Stichworte für die Arbeit in der Arbeitsgruppe Globalisierung der

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Landesverband Hessen
Globalisierung, Gerechtigkeit
und Solidarität:
Bausteine einer Sozialpolitik
im 21. Jahrhundert
Verfasser: Dr. Matthias Zimmer
Beschluss des Landesausschusses der CDA Hessen
am 17. April 2004
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Globalisierung, Gerechtigkeit und Solidarität:
Bausteine einer Sozialpolitik im 21. Jahrhundert
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist der Begriff der Globalisierung zu
einem populären Schlagwort geworden. Die Popularität des Begriffes erklärt
sich aus seiner unmittelbaren Eingängigkeit: Globalisierung ist eine
Alltagserfahrung, unmittelbar verständlich. Gleichzeitig ist der Begriff der
Globalisierung
seltsam
unscharf
und
schillernd,
weil
sich
in
ihm
beschreibende und normative Elemente mischen. Dies zeigt sich schon an
der inhaltlichen Spannbreite der Themen, die unter dem Begriff der
Globalisierung
abgehandelt
werden:
grenzüberschreitende
Finanz und
Transaktionsströme,
die
Mobilität
des
Produktionsfaktors
Arbeit,
die
zunehmende kulturelle Homogenisierung und Überlagerung lokaler Kulturen und
Traditionen
durch
globale
Marken
und
globale
Kulturstandards,
die
zunehmende wechselseitige Durchdringung von Kulturen durch Migration,
temporäre Mobilität und Kommunikation, die Revolutionen im Informations -,
Kommunikations- und Transportwesen, die Fragen schließlich nach den
gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen einer Kompression von
Raum und Zeit.
Diese keineswegs vollständige Aufzählung zeigt, welche technologischen,
ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen mit dem Begriff
der Globalisierung zusammengefasst werden. Doch im Kern geht es nicht um
eine Analyse und Bestandsaufnahme dieser Prozesse, sondern um eine
politische Bewertung. Die normative Dimension der Globalisierung ist die
Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten nationaler und internationaler
Gerechtigkeit. Globalisierung aktualisiert die Frage nach dem Leitbild des
Zusammenlebens jenseits der Marktmechanismen. Die Frage, wie wir leben
wollen, wird heute sowohl im kategorialen Rahmen des Nation alstaates als
auch darüber hinaus zu beantworten sein.
Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts hat die soziale Frage zu einem
brennenden Problem werden lassen. Sowohl die Arbeiterbewegung als auch
die christliche Soziallehre haben darauf je eigene Antworten gegeben. Zu
Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Globalisierung zu einem sozialen
Problem, auf das es noch keine befriedigenden Antworten gibt. Dies gilt
umso mehr, als viele Autoren behaupten, die Globalisierung unterlaufe auch
das herkömmliche Verständnis von Staatlichkeit; sie sprechen von einem
Abschied vom Nationalstaat, von einem Verlust an Steuerungskapazität, von
einem Wegsickern staatlicher Autorität in regionale, internationale und
transnationale Strukturen, Institutionen und Netzwerke. We r aber wenn nicht
der Staat kann überhaupt Bedingungen sozialer Gerechtigkeit gesellschaftlich
2
verbindlich setzen? Wer wenn nicht der Staat kann Märkte ordnungspolitisch
gestalten und einhegen? Und wer, wenn nicht der Staat, kann die
Grundbedingungen funktionierender Märkte garantieren: den Schutz des
Eigentums, Rechts- und Vertragssicherheit, soziale Stabilität?
Die Globalisierung stellt uns vor viele Fragen. Gleichzeitig wird die
Beantwortung der Fragen durch unterschiedliche Sichtweisen und Zugänge
erschwert. Einige stehen der Globalisierung grundsätzlich positiv gegenüber.
So wird argumentiert, Globalisierung – verstanden als eine Öffnung der
Märkte,
Abbau
von
Handelshemmnissen
und
wachsender
weltweiter
Arbeitsteilung – führe zu Wachstum und Wohlstand. Gleichzeitig sei damit die
Hoffnung auf eine nachhaltige Entwicklung in der so genannten „Dritten Welt“
gegeben, weil Globalisierung der Königsweg aus dem Teufelskreis von Armut
und
Unterentwicklung
sei.
Andere
sind
grundsätzlich
skeptisch
und
argumentieren, die Globalisierung unterlaufe sozialstaatliche Standards, führe
zur Erosion sozialer Solidarität und sei, gerade im Verhältnis zur „Dritten
Welt“, eine Fortsetzung diskriminierender wirtschaftlicher Strukturen. Diese in
ihren Annahmen und Folgerungen unterschiedlichen Ansätze wurden in der
Vergangenheit
wiederholt
medienwirksam
deutlich:
während
sich
die
Weltwirtschaftsgipfel der acht führenden Industriestaaten als grundsätzliche
Befürworter der Globalisierung sehen, machten die Gegendemonstranten in
Seattle und Genua, aber auch auf den Weltsozialforen in Porto Allegre und
Bombay, die negative Bilanz der Globalisierung auf.
Gegenüber einer vereinfachten und der tatsächlichen Komplexität nicht gerecht
werdenden Sichtweise gehen wir von folgenden Annahmen aus:
a. Globalisierung ist kein Schicksal. Auch wenn Globalisierung als Ganzes
nicht gesteuert werden kann ist es am Staat, eigenständig oder in
Kooperation mit anderen Staaten oder Institutionen Globalisierung von
innen zu gestalten. Globalisierung war politisch gewollt. Die politische
Initialzündung der Globalisierung waren die Deregulierungsmaßnahmen
seit den 1970er Jahren und die Aufhebung von Zöllen und
Kapitalverkehrs-beschränkungen. Deshalb kann Globalisierung auch
politisch gestaltet werden.
b. Globalisierung hat positive und negative Seiten. Weder eine bloß
ablehnende oder eine rein affirmative Einstellung zur Globalisierung
hilfreich noch realistisch. Wichtig ist es, Handlungsspielräume in der
Globalisierung zu erkennen und konsequent zu nutzen. Dies b etrifft
sowohl
Handlungsspielräume
des
Staates
als
auch
derjenigen
internationalen Organisationen, die (wie etwa die Weltbank oder der
Internationale Währungsfond) Globalisierung als ihr „Tagesgeschäft“
3
betreiben. Weder ein Abschied aus der Globalisierung noch ein
radikaler Systemwechsel sind brauchbare Alternativen. Die Kritiker der
Globalisierung sitzen, wie es Claus Leggewie ausgedrückt hat, „mit im
Fiaker“. 1 Deshalb kann es nur darum gehen, Wege in der
Globalisierung zu finden.
c. Globalisierung ist ein Übergang; Übergänge aber können krisenhaft
verlaufen.
Deshalb
ist
es
notwendig,
mögliche
Krisenszenarien
vorzudenken und politische Antworten langfristig zu formulieren.
Langfristig
formulieren
können
wir
nur
dann,
wenn
wir
ein
gesellschaftspolitisches Leitbild haben. Gerade die christlich-soziale Idee
ist als gesellschaftspolitisches Leitbild aktuell wie nie, gleichzeitig aber
auch gefährdet durch eine Ideologie, die im Markt allein die Zukunft
sieht.
d. Das christlich-soziale Leitbild ist mit einem Primat des Marktes nicht
vereinbar. Es betont im Gegenteil die Unverfügbarkeit der menschlichen
Würde und formuliert Anforderungen an eine soziale, gerechte und mit
menschlicher Würde vereinbare Form des Zusammenlebens und des
Wirtschaftens. Der Mensch ist kein reiner homo oeconomicus . Dies
bedeutet, dass nicht alles, was der Mensch tut, den Gesetzen von
Angebot und Nachfrage unterworfen werden darf. In der Aussage der
Globalisierungskritiker, die Welt sei keine Ware, kann sich christlich soziales Denken deshalb wieder finden.
Globalisierung und Wirtschaft
Durch die Globalisierung stehen nicht nur Firmen untereinander, sondern auch
nationale Standorte insgesamt in einem Wettbewerb. Deutschland ist als
Standort in die Diskussion gekommen. Ein Übermaß an Bürokratie, z u hohe
Steuern und zu hohe Lohnnebenkosten, so wird argumentiert, führten zu
einer strukturellen Schwächung des Standortes im internationalen Wettbewerb.
Die Folge sei eine hohe Anzahl von Konkursen und die Abwanderung von
Investivkapital ins Ausland. Damit einher gehe ein Verlust an Arbeitsplätzen,
weil der Produktionsfaktor Arbeit in Deutschland insgesamt zu teuer geworden
sei. In dieser, stark vereinfachten Darstellung mischen sich Momentaufnahmen
verschiedener wirtschaftlicher Ebenen mit einer Deregulierungsideologie, die
lediglich
im
Abbau
von
Regelungsdichte,
dem
Rückbau
sozialer
Sicherungssysteme und dem Abschmelzen von Lohnnebenkosten einen
Königsweg zu internationaler Wettbewerbsfähigkeit sieht. Gleichwohl ist diese
Sichtweise verkürzt, denn sie übersieht
1
Claus Leggewie, Die Globalisierung und ihre Gegner. München: Beck 2003, S. 15.
4
-
-
-
dass
Deutschland
nach
wie
vor
einen
Spitzenplatz
in
den
internationalen Exporten einnimmt;
das die Arbeitsproduktivität in Deutschland nach wie vor sehr hoch ist;
das das bisherige System sozialer Sicherung zu einer beispiellosen
sozialen Stabilität geführt hat, die selbst ein zentraler Standortfaktor
ist;
das die Arbeitsmotivation, die sich aus dem Wissen um gesicherte
Arbeitsplätze
und
soziale
Sicherheit
speist,
einen
nicht
zu
unterschätzenden Anreiz darstellt, sich mit einem Unternehmen und der
Arbeit zu identifizieren;
das hohe Bildungs- und Ausbildungsniveau in der Bundesrepublik
Deutschland, das attraktiv ist für die Investition in
qualifizierte
Beschäftigung.
Allerdings lässt sich die wirtschaftliche Position Deutschlands in der
Globalisierung nur dann halten und ausbauen, wenn die für das Wirtschaften
bestimmenden Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik verändert werden.
Globalisierung führt nicht an sich zu ökonomischen Verwerfungen, sie macht
aber Strukturdefizite deutlich. In der notwendigen Strukturdebatte kann es
aber nicht darum gehen, das weithin liberalisierte angloamerikanische Modell
umstandslos nach Deutschland zu importieren. Die Wirtschaftsordnung der
Bundesrepublik hat eine eigene Struktur, eine eigene Tradition, und innerhalb
des geistigen Horizontes dieser Tradition muss eine Antwort auf die
Herausforderungen der Globalisierung gefunden werden, ohne die eigene
Identität preiszugeben.
Politik kann die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland durch
ordnungspolitische Maßnahmen, den Umbau des Sozialstaats und den Abbau
von Regelungsdichte befördern. Die materiellen Voraussetzungen für einen
funktionierenden Sozialstaat aber schafft die Wirtschaft. Geld, dass in soziale
Systeme fließt, muss erarbeitet werden. Wirtschaften im klassischen Sinn
bedeutete aber nie, dass die Mittel den Zweck heiligten. Auch und gerade in
der globalisierten Welt gibt es eine gesellschaftliche Verantwortung der
Wirtschaft. Diese gesellschaftliche Verantwortung schließt ein
-
sich nicht nur am shareholder value zu orientieren, sondern die
gesellschaftlichen und sozialen Kontexte mit zu bedenken;
sich den Fragen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit des
Wirtschaftens zu stellen;
die Pflicht zur Mitfinanzierung von Infrastruktur und Sozialsystemen
anzuerkennen.
5
Gerade im letztgenannten Bereich muss konstatiert werden, dass Unternehmen
zunehmend sich der Mitfinanzierung von öffentlichen Aufgaben entziehen. Die
Folge ist ein Nachlassen des Steueraufkommens und eine Einschränkung der
staatlichen Steuerautonomie. Corporate Sponsoring ist kein Ersatz für die
Mitfinanzierung öffentlicher Aufgaben durch Steuern. Dass sich große
Konzerne durch interne Verrechnungen von der Steuerpflicht befreien können,
wie der katastrophale Einbruch der Gewerbesteuer nach de r letzten
Steuerreform deutlich gezeigt hat, ist sowohl Zeichen für schlechte politische
Gestaltung wie für ein fragwürdiges Verständnis von corporate citizenship . Die
CDA tritt deshalb dafür ein dass
-
-
-
das
bundesdeutsche
Steuersystem
vereinfacht
wird
und
Ausnahmeregelungen
und
Abschreibungsmöglichkeiten
weitgehend
beseitigt werden;
das eine Besteuerung von Wirtschaftseinheiten vereinfacht und für die
Unternehmen wie die öffentliche Hand verlässlich erfolgt;
dass die Möglichkeiten zur Verlagerung von Unternehmenssitzen in
Niedrigststeuerländer
oder
offshore-Zentren
durch
international
verbindliche Absprachen erschwert wird;
dass internationale Vereinbarungen geschlossen werden, um vor allem
im
Verhältnis
der
OECD-Länder
untereinander
einen
ruinösen
Steuerwettbewerb zu unterbinden.
Globalisierung und Finanzmärkte
Die internationalen Finanzmärkte sind der am weitesten fortgeschrittene
Bereich der Globalisierung. Die Geschwindigkeit der Transaktionen hat sich in
den letzten Jahren ebenso vervielfacht wie das Volumen und die Instrumente.
Gleichzeitig hat die häufig ungeregelte Dynamik der Finanzmärkte auch ihre
hohe Krisenanfälligkeit demonstriert. In den Schulden- und Währungskrisen
der vergangenen Jahre sind ganze Regionen in eine ökonomische Schieflage
geraten. Menschen mussten erleben, wie ihr ökonomisches Schicksal nicht
durch eigene Arbeit, sondern durch Spekulationen und Transaktionen in den
Finanzmärkten bestimmt wurde. Die Größenordnung der Kapitalbewegungen an
den Finanzmärkten ist längst entkoppelt von realen Produktions- und
Investitionswerten.
Spekulationsund
Abitragegeschäfte
bestimmen
die
internationalen Finanzbewegungen. Spekulationen gegen eine Währung zum
Nachteil der Volkswirtschaft eines Landes sind ebenso Realität wie irrationale
Dominoeffekte auf den Finanzmärkten, in denen nach Vorgaben von
Marktführern
wie
bspw.
privaten
Rating-Agenturen
oder
führenden
Markthändlern entschieden wird. Nicht wirtschaftliche Fundamentaldaten
6
bestimmen dann die Marktentwicklung, sondern sich selbst verstärkende
Erwartungen, die nichts mehr mit einem Marktgleichgewicht zu tun haben.
Deshalb stimmt die CDA dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken zu,
das in einer Erklärung vom 9. Mai 2003 gefordert hat, für die
internationalen Finanzmärkte „schrittweise und beharrlich Rahmenbedingungen
einer
internationalen
sozialen
Marktwirtschaft
aufzubauen.“ 2 Nur
eine
funktionierende „global governance“ kann aus den ungeregelten Märkten mit
ihrer hohen Volatilität eine stabile, nachhaltige und die Anforderungen sozialer
Stabilität nicht vernachlässigende globale Wirtschaftsordnung schaffen. Dabei
bedeutet „global governance“ nicht eine „Weltregierung“, sondern die
Stärkung internationaler Institutionen und Organisationen sowie die Einführung
verbindlicher
Regelungen,
an
die
die
Staaten
in
ihrer
eigenen
Wirtschaftspolitik gebunden sind. Dazu gehören vor allem
-
-
-
die Einführung eines Insolvenzrechts für arme und hoch verschuldete
Länder unter Federführung des IWF oder der Weltbank;
die Verpflichtung offizieller Kreditgeber (vor allem IWF und Weltbank)
auf Kriterien der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit anstatt
ausschließlich auf eine Strukturanpassung durch Deregulierung;
die Stärkung der nationalen Banken- und Börsenaufsicht;
die Zusammenschließung von Währungsräumen zur Stabilisierung von
Währungs- und Finanzbeziehungen;
die Einführung einer Devisentransaktionssteuer (Tobin-Steuer);
die Sicherung der Kreditversorgung vor allem kleiner und mittlerer
Unternehmer auch nach der Standardisierung der Regeln und Verfahren
zur Risikoeinschätzung im Kreditgeschäft (Basel II);
die Diskriminierung von Fonds, die ihre Geschäfte aus Steueroasen
heraus abwickeln;
Förderung
langfristiger
Investitionen
durch
Zulassung
von
Kapitalverkehrskontrollen in Entwicklungsländern;
Schaffung regelgebundener Strukturen zur Einbeziehung von Kreditgebern
in die Lösung von Finanzkrisen („bail in“) zur Vermeidung von „moral
hazard“ Verhalten von Kreditgebern.
Die Situation auf den internationalen Finanzmärkten erinnert historisch an die
Frühphase des Liberalismus und der Industrialisierung, in der die These
vertreten wurde, Freihandel befördere automatisch den allgemeinen Wohlstand.
Aber schon das deutsche Beispiel hat gezeigt, dass eine Volkswirtschaft erst
für den Freihandel bereit sein muss, wenn sie durch diesen nicht Schaden
„Internationale Finanzmärkte – Gerechtigkeit braucht Regeln“, Erklärung des Zentralkomitees der
deutschen Katholiken, Bonn 9. Mai 2003, S. 9.
2
7
nehmen soll. Ob eine vollständige Liberalisierung der Kapitalmärkte ebenfalls
langfristig zu Wachstum und Wohlstand führt, mag dahingestellt bleiben.
Kurz- und mittelfristig führt eine solche Liberalisierung zu schweren sozialen
Verwerfungen, Krisen und politischer Instabilität. Man mag dies als zu
erbringende Anpassungskosten marginalisieren. Doch wer zu einseitig auf den
Markt setzt, übersieht die Konsequenzen von Marktversagen. Überdies
entspricht es nicht unserer Auffassung von Gemeinwohl, alles zu Gunsten
freier Kapitalverkehrsströme zu deregulieren. Politik hat den Auftrag, zu
gestalten, nicht, sich aus der Gestaltung unter Verweis auf Deregulierung
zurückzuziehen. Deshalb brauchen auch die internationalen Finanzmärkte einen
regulatorischen
Rahmen,
der
eine
ordnungspolitische
Grundeinsicht
widerspiegelt: Das alles Wirtschaften nämlich nicht seine Zielsetzung in sich
selbst trägt, sondern nur auf Grundwerte bezogen sein kann. Dabei ist
allerdings auch zu berücksichtigen, dass internationale Organisationen,
Institutionen und Regelungen nur so stark sein können wie der Wille der
beteiligten Staaten, diese auch zu tragen. In der jetzigen, von den OECD Ländern dominierten Weltwirtschaftsstruktur kommt diesen Staaten deshalb eine
besondere Vorreiter- und Vorbildfunktion zu. Das Aufkündigen eines
internationalen
Konsenses
zugunsten
unilateraler
Lösungen,
fehlende
innerstaatliche
Umsetzungen
von
internationalen
Verträgen
und
die
Instrumentalisierung internationaler Organisationen schädig en das Vertrauen in
die Berechenbarkeit und Wirksamkeit des Schutzes öffentlicher globaler Güter.
Globalisierung und öffentliche Güter
Öffentliche Güter sind solche, die durch den Markt nur unzureichend oder
gar nicht bereit gestellt werden können, deren Gewährleistung jedoch im
öffentlichen Interesse liegt. So ist beispielsweise eine funktionierende,
regelgebundene Marktwirtschaft selbst ein öffentliches Gut, das von den
Marktteilnehmern selbst nicht produziert werden kann. Die Schaffung eines
organisatorischen
Rahmens
und
die
sanktionsbewehrte
Durchsetzung
verbindlicher Normen ist eine öffentliche, d.h. staatliche Aufgabe. Auch im
eigenen Interesse brauchen Märkte eine Ordnung, die diese Märkte verfasst,
ihre Grenzen aufzeigt und öffentliche Güter verbindlich schützt. Das
Gemeinwesen kann, wie George Soros es formuliert hat, nicht durch
Profitdenken erhalten werden; eine offene Weltgesellschaft muss sich des
Schutzes gemeinsamer Interessen jenseits des Marktes vergewissern. 3
3
George Soros, Die offene Gesellschaft. Für eine Reform des globalen Kapitalismus. Berlin:
Alexander-Fest-Verlag 2001
8
Die Globalisierung hat dazu geführt, dass es eine breitere Aufmerksamkeit für
den Schutz globaler öffentlicher Güter gibt. Frieden, Recht und Ordnung,
Ökologie und Soziales sind zunehmend Aufgaben der Staatenwelt insgesamt.
Dies ist nicht nur in der UN-Charta, den Menschenrechtserklärungen und
einer Vielzahl von internationalen Übereinkommen dokumentiert. Deshalb ist
die Einsicht entscheidend, dass im Konflikt zwischen globalen öffentlichen
Gütern und den Imperativen des wirtschaftlichen Wachstums der Kernbestand
globaler öffentlicher Güter nicht zur Disposition gestellt werden darf. Längst
ist es Gemeingut, dass nur eine Reduktion von Schadstoffen und eine
nachhaltige Entwicklung das globale Ökosystem auf Dauer schützen kann.
Und ebenso ist es heute ein „globaler Konsens“, dass bestim mte Formen
ausbeuterischer Arbeitsbeziehungen (wie etwa Zwangs- und Kinderarbeit) zu
Recht ebenso verboten sind wie die Einschränkung der Vereinigungsfreiheit
oder Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. 4 Darüber hinaus fordert die
CDA aber die politischen Entscheidungsträger auf, sich international dafür
einzusetzen
-
-
-
das im Rahmen der ILO und der Vereinten Nationen die Einhaltung
internationaler Sozialstandards verstärkt durchgesetzt wird;
das die Einhaltung sozialer Mindeststandards ein Kriterium der
Kreditvergabe von Weltbank und IMF wird;
dass im Rahmen der WTO fortgesetzte, massive Verstöße gegen die
internationalen Sozialstandards durch die Androhung und Umsetzung
handelspolitischer Nachteile geahndet werden können;
das multinationale Unternehmen die von UN-Generalsekretär Kofi Annan
im
Rahmen
der
„Global
Compact-Initiative“
vorgestellten
neun
Grundprinzipien als verbindlich anerkennen und über die Einhaltung der
Prinzipien regelmäßig berichtet wird;
dass der Verbraucher durch „social labelling“ üb er den sozialen und
ökologischen Entstehungskontext eines Produkts informiert wird;
das internationale Zertifikate für solche Produkte eingeführt werden, die
in vorbildlicher Weise unter sozial fairen und ökologisch nachhaltigen
Bedingungen hergestellt worden sind.
In der Bundesrepublik fallen auch Maßnahmen der Daseinsvorsorge unter den
weit gefassten Begriff der öffentlichen Güter. In den letzten Jahren hat es
einen Paradigmenwechsel gegeben, bedingt auch durch eine Denkphilosophie,
So der Exekutivdirektor der ILO, Kari Tapiola, in seiner Erklärung “Normen und grundlegende
Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ vor der Enquete -Kommission „Globalisierung der
Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, Berlin, 12. Februar 2001
(http://www.bundestag.de/gremien/welt/weltto/weltto116_stell002.pdf).
4
9
die sich von der Privatisierung öffentlicher Aufgaben nicht nur eine Entlastung
der
öffentlichen
Kassen,
sondern
auch
eine
Effizienzsteigerung
bei
gleichzeitiger Kostensenkung versprach. Tatsächlich haben die Privatisierungen
der Post, der Telekommunikation und die Liberalisierung auf dem Strommarkt
durchaus solche Effekte mit sich gebracht. Gleichwohl sind wir der
Überzeugung, dass es in öffentlichem Interesse ist, bestimmte Bereiche der
Daseinsvorsorge nicht den Regeln von Angebot und Nachfrage zu
unterwerfen. Dazu gehören
-
das Gesundheitssystem
Kultur
Bildung
der öffentliche Raum.
Das Gesundheitssystem in Deutschland
Umbau. Dabei muss die Philosophie des
Gesundheit nicht zu einem Gut zu
Marktgesetzen
unterworfen
ist.
Die
Gesundheitswesen ist nicht mit einer
Gesundheitssystem bleibt eine öffentliche
gesellschaftlicher Solidarität.
steht vor einem grundlegenden
Umbaus aber sich daran richten,
machen, das ausschließlic h den
Steigerung
der
Effizienz
im
Privatisierung gleichzusetzen. Das
Aufgabe und ein Kernbestandteil
Kultur ist, gerade in Deutschland, immer eng an staatliche Förderung
gebunden gewesen; dies macht den kulturellen Reichtum und die Vielfalt in
Deutschland aus. Kultur schafft Freiräume, und sie spiegelt Identität. Eine
Unterwerfung des kulturellen Sektors unter die Marktgesetze würde zu einer
Verflachung des kulturellen Angebots und einer Ausrichtung kultureller Inhalte
auf kommerzielle Verwertung führen.
Bildung ist in Deutschland ein öffentliches Gut. In einer Wissensgesellschaft,
in der die Erarbeitung, Aneignung und Anwendung von Wissen ein zentraler
Produktionsfaktor ist, kann dies auch nicht anders sein. Bildung muss
deshalb für alle offen stehen. Die CDA steht Studiengebühren nicht
ablehnend gegenüber, sofern sie den Bildungseinrichtungen unmittelbar zugute
kommen und ausreichend Vorkehrungen
getroffen werden, über Stipendien
und Kreditfinanzierung auch einkommensschwachen Schichten den Zugang zu
weiterführender Bildung zu ermöglichen. Die CDA befürwortet einen stärkeren
Wettbewerb gerade der Hochschulen untereinander. Ein solcher Wettbewerb
darf
aber nicht mit einer Marktöffnung, also dem unbegrenzten Zugang
privater Anbieter im Bildungsbereich, verwechselt werden.
10
Der öffentliche Raum ist ein kollektives Gut, dass vor allem in den Städten
die urbane Qualität definiert. Kommerzialisierung und Privatisierung des
öffentlichen Raumes führen zu einer Verödung der Städte. Der Politik muss
deshalb die Möglichkeit langfristiger Stadtplanung im öffentlichen Interesse
erhalten bleiben. Darüber hinaus ist öffentliche Sicherheit keine Aufgabe, die
sich zur Privatisierung eignet.
Deshalb tritt die CDA dafür ein dass
-
-
-
in den Verhandlungen über ein Weltdienstleistungsabkommen (General
Agreement on Trade in Services = GATS) die Basisdienstleistungen im
Gesundheitswesen und in der Bildung ausgeklammert werden;
das im Zuge der Handelsliberalisierungen entweder über das GATS
oder ein neues Multilaterales Investitionsabkommen die europäischen
Meistbegünstigungsausnahmen für die Filmförderung und das System
öffentlich-rechtlichen Fernsehens bestehen bleiben;
die Instrumentarien zur Gestaltung des öffentlichen Raums geschützt
bleiben; dies betrifft bau- und planungsrechtliche Vorschriften, aber
auch
die
Praxis,
über
Quersubvention
den
öffentlichen
Personennahverkehr besonders zu fördern.
Die Aussage, dass in der Liberalisierung der Dienstleistungen sich ein großer
Wachstumsmarkt öffne, ist an sich noch keine Bewertung, ob eine solche
Entwicklung auch im öffentlichen Interesse ist. Die Bürger haben einen
Anspruch darauf, eine bestimmte Grundversorgung durch den Staat bereit
gestellt zu bekommen. Darüber hinaus ist es Aufgabe von Politik, den Markt
im Interesse des Gemeinwohls einzuhegen. Deshalb ist die Setzung
regulatorischer Standards im Arbeitsschutz, in der Gesundheit, in der
Lebensmittelsicherheit, in der Bausicherheit, oder im Marktzugang, um nur
einige Bereiche zu nennen, kein Handelshemmnis, sondern Ausdruck des
Gemeinwohlorientierten Gestaltungswillens von Politik. So verstanden sind
öffentliche Güter „Ausdruck einer Demokratie, in der Freiheit, Gleichheit und
Gerechtigkeit, Solidarität und Kooperation einen hohen Stellenwert haben.“ 5
Globalisierung, Arbeitsmarkt und Gesellschaft
Die
für
viele
Menschen
unmittelbar
erfahrbaren
Auswirkungen
von
Globalisierung finden auf dem Arbeitsmarkt statt, obwohl dieser gegenüber
dem Finanzmarkt oder dem Dienstleistungsmarkt wenig liberalisiert worden ist.
Julian Nida-Rümelin, „Der ineffiziente Markt. Kollektive Güter müssen vor Staatsabbau geschützt
werden“, Frankfurter Rundschau 16. Oktober 2003.
5
11
Diese Erfahrungen haben zwei Wurzeln: Zum einen die zunehmende
Verlagerung von Produktionsstätten in Billiglohnländer, zum anderen die legale
und illegale Arbeitsmigration nach Deutschland. Deshalb ist Globalisierung für
viele Menschen mit existenzieller Angst verbunden: Mit der Angst den
Arbeitsplatz zu verlieren; mit der Angst, einen neuen Arbeitsplatz nur weit
entfernt zu finden und dafür soziale Bindungen aufgeben zu müssen; mit der
Angst vor der Konkurrenz zugewanderter Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt;
mit der Angst vor Lohn- und Sozialdumping. Zusätzlich beflügeln die in der
öffentlichen Diskussion vorgetragenen Rezepte diese vorhandenen Ängste.
Deutschland, so heißt es, habe zu hohe Lohn- und Lohnnebenkosten; die
anhaltend hohe Arbeitslosigkeit spiegele strukturelle Schwächen der deutschen
Wirtschaft wider; die Menschen müssten flexibler werden, sich den
Erfordernissen des Arbeitsmarktes anpassen; die Zukunft gehöre den beruflich
mehrfach
gebrochenen
Biographien;
Arbeitslose
müssten
auch
Arbeit
annehmen, die weit unter ihrem Qualifizierungsniveau liegt.
Vielfach spiegelt sich in solchen Aussagen eine Weltsicht, in der Arbeit nicht
mehr als Bestandteil menschlicher Existenz und Würde, sondern ausschließlich
als Produktionsfaktor unter Profitgesichtspunkten verstanden wird. 6 Eine solche
Sichtweise wird immer wieder dann virulent, wenn ein Abbau von
Beschäftigung nicht mit nachlassender Nachfrage, sondern mit Steigerung des
shareholder values begründet wird; wenn gewinnbringende Unternehmen
geschlossen werden, weil durch die Schließung noch mehr Gewinn
ausgewiesen werden kann; und wenn schließlich Manager zu solchen
Strategien dadurch ermuntert werden, weil ihr Gehalt nicht an die Anzahl der
Arbeitsplätze gekoppelt ist, die in einem Unternehmen bestehen oder
geschaffen wurden, sondern lediglich am erwirtschafteten Profit. Die gerade in
den letzten Jahren vor allem in den USA (von Arthur Anderson bis Xerox)
deutlich gewordene Verwischung des Übergangs vom Unmoralischen zum
Ungesetzlichen im Namen des Profits zeigt darüber hinaus, dass die
Mentalität des „Kasinokapitalismus“ (Susan Strange) auch vor Rechtsbrüchen
nicht
zurückschreckt.
Angesichts
solcher
Entwicklungen
auf
die
Selbstheilungskräfte des Marktes zu vertrauen und dem Staat Zurückhaltung
zu empfehlen erscheint zynisch. Arbeitsbeziehungen sind immer auch soziale
Beziehungen und damit normativ aufgeladen. Eine Reduzierung von
Arbeitsbeziehungen auf die Profitmehrung reduziert den Menschen auf ein
Mittel zum Zweck und legt eine moralische Deformation zu Tage, der durch
bloße Appelle nicht beizukommen sein wird.
6
Zur Kritik vgl. Viviane Forrester, Die Diktatur des Profits. München: dtv 2002
12
Gleichwohl gilt es, den alarmistischen Stimmen über die Zukunftsfähi gkeit von
Arbeit in Deutschland eine besonnene Analyse entgegen zu setzen. Wenn
lediglich der Preis der Arbeit über Produktionsstandorte entscheiden würde,
gäbe es eine massive Abwanderung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer. Die
Kosten von Arbeit sind immer nur ein Faktor in der Standortentscheidung.
Weitere wichtige Faktoren sind die soziale und politische Stabilität, die
Qualität und Flexibilität der Arbeitskräfte, die Standards von Bildung und
Ausbildung, die Verfügbarkeit von Forschungseinrichtungen, die öffentliche
Infrastruktur, die Verkehrsbeziehungen, die Nähe von Zulieferbetrieben. Eine
Verkürzung der Diskussion auf die hohen Lohnkosten in Deutschland blendet
damit
bewusst
die
für
Standortentscheidungen
ebenfalls
wichtigen
Kontextfaktoren aus. Diese Kontextfaktoren aber werden zu großen Teilen mit
öffentlichen Geldern bereit gestellt. Auch deshalb ist ein verlässliches und
verstetigtes Steueraufkommen der öffentlichen Hand der entscheidende
Standortfaktor in Deutschland.
Die Zukunft der Arbeit in Deutschland ist eng mit der Zukunft von Bildung
und Ausbildung verknüpft. Hohe Standards und hohe Qualität in den
Bildungssystemen sowie innovative Forschungseinrichtungen sind in der
heutigen Wissensgesellschaft die Voraussetzung schlechthin für Innovat ion und
Wachstum, damit auch für ein hohes Beschäftigungsniveau. In Deutschland
hat sich, bei tendenziell rückläufiger Bevölkerungszahl, die Anzahl der
Studenten in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt. Allerdings haben die
Ausgaben für Bildung und Ausbildung mit dieser Entwicklung nicht Schritt
gehalten. Die qualitätsorientierte Förderung von Bildung und Ausbildung muss
wieder eine politische Priorität werden. Mit ihr ist die Zukunft der Arbeit in
Deutschland eng verknüpft.
Mit den Vorschlägen der Herzog-Kommission hat die CDU ihre Vorschläge
unterbreitet, wie die Belastung des Faktors Arbeit durch Lohnnebenkosten
zurückgeführt werden kann. Allerdings muss auch konstatiert werden, dass in
den letzten Jahren sich ein Ungleichgewicht herausgebildet hat: Arb eit wird
stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen als Kapital. In
diesem Ungleichgewicht steckt eine Gerechtigkeitslücke, die die Legitimität der
Umbaubemühungen im Sozialstaat untergräbt. Deshalb ist es eine Frage der
Verteilungsgerechtigkeit, wenn bei den kollektiven Bemühungen um eine
Reform der Sozialsysteme Arbeit und Kapital gleichermaßen ihren Beitrag
leisten.
Schließlich gilt es auch, durch eine kluge Zuwanderungspolitik den
Arbeitsmarkt in Deutschland zu stärken. Schon jetzt ist der Arbeitsmarkt
gerade
im
Bereich
der
unteren
Lohnsegmente
durch
illegale
13
Beschäftigungsverhältnisse mit ausländischen Arbeitnehmern gekennzeichnet.
Dies betrifft Wirtschaftsbetriebe ebenso wie private Arbeitgeber, die sich über
solche Beschäftigungsverhältnisse beispielsweise eine Hilfe im Haushalt oder
bei der Pflege von Angehörigen sichern. Dies zeigt, dass auch in den
unteren Lohnsegmenten durchaus eine Nachfrage nach Arbeit besteht, sich
aber mangels effektiver Rechtsdurchsetzung oder als ungenügend empfundener
Rahmenstrukturen in anderen als den offiziellen Arbeitsmärkten konkretisiert.
Eine vernünftige Zuwanderungspolitik muss dies in Rechnung stellen und
darauf achten, dass die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und nicht in die
Sozialsysteme erfolgt.
Zu einer vernünftigen Zuwanderungspolitik gehört auch eine zukunftsweisende
Integrationsstrategie. Die Integration kann sich nicht am Leitbild einer
multikulturellen Parallelgesellschaft orientieren, sondern muss, bei aller
Achtung vor der Unterschiedlichkeit kultureller Prägungen, die Notwendigkeit
einer gemeinsamen Basis für das Zusammenleben in einer Gesellschaft
betonen.
Dazu
gehört
die
Aneignung
der
deutschen
Sprache
als
Grundvoraussetzung gesellschaftlicher Kommunikation. Integration ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht lediglich als Annex der Sozialpolitik
verstanden werden kann.
Globalisierung, Staat und Demokratie
Aus den bisherigen Überlegungen wird deutlich dass der Rückzug des
Staates nicht die Lösung, sondern das Problem in der globalisierten Welt ist.
Die Antwort auf die Probleme der Globalisierung kann nicht der Markt,
sondern nur der Staat geben. Historisch hat sich der Staat als Schutzinstanz
für die Gewährung von Sicherheit und die Durchsetzung des Rechts
entwickelt. Später sind die soziale Ausgleichsfunktion und die Schaffung eines
Rahmens für gesellschaftliche Partizipation in politischen Entscheidungen hinzu
gekommen. Es spricht nichts dafür dass diese vier Funktionen des Staates
durch die Globalisierung obsolet geworden sind. Es spricht aber alles dafür,
diese Funktionen des Staates in der Globalisierung zu stärken.
Sozialpolitik im 21. Jahrhundert braucht den kategorialen Rahmen des
Staates, sie geht aber auch darüber hinaus. Sozialpolitische Standards
können nicht mehr ausschließlich national begründet werden, sondern müssen
sich in der Kooperation von Staaten, aber auch in internationalen
Institutionen
und
Organisationen
als
Hilfsmittel
staatlicher
Politik
niederschlagen. Dies erfordert aber auch eine über die exekut ive Ebene
hinausgehende Stärkung demokratischer Strukturen von Zurechenbarkeit und
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Partizipation. Nicht der Weltstaat ist Leitbild dieser Entwicklung, denn diesem
Weltstaat entspricht keine Gesellschaft. Wohl aber eine Staatenwelt, die offen
ist für zivilgesellschaftliche Partizipation, sich orientiert an den Prinzipien der
Menschenrechte, der Nachhaltigkeit, der Solidarität und Gerechtigkeit und
durch
eine
Globalisierung
der
normativen
Fundamente
menschlichen
Zusammenlebens die Globalisierung der Märkte einholt und einhegt.
Gradmesser einer solchen Politik im globalen Maßstab ist die Zunahme der
substantiellen Freiheiten der Menschen. 7 Dies bedeutet nicht nur die
Beseitigung der Hauptursachen von Unfreiheit
wie etwa Armut, Despotie,
Intoleranz, fehlende öffentliche Infrastruktur
und Verweigerung von
Marktzugängen, sondern die Zunahme politischer, ökonomischer, sozialer und
partizipativer Verwirklichungschancen. In diesem Sinn verstanden kann
Globalisierung die Chance bedeuten, mehr Freiheit und Gerechtigke it
verwirklichen zu können – nicht nur in der Bundesrepublik, sondern weltweit.
Dazu bedarf es aber des Mutes, politisch zu gestalten und den Zumutungen
einer Ideologie, die sich jenseits des Staates glaubt, entschlossen entgegen
zu treten.
7
Vgl. Amartya Sen, Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der
Marktswirtschaft. München: dtv 2002.
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