Werden die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher? Das Problem der Einkommensungleichheit in globaler Perspektive Erich Weede, Universität Bonn Zusammenfassung Die Probleme Armut und Ungleichheit müssen unterschieden werden. Wo es ernst wird, geht das Problem der Armut in Hungern und Verhungern über. Noch im zwanzigsten Jahrhundert sind um die 60 Millionen Menschen (oder mehr) verhungert. Das Problem der Ungleichheit dagegen gibt es auch noch in Gesellschaften, wo nicht mehr die Unterernährung, sondern die Fettleibigkeit zum dominanten Gesundheitsproblem geworden ist. Gerade wenn man gleiche Lebensrechte aller Menschen unterstellt, ist die Armut das größere Problem als die Ungleichheit. Außerdem gibt es mindest zwei Dimensionen der Ungleichheit: erstens, die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Besserverdienern und Besitzenden einerseits und Geringverdienern und Besitzlosen andererseits, zweitens aber auch die zwischen Amtsinhabern und Machthabern einerseits und den Normalbürgern andererseits, die weder mit Amts- noch sonstigen Machtbefugnissen ausgestattet sind. Zumindest dann, wenn das Armutsproblem so gut wie in großen Teilen Europas gelöst ist und niemand mehr Angst vor dem Verhungern haben muss, ist nicht klar, ob politische oder wirtschaftliche Ungleichheit das größere Problem darstellt. Durch den Export der wirtschaftlichen Freiheit aus dem Westen in große Teile des Rests der Welt – das ist vielleicht der grundsätzlichste Aspekt der Globalisierung – und durch die Vorteile der Rückständigkeit, die die Ungleichheit zwischen armen und reichen Ländern den armen Ländern vermittelt, sind in den letzten 30 Jahren annähernd eine Milliarde Menschen aus der allerschlimmsten Armut befreit worden, vor allem in Asien, wo die Mehrheit der Menschheit lebt. Selbst im ärmsten Kontinent, in Afrika, hat sich in den letzten Jahrzehnten Gesundheit, Schulbildung und Wachstum deutlich verbessert. Es kann zwar noch darüber gestritten werden, wie sich im Zeitalter der Globalisierung die Ungleichheit der Einkommensverteilung unter den Menschen oder Haushalten entwickelt hat, aber die plausibelste Zusammenfassung ist folgende: In vielen großen Volkswirtschaften, einschließlich USA und China, hat die Ungleichheit im Lande zugenommen, aber die Ungleichheit zwischen den (nach Bevölkerungszahl gewichteten) Ländern hat eindeutig abgenommen, so dass es per Saldo zu einer leichten Abnahme der Ungleichheit unter den Menschen gekommen ist. Ganz eindeutig ist die Reduktion der Ungleichheit, wenn man nicht das Einkommen, sondern die Überlebenschancen der Menschen betrachtet. Nie waren die Überlebenschancen so egalitär verteilt wie heute. Denn die Entwicklungsländer profitieren gleich doppelt von der Existenz fortgeschrittener und reicher Länder. Erstens können sie von dort 1 Technologien übernehmen und dort kaufkräftige Märkte finden, was das Wachstum beschleunigt. Zweitens profitieren sie von dem in reichen Ländern erreichten medizinischen Fortschritt, der auf asiatischem Einkommensniveau heute ein längeres Leben ermöglicht als in der europäischen Geschichte auf dem gleichen Niveau. Nicht nur die armen Länder profitierten vom wirtschaftlichen Erfolg der reichen Länder, sondern umgekehrt profitieren auch die reichen Länder jetzt vom stürmischen Wachstum Chinas und anderer Schwellenländer. Die Debatte um Ungleichheit sollte diese grundsätzliche Interessenharmonie der Menschen in armen und reichen Ländern nicht verdecken. Do the Poor Get Poorer and the Rich Get Richer? The Problem of Inequality in Global Perspective Erich Weede, University of Bonn Abstract One should distinguish the problems of poverty and inequality. Where serious poverty prevails, there is hunger and the risk of dying from it. Even in the 20th century 60 million people (or more) died from starvation. Inequality, however, may persist even in societies where obesity has replaced malnourishment as the biggest health problem. If one takes equal human rights to life for granted, then poverty is a more serious problem than inequality. Moreover, there are at least two dimensions of inequality: first, economic inequality between those who earn more and own property on the one hand and those who earn less and own no property on the other hand, and second, inequality between those who hold political power or some public office on the one hand and those who participate in no way in power or the privileges of officialdom on the other hand. Once the problem of poverty has been solved as well as it has been in most parts of Europe where nobody needs to worry about starving to death, it is not obvious whether economic or political inequality is the bigger problem. Because of the export of economic freedom from the West to much of the rest of the world – this may be the most fundamental aspect of globalization – and because of the advantages of backwardness which result from the inequality between rich and poor countries, about one billion people have been saved from near starvation and poverty, most of all in Asia where most of mankind lives. Even in the poorest continent, in Africa, health, schooling, and economic growth rates improved during the last decade. Although one may still debate how inequality between human beings or households evolved during the current period of globalization, the most plausible summary is this one: In many big economies, USA and China included, inequality within countries has increased, but inequality between countries (weighted by population size) has decreased. Taking these effects together, inequality between human beings decreased somewhat. The reduction of inequality becomes much clearer, if one shifts the focus from income to longevity. Life expectancies were never distributed as equally as today. Developing countries benefit in two ways from the existence of richer and more advanced countries. First, 2 they can borrow technologies from there, or find rich markets for their exports there, and therefore increase their growth rates. Second, they benefit from medical progress in advanced countries. Therefore, Asian income levels buy more longevity than the same income level did in European history. Just as poor countries benefit from the economic success of rich countries, rich countries currently benefit from the robust growth of China and other emerging economies. The debate about inequality should not hide the fundamental common interest of people in rich and poor countries alike in each other’s success and welfare. 1. Einleitung Ungleichheit war immer ein linkes Thema, weil die Linke Ungleichheit immer als Ärgernis empfunden hat. Nur die Ungleichheit zwischen Kadern und Volk wird gern übersehen,1 obwohl gerade diese Art der Ungleichheit im Laufe des 20. Jahrhunderts unter kommunistischer Herrschaft weltweit annähernd hundert Millionen Menschenleben gekostet hat (Courtois et al. 1998; Rummel 1994). Die meisten Opfer der Kaderherrschaft sind verhungert. Anhänger einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wussten immer, dass die Menschen sich in ihren Begabungen, ihrer Arbeitsbereitschaft und ihren Präferenzen unterscheiden, dass deshalb eine Gleichheit der Resultate nicht zu erwarten sei. Ungleichheit wurde teilweise als schlichte Tatsache bzw. Selbstverständlichkeit hingenommen, teilweise nicht nur von Ökonomen, sondern sogar von Soziologen in der sog. funktionalistischen Schichtungstheorie (Davis and Moore 1945) als notwendiger Anreiz gerechtfertigt. Vor vierzig Jahren wurde die Diskussion der als Ärgernis verstandenen globalen Ungleichheit von den Dependenz- und Weltsystemtheoretikern dominiert, die die Menschen und Volkswirtschaften der Entwicklungsländer als chancenlose Opfer des kapitalistischen Weltsystems ansahen. Dieser Angriff auf eine freiheitliche oder kapitalistische Weltwirtschaftsordnung kann als abgewehrt gelten, nicht in erster Linie weil er in historischen und ökonometrischen Studien widerlegt worden ist (zusammenfassend: Weede 1996, Kapitel 5; 2012a, 2012b), sondern weil das stürmische Wirtschaftswachstum in Asien, wo diese theoretische Verwirrung im Gegensatz zu Lateinamerika nie Einfluss auf die Wirtschaftspolitik gewann, unübersehbar wurde. Wo Hunderte von Millionen Menschen dank des dort schleichend 1 Eine Ausnahme ist der Soziologe Ralf Dahrendorf (1974), für den die Ungleichheit zwischen Herrschenden bzw. an Herrschaft Partizipierenden und Anderen fundamental ist. Ein richtiger Linker ist Dahrendorf sicher nicht. Zuweilen wird er als links-liberal bezeichnet. 3 eingeführten Kapitalismus in wenigen Jahrzehnten bitterste Armut überwunden haben – in China sogar unter der andauernden Herrschaft einer kommunistischen Partei – kann man nicht gut behaupten, dass die Armen im Kapitalismus chancenlos seien. Der Schwerpunkt der zeitgenössischen Kapitalismuskritik liegt jetzt bei der tatsächlich in vielen reichen Ländern des Westens zunehmenden Ungleichheit, die als Folge der Globalisierung bzw. der zunehmenden Verbreitung der wirtschaftlichen Freiheit in der Welt aufgefasst wird. Man kann zunächst einmal feststellen, dass die Kritik am globalen Kapitalismus damit abgemildert wird. Früher ging es um die Frage, ob die Menschen in der dritten Welt genug zu essen haben, jetzt geht es eher um die Probleme der Armen in reichen Ländern, beispielsweise bei der Gebrauchtwagenfinanzierung. Es geht jetzt weniger um Armut und mehr um die Ungleichheit der Einkommensverteilung. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte man sich immer vergegenwärtigen, dass die Probleme der Armut und der Ungleichheit in keiner Weise identisch sind. Mehr Gleichheit kann man relativ leicht dadurch herstellen, dass man den Reichen viel weg nimmt. Wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung der Arbeits- und Investitionsanreize kann es durchaus vorkommen, dass die Verteilungsmasse, die den Armen danach zugute kommen könnte, dadurch nicht zunimmt, sondern abnimmt. Dann hätte man gleichzeitig die Ungleichheit reduziert und die Armut verschlimmert. 2. Wirtschaftliche Freiheit und die Überwindung der Massenarmut Wo die Menschen die Freiheit der Wahl haben, da herrscht wirtschaftliche Freiheit oder Kapitalismus. Je freier eine Gesellschaft ist, desto mehr Menschen können zumindest einige ihrer materiellen Ziele erreichen. Dazu gehört auch, dass einige Eigentum erwerben und andere das gar nicht wollen oder bei ihren Erwerbsbemühungen scheitern. Manche Menschen erwerben sogar Eigentum an Produktionsmitteln. Friedrich Engels, ein Mitverfasser des kommunistischen Manifests (Marx und Engels 1848/1966, Fussnote 1), und einer der frühesten und konsequentesten Kritiker des Sozialismus, Ludwig von Mises (1922/1932/2007), stimmen darin überein, dass Wirtschaftliche Privateigentum an Freiheit also führt Produktionskapital schnell zur den Kapitalismus Ungleichheit zwischen kennzeichnet. denen, die Produktionskapital besitzen, und denen, die das nicht tun, also zum Kapitalismus. Wie fast alle klassisch Liberalen vertrete ich die Auffassung, dass wirtschaftliche Freiheit den Lebensstandard der Menschen erhöht.2 2 Grundsätzlich ist meine theoretische Perspektive der Institutionenökonomik zuzurechnen. Danach bestimmt die Politik die Spielregeln des menschlichen Zusammenlebens bzw. die Institutionen. Dazu gehören Eigentums- und Verfügungsrechte, Gesetze, Vorschriften und soziale Normen. Von diesen hängen die Arbeits- und 4 Bei der letzten Gottfried-von-Haberler-Konferenz 2012 hier in Liechtenstein hatte ich diese These mit fünf Argumenten begründet. Erstens verdanken wir den ökonomischen Klassikern Smith (1776/1990), Mises (1922/1932/2007) und Hayek (1945, 1960/1971) die Einsichten, dass Privateigentum ein notwendiger Arbeitsanreiz, eine notwendige Voraussetzung für Knappheitspreise und die Mobilisierung des auf Millionen Köpfe verteilten Wissens ist. Ohne Privateigentum und dezentrale Entscheidungen kann es keine rationale Ressourcenallokation geben. Zweitens stützt der Vergleich der Volkswirtschaften geteilter Länder die These vom Nutzen wirtschaftlicher Freiheit. Kollektivistische Volkswirtschaften waren selten so erfolgreich wie die DDR, die es immerhin geschafft hat, ihrer Bevölkerung ein Pro-Kopf-Einkommen von ungefähr einem Viertel bis einem Drittel des Wertes der BRD zu ermöglichen. Nordkorea schafft nur ein Siebzehntel der südkoreanischen Pro-Kopf-Produktion (The Economist 2013a). Drittens gibt es quasi-experimentelle Evidenz zum Wert der Freiheit. Während des ‘großen Sprungs nach Vorn’ ab 1959 in China wurde die individuelle und wirtschaftliche Freiheit in riesigen Volkskommunen soweit wie möglich abgeschafft. Das Ergebnis dieses Menschenversuchs wird auf 45 Millionen Tote (von damals ca. 650 Millionen Chinesen) geschätzt, meist Hungertote (Dikötter 2010). Nur Weltkriege haben ähnlich viele Menschenleben wie dieses sozialistische Experiment gekostet. Viertens kann man den Aufstieg des Westens, die historisch erstmalige Überwindung der Massenarmut oder die Erfindung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung im politisch fragmentierten Europa durch wirtschaftliche Freiheit erklären (Jones 1981/1991; Landes 1998; North 1990; Pipes 1999; Weede 2012a, 2012b). Fünftens bekräftigen auch ökonometrische Studien den Wert der Freiheit (zusammengefasst bei Weede 2012a): Je mehr wirtschaftliche Freiheit es gibt, desto wohlhabender sind die dadurch gekennzeichneten Länder, desto wahrscheinlicher wachsen sie schnell, desto höher ist auch das Einkommen der ärmsten 10 Prozent der Bevölkerung (Gwartney, Hall and Lawson 2012: 24). Das Ausmaß der wirtschaftlichen Freiheit führt aber nicht zu mehr Ungleichheit der Einkommen (Mehlkop 2002; Gwartney, Hall, and Lawson 2012: 23). Besser noch: Wirtschaftliche Freiheit nützt nicht nur Investitionsanreize ab, damit letztlich auch Wohlstand und Wachstum. Durchaus nicht identische Varianten der Institutionenökonomik werden vertreten von Acemoglu and Robinson (2012) oder North, Wallis und Weingast (2011). Eine ausführliche Darstellung meines eigenen Standpunktes findet man in Weede (2012b). Hauptunterschiede zwischen den zitierten und meinen Auffassungen besteht im größeren Optimismus der amerikanischen Autoren in Bezug auf die Fähigkeit westlicher Demokratien, Rent-Seeking-Probleme in den Griff zu bekommen, und in meinem Versuch, die asiatischen (vor allem: chinesischen) Erfahrungen stärker zu berücksichtigen. Obwohl Banerjee and Duflo (2011: 243) im Gegensatz zu mir das Armutsproblem von unten und aus einer Mikroperspektive behandeln, kann ich ihrer Schlussfolgerung zustimmen: “It is not always necessary to fundamentally change institutions to improve accountability and reduce corruption.“ Das (2012) illustriert das am indischen Beispiel. 5 denen, die sie genießen, sondern auch denen, die sie noch entbehren. Die wirtschaftliche Freiheit der Einen wird damit zu den Vorteilen der Rückständigkeit der Anderen (Weede 2006, 2012b). 3. Die Angleichung der Lebensbedingungen in der Welt durch wirtschaftlicher Freiheit Mit den Vorteilen der Rückständigkeit, einer der in ökonometrischen Studien robustesten Determinante des Wirtschaftswachstums (Bleaney and Nishiyama 2002; Sala-i-Martin, Doppelhofer, and Miller 2004), bin ich bei den Vorzügen der Globalisierung, die man auch als zunehmende Verbreitung der wirtschaftlichen Freiheit in der Welt auffassen kann. Wenn der Westen nicht vor den anderen großen Zivilisationen der Welt wirtschaftliche Freiheit durchgesetzt hätte, dann wäre das schnelle Wachstum anderswo – vor allem in Asien – gar nicht möglich geworden. Auch die Asiaten, die (beispielsweise in China oder Vietnam) noch wenig Freiheit genießen, können sich an westlichen Vorbildern orientieren, westliche Technologien übernehmen und westliche Märkte beliefern. Obwohl der Kapitalismus auch vor dem ersten Weltkrieg schon mal eine Globalisierungsphase durchgemacht hatte und diese erste Phase mit mehr Freizügigkeit für Arbeitskräfte verknüpft war als das heute der Fall ist (Hatton and Williamson 2006), will ich mich auf die Diskussion der zweiten Globalisierungsphase beschränken. Jedes konkrete Anfangsdatum muss irgendwie willkürlich sein. Die schrittweise Öffnung des volkreichsten Landes der Welt, Chinas, für etwas wirtschaftliche Freiheit, Knappheitspreise, Auslandsinvestitionen und den Welthandel mit Deng Xiaopings Reformen ab 1979 ist ein denkbares Datum für den Beginn dieser zweiten Globalisierungsphase. Globalisierung bedeutet zunehmende internationale Arbeitsteilung, mehr zwischenstaatlichen Handel, mehr internationale Kapitalbewegungen, mehr Auslandsinvestitionen und damit grenzüberschreitende Fertigungsketten und auch zunehmenden Wissens- und Technologietransfer über die Grenzen hinweg. Globalisierung reduziert die Bedeutung von Entfernung und Grenzen. Entfernungen werden durch sinkende Kommunikations- und Transportkosten weniger wichtig, Grenzen durch den Abbau von tarifären und nicht-tarifären Handelsschranken. Weil sich beim freiwilligen Tausch in der Regel beide Seiten besser stellen als ohne Tauschmöglichkeit, impliziert mehr Durchlässigkeit von Grenzen zunächst einmal Verbesserungschancen, vor allem mehr Freiheit für die Konsumenten, die zwischen inländischen und ausländischen Anbietern wählen können. Die Produzenten müssen sich einem verschärften Wettbewerb stellen. Thomas Friedman (2007: 8) hat deshalb die Auswirkungen der 6 Globalisierung als Verflachung der Welt und zunehmende Chancengleichheit unter den arbeitenden Menschen der Welt beschrieben, Mahbubani (2013) verweist auf die „große Konvergenz“, vor allem zwischen Asien und dem Westen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die Vorteile für die Konsumenten größer als die Nachteile für die Summe aller Produzenten sind, wobei natürlich die Produzenten nicht gleichmäßig betroffen werden. Denn der durch Globalisierung verschärfte Wettbewerb kann für einige Betriebe den Bankrott und für deren Beschäftigte Arbeitsplatzverlust bedeuten, für andere dagegen Exportchancen und steigende Profite und Arbeitseinkommen.3 Der verschärfte Wettbewerb führt zu Ambivalenzen und Ressentiments. Hinter der Globalisierungskritik steht oft eine Ablehnung von Wettbewerbsmärkten und der damit verbundenen schöpferischen Zerstörung. Weil der Wettbewerb letztlich aus den unkoordinierten Entscheidungen von Millionen Verbrauchern resultiert, lässt er sich nur durch die Beschneidung der Freiheit der Verbraucher „überwinden“. Nach Apolte (2006: 155) „gibt es keine Möglichkeit, eine freie Gesellschaft bewusst in diese oder jene Richtung zu steuern.“ Wer es dennoch versucht, läuft Gefahr auf dem „Weg zur Knechtschaft“ (Hayek 1944/1976) zu landen. Globalisierung impliziert, dass die Märkte immer größer und umfassender werden, dass ein Weltmarkt entsteht. Seit Adam Smith (1776/1990) wissen wir, dass die Größe des Marktes das Ausmaß der Arbeitsteilung bestimmt, auch dass Arbeitsteilung die Produktivität und damit den Wohlstand erhöht. Dazu einige empirische Belege, wobei ich mich auf die größten oder volkreichsten Gesellschaften beschränken muss: Für die USA wurden die Globalisierungsgewinne pro Kopf und Jahr zwischen 500 und 3.300 Dollar geschätzt (Scheve and Slaughter 2007: 36; Hufbauer 2008: 18; Edwards and Lawrence 2013: 236), wobei allerdings die neueren auch die niedrigeren Schätzungen darstellen. Wenn man neben den Löhnen auch andere Leistungen der Arbeitgeber (z.B. Krankenversicherungsbeiträge) berücksichtigt, dann sind die Arbeitsentgelte in den USA im letzten Jahrzehnt um 22 Prozent gestiegen (Griswold 2007: 1; vgl. auch Lawrence 2008). Globalisierungsgewinne für die Amerikaner, vor allem in ihrer Eigenschaft als Verbraucher, sind natürlich mit der etwa von 3 Der Wettbewerb zwischen Arbeitskräften in armen und reichen Ländern ist allerdings eher punktuell und sollte nicht überschätzt werden. Denn die Exportprodukte armer Länder in reiche Länder werden oft in den reichen Ländern gar nicht mehr hergestellt oder dort werden nur noch wesentlich bessere und viel teurere Produkte derselben Art hergestellt. Auf Heckscher-Ohlin und Stolper-Samuelson aufbauende Theorien gehen von unrealistischen Prämissen aus und überschätzen deshalb leicht die Konkurrenz, der unqualifizierte Arbeiter in reichen Ländern durch Importe aus armen Ländern ausgesetzt sind. Nach Edwards and Lawrence (2013: 235) können nicht mehr als 2% aller amerikanischen Entlassungen durch den Außenhandel mit armen Ländern erklärt werden. 7 Spence (2011) oder Stiglitz (2012) beklagten zunehmenden Ungleichheit innerhalb der USA kompatibel. Das Ausmaß der Ungleichheit in den USA ist höher als in Europa und es nimmt zu.4 Die Aufstiegschancen nehmen ab. Leitende Manager (CEOs) bei großen Unternehmen verdienen mehr als das zweihundertfache des Durchschnittsverdiensts. Früher mussten sie sich mit dem dreißigfachen bescheiden. Stiglitz erklärt die zunehmende Ungleichheit damit, dass in Amerika Wettbewerbsmärkte und unverzerrte Preise zunehmend durch Rent-Seeking verdrängt werden, dass Ungleichheit oft das Resultat von politischen Maßnahmen, einschließlich der Umverteilung von unten nach oben, ist. Er betont, dass privilegierte Interessengruppen es oft schaffen, sich Regulierungsbehörden dienstbar zu machen, wobei die Beeinflussung des Denkens von Administration und Legislative eine wichtige Rolle spielt. Stiglitz macht die technologische Entwicklung und die Globalisierung für die Besserstellung der hoch Qualifizierten und die Schlechterstellung der Unqualifizierten auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich, hält sich aber bei der Gewichtung dieser Faktoren zurück.5 Mit Stiglitz bin ich der Auffassung, dass einkommensschwache Gruppen den Verteilungskampf um Renten bisher nicht gewonnen haben. Im Gegensatz zu ihm sehe ich nicht, wie man das ändern kann. Die Gründe für meinen Pessimismus hatte ich hier in Liechtenstein auf der Gottfried-von-Haberler-Konferenz 2012 dargelegt. Einen Kampf um Renten oder Privilegien können die Massen nie gewinnen. Während Stiglitz eine progressive Umverteilungspolitik empfiehlt, vertrete ich die Auffassung, dass weniger Staatseingriffe und mehr wirtschaftliche Freiheit gerade den einkommensschwachen Massen mehr nützt. Außerdem sollte man nicht nur die Verfestigung der Ungleichheit in reichen Ländern beklagen, sondern auch deren Gründe berücksichtigen. Kenworthy (2012: 98-99) beklagt, dass ein Amerikaner, der zwischen den 60er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ins unterste Einkommensquintil hineingeboren wurde, nur eine 30%ige Chance hatte, in eins der oberen drei Einkommensquintile aufzusteigen. Chancengleichheit wäre für ihn eine 60%ige Chance. Kenworthy führt auch Gründe für das Chancendefizit von Unterschichtskindern an: uneheliche Geburt, Ehescheidung der Eltern, die Tatsache, dass Männer und Frauen derselben Schicht 4 Meyer and Sullivan (2012) vertreten eine optimistischere Perspektive zur Ungleichheit in den USA als Spence (2011) oder Stiglitz (2012). 5 Der Economist (2008a: 25) versucht zwischen den Auswirkungen der Globalisierung und des technologischen Wandels auf die Veränderung der Einkommensverteilung zu unterscheiden. In Entwicklungsländern sieht er gegenläufige Effekte. Danach trägt der technologische Wandel stark zu mehr Ungleichheit bei und die Globalisierung als solche etwas schwächer zu mehr Gleichheit. 8 einander heiraten, womit manche Kinder gleich doppelt privilegiert werden und andere gar nicht. Ohne massive Eingriffe in die persönliche Freiheit der Menschen oder zumindest der Elternrechte wird man daran nichts ändern können.6 Mit Eberstadt (2012) könnte man auch die Flucht vieler Männer, besonders Arbeitsunfähigkeitsrenten beklagen. in den USA, Kenworthy aus selbst dem Arbeitsmarkt empfiehlt und in kompensatorische Erziehungsmaßnahmen, die der Staat durchzusetzen hätte. Wenn man sich das Elend vieler öffentlicher Schulen in vielen Ländern vor Augen führt, dann kann man Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Staates, ja an der fast überall im Erziehungswesen dominierenden Planwirtschaft, nicht unterdrücken. Wegen des fast überall im Westen dominierenden Einflusses des Staates im Bildungsbereich, von der Grundschule bis zur Hochschule, fehlen hier die positiven Auswirkungen des Wettbewerbs mit nicht-staatlichen Schulträgern (vgl. dazu etwa Coleman 1988; Doncel, Sainz, and Sanz 2012; West and Wössmann 2010)7. Es ist zwar politisch inkorrekt, aber für die zuständigen Fachwissenschaftler, die Psychometriker, ist selbstverständlich, dass ein Teil der Intelligenz und Leistungsunterschiede zwischen den Menschen erblich ist. Auf die Debatte darüber, ob die Erblichkeit eher für 40 oder eher für 80% der Unterschiede unter den Mitgliedern westlicher Gesellschaften verantwortlich ist, kann ich hier nicht eingehen. Aber es ist wichtig zu betonen, dass der Abbau von Zugangshindernissen zu guten Schulen für Kinder aus benachteiligten Familien nur die Konsequenz haben kann, dass die erbliche Komponente der dann verbleibenden Unterschiede immer stärker wird. Herrnstein and Murray (1994: 106-109) haben das so ausgedrückt: “If, one hundred years ago, the variations in exposure to education were greater than they are now (as is no doubt the case), and if education is one source of variation in IQ, then, other things equal, the heritability of IQ was lower then than it is now ... the heritability of success is going to increase rather than diminish ... when a society makes good on the ideal of letting every youngster have equal access to the things that allow latent cognitive ability to develop, it is in effect driving the environmental component of IQ variation closer and closer to nil.” Durch politische oder Bildungsmaßnahmen wird es nicht möglich sein, die Menschen kognitiv gleich leistungsfähig zu machen. Schon in der 6 Die Auffassung, dass man benachteiligten Kindern durch vorschulische Betreuung helfen kann und soll, wird von dem Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Heckman (2013) vertreten. Zweifel an der Wirksamkeit der von Heckman befürworteten Eingriffe äußern Murray und McCluskey im gleichen Buch. 7 Das Ausmaß des Staatsversagens bei der Humankapitalbildung wird am deutlichsten in Entwicklungsländern sichtbar. Nach Tooley schicken in Afrika oder Indien sogar viele Slumbewohner ihre Kinder in kostenpflichtige Privatschulen, um der Misere des staatlichen Schulwesens zu entkommen. Vgl. auch Banerjee and Duflo (2011, 4. Kapitel). Das (2012: 27) schreibt, dass jedes zweite Kind in indischen Städten eine private Schule besucht. 9 Vergangenheit haben Europa und der Westen bewiesen, dass Hunger und Armut überwindbar sind. Mit Ungleichheit wird die Menschheit immer leben müssen. 8 Als Deng Xiaoping in den späten 1970er Jahren China geöffnet und den schleichenden Kapitalismus eingeführt hatte, war die chinesische Agrarproduktion schnell gestiegen. Am Anfang der Reformphase war sogar eine der wichtigsten Determinanten der Ungleichheit in China, der Abstand zwischen städtischen und ländlichen Einkommen, vorübergehend zurückgegangen (Lin, Cai und Li 2003: 145). Hunderte von Millionen Chinesen sind der absoluten Armut entkommen. China wurde bald zum Magneten für ausländische Investoren. In den ersten zwei Reformjahrzehnten hatte sich das Pro-Kopf-Einkommen Chinas vervierfacht, bis 2005 sogar versiebenfacht (Pei 2006: 2). Wenn man die Armutsschwelle bei 1,25 US-Dollar pro Tag und Person ansetzt, dann hat China seit 1981 allein 660 Millionen Menschen von bitterster Armut befreit (Economist 2012: 64). Mahbubani (2013: 136) verweist sogar auf eine Studie, wonach die chinesische Mittelklasse in 20 Jahren von 174 auf 800 Millionen Menschen gewachsen ist. Ob man schon Menschen als Mitglieder einer globalen Mittelklasse ansehen soll, die materiell schlechter leben als viele Sozialtransferempfänger im Westen, kann man sicher hinterfragen. Aber der Fortschritt ist unbestreitbar. Dabei will ich gern zugeben, dass der schleichende Kapitalismus bzw. die langsame Zunahme der wirtschaftlichen Freiheit in China auch zu zunehmender Einkommensungleichheit geführt hat. Ich halte allerdings den Kampf gegen Hunger und Armut für wichtiger als die Verhinderung von Reichtum für Wenige und damit mehr Ungleichheit. Obwohl sich die Sicherheit der Eigentums- und Verfügungsrechte, die ein wichtiger Teil der wirtschaftlichen Freiheit sind, in China seit den 1960er oder 1970er Jahren dramatisch verbessert hat, bleibt das Ausmaß ihrer Sicherheit immer noch so unbefriedigend, dass man das rasante Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft seit mehr als drei Jahrzehnten nicht leicht erklären kann. Feng, Ljungwall und Guo (2012) verweisen in diesem Zusammenhang auf die Dezentralisierung Chinas, also die Verlagerung vieler Kompetenzen vom Zentralstaat auf Provinzen, Bezirke, Gemeinden. Die auch von Feng, Ljungwall und Guo (2012) herangezogene Theorie vom ‚Markt erhaltenden Föderalismus’ (Weingast 1995) behauptet, dass der Wettbewerb dieser unteren politischen Einheit in einem gemeinsamen Markt die regionalen Machthaber zwingt, Investoren 8 Natürlich kann sich die Basis der Ungleichheit ändern. Man kann die Macht des Kapitals brechen. Aber schon bevor die Kommunisten das mit entsetzlichen Folgen (Rummel 1944) getan haben, hatte der Soziologe Robert Michels (1905/1970), dass damit nur eine Oligarchie eine andere ablösen würde, also Machtungleichheit weiter bestünde. 10 so zu behandeln, als ob die Machthaber die Eigentumsrechte der Investoren achten wollten – was für Kader, die sich immer noch Kommunisten nennen, keine Selbstverständlichkeit ist. Bessere Karrierechancen für die Leiter erfolgreicher als erfolgloser Regionen haben auch zum schonenden Umgang der Kader mit Unternehmern beigetragen. Das ist sicher ein wichtiger Teil der Erklärung dafür, dass China bei rechtlich so unsicheren Eigentumsrechten so schnell wachsen konnte.9 Mit Huang (2008, S. 6) könnte man auch den Zugriff der Chinesen auf westliche Institutionen hervorheben, von der Übernahme westlicher Rechtsinhalte oder Regulierungen bis hin zur Registrierung mancher festländischer Unternehmen (Beispiel: Lenovo) im stärker verwestlichten Hongkong. Walter and Howie (2011) sind radikaler und schreiben westlichen Investmentbankern einen großen Teil des Verdiensts an der gelungenen Restrukturierung von chinesischen Staatsbetrieben zu.10 Unabhängig davon, ob man der in China durchaus betriebenen Industriepolitik positiv (Lin 2012) oder skeptisch (Huang 2008) gegenübersteht, ist klar, dass die Volksrepublik China seit Deng Xiaoping bewusst eine Strategie der Weltmarktorientierung gewählt hat. Die Globalisierung wurde als Chance und nicht als Gefahr angesehen. Man orientierte sich an den komparativen Kostenvorteilen der eigenen Volkswirtschaft, die in den 1980er Jahren durch viele unterbeschäftigte und wenig qualifizierte, aber preiswerte Arbeitskräfte gekennzeichnet war. Man importierte Wissen und Technologie und exportierte arbeitsintensiv hergestellte Produkte. Die noch unter Mao Zedong herrschende Schwerindustrialisierungspolitik, die die komparativen Kostenvorteile eines kapitalarmen Landes ignorierte, gab man auf. Mit Mancur Olson (1987) würde ich zwar hervorheben, dass Industriepolitik gerade in Entwicklungsländern die schwachen administrativen Kapazitäten überfordert, dort Planwirtschaft also mehr noch als in höher entwickelten Gesellschaften misslingt,11 aber wenn der Staat schon lenkend eingreift, dann müssen die Chinesen seit 1979 mit ihrer Exportorientierung und Ausnutzung der komparativen Kostenvorteile der eigenen Volkswirtschaft vieles richtig gemacht haben. Sonst hätte ihr Pro9 Die interessanteste Alternative (oder Ergänzung) zum von mir und anderen vertretenen institutionenökonomischen Erklärungsansatz für das chinesische Wirtschaftswunder stammt von dem indischen Ökonomen Bhalla (2012). Nach dessen Auffassung hat die Unterbewertung des chinesischen Yuan die Profitabilität von Investitionen in China wesentlich erhöht und damit das Wirtschaftswachstum angeheizt. Bhalla spricht auch von ‚gestohlenem’ Wachstum, weil offensichtlich nicht alle Länder den Kampf um eine möglichst weit unterbewertete Währung gewinnen können. Man kann den Währungskrieg auch als globale Variante des Rent-Seeking auffassen, wobei mit China zwar ein armes Land gewonnen hat, viele ärmere afrikanischen Staaten mit lange oft überbewerteten Währungen aber zu den Verlierern gehörten. 10 Sogar die Einkindpolitik, die China künftig große Probleme bereiten wird, könnte in der Vergangenheit hilfreich gewesen sein. Denn die niedrige Kinderzahl und die außergewöhnliche Spar- und Investitionstätigkeit in China hängen vielleicht zusammen (Banerjee and Duflo 2011: 121). 11 Das’ (2012) Analyse der indischen Wirtschaft bestätigt, dass Planung, Regulierung und Bürokratisierung in Indien viele Gelegenheiten für Korruption geschaffen haben. Deshalb belegte Indien 2011 im weltweit vergleichenden ’Doing Business Report’ den zweitschlechtesten Platz (Das 2012: 241). 11 Kopf-Produkt nicht in wenig mehr als 30 Jahren um den Faktor 14 wachsen können (Lin 2012: 183). Auch in Indien haben marktwirtschaftliche Reformen im Zuge der Globalisierung in zwei Jahrzehnten zu einer Verdoppelung der Pro-Kopf-Einkommen geführt und schon bis zur Jahrtausendwende ungefähr 200 Millionen Inder aus bitterster Armut herausgeholt (Das 2002: 360). Das Hauptproblem in Indien ist, dass im Gegensatz zu China nicht genug Arbeitsplätze in der verarbeitenden und export-orientierten Industrie geschaffen worden sind und deshalb Millionen als kleinste Selbständige ein karges Leben fristen müssen. 12 Obwohl in Indien ungefähr jedes zweite Kind mangelernährt und jedes vierte schwer mangelernährt ist (Banerjee and Duflo 2011: 30), sind weder zu wenig Nahrungsmittel, noch die Ungleichheit der Einkommensverteilung eine ausreichende Erklärung für diese Probleme. Denn in Indien gehen ca. die Hälfte des Weizens und ein Drittel der Reisernte auf dem Weg zum Verbraucher verloren und werden teilweise von Ratten gefressen (Banerjee and Duflo 2011: 20). Außerdem geben sogar die Armen einen Teil ihres kargen Einkommens für Unterhaltungszwecke oder besser schmeckende Nahrung aus, mit zu wenig Rücksicht auf das, was schwangere Frauen und kleine Kinder brauchen. Bei den Gesundheitsausgaben ist typisch, dass zu wenig für Prävention, die sich sogar die Armen leisten können, und zuviel für akute Krankheiten ausgegeben wird, was die Armen fast immer finanziell überfordert. In der ganzen Welt hatten 1981 noch 52% der Menschheit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag, 2008 waren es nur noch 22% (FAZ 2012: 14).13 Bei einer noch niedrigeren Armutsschwelle, die sich an den offiziellen Schwellen in vielen besonders armen Ländern orientiert, bei 0,99 Dollar pro Tag, waren schon 2005 nur noch 13% der Weltbevölkerung arm (Banerjee and Duflo 2011: ix). Sogar in Afrika südlich der Sahara ist die Armutsquote unter 50% gefallen. Weil Indien und China allein fast 40 Prozent der Menschheit und die Hälfte der Bevölkerung der Entwicklungsländer umfassen, hat das Wirtschaftswachstum in diesen beiden und anderen volkreichen Ländern Asiens vielleicht schon zu einer Egalisierung der weltweiten Einkommensverteilung unter den Menschen oder ihren Haushalten beigetragen (Berger 2009: 7. Vgl. dazu Banerjee and Duflo (2011: 226): “Perhaps many businesses of the poor are less a testimony to their entrepreneurial spirit than a symptom of the dramatic failure of the economies in which they live to provide them with something better.“ Mehr als hundert Millionen Chinesen haben Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie, aber nur sieben Millionen Inder (Luce 2006: 48-49). 13 Sehr ähnliche Zahlen kann man auch in der NZZ (2013: 25) nachlesen. Danach waren 1990 noch 43% der Weltbevölkerung arm in dem Sinne, dass sie von weniger als 1,25 Dollar pro Tag leben mussten, jetzt nur noch 21%. 12 12 Kapitel; Bhalla 2002; Sala-i-Martin 2007). Allerdings müssen alle empirischen Studien auf einer problematischen Datenbasis und teilweise fragwürdigen Annahmen aufbauen, so dass man mit Anand and Segal (2008) zu der Schlussfolgerung kommen kann, dass wir nicht wirklich wissen, in welche Richtung sich die globale Einkommensverteilung unter den Menschen in den letzten drei oder vier Jahrzehnten entwickelt hat. Wenn man zu einer noch unsicheren Trendeinschätzung kommen will, dann kann man von Anand and Segals (2008: 63-64) Zusammenstellung ausgehen. Unter den Analysen, die kaufkraftbereinigte Daten verwenden und den Zeitraum 1970 bis 1999 oder 2000 betrachten, berichten sechs einen Rückgang, aber nur drei eine Zunahme der Ungleichheit. Die empirische Forschung kann die These, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden jedenfalls in globaler Hinsicht nicht stützen. Eher gibt es Hinweise für einen schwachen Trend zur Egalisierung der globalen Einkommensverteilung, weil die Angleichung der nationalen Durchschnittseinkommen die zunehmende innerstaatliche Ungleichheit in vielen Gesellschaften überkompensiert. Gleichzeitig gibt es einen starken Trend zur Überwindung der Massenarmut. Trotz der Unsicherheit aller Einschätzungen der globalen Veränderung der Einkommensverteilung unter den Menschen kann man diese mit Bhalla (2002: 187) so illustrieren. Er bezeichnet die Menschen, die täglich zwischen 10 und 40 Dollar Einkommen haben, als globale Mittelklasse. 1960 bestand die so definierte Mittelklasse vorwiegend aus Weißen. Nur 6 Prozent waren Asiaten, wobei zu berücksichtigen ist, dass in Asien schon lange deutlich mehr als die Hälfte der Menschheit lebt. 2000 waren schon 52 Prozent der Mitglieder der globalen Mittelklasse Asiaten. Vor der Krise von 2008 sah es so aus, als ob die bitterste Armut außerhalb Afrikas in den nächsten ein bis zwei Dekaden überwunden werden könnte. Lange sah es so aus, als ob der afrikanische Anteil an bitterer Armut bis 2015 von 36 auf 90 Prozent steigen könnte (Bhalla 2002: 172).14 Zugegebenermaßen ist es in vielen Volkswirtschaften – beispielsweise in den USA und in China – in der gegenwärtigen Globalisierungsphase zu einer Steigerung der Ungleichheit der Diesen Zahlen liegt eine Armutsschwelle von 2 Dollar pro Tag und Person zugrunde. – Neuere Analysen (Chen and Ravallion 2008) arbeiten mit besseren Daten und einer neuen Armutsschwelle. Danach sieht China zwar ärmer als früher angenommen aus, aber der Rückgang der Armut dort wird noch eindrucksvoller als bei Zugrundelegung der alten Daten. Allerdings scheint China bei der Armutsbekämpfung vor der Mitte der 1990er Jahre erfolgreicher als danach gewesen zu sein (Zhang and Wan 2008). Auch für die Welt im Ganzen werden revidierte Ausmaße an Armut ermittelt. Die Weltbank hat kürzlich eine Armutsschwelle auf 1,25 Dollar pro Tag angehoben und danach 1,4 Milliarden Arme in der Welt ermittelt. Die Armutsschwelle wurde deshalb angehoben, weil die Lebenshaltungskosten der Armen höher als früher eingeschätzt werden. Arbeiten der asiatischen Entwicklungsbank rechtfertigen allerdings Zweifel an der Befürchtung, dass die Armen so hohe Lebenshaltungskosten haben (Economist 2008b). 14 13 Einkommensverteilung im Lande gekommen.15 Deshalb wird die Legitimität von Kapitalismus und Globalisierung in vielen Ländern hinterfragt. Sogar in Amerika wurden die Rufe nach Protektionismus schon vor der Finanz- und Wirtschaftkrise 2008 immer lauter (Scheve and Slaughter 2007; Woo 2008). Aber die Globalisierungskritiker vergessen, dass der internationale Handel weniger die Zahl der Arbeitsplätze in einem Lande beeinflusst als wo die Menschen arbeiten (Baumol, Blinder and Wolff 2003; Griswold 2007: 3; Irwin 2002). Man sollte die Folgen fehlender Anpassungsbereitschaft bzw. von institutioneller Sklerose im Westen nicht der Globalisierung anlasten. Wer nur Wachstum und Verteilung betrachtet, wird die Vorzüge der Globalisierung unterschätzen. Wie Goklany (2007: Kapitel 2 und 3) aufgezeigt hat, bedeutet dasselbe kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-Einkommen heute einen höheren materiellen Lebensstandard, niedrigere Kindersterblichkeit, weniger Mangelernährung, ein gesünderes Leben und weniger Kinderarbeit als in früheren Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Arme und unterentwickelte Länder profitieren vom wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt der reichen Länder. Weil die Menschen in den Entwicklungsländern eine zunehmende Lebenserwartung haben, ist auch in dieser Hinsicht die Ungleichheit unter den Menschen rückläufig (Becker, Philipson, and Soares 2005). Kenny (2011) stellt fest, dass es lange gleichzeitig eine Divergenz zwischen den reichen Ländern und den aufsteigenden Ländern Asiens einerseits und zurückbleibenden Entwicklungsländern anderswo beim Pro-Kopf-Einkommen gegeben hat, aber dennoch eine Konvergenz bei der Lebensqualität. Kenny wendet sich gegen die weit verbreitete Neigung, Geldeinkommen und dessen Wachstum allzu hoch zu bewerten. Die Divergenz beim Wachstum illustriert er mit dem Vergleich zwischen den USA und dem Senegal. Noch 1960 betrug das amerikanische Pro-KopfEinkommen nur wenig mehr als das Siebenfache des senegalesischen, 2004 war es ungefähr 26 mal so hoch. Auch Brasilien ist zurückgefallen, von ca. 30% des amerikanischen Pro-KopfEinkommens 1975 auf ca. 20% 2003. Wenn man dagegen andere Indikatoren der Lebensqualität betrachtet, sieht die Welt ganz anders aus. Seit 1960 hat sich nach Kenny die globale Säuglingssterblichkeit halbiert. Von 1962 bis 2002 ist in Nordafrika und dem Nahen Osten die Lebenserwartung schneller als irgendwo sonst gestiegen: von 48 auf 69. Sogar Haiti oder der Kongo haben heute eine geringere Säuglingssterblichkeit als irgendein Land ca. 1900 erreichte. Zwischen 1970 und 1999 ist die Analphabetenrate in Afrika südlich der Sahara von zwei auf ein Drittel gefallen. Außerdem ist die malthusianische Falle überwunden worden. Bei Verdoppelung der Weltbevölkerung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und damit schrumpfender 15 Das gilt nicht für alle wohlhabenden Länder. Die Schweiz ist eine Ausnahme (Schaltegger und Gorgas 20012). 14 Anbaufläche pro Kopf hat sich die Pro-Kopf-Versorgung mit Kalorien um 25% erhöht. Global gesehen hat sich die Lebenserwartung im 20. Jahrhundert von 31 auf 66 Jahre verbessert, was nicht ohne eine Angleichung der Lebenserwartung in armen und reichen Ländern möglich gewesen wäre. Eine Konvergenz gibt es auch beim Schulbesuch. Anfang des 20. Jahrhunderts gingen Kinder in den reichsten Ländern ungefähr 40 mal so lange in eine Schule wie in den ärmsten, am Ende des Jahrhunderts nur noch 4 mal so lange.16 Auch politische und bürgerliche Freiheitsrechte breiten sich aus. Kriege werden seltener. Wie ist es möglich, dass die Welt sich selbst bei stagnierenden Einkommen pro Kopf in vielen armen Ländern so schnell bessert? Kennys Antwort: Die wichtigsten Dinge im Leben können preiswert sein. In Costa Rica werden die Menschen älter als in den USA, bei einem Fünftel des Pro-Kopf-Einkommens und 5% der Gesundheitsausgaben pro Kopf. Die Lebenserwartung der Vietnamesen entspricht 91% der amerikanischen bei weniger als einem halben Prozent der Pro-Kopf-Kosten. Manche Impfungen, Hygiene-Maßnahmen (wie Hände waschen) oder Behandlungen (wie Zucker-Salz-Lösungen bei Cholera und Durchfällen) sind einfach preiswert. Ideen und Technologien, die zu mehr Gesundheit, Bildung und sogar Demokratie beitragen, verbreiten sich schneller von dem reichen zu den armen Ländern als solche, die das Einkommenswachstum fördern. Bei der Beurteilung der Frage, ob Wirtschaftswachstum und Globalisierung den Armen in der Welt helfen, muss man sich mit dem Problem der Datenqualität auseinandersetzen. Gerade in den ärmsten Ländern und auf dem ärmsten Kontinent ist die Datenlage besonders schlecht. Als Faustregel würde ich nennen: Je ärmer, je kleiner, je weniger demokratisch ein Land ist, desto schlechter sind seine Daten. Anhand von ’Demographic and Health Survey’-Daten über Gesundheit und Mortalität, Schulbesuch, Behausungen und Besitz von haltbaren Konsumgütern (wie Telefonen oder Fahrrädern) hat Young (2012) versucht, das Wachstum afrikanischer Volkswirtschaften (südlich der Sahara) ab 1990 neu abzuschätzen. Entgegen der dominanten Auffassung (z.B. Collier 2007) kommt er zu dem Ergebnis, dass Afrika genauso schnell wie andere Entwicklungsländer gewachsen ist. In Anbetracht der besonderen Belastung Afrikas durch AIDS und Bürgerkriege kann man mit Young geradezu von einem “African Growth Miracle“ sprechen. Wenn im Zeitalter der Globalisierung auch Afrika nicht weiter abgehängt wird, sondern wächst, dann kann man die globale ökonomische Entwicklung nur positiv sehen und auf lange Sicht etwa mit Hoffmann (2012) ein „Ende der Armut“ erwarten. 16 Bei den Schulen in Entwicklungsländern ist Staatsversagen häufig. Nach Banerjee and Duflo (2011: 74, 83-84) ist ungefähr jeder zweite Lehrer nicht bei den Kindern, die er unterrichten sollte. Anwesenheit der Lehrer und Schülerleistung sind in privaten Schulen besser. Die gibt es tatsächlich auch in Slums! 15 In den allerletzten Jahren sind die afrikanischen Volkswirtschaften auch nach den üblichen Daten und Messungen schnell gewachsen, waren 6 der 10 am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften afrikanische (Economist 2011: 13), ist Afrika sogar der am schnellsten wachsende Kontinent geworden (The Economist 2013b: 10). Das hängt zwar auch mit der wachsenden asiatischen Nachfrage nach afrikanischen Rohstoffen zusammen, aber nicht nur. Jedenfalls konnte der Economist (2013c: 3) die afrikanische Entwicklung so zusammenfassen: “Secondary-school enrolment grew by 48% between 2000 and 2008 after many states expanded their education programmes and scrapped school fees. Over the past decade malaria deaths in some of the worst-affected countries have declined by 30% and HIV infections by up to 74%. Life expectancy across Africa has increased by about 10% and child mortality rates in most countries have been falling steeply. A booming economy has made a big difference. Over the past ten years real incomes per person has increased by more than 30%, whereas in the previous 20 years it shrank by nearly 10%. …FDI (foreign direct investment) has gone from $ 15 billion in 2002 to $ 37 billion in 2006 and $ 46 billion in 2012.” Natürlich gab und gibt es immer wieder auch Rückschläge. Wegen der Wirtschaftskrise und gestiegener Nahrungsmittelpreise könnten jährlich einige hunderttausend Kinder zusätzlich an Mangelernährung gestorben sein (Economist 2009: 61). Wenn man den Prozess der Globalisierung als zunehmende Verbreitung wirtschaftlicher Freiheit oder als globale Expansion des Kapitalismus auffasst, dann sollte man grundsätzlich erwarten, dass wirtschaftliche Freiheit und deren Verbesserung im internationalen Vergleich mit Verringerung der Armut zusammenhängt. Das gilt auch tatsächlich, unabhängig davon ob man Armut über eine EinDollar-Schwelle pro Person und Tag oder eine Zwei-Dollar-Schwelle oder den Armutsindex der Vereinten Nationen erfasst (Norton and Gwartney 2008: 31). Um den Abbau der Armut zu beschleunigen, hat deshalb der Economist (2013b: 10) für den immer noch ärmsten Kontinent der Erde folgendes gefordert: “Africa needs a reborn liberation movement – except this time the aim is to free Africans from civil servants rather than colonial masters.“ Es geht nicht um die Abwehr Fremder, sondern um das Containment der eigenen Obrigkeit und wirtschaftliche Freiheit. Die Globalisierung kann auch zur Überwindung von Vorurteilen über angeblich begrenzte Fähigkeiten von Menschengruppen – etwa Frauen, Ethnien oder Rassen – führen. Am Beispiel der Diskriminierung gegen Frauen auf Arbeitsmärkten hat Bhagwati (2004: 75-76) gezeigt, dass 16 globaler Wettbewerb den Preis mancher Vorurteile so hoch treiben kann, dass Unternehmer sich die Vorurteile einfach nicht mehr erlauben können. Obwohl es außerhalb der Wirtschaftswissenschaften kaum bekannt ist: Wettbewerb ist eine wirksame Maßnahme gegen Diskriminierung. 4. Abschließende Überlegungen Man kann die Ungleichheit unter den Menschen als natürliche Tatsache hinnehmen oder als Ärgernis politisch bekämpfen. Die größten ‚Erfolge’ im Kampf gegen die auf Märkten spontan entstehende Ungleichheit haben bisher die Kommunisten gehabt. Mit zwei Effekten: Erstens wurde die Ungleichheit zwischen den Verlierern und den Gewinnern auf dem Markt ersetzt durch die Ungleichheit zwischen den Kadern und dem Volk. Zweitens gelang die Abschaffung des Reichtums besser als die Überwindung der Armut. Deshalb sollte man nicht die Überwindung der Einkommensungleichheit, sondern die Überwindung der Armut zum Ziel erklären. Zur Überwindung der Armut trägt Wirtschaftswachstum bei. Zum Wirtschaftswachstum tragen wirtschaftliche Freiheit, sichere Eigentumsrechte und Freihandel – also auch Globalisierung – bei.17 Die Ungleichheit zwischen armen und reichen Ländern trägt wesentlich zu den Vorteilen der Rückständigkeit bei. Hätte nicht zuerst der Westen wirtschaftliche Freiheit zugelassen bzw. den Kapitalismus erfunden, dann wäre das asiatische Wirtschaftswunder, das in den letzten Jahrzehnten Hunderte von Millionen aus bitterster Armut befreit hat, gar nicht möglich gewesen. Denn Asiens Wirtschaftswunder beruht auf der Übernahme westlicher Technologien und Organisationsmodelle sowie der Belieferung kaufkräftiger westlicher Märkte. Weil die Globalisierung nicht nur Chancen eröffnet, sondern die schöpferische Zerstörung auf globalen Märkten immer auch Verlierer erzeugt, besteht die Gefahr konterproduktiver protektionistischer Reaktionen gerade auch in reichen Ländern, die Arbeitsplätze retten sollen. Wer Gebrauchtwagen für Menschen in den reichen Ländern für wichtiger hält als Nahrung für alle Menschen auf Erden, kann das für richtig halten. Protektionismus dient allerdings nicht mal den Interessen wenig qualifizierter Arbeitskräfte in reichen Ländern. 17 Bhallas (2012) ökonometrisch wohl fundiertes Werk widerspricht meiner Auffassung. Warum halte ich daran fest, obwohl ich im Gegensatz zu den meisten ‚Österreichern’ der Ökonometrie positiv gegenüberstehe? Erstens lehrt die ökonometrische Erfahrung, dass nur wenige ökonometrische Befunde robust bleiben, wenn sich eine Vielzahl von Forschern mit einem Thema beschäftigt hat. Wegen der Neuigkeit von Bhallas Thesen kann erst die Zukunft die Robustheit seiner Befunde beweisen. Zweitens ist mir bei seinen Analysen im achten Kapitel aufgefallen, dass er eine suboptimale Messung von Humankapital verwendet, die dann auch keine Wachstumseffekte hat. Wie die Berücksichtigung besserer Messungen der Humankapitalausstattung von Gesellschaften die Beurteilung seiner These verändern würde, wonach Abwertungen das Wachstum beschleunigen, lässt sich nur durch künftige ökonometrische Analysen klären. 17 Denn man darf nicht vergessen, dass auch Arbeiter mit Niedriglöhnen oder Sozialhilfeempfänger Konsumenten sind, dass gerade diese einkommensschwachen Gruppen die Produkte aus Niedriglohnländern kaufen (Broda and Romalis 2008). Außerdem darf man den Wettbewerb wenig qualifizierter Arbeitskräfte aus armen und reichen Ländern nicht überschätzen (Edwards and Lawrence 2013). Nur selten stellen arme Länder (wie China) und reiche Länder (wie die USA) wirklich gleichartige Produkte her. Deshalb überschätzen auf Heckscher-Ohlin und Stolper-Samuelson aufbauende Erklärungsansätze für zunehmende Arbeitslosigkeit oder Ungleichheit in reichen Ländern auch den Beitrag des Außenhandels. Nach Edwards and Lawrence (2013: 235) ist der für nicht mehr als 2% der Entlassungen in den USA verantwortlich. Nicht nur die armen Länder profitierten vom wirtschaftlichen Erfolg der reichen Länder, sondern umgekehrt profitieren auch die reichen Länder jetzt vom stürmischen Wachstum Chinas und anderer Schwellenländer. Die Debatte um Ungleichheit sollte diese grundsätzliche Interessenharmonie der Menschen in armen und reichen Ländern nicht verdecken. Man darf auch nicht vergessen, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit und Freihandel zwar nicht den Frieden garantieren, aber wesentlich zur Kriegsverhütung beitragen (zusammenfassend: Weede 2011). Globalisierung trägt auch zur Verringerung von politischer Repression und mehr noch zur Vermeidung von Bürgerkriegen bei (Flaten and de Soysa 2012: 240)18. Wer mit dem Kampf gegen Armut, Hunger und Not zufrieden ist, kann auf wirtschaftliche Freiheit setzen.19 Obwohl ein gleichzeitig freiheitlicher und effizienter Staat, der Eigentumsrechte und Verträge durchsetzen kann, wünschenswert bleibt, gilt für viele Entwicklungsländer immer noch, was Das (2012) am Beispiel Indiens gezeigt hat. Das Land wächst nachts, wenn die Regierung schläft und die Wirtschaft nicht behindert. Wer Ungleichheit überwinden will, kann bestenfalls wirtschaftliche Ungleichheit durch politische Ungleichheit ersetzen, wird dabei gleichzeitig aber Freiheit und Wohlstand verspielen statt den Armen zu helfen. Die Autoren finden sogar: ”Globalization is a stronger predictor of peace than is per capita income, which is argued to be one of the best predictors of conflict onset.“ 19 Wenn man davon ausgeht, dass diejenigen, die in den USA in Volkswirtschaft promoviert haben, im allgemeinen eine positive Einstellung zur wirtschaftlichen Freiheit und zum Abbau von Handelshemnissen haben, dann ist es interessant anzumerken, dass Länder mit mehr derartigen Absolventen offener als andere für den freien Welthandel sind (Weymouth and MacPherson 2012). 18 18 Literatur Acemoglu, Daron, and Robinson, James A. (2012): Why Nations Fail. The Origins of Power, Prosperity, and Poverty. New York: Crown Business. Anand, Sudhir, and Segal, Paul (2008): What Do We Know about Global Income Inequality? Journal of Economic Literature 46(1): 57-94. Apolte, Thomas (2006): Wohlstand durch Globalisierung. München: DTV. Banerjee, Abhijit V., and Duflo, Esther (2011): Poor Economics. 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