Ist jede Aussage revidierbar und damit potenziell falsch

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Ist jede Aussage revidierbar und damit potenziell falsch?
I.
Im folgenden Text möchte ich ein Argument angreifen, dass unseren Prinzipien der Logik
widerspricht, und damit die fundamentale Frage aufwirft: Ist es möglich absolutes, also unter allen
Umständen wahres, Wissen zu erlangen? Und ist es möglich dieses in unwiderlegbaren Aussagen
auszudrücken, oder sind alle menschlichen Äußerungen fehleranfällig, revidierbar und eventuell
falsch?
Meine These lautet, dass synthetische Urteile a priori möglich und unwiderlegbar wahr sein können,
wenn sie entweder nur aus der Vernunft erkannt wurden, oder falls sie eine Wahrnehmung
beinhalten und entsprechend formuliert sind.
II.
Das zu untersuchende Argument ist folgendermaßen aufgebaut:
1. Jede Aussage ist revidierbar.
2. Wenn jede Aussage revidierbar ist, dann ist auch die Aussage „Wenn p, dann q; p ist der
Fall; also q“ revidierbar.
3. Genau dann, wenn etwas revidierbar ist, ist es möglicherweise falsch.
Also:
4. Die Aussage „Wenn p, dann q; p ist der Fall; also q“ ist möglicherweise falsch.
Das Argument ist deduktiv, was bedeutet, dass die Beziehung zwischen den Prämissen und der
Konklusion eine erzwingende ist. Außerdem ist es formal gültig, da die Wahrheit der Konklusion
sich aus der der Prämissen ergibt.
Um das Argument verstehen zu können, ist es wichtig genau zu wissen, was mit den bestimmten
Ausdrücken gemeint ist. In der formalen Logik bezeichnet man als Aussage einen Satz, der
Eigenschaften beschreibt und dem genau ein Wahrheitswert, also entweder „wahr“ oder „falsch“
zugeordnet werden kann. Das Verb Revidieren beschreibt erstens den Vorgang etwas auf seine
Richtigkeit hin zu überprüfen und zweitens seine Meinung darüber aufgrund neuer Erkenntnisse zu
ändern.
Bei der Untersuchung des Arguments ergeben sich einige Probleme. Zum einen ist die
umgangssprachliche Definition des Wortes Revidieren unklar und variiert, und zweitens hat die
oben genannte offizielle Definition zwei Bedeutungen, die sich nicht ganz decken. Auf diese
unterschiedlichen Fälle werde ich später genauer eingehen.
Drittens würde ich der 3. Prämisse als radikaler Skeptiker auf einer fundamentalen Ebene gerne
zustimmen, da meiner Meinung nach immer die grundlegende Möglichkeit besteht, dass wir in
unseren Empfindungen getäuscht werden. Ein schönes Beispiel dafür ist das Gehirn im Tank
Gedankenexperiment1. Allerdings muss man um Wissenschaft zu betreiben irgendetwas als Quelle
von Erkenntnis akzeptieren und hier plädiere ich für Sinneswahrnehmungen und die Position des
Sensualismus. Wahrnehmungen und Gefühle sind subjektiv, existieren nur für einen begrenzten
Moment, und spontane Aussagen mit Sinneseindrücken als Inhalt können nicht im Nachhinein
anders empfunden und damit falsch werden. Ein Beispiel einer Aussage, die nicht revidiert werden
kann, wäre „Das fühlt sich kalt an.“.
Es gibt noch eine andere Art von Aussagen, die notwendigerweise wahr sind, und deren Negation
einen logischen oder realen Widerspruch erzeugt. Nämlich alle Urteile a priori, was bedeutet dass
diese unabhängig von der Erfahrung, und nur aus reiner Vernunft und logischem Schließen
gewonnen wurden.
Diese Unterteilung kommt von Kant, einem der bedeutendsten Philosophen der deutschen
Aufklärung. Auch er hat sich in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“ lange damit beschäftigt,
ob es Erkenntnisse a priori, die ja zwangsläufig allgemeingültig und notwendig sind, geben kann.
Die erste Art von Urteilen a priori sind die analytischen, das heißt solche, die etwas beschreiben,
dass schon in seiner Definition enthalten ist. Zum Beispiel: „Körper sind ausgedehnt.“ Oder:
„Junggesellen sind unverheiratet und Männer.“ Diese Art von Aussage nennt man heute auch
Tautologien, und sie stellen ein weiteres Gegenbeispiel für die erste Prämisse des obigen
Argumentes dar. Ein sehr schwaches allerdings, weil analytische Urteile eigentlich nur redundant
sind, keine neuen Erkenntnisse enthalten, und sich somit nicht für die Wissenschaften eignen.
Synthetische Urteile gehen einen Schritt weiter und verknüpfen ein Subjekt mit einer neuen, nicht
schon in ihm enthaltenen, Eigenschaft, und Kant hat bewiesen, dass auch diese a priori möglich
sind. Als Beispiele nennt er Gesetze und Sätze der Mathematik, Geometrie und sogar der
Naturwissenschaften. Der Satz „Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Linie.“
wäre so ein Beispiel und sagt mehr aus als über die bloße Identität von Punkten, sondern auch ihre
Beziehung zu einander. 2
Damit wurde die erste Prämisse „Jede Aussage ist revidierbar“ mehrfach widerlegt, jedenfalls wenn
man unter Revidieren einen Vorgang versteht, bei dem man einen Sachverhalt nicht nur ein weiteres
Mal überarbeitet, sondern auch den finalen Wahrheitswert ändert.
Versteht man unter Revidieren nur den Vorgang des Überprüfens, wären die vorangegangenen
1 Georg Kamp, Gehirn im Tank, in: Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und
Wissenschaftstheorie, 2. Aufl., Bd. 3. Metzler, Stuttgart, Weimar 2008 (mit ausführlichen
Literaturangaben)
2 Vgl: W. Weischedel (Hg.): Immanuel Kant – Werkausgabe, Band III
erschienen im Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 3. Auflage 1977
Beispiele keine Gegenbeispiele gegen die erste Prämisse, doch dann ist die dritte Prämisse falsch,
da nicht alles was man überprüfen kann auch potenziell falsch ist. Eine wahre mathematische
Aussage lässt sich zwar immer überprüfen, doch wird man nie zu einem anderen Ergebnis kommen.
Egal wie man Revidieren nun versteht, entweder die erste oder dritte Prämisse ist widerlegt, was
ausreicht um die Konklusion zu widerlegen, da sie aus der Summe der Ergebnisse ihrer
Bedingungen besteht.
Aus der ersten Prämisse entsteht noch ein weiterer Widerspruch, nämlich ein performativer, das
bedeutet ein Selbstwiderspruch. In einem Argument mit allgemeinem Wahrheitsanspruch zu
behaupten, dass alle Aussagen überhaupt keinen Wahrheitsanspruch mehr haben, schwächt die
eigene Gültigkeit und widerspricht der Intention des Autors den Leser von seiner Meinung zu
überzeugen. Das Argument unterstellt seiner eigenen Konklusion möglicherweise falsch zu sein.
Die zweite Prämisse besteht nur aus einer einfachen Bikonditionalaussage, die aus der Wahrheit der
ersten Prämisse, die im Antezedenz steht, auf das Konsequenz schließt, welches die in der Logik
gültige und geschätzte Argumentform modus ponens angreift. Da die erste Prämisse widerlegt
wurde, ist das Antezedenz falsch, woraus sich ebenfalls die Falschheit des Konsequenz ergibt.
III.
Es wurde gezeigt, dass, je nach genauer Auslegung und Lesart des Arguments, mindestens eine der
Prämisse widerlegt wurde. Es gibt Aussagen die entweder zu subjektiv und unüberprüfbar sind, um
revidierbar zu sein, und synthetische a priori Aussagen, von denen Kant schon bewiesen hat, dass
sie notwendig und allgemein sind und daher unrevidierbar. Damit ist das Argument unschlüssig
und die Konklusion falsch.
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