Sahraa Hamid / PL-G2-EF 07.02.21 Der naive Realismus Aufgabe 1 Der unreflektierte Mensch geht unbewusst davon aus, dass eine einzige, mit seinem subjektiven Erlebnis (insbesondere das Gesehene) im Wesentlichen deckungsgleiche, objektive und von ihm als Subjekt unabhängige Realität existiert. Der gemeine Mensch geht meist unbewusst davon aus, dass sein subjektives Erleben ein zuverlässiges Bild einer unabhängig von ihm existenten Wirklichkeit darstellt. Doch dies ist höchstwahrscheinlich ein fundamentaler Fehlschluss. Wahrnehmung ist nicht gleich Wirklichkeit. Glaubt man nämlich den Erkenntnissen, Annahmen und Postulaten aus der heutigen Physik, Neurologie, Psychologie, Philosophie und aus vielen anderen Wissenschaften, kann die vom naiven Realismus vertretene Auffassung als widerlegt angesehen werden. Denn viele wissenschaftliche Auffassungen, aber auch einfachste Überlegungen zeigen auf, dass wir die Welt zu Teilen oder ganz erschaffen können und dies auch tun. Aufgabe 2 Es gibt Einwände gegen den «naiven Realismus». 1) Fehlen einer völligen Sicherheit der Sinneswahrnehmumng: Die Dinge sind nicht unbedingt so, wie sie zu sein scheinen. Bei Sinnestäuschungen gibt es ein Abweichen von Anschein und Realität. 2) Rolle eines aktiven Erfassens bei der Wahrnehmung: Wahrnehmung ist kein nur passives Geschehen, bei dem die Gegenstände unmittelbar ein getreues Abbild schaffen. Unterscheidungen, deutende Denkweisen und der Erfahrung vorausgehende Formen der Anschauung sind beteiligt. 3) Unsicherheit bei der Zusammensetzung von Sinneseindrücken zu ganzen Sachen: Die Sinneswahrnehmung vergegenwärtigt nicht einfach immer genau eine Sache, indem Sinneseindrücke zu einem Ganzen zusammengesetzt und von anderen Sinneseindrücken abgetrennt werden. Dazu, was zu einer Sache gehört und was nicht, ist auch eine Erschließung durch begriffliches Denken nötig. Ein Standpunkt, der mit Erfolgschancen verteidigt werden kann, ist dagegen der «kritische Realismus». Dieser ist eine eingeschränkte Variante des Realismus, weil er zwischen Wirklichkeit/Realität und Anschein unterscheidet, über Erkenntnismöglichkeiten und ihre Grenzen nachdenkt und bereit ist, seine Annahmen zu überprüfen. Für einen «kritischen Realismus» sind mehrere Hauptargumente möglich. 1) Wahrnehmung ist nicht völlig grundlos. Die Sinnesdaten müssen auf irgendetwas zurückgehen. Anders sind sie ncht gut erklärbar. 2) Aus dem Umstand, unsere Wahrnehmung auch aktiv herzustellen, folgt nicht zwangsläufig, daß die wahrgenommene Wirklichkeit nichts als Einbildung und Konstruktion der menschlichen Erkenntnisvermögen ist. 3) Die Annahme, die Wirklichkeit sei völlig vom Bewußtsein/dem Denken der Subjekte abhängig, also bloß Einbildung und Konstruktion, keine objektive Realität, ist kaum praktisch durchzuhalten. Denn dann sollte es doch möglich sein, die Dinge beliebig formen zu können, ohne damit auf sehr große Schwierigkeiten zu stoßen. Aber die wahrgenommene Welt der Erfahrung fügt sich solchen Versuchen nicht einfach widerstandslos. Dies ist ein Anzeichen für ihre vom subjektiven Bewußtsein unabhängige Existenz und Eigengesetzlichkeit. Wer dies bestreitet, soll gegen eine Wand laufen und Schäden, Verletzungen und Schmerzen überzeugend für ein bloßes Konstrukt erklären. Auch ein dauerhaftes und vollständiges Ignorieren alleR anderen Menschen, als ob sie nur Einbildungen seien, ist höchst schwierig.