Vorlesung 1: Einleitung

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Vorlesung 1: Einleitung
Georg Nöldeke
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Basel
Entscheidung VL 1 (FS 11)
Einleitung
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1. Motivation
In der Vorlesung “Intermediate Microecoomics” haben wir nur
Entscheidungen bei Sicherheit betrachtet.
In vielen Entscheidungssituationen hängt das Ergebnis aber nicht
nur von der gewählten Aktion des Entscheidungsträgers, sondern
auch von anderen Einflüssen ab, die aus Sicht des
Entscheidungsträgers zufällig sind.
Fragen:
Wie können wir solche Unsicherheit beschreiben?
Wie können wir Präferenzen über unsichere Ergebnisse (bzw. über
Aktionen mit unsicheren Ergebnissen) beschreiben?
Was bedeutet Rationalität in diesem Zusammenhang?
Welche beobachtbaren Implikationen ergeben sich aus der
Annahme des rationalen Verhaltens?
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2. Entscheidung unter Risiko: Modellrahmen
2.1 Vorbemerkung
In der Vorlesung werden wir eine bestimmte Form von
Entscheidungen unter Unsicherheit modellieren, die zumeist als
Entscheidung unter Risiko bezeichnet wird.
Damit ist gemeint, dass ein Individuum zwar nicht mit
Bestimmtheit wissen kann, welche Konsequenz die Wahl einer
Aktion hat, dass aber eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über die
möglichen Konsequenzen einer Aktion als Teil der Beschreibung
des Entscheidungsproblems gegeben ist.
Mit anderen Worten: Es wird die Auswahl aus einer Menge von
Wahrscheinlichkeitsverteilungen modelliert.
An dieser Stelle werden wir einige hierzu erforderliche
Grundbegriffe einführen.
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2. Entscheidung unter Risiko: Modellrahmen
2.2 Lotterien
Eine Lotterie wird durch zwei Objekte beschrieben:
1
2
Eine Menge von möglichen Ergebnissen oder Konsequenzen.
Eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über die Menge der Ergebnisse.
Beispiel für eine Lotterie: Sie können entweder 60 Franken oder
20 Franken gewinnen. Diese Ergebnisse treten jeweils mit
Wahrscheinlichkeit 0.5 ein.
Grafische Darstellung durch einen Wahrscheinlichkeitsbaum:
Jeder Endknoten stellt ein Ergebnis
dar, welches entsprechend vermerkt
ist.
Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein
Ergebnis eintritt, ist an der Kante
vermerkt, die zu dem jeweiligen
Endknoten führt.
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2. Entscheidung unter Risiko: Modellrahmen
2.2 Lotterien
Beispiel für ein Entscheidungsproblem mit Lotterien: Sie haben
die Wahl zwischen Lotterien A und B (d.h. Sie müssen sich für
eine der beiden entscheiden). Welche wählen Sie?
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2. Entscheidung unter Risiko: Modellrahmen
2.2 Lotterien
Im Prinzip kann man sich die Menge der möglichen Ergebnisse
sehr allgemein vorstellen
Kann Waschmaschinen, den sicheren Tod, weitere Lotterien und
vieles mehr enthalten.
Wir werden jedoch – ausser in einigen Beispielen – zunächst
davon ausgehen, dass die Menge der möglichen Ergebnisse, die
mit X bezeichnet wird, endlich viele Elemente enthält:
X = {x1 , · · · , xn },
Zumeist betrachten wir den Fall sogenannter monetärer Lotterien,
bei dem xi ∈ R für alle i = 1, · · · , n gilt, und diese Ergebnisse als
Geldbeträge interpretiert werden.
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2. Entscheidung unter Risiko: Modellrahmen
2.2 Lotterien
Sind die Ergebnisse durch X = {x1 , · · · xn } gegeben, so kann die
Wahrscheinlichkeitsverteilung über die Ergebnisse als
p = (p1 , · · · , pn ) mit 0 ≤ pi ≤ 1 und ∑ni=1 pi = 1 geschrieben werden,
wobei pi die Wahrscheinlichkeit ist, mit der das Ergebnis xi eintritt.
Eine entsprechende Lotterie kann dann als
L = (x1 , p1 ; · · · ; xn , pn )
geschrieben werden.
Man bezeichnet eine solche Lotterie auch als einfache Lotterie.
Ist aus dem Kontext klar, was die Menge der möglichen Ergebnisse
ist, so schreibt man vereinfachend L = (p1 , · · · , pn ).
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2. Entscheidung unter Risiko: Modellrahmen
2.3 Der Erwartungswert einer monetären Lotterie
Ein (aus historischer Sicht) natürlicher Ansatz zur Bewertung von
monetären Lotterien, ist die Betrachtung des Erwartungswertes.
Definition (Erwartungswert)
Der Erwartungswert einer monetären Lotterie ist
n
E[L] = ∑ pi xi .
i=1
Beachte, dass die Definition des Erwartungswertes voraussetzt,
dass es sich bei den Ergebnisse um reelle Zahlen handelt –
deswegen betrachten wir hier nur monetäre Lotterien.
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2.3 Der Erwartungswert einer monetären Lotterie
Die Berechnung der Erwartungswerte führt auf ein natürliches
Entscheidungskriterium:
Erwartungswertkriterium
Entscheide Dich bei der Auswahl zwischen zwei Lotterien L und L0 für
diejenige, mit dem grösseren Erwartungswert.
Aus Sicht der modernen Entscheidungstheorie bezeichnet man
ein Individuum, dessen Auswahlentscheidungen durch das
Erwartungswertkriterium beschrieben werden, als risikoneutral.
Das Problem ist, dass sich viele Individuen in den meisten
Situationen offenkundig nicht risikoneutral verhalten.
Hinzu kommt, dass das Erwartungswertkriterium nichts zur
Beschreibung der Entscheidung bei Lotterien mit nicht-monetären
Konsequenzen beitragen kann.
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2.3 Der Erwartungswert einer monetären Lotterie
Beispiel für ein Entscheidungsproblem mit Lotterien: Welche der
beiden Lotterien A und B würden Sie wählen?
Ist Ihre Entscheidung mit dem Erwartungswertkriterium vereinbar?
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2. Entscheidung unter Risiko: Modellrahmen
2.4 Bernoulli und das St. Petersburg-Paradoxon
Daniel Bernoulli (1700 - 1782)
lehrte ab 1733 an der Universität
Basel.
veröffentlichte 1738 einen Aufsatz,
in dem als erster eine
Erwartungsnutzenbewertung von
monetären Lotterien vorschlug.
bis dahin wurde lediglich das
Erwartungswertkriterium betrachtet.
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2.4 Bernoulli und das St. Petersburg-Paradoxon
Das folgende Beispiel, welches Bernoulli betrachtete, wurde als
das St. Petersburg-Paradoxon bekannt:
Eine Münze wird so oft geworfen, bis sie auf Kopf landet.
Landet sie beim ersten Wurf auf Kopf, erhält man zwei Franken . . .
Landet sie beim zweiten Wurf auf Kopf, erhält man vier Franken . . .
usw., d.h. landet sie beim i-ten Wurf auf Kopf erhält man 2i Franken.
Die dazugehörige Lotterie ist durch
X = {xi ∈ R | xi = 2i mit i ∈ N}
und pi = 1/2i für i ∈ R gegeben.
Beachte: Dieses ist keine endliche Lotterie.
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2. Entscheidung unter Risiko: Modellrahmen
2.4 Bernoulli und das St. Petersburg-Paradoxon
Der Erwartungwert der betrachteten Lotterie ist eine unendliche
Summe:
∞
E[L] = ∑ pi xi
i=1
1
1
1
= ·2+ ·4+ ·8+···
2
4
8
= 1+1+1+···
= ∞,
so dass nach dem Erwartungswertkriterium dieses Lotterie jedem
sicheren Geldbetrag – ganz gleich wie hoch er ist – vorzuziehen
wäre.
Entsprechend kann man auch argumentieren, dass das
Erwartungswertkriterium impliziert, dass man jeden beliebigen
Geldbetrag dafür zahlen sollte, an diesem Spiel teilzunehmen.
Wieviel würden Sie zahlen?
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2.4 Bernoulli und das St. Petersburg-Paradoxon
Bernoullis Lösungsvorschlag: Vergleiche monetäre Lotterien nicht
an Hand ihres Erwartungswertes, sondern
berechne von jedem Ergebnis zuerst den (natürlichen)
Logarithmus: ui = ln(xi ),
bilde dann den Erwartungswert der so transformierten Ergebnisse,
n
n
U(L) = ∑ pi ui = ∑ pi ln(xi ),
i=1
i=1
und ersetze E[L] durch U(L) in dem Erwartungswertkriterium.
Übertragen auf die St.Petersburg-Lotterie ergibt sich:
∞
1
U(L) = ∑ i ln(2i )
i=1 2
∞
i
= ln(2) ∑ i
i=1 2
= ln(2) · 2 = ln(4).
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2. Entscheidung unter Risiko: Modellrahmen
2.4 Bernoulli und das St. Petersburg-Paradoxon
Die Schlussfolgerung ist, dass die St. Petersburg-Lotterie
genauso gut ist, wie den Geldbetrag 4 mit Sicherheit zu erhalten
Anmerkungen:
Die Frage, wie die St. Petersburg-Lotterie zu bewerten ist, erinnert
an die Frage, wieviele Engel auf einer Nadelspitze tanzen können –
insbesondere hat sie keine erkennbare praktische Bedeutung.
Sowohl das Erwartungswertkriterium als auch das von Bernoulli
vorgeschlagene Kriterium versuchen einen allgemeingültigen
Massstab für die Auswahl zwischen Lotterien aufzustellen. Dies
scheint genauso hoffnungslos, wie der Versuch einen
allgemeingültigen Massstab für die Auswahl zwischen Äpfel und
Birnen aufzustellen.
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3. Entscheidung unter Sicherheit: Wiederholung
3.1 Auswahl und Präferenzrelation
Gegeben ist eine Menge von möglichen Ergebnissen X.
In diesem Abschnitt betrachten wir als Beispiel den Standardfall der
Konsumententheorie: X = {(x1 , · · · , xn ) ∈ Rn | xi ≥ 0 für i = 1, · · · , n}.
Auswahl zwischen Paaren von möglichen Ergebnissen wird durch
eine Präferenzrelation beschrieben.
Bei einer Entscheidung zwischen x ∈ X und y ∈ X wird y gewählt:
x y.
Auswahl aus mehr als zwei Alternativen (z.B. einer Budgetmenge)
wird aus dem paarweisen Vergleich hergeleitet.
Aus einer Menge A ⊆ X wird x ausgewählt: x y gilt für alle y ∈ A.
Wir werden grundsätzlich unterstellen, dass die betrachteten
Präferenzrelationen rational sind.
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3. Entscheidung unter Sicherheit: Wiederholung
2.2 Rationalität
Definition (Vollständigkeit)
Eine Präferenzrelation heisst vollständig, wenn für beliebige x und x0
in der Menge der möglichen Ergebnisse X gilt:
x x0 oder x0 x.
Definition (Transitivität)
Eine Präferenzrelation heisst transitiv, wenn für beliebige x, x0 und x00
in X gilt:
x x0 und x0 x00 ⇒ x x00
Definition (Rationalität)
Eine Präferenzrelation heisst rational, wenn sie vollständig und
transitiv ist.
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3. Entscheidung unter Sicherheit: Wiederholung
3.3 Strenge Präferenzrelation und Indifferenzrelation
Ausgehend von einer (schwachen) Präferenzrelation definiert
man die
Indifferenzrelation: x0 ∼ x00 ⇔ x0 x00 und x00 x0 .
strenge Präferenzrelation: x0 x00 ⇔ x0 x00 und nicht x00 x0 .
Umgekehrt lässt sich eine Präferenzrelation aus einer
Beschreibung ihrer “Indifferenzkurven” und ihrer “Besserrichtung”
bestimmen.
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3. Entscheidung unter Sicherheit: Wiederholung
3.4 Monotonie und Stetigkeit
Weitere Annahmen an die Präferenzrelation :
Strenge Monotonie: Für beliebige x und x0 in X gilt:
x > x0 ⇒ x x0 ,
wobei x > x0 bedeutet, dass x 6= x0 sowie xi ≥ xi0 für alle i = 1, · · · n,
gilt.
Diese Annahme hat nichts mit Rationalität zu tun, erfasst aber einen
Regelfall, den wir im folgenden meistens betrachten werden.
Stetigkeit: Für alle x ∈ X sind die Mengen
{x0 ∈ X | x0 x} und {x0 ∈ X | x x0 }
abgeschlossen. Was bedeutet das?
Dieses ist eine sogenannte “technische Annahme,” die keinen
unmittelbaren empirischen Gehalt hat, aber für die Konstruktion der
Theorie gebraucht wird.
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3. Entscheidung unter Sicherheit: Wiederholung
3.5 Nutzendarstellung
Satz (Existenz einer Nutzendarstellung)
Ist eine rationale Präferenzrelation streng monoton und stetig, dann
existiert eine stetige Nutzenfunktion u : X → R, welche die
Präferenzrelation darstellt, d.h.
x x0 ⇔ u(x) ≥ u(x0 ).
Die Annahme der strengen Monotonie kann für dieses Ergebnis
deutlich abgeschwächt werden (“lokale Nichtsättigung”), hat aber
den Vorteil, dass auch die Nutzenfunktion streng monoton sein
muss: x > x0 ⇒ u(x) > u(x0 ).
Die anderen Annahmen sind wesentlich.
Die Aussage “x wird anstatt y gewählt, weil u(x) > u(y)” gilt,
entspricht nicht der Theorie. Umgekehrt ist es richtig!
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3.5 Nutzendarstellung
Eine Präferenzrelation ist ein ordinales Konzept.
Eine rationale Präferenzrelation bringt die Güterbündel in eine
Ordnung, sagt aber nicht, um “wieviel” ein Güterbündel besser als
ein anderes ist.
Entsprechendes gilt für die Nutzenfunktion.
Satz (Ordinalität der Nutzendarstellung)
Stellt u : X → R eine gegebene Präferenzrelation dar, dann gilt
dieses auch für jede streng steigende Transformation von u.
Eine Funktion v : X → R ist eine streng steigende Transformation
von u, wenn es eine streng steigende Funktion f : R → R gibt, so
dass v(x) = f (u(x)) für alle x ∈ X gilt.
Man sagt oftmals auch einfach monotone Transformation statt
streng steigender Transformation.
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