Herr und Knecht bei Hegel. Bemerkungen zu einer mißverstandenen Dialektik Author(s): Henning Ottmann Source: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 35, H. 3/4, Zum 150. Todestag von Georg Friedrich Wilhelm Hegel (Jul. - Dec., 1981), pp. 365-384 Published by: Vittorio Klostermann GmbH Stable URL: http://www.jstor.org/stable/20483142 Accessed: 21-02-2016 23:29 UTC Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/page/ info/about/policies/terms.jsp JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. 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Marx selbsthatmit dem Verwechselspielbegonnen, als erHegels Phanomenologie zurEmanzipationsgeschichteder sichdurchArbeit selbst erzeugendenMenschengattung umkehrte1; seine Schiulersind ihm darin gefolgt- insbesondereals vor nunmehr fiinfzig Jahren die Okonomisch PhilosophischenManuskripte ver6ffentlichtwurden. Bei Lukacsfindet sich expressisverbis,was sonst als stillschweigendeVoraussetzungdes neomarxi stischenRollentauschesgilt, daflman die Phanomenologie alsHegels Pari serManuskripte zu lesen habe2. Hand inHand mit dieserVernutzung ffir die Zwecke dermaterialisti schenGeschichtsauffassunggeht bis heute die maglose Oberschitzung der Dialektik vonHerrschaftund Knechtschaft,was ihreBedeutung fuirHegels Phaxnomenologieund seine Philosophie ausmacht. Kojeves so einfluflreiche Interpretationbietet dafur das beste Beispiel3. Nach Kojeve handelt es sich bei derDialektik vonHerrschaftund Knecht schaft namlich nicht um eine Episode in der Geschichte des Geistes. Hier soll vielmehr dasZentrum der Phanomenologie,wenn nicht sogarder gan zenHegelschen Philosophie zu lokalisierensein.Der Kampf um Anerken nung ist der die ganze Geschichte bestimmendeKampf der Klassen, und was zwischen ,,Herrschaftund Knechtschaft" und Hegels Epoche liegt, das 1 in: Marx-Engels-Werke. Er (1844), Manuskripte Stelle; ?Das gro?e der 1973, 568 ff. Dort die vielzitierte .ist also einmal, da? Hegel die Sclbstcrzcugung des Men Hegeischen,Ph?nomenologie'.. als Ent schen als einen Proze? fa?t, die Vergegenst?ndlichung als Entgegenst?ndlichung, er und als da? Wesen Arbeit dieser also das der fa?t Aufhebung ?u?erung Ent?u?erung; K. Marx, ?konomisch-Philosophische Erster Teil, Berlin g?nzungsband. und den gegenst?ndlichen als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift" Menschen... (574). von Dialektik Z?rich und ?konomie, Luk?cs, Der junge Hegel. ?ber die Beziehung Wien 1948, 22. 3 A. Koj?vc, Hegel. I. Fctscher (Hrsg.), Frankfurt Eine Vergegenw?rtigung seines Denkens, a. M. 1975. 2 G. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions 366 HENNINGOTTMANN sind die ideologischenund materiellen Kaimpfeum Anerkennung, die erst im ,,Weltstaat" Napoleons wie in Hegels Philosophie an ihr Ende kommen4.Was Kojeve in seinenVorlesungen der dreifligerJahre vortrug, war einHegel, der das existentialistischeLebensgefUihlderZeitmit den Be diurfnisseneines nach Aufbesserung seinerprimitivenAnthropologie duir stendenMarxismus geschickt verband. EntfremdeteArbeit und Befreiung - das schien schonbei He desKnechts, Klassenkampf und Ideologiekritik gel vorgedacht zu sein; eine Anthropologie, die den Menschen nicht zum ,,arbeitendenTier" verprimitivisiert, sondern als ein nach Anerkennung begieriges Wesen begriff - das war ein Hegel, bei dem der Marxismus noch in die Schule gehen konnte. Und wahrend sichdiemarxistischePhilo sophie bis dato eine Analyse existentiellerThemen wie Furcht und Sorge, Zeitlichkeit und Tod ersparthatte, weil die Feier vonGattung und Arbeit, von Produktivkraftenund prometheischerSch6pferkraftdie Bedingungen endlichen Existierensvergessen liefl, so schienHegel auch diese Seite des Daseins nicht ausgeklammertzu haben- welch ein Segen ffir einenMar xismus, dessen ,,anthropologischeUnterernahrung" (Bloch)uniibersehbar gewordenwar! Nun hat jede philosophische Str6mung den Hegel, den sie verdient. Welche Deutung ist vom Zeitgeist schon frei?Und welche Philosophie kann sich von der Schuld exkulpieren,Hegel fur ihreZwecke aktualisiert, oderwenn nicht aktualisiert,dann aber doch zum ,,KlassikervomDienst" entrUickt und damit eben auch vereinnahmt zu haben? Aber gerade die marxistischen Auslegungen von ,,Herrschaftund Knechtschaft" haben doch zu einer solchenUJberformung,UCberdimensionierungund ,,Verge genwiirtigung" gefuihrt,daf3es allmahlich schwieriggeworden ist, den von Hegel gemeinten Sinn iuberhauptnoch zu entdecken.KeinWunder, wenn Kojeve denken wollte, was Stalin denken sollte, aber in seinem Primitiv Histomat nicht denken konnte5; keinWunder auch, dalI sich fiurmanche Kojeve dachte, was er gar nicht wuilte: den Faschismus6.Der kriegerische Herr, der den Knecht zurArbeit zwingt, Kampf und Todesmut sind dann zu faschistoidenElementen einerDialektik geworden, die einmal alsMu sterbeispieleiner EmanzipationsgeschichtederGattung galt. 4 zu kritisieren. nicht mehr n?tig, Koj?ves Deutung im einzelnen Es sei verwie sen auf R. K. Maurer, Hegel und das Ende der Geschichte, Stuttgart 1965, 149 ff.; H. Ott Individuum und Gemeinschaft im Spiegel der Interpre bei Hegel. Band I. Hegel mann, tationen, Berlin 1977, 93-99. 5 von I. Fetscher hat Koj?ve sich ? Nach einer Mitteilung analog zum angeblichen Napole ? on begreifenden als ?den Stalin begreifenden I. Fet verstanden, Hegel Philosophen"' a. a. O. 12. scher, in: Koj?ve, Hegel, 6 a. a. O. 8 ff., 11) zuerst bei franz?sischen Dieser nach Fetscher (in: Koj?ve, Hegel, Kom munisten und dann von DDR-Philosophen wie M. Buhr ?bernommene aufgekommene Es ist wohl Vorwurf an die Adresse des R?sistance-Mitglieds (!) Koj?ve taucht leider auch in dem This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions an HERR UND KNECHT BEI HEGEL 367 Mit dem Hegelschen Text haben solche sich potenzierenden Mifver standnisseallerdingsnichts gemein. Man okkupierteHegel fur die Zwecke desMaterialismus, ffir die anthropologischeAufbesserung desMarxismus oder fuirdie Distanzierung von dieser und hatte doch den Kontakt zum Text schon lange verloren.Der grofe Erfolg dieserMifiverstiindnissehatte allerdings nicht eintreten konnen, wenn es der Hegelforschung gelungen wiire, den von Hegel gemeinten Sinn von ,,Herrschaftund Knechtschaft" unmilverstandlich zu klaren. Bis vor kurzem hat man sich nicht die Muhe gemacht, den Text der Phanomenologie zu denjenenser Schriften inBezie hung zu setzen, die verschiedeneVersionen von ,,Herrschaftund Knecht schaft" enthalten7.Und bis heute hat meines Wissens niemand die Nach geschichte der phanomenologischenDialektik untersucht, alle jene in der Niirnberger Propadeutik, in den Enzyklopadien, der Rechtsphilosophie, denVorlesungen zurRechtsphilosophie oder der Philosophie derGeschich te verstreutenBemerkungen, in denen Hegel ,,Herrschaftund Knecht schaft" entweder erlautertoder alsTeil des ,,subjektivenGeistes" darstellt. Kennzeichnend ist vielmehr die Unsicherheit, die schon bei der histori schen Einordnung beginnt. So legt GadamerWert auf die Feststellung, Hegel gebe ,,nicht eine Urgeschichte der Entstehung von ,Herrschaft'", sonderneine ,,,idealtypische'Konstruktion", und er bietet an historischen Illustrationenden ,,Sklaven"derAntike, das ,,Duell" feudalerZeiten so wie ,,den leibeigenen Bauern und Handwerker" auf'. Nach Hans Mayer verrat schon die Terminologie von ,,Herrschaft"und ,,Knechtschaft"die ,,Situationdes blrgerlichen Protestesgegen feudaleZustande"9.Und nach IringFetscherhatHegel ,,Herrschaftund Knechtschaft" ,,historischhochst ungenau verortet"; 1803/04 sprecheHegel vomKnecht als ,,Sklaven";der Knecht der Phanomenologie abermeine den ,,Birger": ,,den sich allmah lich von feudalerBevormundung emanzipierendenHandwerker, Bauern und Kaufmann''10. sonsten Vorwort von H. F. Fulda und D. Henrich wieder auf: H. F. Fulda/D. zur ,Ph?nomenologie des Geistes', Frankfurt a. M. 1973, 27. (Hrsg.), Materialien Hinter diesem Vorwurf verbirgt sich m. E. ein innermarxistischer Streit, der Widerstand der Orthodoxen des marxistischen ?konomis gegen eine anthropologische Erweiterung sch?nen Henrich mus. Die nationalsozialistischen schaft und Knechtschaft" 7 nicht Hegelianer berufen. haben sich bezeichnenderweise auf ?Herr von ?Herrschaft und Knecht Das Verdienst, Hegels Jenenser Schriften f?r die Deutung zu haben, kann L. schaft" wie f?r den Begriff der ?Anerkennung" fruchtbar gemacht um Anerkennung. L. Siep, Der Kampf Zu Hegels Auseinanderset Siep beanspruchen. in den Jenaer Schriften, in: Hegel-Studien 9 (1974) 155-207; ders., An zung mit Hobbes als Prinzip der praktischen 1979. erkennung Philosophie, Freiburg 8 H. G. Gadamer, des Selbstbewu?tsein, in: Fulda/Henrich, Materialien Hegels Dialektik zur a. a. O. 231, 232, 230, 239. des Geistes', ,Ph?nomenologie 9 H. in der modernen Literatur (Hofmannsthal-Brecht ,Herr und Knecht' Mayer, Hegels in: Hegel-Studien. 11 (1974) 64 (Hervorhebung Beiheft H. O.). Beckett), This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions 368 HENNINGOTTMANN Die Schwierigkeiten in der Verortung von ,,Herrschaftund Knecht schaft" sind nicht den Interpretenallein anzulasten.Vor allem dieJenenser SchriftenHegels werfen fur eine prazise historischeFestlegung von ,,Herr schaftund Knechtschaft" groBieProbleme auf, und selbst noch in der Phii nomenologie des Geistes scheinen sich- zumindest prima facie- die hi storischenBezuge zu uiberlagern.Aber vielleicht k6nnen wir in der Deu tung von ,,Herrschaftund Knechtschaft" Fortschrittemachen, wenn wir uns einerseits von der enormen Aktualisierung und Politisierung dieses Textes I6senund andererseitsHegels AufBerungensowohl im Zusammen hang der Vorgeschichtewie der Nachgeschichte der Phanomenologie be trachten.Denn so problematisch die Einordnung von ,,Herrschaftund Knechtschaft" inHegelsJenenser Zeit auch ist, so eindeutig sind die bisher iubersehenen Aulerungen, die Hegel nach der Phinomenologie desGeistes formulierthat. Vielleicht bieten sie eine Perspektive,die sichdann- cum grano salis- auch zurEntwirrungvon ,,Herrschaftund Knechtschaft" in nerhalb der Phinomenologie des Geistes nutzen laBt.Denn dieser Text scheint inmanchem Hegels spaterAuffassung naiherzu stehen als den ex perimentierendenEntwiirfen der JenenserJahre. II. ,,Herrschaftund Knechtschaft" nach der Phdnomenologie von 1806 Hegel hat nach der Phimonenologie des Geistes die Dialektik von ,,Herrschaftund Knechtschaft" als seineVersion jenesTopos verstanden, der im modernen Naturrecht als ,,Naturzustand" zur Begriindung von Recht und Staat angesetztwird. Dieser ,,Naturzustand"hat fiirHegel hi storischeBedeutung; er istweder mit feudalen, nochmit biirgerlichenZu stinden, sondern alleinmit der ,,Sklaverei"identisch. Systematisch spielt er furHegel die Rolle einesUbergangs vonNaturverhaltnissenzur Staaten bildung uiberhaupt;er ist nicht das fundamentaleLegitimationsmodell fur Recht und Staat. Hegel hat zum erstenMal in derHeidelberger Enzyklopadie (1817) so wohl die zeitliche Verortung wie den systematischen Stellenwert von ,,Herrschaftund Knechtschaft" unmifIverstindlichgeklart. Die ,,Phano menologie" hat sichdamals bereits- wie es sich in derNiurnbergerPropa deutik vorbereitet- auf die drei ersten Stufen der groBenPhanomenolo gie von 1806 verkurztund ist zum von nun an festenBestandteil der Lehre vom ,,subjektivenGeist" geworden. Die auf die Abfolge von ,,BewuBlt sein, SelbstbewuBtsein,Vernunft" gekiirzte ,,Phanomenologie" kommt von jetzt an zwischen ,,Anthropologie" und ,,Psychologie" zu stehen; sie istTeil jenesTeils des Systemsdes Geistes, welcher das Erwachenund Her 10 I. Fetscher, in: Koj?ve, Hegel, a. a. O. 18. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HERR UND KNECHT BEI HEGEL 369 vortreten des Geistes aus derNatur innerhalbdes Subjekts nachvollzieht. Mit dem Gewinn der enzyklopaidischenSystemform istdie Einordnung von ,,Herrschaftund Knechtschaft" eindeutig geworden. So heilit es: ,,Der Kampf des Anerkennens und die Unterwerfung unter einen Herrn ist die Erscheinung, inwelcher dasZusammenleben derMenschen, als ein Begin nen der Staaten, hervorgegangen ist.Die Gewalt, welche in dieserErschei nung Grund ist, istdarum nichtGrund desRechts; obgleich das notwendi ge und berechtigteMoment imUbergange desZustandes des in die Begier de und Einzelheit versenktenSelbstbewuftseins in den Zustand des allge meinen Selbstbewufltseins"'1. Diese AuBerung, die in der Berliner Enzyklopidie wie (sinngemaB) in der Rechtsphilosophiewiederkehrt, darf als die Selbstdeutung gelten, die Hegel spatestensab 1817 beibehalten hat12.Siemeint mit dem ,,Zustand" offensichtlich den ,,Naturzustand"13,und siemacht mit dieser Prazisie rung deutlich, woher die Grundbegriffe von ,,Herrschaftund Knecht schaft" stammen. Sie sind wie ,,Begierde", ,,Kampf' um ,,Ehre" oder ,,Todesfurcht"verwandelteHobbessche Begriffe oderwie derBegriff ,,An erkennung" eineAnleihe beimNaturrecht Fichtes.Allerdings istHegel ganz imEinklangmit seiner schon inJena formuliertenKritik desmoder nen Naturrechts- dabei, jede fiktiveBedeutung desNaturzustandstheo rems abzustreifenund an seine Stelle einen historischenund nur histori schen sowie historisch genau bezeichenbaren Naturzustand zu setzen. Schon der jiungereHegel hatte das Schwankendesmodernen Naturrechts zwischenmal fiktivemund dann dochwieder historischgemeintem Natur zustand als ,,Widerspruch"kritisiert; schon der jungereHegel hatte die ZirkularitatdesNaturzustandtheorems aufgedeckt;und schon der jiingere Hegel hatte den fiktivenNaturzustand zusammenmit der Vertragskon Wenn uiberhaupt, dann hat der Naturzustand fiir struktion verworfen14. 11 in 20 B?n S?mtliche Werke. (1817), in: G. W. F. Hegel. Jubil?umsausgabe Enzyklop?die Cannstatt nicht den, Bd. VI, H. Glockner 1968, ? 355 A. Wenn (Hrsg.), Stuttgart-Bad im folgenden anders vermerkt, werden Hegel-Zitate der Jubil?umsausgabe entnommen, deren B?nde mit r?mischen Ziffern abgek?rzt werden. 12 In von 1830 ist die Passage bis auf einen zus?tzlichen der Berliner Enzyklop?die Schlu?satz unver?ndert (1830), F. Nicolin/O. geblieben. Enzyklop?die P?ggeler (Hrsg.), Hamburg von 1820 hei?t es im Blick auf ?Herrschaft und 1959, ? 433 A. In der Rechtsphilosophie Knechtschaft": betrifft den Geist, welcher nur erst ?Diese fr?here unwahre Erscheinung auf dem Standpunkte seines Bewu?tseins ist ..." (VII, ? 57 A). 13 von 1830 Zus?tze fehlen, die aus Da in der Ausgabe der Enzyklop?die Vorlesungen Hegels sei hier auf den Bd. X, ? 432 Z der Jubil?umsausgabe verwie wurden, zusammengestellt sen, der das Wort 14 enth?lt. ?Naturzustand" die wissenschaftlichen des Naturrechts Behandlungsarten sche Schriften. Gesammelte Bd. IV, H. Buchner/O. Werke 1968, 424 ff., 477. ?ber ... ( 1802), P?ggeler in: Jenaer Kriti (Hrsg.), Hamburg This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HENNINGOTTMANN 370 Hegel nur als historischereinen Sinn, als ,,Beginn der Staaten" oder jener historischeMoment, an dem dieMenschheit aus derNaturgeschichte in die politische Geschichte tritt. Aus dieserHistorisierung und prazisen historischenVerortung des Na turzustandesergibt sich bereits, dafl beim alterenHegel ,,Knechtschaft" oder derKampf um ,,Ehre"nicht zur naheliegendenAssoziation verfuihren diirfen, hier gehe es um den Feudalismus.Wie Hegel ausdriicklichver merkt, ist derKampf um ,,Ehre"nichtmit dem ,,Zweikampf"oder dem Duell feudalerZeiten zu verwechseln.Denn der ,,Zweikampf' ,,falltnicht - wie der erstere (der Kampf um Ehre, H. 0.) - in den Naturzustand der Menschen, sondern in die schonmehr oderweniger ausgebildete Form der biirgerlichenGesellschaft und des Staates"15.Der geschichtlicheOrt von ,,Herrschaftund Knechtschaft" ist fuirHegel weder der Feudalismus noch die biurgerliche Gesellschaft gewesen. Hegels historischer Bezugs punkt war vielmehr die Sklaverei,und alleAui3erungenHegels nach 1817 lassenan dieser historischenLokalisierungnicht den geringsten Zweifel16. Mit dieser historischen Festlegung des Naturzustandes geht Hand in Hand, da1l ,,Herrschaftund Knechtschaft",Kampf und Gewalt nicht He gels Legitimationsmodell furRecht und Staat sein konnen. Das moderne entziehen, weil esje nach Be Naturrecht konnte sich dieser Konsequenz eine fiktive Bedeu oder - meistenfalls eine historisch-faktische darf - tung desNaturzustandes ansetzte, einGedankenexperiment im geschichts losenRaum, das aus derNegation von Staatlichkeituberhaupt dieNotwen digkeit von Staat und Herrschaft zu demonstrierenhatte. Daruiberhinaus wurde die Legitimationsfunktion des Naturzustandes durch eine Aquivo kation imBegriff der ,,Natur" ermoglicht.Natur sollte einmal ,,unmittel bareNatur" im Sinne eines vor-politischenprimitivenNaturzustandes, zu gleich aber Natur als ,,Natur der Sache, d. i. des Begrjffs" bedeuten 15 Enzyklop?dieX, ? 432 Z. 16 Noch wenig aufschlu?reich: schrift von C. G. Homeyer und Staatswissenschaft nach der Vorlesungsnach Naturrecht in: G. W. F. Hegel, Vorlesungen ?ber Rechtsphilo (1818/19), Bd. I, K.-H. Cannstatt 1973, ? 29 A, ? 37 sophie 1818-1831, Ilting(Hrsg.), Stuttgart-Bad A (?Herr und Sklave"). Da? damit auf ?Herrschaft und Knechtschaft" angespielt wird, in folgenden ist deudich Texten. Rechtsphilosophie des (1820), VII, ? 57 A. Philosophie von H. G. Hotho Rechts. Nach der Vorlesungsnachschrift in: G. W. F. Hegel, (1822/23), ?ber Rechtsphilosophie Bd. III, K. H. Ilting (Hrsg.), Stuttgart 1818-1831, Vorlesungen Bad Cannstatt 1974, ? 57 (?Die Sclaverei f?llt in den ?bergang zum wahrhaft sittlichen Zustande..."). Philosophie von K. G. v. Griesheim in: G. W. (1824/25), sungsnachschrift Menschen Bd. 1818-1831, Rechtsphilosophie 1974, ? 57 A (?Der Naturzustand Mensch Sklave ist..."). Philosophie von der Nat?rlichkeit des Rechts des nach der Vorle zur Vorlesungen F. Hegel, Cannstatt IV, K.-H. Ilting (Hrsg.), Stuttgart-Bad ist der des Unrechts, und da ist es Recht, da? der 144. Enzyklop?die der Geschichte XI, X, ? 433 Z. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HERR UND KNECHT BEI HEGEL 371 kdnnen17.Aber so sehr es auch fuirHegel berechtigt ist, demMenschen eine ,,FreiheitvonNatur aus" zu bescheinigen,wenn damit die demMenschen an sich, seinem ,,Begriff' nach, zustehendeFreiheitbezeichnet sein soll, so wenig ist der Mensch nach Hegel ,,frei von Natur", wenn mit Natur nur die ,,unmittelbareNatur" eines vor-politischenNaturzustandes gemeint ist. Von diesem Naturzustand heil3t es bei Hegel immerwieder, dalI er ein ,,ZustandderGewalttatigkeit und desUnrechts" sei, ,,vonwelchem nichts Wahreres gesagtwerden kann, als daAlaus ihm herauszugehen ist"1B. Das Hobbessche ,,exeundum e statu naturae" erhilt somit bei Hegel ei nen von Hobbes nicht gemeinten Sinn. Fur Hegel schlagt der Naturzu stand nicht unmittelbar in den politischen Zustand des souvertinenStaates derModerne um. Zwischen ,,Herrschaftund Knechtschaft" und Sklaverei auf der einen und Staat und Recht der Moderne auf der anderen Seite tritt die ganzeGeschichtemit ihrenStufen im ,,Fortschrittdes Bewultseins der Freiheit".Nicht die Naturbestimmung desMenschen, sondern ,,ihrGe genteil", die Freiheit, istGrund allen Rechts'9.Nur einNaturrecht alsFrei heitsrecht fUihrtaus der ,,Antinomie" heraus, in die sich die doppelte Be rufungauf ,,unmittelbareNatur" und ,,Begriff 'desMenschen verwickelt. Mit Hilfe der Zweideutigkeit des modern-naturrechtlichenNaturbegriffs hilft sich beides behaupten: das absolute Recht der Sklaverei,wenn der Mensch als unmittelbaresNaturwesen gilt, aber auch ihr absolutesUn recht,wenn die demMenschen seinemBegriff nach zukommende Freiheit Legitimationsgrund ist20.FiurHegel ist ,,Herrschaftund Knechtschaft" als Sklavereiaberweder absolutesUnrecht noch absolutesRecht gewesen. Ab solutesUnrecht alsVerstoil gegen den Begriff des freienMenschen kann sie nicht gewesen sein,weil es der freieWille derMenschen ist, ob sie die Skla verei dem Kampf und dem Riskieren ihresLebens vorziehen21.Ein absolu tesRecht, etwa im Sinne des aristotelischenNaturrechts vonHerren auf ih reSklaven, kenntHegel ebenso nicht; denn es istgeradedieNaturseite, die Gewalt diesesVerhailtnisses,die seineExistenz nur am ,,erscheinendenAn 17 Kritik an dieser ?quivokation: Enzyklop?die (1817), VI, ? 415 A. Enzyklop?die und Staatswissenschaft nach der Vorlesungsnachschrift (1830) a. a. O. ? 502 A. Naturrecht von C. G. Homeyer a. a. O. ? 3. Rechtsphilosophie (1818/19), (1820), VII, ? 57 A. Philo von K. G. v. Griesheim a. a. sophie des Rechts nach der Vorlesungsnachschrift (1824/25), Die O. Vorrede, 76, ? 57. der Geschichte Philosophie 18 Enzyklop?die (1817), VI, ? 415 A u. ?. 19 XI, 72 f. Ebd. 20 Rechtsphilosophie (1820), VII, ? 57 A. 21 die Knechte kein absolutes Unrecht; ?Denen, bleiben, geschieht der Freiheit das Leben zu wagen den Mut nicht besitzt ? gung sein...", Enzyklop?die, X, ? 435 Z. Philosophie von H. G. Hotho a. a. O. ? 57. (1822/23), des Rechts denn wer f?r die Errin der verdient, Sclave nach der Vorlesungsnachschrift This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions zu 372 HENNINGOTTMANN Eigentlich schonmit dem Ende derAntike fang der Staaten" rechtfertigt22. undmehr noch immodernen Staat istbereitsvorhanden, ,,wasdasResultat jenesKampfes ausmacht- namlich dasAnerkanntsein ... Denn obgleich der Staat auch durch Gewalt entstehen kann, so beruht er doch nicht auf ihr"23. Hegel hat nach 1817 das unmittelbareNaturverhaltnis ,,Herrschaftund Knechtschaft" auf die UrsprungsphasederGeschichte eingefrorenund zu einem punktuellen FortschrittimBewuftsein der Freiheit sistiert,der keine grundsatzlicheLegitimationsfunktion besitzt. Recht und Staat sollen im Naturrecht des alteren Hegel der ,,zweiten Natur" ja erst auf dem Niveau ihreBegriundungfinden,wenn der vonHegel erneuerteSittlichkeitsbegriff des klassischenNaturrechtsmit den Anspruchen des modernen Subjekts auf Freiheit zurVersohnung kommt. Nachdem zwischen ,,Herrschaftund Knechtschaft" und dem modernen Staat der Rechtsphilosophie die ganze Philosophie der Geschichte liegt, ist es nur zu verstandlich, daIsHegel ,,Herrschaftund Knechtschaft" auf einMoment derBefreiung von derNa tur im ,,subjektivenGeist" festlegen und allein auf das ,,in die Begierde und Einzelheit noch versenkteBewuBltsein"beziehen kann. Man kann nun freilich dariuberspekulieren, ob mit der Verortung von ,,Herrschaftund Knechtschaft" als Sklavereiund mit der bescheidenen Le gitimationsfunktion dieses historisch festgelegten Naturzustandes schon die ganze Bedeutung umrissen ist, die dieser Topos fiurHegels spates Sy stem besitzt. Nicht nur die Lehre vom ,,subjektiven" Geist, auch die vom ,,objektiven" scheint noch das Problem des Naturzustandes und dariuber hinaus das ganze schwierigeVerhaltnis von Natur und Freiheit iuberhaupt austragen zu miussen. Da ist zunachst einmal eineweitere Bedeutung von ,,Naturzustand",die Hegel wie dasmoderne Naturrecht inAnsatz bringt: derNaturzustand als 22 Vom in der Enzyklop?die ?erscheinenden spricht Hegel (1830), a. a. Anfang der Staaten" sich mit dieser Historisierung in eine historizisti des Naturrechts ? 433 A. Ob Hegel sche Rechtfertigung Unrechts ist hier nicht zu diskutieren. Da? sie verstrickt, vergangenen von Hegel, auch im Falle der Sklaverei, nicht intendiert war, wird durch eine Vielzahl von O. deutlich. Genau kann man f?r den Naturzustand im Hobbesschen genommen Belegen Sinn gar nicht die Frage nach Recht und Unrecht stellen: ?Die Frage stellt sich also so: was ist Recht unter den Bedingungen eines unrechtlichen Zustandes? und so enth?lt sie eine und ist daher nicht zu beantworten", des Rechts nach der Vorle Philosophie von K. G. v. Griesheim a. a. O. ? 57 A. In dieser Vorlesung sungsnachschrift (1824/25), hei?t es auch: ?Das Recht ist unverj?hrbar, der Sclave hat das absolute Recht immer davon zu laufen" (a. a. O. ? 68 A). Ferner: ?Die Sklaverei ist an und f?r sich Unrecht, denn das Wesen des Menschen ist die Freiheit, doch zu dieser mu? er erst reif werden", Philosophie der Geschichte XI, 144. ?Der Sclave, sobald er sagt er sey frei, ist von dem Augenblicke Absurdit?t frei und seinem Herrn keine Entsch?digung schuldig..." von C. G. Homeyer der Vorlesungsnachschrift 23 X, ? 432 Z. Enzyklop?die schaft nach Naturrecht (1818/19), und Staatswissen a. a. O. ? 35. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HERR UND KNECHT BEI HEGEL 373 Beziehung zwischen den Staaten24.Hegel, derKants Friedensideal,Welt staatund Philanthropie bekanntlich verwirft,kront die Rechtsphilosophie mit diesemNaturzustand, und er beschreibt ihn auf solcheWeise, daBEle mente von ,,Herrschaftund Knechtschaft" wiederzukehren scheinen: ,,Naturgewalt"und ,,Krieg", ,,Dienst" und ,,Gehorsam", ,,DasDaran Setzen des Lebens", ,,Anerkennung"und ,,Ehre"eines Volkes25.Aber so sehrdieserNaturzustand fir die Logik derRechtsphilosophie ein nicht un ist doch nicht einsichtig, wie in einer betrachtlichesProblem aufwirftLehrevon der Sittlichkeit als ,,zweiter"Natur ulberhauptein solchesNatur verhailtniseinbrechen kann26-, so ist flir unsere Frage nach ,,Herrschaft und Knechtschaft" deutlich, dal dieser zwischenstaatlicheNaturzustand furHegel eine andere Bedeutung hatte als der historischeAnfang aller Staaten. Ob berechtigt oder nicht- flirHegel war der zwischenstaatliche Zustand mit einer Beziehung von Privatpersonennicht zu vergleichen27, und auch das sittlicheNiveau des zwischenstaatlichenNaturzustandes hat Hegel - bei allerKonstatierung der ,,Naturgewalt"- doch h6her veran schlagt als das von ,,Herrschaftund Knechtschaft"28. Daruiberhinaus kehrt das Problem des Naturzustandes im ganzen Ver haltnis vonNatur und Freiheitwieder. Hegels Lehre vom objektivenGeist kenntNaturzustande in der Form versohnterNatur, die mit Freiheit har moniert: Familie und Staat. Sie kennt aber auchNaturzustande, in denen die Zufalligkeit und Gewalt vonNaturverhaltnissennoch nicht vollstindig Natur imRecht, in derBeziehung getilgt ist: in derBeziehung zur auI3eren zur inneren in derMoralitit und im ,,RestdesNaturzustandes" in der bur gerlichen Gesellschaft29.Freilich scheint auch hier die Abgrenzung von ,,Herrschaftund Knechtschaft" deutlich genug, wie immerproblematisch 24 Rechtsphilosophie (1820), VII, ? 333. 25 (1820), VII, ?? 322, 324 A, 328, 334. Rechtsphilosophie 26 Dazu H. Bemerkun Ottmann, Unzul?ngliche Hegeische Logik und Rechtsphilosophie. aux Roses in Fontenay in: Hegel-Tage 1979, D. Problem, gen zu einem ungel?sten Horstmann Henrich/R.-P. (Hrsg.), Bonn (im Druck). 27 des Rechts nach dei Vorlesungsnach (1820), VII, ? 330 Z. Philosophie Rechtsphilosophie a. a. O. ? 330. schrift von H. G. Hotho (1822/23), 28 Nach Hegel ist im Krieg der Staaten die ?Naturgewalt" die den Kampf auf Le gemildert, ben und Tod am Beginn aller Staatenbildung Die Notwendigkeit, kennzeichnet. da? alles der Besitz und das Leben als ?Zuf?lliges Endliche, gesetzt" werde, diese Notwendigkeit sei im Krieg zwischen den Staaten zu einem bewu?t gewollten ?Werk der Freiheit" ge worden, Rechtsphilosophie (1820), VII, ? 324 A. Wie der Krieg somit ?sittlich" geworden in ihm das ?Recht" nicht v?llig. Da Kriege als ein ?Vor?bergehensollen ist, so schwindet des" bestimmt der Krieg nicht gegen Privatper sind, Gesandte geachtet werden m?ssen, sonen gef?hrt werden darf und das V?lkerrecht auf den Sitten der V?lker basiert, h?lt He zwischen dem anf?nglichen Naturzustand gel die Unterschiede zwischen den Staaten wohl f?r ausreichend, Rechtsphilosophie 29 hei?t es Rechtsphilosophie ?Rest des Naturzustandes" (1820), und dem Naturzustand (1820), VII, ?? 338, VII, ? 200 A. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions 339. 374 HENNINGOTTMANN das ganze Verhaltnis vonNatur und Freiheit auch seinmag30.Es geht hier inRecht und Moralitat noch einmal um eine Kritik desmodernen Natur rechts,die auch noch die ,,Reste"desNaturzustandes immodernen Begriff von Recht und Moral aufdeckt.Und auch fur die Kennzeichnung der biir gerlichenGesellschaft ist der Begriff ,,Rest" des Naturzustandes treffend. Gleichwohl sindmit Recht, Moralitat und Gesellschaft so zweifelsfreimo derneVerhaltnisse bezeichnet, daBieine Verwechslung derNaturzustands restemit ,,Herrschaftund Knechtschaft" ausgeschlossenist.DaBl inHegels Staat, der auf Familie und Korporation sich griundet, auch der Rest des Naturzustandes gerade alsNatur keine Legitimationsfunk (bhirgerlichen) tion hat, beweist neben der innergesellschaftlichen Abarbeitung diesesNa turrestsund derKonzeption der ,,zweitenNatur" die Polemik gegen Hal ler;gegen dessen Staatslehrehat Hegel noch einmal betont, daBlder Staat nicht auf ,,die zufalligeNaturgewalt" gegriindetwerden kann31. III. ,Herrschaft und Knechtschaft" in den Jenenser Systemen und in der Phdnomenologie von 1806 Der altereHegel hat ,,Herrschaftund Knechtschaft" auf die Sklaverei Er hat - bezogen. gemaBl seiner Kritik des modernen Naturrechts, aber auch entsprechend seinerAbsicht, das Recht des modernen Subjekts im Staat zurGeltung zu bringen- dieses unmittelbareNaturverhaltnis nicht als grundlegende Legitimation furRecht und Staat verwendenwollen. Ob von dieser praizisen historischen und systematischen Einordnung von ,,Herrschaftund Knechtschaft" auch ein Licht auf den beriihmten Ab schnitt der Phiinomenologie von 1806 flillt, bedarf allerdings einer beson deren Pruifung.Denn Hegels historischeVerortung von ,,Herrschaftund Knechtschaft" MlatinJena zunachst jene Priizisionvermissen, die den Be zug auf den Naturzustand alsZeit der Sklavereieindeutigmachen wAirde. Auch wird der systematischeStellenwert von ,,Herrschaftund Knecht schaft" in den erstenJenenserJahren offensichtlich hoher veranschlagtals im enzyklopadischen System. Freilich sind Naturzustand und Sklaverei auch in den Jenenser Schriften zumindest immermitgemeint; sie schalen sich bis 1805/06 als die m. E. einzig plausiblen Bezugspunkte von ,,Herr schaftund Knechtschaft" heraus.Die systematischeBedeutung dieses To pos nimmt der Jenenser gegen Ende Jahre ab, so dafl der beriihmte Ab schnitt der Phanomenologie von 1806 bereits eine naheVerwandtschaftzu Hegels spaterLehre dokumentiert. 30 Die hier nicht Freiheit bei M. schichte. 31 1973, von Natur und des Verh?ltnisses Problematik grunds?tzliche und Herrschaft der Natur, in: System und Ge Freiheitsgesetz von Hegels historischen a. M. Standort Frankfurt Philosophie, diskutierbare Riedel, zum Studien 96-121. Rechtsphilosophie (1820), VII, ? 258 Fu?note. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HERR UND KNECHT BEI HEGEL 375 Hegel hat in seinen friuhenJenenserJahren dasRecht des Geistes in der Natur noch nicht gegen dasRecht derNatur imGeist entschieden abgren zen konnen. Die gegeniuberspater stairkere Gravitation zurNatur imGeist verschafft ,,Herrschaftund Knechtschaft" zunachsteinen fuirdie Systema tik der damaligenGeistphilosophie nicht unbedeutenden Stellenwert.Al lerdings lIflt derNaturrechtsaufsatz(1802)- trotz seinervon Hegel auch spaterdurchgehaltenenKritik desmodernen Naturrechts- die grole Be deutung von ,,Herrschaftund Knechtschaft" noch nicht erkennen. Zwar begegnet dem Leser schonhier,wasHegel auch im spatenSystem demmo dernenNaturrecht vorwirft:die Zirkularitit seinesNaturzustandstheorems, dieWillkiurlichkeit seines eigentlich zum biirgerlichenRecht geh6renden Vertragsmodelles,der individualistischeAnsatz, die Formalitatdes Rechts begriffsund die Leeredesmoralischen Subjekts.Aber diese anHobbes und Rousseau, anKant und Fichte geiibte Kritik steht noch unverbunden ne ben der Terminologie von ,,Herrschaft"und ,,Knechtschaft",die sichhier zum erstenMale findet. So begegnet uns als ein Beispiel fiur ,,Herrschaft und Knechtschaft" einmal die Beschreibung einer ,,Nation", furwelche die ,,Knechtschaft"absoluteWahrheit haben soll,wenn sie ,,dasUngliuck und die Schmach desVerlustes der Selbstandigkeit, demKampf auf Leben und Tod vorgezogen hat"32,und so stoBenwir zum anderen auf eine erste Identifizierungvon Knechtschaft und Sklaverei,die uns Hegels Begriff der ,,Knechtschaft"alsUbersetzung von dovAL'aerkennen lii3t.Mit Blick auf den dritten Stand der PlatonischenPoliteia wie aufAristoteles' Okonomie (Pol. I, 1254 a 14 ff.) heifit es da: ,,dafldie koniglicheKunst ... die Natu ren, die inRohigkeit und Niedrigkeit liegen, zum knechtischenGeschlech te unterjocht; und Aristoteles erkennt dasjenige dazu geh6rig, was durch seineNatur nicht sein eigen, sondern eines andern ist'33. Hegel, der damals eine platonische Stindelehre und eine an Plato und Aristoteles erinnernde Sittlichkeit von Natur gegen das moderne Natur rechtausspielte, konnte Herr und Sklavenoch nicht imNaturzustand auf treten lassen. Die Kritik des modernen Naturrechts konnte mit der Erneue rungdes klassischenwie mit ,,Herrschaftund Knechtschaft" noch nicht zu sammengedacht werden, weil sich Natur und Sittlichkeit noch nahezu un im Begriff des ,,Volkes" vereinten. Zwar ist dieser der Polis so vermittelt ferne nicht, aberHegel differenziert noch ungeniugend zwischen antiker Sitte und modernem Staat. Sittlichkeit und ,,Naturzustand"sind unmit telbar eins34,und eine geschichtliche Perspektive des Fortschritts im Be wul3tsein der Freiheit ist alsUbergang von der Sklavereizum ,,Recht"der 32 ..., a. a. O. 480. des Naturrechts ?ber die wissenschaftlichen Behandlungsarten 33 A. a. O. 456. 34 A. a. O. ... den Naturzustand, Idee der Sittlichkeit enth?lt und die 427. ?Die absolute Majest?t (von Recht und Sittlichkeit, H. O.), als schlechthin identisch ..." This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HENNINGOTTMANN 376 R6mer nur beilaufig angedeutet35.Sie springtdann zum ,,bourgeois"und zur buirgerlichenGesellschaft, die- noch hochst dunkel und unvollkom men - in eine zur unmittelbaren Sittlichkeit tendierendeNatur einesVol kes integriertwerden36. Erst dieJenenser Systementwiirfezeigen einenHegel, der deutlicher zur spaterenLehre von ,,Herrschaftund Knechtschaft" unterwegs ist: das Sy stem der Sittlichkeit (1802/03), der Jenenser Systementwurf I (1803/04) sowie schliejilichderJenenser Systementwurf III (1805/06). In allen wird ,,Herrschaftund Knechtschaft" als ein vor-politischesNaturverhaltnis ent faltet, das dann 1805/06 auch als ,,Naturzustand"bezeichnet wird. Eine allmaihlicheAusgliederungmoderner UJberlagerungendiesesNaturzustan des geht mit einem Hervortreten des Bezugs zurAntike wie mit einem sy stematischenBedeutungsverlust dieses Topos Hand inHand. Es ist fuiralle Jenenser Systementwiirfe typisch, dafi ,,Herrschaftund Knechtschaft" stets im Zusammenhang mit der ,,Familie" eingefiihrt wird, die als Institution naturlicher Sittlichkeit und Anerkennung gilt. Schon darin beweist sich die grole Nahe von ,,Herrschaftund Knecht schaft" zurAntike, d. h. hier zurAristotelischenOkonomie37.So erscheint im System der Sittlichkeit die Familie nachArbeit und Recht als h6chste Form und Totalitat natiirlicherSittlichkeit, die ,,Herrschaftund Knecht schaft" als einNaturverhaltnis von Personen enthalt38. Wie bei Aristoteles ist ,,Herrschaftund Knechtschaft" hier ,,vonNatur aus", und die ganze ,Familie" erinnert an dasAristotelische ,,Haus"mit seinen Standen. Der eigentlich klareBezug zurAntike wird allerdingsdurchmoderne Momente Der Begriff der ,,Liebe"weist auf die sentimentaleFamilie der iuberlagert. Moderne voraus39,und die der ,,Familie" vorangeschickten ,,Potenzen" scheinen zumindest in den okonomischenErorterungenmit Anspielungen auf die biurgerlicheGesellschaft durchsetzt.Wahrend Hegel mit dem ,,Recht" noch das r6mischeRecht meinen kbnnte, wird in der Potenz der Arbeit bereits von ,,Maschinen" und der ,,Abstumpfung der mechani schen Arbeit", von Kennzeichen industriellerProduktion, gesprochen40. 35 A. 36 a. O. Die 456 ff. der Integration in die platonisierende der b?rgerlichen Gesellschaft sich darin, da? Hegel diesen Vorgang noch als eine der Orestie des a. a. O. 458 ff. Dazu: O. im Sittlichen beschreibt, nachgebildete ?Trag?die" Schwierigkeiten St?ndelehre zeigen ?schylos in: Hegels Idee einer Ph?nomenologie P?ggeler, Hegel und die griechische Trag?die, 1973, 85 ff. Geistes, Freiburg 37 Dies betont zu Recht K.-H. mit der aristotelischen Ilting, Hegels Auseinandersetzung 38 des Po litik, in: PhilosophischesJahrbuch 71 (1963/64) 38ff. ist mit der Ungleichheit der Macht des Lebens ?Dies Verh?ltnis ..." ?Der Natur geh?rt die Herrschaft und Knechtschaft gesetzt G. Lasson (Hrsg.), Hamburg Sittlichkeit 1967, 34. (1802/03), 39 a. a. O. 17. System der Sittlichkeit, 40 A. a. O. 25 f. und absolut unmittelbar ... an ...", System der This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HERR UND KNECHT BEI HEGEL Ob der ,,Knecht" rechtlose Sache und Werkzeug 377 des Herrn wie in der An tike oder eine Art von Rechtsperson ist, laBftsich da nicht sicher entscheiden.41. Die Potenzen natiurlicherSittlichkeitwie Arbeit, Recht und Familie kon frontiert Hegel im zweiten Teil des Systems der Sittlichkeit mit der Frei heit, die alle nur unmittelbare Sittlichkeit negiert. Den ersten positiven Po tenzen entsprechen negative: der Arbeit das sinniose Zerstoren und Ver nichten, der Sicherung des Eigentums imRecht Beraubung und Diebstahl Hier und der Anerkennung der Person in der Familie deren Beleidigung. zum zweiten Male auf, als ein Kampf tritt ,,Herrschaft und Knechtschaft" von Familienmitgliedern um die verletzte ,,Ehre"42. Dieser Kampf ent im brennt aus nichtigem Anlal3 aufgrund einer ,,pers6nlichen Beleidigung ihr um das Ganze der um von einzelnen"43. Es wird Wissen sich, Person, unter Einsatz des Lebens gefuhrt, und erwird entschiedendurch die gr6Ble re oder geringereAbhangigkeit vom Leben. Sein Resultat ist die Knecht schaft des vom Leben Abhangigeren oder der Tod beider Kampfer, der hier noch als eine m6gliche Bewahrung der Freiheit angesehenwird. ,,Herrschaftund Knechtschaft" steht schon im System der Sittlichkeit am systematischenOrt eines vor-politischenNaturzustandes, der sowohl als Friedenszustand (in der Familie) wie als Kriegszustand (im Kampf um ,,Ehre")beriucksichtigtwird. Die historischeVerortung des Kriegszustan des als eines Kampfes um ,,Ehre" st6oit allerdings auf gewisse Schwierigkei ten. Wie die Familie an das Aristotelische Haus so erinnert auch der Kampf um ,,Ehre" durchaus an antike Motive, an die Ilias etwa, an den ,,Zorn" des Achill44 und das Drama aus gekrankter ,,Ehre", an die Zweikampfe der Helden und die nur antikeAlternative von Sklavereioder Tod. Daneben konnteHobbes nicht nur fiurden Begriff des ,,Kampfes",sondernauch fir den der ,,Ehre" Pate gestanden haben. Und schlieflich ist Hegels Zuruck weisung des feudalen Zweikampfes in der Enzyklopadie vielleicht als eine Selbstkorrekturzu verstehen. Zum ritterlichenZweikampf wie zum Duell geh6rt freilichnicht die Alternative Tod oderKnechtschaft, aber immerhin sind da die Ahnlichkeiten, die vom nichtigen Anlaf des Streits iiber das Riskieren des Lebens bis zum Kampf um die Wiederherstellung der 41 42 ..." (a. a. O. 37), das ?Der Knecht kann, als Ganzes der Pers?nlichkeit, Eigentum werden von Sklaverei. Diese ist jedoch eingebet klingt zun?chst nach einer Definition ?u?erung tet in Bemerkungen, die an Kants Lehre von der Unm?glichkeit der Ver?u?erbarkeit der Person erinnern. A. 43 A. 44 a. O. 47 ff. a. O. 48. Das Wort menhang ?Zorn genannt (?vyio?)" erw?hnt Hegel (a. a. O. 21). a. a. O. 51. Homer wird in anderem Zusam This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HENNINGOTTMANN 378 ,Ehre' reichen45. Wie dem auch sei,,Herrschaftund Knechtschaft" be zeichnet einVerhialtnisnatiurlicherSittlichkeit, aus dem herauszugehen ist, wenn das Bewui3tseinpers6nlicherFreiheit entstehen soll; esmarkiert fer ner den Verlust der Sittlichkeit an ein Bewulitsein, das sich alsNegation der Natur und Befreiung aus derAbhiingigkeit vom Leben bewaihrt.Als einzel nes und besonderesBewufltsein hat es fiurHegel damals allerdings in der ,,Gottlichkeit des Volkes"46 zu verschwinden;denn Hegel denkt Sittlich keit noch alsVernichtung allerEinzelheit und Besonderheit. Im Jenenser Systementwurf I taucht ,,Herrschaftund Knechtschaft" nichtmehr innerhalbder ,,Familie", sondern nur noch alsAufiebung ih res gegensatzlosen Bewufltseins auf47.Nach ,,Gedachtnis und Sprache", ,,Werkzeug"und ,,Familie" entsteht ,,Herrschaftund Knechtschaft" un verandert aus dem ,,Kampf um Ehre"; erwird noch immer vonMitglie dern einer Familiewegen einer ,,Beleidigung im einzelnen" um dasGanze der Person als ein Kampf auf Leben und Tod gefiihrt. Neu ist allerdings nicht nur, dafl ,,Herrschaftund Knechtschaft" ihrenOrt innerhalbder Fa milie verloren hat, neu ist auch, dai3 der Kampf sich nun - wie dann auch 1805/06 an Streitigkeiten um ,,Besitz" entziindet. Es ware freilich grundverkehrt,diesen Anlai3 des Streits zu der These umzumrinzen,Hegel habe mit ,,Herrschaftund Knechtschaft" wohl doch den Klassenkampf oder einenKampf um Besitz gemeint. 1805 /06 bestatigt sich noch einmal, dai3Hegel stets einenKampf umAnerkennung oderEhre beschrieb.Dieser hat sein Ziel in einer hoheren Form des Bewui3tseins, imRiskieren des Le bens fuireinen geistigen Zweck, nicht in einerAnderung der okonomischen Verhailtnisse.Es geht um die Demonstration derUnabhaingigkeitvon allem Besitz, ja vom Leben iiberhaupt,und derAnlaIl des Streits istdafur so un erheblich, dai3 er in der Phainomenologievon 1806 wieder wegfallen und an die Beliebigkeit der ,,Beleidigung" im System der Sittlichkeit erinnern kann. Der Systementwurf I ist nochmit einigen historischenZweideutigkeiten belastet, die auch das System der Sittlichkeit verunklarten.Der Kampf um ,,Ehre" und die den Liebesbegriffwieder enthaltende ,,Familie" zeigen das antik-moderne Vexierbild. Andererseits hat sich ein bedeutender Schritt inRichtung auf die spatereLehre vollzogen. Recht und Okonomie sind in ihrer in die Moderne changierenden Form nicht mehr Vorausset zung von ,,Herrschaftund Knechtschaft"; sie sind in die ,,Sittlichkeit"des Volkes abgewandert.Die ersten Potenzen beginnen dem ,,Begriff' des Geistes zu ahneln, dessenVerwirklichungnoch aussteht; der vor-politische 45 Der 46 A. ?Kampf a. O. 57. 47 Jenaer merle wird charakterisiert, I (1803/04), in: Gesammelte 1975, 307 ff. Hamburg Systementw?rfe (Hrsg.), auch als ?Gottesurteil" Werke a. a. O. 50. Bd. VI, K. D?sing/H. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions Kim 379 HERR UND KNECHT BEI HEGEL und primitiveNaturzustandwird besser erahnbar.Hegel nennt, wie schon imNaturrechtsaufsatz, den ,,Knecht"wieder einen ,,Sklaven"48.,,Keine Urvertrag"49 Komposition, kein stillschweigenderoder ausgesprochener auch dieseRandbemerkungHegels Maftdie Verbindungmit derKritik des Naturrechtswieder sichtbarwerden. Freilich istda der harteDbergang von ,,Herrschaftund Knechtschaft" zur Sittlichkeit desVolkes. Noch fehlen in der Systematik der Geistphilosophie die Stufen, die imNamen hoherer Anerkennungsverhaltnissezwischenden primitivenNaturzustand und die Sittlichkeit treten k6nnten. Statt dessen hat ,,Herrschaftund Knecht schaft"diesmal die Aufgabe, den ,,absolutenWiderspruch" 50in derAner kennung zu beweisen, die imHinblick auf Knechtschaft und Tod ebenso Nicht-Anerkennung ist. Dieser Widerspruch Iuf3tffirHegel damals vor scheinen, dafi die Einzelheit desBewuftseins in die Sittlichkeit aufgehoben werdenmuil, wobei Aufhebung wiederVernichtung bedeutet- einOpfer der Individualitat, das der naturbestimmten Sittlichkeit noch zu bringen iSt. Hegels Jenenser Systementwurf IIIhat die hartenUbergange gemildert, die bisher denWeg von ,,Herrschaftund Knechtschaft" zu Volk und Staat charakterisierten.Innerhalb des ,,Geistes"wird zwischen ,,Begriff' und ,,wirklichemGeist" differenziert, und erst auf beide folgt die ,,Constitu tion". Innerhalbdes ,,Begriffs"des Geistes erha[ltder ,,Wille" gegentiber der ,,Intelligenz" eine deutlichereAbgrenzung. Wahrend ,,Intelligenz" fuirdie friiherenPotenzen der Sprache steht, sindArbeit und Familie nun unter dem Obertitel ,,Wille" zu finden. ,,Herrschaftund Knechtschaft" geht noch einmal aus der ,,Familie" hervor, die wieder Liebesgemein schaft, aber auchArbeits- und Erziehungsgemeinschaft ist.Aber zum er sten Mal scheint Hegel die Verbindung von ,,Herrschaft und Knechtschaft"mit derKritik desmodernen Naturrechtswieder explicite zu verbinden. Hegel nennt ,,Herrschaftund Knechtschaft" nun erstmalig Wie im JenenserSystementwurf Iwird dieser ,,Natur ,,Naturzustand"51. zustand" nichtmehr mit einer Potenz des ,,Rechts"belastet.Vielmehr hat Hegel dieAquivokation imBegriff derNatur entdeckt, die spateralsKurz form derKritik desmodernen Naturrechts ostinatowiederkehrt: die Dop peldeutigkeit von Natur als ,,unmittelbarer"Natur oder ,,Natur der Sache"52. Damit in einem Zustand kann es fur Hegel der Natur kein Recht mehr geben; Recht wird erstmbglich imHerausgang aus dem Naturzu 48 I, a. a. O. Jenaer Systementw?rfe 49 A. a. O. 315. 50 A. a. O. 312. 51 Jenaer Systementw?rfe 52 (Hrsg.), Jenaer Hamburg Systementw?rfe 1976, III (1805/06), 214. III, a. a. O. 311. in: Gesammelte Werke Bd. VIII, R.-P. Horstmann 214 unten. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions 380 HENNING OTTMANN stand, den der Kampf auf Leben und Tod realisiert.Dieser Kampf, der wieder wegen Streitigkeiten um ,,Besitz" entbrennt, hat auch diesmal nicht den Sinn vonKlassenkampf oder 6konomischerAuseinandersetzung; er ist auch hier die Demonstration derUnabhangigkeit von Besitz und Le ben, die das Fiursichseindes Bewufltseins erzeugt.Das sich alsKampf voll ziehende ,,exeundum e statu naturae"53reicht 1805/06 nichtmehr bis zu Volk und Sittlichkeit. Es fuihrtnur noch bis zum formellen ,,Recht",das ei nen Teil des zwischenSittlichkeitund Naturzustand liegenden ,,wirklichen Geistes" ausmacht. ,,Herrschaftund Knechtschaft" hat sich 1805/06 der Stellung genahert, die dieserTopos im spaitenSystem besitzt. Er istderName fur das, was das moderne NaturrechtNaturzustand nannte, fuirdas, wasHegel in verainder terBedeutung in seineGeistphilosophie aufnimmt. Der status naturae ist zu verlassen,wenn Recht sein soll. Er ist als Zustand der Natur weder rechts-noch staatsstiftend.Sittlichkeit ist ftirHegel nicht langerRecht der Natur im Geist, sondernGeist, der ,,dieNatur der Individuen (ist)"54. Keine unmittelbar die antike Sittlichkeit erneuernde Staats- und Stande lehre, sondern cine sich aus der Entzweiung in die moderne Freiheitwie derherstellendeSittlichkeit geht von nun in die SystematikderGeistphilo sophie ein. Mit dem Jenenser Systementwurf III ist die Differenzierung der Geist philosophie erreicht,die es uns erlaubt, ,,Herrschaftund Knechtschaft" in derPhdnomenologie von 1806mit derThese zu verbinden, die aus der Per spektive des spaten Systems gewonnen war. Die geschichtlich sich ausfi cherndeGeistlehre von 1806 folgt derBildung desGeistes von der antiken Sittlichkeit bis zur Franz6sischenRevolution. Sie hat sich damit von den Vermengungen antiker und moderner Elemente gereinigt, die in den Je nenser Systemen noch durcheinanderliefen.Nicht erst ab 1817, schon ab 1806 ist ,,Herrschaftund Knechtschaft" historisch als Sklavereiund syste matisch als ein von seinermodern-naturrechtlichenBedeutung entlasteter ,,Naturzustand"zu verstehen, der fuirHegel keine grundlegendeLegitima tionsfunktionmehr besitzt. Fur die historischeVerortung als ,,Herrschaftund Sklaverei"spricht,daB Hegel auf ,,Herrschaftund Knechtschaft" Stoizismus und Skeptizismus folgen lafit. Sie sind die geistesgeschichtlichenNachfolger von ,,Herrschaft und Knechtschaft", weil der Stoizismus die Freiheit des SelbstbewuBtseins vonHerrschaftund Knechtschaft ebensoweitertreibt wie der Skeptizismus Freiheit alsNegation derAbhangigkeit von derWelt55; der Stoiker ist als 53 54 55 Ebd. A. a. O. ?Wie 254; a. a. O. 263. der Stoizismus dem Begriffe Herrschaft und Knechtschaft des selbst?ndigen erschien, entspricht, der das als Verh?ltnis Bewu?tseins, so entspricht der Skeptizismus der Rea This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HERR UND KNECHT BEI HEGEL 381 Sklave so freiwie auf dem Kaiserthron56,und der Skeptiker ist in derAtara xie seines Selbstbewufltseinsfrei, die ganzeWelt seinemZweifel zu unter werfen. Neben Stoizismus und Skeptizismus kann die enge Verbindung von ,,Herrschaftund Knechtschaft"mit dem Anfang desGeistkapitels die These vom Bezug zurAntike wie zur Sklavereibezeugen57.Am Anfang des Geistkapitels ist die ,,Familie" in ihrernun eindeutig antiken, derAntigo ne nachgebildeten Form derAnfang unmittelbarerSittlichkeit, die in den ,,Rechtszustand"der r6mischenEpoche ubergeht. Von diesem wiederum Und schlielflich ist weist Hegel auf Stoizismus und Skeptizismus zuriick58. ein Indiz ffir die These von der als ,,Sklaverei" zu interpretierenden ,,Knechtschaft",daBldie Stellung des Knechts nur als die eines Organons oder einer Sache (res)gewiurdigtwird59,wahrend jederHinweis auf eine nur zeitweilige oder teilweiseVerauBerung der Arbeitskraft fehlt60;nur ein Sklavearbeitet,weil er vor derAlternative ,,TododerKnechtschaft" steht. Hegel hat in der Phanomenologie von 1806 die reichsteAusarbeitung von ,,Herrschaftund Knechtschaft" gegeben. Zum erstenMal lUfltsich iuberhauptvon einer ,,Dialektik" sprechen,da ersthier der seinLeben ris kierende Herr in die existentielle Sackgasseeines entweder kriegerischen oder sich dem Genufl verschreibendenLebens gerat, das nur durch die Ar beit des Knechts zuWelt und Realitat noch Zugang hat. Ersthierwird die Befreiung des Knechts eingeftihrt, die Hegel durch Todesfurcht, Dienst und Gehorsam sowie durch Arbeit und Bildung sich vollziehen sieht61. Und ersthier kann derTod derKampfer kein zureichenderBeweis der Frei heit mehr sein, da Hegel die Anerkennung des einzelnen Bewu&tseinsder Sittlichkeit nichtmehr opfernmug. Hegel hat ,,Herrschaftund Knechtschaft" in der Phanomenologie nicht mehr alsObergang zu Volk und Staat, ja nicht einmalmehr alsObergang lisierung Arbeit", 155. desselben als der negativen Richtung des Geistes (1806), Ph?nomenologie auf das Anderssein, der Begierde J. Hoffmeister (Hrsg.), Hamburg und der 81952, 56 a. a. .frei zu sein", Ph?nomenologie des Geistes, ?Wie auf dem Throne so in den Fesseln.. O. 153. 57 A. a. O. 317 ff., 342 ff. 58 A. a. O. 343 f. 59 a. a. O. 232. So auch H.-G. Gadamer, des Selbstbewu?tseins, Hegels Dialektik 60 Die nur teilweise und zeitweilige Ver?u?erung in der Moderne, der Arbeitskraft Rechts 61 philosophie (1820), VII, ?? 66, 61. die allein Deutungen, Text vorbei. Die Arbeit net, vgl. H. Ottmann, die emanzipatorischc Rolle der Arbeit betonen, gehen an Hegels ist Bildung als Formen der Praxis untergeord (und Anerkennung) Arbeit und Praxis bei Hegel, in: Hegel-Jahrbuch 1977/78, W. R. Beyer (Hrsg.),K?ln 1979, 28ff. Fernerkam esHegel auf dasZusammenspiel derMomen te an. Ohne Dienst und Gehorsam sollte die Furcht lich" bleiben, wie umgekehrt ohne Furcht und den ?Eigensinn" nicht ?berwinden k?nnten, ?formell" ?absolute" und ohne Bildung ?inner Furcht Arbeit und Bildung This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions 382 HENNING OTTMANN zum ,,Recht"angesetzt. In derWissenschaft der ,,Erfahrung"des Bewui3t seins, welche Kritik der historischenVernunft, Erkenntnistheorie, aber auch wissenschaftlicheEinleitung zur Logik sein solite, wird ,,Herrschaft und Knechtschaft" aus der Geistlehre ausgegliedert. Hegel beginnt mit ,,Bewufltsein,SelbstbewuBtsein,Vernunft", und dieser Beginn hat einen propadeutischenSinn. An diesenGestalten des Bewuf3tseinssoll ,,fir" das Bewultsein die Existenz des Geistes aufgewiesenwerden- ein Verfahren immanenterKritik, das den Beginn beim Geist selbst verbietet.Nur ,,fur uns" ist in der Phanomenologie erkennbar,daf die ersten drei Gestalten des Bewuftseins als ,,Begriff' des Geistes auf den ,,wirklichen"Geist zu treiben, der als Sittlichkeit, entfremdeterGeist, Moralitat, Religion und absolutesWissen folgt. Als Teil des Kapitels ,,Selbstbewufltsein"gehort ,,Herrschaftund Knechtschaft" deshalb zu den vorausgeschickten ,,Ab straktionen" des Geistes62, die erst im Geistkapitel Gestalten eines ge schichtlichen ,,wirklichen"Geistes werden. Diese systematischeEigenart der Phanomenologie k6nnte zu derAnsicht verleiten, dal unsere These vom Bezug zu Antike und Sklavereian dieser ,,Abstraktion"vom ,,wirklichenGeist" vorbeigeht, und es gibt zu denken, wenn einer der besten Kenner der Phanomenologie des Geistes den Sinn historischerVerortung derDialektik des Selbstbewufltseins,sei es im ,,Fak tum" urspriunglicherStaatenbildung, sei es im ,,antikenOikos" oder im ,,alteuropaischenAdelsethos" bestreitet63.Gleichwohl scheint ,,Herrschaft und Knechtschaft" auch in der Phanomenologie nicht seineHerkunft aus derAristotelischenOkonomie wie aus derKritik desmodernen Naturrechts verleugnen zu konnen. Vom SystementwurfIII lait sich iuberdie Phanome nologie von 1806 die Briicke zu Hegels spaterLehrewie zu den dortigen Hinweisen auf Sklavereiund Naturzustand schlagen; denn durch die Ei genart der Phanomenologiewird als ,,Abstraktion"dargestellt,was eigent lich schon im ,,subjektivenGeist" seinen Platz finden k6nnte. Von der sy stematischenBedeutung, die ,,Herrschaftund Knechtschaft" zu Beginn derJenenserJahre hatte, ist in der Phanomenologie von 1806 nichtsmehr zu bemerken.Wie im spaten System auch ist ,,Herrschaftund Knecht schaft" eine Episode im Bildungsprozef des Geistes geworden64- auch wenn manche ihrerBegriffe, wie z. B. Arbeit und Bildung, Todesfurcht und Dienst als eine Art von Leitmotiven des 6fterenwiederkehren. 62 des Geistes, Ph?nomenologie sind Abstraktionen desselben a. a. O. des Bewu?tseins 314. ?Alle bisherigen Gestalten (des Geistes, H. O.)". 63 O. des Selbstbewu?tseins, in: Hegels Idee einer Ph?no P?ggeler, Hegels Ph?nomenologie a. a. O. 264. des Geistes, menologie 64 als Einzelereignis der Bildung" schreibt zutreffend K.-H. Nusser, Die ?Herr und Knecht Franz?sische Revolution und Hegels Ph?nomenologie des Geistes, in: Philosophisches Jahrbuch 77 (1970) 280 ff. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions HERR UND KNECHT BEI HEGEL 383 Freilich istder Sinn von ,,Knechtschaft"als Sklavereiwie der von ,,Herr schaftund Knechtschaft" alsNaturzustand und Beginn der Staaten in der Phainomenologievon 1806 verdeckt.Anders als in denjenenser Systement wiirfen, anders auch als im spaten System hat Hegel 1806 keine Sittlichkeits-und Staatslehreentworfen, die auf dem Niveau derModerne steht. Statt dessen ist er 1806 von der ,,Moralitat",die sichnoch keineswegs auf dem Niveau moderner substantiellerSittlichkeit befindet, direkt zur ,,Religion" ilbergegangen.Auch hat Hegel 1806 derAuseinandersetzung mit dem Idealismuswie mit dem AnerkennungsbegriffFichtes grol3esGe wicht beigemessen.Der Leserfuhlt sich sogaran die Fragestellungder neu zeitlichen Philosophie seit Descartes erinnert, wenn Hegel das Kapitel ,,Selbstbewufltsein"unter die UJberschrift,,DieWahrheit der Gewiflheit seiner selbst" stellt.Der Anlafl des Streits im ,,Besitz"wie der (spaterwie der auftauchende)Begriff der ,,Ehre"sind fortgefallen,weil Hegel die Pro blematik des SelbstbewuBtseins,seinerBeziehung zum Anderen wie zum Gegenstandsbewultseins, in den Vordergrund rickt65.Hinter dieserAus einandersetzungmit dem ,,Selbstbewufitsein"des Idealismusdroht der Bezug zurAntike wie zurKritik desmodernen Naturrechts 1806 beinahe zu verschwinden. So hat ein Kritiker von ,,Herrschaftund Knechtschaft" als von einem ,,welthistorischdrapiertenMaskenspiel" gesprochen, in dem Herr und Knecht nur um dieVereinbarkeitderMomente des idealistischen Ich-Begriffskampfen66.Aber damit istuber den Sinn von ,,Herrschaftund Knechtschaft" nicht alles gesagt. Selbst 1806 hat Hegel ,,Herrschaftund Knechtschaft" als ein Naturverhaltnis beschrieben. Die dort m6gliche ,,Anerkennung" ist derart einseitig und anfanglich, dafl siemit derwech selseitigen ,,Aufforderung"moderner Subjekte zurFreiheit nicht verwech seltwerden kann. Das ,,Selbstbewufltsein"hat furHegel seineFreiheit nur aufKosten ,,derWelt oder seinereigenenWirklichkeit"67behaupten kon nen; ,,Vernunft" als die Gewif3heit, ,,alleRealitat zu sein"68,war dieser Standpunkt noch nicht. Es ist erstdasVernunftkapitel (wie spaternoch ein mal derAbschnitt ,,Moralitat"),welche die Kritik des Idealismusauf dem Niveau derModerne vorfuhren. ,,Herrschaftund Knechtschaft" 'dagegen ist- ich bleibe dabei- auf die Entstehung des Selbstbewuiltseins in der Antike bezogen, ja selbst die- wie immerverwischten- SpurenderKri tik desmodernen Naturrechts lassen sich 1806 erahnen.Hobbes' Begriffe werden vonHegel geradezu in ihrGegenteil verkehrt.Selbsterhaltung (Be 65 Studien von W. Becker ihre Berechtigung. von Dialektik, 21972; Hegels Dialektik Stuttgart 11 (1974) 429 ff. Beiheft ,Knecht', in: Hegel-Studien. 66 von ,Herr' und ,Knecht\ W. Becker, Hegels Dialektik a. a. O. 436. 67 a. a. O. 176. des Geistes, Ph?nomenologie 68 Ebd. Hier haben die idealismuskritischen sche und materialistische Idealisti ,Herr' und This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions 384 HENNING OTTMANN gierde), Todesfurchtund Kampf sind nachHegel keine zureichendenMo tive,welche den UJbergangzum Vertragsschlui und zum souveranenStaat derModerne plausibelmachen. Sie sind vielmehr zu iuberwinden,wenn auch nur die primitivsteForm uranfanglicher ,,Herrschaft"entstehen soll. Es ist nicht ohne Ironie,wenn die solchermaf$enverkehrtenBegriffe Hob bes' an den Anfang aller Staatenbildungwandern, und es istwohl auch nicht ohne Ironie,wenn der Begriff der ,,Anerkennung" von der H6he transzendentaler,sich selbst und die Natur setzender ,,Iche" in den An fangszustandderGeschichte fallt. Auch die ,,Anerkennung"hat ihreGe schichte, und wie dasHobbessche so hat Hegel auch das FichtescheNatur rechthistorisiert.Sicher,FichtesBegriff derAnerkennung wie sein die Na tur setzendes Ich stehenHegels Geistphilosophie naher als der krasse Indi vidualismus und Materialismus von Hobbes. Aber auch die Anerkennung mug fuirHegel aus ihrerbei Fichte nur intersubjektivenBedeutung gel6st und in die Geschichte der Freiheit einbezogenwerden, die von Beginn an nicht nur Geschichte eines intersubjektiven,sondern immer auch institu tionellenGeistes ist. This content downloaded from 128.6.218.72 on Sun, 21 Feb 2016 23:29:27 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions