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BWS1 Zusammenfassung

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Lehrerbildung an der Universität
Ungewissheit ist konstitutiv für pädagogisches Handeln:
-
„Technologiedefizit der Pädagogik“
Pädagogische Professionelle haben niemals Erfolgssicherheit mit Blick auf ihr Handeln
➔ Hohes Vermögen an Reflexivität, Souveräner Umgang mit Ungewissheit
➔ Universitäre Lehrerbildung bietet einen Rahmen für diese Entwicklung:
→Fachwissenschaften (Fachwissen), Fachdidaktik,
Bildungswissenschaften (Allgemeine Didaktik/Pädagogik), Schulpraktische Studien
Fachwissen und Fachlichkeit
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-
Fachwissen ≠ Handlungswissen
Fachwissen = Meta-Verständnis der Struktur, des Faches und seiner Wissensbestände
Fachlichkeit = Meta-Reflexives Verhalten zu Fachwissen, also mehr als nur Anhäufen von Fachwissen
➔ Wichtig: Potenziale und Grenzen von Theorie und Forschung für später identifizieren
➔ Pädagogische Berufe sind dann als Professionen zu verstehen, wenn sich die Professionellen der Existenz
von Ungewissheit bewusst sind und diese metareflexiv bearbeiten
Prinzipien eines meta-reflexiven Studiums:
- Mehrperspektivität, Unabhängigkeit, Distanzierung, Alternativität
- Begründungspflicht, Transparenz, Dynamik, Alternativität, Metakommunikation
Meta-Reflexivität:
-
Limitationen: ist anstrengend, ersetzt nicht das Herausbilden von Fachlichkeit
Potenziale: Kann Gefahr von Brüchen zwischen Theorie und Praxis im Studium abfedern, vermeidet
einseitige Extreme, nimmt Komplexität des pädagog. Handelns mit auf
Möglicher Zugang: Fallarbeit, Konfrontation
Das Verhältnis von Theorie und Praxis
-
Theorie = konsistentes wissenschaftliches Aussagesystem
Praxis = konkretes situatives Handeln
Diffuse Verbindung von Theorie und Praxis, Verhältnis ungeklärt
Transfer von Wissen in Handeln ist kaum möglich
Kein unmittelbares lernen von Disziplin für Profession
Mehrperspektivität auf Schule und Unterricht
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Schulpraxis ist mehrdeutig:
- Kein einfacher Übergang von Theorie in Praxis
- Ungewissheit als konstitutives Merkmal, ggf. konkurrierende Logiken
Konsequenz für universitäre Lehrerbildung:
- Wecken der Einsicht, dass Berufsfeld mehrdeutig ist
- Wecken der Einsicht, dass Aufgaben begrenzt instrumentell beherrscht
- Wecken der Einsicht einer Relevanz, unterschiedliche Perspektiven zu sehen
werden
können
Text: Tenorth 2008: Theorie und Praxis
-
Zwei unterscheidbare, aber miteinander durch ein „und“ verbundene, semantisch eindeutig unterschiedene
Einheiten bezeichnet
Verzahnung mit „Disziplin und Profession“
Tenorth fasst Theorie und Praxis als zwei differente Welten/ „Systeme“, aber auch Welten, die zwar in
Elementen einige gemeinsame Merkmale zeigen, sich in der Gesamtheit der Konfiguration aber deutlich
unterscheiden
Gemeinsamkeiten Theorie und Praxis:
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Beides sind Sozialwelten und reflexive Welten, selbstbezüglich und selbstexplikativ
In den Produkten z.T. vergleichbar
Funktional differenzierte und konstituierte Welten, definieren sich über Inklusion und Exklusion;
Unterscheidung von Laien und Experten
Zwar je systemspezifisch ausgebildet im Kern stellen beide autonome Welten dar
Unterschiede Theorie und Praxis:
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Funktionale Imperative: „Forschung“ vs. „Handeln“
Unterschiedliche Praktiken der funktionsspezifischen Leistungserbringung
Unterschiedliche Produkte: „Erkenntnis“ und „Erzogenheit“
Dominanz in dementsprechenden Umwelten: Wissenschaftssystem und Politik
Probleme mit Theorie und Praxis:
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Differenz und Vielfalt der Welten wird ignoriert, „Theorie und Praxis“ als interne Struktur der pädagogischen
Welt
- Unterstellung: Eher Fremdheit als Nähe?!
➔ Wie gestaltet sich die Relation dieser Welten in der Pädagogik? Verhältnis gilt als ungeklärt!
Relationierung: Modelle der Relation
- = Attribuierungen meist in Dualen
1) Affirmativ (=bejahend) oder kritisch
Zwei Wege, sich der Erziehungswirklichkeit gegenüber zu verhalten: „Empfohlen wird, wir sollten es kritisch
tun“
2) Konstruktiv (=aufbauend) und solidarisch (=mit jmd. Übereinstimmend/ für ihn einstehend)
Unter problematischen Bedingungen der Arbeit in pädagogischer Praxis die zentrale Implikation der an die
Theorie formulierten Erwartungen
3) Beobachtend und distanziert
These: Status der Theorie durch Esoterik bestimmt → Differenzthese für Seite der Theorie
Erziehungswissenschaft – Leistungen in der Relation
These: Praxis hat sich gegenüber rasch wechselnden Moden der Theorie immer unabhängig gezeigt,
selbstständig gemacht
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Leistungen der Erziehungswissenschaft angesichts der Praxis zeigen mehr an Varianz
(Abweichung/Unterschied) als das dominierende Bild der Disziplin erkennen lässt
Varianzbehauptung nicht quantifizierbar
Für bestimmte Aspekte der beruflichen Bildung sind Theoretiker besser, für andere Praktiker
Brauchbarkeit der Theorie für die Praxis, aber: Neigung zum Theorie- und Methodenimport in der Forschung
„Verzahnung“: ist häufig Erwartung an die Relation von Theorie und Praxis, dominiert das Selbstverständnis;
„Distanz“ dagegen nur selten anzutreffen
Fazit
-
Problem von Theorie und Praxis in der Pädagogik klärt sich nicht philosophisch, prinzipientheoretisch und
auch systematisch nicht, wenn man von Einheitsannahmen ausgeht!
Annahmen über Nutzen und Nachteil von spezifischen Modalitäten der Relationierung erschließen sich nur
empirisch, in historischer Analyse und in aktueller Forschung
Rahmenbedingungen der beruflichen Tätigkeit Lehrer
Demografie und Bildungsstatistik
-
Ca. 800.000 hauptberufliche Lehrkräfte, davon 68% weiblich, 38% in Teilzeit
Grundschule: Frauenquote bei 85%, Gymnasium: Seit 2007 Lehrerinnen in Überzahl
Durchschnittsalter: 47% über 50 Jahre und älter
Nur 6% haben Migrationshintergrund, nur 1% ausländische Staatsbürgerschaft
237000 Lehramtsstudierende, Anteil weiblicher Studierender nimmt zu (derzeit 66%)
Rechtsstellung
-
Lehrkräfte sind Beamte durch „Ausübung hoheitlicher Befugnisse“ → Beamtenstatus fraglich!
Rechte/Pflichten von Beamten und Beschäftigten rücken zusammen
Beamtenstatus hängt an strategischen, finanz- und sozialpolitischen Argumenten
Laufbahnen und Bezahlung
-
Flexibilisierung der Laufbahnen in einigen Bundesländer = Anreiz
Möglichkeit des Seiteneinstiegs
Bezahlung nach Status! Im OECD-Vergleich verdienen deutsche Lehrkräfte gut (vgl. Akademiker)
Bezahlung nach Dienstalter widerspricht Leistungsprinzip, kaum Anreize für Mehrarbeit
Arbeitsmarkt
-
Schülerzahlen sinken, Lehrerbedarf konnte jedoch die letzten Jahre nicht gedeckt werden
Berechnungsgrundlage unsicher (Geburtenanstiege, Migration, usw.)
Arbeitszeitgestaltung
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Volles Deputat zwischen 22 und 28 Stunden
Je höher das Lehramt, desto weniger Unterrichtsverpflichtung
Wie viel Arbeitszeit außerhalb des Unterrichts? → Arbeitszeitmodell?!
Charakteristika von Beruf und Arbeitsplatz
1)
2)
3)
4)
5)
6)
7)
8)
9)
10)
Zweiteilung des Arbeitsplatzes → Konsequenzen!
Unvollständig geregelte Arbeitszeit der Lehrkräfte
Offenheit/Grenzenlosigkeit der Aufgabenstellung
Schwebelage zwischen Reglementierung und pädagogischer Freiheit
Erzwungene Zusammenarbeit, asymmetrisches Verhältnis zwischen SuS und Lehrkräfte
Geringe Kontrolle über Lehrerarbeit und erzielte Effekte
Lehrerhandeln unter doppelter Kontingenz
Fehlende Rückmeldungen über die langfristigen Folgen des schulischen Lehrens/Unterrichts
Lehrerberuf als Beruf ohne Karriere → Konsequenzen!
Fehlendes Berufsgeheimnis, fehlende Fachsprache
Multiperspektivische Betrachtungen des Arbeitsplatzes Schule:
-
Entwicklungspsychologie: Wie können Lehrkräfte ihre Rolle gestalten?
Persönlichkeitspsychologie: Was sind „gute“ Lehrkräfte?
Klinische Psychologie: Ab wann wird Stress in Schule zu kritisch? Gesundheitliche Folgen?
Pädagogische Psychologie: Entsprechen die Bedingungen des Lernens den vereinbarten Lernkonzepten und
angewendeten Unterrichtsmethoden?
Gesundheitspsychologie: Wie kann Lehrkraft beeinflusst werden, um einen gesundheitsbewussten Lebensund Arbeitsstil zu fördern?
Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie: Wie muss der Arbeitsplatz Schule gestaltet sein, dass
Lehrkräfte effizient und effektiv arbeiten?
Bildungssoziolgie: Wie kann das soziale System Schule gestaltet werden, dass sich alle Menschen darin
wohlfühlen und entfalten können? Erfüllt die Institution Schule ihre Rolle?
Gesundheitswissenschaft: Wodurch wird die Gesundheit von Lehrkräften beeinflusst?
Arbeitsmedizin/ Verhaltensmedizin: Werden arbeitsmedizinische Erkenntnisse berücksichtigt?
Text: Martin Rothland: Der Lehrerberuf in der Öffentlichkeit
Selbst- und Fremdbilder: Lehrkräfte und der Minderwertigkeitskomplex
-
Lehrerberuf trifft in Gesellschaft kaum auf Anerkennung
Zuschreibung einiger positiver Eigenschaften: anpassungsfähig, aufgeschlossen, vielseitig, interessiert,
korrekt, pflichtbewusst, verantwortungsbewusst, gerecht, objektiv, sympath., …→ eigentlich positives Bild?!
Diskrepanz zwischen Fremdbeurteilung (positiv) und Selbstwahrnehmung (negativ)
„Lehrer leiden „weniger unter den Bedingungen, unter denen sie arbeiten, vielmehr unter Status- und
Anerkennungsprobleme“ → Image selbst schlecht eingeschätzt
Lehrerberuf genießt nachweisbar höheres Ansehen, als die Lehrkräfte selbst meinen!
Traditionelle Komponenten des öffentlichen Lehrerbildes
-
„Negativ-Image“ reicht weit zurück: „Prügler, Pauker, pedantisch, technisch ahnungslos“; Adorno spricht von
einem aus der erotischen Sphäre ausgeschlossenen Wesen
Medien: 32/43 Artikel (1990-2004) vermitteln negatives Bild mit Klischees
Andere Seite der Medaille wird in Öffentlichkeit aber auch wahrgenommen: „Erlöser und Retter“
→ Hoffnungen, Erwartungen und Wünsche an die Zukunft der nachfolgenden Generationen einer
Gesellschaft
→Negativ-Image vs. Idealbild: Lehrer sollen das leisten, was Gesellschaft und Familie nicht (immer) schaffen
Berufsprestige, Status und Ansehen des Lehrerberufs
- Status, Prestige, Achtung, Ansehen häufig synonym verwendet
- Status eines Berufs = abstrakte Charakterisierung, z.B. als Profession
- Berufsprestige = Reflexion über Bedeutung des zu bewertenden Berufs für Gesellschaft
- Ansehen = Bewertung der Qualität der Arbeit → Eigene Einflussnahme darauf!
- Hoher Frauenanteil nach wie vor als statusmindernder Faktor hinsichtlich Lehrerberufes
- Ungewissheit: Vielzahl und Diffusität der Ziele im Unterricht/Schulleben
Lehrkräfte befinden sich zwischen verschiedenen Welten:
1) Zwischen Welt der Kinder und Welt der Erwachsenen: „a (male) teacher is a man amongst boys and a boy
amongst men“; Je älter die Schüler, umso mehr Ansehen!
2) Zwischen Schul- und Arbeitswelt: Unterricht selbst eher praktische Fähigkeit statt realer Arbeit; Schulwelt =
künstliches Konstrukt/Schonraum der realen Welt
3) Zwischen schulischen Werten und Werten der Erwachsenenwelt: Lehrkräfte sollen Werte in der Schule
vermitteln, die von den Erwachsenen in der Gesellschaft kaum geachtet werden!?
4) Zwischen Wissensvermittlung und Wissensgenerierung: Kritik, „Lehrkräfte würden nichts anderes tun, als
anderer Leute Butter verstreichen“ (Geer, 1966)
Berufsprestige im Spiegel der Meinungsforschung
-
Hoher Anteil an Erziehung → Diese besonders wichtige und schwierige Aufgabe hat Einfluss auf öffentliches
Ansehen
Bessere Abschneiden deutscher Grundschüler → Anerkennung der Grundschullehrer
Grundschule als Ort pädagogischer und unterrichtlicher Innovationen vor den weiterführenden Schulen →
positiv für Prestige des Grundschullehrerberufs
Allensbacher Berufsprestigeskalen (2011) zeigen: Lehrerberuf hat in öffentlicher Meinung hohes Ansehen
und dementsprechende Wertschätzung
➔ Wieso klagen Lehrkräfte dann über geringes öffentliches Ansehen? Minderwertigkeitskomplex?
Diskussion: Lehrerhasserbuch und Prestigegewinne?!
- Gesellschaftliche Anerkennung führt nicht unmittelbar dazu, dass Berufsinhaber auch tatsächlich Akzeptanz
und Wertschätzung ihres Handelns erfahren (nicht mehr verspottet werden)
- Jeder hat ein Bild vom Lehrer durch eigene Schulzeit: ambivalent und hochemotional geprägt → Diese
Aspekte prägen das Bild und Ansehen der realen Lehrpersonen prägen, wenig abgestimmt mit Schwierigkeit
und Komplexität des Berufsauftrags
- Interpretation: Trennung von Lehrerberuf, Lehrerhandeln und Lehrerpersonen!
Lehrerperson: Es dominieren die gängigen Urteile
Lehrerberuf:
Gesellschaftliche
Bedeutung
Anspruchsvolles
Handeln
wird
wahrgenommen
Lehrerhandeln: Individueller Faktor, was jeden Lehrer ausmacht
Personale Merkmale von Lehrpersonen
Personengebundene Merkmale = an die Person von Lehramtsstudierenden und Lehrkräften gebundene
Eigenschaften, die diese bereits zu Beginn des Lehramtsstudiums aufweisen
Herkunftsmerkmale
-
Gymnasium: Seit jeher akademischer Berufsstand; Volksschullehrerberuf = „Aufsteigerberuf“
Angleichung höheres und niederes Lehramt
Noch immer Differenzen, z.B. PH und Uni in BW
Anwerbung Studierender mit Migrationshintergrund
Berufsvererbung ist hoch (ca. 24%)
Persönlichkeitsmerkmale
-
-
Persönlichkeitseigenschaften biografisch weitgehend stabil
Fünf-Faktoren-Modell („Big-Five“): Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit,
Gewissenhaftigkeit
➔ Hohe Werte von Extraversion und Gewissenhaftigkeit und geringe Werte von Neurotizismus
prognostizieren: Leistungsorientierung, Berufszufriedenheit, stärkeres Erfolgserleben
Im Lehramt sehr starke soziale Interessenskomponente
Weiterhin: Künstlerisch-Sprachliche und unternehmerische Orientierung
➔ Relevanz, weil Menschen sich berufliche Umwelten suchen, in denen sie ihre Interessen optimal
entfalten können
Leistungsmerkmale
-
Leistung kann beruflichen Erfolg prognostizieren (Abiturnote gilt als Prädiktor des Studienerfolgs)
Abiturnote Gymi: 2,25, keine Auffälligkeit im Vergleich zu anderen Studierenden
Abiturnote nicht-Gymi: 2,62, Negativselektion im Fächervergleich
➔ Insgesamt nur partielle Negativselektion
Selbstwirksamkeit
-
-
= „subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenzen
bewältigen zu können (Schwarzer und Warner 2014)“
Hohe Selbstwirksamkeit prädiziert (=sagt vorher):
a) Produktive Aufnahme von Herausforderungen, Setzen anspruchsvoller Ziele, Motivation, Ausdauer,
Effektives Arbeitszeitmanagement, Flexibilität, hohes Leistungsniveau, psychische Gesundheit, …
b) Hohe Lehrer-Selbstwirksamkeit beeinflusst Schüler-Selbstwirksamkeit positiv
Aufbau von Selbstwirksamkeit durch Erfolgserleben, Orientierung an Verhaltensmodellen, sprachliche
Überzeugungen, Wahrnehmung eigener Gefühle
Beanspruchungserleben
-
Personale Belastungen und berufliche Belastungen wirken negativ auf personale und berufliche Ressourcen
➔ Beanspruchung: Kurzfristige personale Folgen (z.B. Bluthochdruck), langfristige personale Folgen (z.B.
Burnout), berufliche Folgen (negatives Lehrerhandeln, abnehmende Unterrichtsqualität, …)
➔ Die Beanspruchung im Lehramt ist hoch, aber nicht signifikant höher als in anderen sozialen Berufen
Berufswahlmotivation
-
Relevant ist Zusammenspiel mehrerer Faktoren!
Hauptmotiv: Interesse/Freude an der zusammenarbeit mit Kindern/Jugendlichen, weitere Motive variieren
Pädagogische Vorerfahrungen bei 40% vorhanden, Relevanz ist ein Mythos!
➔ Berufswahlmotivation ist zuvorderst intrinsisch-pädagogischer Art
Text: Colin Cramer: Berufswahl Lehramt - Wer entscheidet sich warum?
1) Angehenden
Lehrkräften
wird
in
Lehrerbildung ein Lernangebot gemacht
2) Professionelle Kompetenzen resultieren aus
Nutzung der Lernangebote und sind gegeben
durch individuelle Eingangsvoraussetzungen
3) Der aus der Performanz resultierende Ertrag
wird primär im Lernerfolg gesehen, ist aber
viel mehr (vgl. Abb.)
Wer entscheidet sich für das Lehramt?
➔ Blick auf demografische und bildungsstatistische Merkmale und individuelle Eingangsvoraussetzungen
Soziale Herkunft und Berufsvererbung
- Soziale Herkunft = In den in einer Herkunftsfamilie verinnerlichten Möglichkeiten und Grenzen manifestiert
- Lehramtsspezifische Differenzen hinsichtlich sozialer Herkunft
- Lehramtsstudierende für beruflichen Schulen und Sonderschulen als „Aufsteiger“ angesehen
- Lehramtsstudierende der Sekundarstufe I wird mittlere soziale Herkunft attestiert
- Lehramtsstudierende der Primarstufe, v.a. Sekundarstufe II wird höchstes kulturelles Kapital zugeschrieben
- Berufsvererbung bei 24% (knapp hinter Medizin) hoch! Internationales Phänomen
Persönlichkeitsmerkmale und Interessen
- = stabile Eigenschaften, unterteilbar in fünf Dimensionen: Neurotizismus (Ängstlichkeit), Extraversion
(Geselligkeit), Offenheit, Verträglichkeit (Vertrauen), Gewissenhaftigkeit (Pflichtbewusstsein)
- Hohe Ausprägung an Extraversion und Gewissenhaftigkeit & geringe Ausprägung an Neurotizismus =
Erfolgsindikator der Lehrerberufs
- Starke soziale Orientierung als günstig angesehen
- Künstlerisch-sprachliche und unternehmerische Orientierung zu beobachten
Leistungsvoraussetzungen und Selbstwirksamkeitserwartung
- Kognitive Leistungsvoraussetzungen (z.B. Abinote) entscheidend für beruflichen Erfolg
- Gymi: 2,25, Andere Lehrämter: 2,62 → partielle Negativselektion
- Selbstwirksamkeitserwartung = subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen
aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können („Glaube an sich selbst“)
- Selbstwirksamkeitserwartung = wichtiger Indikator von Leistung im Lehramt
➔ Selbstwirksame Lehrkräfte sind psychisch gesünder und positiver eingestellt, reflektierter, loyaler gegenüber
ihrem Beruf und stellen präzisere Diagnosen; beeinflussen SuS in deren Selbstwirksamkeit positiv
- Training der Selbstwirksamkeit durch
1) Erfolgserfahrung und das Vermeiden von Misserfolg
2) Orientierung an Verhaltensmodellen
3) Sprachliche Überzeugungen („Du schaffst das!“) und 4) Wahrnehmung eigener Gefühle
Warum entscheidet sich jemand für das Lehramt? → Motive
Fit-Choice-Modell (2012) geht davon aus, dass folgende Faktoren ausschlaggebend sind:
1) Bewertung der beruflichen Anforderungen (z.B. Arbeitsbelastung)
2) Aus der Tätigkeit resultierenden Erträge (z.B. sozialer Status)
3) Selbst wahrgenommene Fähigkeit zu unterrichten (z.B. Erfolgserleben)
4) Bedeutung von Vorzügen für die eigene Person (z.B. berufliche Sicherheit)
5) Bedeutung des sozialen Engagements im Beruf (z.B. Verringerung sozialer Benachteiligung)
6) Frage, ob Entscheidung für das Lehramt eine Verlegenheitslösung ist
➔ Beeinflust durch sozialisatorische Einflüsse (z.B. Erfahrungen mit Lehrpersonen in eigener Schulzeit)
Dominanz intrinsischer Motive (aus eigenem Antrieb/Überzeugung, von innen heraus):
- Wunsch, mit Kindern und Jugendlichen arbeiten zu wollen
- Vielseitigkeit der Aufgaben, Freude an Wissensvermittlung, fachliches Interesse
Extrinsische Motive: z.B. Berufliche Sicherheit, Verlegenheitslösung ist das Lehramt in der Regel nicht
- Starke fachliche Orientierung bei Gymi, pädagogisches Interesse spricht für Primar-/Sonderschulpädagogik
- Ob pädagogische Vorerfahrungen den Kompetenzerwerb tatsächlich beeinflussen, ist ungeklärt
Didaktik
Unterricht und Didaktik
-
-
Unterricht = langfristig organisierte Abfolge von Lehr- und Lernsituationen, die von ausgebildeten
Lehrpersonen absichtsvoll geplant und initiiert werden und die dem Aufbau von Wissen sowie dem Erwerb
von Fertigkeiten und Fähigkeiten der Lernenden dienen. Unterricht findet in der Regel in bestimmten dafür
vorgesehenen Institutionen unter regelhaften Bedingungen statt.
Unterricht als komplexes Gefüge, er zeichnet sich durch vieles aus:
- Multidimensionalität: Viele verschiedene Ereignisse finden aufgrund vieler Personen im Klassenraum statt
- Simultaneität Viele Dinge geschehen gleichzeitig im Unterricht
- Unmittelbarkeit: Unmittelbares Lehrerhandeln wird aufgrund des schnellen Ablaufes von Ereignissen im
Unterricht → Erschwert Reflexion
- Unvorhersehbarkeit: Unterricht kann nicht sicher vorhergesehen und nur beschränkt geplant werden
- Öffentlichkeit: Interaktionenen finden in einem „öffentlichen“ Raum statt
- Historizität: Handeln im Klassenzimmer hat immer Wurzeln in der Vergangenheit und Wirkungen in
Zukunft
- Intransparenz: Lehrer und Schüler können nur erahnen, was in ihnen gegenseitig vorgeht
- Informalität: Unterrichten ist situativ und nur in geringem Ausmaß standardisierbar
Was ist Didaktik?
-
Didaktik als Wissenschaft über relevante Größen im Unterricht, als Entwurf einer konkreten
praxisanleitenden Bildungstheorie, als offenes System → v. Hentig (1969)
Didaktik als Wissenschaft vom Lehren und Lernen in allen Formen auf allen Stufen, als Theorie des
Unterrichtes, als Theorie der Bildungsinhalte, als Theorie optimalen Lehrens und Lernens → Klafki (1971)
Als Organisation von Lernprozessen, als Gestaltung der Rahmenbedingungen, als Gestaltung von Lehrplan
und Konzepten, als Gestaltung von Lehr-/Lernsituationen → Flechsig/Haller (1975)
Fokus auf überfachliche Themen, z.B. Leistungsbewertung, Unterrichtsplanung/ -gestaltung, überfachliche
Unterrichtskonzepte, Fragen der Aufgabenkultur
Fokus auf bildungstheoretische Perspektiven, z.B. Legitimation von bestimmten Inhalten des Unterrichts,
Zusammenhang von Zielen, Inhalten, Methoden
Planung, Analyse, Durchführung, Auswertung/Reflexion von Unterricht: Zentrale Aufgabe von Lehrkräften
Didaktik und didaktisches Dreieck
Bildungstheoretische Didaktik
-
Zentral: Didaktisches Handeln ist wegweißend, deshalb benötigt die Didaktik einen Bildungsbegriff
Wissenschaftstheoretische Einordnung
Rekonstruktion des Bildungsbegriffs
Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung
Formale und materiale Bildung
Klafkis Versuch einer Synthese: Kategoriale Bildung
Kritische-konstruktive Didaktik (→ Perspektivenschema)
Schlüsselprobleme und problemorientierter Unterricht)
Vergleich mit kritisch-konstruktiver Didaktik: Perspektivschema der Unterrichtsplanung (Klafki)
-Rückseite zu „Didaktik“-
Text: Allgemeine Didaktik
-
Didaktik als Bildungslehre, Didaktik als Wissenschaft vom Unterricht, Didaktik als Theorie der Bildungsinhalte
und des Lehrplans
Didaktik als „Lehrkunst“ oder Lehre vom Unterricht (Kiper und Mischke 2004)
Auseinandersetzung darüber, ob Fokus der Didaktik auf Inhalten oder auf Unterrichtsmethodik liegen soll
Klafki unterscheidet zwischen Didaktik im engeren Sinne (Fokus auf Inhalte) und Didaktik im weiteren Sinne
(Fokus auf Lehren und Lernen allgemein)
Krise der allgemeinen Didaktik
-
Sündenbock nach PISA-Schock, da sie in Deutschland zentraler Gegenstand der Lehrerausbildung war
Kritik an allgemeiner Didaktik: Fehlende Effektivität, fehlende Praktikabilität, fehlende Brauchbarkeit
Herausforderungen für die allgemeine Didaktik
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Soll bestehende empirische Forschungsergebnisse in Modelle integrieren, aber auch eigene empirische
Forschung betreiben
Zukunft der Disziplin in einer integrativen Sichtweise der allgemeinen Didaktik, der Lernforschung und der
Fachdidaktiken
Ansätze zum Umgang mit den Herausforderungen:
1) Eklektische Didaktik von Zierer: Versucht, bestehende Modelle zu integrieren
2) Angebot-Nutzungs-Modell von Helmke: Versucht, empirische Forschungsergebnisse der Lernforschung in
didaktische Modelle zu integrieren
Didaktische Modelle
Ermöglichen eine Beschreibung der Prozesse des Lehrens
1) Bildungstheoretische Didaktik
- entwickelt von Klafki in den 1950er Jahren
- Im Zentrum steht der Bildungsbegriff
- Bildungsvorgang = Prozess des doppelten Erschließens, der zu kategorialer Bildung führt
- Auftrag für die Didaktik: Danach zu fragen, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen Inhalte zu
Bildungsinhalten werden
- Didaktische Analyse im Sinne Klafkis umfasst folgende Fragen:
a) Frage nach der Gegenwartsbedeutung und der Zukunftsbedeutung eines Inhalts
b) Frage nach dessen Sachstrukutr und exemplarischer Bedeutung
c) Frage nach dessen Zugänglichkeit für die Lernenden
→ Diese Fragen zu beantworten ist nach Klafki der „Kern der Unterrichtsvorbereitung“!
2) Kritisch-konstruktive Didaktik
- Weiterentwicklung Klafkis bildungstheoretischer Didaktik, auch hier hat Bildungsbegriff zentrale Rolle
- Bewusste Aufnahme von Aspekten aus der Empirisch-analytischen und der kritischen
Wissenschaftsauffassung in ursprünglich geisteswissenschaftliche Theorie → Mischtheorie
- Bildung als Individualbildung und als Allgemeinbildung
- Jeder Mensch soll sich mit zentralen Schlüsselproblemen der Gesellschaft auseinandergesetzt haben
→ Diese Schlüsselprobleme sollen im sogenannten Problemunterricht behandelt werden
- Nicht nur kognitive, sondern auch soziale Leistungen sollen beurteilt und bewertet werden
- Klafki gibt Perspektivenschema zur Unterrichtsplanung vor:
- zunächst Bedingungsanalyse durchführen, dann kritisch reflektieren
- danach Thema strukturieren, dann Bestimmung von Zugangs- und Darstellungsmöglichkeiten
- schließlich methodische Strukturierung
→ Sehr praktische Orientierung, große Zustimmung bei Praktikern
3) Lerntheoretische Didaktik „Berliner Modell“ nach Heimann
- empirisch orientiert und gilt als lernpsychologisch-technologisch und zweckorientiert weil es wertneutral ist
- Entscheidungsmodell: Es zeigt, welche Entscheidungen zu treffen sind, gibt aber keine konkreten
Handlungsempfehlungen vor
- Einziges Entscheidungsmaß ist die Stimmigkeit
→ Didaktische Entscheidungen sollen aufeinander abgestimmt sein
- Berliner Modell umfasst Entscheidungs- und Bedingungsfelder → konstant, inhaltlich aber variabel
- Lehr-Lern Geschehen wirkt auf diese Bedingungen zurück → anthropologisch-psychologische Folgen
→ handlungsorientiertes praktisch umsetzbares Modell zur Unterrichtsplanung mit Gestaltungsspielraum,
bleibt aber komplett wertneutral, indem es keine Handlungsempfehlungen ausspricht oder gewichtet
4) Lehrtheoretische Didaktik „Hamburger Modell“ nach Schulz
- hebt die Wertfreiheit des Berliner Modells auf → ist ideologiekritischer und normativ orientiert
- Behält Entscheidungs- und Bedingungsfelder bei, fügt Erfolgskontrolle hinzu
- Lehrende und Lernende sind gemeinsam verantwortlich für das Gelingen des Unterrichts!
5) Eklektische Didaktik nach Zierer 2013
- versucht, bestehende Modelle zu integrieren
- Strukturierungsprinzip nach „ADDIE-Modell“: Analyse, Design, Development, Implementation, Evaluation
- Quadrantenmodell (Ken Wilber) in Analyse- und Evaluationsphase
- Didaktisches Sechseck in Phase Design und Development → Durch Zierer als Planungsphase benannt
- Didaktisches Dreieck in Phase Implementation
→ Motto: „Alles prüfen! Das Beste behalten!“
6) Angebot-Nutzungs-Modell von Helmke 2009
- Kernaussage: Unterricht besteht aus Angeboten, die von den Akteuren des Unterrichts in
unterschiedlichem Maße genutzt werden
- Angebote von Lehrperson an SuS, aber auch Angebote der SuS an die Lehrperson, und der SuS gegenseitig
- Unterricht aus zwei Perspektiven betrachtet: Prozessperspektive (Angebote machen und nutzen) und
Produktperspektive (Wirkungen des Unterrichts)
- Variablen beeinflussen die Unterrichtsqualität:
Klassenführung, Zeitnutzung, Struktur,
Kompetenzorientierung, kognitive Aktivierung, Variation von Methoden, Unterrichtsklima, Motivierung, …
Zusammenfassung
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Allgemeine Didaktik hat zwei wesentliche Kontrahenten hat: Fachdidaktiken und Lehr-Lern-/
Bildungsforschung
Aufgabe: Vorhandene Lösungswege nutzen, um ihren berechtigten Platz zwischen den Fachdidaktiken und
der Lehr-Lern- bzw. Bildungsforschung selbstbewusst einzunehmen
Unterricht
Beispiel für klassische Unterrichtsforschung: Die Optimalklassenstudie (Helmke 1988)
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In Optimalklassen gelingt die Erreichung zweier gleichgesetzter Ziele gleichzeitig:
1. Egalisierung (Leistungsunterschiede ausgleichen) und Qualifizierung (Höheres Leistungsniveau erreichen)
Merkmale und Vorgehen:
- Adaptivität: Individualisierung, häufig Kleingruppen, Variation der Schwierigkeit, wenig Überforderung
- Langsamkeitstoleranz: Schüler haben Zeit, müssen nicht auf Kommando antworten
- Effiziente Klassenführung: Hohen Gegenwärtigkeit, wenig Störungen
- Lehrstofforientierung: Intensive Zeitnutzung
- Klarheit und Verständlichkeit: Für Schüler verständliche und unmissverständliche Lehreräußerungen
- Diagnostische Sensibilität: Sensibilität für affektive Lernvoraussetzungen (Angst → Verständnis)
- Lehrer-Schüler-Beziehung: Humor, Lob, Freundlichkeit, Ermutigung
Auch idealtypischen Optimalklassen weisen nicht überall überdurchschnittliche Werte auf
Zu starke Ausprägung einzelner Merkmale kann problematisch sein, kann aber auch „kompensiert“ werden
Besonders wichtig erscheint: Adaptivität, Langsamkeitstoleranz, Lehrstofforientierung
Es gibt viele alternative Wege zu einem guten Unterricht
Rahmenbedingungen: Vorwissen erscheint relevanter als Intelligenz, Zusammensetzung der Klasse unwichtig
Merkmale von Unterrichtsqualität
-
-
Frage: Was macht guten Unterricht aus?
Vorstellung von Merkmalen im Sinne von Prädikatoren
Das Kriterium, an dem guter Unterricht festgemacht wird, ist die Schülerleistung
Vorstellung von Merkmalen von Unterrichtsqualität nach verschiedenen Autoren:
Text: Ewald Terhart: Guter Unterricht:
Die Perspektiven empirischer Unterrichtsforschung und allgemeiner Didaktik
Guter Unterricht meint nicht unbedingt effektiver Unterricht
Kennzeichen guten Unterrichts:
-
Guter Unterricht ist kindgemäß, individualisierend, fördert Eigeninitiative und soziales Miteinander
Bezug auf menschliches Lernen, Erfahren und Urteilen
Fachbezug, Sicherung von Grundlagenwissen, kontinuierliches Leistungsmonitoring
Effective teaching (=wirksamer Unterricht): Ziele weitgehend und kostensparend erreichen
Die Situation der allgemeinen Didaktik: Zentrale Herausforderungen
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Seit zehn Jahren Wachstum der empirischen Lehr-Lern-Forschung
Gezielte Weiterentwicklung verschiedener Fachdidaktiken (in Praxis eher Fachmethoden)
Neurowissenschaft auch in der Didaktik angekommen, zu Neurodidaktik verdichtet worden
→ Jedoch ein „ebenso dynamisches wie überschätztes Forschungsfeld“
Wachsende Faszination einer Informalisierung des Lernens und Lehrens
→ Kritik: Schule und Unterricht als künstliche aus dem Leben herausgelöste Veranstaltungen
Aspekte empirischer Unterrichtsforschung
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Dominanz der Befassung mit den Lehr- und Lernaspekten von Unterricht gegenüber der Befassung mit dem
Interaktions- und Sozialisationsaspekt
Leitend ist das Angebot-Nutzungs-Modell (wird später erläutert)
Allergrößter Teil der empirischen Unterrichtsforschung ist fachbezogener/ fachdidaktischer Art
Kontroverse/uneindeutige Ergebnisse zu Lernwirksamkeit unterschiedlicher Unterrichtskonzepte liegen vor
→ Es gibt nicht die eine wahre gute Methode
Wie hoch ist der Beitrag des Lehrerhandelns und der Lehrerkompetenz bei der Anbahnung von
Lernzuwächsen auf Seiten der Schüler?
→ Weiterhin ungeklärte Frage; Impliziert Untersuchung der Lehrereffektivität
Qualitative Forschung zum Unterricht sieht diesen als Lebenswelt und sozialen Erfahrungsraum
Empirische Bildungsforschung wird zunehmend von Teilen der pädagogischen Psychologie ausgefüllt
Das Verhältnis von empirischer Lehr-Lern-Forschung und allgemeiner Didaktik
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Wie das Verhältnis zweier fremder Schwestern: Zwar verwandt, sich aber doch fremd geworden
Empirische Lehr-Lern-Forschung ist Teilgebiet psycholog./erziehungswissenschaftl. Forschung
→ Zentrale Zielsetzungen: Erkenntnisgewinn, Erzeugung von Resonanz
Allgemeine Didaktik hat Ursprung im Lehrerberuf/ Lehrerbildung
→ Stärker von Orientierungs-, Bildungs- und Ausbildungsmotiven getragen
→ Stärker berufswissenschaftlich ambitioniert
Große Vermittlungs- und Verknüpfungsprobleme zwischen den beiden
Allgemeine Didaktik ist trotz allem wichtig weil:
1) Fachdidaktiken sind systematisch beschränkt hinsichtlich Thematisierung des Unterrichts
2) Große Bedeutung der allgemeinen Didaktik im Kontext der Vorbereitung auf konkrete Unterrichtstätigkeit
3) Weiter gespannter schul- und bildungstheoretischer Charakter
Text: Frank Lipowsky: Unterricht
Definition: „Unterricht kann als langfristig organisierte Abfolge von Lehr- und Lernsituationen verstanden werden,
die von ausgebildeten Lehrpersonen absichtsvoll geplant und initiiert werden und die dem Aufbau von Wissen sowie
dem Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten der Lernenden dienen. Sie finden in der Regel in bestimmten dafür
vorgesehenen Institutionen unter regelhaften Bedingungen statt (Terhart 1994).“
Modelle für die Planung und Analyse von Unterricht
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Bildungstheoretische Didaktik (Klafki)
Kritisch-konstruktive Didaktik (Klafki)
Aeblis Entwurf einer kognitions-psychologischen Didaktik
- Schwerpunkt auf die Lern- und Verstehensprozesse der Lernenden
- Lernprozesse im Unterricht sollten folgende Schritte durchlaufen: Problemlösendes Aubauen,
Durcharbeiten, Üben, Anwenden
- Fokus nicht auf Oberflächenmerkmale von Unterricht, sondern auf konkreten Lern- und Verstehensprozess
Instructional-Design-Modelle
= Modelle zur Planung und Gestaltung von Unterricht
Konkreter Fokus auf die eigentlichen Lehr- und Lernprozesse und der Frage nach deren Wirksamkeit
a) Behavioristisch orientierte Instructional-Design-Modelle
- Modell von Caroll (1963): Lernzeit (LZ) im Mittelpunkt
- Lernerfolg = Funktion des Verhältnisses von tatsächlich aufgewendeter aktiver LZ und benötigter LZ
- Modell von Bloom (1976): LZ hat bedeutsame Rolle
- 90% der Lernenden können gute Leistungen erreichen, wenn sie ausrechend Zeit bekommen
- Konzept des Zielerreichenden Lernens wichtig!
b) Kognitionspsychologisch fundierte Instructional-Design-Modelle
- Modell von Ausubel (1974): Gutes Lernen durch „Advance Organizer“ (=Strukturierungshinweise):
- Deduktives Vorgehen, Integrative Aussöhnung, Sequenzielle Organisation, Verfestigung
- Modell von Brunner (1961): Lernende sollen selbstständiger mit Lernaufgaben arbeiten
- Lehrender = nur zurückhaltender Moderator, der die Lernenden zum Entdecken anleitet
c) Konstruktivistische Ansätze
- Lernen als konstruktiver, kumulativer, selbstgesteuerter, auf Interaktion mit anderen angewiesener
Prozess des Aufbaus von Wissen und der Konstruktion von Bedeutung
- Situiertes oder problemorientiertes Lernen: Lernen erfolgt kontextgebunden/situiert
→ Höhere Lernerfolge beim Erwerb von Problemlöse- und Anwendungsfähigkeiten
→ Erfordert Mindestmaß an Selbstregulationskompetenz!
Angebot-Nutzungs-Modell
- Schulerfolg als Ergebnis des Zusammenspiels unterschiedlicher schulischer und außerschulischer Faktoren
- Unterricht im Mittelpunkt als Bildungsangebot an Lerngelegenheiten
- Lehrerkompetenzen/-merkmale als Determinanten für Qualität und Quantität unterrichtlicher Angebote
- Lernende nutzen die Angebote in unterschiedlicher Weise, kognitive Entwicklung, Intelligenz, Vorwissen
und soziale Herkunft entscheidend für den Schulerfolg
Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
Zielvariablen: Kognitive Entwicklung (= Leistungsfähigkeit) und affektiv-motivationale Entwicklung (z.B. intrinsische
Motivation,
das
Engagement,
die
Zufriedenheit
der
Lernenden
mit
eigener
Entwicklung)
→ Unterricht ist erfolgreich, wenn mind. Eine dieser Variablen verbessert/gestärkt wird!
1)
a)
-
Strukturiertheit des Unterrichts
Klare erkennbare Gliederung des Unterrichts in einzelne Phasen/Abschnitte
Konsistenz von Regeln, Erwartungen und Grenzen
Maßnahmen und Handlungen um Verbindung zwischen Vorwissen und neuen Elementen herzustellen
Kognitive Zielvariablen
Unterscheidung: Didaktische Strukturierung (Planung), Strukturierung auf Verhaltensebene (störungsfreie
Lernumgebung), Kognitionspsychologisch verstandene Strukturiertheit (Fragen des Lehrers)
- Bedeutsame Rolle einer effektiven Klassenführung für die Kognitive Entwicklung der Lernenden
b) Affektiv-motivationale Aspekte
- Positive Wirkungen auf Autonomieerleben und Kompetenzerleben der Lernenden
- Positive Effekte auf Interessensentwicklung aufgrund weniger Störungen
2) Inhaltliche Klarheit und Kohärenz des Unterrichts
- Inhaltliche Aspekte des Unterrichtsgegenstandes werden sprachlich prägnant und verständlich, fachlich
korrekt und inhaltlich kohärent dargestellt/entwickelt
a) Kognitive Zielvariablen
- Positive Effekte auf Lernen der Schüler → Verständnisfördernde Funktion!
b) Motivational-affektive Zielvariablen
- Höhere Klarheit des Unterrichtes geht mit höherer Zufriedenheit der Lernenden einher
- Höhere intrinsische Motivation als bei Lernenden in Klassen, in denen weniger zielklar unterrichtet wird
3) Feedback
= jede Art von Rückmeldung, die den Lernenden über die Richtigkeit seiner Aufgabenlösung informiert oder die
dem Lernenden inhaltliche/ strategische Hilfen/Infos zu dessen Bearbeitungsprozess gibt.
- Einfache Rückmeldung = Info ob richtig oder falsch
- Elaborierte Rückmeldeformen = Hinweise, die über Nennung des richtigen Ergebnisses hinausgehen
a) Kognitive Zielvariablen
- Nur elaborierte Rückmeldungen bei komplexen Aufgaben haben einen positiven Effekt
- Bei geringem Vorwissen sind höhere Effekte von Feedback zu erwarten
- Allein Ankündigung von Feedback kann Lernende zu besseren Leistungen bewegen
- Zeitpunkt: Grundsätzlich wirksamer sind sofortige Lehrerrückmeldungen im Unterricht
b) Motivationale Zielvariablen
- Elaborierte Rückmeldungen haben positive Effekte, Forschungslage sonst aber uneinheitlich
4) Kooperatives Lernen
= Lernarrangements, die eine koordinierte, ko-konstruktive Aktivität der Teilnehmer verlangen, um eine
gemeinsame Lösung eines Problems/ gemeinsames Verständnis einer Situation zu entwickeln.
- Merkmale: Wechselseitige Abhängigkeit, individuelle Verantwortung, gegenseitige Unterstützung, Schulung
sozialer Fähigkeiten, meta-kognitive und reflexive Tätigkeiten
a) Kognitive Zielvariablen
- Von vielen Bedingungen beeinflusst
- Sozial benachteiligte/schwächere SuS profitieren stark → Abhängigkeit von Gruppenzusammensetzung!
b) Motivationale Zielvariablen
- Positive Effekte durch gruppenbezogene Belohnung auf Basis der individuellen Leistungen
- Positive Effekte durch den sozialen Zusammenhalt in der Gruppe
5)
-
Übungen
Ziel: Speicherung und Festigung von deklarativem und prozeduralem Wissen
Kann mangelnde Fähigkeiten und Begabung zumindest partiell kompensieren
Positive Effekte zu erwarten, wenn ausreichendes konzeptionelles Verständnis beim Lernenden da ist
Verteilte Übungen sind grundsätzlich effektiver als massierte
6) Kognitive Aktivierung
= Regt Lernende zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit dem Thema an
- Impuls durch Konfrontation des Lernenden mit Infos, Erfahrungen, Phänomenen, die im Widerspruch zu
seinen bisherigen Konzepten stehen und ihn erkennen lassen, dass seine bisherigen Vorstellungen nicht
mehr tragfähig sind und neue Konzepte plausibler erscheinen!
- Positive Zusammenhänge zwischen kognitiver Aktivierung und Lernzuwachs
7) Unterstützendes Unterrichtsklima
= Emotionale Grundtönung der Lehrer-Schüler-Beziehung (individuelles Klima) oder Grundorientierungen und
Werthaltungen der am Schulleben beteiligten Personen (geteiltes/kollektives Klima)
- Indirekte Effekte auf den Lernerfolg (Bei gutem Klima fühlen sich alle wohler, es wird gerne gelernt)
- Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung hat Potenzial, die motivationale Entwicklung zu fördern
8) Leistungsförderung und Leistungsausgleich – unvereinbare Ziele des Unterrichts?
Effektivität von Schule und Unterricht an überdurchschnittlicher Förderung ganzer Klassen bei gleichzeitiger
klassenbezogener Verringerung der Leistungsunterschiede zwischen stärkeren und schwächeren SuS festgelegt.
- In der Breite zeigen sich Schereneffekte ab Grundschule Klasse 3 / 4
- In Einzelfällen gelingt Leistungsförderung und Leistungsausgleich
9) Optimalklassenstudien
- Untersuchen, durch welche Merkmale sich Klassen auszeichnen, die hohe Zuwächse im kognitiven UND
affektiv-motivationalen Bereich erzielen.
- Optimalklassen zeichnen sich durch hohe Klarheit/Strukturiertheit des Unterrichts, effektive Klassenführung,
intensive aufgabenbezogene Nutzung der Lernzeit, individuelle Unterstützung der Lernenden und durch die
Variabilität von Unterrichtsformen aus
10)
-
Grenzen
Teilweise inhaltliche Überschneidungen zwischen den einzelnen Merkmalen
Guter Unterricht ist nicht abhängig von Anzahl der stark ausgeprägten Merkmale
Dargestellte Merkmale unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Komplexität und hinsichtlich Inferenzgrade
11)
a)
b)
c)
Zusammenfassung in drei übergeordnete Dimensionen
Zeit zum Lernen
Klarheit und Kohärenz der Darstellung und Niveau der Verarbeitung von Informationen
Unterstützendes Unterrichtsklima
Heterogenität
Soziale Benachteiligung
-
Resultiert aus einem Mangel der mit den drei Kapitalsorten einhergehenden Ressourcen
➔ Ökonomisches Kapital, Kulturelles Kapital, Soziales Kapital
Für viele Merkmale von Heterogenität in Lerngruppen ein Ausgangspunkt
Der Begriff „Heterogenität“
-
Normative Zuschreibungen an Heterogenität:
- Verschiedenheit: Anerkennen, wertschätzen und favorisieren
- Veränderlichkeit: Entwicklung ermöglichen und unterstellen
- Unbestimmtheit: Heterogenität ist unvorhersehbar
- Umgang mit Heterogenität ≠ innere Differenzierung
- Was impliziert Heterogenität von Lerngruppen? → Diese homogenisieren? Oder Heterogenität nutzen?
Merkmale heterogener Lerngruppen: SuS unterscheiden sich hinsichtlich…
- Kognitiver Voraussetzungen, sprachlicher Voraussetzungen und sozialer Voraussetzungen
- Interessen, Bedürfnissen, Neigungen, Einstellungen, Haltungen, Überzeugungen
- Leistungsfähigkeit und Leistungsmotivation
- Geschlecht, Alter, Physis, Belastbarkeit, Gesundheit
- Kultur, Herkunft, Tradition, Werte und Normen
Heterogenität in der Schule
-
Wird trotz Vorselektion als Berufserschwernis wahrgenommen
Unterschied zwischen Können und Wollen im Blick auf den Umgang mit Heterogenität
Äußere und innere Differenzierung
-
Äußere Differenzierung = Ordnung von Heterogenität im Sinne übergreifender organisatorischer Art auf dem
Hintergrund
bildungspolitischer
Vorgaben
(z.B.
Schularten
oder
Jahrgangsklassen)
- Auch vermeintlich homogene Lerngruppen zeigen hohe Streuung
- Empfehlungen nach der Grundschulzeit sind wenig zuverlässig
- Lernschwache/ lernbehinderte Schüler verschlechtern Leistungsentwicklung von stärkeren Schülern nicht
- Innere Differenzierung = Alle Formen der zeitlich befristeten und dauerhaften Auflösung der Lernverbände
auf unterrichtsorganisatorischer Ebene
- Unterschied: Bei der inneren Differenzierung stehen individuelle Lebens- und Entwicklungsperspektiven der
SuS im Mittelpunkt
Differenzierung und Individualisierung
- Differenzierung erfolgt in Schule und Unterricht vor allem in gruppenspezifischer Sicht
- Individualisierung zielt auf die Förderung und Unterstützung des einzelnen Lernenden → Individuelle Ebene
Gerechtigkeitsprinzipien
1) Gleichsetzende/gleichstellende Gerechtigkeit: „Allen das Gleiche“
➔ Homogenität der Lernvoraussetzungen herstellen
➔ Heterogenität minimieren/beseitigen (durch äußere Differenzierung, z.B. Schulwechsel/Sitzenbleiben)
➔ Keine Reaktion auf Heterogenität in der Klasse (z.B. durch nur direkte Instruktion)
➔ Mithilfe von Leistungsdifferenzen Ungleichheit der Bildungswege & Unterrichtsabschlüsse rechtfertigen
→Betonen der Selektions- und Allokationsfunktion von Schule und der vergleichenden Leistungsbewertung
Unterscheidende Gerechtigkeit: „Jedem das Seine“
➔ Heterogenität der Lernvoraussetzungen erkennen und erschwerenden Zustand akzeptieren
➔ Unmöglichkeit der Herstellung leistungshomogener Lerngruppen akzeptieren
➔ Heterogenität als Chance sehen, bzw. positiv nutzen
➔ SuS individuell fördern unter Berücksichtigung des jeweiligen Leistungsvermögens
→Schulische Entwicklungsfähigkeit eines jeden Schülers möglichst optimal nutzen, um die individuell
größtmöglichen Erträge zu erzielen!
Offener Unterricht: Ausgewählte Forschungsbefunde:
-
-
Schülerleistungen schwächer, bestenfalls gleich wie im lehrerzentrierten Unterricht
Überforderung für leistungsschwache SuS, leistungsstarke SuS können flexibler lernen
Leistungsunterschiede: Verringerung ist Mythos, eher Verstärkung der Unterschiede
Verwaltungs- und Organisationsaufwand sollte nicht so hoch sein, dass aktive Lernzeit stark verringert wird
Text: Doris Wittek: Heterogenität und Inklusion –
Anforderungen für die Berufspraxis von Lehrpersonen
-
Seit PISA-Studien hat Heterogenität der Schülerschaft bildungspolitische Relevanz
Heterogenität als didaktische Herausforderung/ als Ursache für das Belastungserleben der Lehrpersonen
Definition und Diskurse
-
Heterogenität = „verschiedenen Ursprungs“; keine Heterogenität ohne gewisse Homogenität
Merkmale für Definition von Heterogenität:
➔
Relativität: Es handelt sich um einen relationalen Begriff → Eine Lerngruppe ist heterogen, nicht nur einer
Soziale Konstruktion: Heterogenität ist keine objektive Eigenschaft, wird erst konstruiert/erschaffen
Partialität: Heterogenität ist meist eine momentane, zeitlich und räumlich begrenzte Zustandsbeschreibung
Sozial-kulturelle Eingebundenheit: Vergleiche finden stets in einem sozialen und kulturellen Rahmen statt
Lehrpersonen stellen Heterogenität fest, indem sie
a) Bewusst oder unbewusst einen bestimmten Maßstab wählen und an Gruppe anlegen
b) Einen Vergleich innerhalb der Gruppe, also individuelle Ausprägung des Maßstabs vornehmen
c) Das Ergebnis dieses zeitlich und räumlich begrenzten Vergleichs der Gruppe als Eigenschaft zuschreiben
Bestimmung von Heterogenität
1) Lehr-lernpsychologische Zugänge: Ausgangspunkt ist Identifikation von Lernermerkmalen für optimale
Gestaltung von Lehr-Lernprozessen. Fokus auf kognitiven Lernzielen und abbildbaren Zusammenhängen
2) Sozial- und erkenntniskritische Zugänge: Beschäftigung mit gesellschaftlichen Verhältnissen, deren
Herstellung und Fortschreibung im Zentrum
➔ Schule ist durch Heterogenität der Schülerschaft geprägt, bringt diese aber auch selbst hervor
Heterogenität und die Institution Schule
-
Drei gesellschaftliche Funktionen von Schule: Qualifikationsfunktion, Selektions-/Allokationsfunktion und
Legitimations-/Integrationsfunktion
Institutionelle Diskriminierung ist kein intendiertes handeln von Lehrpersonen, sondern durch
organisationsinterne Logiken hervorgebracht
Heterogenität und die Berufspraxis – Anforderungsbereiche
-
Gestaltung von schulischem Lernen als Voraussetzung sozialer Teilhabe
Gestaltung von Lernstrukturen, einer lernförderlichen Lernumgebung und konzentrierter Arbeitsatmosphäre
Gestaltung von unterrichtsbezogener Kooperation im Kollegium
Gestaltung des Schulentwicklungsprozesses → Neue strukturelle Wege im Umgang mit Heterogenität
Inklusion als Strategie im Umgang mit Heterogenität
-
Ursprünglich als Recht auf gleiche gesellschaftliche Teilhabe von SuS mit Behinderung
Mittlerweile als Strategie gesehen und allen Lernenden gleiche (Bildungs-)Chancen zu ermöglichen
Enger Begriff der Inklusion: Auseinandersetzung um die Beschulung von SuS mit und ohne Behinderungen
Weiter Begriff der Inklusion: Bildung & Erziehung aller Lernenden, unabhängig von Lernvoraussetzungen
Heterogenität ≠ Inklusion!
Bedeutung für Lehrkräfte
-
Lehrpersonen als zentraler Reformmotor erachtet
Tendenz zur Verlagerung vieler Probleme von Ebene des Schulsystems hin zur Ebene des Unterrichts
Normativer Appell: „Die Einstellung der Lehrpersonen zu Heterogenität und Inklusion müsse sich ändern,
infolgedessen ändere sich der Unterricht!“
Professionalität im Lehrerinnen- und Lehrerberuf
Begriffserklärungen
-
-
Professionelles Handeln lebt davon, dass es den besseren Argumenten/ empirischen Belegen folgt und nicht
Ausdruck zufälliger persönlicher Erfahrungen, Vorlieben oder Beliebigkeiten ist
Profession = besonderer, herausgehobener Beruf
Profession (neues Verständnis) = Beruf, der durch Risiken und Ungewissheit in der Ausübung durch
Professionelle charakterisiert ist
Professionalisierung:
a) Transformationsprozess eines gewöhnlichen Berufes hin zur Profession → Professionwerdung
b) Das individuelle Hervorbringen von Professionalität → Professionellwerden
Professionalität = individueller Zustand, der für die Ausübung einer Profession als hinreichend angesehen
werden kann, im Sinne der „Qualität der Ausübung und Erfüllung der professionellen Berufsaufgaben“
Ansätze der Professionalität von Lehrpersonen
a) Strukturtheoretischer Ansatz
- Bezug auf widersprüchliche Handlungsanforderungen in Schule und Unterricht
- Professionalität = das Vermögen, mit diesen Spannungen adäquat umzugehen
b) Kompetenztheoretischer Ansatz
- In Lehrer*innenausbildung werden Kompetenzen erworben (Professionswissen, selbstregulative
Fähigkeiten, motivationale Orientierungen, Werthaltungen und Überzeugungen, …)
- Professionalität = hinreichendes Akkumulieren der Wissensbestände und Kompetenzen und Verfügbarkeit!
- Kompetenzen = Kognitive Fähigkeiten/Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die
motivationalen, volitonalen (willensbestimmt) und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um
Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert)
c) Berufsbiographischer Ansatz
- Wissens- und erfahrungsgestützt entwickeln sich Kompetenzen v.a. aufgrund produktiver Verarbeitung von
beruflicher Erfahrung
- Professionalität ist ein berufsbiographisches Entwicklungsproblem
- Professionalität = Sensitivität für eigene lebensbiografische Prozesse und Sinnstrukturen entwickeln und
diese verarbeiten sowie die Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben im Laufe der Zeit bewältigen
d) Berufssoziologischer Ansatz
- Sieht Lehrerberuf als semiprofessionelle Tätigkeit
- Merkmale (und ob sie jeweils darauf zutreffen oder nicht)
→ Kritik: Genügt das? Wo bleibt der Kern der Lehrertätigkeit (Unterricht)?
Perspektive der Zusammenschau der verschiedenen Ansätze
-
Strukturtheoretischer Ansatz: Professionalität ist Reflexivität
Kompetenztheoretischer Ansatz: Professionalität ist kumulierte Kompetenz
➔ Ein möglicher Weg: Mehrperspektivisches und meta-reflexives Verständnis von Professionalität, nicht
aber Integration der Ansätze
Fazit:
➔ Der Lehrer*innenberuf ist eine Profession, weil Handeln unter Ungewissheit erforderlich ist
➔ Kern des professionellen Handelns sind meta-reflexive Elaborationen der Professionellen (Cramer 2019)
Text: Ewald Terhart: Lehrerberuf und Professionalität:
Gewandeltes Begriffsverständnis – neue Herausforderungen
Die Entwicklung zu einem pragmatischen Professionenverständnis
-
Professionalisierung auf kollektiver Ebene = sozialer Durchsetzungsprozess des Hinaufsteigens eines
gewöhnlichen Berufs in den Status einer Profession
Professionalisierung auf individueller Ebene = Das Hineinwachsen eines Berufsneulings in die Rolle, den
Status und die Kompetenz eines Professionellen („becoming professional“)
Professionen = wissensbasierte Berufe, die üblicherweise an ein Studium sowie ein berufsbezogenes Training
und entsprechende Erfahrungsbildung anschließen
Professionen als strukturelle, beruflich und institutionelle Arrangements zur Arbeitsorganisation beim
Umgang mit Unsicherheiten des Lebens in modernen Risikogesellschaften
Klassisches Professionenverständnis vielfach kritisiert, gilt als veraltet
Professionenbegriff und Lehrerberuf
-
Für pädagogische Berufe hat klassische Professionen-Konzeption keine wirkliche analytische Kraft
➔ Für das klassische Professionen-Konzept ist der Lehrerberuf immer ein Rätsel geblieben
Drei Bestimmungsansätze von Professionalität im Lehrerberuf
1) Strukturtheoretischer Bestimmungsansatz:
- Die grundlegenden beruflichen Aufgaben und Anforderungen an Lehrer sind in sich widersprüchlich:
- Nähe vs. Distanz
- Person des Schülers vs. Allgemeiner Anspruch der Lern-Sachen; Einheitlichkeit vs. Differenz
- Organisation vs. Interaktion; Autonomie vs. Heteronomie
➔ Lehrerberuf als „unmöglicher“ Beruf
➔ Kompetenter und reflektiver Umgang mit Unsicherheit/ = Kernstück pädagogischer Professionalität
2) Kompetenztheoretischer Bestimmungsansatz:
- Professionell ist ein Lehrer dann, wenn er in den Anforderungsbereichen über möglichst hohe Kompetenzen
und zweckdienliche Haltungen verfügt → „professionelle Handlungskompetenzen“
- Auch das kompetenteste Lehrerhandeln steht grundsätzlich unter einer situativen Unsicherheit!
3) Berufsbiographischer Bestimmungsansatz:
- Professionalität ist ein berufsbiographisches Entwicklungsproblem
- Professionalität kann/soll sich berufsbiographisch entwickeln
➔ Starke Affinität zum kompetenztheoretischen Konzept (Zentral: Entwicklung von Expertise)
Empirische Forschung zum Umgang mit neuen Steuerungsinstrumenten
-
Transferforschung: Fragen der Umsetzung von Forschungsergebnissen, Reformvorhaben, Interventionen und
deren Folgen in bestehenden Institutionen und Handlungsroutinen
Großteil der Lehrkräfte sieht zwar deutlicher Entwicklungsbedarf im Schulsystem/Schulverhältnisse
Reaktionen der Lehrerschaft auf Schulreform/Schulentwicklungsmaßnahmen schwanken zwischen
Ignoranz/Ablehnung/Angst und tatsächlichem Engagement aufgrund innerer Überzeugung
„New Professionalism“ = Modell des modernen, kunden- und effizienzorientierten, ständig konkurrierend
um Qualitätsentwicklung etc. bemühten Lehrers
➔ Klassisches Professionskonzept kategorisiert Lehrerberuf als semi-professionell
➔ Anforderungen des New Professionalism passt ebenfalls nicht auf Struktur des Lehrerberufes (v.a. in D.!)
Zusammenfassung und Schluss
-
-
Schwierige, komplexe, riskante Aufgaben und Probleme können nur auf der Basis einer in anspruchsvoller
Ausbildung und sorgfältiger beruflichen Sozialisation erworbenen Wissensgrundlage sowie entsprechender
Haltungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten bewältigt werden
Je kompetenter man diese Aufgaben erfüllt, umso professioneller ist man!
Aufgrund von Wandel ist die Bereitschaft zur Weiterentwicklung seiner Kompetenzen wichtiges Kriterium!
Überzeugungen
Was sind Überzeugungen?
-
-
Schul- und unterrichtsbezogene Annahmen, die eine wertende Komponente enthalten (Kunter & Pohlmann 2015)
Ein Aspekt professioneller Kompetenz (Baumert & Kunter 2016)
Filtern Wahrnehmung und beeinflussen Handlungsentscheidungen
Variieren intersubjektiv, das Individuum ist jeweils vom Wahrheitsgehalt überzeugt
Bewusstmachung und Hinterfragung der eigenen Überzeugungen = wichtiger Aspekt von Professionalität
Merkmale von Überzeugungen
-
Nähe von Überzeugungen (individueller Glaube an Wahrheitsgehalt) zu Wissen (validiert, widerspruchsfrei)
Einzelne Überzeugungen sind zu Gruppen von Überzeugungen zusammenzufassen
Unterscheidung von expliziten (bewusste) und impliziten (unbewusste) Überzeugungen
(Alte) Überzeugungen gelten als weitgehend stabil und veränderungsresistent, Neuere sind eher dynamisch
Inhalte von Überzeugungen
→Vgl. Grafik auf nächster Seite
Funktionen von Überzeugungen
Vgl. Beschreibung auf nächster
Seite im Text!
Stabilität vs. Veränderung von Überzeugungen
-
-
Intuitive Überzeugungen werden früh und erfahrungsbasiert gebildet, sind stabil und fest verankert
→ für angehende Lehrkräfte typisch durch „Befangenheit“, weil jeder selbst Schüler war
→ müssen nicht einem ausgewogenen Bild der Schulwelt entsprechen → wenig differenziert
→ Im Lehramtsstudium werden mitgebrachte intuitive Ü. mit professionellen Ü. konfrontiert
Lehrerbildung fordert auf, sich mit den eigenen intuitiven Überzeugungen auseinanderzusetzen
→ Reflexion und Änderung eigener Überzeugungen kann helfen, Herausforderungen im Berufsalltag zu
bewältigen
→ Für Veränderung ist kognitives Engagement erforderlich → Verarbeitung des Neuen
→ Hohes kognitives Engagement ist dann wahrscheinlich, wenn affektive und motivationale Faktoren hoch
ausgeprägt sind
→ Feedback kann helfen, sich (problematischen) Überzeugungen bewusst zu werden
Kognitives Engagement und Überzeugungen
Text: Annett Wilde, Mareike Kunter: Überzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern
Was sind Überzeugungen?
-
Professionelle Überzeugungen = Schul- und unterrichtsbezogene Vorstellungen und Annahmen, die immer
eine bewertende Komponente beinhalten
Überzeugungen von Lehrkräften lassen sich durch folgende Merkmale kennzeichnen:
- Überzeugungen hängen eng mit Wissen zusammen, Abgrenzung der beiden Konzepte schwierig
- Einzelne konkrete Überzeugungen sind in ein System von Überzeugungen eingebunden
- Überzeugungen von Lehrkräften können explizit und implizit sein
→ Explizit: Lehrkraft ist sich Überzeugung bewusst; Implizit: Lehrkraft ist sich Überzeugung nicht bewusst
- Generell sind Überzeugungen relativ stabil, Unterscheidung von alten und neu erworbenen Überzeugungen
➔ Relevanz von Überzeugungen, weil sie zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften gehören!
Inhalte von professionellen Überzeugungen
Inklusive Überzeugungen:
= Vorstellungen, die den Umgang mit
speziellem
Förderbedarf
im
Schulkontext thematisieren
→ beschreibt Haltung, die die
Anpassung
von
Schule
und
Unterricht an die Bedürfnisse aller
Kinder meint
Auswirkungen und Funktion von Überzeugungen
1) Überzeugungen wirken als Filter für die Wahrnehmung
→ Identifikation von relevanten Ereignissen und Inhalten
2) Überzeugungen bilden einen Rahmen für die Einordnung und Bewertung konkreter Unterrichtssituationen
→ Einordnung und Beurteilung einer konkreten Situation
3) Steuerung des Verhaltens der Lehrkraft im Unterricht
→ Direkte, unmittelbare Auswirkung auf das Verhalten
- Theorie des geplanten Verhaltens zeigt, welche Faktoren Einfluss darauf haben, ob Überzeugungen in
Verhalten münden:
- Vor einem Verhalten steht eine Absicht (Intention), sich so zu verhalten
→ Entweder positive Überzeugung zum Verhalten = Grund zur Intention
→ Oder das, was wichtige Bezugspersonen von dem Verhalten denken = Grund zur Intention
- Methodische Probleme können Grund sein für fehlende Übereinstimmung von Überzeugung und Unterricht
Stabilität und Veränderung
-
-
-
Lehramtsstudierende sind durch Schulerfahrung Insider
➔ Stabile fest verankerte Überzeugungen über Schulbetrieb
➔ Veränderung ihrer Überzeugungen durch Ausbildung kann Bedrohung für eigenes Weltbild darstellen
Inituitive Überzeugungen = Überzeugungen angehender Lehrkräfte, die früh gebildet und fest verankert sind
➔ Aufgrund individueller subjektiver Erfahrungen häufig wenig differenziert
Professionelle Überzeugungen = reflektierte, begründete und differenziert strukturierte Überzeugungen, im
Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen
➔ Ziel der Lehrerbildung: Lehrkräfte anregen sich mit ihren intuitiven Überzeugungen auseinandersetzen
und diese zu reflektieren, um stärker professionelle Überzeugungen zu entwickeln!
Für Überzeugungsveränderung müssen affektive und motivationale Faktoren gegeben sein!
Praktische Konsequenzen
-
Reflektieren und Bewusstmachen der eigenen intuitiven Überzeugungen kann helfen, mit Schwierigkeiten
und Problemen im Lehreralltag umzugehen!
Theorie der Schule
Theoriebegriff in Grundzügen reflektieren
a) Was ist eine Theorie?
- Ursprung:
- griechisch: theoria = Anschauen, Gesamtschau, Durchschauen einer Sache
- nach Kron 1999: Durchschau eines Zusammenhangs bis zum Grund; wissenschaftl. Lehre zur Forschung
- Begriff:
- Theorie ist ein konsistentes Aussagesystem
- Aussagen müssen mit anerkannten Methoden gewonnen werden, widerspruchsfrei sein
- Aussagen müssen einen allgemeinen Charakter haben
- Prüfung von Theorien:
- logisch (Prüfung auf innere Widersprüche) oder empirisch (Prüfung durch Erfassen von Elementen)
- Grundauffassungen von Theorie:
- Theorie als Durchschau → Erkennen systematischer Zusammenhänge
- Theorie als Ergebnis von Forschung
- Theorie als Basis von Forschung → Forschung geht i.d.R. von einer Theorie aus: Zusammenhänge, Begriffe…
b) Übertragung des Theoriebegriffs auf Schule: Probleme:
- Kausalzusammenhänge problematisch, eher „strategische Wahrscheinlichkeiten“
- Schultheorien statt Schultheorie → Vorschlag: Makrotheorien und Mikrotheorien (Tillmann 1993)
- Problem der Generalisierung angesichts unterschiedlicher Schulen, Schularten, Schulstufen
- Welche Funktion hat eine Theorie? Rein für innerwissenschaftliche Zwecke? Praxisrelevanz möglich?
- Es gibt auch Theorien, die Lehrkräfte selbst haben: „Subjektive Theorien“
c) Theoriebegriff: Reflexionsstufen nach E. Weniger 1929
Theorie der Schule – um was geht es?
-
Fragestellungen in Bezug auf Gesellschaft, Lehrkräfte, SuS und die Schule selbst:
- Was soll Schule leisten? Was leistet Schule? Welche Funktionen/Aufgaben hat Schule?
➔ „In Schultheorien werden die Funktionen der Schule als gesellschaftliche Institution und ihre inneren
Wirkungsmechanismen systematisch modelliert“ (Blömeke/Herzig 2009).
Strukturfunktionale Theorie der Schule (Fend 1980)
-
Schulsysteme = Institutionen der gesellschaftlich kontrollierten und veranstalteten Sozialisation
- Drei Bestimmungslücken:
a) Schulsysteme sind Institutionen
b) sind absichtliche und kontrollierte Veranstaltungen und
c) in ihnen geschieht Sozialisation
Fend 2006: Neue Theorie der Schule
-
-
„… eine stärker verstehensorientierte, akteurorientierte und institutionsorienteirte Gestaltungsorientierung
einbeziehen …“
Zum Kern einer Theorie des Bildungswesens (BW) gehören: Theorie und Empirie des BW in der Moderne;
Geschichte des BW; Angebots-Gestaltung des BW; Wirkung und Nutzung von Bildungssystemen
Text: o.A.: Schultheorie
Wozu Schultheorie?
-
Theorie der Schule „nur Ausdruck unerfüllbarer Wunschvorstellungen“, also verzichtbar (Kramp 1973)
Theorie der Schule formuliert nur, was Schule sein oder auch nicht sein soll!
➔ Theorie der Schule umstritten, je nach Wissenschaftstradition findet sie unterschiedliche Verwendung
Der Begriff der Theorie im Spannungsfeld von klassischer Philosophie,
empirischer Wissenschaft und Pädagogik
-
-
Theorietreiben bei Platon = dezidiert philosophische Angelegenheit, in der es nur um Erkennen der
Erkenntnis wegen geht → wird rein um ihrer selbst betrieben
Theorie = zusammenhängende, allgemein vermittelbare Darstellung des Erkannten
➔ Sinn des Theorietreibens: Verständigungsinteresse
Theorie für Schulforscher der empirisch-analytischen Wissenschaft kein Selbstzweck, sondern Mittel zum
Zweck
Durch veränderte Perspektive auf Schule verändert sich auch Begriff von Schule
- Zwei theoretische Grundhaltungen: Normative und deskriptive Grundhaltung
Problem: Keine Theorieperspektive lässt sich als „wissenschaftlich neutral“ betrachten!
➔ Unmöglich, eine Schultheorie zu entwerfen, die mit allgemeiner Anerkennung rechnen könnte
➔ Schule = Sozialisationsinstanz der Gesellschaft, die Heranwachsende in bestehende Strukturen
einsozialisiert?
Wozu Schultheorie?
- Theorien = „Fenster zur Welt“ (Fend 2008)
- Blick aus Vogelperspektive auf Schule lässt ablaufende Prozesse besser überblicken
Verschiedene schultheoretische Entwürfe: Die mehrperspektivische Betrachtung: Helmut Fend (1980)
1) Handelnde Akteure im Bildungswesen sind unterbestimmt durch strukturfunktionale Betrachtung:
a) Qualifikationsfunktion von Schule:
- Schule vermittelt diejenigen Fertigkeiten und Kenntnisse, die für konkrete Arbeit erforderlich sind
- Voraussetzung: „Passung zwischen Bedarf des Beschäftgungssystems und schulischem Angebot“
b) Selektions- und Allokationsfunktion von Schule
- Es geht primär um die Verteilung von Lebenschancen im rahmen einer konkurrenzorientierten und nach
Gewinnmaximierung strebenden Wirtschafts- und Sozialordnung
c) Integrations- und Legitimationsfunktion von Schule
- Schulsysteme = Instrumente gesellschaftlicher Integration
- Schulen = der Ort, an dem Werte und Normen vermittelt werden, die die Reproduktion der politischen und
sozioökonomischen Verhältnisse erlauben → Internalisierung von Ordnungsstrukturen
d) Enkulturationsfunktion
- weniger technisch, vielmehr verstehensorientiert gedachte Funktionsbeschreibung
- Schule = nicht nur Einüben von Werten und Normen, auch verständigungsorientierte Befähigung zur
bewussten Teilhabe am Ganzen der Kultur → Auch Verstehen, dass Werte eine Geschichte haben!
2) Schule erzieht als Institution, nicht etwa eine einzelne Lehrkraft → akteurorientierte Betrachtung!
→ In Deutschland eher ein latentes Kampfverhältnis zwischen Lehrkräften und Schülern
→ Reflexion der verschiedenen Ebenen schulischen Handelns:
- Makroebene: Bildungspolitische Entscheidungen zu Bildungszielen (z.B. Lehr- und Bildungspläne)
- Mesoebene: Stellt Besonderheiten der Schule als „pädagogische Gemeinschaften“ dar
- Mikroebene: Ebene des konkreten Schulunterrichts
3) Geisteswissenschaftliche Erweiterung: Richtet Blick auf das inhaltliche des schulischen Bildungsprozesses
→ Welche Normen im Lehrplan, welche Zielperspektiven, was ist schulische Bildung in der Zukunft?
- Brüderlichkeitsethik des Christentums kommt auch in Schule zum Tragen
→ Gedanke der „community“ als Leitidee des Schullebens und der sozialen Orientierung
4) Zurücktreten religiös-kultureller Praxis führte zu Selbst- und Weltbeherrschung : „innerweltliche Askese“
→ Auch schulisches Leistungsprinzip geht mit der Entsagung von unmittelbaren Wünschen und Bedürfnissen
einher → auch Ausdruck innerweltlicher Askese
Fazit zu Fend:
Fend will mit seiner Schultheorie die theoretische Beschreibung und normative Gestaltung von Schule
zusammendenken
→ Schultheorie in praktischer Absicht!
Zusammenfassung
a) Schule funktional in einen gesellschaftsübergreifenden Zusammenhang eingepasst
- Parsons zeichnet mit Strukturfunktionalismus ein pädagogikkritisches Bild von Schule
- Das wirklich Pädagogische verschwindet (vgl. Bernfeld) weil Handlungen einzelner im Horizont des
institutionellen ganzen zu vernachlässigen sind: „Die Schule – als Institution – erzieht“
- Fend denkt eher naturwissenschaftlich
→ Übergreifende Wirkzusammenhänge unter Absehung des Individuellen und Besonderen feststellen
b) Pädagogisch-bildungsphilosophische Denkarten greifen mehr auf „Erziehung“ und „Bildung“ zurück
- Spranger beschreibt Schule als bewusst angelegten Kanal, um zeitgeistbedingte Einflüsse gesellschaftlicher
Strömungen direkt an den Heranwachsenden heranzubringen
→ Für ich sollte Schule aber nicht dieser Kanal sein, weil es dem Gedanken allgemeiner Bildung widerspricht!
c) Überschneidungen beider Theorieperspektiven gibt es auch
- Bei Adorno erscheint Bildung selbst als ambivalent: Schule führt zu dem, was sie eigentlich zu überwinden
versucht, nämlich zu inhumanen Anpassungsleistungen, „ja gar zur Barbarei“
➔ Theoriebildung/ „wissenschaftliche“ Theoriebildung geht stets mit weltanschaulichen Grundhaltungen
einher
➔ „Schultheorie ist eine multiperspektivische Betrachtung, die der Eigenart des unterschiedlichen
Phänomenbestandes, der für Schule konstitutiv ist, Rechnung trägt und zusammenhängend zur
Darstellung bringt“
➔ Schule ist eingebettet in überindividuelle gesellschaftliche Zusammenhänge, Wirkungsfelder und
Machtkonstellationen.
-Leere Rückseite zum Text „Schultheorie“-
Erziehung
Hinführung zum Erziehungsbegriff
- Sozialmachung (= Erziehung) und Sozialwerdung (=Sozialisation/Enkulturation)
- Erziehung ist intentional: Versuch, Werte, Normen und Ziele zu verwirklichen
Weshalb muss der Mensch erzogen werden?
- Mensch = instinktreduziertes Mängelwesen, physiologische Frühgeburt, sekundärer Nesthocker
➔ Wer soll erziehen? Wie soll man erziehen?
Erziehung ist mit Werten und Normen verbunden
- Werte: Oberste Prinzipien und Grundüberzeugungen mit verhaltenslenkender Wirkung (allg wünschenswert)
- Normen: Gesellschaftliche Verbindlichkeiten, konkrete Vorschriften für Verhalten (z.B. durch Gesetze sicher)
Kritik am Erziehungsbegriff
-
Erziehung ist im Vergleich zu Sozialisation und Enkulturation ein alltäglicher Begriff
Erziehung riecht nach Fremdbestimmung, nach Hierarchie, nach Autorität, nach Lohn, nach Strafe
Exemplarische Vorstellungen von Erziehung
1) Helmut Fend 1971: Erziehung als intentionaler Prozess des Einwirkens
- Unterscheidung nach Sozialwerdung (Enkulturation) und Sozialmachung (Erziehung)
➔ Erziehung = „absichtliche und planvolle Maßnahmen zielgerichteter Handlungen, durch die Erwachsene
in den Prozess des kindlichen Werdens einzugreifen versuchen, um (…)“ bestimmte Ziele zu erreichen
2) Brezinka 1974: Erziehung als Veränderung psychischer Dispositionen
➔ Erziehung = Soziale Handlungen, durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit anderer Menschen
in irgendeiner Hinsicht zu fördern
- Einseitige Interaktion! Der Heranwachsende wird beeinflusst, nicht der Erzieher
- Auch wenn es nur ein „Versuch“ ist, wird vorausgesetzt, dass der zu Erziehende quasi automatisch lernt
- In welche Richtung soll Erziehung laufen? Welche Ziele stecken dahinter?
- Erfolg der Erziehungsmaßnahme an psychische Dispositionen geknüpft → Auch Misserfolg?
➔ Die unterstellte Finalität des Erziehungshandelns trifft auf eine angenommene Mechanik der
Persönlichkeitsstrategie des zu Erziehenden
→ Wie sind Aspekte wie „freier Wille“, „Selbstverantwortung“ oder „Mündigkeit“ zu beurteilen?
3) Mollenhauer 1972: Erziehung als Rollenhandeln (soziologische Perspektive auf Erziehung)
- Rollenhandeln = Alles Handeln in sozialem Kontext, in dem Handelnde bestimmte Positionen einnehmen und
mithilfe gegenseitiger Verhaltenserwartungen interagieren.
➔ Erziehung sind danach die Prozesse zu nennen, in denen die Grundqualifikationen des Rollenhandelns
erworben, erlernt werden
- Der Erzieher hat mehr Macht als der Zögling, sein Handeln ist letztendlich gesellschaftlich legitimiert
- Auch der Zögling hat jedoch Interessen und Mach, evtl. „Verhandlungsstrategien“
➔ In diesem Modell gibt es Intentionen auf beiden Seiten! Der Erzieher reagiert auf Zögling
➔ Erziehung ist „symbolisch vermitteltes kommunikatives Handeln“
→ Weite Betrachtung des Erziehungsverhältnisses, geht weit über Annahme einseitiger Interaktion raus
4) Erziehung als symbolische Interaktion
- Erziehung als ein aufeinander bezogenes gegenseitiges soziales Handeln oder ein Prozess symbolischer
Interaktion zwischen mindestens zwei Personen, in welcher es um gegenseitige Aufhellung und Aufklärung
von Rollen, Positionen, Wertorientierungen, Normen, Intentionen und Legitimationen des sozialen Handelns
und des gesellschaftlichen und sozialen Feldes geht
➔ Erziehungsprozess nicht immer geschmeidig in Sozialisationsprozess eingefügt
➔ Zusammenhang zwischen Erziehung und Sozialisation wird emanzipatorisch verstanden
➔ Konkrete Erziehungssituationen auf der Mikroebene eingebettet in Sozialisation & Enkulturation
5) Weitere systematische Betrachtungen des Erziehungsbegriffs
- Erziehung als Ziehen, als Führung, als Regierung und Zucht, als Wachsenlassen, als Hilfe zur Selbsthilfe
- Modellvorstellungen der Erziehung: funktional-intentionale Erziehung, das pädagogische Verhältnis, …
Abschließende Überlegungen zu Erziehung (Kron 1991)
-
Unterscheidung zwischen Sozialmachung und Sozialwerdung; Erziehung ist intentional
Der Prozess der Erziehung ist damit eine soziale Interaktion, Beziehungen müssen „ausgelegt“ werden
Erziehung ist normativ und spielt sich in gesellschaftlichen Kontexten ab (->nicht Anpassung/Unterdrückung)
-
Hohe Bedeutung hat das richtige Verhältnis von „Führen“ und „Wachsenlassen“
Erziehung ist geprägt von Symbolen (z.B: Regeln, Mimik, Gestik, Sprache)
Bei Erziehungsprozessen geht es immer um Inhalte → Erziehung erweist sich als aufklärend
Erziehung findet innerhalb eines umfassenden historisch gewachsenen gesellschaftlichen Kontextes statt
Erziehungsstile
-
Lewin/Lippit/White (1939): autoritär – demokratisch – laissez-faire
Hurrelmann (1992): autoritär – autoritär-partizipativ – permissiv – vernachlässigend – überbehütet
Tausch/Tausch (1991): sozial-integrativ vs. autokratisch
Erziehung und Pädagogische Anthropologie
-
Anthropologie = Lehre vom Menschen; Wissen vom Menschen über sich selbst
Im Rahmen der pädagogischen Anthropologie geht es um den Menschen aus pädagogischer Sicht – um den
lernenden und zu erziehenden und sich entwickelnden Menschen → Bsp. der „wilden Kinder“, z.B. K. Hauser
Text: F. Kron: Grundwissen Pädagogik: 2.3 Erziehung
-
Erziehung läuft in Institutionen und Organisationen jedweder Art ab
➔ Auf kulturelle Werte und moralischen Wertorientierungen, Normen, Verhaltensweisen gegründet
Erziehung als symbolische Interaktion
-
-
-
-
Einheitsdefinition ist undenkbar
Sozialwerdung: Enkulturations- und Sozialisationsvorgang, dem der Heranwachsende stets ausgesetzt ist und
in dem er gesellschaftlich-kulturell handlungsfähig gemacht wird
Sozialmachung: Aspekte des Prozesses, in dem es um persönlichkeitsbildende und reflexive, dem
handelnden Individuum selbst bestimmte Lernvorgänge geht = Erziehung
„Als Erziehung werden absichtliche und planvolle Maßnahmen zielgerichteter Handlungen bezeichnet durch
die Erwachsene in den Prozess des kindlichen Werdens einzugreifen versuchen um Lernvorgänge zu
unterstützen oder in Gang zu bringen, die im Kind zu Denkpositionen und Verhaltensweisen führen, welche
von den Erwachsenen als wünschenswert angesehen werden“ (Fend 1971)
„Als Erziehung werden Handlungen bezeichnet, durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit anderer
Menschen in irgendeiner Hinsicht zu fördern (Brezinka 1974)
➔ Interaktion zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden; nur der Heranwachsende ist zu „erziehen“
Erziehungsziele/-inhalte/ Rolle des Erziehers bleiben weitgehend unreflektiert
Erziehung im Kontext des Rollenhandelns sind die Prozesse, in denen die Grundqualifikationen des
Rollenhandelns erlernt werden (Mollenhauer 1972)
➔ Erziehung als symbolische Interaktion der Handelnden oder als symbolisch vermitteltes kommunikatives
Handeln (Mollenhauer 1972)
Unter kritisch phänomenologischer Betrachtung: Erziehung = Prozess symbolischer Interaktion zwischen
mindestens zwei Personen – meist einer älteren wissenderen/kompetenteren und einer jüngeren
unwissenderen – in dem es um gegenseitige Aufhellung und Aufklärung von Wertorientierungen geht.
Schlussfolgerungen
1) Auf Forschungsebene hat enge Auffassung von Erziehung den Vorteil, dass Prozess auf der mikro-sozialen
Ebene untersucht werden können
2) In anthropologischer Hinsicht wird unterstellt, dass nicht nur der Erzieher, sondern auch der zu Erziehende
Intentionen hat → Bedürfnisse und Interessen annehmen, aufnehmen und zur Geltung bringen
3) Unterschiedliche Sinninterpretationen von Normen und kulturellen Werten und die entstehenden sachlichen
Problemsituationen und Konflikte können Anlass von Erziehung werden
4) Erziehung gehört zum „höchsten Gut“ (Platon), das eine Gesellschaft produziert
5) Die erzieherisch relevanten sozialen Beziehungen unterliegen somit einer Dynamik, die von allen Beteiligten
nicht unterdrückt, sondern erwartungsvoll ausgelegt werden sollte.
6) Erziehung als symbolische Interaktion wird „symbolisch“ vermittelt → z.B. Sprache und Handlungen
7) Bei Erziehung geht es stehts um Inhalte
→ können als soziale Normen in Sozialisationsprozess oder als kulturelle Inhalte verstanden werden
Bildung
Der Bildungsbegriff – weshalb eigentlich?
-
Normproblem der Erziehung (und auch der Didaktik)
➔ Gibt es eine übergeordnete Norm, an der sich Lehrerhandeln als angemessen/unangemessen beurteilen
lassen kann?
➔ Zur Klärung dieses Normproblems soll der Bildungsbegriff beitragen
→ Jeder Bildungsbegriff ist normativ aufgeladen und verweist auf Entscheidungen, die begründet
werden müssen
Bildungsbegriff – Vorerklärungen: Entstehung (Kron 1991)
-
Theologischer Hintergrund: 1) sich höher bilden; 2) Individuelle Gestalt und Formgewinnung
Transformation durch Aufklärung im 18. Jahrhundert: Säkularisierung, Autonomie
Ab 18. Jahrhundert spielt der Bildungsbegriff in pädagogischer Diskussion eine wichtige Rolle
Kant (1784): Aufklärung = Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit (…)
Bildungstheoretische Ansätze
a) Wilhelm von Humboldt (1767-1835): Aufbau eines Staates& humanistisch aufgeklärter Gesellschaft
1) Bildung des Subjekts:
- Das Individuum kann sich mit „Welt“ auseinandersetzen und entwickelt diese
- Das Individuum kann vernünftig, moralisch und verantwortungsvoll handeln, gestaltet die Welt
- Gestaltung erfolgt durch Bewertung → Bedeutung verleihen und in Zusammenhänge einordnen
- Vor dem Handeln steht das Begründen → plausibel darlegen, transparent machen
→ So bringt jeder „seine“ Bildung hervor und setzt sie in verantwortliches Handeln um
2) Aufbau eines Lehrplans und Schulwesens bis zu Universität
3) Bedeutung der Wissenschaft für Bildung und Entwicklung der Gesellschaft
b) Wolfgang Klafki (*1927): Setzt bei Humboldt an und entwickelt dessen Bildungsbegriff weiter
- Geisteswissenschaftliche Perspektive und bildungstheoretische Didaktik
- Entwicklung: „Kategoriale Bildung“, Integration der konkurrierenden Ansätze materiale & formale Bildung
➔ Kategoriale Bildung: Grundlegende Bildung; es werden im Menschen Kategorien erzeugt mithilfe derer
der Mensch sein Verhältnis zu sich selbst, der Welt und sein Verhältnis zur Welt interpretieren und
Handeln begründen kann
- Betonung der Inhaltsdiskussion! Was soll gelernt werden?
- gesellschaftskritischer und politischer Bildungsbegriff
- Innerhalb bildungstheoretischen Didaktik: Didaktische Analyse hat zum Ziel, den Bildungsgehalt aus dem
Bildungsinhalt herauszuarbeiten
- Klafki 1995: Epochaltypische Schlüsselprobleme (z.B: Friedensfrage, Umweltproblem, …)
- Weiterentwicklung des Konzepts der Allgemeinbildung: Bildungsfragen sind Gesellschaftsfragen!
→ Bildung muss drei Grundfähigkeiten beinhalten:
→ Fähigkeit zu Selbstbestimmung, zu Mitbestimmung, zu Solidarität
→ Bildung muss Allgemeinbildung im dreifachen Sinne sein:
→ Bildung für alle, im Medium des Allgemeinen, in allen Grunddimensionen menschl. Interessen
➔ Allen alles umfassend lehren (vgl. Johann Amos Comenius)
c) Adorno (1903-1996): Gesellschaftskritische Perspektive „Frankfurter Schule“
- Grundlage: Gesellschaft ist arbeitsteilig und daher parzelliert – in allen Bereichen
→ Entfaltung aller Kräfte des Menschen zu einem Ganzen nicht mehr möglich
→ Mensch ist aber prinzipiell bildungsfähig, es ist ein neuer Bildungsbegriff notwendig:
- Verhältnis von Bildung zu den Bedingungen (sozial, ökonom., kulturell) der Gesellschaft: „negative Dialektik“
→ Negativ weil gesamtgesellschaftliche Bedingungen verhindern neue Form der Allgemeinbildung
→ Folgen sind negativ: „Halbbildung“ (Adorno)
→ Ansatz hat nur eine Chance über die „Negierung des Negativen“ (Vorwegnahme eines besseren Lebens
unter anderen Bedingungen. Diese Vorwegnahme kann in Ansätzen gelingen, z.B. im schulischen Unterricht)
Fazit: Zusammenfassung
-
Bildungsbegriff kann als Metadiskussion angesehen werden: Hinterfragen aller pädagogisch relevanten
Prozesse
Gefahr der Halbwahrheiten; Durchsetzen von Interessen mit Mitteln der Gewalt
-
Permanente Herausforderung an das Individuum, sich kritisch-konstruktiv am Leben zu beteiligen
Gefahr des Scheiterns: Gefahr, sich nicht aktiv beteiligen zu können
Bildung = Chance, Gesellschaft in Richtung „Humanität“ voranzubringen
Erziehung ist ohne den Gedanken von Bildung kaum möglich
Text: F. Kron: Grundwissen Pädagogik: 2.6 Bildung
Der Begriff Bildung
-
Kann als heuristischer Begriff angesehen werden
➔ Ein Medium, den Forschungs- und Diskussionsprozess auf den verschiedensten Ebenen immer wieder
mit dem Ziel zu entfachen, neue Tatsachen, Zusammenhänge, Gedankengänge und Ideen zu entdecken
Bildung als Selbstreflexion und Gesellschaftskritik
a) Wilhelm von Humboldt
- Bildungsprozess zwar als ein intrapersonaler Vorgang begreifbar, hat aber weitreichende Auswirkungen auf
die mikro- und makro-sozialen Prozesse
- Der einzelne Mensch bringt daher „seine“ Bildung hervor und setzt sie in gesellschaftliches Handeln um
b) Wolfgang Klafki
- Verlagert Schwerpunkt vom Anspruch für das Ganze der Gesellschaft auf deren Teilbereiche
- Weist auf Allgemeingültigkeit der Reflexivität des Bildungsprozesses hin
- Bildungsprozess stellt Menschen einerseits in seine Erschlossenheit für die kulturelle Welt, andererseits in
das Erschlossensein durch die Wirklichkeit selbst, in welcher der Mensch schon immer agiert
➔ Klafki nennt diesen Prozess auch „kategorial“
➔ Kategoriale Bildung bedeutet grundlegende Bildung
c) Adorno: Stellt gesellschaftlich-geschichtlicher und politischer Zusammenhang der Bildung heraus
➔ Bildungsbegriff wird „kritisch“, also gesellschafts- und systemkritisch
- Greift auf Humboldts Bildungsauffassung zurück, übernimmt aber Gedanken der kritischen
Gesellschaftstheorie!
- Lässt „kategoriale Bildung“ nicht fallen, erweitert diese um Dimension der gesamtgesellschaftlichen
Verantwortung des lernenden und sich bildenden Menschen
- In neuen Lehr- und Lernprozessen können Schüler zukunftseröffnende Grundfähigkeiten erwerben:
1) Kritikfähigkeit, einschließlich Fähigkeit zur Selbstkritik
2) Argumentationsfähigkeit
3) Empathie im Sinne der Fähigkeit, eine Situation, ein Problem aus Lage der jeweils Betroffenen zu sehen
➔ Kritisch-konstruktive Bildung
! Adorno interpretiert die gegenwärtige Gesellschaft in allen Bereichen als arbeitsteilig→ parzelliert!
→ Der Mensch und sein Bildungsprozess sind instrumentalisiert
d) Horkheimer (1981) thematisiert die Trennung von allgemeiner und besonderer Bildung
- Bildung unterliegt einer geschichtlich-gesellschaftlich bedingten Dialektik, in der sie sich ins Esoterische
verlieren oder in die Herrschaft jener umschlagen kann, die aufgrund mangelnder Chance nicht an Bildung
teilhaben können
- „Bildung, im Sinne von Gewerkschaften, gründet im Verständnis der Gesellschaft, in der Erkenntnis der eigenen
Möglichkeiten und des richtigen Ziels“ (Horkheimer 1962)
- „Mit jedem Menschen, der ihr zum Gegenstand wird, ist Bildung auf Zukunft gerichtet“ (Heydorn 1972)
Schlussfolgerungen
1) Bildungsdiskussion kann als Metadiskussion angesehen werden, in ihr geht es um die Hinterfragung und InFrage-Stellung aller pädagogisch relevanten Prozesse, Begriffe, Forschungen und Lehren
2) Enkulturations-, Sozialisationsprozesse, Erziehung und soziales Lernen – egal ob funktional oder kritisch
wirksam - bedürfen der „Überholung“ durch das Individuum selbst
3) Möglichkeit des Scheiterns → Existenzielle Problematik des Bildungsprozesses
4) Bildungsprozesse unterliegen der Geschichtlichkeit und der Freiheit des Menschen
→ „kritisch“, weil sie zu Widerspruch und Infragestellung an sich selbst und der Welt führen
5) Bildung relativiert alle Prozesse im Denken und Handeln, macht die Dialektik des wahren menschlichen
Daseins aus
Sozialisation
Begriffserklärungen
-
Enkulturation: Erwerb kultureller Basisfähigkeiten
Sozialisation: Sozial werden
Erziehung: Sozial machen
Individuation: Einzigartiges Individuum werden
Sozialisation: Instanzen und Phasen
-
Primäre Sozialisationsinstanz: Familie
Sekundäre Sozialisationsinstanz: Schule, Peergroup
Tertiäre Sozialisationsinstanz: Beruf
Phasen der Sozialisation: Säugling (0-1J) → frühe Kindheit (2-4J) → Kindheit (5-12J) → Jugend (13-?J) →
Erwachsenenalter (?-65J) → Alter (65-?J)
➔ Idealtypische Phasenbildung
➔ Jugendphase ausdifferenziert und verlängert
Sozialisation: Struktur der Sozialisationsbedingungen (nach Tillmann 1994)
1)
2)
3)
4)
Subjekt → Einstellungen, Erfahrungen, Werte, Fähigkeiten
Interaktionen/Tätigkeiten → Unterricht, Kommunikation, Eltern-Kind-Beziehung
Institutionen → Betriebe, Massenmedien, Kirchen, Schule
Gesamtgesellschaft → ökonomische, soziale und politische Struktur
Begriff Sozialisation – grundlegende Perspektiven (nach F. Kron 2009)
1) Ein Individuum wird im Prozess der Sozialisation handlungsfähig, dieser Prozess ist zwangsläufig und ohne
Intervention des Individuums → deshalb „Vergesellschaftung“ oder „Anpassungsprozess“ genannt. Inhalte
des Lernprozesses sind gesellschaftlich festgelegt und für Individuen verbindlich!
2) Vergesellschaftungsprozess wird als dynamischer Prozess verstanden, sodass das Individuum Chancen hat,
sich mit den gesellschaftlichen Einflüssen/Angeboten auseinanderzusetzen. Außerdem Chance zur aktiven
Übernahme der vorgegebenen rollen, Werten und deren Interpretation → Chance zur Personalisation
3) Sozialisation als lebenslanger, gesellschaftlicher und individueller Entwicklungsprozess, entsprechend
möglichen Leistungen des I. wird von primären, sekundären und tertiären Sozialisationsphasen gesprochen
Der Begriff Enkulturation
-
„Das Lernen der Kultur ist der eigentümliche und ganze Gegenstand der Pädagogik, zu dessen Bezeichnung
wir von der Kulturanthropologie den Terminus Enkulturation übernehmen“
➔ Beispiel Sprechen: Im Prozess der Enkulturation lernt ein Kind die Flexion der Wörter und den Satzbau; im
Prozess der Sozialisierung lernt ein Kind, die Sprache in Übereinstimmung mit Normen zu gebrauchen
Begriff Sozialisation: Sozialisation ist der Prozess…
-
-
der Entstehung und Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit in Auseinandersetzung mit
Lebensbedingungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der historischen Entwicklung einer Gesellschaft
existieren.
in dessen Verlauf der Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit gebildet wird, die sich über
den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt.
Persönlichkeit nach Hurrelmann
-
„Das einem Menschen spezifische organisierte Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und
Handlungskompetenzen“
Grundlegend: Mensch als aktives Subjekt; keine einseitige Betrachtung Anlage vs. Umwelt!
Theorien der Sozialisation
1)
-
Ökologie der menschlichen Entwicklung (Bronfenbrenner)
Komplexes Wechselspiel zwischen Menschen und folgender Systeme sehr bedeutsam:
Mikrosystem: Muster an Tätigkeiten/Rollen in unmittelbarem Umfeld des Kindes → Verhältnis Mutter-Kind
Mesosystem: Wechselbeziehungen zwischen Lebensbereichen, an denen sich das Kind aktiv beteiligt
→ Beziehung zwischen Elternhaus/Schule
Exosystem: Ein oder mehrere Lebensbereiche, an denen das Kind nicht aktiv beteiligt ist, die aber Einfluss
auf dessen Lebensbereich haben → z.B. Arbeitsplatz der Eltern
Makrosystem: Gesamtheit aller Beziehungen → Normen, Politik, Gesetze
Chronosystem: Zeitliche Dimension und Zeitpunkte der Entwicklung → z.B. Schuleintritt
2) Sozialisation aus struktur-funktionalistischer Sicht
- Ursprung u.a. bei Soziologe Talcott Parson
- Vier hierarchisch angeordnete Systeme:
1) Soziales System, 2) kulturelles System, 3) Persönlichkeitssystem, 4) System des Organismus
- Jeweils Vermittlung zwischen diesen Systemem, z.B. zwischen 1 und 3 durch Sozialisation
- Sozialisation = Bedürfnisse der Person in Einklang bringen mit Normen des sozialen Systems
- Soziale Rolle = Set an normativen Verhaltenserwartungen, an denen sich eine Person orientiert
➔ Sozialisation ist der Erwerb von Orientierungen, die für das Rollenhandeln und damit für soziale Interaktion
erforderlich sind!
3)
-
Sozialisation aus Sicht des symbolischen Interaktionismus
Ursprung u.a. bei George Herbert Mead
Fokus auf interpretative Dimension des Rollenhandelns
Persönlichkeit entsteht aus dem Zusammenspiel dreier Größen:
- I: Psychische Komponente, die Spontaneität, Kreativität, Antriebsüberschuss beinhaltet
- Me: Soziale Komponente, die die Vorstellung von dem Bild meint, was andere von mir haben
- Self: Produkt zweier Größen: Des i und des Me
- Blumer 1973: Prämissen des symbolischen Interaktionismsus:
- Bedeutung durch soziale Interaktion Bedeutung wird durch Interpretation verändert
➔ Ansatz fokussiert auf Mikroprozesse einzelner Interaktionen
➔ Kritik: z.B. Vernachlässigung des Makrosystems
4) Sozialisation aus Sicht des historischen Materialismus (Habitualisierung)
- Ursprung u.a. bei Marl Marx, Friedrich Engels, Fortführung durch Pierre Bourdieu
- Bourdieu: Wichtig ist kulturelles Kapital (verinnerlichter Zustand, objektivierter Zustand in Form
symbolischer Güter, institutionalisierter Zustand)
- Der Besitz an Kapitalien gibt Auskunft über die Position des Akteurs im sozialen Raum
- Sozialisation als Habitualisierung: Handeln und Lebensstil der Akteure sind von der jeweiligen Position im
sozialen Raum abhängig
Felder der Sozialisation: Die Individualisierungsthese
➔
➔
➔
Biografie des Menschen wird aus vorgegebenen traditionellen Fixierungen herausgelöst
Entscheidungen werden in die Hand des Individuums gelegt
Zugewinn an Optionen, Verlust von Sicherheiten, Normen und Werten
Das Individuum wird zum alleinigen Akteur seiner Existenz: „Bastelbiographie“
Aufwachsen von Kindern heute
1) Familiale Kindheit: Familie im Wandel, veränderte Generationenbeziehungen
2) Schulesche Kindheit: Widersprüchlichkeit der Schule, Widersprüchlichkeit zwischen Kinderkultur und
Schulkultur, Widersprüchlichkeit zwischen familialer und schulischer Sozialisation
3) Bewegte Kindheit: Mangel an körperlich-sinnlicher Erfahrung, Transport-Verkehr-Überbrückung von Räumen
4) Mediale Kindheit: Fernsehen, Internet
5) Kulturelle Kindheit: Kultur für Kinder (von Erwachsenen), Kultur der Kinder (selbst geschaffen, z.B. Rituale)
6) Riskante Kindheit: Krisen und Kosten der Risikogesellschaft Armut, riskante Soziallagen
7) Bleibende Kindheit: Kritik an Pauschalisierungen wie „Ende der Kindheit“ oder Aufhebung der
Generationenverhältnisse, gegenseitiges Vorleben von Achtung und Vertrauen (Hurrelmann)
Primäre Sozialisationsinstanz: Die Familie
- Merkmale: - biologische-soziale Doppelnatur (Reproduktions- und Sozialisationsfunktion)
- Kooperations- und Solidaritätsverhältnis
- Generationendifferenz
- Beurkundung
➔
➔
➔
Familie übernimmt wesentliche Funktionen zur Erhaltung des Gesamtsystems der Gesellschaft
Internalisierung notwendiger Rollen (Parsons!)
Funktionen: Sozialisation, Reproduktion, Bedürfnisbefriedigung, Regenerationsfunktion
Kritik: Frankfurter Schule: Herrschaftsstabilisierende Funktion, „Autorität und Familie“
Pluralität der Familienformen
a)
b)
c)
d)
e)
f)
g)
Normale Kernfamilie: Traditionelle Vater-Mutter-Kind-Beziehung
Familie als normatives Ideal: Alleinstehende mit Orientierung an einem normativen Familienideal
Kinderlose Paarbeziehung: unfreiwillig oder aufgrund eigener Entscheidung kinderlose Paare
Nichteheliche Beziehung mit Kindern: Moderne Doppelverdiener-Familie mit Kindern
Postmoderne Ehebeziehung ohne Kinder: Auf Berufskarriere und Partnerschaft bezogene Ehe ohne Kinder
Nichteheliche Elternschaft ohne Orientierung an einer Idealnorm: Wohngemeinschaften mit Kindern
Verheiratete Paare mit Kindern ohne normatives Ideal: alternativ orientierte verheiratete Eltern
Text: Hans-Christoph Koller: Sozialisation als pädagogischer Grundbegriff
Zum Begriff der Sozialisation
-
Prozess des „Mitgliedwerdens“ in einer Gesellschaft/ einer sozialen Gruppe
Fend grenzt ab zwischen Sozialwerdung (Sozialisierung) und Sozialmachung (Erziehung)
„Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in Abhängigkeit von/ in Auseinandersetzung mit
den sozialen und dinglich-materiellen Lebensbedingungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt existieren“
Ausgewählte Sozialisationstheorien
- 1828: Sozialisation = to render social, to make fit for living in society
1) Durkheim 1902:
- Erziehung muss sowohl Zusammenhalt der Gesellschaft und Sicherung notwendiger Vielfalt bewirken
→ Methodische Sozialisierung nach Durkheim (=bewusst geplante Form der Sozialisierung)
- Notwendigkeit: a) Vielfalt der Gesellschaft muss für zukünftige Generation gesichert werden
b) Mensch als egoistisches asoziales Wesen geboren
2) Psychoanalyse nach Sigmund Freud
- Phänomene (Träume, Fehlleistungen) sind sinnhafte psychische Gebilde, denen ein Konflikt zugrunde liegt
- Ausbildung einer psychischen Instanz durch Verinnerlichung sozialer Normen (Vorbildfunktion Papa z.B.)
3) Behavioristische Lerntheorien
- Konzept des operanten Konditionierens (Skinner): These: Auftretungswahrscheinlichkeit eines bestimmten
Verhaltens erhöht sich, wenn diesem Verhalten eine Verstärkung folgt!
- Bandura (1976): Lernen am Modell beruht auf a) Beobachtungseffekte, b) Hemmungs- bzw.
Enthemmungseffekten und c) Auslösungseffekten
- Behavioristische Lerntheorien versuchen zu erklären, dass äußere Ereignisse relativ dauerhafte
Verhaltensänderungen eines Individuums zur Folge haben können
- Kritik: Von diesen Lerntheorien erfasster Ausschnitt ist zu klein für sozialisationstheoretischem Anliegen
4) Kognitive Entwicklungspsychologie (Jean Piaget)
- Kognitive Leistungen dienen zur Anpassung des Organismus an die Umwelt (Adaptation)
- Entscheidend ist Verhältnis von Inhalten (Wissen) und kognitiven Strukturen (Denkoperationen)
-
-
Entwicklung dieser Strukturen erfolgt in vier aufeinanderfolgenden entwicklungspsychologischen Stufen:
a) Sensomotorische Stufe (1-2J) – b) Präoperationale Stufe (2-7J) – c) konkret-operationale Phase (7-12J) –
d) Stufe der formalen Operationen (ab 12J)
Weist reifungstheoretische und milieudeterministische Positionen zurück und formuliert neuen Ansatz
Stattdessen: Organismus hat Tendenz zur Äquilibration = Aufrechterhaltung, bzw. Wiederherstellung eines
Gleichgewichts innerhalb der kognitiven Strukturen und in deren Verhältnis zur Außenwelt
Betont Eigensinn der kognitiven Entwicklung des Menschen, auch soziale Beziehungen
Kritik: Sein Subjektbegriff hindert, die Persönlichkeitsentwicklung in ganzer Tragweite zu erfassen
5) Strukturfunktionalismus (Talcott Parsons)
- Fokus auf Verständnis der Gesamtgesellschaft = soziales System (Analogie zum menschlichen Körper)
- Struktur: Anordnung bestimmter Bestandteile; Funktion: Gesamtsystem erhalten
➔ Wie gelingt es Gesellschaftssysteme, sich selbst in ihrer Ordnung zu reproduzieren?
- Rollenhandeln trägt zur Stabilität des Gesamtsystems bei → Einzelner richtet sich nach Gruppe
➔ Sozialisation = Erwerb der für erfolgreiches Rollenhandeln erforderlichen Orientierungen
➔ Ziel von Sozialisation: Gesellschaftliche Konformität zum subjektiven Bedürfnis werden lassen
➔ Sozialisation = Erwerb der grundlegenden Wertorientierungen, die in einer Gesellschaft Voraussetzung
für erfolgreiches Rollenhandeln bilden
- Kritik: Prozess des Mitgliedwerdens einseitig als Ausrichtung der Persönlichkeitsentwicklung an den
Erfordernissen der Erhaltung des Gesellschaftssystems
6) Symbolischer Interaktionismus (George Herbert Mead)
- Wie stimmen Menschen ihre Handlungen wechselseitig aufeinander ab?
➔ Menschliche Sprache als eigenes Symbolsystem Voraussetzung für soziales Handeln (vgl. Überschrift)
- Sozialisation = Erwerb der Fähigkeit, Haltungen anderer zu übernehmen und eigenes darauf abstimmen
- Entwicklung der Fähigkeit zu Perspektivenübernahme erfolgt in mehreren Stadien:
Erstes Stadium: Kindl. Nachahmungssiel (play), später dann b) Wettkampfspiel (game)
➔ Antriebskraft: Wunsch nach sozialer Zustimmung
- Im Zentrum seiner Sozialisationstheorie steht Entstehung des Selbst
➔ Entscheidend ist Zusammenspiel des I (spontanes Handeln) und Me (übernommene Haltungen)
7)
-
Sozialisation als Habitualisierung (Pierre Bourdieu)
Priorität hat Kulturelles Kapital (Resultat aller Investitionen, um Kenntnisse/Fähigkeiten zu erwerben)
Familiäre Sozialisation als Übertragung kulturellen Kapitals
Inkorporiertes kulturelles Kapital wird einverleibt (Fähigkeiten, die als Ressource dienen)
Bourdieu: Wie kommt die Reproduktion der ungleichen Verteilung von Kapital zustande?
Habitus = Vermittlungsglied zwischen objektiven gesellschaftlichen Bedingungen und subjektivem Handeln
Kritische Perspektive auf Sozialisationsgeschehen, betrachtet nicht nur Mikrostruktur individueller
Interaktionen (vgl. Mead), sondern auch die gesellschaftlichen Makrostrukturen
8) Selbstsozialisation (Jürgen Zinnecker 2000)
- Selbstsozialisation = Eigenanteil, den eine Person zu ihrer Sozialisation leistet
- Personen nicht Bestandteil sozialer Systeme, sondern nach eigener Logik funktionierende Systeme
➔ Sozialisation auf Seite der Person verortet, Erziehungsbegriff rückt auf Seite des sozialen Systems
- Sozialisation = Interaktives Geschehen, an dem sowohl gesellschaftliche Instanzen als auch Heranwachsende
selbst beteiligt sind
- Kritik: „Selbstsozialisation“ suggeriert Unabhängigkeit der Heranwachsenden von äußeren Bedingungen!?!
Die Bedeutung der Sozialisationstheorie für die Pädagogik
-
Bezieht weitere Faktoren der Subjekt-Umwelt-Interaktion hinsichtlich pädagogischer Reflexionen mit ein
Sozialisationstheorie als kritisches Korrektiv gegenüber pädagogischer Handlung, die naiv-optimistisch auf
die Veränderbarkeit individueller und gesellschaftlicher Strukturen durch Erziehung setzt
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