kontinentalen“ Modell herbeizureden.
Unser Erfolgsrezept ist ja, Souveränität zu bündeln, um gemeinsam stärker zu
sein. Ein minimalistisches Europa wäre ein Irrweg.
Wir brauchen einen Mittelweg, eine gezielte Fokussierung der EU:
Auf die Verbesserung des Binnenmarktes, gerade im Dienstleistungsbereich, um
Wachstum und Wohlstand zu schaffen;
Auf den Schutz der Sicherheit unserer Bürger in Europa und außerhalb; auf eine
gemeinsame Energiepolitik; auf besseres Migrationsmanagement;
Und nicht zuletzt auf die Verbesserung unserer Präsenz auf der Weltbühne, das
heißt auf eine effektivere EU-Außenpolitik.
Kurzum: Wir brauchen nicht „weniger Europa“, sondern ein besseres, um
Vertrauen aufzubauen.
Alle Politik ist Problemlösen, auch auf EU-Ebene. Daran muss sich ihre Form
orientieren.
Wir müssen sie in bestimmten Bereichen vertiefen. Wir müssen Verantwortung
besser abgrenzen und so die „Zurechnungsfähigkeit“ der Europapolitik erhöhen.
Wir müssen rascher agieren. Wir müssen der EU ein sozialeres Gesicht geben.
Und wir müssen herausstreichen, was die EU macht – und was nicht: Das heißt, die
Subsidiarität mit Leben erfüllen. Daher hat die Kommission eine Initiative zur
Deregulierung und „besseren Regulierung“ vorgestellt.
Tatsächlich aber müssen wir die Europapolitik stärker an die Bürger rückkoppeln.
Deren Sorgen aufzugreifen, Lösungen zu entwickeln und diese zu kommunizieren:
Das ist der Kern europäischer Demokratie.
Die EU soll nicht zu einem Projekt der Eliten werden. Sie braucht vor allem eine
bessere demokratische Infrastruktur. Der „Sound of Europe“ ist der „Sound of
Citizens“.
Er ist der Klang einer lebendigen Bürgergesellschaft, ohne die die EU nicht
funktionieren kann. Gerade deshalb ist die aktuelle Debatte so wichtig.
Wir können die Euro-Skepsis aber nur mit einer gemeinsamen Anstrengung
überwinden.
Wir brauchen eine echte Partnerschaft der Erneuerung, aus Kommission, Rat,
Parlament, Sozialpartnern, Medien und vor allem den Bürgern selbst. Wir Europäer
sitzen in einem Boot.
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Vor allem unsere Mitgliedsstaaten sind als Transmissionsriemen gefragt. Die EU
ist kein Soloinstrument, sondern ein „Orchester“. Die EU-Staaten müssen
harmonisch „mitspielen“ und dieses Europa zum ihren machen.
Ich fordere hier keine falsche Harmonie. Demokratie lebt von der Debatte. Aber
Schuldzuweisungen an den „Sündenbock EU“ sind kontraproduktiv, ebenso wie
Alleingänge nicht hilfreich sind. Sie untergraben das essentielle Bürgervertrauen.
IV.
Meine Damen und Herren!
Ich komme damit zu einem zweiten Kernpunkt: Der Funktion der EU.
Integration ist kein Selbstzweck. Sie muss den Bürgern weiter Mehrwert liefern,
d.h. es geht um Inhalte.
Die Verfassungsdebatte darf nicht zur institutionellen Nabelschau werden. Mehr
Bürgernähe und Kommunikation sind wichtig. Aber sie sind nicht ausreichend für
politisches Vertrauen.
Letztlich geht es um Inhalte. Ich habe daher neben dem „Plan D“ für mehr
Debatte und Demokratie auch immer einen „Plan S“ für mehr Substanz gefordert.
Es ist gut, dass der österreichische Vorsitz beim EU-Frühjahrsgipfel zuerst über
Inhalte sprechen will, bevor wir entscheiden, wie es mit der Verfassung weitergeht.
Einer der europäischen Gründerväter, Robert Schuman, hat 1950 geschrieben:
„Europa wird nicht auf einen Schlag erschaffen. Es wird durch konkrete Aktionen
wachsen, die eine echte Solidarität bringen.“
Dieser Maxime müssen wir uns stärker besinnen.
Ich sehe vor allem eine neue „raison d’être“ der EU: Die Gestaltung der
Globalisierung.
Die Globalisierung ist keine Option. Sie ist Realität. Wir sehen eine rasante
Vernetzung, nicht nur der Wirtschaft, sondern auch von Information und Ideen.
Europa ist in dieser Ära der „Entgrenzung“ keine Insel, kein abgeschirmtes
Paradies des Friedens. Wir können uns nicht behaglich in einer „Festung Europa“
einrichten. Die Zugbrücken hoch zu klappen wäre kontraproduktiv und fahrlässig.
Das hieße, in die selbst gestellte „Globalisierungsfalle“ zu tappen.
Die EU ist nicht das Einfallstor der Globalisierung. Sie ist, ganz im Gegenteil,
unsere gemeinsame politische Antwort auf diesen Prozess. Denn Europas
Einzelstaaten sind nicht mehr in der Lage, dieser Herausforderungen Herr zu
werden.
Die Union ist also eine echte SolidarGlobalisierung endet nicht am Walserberg.
und
Schicksalsgemeinschaft.
Natürlich stehen wir vor enormen Herausforderungen: Etwa neuen
Sicherheitsrisiken, wie der Verbreitung von Nuklearwaffen und Terrorismus.
Wir sehen auch eine neue ökonomische Arbeitsteilung. So „produziert“ Indien
etwa 250.000 neue Ingenieure pro Jahr. Chinas Forschungsausgaben werden 2010
so hoch sein wie jene der EU.
Und auch soziokulturell gibt es gewisse Bruchlinien, wenn auch keinen „Kampf der
Kulturen“.
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Aber Europas Untergang herbeizureden, wäre fatal. Ohne internationale
Verflechtung wäre unser Wohlstand um ein Fünftel kleiner. Globalisierung ist kein
Nullsummenspiel. Europa darf sich nicht verstecken. Es muss in die Offensive, um
sein Lebensmodell zu vertreten und um globale Spielregeln festzulegen.
Dafür brauchen wir eine Außenpolitik neuen Typs.
Nehmen sie nur die Themen, die die Schlagzeilen beherrschen: Welthandel und
Entwicklungspolitik, die Verbreitung von Nuklearwaffen und Epidemien; die Frage,
wie wir Krisenregionen wieder aufbauen können; und nicht zuletzt Europas
Energiesicherheit.
All das geht über die herkömmliche Diplomatie des 20. Jahrhunderts weit hinaus.
Die überwältigende Mehrheit der Europäer will eine genuin-europäische
Außenpolitik. Wir sollten entsprechend handeln. Dazu brauchen wir vor allem eine
stärkeren politischen Willen.
Bereits heute praktizieren wir dieses Globalisierungsmanagement, mit der EUKommission an vorderster Front. Europa ist heute ein entscheidender
Machtfaktor.
Es geht also nicht um die völlige Neu-Erfindung einer EU-Außenpolitik, sondern um
mehr Kohärenz und Effizienz, das heißt um ein besseres Zusammenspiel all
unserer Instrumente.
Denken Sie an den jüngsten Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine, als die
EU Gespräche hinter den Kulissen mit ihrer Energiepolitik verbunden hat; das ist
ein Paradebeispiel für europäischen „Mehrwert“;
Denken Sie an unseren Einsatz im Nahost-Friedensprozess, wo wir politische
Vermittlung im „Nahost-Quartett“, wirtschaftliche Hilfe und Demokratisierung
miteinander kombinieren, ganz aktuell im Kontext der Palästinenser-Wahlen;
Denken Sie an unser globales Netzwerk von detaillierten Verträgen, mit dem wir ein
neues multilaterales System aufbauen, zum Schutz von Sicherheit und Umwelt.
Kurzum: Europa hat Erfolg, wenn es geeint auftritt, rasch agiert und das politische
und wirtschaftliche Gewicht von mehr als 450 Millionen Menschen in die
Waagschale wirft.
Diese Erfolge sollen aber nicht darüber
Kernbereichen viel stärker werden müssen:
hinwegtäuschen,
dass
wir
in
In der bereits genannten Energiepolitik. Beim Management von Migration, die wir
brauchen, aber in geordnete Bahnen lenken müssen. Im Krisenmanagement und
beim Kampf gegen die sozioökonomischen Wurzeln des Terrorismus.
Auch intern brauchen wir stärkere gemeinsame Ansätze, um fit für die
Globalisierung zu werden:
Bei der Unterstützung von Klein- und Mittelbetrieben, die Europas eigentliche
Jobmaschinen sind. Bei der Förderung von Forschung und Entwicklung, um im
Technologiezeitalter bestehen zu können. Und nicht zuletzt beim Aufbau
europäischer Spitzenuniversitäten.
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Das heißt absolut nicht, dass wir eine einheitliche europäische Wirtschafts- und
Sozialpolitik schaffen. Das ist nicht Zweck der EU.
Wir brauchen eine Selbstverpflichtung der Mitgliedsstaaten im EU-Rahmen. Europa
hat eine Rolle als „Katalysator“ für gute Ideen.
Die Kommission hat am Gipfel von Hampton Court Zukunftsstrategien zu diesen
und anderen Themen vorgelegt, die wir jetzt in einem „Konzeptpapier“ weiter
verfeinern. Das ist unsere gemeinsame europäische Agenda.
Kurzum: Die Globalisierung zu managen heißt nicht, Netzwerke zu zerreißen. Es
heißt, sie fester zu knüpfen. Die Globalisierung kann nur als fairer Prozess
funktionieren, in dem wir uns aktiv einbringen.
IV.
Meine Damen und Herren!
Politik erfolgt nicht im luftleeren Raum. Sie hat ein Fundament von Überzeugungen
und Werten. Im Zeitalter der Globalisierung stellt sich daher die Frage der
europäischen Identität
Was ist der „Sound of Europe“? Was ist der Klang, der uns verbindet? Was ist
die Basis unseres EU-Erfolgsmodells?
Europa soll nicht nur die Köpfe sondern vor allem die Herzen der Menschen
erreichen. Es ist nicht nur ein Wirtschaftsstandort, sondern vor allem ein geistigkultureller Standort. Gerade in Zeiten tektonischer Umbrüche brauchen wir einen
guten Kompass.
Einer der geistigen Vorreiter der Integration, Richard Coudenhove-Calergi, hat
gemeint: „Ideen sind das Rohmaterial von Politik.“
Welche Ideen vertreten wir also? Um Goethe zu paraphrasieren: Was ist es, das
Europa „im Innersten zusammenhält“.
Hier gibt es ein Paradoxon: Im globalen Dorf, das heißt außerhalb Europas, wird
die EU sehr wohl als Einheit und wichtiger Akteur wahrgenommen: Als größter
Wirtschaftsblock, als größter Geber von Entwicklungshilfe, aber vor allem als
kulturelle Einheit, deren Ideale große Anziehungskraft haben.
Umgekehrt ist sich Europa seiner globalen Bedeutung oft nicht richtig bewusst.
Gerade die Erweiterung hat gezeigt, wie stark die magnetische
Transformationskraft der EU-Grundwerte ist. Die EU ist ein Leuchtturm, dessen
Ausstrahlung wir weiterhin mit Augenmaß einsetzen müssen.
Meine Damen und Herren!
Natürlich kann man den intellektuellen Reichtum Europas, seine Geschichte und
Geschichten, nicht kurz zusammenfassen. Erlauben sie mir dennoch ein paar
Gedanken.
Ich plädiere hier nicht für eine „EU-Monokultur“. Im Gegenteil, Europas Wahlspruch
lautet nicht umsonst „In Vielfalt geeint“ – im Gegensatz zum amerikanischen „E
Pluribus Unum“. Unsere Vielfalt ist unsere Stärke, gerade im Informationszeitalter.
Die EU ist die erfolgreiche „Globalisierung im Kleinen“.
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Das müssen wir uns vor Augen führen. Wenn ich hier die „Generation Erasmus“
sehe, die die intellektuelle Vielfalt quer durch Europa wie selbstverständlich lebt, die
global vernetzt und lokal verwurzelt ist, die die wahrhaft „grenzenlosen“ Chancen
Europas nutzt, dann mache ich mir darüber keine Sorgen.
Zweitens plädiere ich nicht dafür, Europa aus der Abgrenzung von anderen zu
definieren. Wir müssen uns auf eigene Stärken berufen.
Deren Basis liegt für mich im Bekenntnis zu einer universellen Kultur der Freiheit.
Um noch einmal Coudenhove-Calergi zu zitieren: „Freiheit ist keine Tugend. Sie ist
die Voraussetzung aller Tugend.“
Freiheit ist die Grundlage für Demokratie und Menschenrechte. Sie ist der Kern
unseres humanistischen Erbes und die Basis für Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und
eine soziale Marktwirtschaft, wie wir sie in der neuen EU-Grundsrechtscharta in
der Verfassung stärken wollen.
Denn auch das ist „europäisch“: Die richtige Mischung aus Selbstbestimmung
und Bindung zu finden. Das gilt für die Freiheit des Einzelnen und die seines
Eigentums, die nicht grenzenlos sind.
Denken Sie an unsere Verantwortung gegenüber unserem ökologischen Erbe; an
die europäische Mischung zwischen unternehmerischer Freiheit und sozialer
Sicherheit; und an unseren Einsatz für eine faire Globalisierung.
Schließlich steht Europa für die „Herrschaft des Rechts“ statt der „Herrschaft von
Menschen“. Das zeigt sich auch global, etwa in unserem Einsatz für die Schaffung
des Internationalen Strafgerichtshofes.
Meine Damen und Herren!
Um diese Grundideen zu wahren, müssen wir sie international ausstrahlen. Die
erfolgreiche Integration heißt keineswegs, dass sich unsere Politik jetzt in
ideologischer Beliebigkeit erschöpfen könnte.
Im Gegenteil: In den letzten Jahren haben wir auch in Europa erfahren, wie
kostbar Freiheit ist – und wie verletzlich.
Es geht bei Europas „Identitätssuche“ nicht nur um Europas innere „Verfasstheit“,
sondern auch um seine internationale „Mission“.
Das ist nicht nur eine moralische Frage. Es ist auch in unserem aufgeklärten
Eigeninteresse. Die Wurzeln aktueller Bedrohungen liegen in Rechtlosigkeit und
fehlenden wirtschaftlichen Chancen. Nehmen Sie den „gescheiterten Staat“
Afghanistan; oder Teile des Nahen Ostens, wo geringe Mitbestimmung und
fehlende Zukunftsperspektiven eine Minderheit in den Radikalismus treiben.
Kurzum: Es kann Europa nicht gleichgültig sein, wie andere Länder regiert werden.
Deshalb ist Aufklärung im breiten Sinn langfristig die beste Sicherheitspolitik.
Natürlich kann man Demokratie und Rechtsstaat nicht einfach „exportieren“ oder
aufoktroyieren. Das wäre ein Widerspruch in sich und zum Scheitern verurteilt.
Man kann aber mit Hilfe, Druck und Ermunterung dazu beitragen, dass Menschen
ihre Sehnsucht nach Freiheit leben können.
Die EU betreibt keinen „Regimewechsel“. Sie hilft mit ihrer „Soft Power“ beim
Systemwechsel.
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Die EU ist damit auch international ein Modernisierungsinstrument: Durch die EUErweiterung; durch unsere Nachbarschaftspolitik, mit der wir Reformen und
damit unsere eigene Sicherheit fördern; und global durch unsere Hilfsprogramme.
„State Building“ ist eine außenpolitische Schlüsselaufgabe geworden.
Meine Damen und Herren!
Der Erfolg des „Modells Europa“ ist also ein Auftrag, unsere Ideen international
einzubringen. Das wünschen sich auch unsere Bürger. Denken Sie nur an die
breiten Sympathien bei den demokratischen Revolutionen in unseren
Nachbarstaaten.
Diese globalen Chancen und Risiken schaffen ein neues Europa-Bewusstsein.
Die Philosophen Jürgen Habermas und Pierre Bourdieu haben die Ablehnung des
Irak-Krieges durch große Teile der EU-Bürger als konstituierendes Element eines
gemeinsamen politischen Bewusstseins gesehen.
Ich bin nicht sicher, ob es ausgerechnet dieser Anlassfall war. Aber fest steht, dass
in stürmischen Zeiten der Weltpolitik eine stärkere europäische Identität vonnöten
ist.
Die Globalisierung hält uns einen Spiegel vor. Sie zwingt uns, zu definieren, wer wir
sind und was wir politisch wollen. Sie ist daher auch eine Chance: Für eine stärkere
Identifikation mit dem „Projekt EU“; Für eine „Wieder-Geburt“ Europas aus dem
Geist der Außenpolitik.
V.
Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluss.
Form, Funktion und Fundament der EU bedingen einander. Wir brauchen eine
bessere Verfassung, damit die EU transparenter wird und in der Globalisierung
funktioniert. Aber letztlich kann man ein Haus nur bauen, wenn das Fundament
stimmt.
Ich wünsche mir daher für die nächsten Monate, rund um den Frühjahrsgipfel zur
Wirtschaftspolitik und den Juni-Gipfel zum EU-Zukunftskalender, eine lebendige
Debatte. Denn der „Sound of Europe“ ist nicht monoton, sondern eine Symphonie.
Vielleicht entsteht daraus ja die europäische Öffentlichkeit, die wir so dringend
brauchen: Als politische Arena und als Keimzelle eines selbstbewussten „Demos“,
der einen optimistischen „europäischen Traum“ formuliert, wie ihn der –
amerikanische - Politologe Rifkin beschreibt.
Dabei rechne ich fest mit unserer Jugend. Sie sind die Botschafter des „European
Way of Life“ und kritische aber konstruktive Architekten des Europas von
morgen.
Einer der EU-Gründerväter, Jean Monnet, hat gemeint, es gebe zwei menschliche
Dynamiken: Jene der Angst, und jene der Hoffnung. Als Europapolitikerin stehe ich
für letztere. Der „Sound of Europe“ ist kein Klang in Moll, sondern in Dur.
Schließlich ist die Europahymne eine „Ode an die Freude“ – und nicht an den
Pessimismus.
Ich danke Ihnen.
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