Joanna Białobrzeska Dominika Maicher Guten Appetit! Lieber Bolek, es ist gerade 23 Uhr 10 - informierte eine süße Frauenstimme der neuronalen Zeitansage. Bevor er die Bürotür schloß und in sein gigaschnelles und modernes Flugauto einstieg, sind weitere fünf Minuten vergangen. Suprastisches Gefühl - dachte er - da hab' ich wieder den ganzen Tag bis in die letzte Sekunde sinnvoll genutzt. Mein Vater wäre gigastolz auf mich! Als er mir die Firma K10 übergeben hat, konnte er doch selbst in seinen gewagtesten Träumen nicht ahnen, daß unsere neueste, von den besten Ernährungsexperten so mühsam verbesserte Version seines Life-Pulvers von einem solchen Erfolg gekrönt wird. Das ganze MetrOpole schwärmt einfach davon. Alles ist in zwei Stunden nach der Lieferung aus den Neuroläden verschwunden. Die teuere Investition in die neuen, wertvollen und revolutionären Substanzen hat sich gelohnt - eine Portion des Pulvers macht mich jetzt gesund und fit für den ganzen Tag. Ich hab' vergessen, was Streß bedeutet. Sogar meine Arbeitssklaven sind leistungsfähiger geworden, seitdem sie die neue Version des Life-Pulvers einnehmen! Die Produktion ist innerhalb einer Woche um einige Tausend Tonnen gestiegen! Ach! Es ist echt gigantisch mit solchem Gefühl der Zufriedenheit und Erfüllung auf meine gemütliche Luftinsel zurückzukommen, um so mehr, als mich dort meine Abendportion des Pulvers erwartet! Na ja - und meine dumme Frau dazu! Wie ich sie kenne, hat sie zum x-ten mal eine gigafalsche Quantität der Lichtwellen programmiert und das Life-Pulver zu kurz bestrahlt, so daß sie mir wieder etwas anderes serviert, als meinen liebsten Fubi-Geschmack, von dem ich heute den ganzen Tag geträumt habe! Das ist wirklich eine Megakatastrophe für mich, daß ich mit einer solchen ungeschickten und blöden Frau leben muß, für die alle einfachsten technischen Einrichtungen zum Gigaproblem werden. Hmm, und wenn sie nicht die einzige ist?! Vielleicht ist es noch möglich, den suprastischen Life-Pulver zu verbessern, so daß sogar die größten Tölpel seinen Geschmack den Lichtwellen anpassen könnten?! Die Zubereitung muß leichter werden. Das ist ein Lebensziel für morgen! Die Gedanken gingen neuroschnell durch Boleks Kopf und er konnte gar nicht wissen, daß ihm der Schicksal eine große Überraschung bereiten würde, die seine Pläne völlig durchkreuzen sollte. Bolek befand sich gerade über einer der heute besonders dichten neuronalen Wolken, als sein gigaschnelles und modernes Flugauto zu wackeln begann und in merkwürdige Vibrationen gelang. Er sah nun nichts mehr, als einen schwarzen Abgrund vor den Augen und die Megageschwindigkeit, mit der das Flugauto herunterfiel, machte jeden seiner Rettungsversuche vergeblich. Eine große Angst lähmte ihn und in seinem Kopf ballten sich die Gedanken nur um das Eine - Es ist das Ende! Am nächsten Tag hat die Arbeit in der Firma K10 GmbH nicht den gewöhnlichen Lauf nahm. Es herrschte dort das totale Chaos. Alle wälzten sich ziellos in den Fluren hin und her und in der ganzen Orientierungslosigkeit wurde sogar die Produktion des Life-Pulvers zur großen Freude der Arbeitssklaven gestoppt. Der Kopf und das Fundament der Firma K10 GmbH - Bolek - ist spurlos verschwunden und sogar seine dumme Frau, die auf ihn mit der Fubi-Pulverportion (!) bis spät in die Nacht gewartet hatte, wußte nicht, was mit ihm passiert sein könnte. Der MetrOpole drohte die Hungersnot. In die Suche nach Bolek engagierte man sogar eine Einsatzgruppe extra genetisch modifizierter Schnüffelroboklone. Alles umsonst. Der Chef der Firma K10 GmbH galt seit 17. 05. 2500 als verschollen. Nach einigen Wochen, als jeder die Hoffnung, Bolek wiederzusehen, aufgegeben hatte, geschah etwas ganz Unerwartetes. Die im Hochhaus der Firma K10 GmbH herrschende Totenstille wurde an einem Vormittag durch den freudigen Schrei der Sekretärin Boleks, die traditionell ziemlich verspätet in die Arbeit kam, durchbrochen: Ich weiß, ich weiß, unser Chef lebt! Ich habe einen Brief von ihm! Er hat uns geschrieben! Hurrrrrrra!!! Diese Nachricht löste großen Enthusiasmus aus - jeder wollte sofort erfahren, was mit dem Chef los ist. Die Oberverwaltung hat jedoch den Brief sofort übernommen und ihn nur einem kleinen Kreis von Auserwähl ten im Geheimen vorgelesen. Sein Inhalt erschütterte alle... 20.06.2000 Meine lieben Freunde und Genossen, euer Chef grüßt euch sehr herzlich aus der Vergangenheit. Ja, ja, erschreckt nicht über das Datum, vielleicht ist es für euch unwahrscheinlich, aber es stimmt. Wenn ihr diese Nachricht, die von den Ureinwohnern unserer MetrOpole als ein ?Brief? bezeichnet wird, zu Ende liest, wird für euch nicht nur dieses Datum, aber auch die ganze unglaubliche Geschichte, die mir passiert ist, klar. Ich bin nicht sicher, ob ihr diesen ?Brief? (komische Bezeichnung, oder?) erhaltet, die Einheimischen haben mir jedoch diese Kommunikationsform empfohlen, außerdem bleibt mir nichts anderes übrig, als die Hoffnung darauf, daß euch dieses Lebenszeichen von mir erreicht. Es ist paradox, daß ich auf eine solch primitive Kommunikationsweise angewiesen bin, aber meine neuronale Netzverbindung funktioniert wahrscheinlich wegen der großen Zeitentfernung nicht. Ich hoffe, daß es euch gut geht und daß meine Firma in euren Händen ihren guten Ruf nicht verloren hat. Ich kann mir schon vorstellen, daß mein plötzliches Verschwinden eine gigaheftige Verwirrung hervorgerufen hat, vor allem bei den Arbeitssklaven - übrigens, paßt, bitte, gut auf sie auf und verschärft über sie das Kontrollsystem im neuronalen Netz! Jeder Aufstandsversuch wäre eine Megagefahr für mich, für euch, aber vor allem für die Produktion unseres suprastischen Life-Pulvers! Die Folgen könnten für uns unberechenbar sein! Ihr müßtet dieselbe schockierende Entdeckung machen, wie ich, um euch der Tatsache bewußt zu werden, daß wir in unserer Fabrik etwas enormes leisten, was von unschätzbarem Wert ist. Um euch aber nicht länger in Unsicherheit zu halten und meinen Worten Klarheit zu verschaffen, versuche ich euch jetzt mitzuteilen, was mir in der letzten Zeit passierte. Alles geschah so plötzlich, daß mich diese unerwartete "Reise" in die Vergangenheit bestimmt nicht weniger überrascht, als euch - meine Freunde! Wenn ich das nicht an eigener Haut erlebt hätte, hätte ich nie daran geglaubt, daß es überhaupt möglich ist. Wie gewöhnlich eilte ich am 17. 05 in meinem Flugauto zu meiner Luftinsel und befand mich gerade über den Wolken, als mein Auto in heftige Vibrationen geriet und ich verlor die Kontrolle über es. Ich erinnere mich nur an ein schwarzes Loch, in das ich mit Megageschwindigkeit herunterfiel. Alles andere ist meinem Bewußtsein entronnen. Als ich erwachte, befand ich mich in einem merkwürdigen Raum - es war eine solide, vierwändige Konstruktion auf festem Boden, die mich jedoch von der Außenwelt völlig abgrenzte. Die bekannten Luftinseln waren nirgends zu sehen und es wurde mir klar, daß ich mich in einer fremden Welt befinde. Der Ausblick aus einer kleinen, gläsernen Öffnung in der Wand befestigte mich in dieser Überzeugung, die mir trotzdem immer noch megaverrückt schien. Auf einmal spürte ich Angst und großes Entsetzen - meine bis dahin so geordnete Welt ist aus den Fugen geraten! Ich staunte nur wortlos, meine bisherige Erfahrung wollte mir nicht vorsagen, wie ich mich in einer solchen Si tuation benehmen sollte. Meine hektischen Überlegungen wurden aber auf einmal durch lautes Knirschen unterbrochen - da hat sich ein Teil der Wand geöffnet und in den Raum traten zwei fremde, menschliche Wesen ein - ein männliches und ein weibliches. Erstaunlich war für mich schon die Tatsache, daß sich der Mann gar nicht von mir unterschied, noch erstaunlicher kam mir aber die enorme Körperbreite der Frau vor. Ihre Gesichter verrieten Erregung und ihre ersten Worte klangen freundlich und vertraut: Hallo! Herzlich willkommen in unserem Haus! Wie fühlen Sie sich? Haus?- dachte ich - so nennen sie ihren Wohnraum? Interessant! Bevor ich aber die Frage beantworten konnte, überflutete mich die breite Frau mit ihrem Redefluß: Lieber Gast, wir haben Sie vorgestern auf unserer Wiese ohnmächtig gefunden und nach Hause gebracht! Wir freuen uns, daß sie ihr Bewußtsein zurückgewonnen haben. Wir möchten aber gerne wissen, wer sie sind. Woher kommen Sie denn? Es wäre gut, wenn wir Ihre Familie benachrichtigen könnten. Ihre Nächsten machen sich bestimmt große Sorgen um Sie. Ich bin Frau Kopytko und das ist mein Mann - Herr Kopytko. Unsere Kinder die kleinen Kopytkos - sind gerade leider in der Schule, aber dafür haben sie Ihre Ruhe, die Sie jetzt so brauchen. Na, erzählen Sie uns was! Aus Sicherheitsgründen beschloß ich, ihnen möglichst wenig von mir zu verraten. Auf jedes Wort aufpassend, versuchte ich ihnen alles zu erklären: ich erwähnte meinen Namen, sagte, daß ich mit einer Frau lebe und daß ich eine eigene Firma habe und als ich meine Geschichte langsam, natürlich soweit, wie es nötig war, fortsetzen wollte, kam mir die breite Frau Kopytko wieder ins Wort: Ja, ja, lieber Herr Bolek, wir wissen, daß sie in ihrem schönen, teuren Auto einen Unfall hatten. Seien sie aber ruhig. Es wurde mit größter Sorgfalt in unsere Scheune abtransportiert, sie dagegen hierher gebracht. Weil sie aber keine schweren Verletzungen hatten, haben wir uns den Arzt erspart. Außerdem war ich immer der Meinung, daß eine Schüssel meiner selbstgemachten Brühe jedem besser tut, als die teuersten Medikamente. Nach diesen Worten ist sie schnell (bewundernswert bei solcher Körperfülle!) in der Wandöffnung ("Tür" genannt) verschwunden und kam nach einer Weile mit einem riesigen, dampfenden Gefäß herein, das sie vor mich stellte. In dieser Schüssel befand sich eine gelbe, trübe Flüssigkeit mit langen, dünnen Elementen drin. Der angenehme Geruch erinnerte mich plötzlich an mein Life-Pulver und meinen Magen an den Hunger! Diesen appetitlichen Gedanken mußte ich jedoch verabschieden, weil die Kopytkos kein Life-Pulver in ihrem Haus haben! Da drückte mir Frau Kopytko einen seltsamen Gegenstand energisch in die Hand, setzte sich selbst neben mich, beobachtete mich mit einem breiten Lächeln im Gesicht und erwartete meine Reaktion. Ich denke, ihr versteht, daß die Situation gigapeinlich war - ich wußte gar nicht, was ich mit dem ganzen Zeug anfangen soll und je länger mich Frau Kopytko beobachtete, einen desto desorientierteren Ausdruck hatte ihr Gesicht. Meine Bestürzung schrieb sie jedoch der körperlichen Schwäche zu, auf einmal ri ß sie den Löffel (so heißt der Gegenstand) aus meiner Hand und begann mir mit seiner Hilfe die Flüssigkeit in den Mund einzugießen. Am Anfang wollte ich mich vor der plötzlichen Attacke Frau Kopytkos wehren, aber als ich nach einer Weile angenehme Wärme im meinen Magen fühlte, gab ich den Widerstand auf. Als sie schon die Hälfte der Schüssel in mich hineingegoßen hatte, fand ich die Geschmacksrichtung der Flüssigkeit gar nicht so übel. Das angenehme Gefühl der Sattheit glich dem, das ich nach der Fubi-Portion empfinde, ich konnte es aber nicht länger genießen, weil ich sofort einschlief. Ja, meine Freunde, das war mein erster Kontakt mit der Realität des Jahres 2000. Obwohl die Sehnsucht nach meiner Luftinsel, nach der Firma und natürlich nach euch, meinen treuen Mitarbeitern groß war, spürte ich in diesem Unglück einen Funken Optimismus. Ich beschloß meinen Aufenthalt hier in der Vergangenheit zu nutzen, um neue Erfahrungen zu sammeln, die zur Verbesserung (ja, ja, meine Freunde, das halte ich für mögli ch!) unseres Pulvers beitragen könnten. Außerdem quälte mich immer noch vor allem eine Frage - woher kam die enorme Körperfülle Frau Kopytkos? Die Zeit bei Familie Koytko ging schnell vorbei und war reich an vielen neuen Erfahrungen. Ich bin eigentlich nicht imstande, euch das alles so ausführlich zu beschreiben. Ich habe beschlossen mich in diesem Brief nur auf das zu beschränken, was mir besonders wichtig vorkam. Im allgemeinen ging es mir, vor allem körperlich, sehr gut - Frau Kopytko sorgte höchstpersönlich für meine Verpflegung und bereitete an jedem Tag eine Geschmacks- und Duftpalette ihrer kulinarischen Leistungen vor. Es war einfach ein Fest für meine Sinne! Besonders appetitlich war für mi ch das, was man hier als "Kuchen" oder "Torten" bezeichnet - ihr Geschmack war herrlich und machte mir bewußt, wie arm meine bisherigen Geschmacksempfindungen waren! Ich könnte das stundenlang essen - und habe es auch, zur großen Freude Frau Kopytkos, gemacht. Bei den Einheimischen gibt es sogar einen besonderen Tag, an dem man solche Köstlichkeiten ohne Einschränkung bis zu den Kapazitätsgrenzen des Magens verschlingen kann. An diesem Tag nehmen diese Leckerbissen jedoch eine andere Form an - es sind dann braune, weiche, kugelförmige Dinge mit gaumenkitzelnden Überraschungen drin und sie werden hier "Pfannkuchen" genannt. Diese Sitte wird alljährlich gefeiert und trägt den Namen des "Fetten Donnerstags". Als ich an diesem Donnerstag morgen erwachte und in der Küche erschien, sah ich vor meinen Augen einen Haufen von Pfannkuchen, die Frau Kopytko inzwischen produziert hat. Damit könnte man eine ganze Armee unserer Schnüffelroboklone ernähren! Bei Familie Kopytko reichte aber diese Gigamenge gerade für einen Tag. Dabei fiel mir aber etwas wertvolles ein - ich bemerkte eine deutliche Analogie zwischen der runden Form des Pfannkuchens und der Gestalt meiner Wirtin. Ich beschloß dieses Phänomen näher zu erforschen. Während meine Beziehung zu Frau Kopytko von Anfang an durch den gemeinsamen kulinarischen Genuß besonders freundlich und eng wurde, benahm sich mein Wirt mir gegenüber eher zurückhaltend. Aber auch dieses Verhältnis änderte sich im Laufe der Zeit. Herr Kopytko wei hte mich nämlich in einen anderen Genuß ein... An einem Abend besuchten uns zwei Kameraden Herrn Kopytkos - gerade in der Zeit, als seine Frau an einer Versammlung des Bäuerinnenzirkels (!!???) teilnahm - um diese paar Stunden der Freiheit für einen echten Männerabend bei Skat (eine Art von Gesellschaftsspiel) auszunutzen. Aus diesem Anlaß verschwand Herr Kopytko für eine Weile in der Scheune und tauchte wieder mit einigen Flaschen unterm Arm auf. Der Anblick der farblosen Flüssigkeit drin löste bei den Männern merkwürdigerweise eine wilde Freude aus. Gleichzeitig holten sie aus ihren Taschen einige seltsame Dinge heraus; wie ich gleich aufgeklärt wurde, waren es "Sauergurken". Die "Sauergurken" und die "Salzheringe" (so heißen die Dinger) sind in Verbindung mit der Flüssigkeit aus den Flaschen ein untrennbarer Bestandteil des Rituals. Die Flüssigkeit wurde in komische kleine Gefäße, unter anderen auch mir eingegossen. Auf ein Wortsignal "Prost" hoben wir alle die Gefäße vom Tisch auf und stießen sie an einander an (ich fürchtete, sie zerbrechen dabei in unseren Händen!) und gossen ihren Inhalt in unsere Hälse ein. Der Geschmack dieses Trankes war scharf und sehr unangenehm. Er erinnerte mich weder an den Fubi, noch an das köstliche Gebäck Frau Kopytkos. Nach einer Weile fühlte ich die mir schon so gut bekannte Wärme - die Wirkung der Flüssigkeit war jedoch ganz anders, als die der Brühe. Ich schlief diesmal nicht ein - im Gegenteil - der "schwarzgebrannte Schnaps" brachte mich in Erregung, erhellte meine Gedanken und rief das Gefühl des Verlangens nach dem nächsten Gefäß hervor. In eigenen, merkwürdig tiefen Gedanken versunken, bemerkte ich nicht, daß die erste Flasche längst von der zweiten, und die zweite gleich von der dritten abgelöst wurde. Und als die lustige Atmosphäre ihren Höhepunkt erreichte, erschien auf einmal Frau Kopytko in der Tür. Vor lauter Empörung schrie sie uns an, beschimpfte uns und als letztes verjagte sie die beiden Kumpels nach Hause. Ich konnte nicht verstehen, warum sie uns die tolle Atmosphäre verdarb. Mit erregter Stimme befahl sie uns, sofort ins Bett zu gehen. Damit hatte ich einige Probleme - der schwarzgebrannte Schnaps verursachte bei mir wahrscheinlich eine Störung des Gleichgewichts. Die gute Laune verließ mich trotzdem nicht und ich beschloß, mich am nächsten Tag nach dieser wundervollen Flüssigkeit bei meinem Wirt zu erkundigen. Mit diesem Gedanken schlief ich sofort, wie ein Säugling, ein. Wie gedacht, so gemacht. Am nächsten Nachmittag ging ich zu meinem Wirt und sehr vorsichtig fragte ich ihn nach dem Rezept für diesen suprastischen schwarzgebrannten Schnaps. Herr Kopytko warf mir nur einen vielversprechenden Blick zu und befahl mir, ihm zu folgen. Äußerst leise und vorsichtig gingen wir an der Küche, in der gerade Frau Kopytko das Abendessen vorbereitete, vorbei in Richtung der Scheune. Es wurde mir schwer ums Herz, als ich dort mein liebes, fast völlig zerstörtes Flugauto erblickte. Dieser Anblick weckte in mir gleich schmerzhafte Erinnerungen an MetrOpole und an euch, meine Freunde. Zwar gab ich die Hoffnung, euch wiederzusehen, nie auf, trotzdem wurde es immer schwieriger zu glauben, daß ich dieses komplizierte Fahrzeug reparieren könnte. Es fehlte mir sowohl an Kraft, als auch an notwendigen Ersatzteilen, die beim derzeitigen geringen Fortschritt kaum zu bekommen wären. Schnell verließ ich jedoch diese düsteren Gedanken zugunsten der beeindruckenden Konstruktion, die sich in der anderen Ecke der Scheune befand. Es war eine Menge von verschiedenen gläsernen Flaschen und Gefäßen, die ganz oder zur Hälfte mit einer Flüssigkeit gefüllt und mit einem Netz von unzähligen Röhrchen verbunden waren. Ganz stolz auf diese kleine Fabrik schleppte Herr Kopytko mitten aus dem Stroh das Ausgangsprodukt - drei riesige Korbflaschen mit dem schwarzgebrannten Schnaps. Sehen Sie - sagte mein Wirt - wir armen Leute können es uns nicht alles leisten, wie ihr Reichen. Deswegen müssen wir für unsere Bedürfnisse selbst sorgen... Bis jetzt weiß ich nicht genau, was er damit sagen wollte. Dann erzählte er mir in einigen Worten, wie dieser Zaubertrank hergestellt wird - davon begriff ich wieder gar nichts. Als wir beide am späten Abend die Scheune verließen, bat mich mein Wirt, das, was ich gesehen hatte, vor Frau Kopytko zu verheimlichen. Seit diesem Abend "kontrollierte" ich fast jeden Tag mit Herrn Kopytko die Produktion - er war mit meiner Gesellschaft und immer ehrlichen Bewertung des Schnapses zufrieden, ich dagegen konnte nicht nur den Rausch erleben, sondern auch Möglichkeiten überlegen, wie ich mein kaputtes Auto reparieren könnte. Die Tage und Stunden bei der Familie Kopytko gingen immer schneller vorbei. Frau Kopytko herrschte unermüdlich in der Küche - ihrem Königreich. Im Vergleich zu meiner dummen Frau wirkte sie in dem primitiv eingerichteten Raum einfach Wunder. Auf meine Komplimente für i hr köstliches Essen reagierte sie immer ähnlich und sagte, daß es sich so gehörte, so vornehme und hochgestellte Personen auf diese Art und Weise zu empfangen. Könnt ihr euch vorstellen, daß sie einmal auf die Idee kam, eine Veranstaltung zu meinem Ehren zu organisieren? Man bezeichnet es hier als "Party". Dabei entschuldigte sie sich bei mir tausendmal, daß sie mich in keinen anständigen Gasthof eingeladen haben, in dem wir uns beim wirklich königlich servierten, ausgesuchten Essen amüsieren könnten (?). In der Stadt seien immer in jedem Lokal zu viele Leute und auf jeder Straße zu viele Autos - aber bestimmt nicht so teuere, wie Ihr Auto - und das mache sie krank. Also, nächstes Wochenende sollten uns Kopytkos Kumpels besuchen, um gemeinsam meinen Aufenthalt hier zu feiern. Eingeladen waren auch zwei Cousinen Frau Kopytkos aus der Stadt und ein Ehepaar aus der Nachbarschaft. An diesem Tag war der Zugang zur Küche für mich verboten. Die ganze Familie dagegen beteiligte sich leidenschaftlich an der Vorbereitung der Party. Die Atmosphäre am Abend war sehr lustig und angenehm, umso mehr, als auf dem reich gedeckten Tisch der schwarzgebrannte Schnaps vorherrschend war. Die Vielfältigkeit der Speisen beeindruckte mich wie noch nie. Merkwürdig war für mich ein Teller mit einigen wunderschön duftenden, braunen Dingen, von denen ich mir eins sofort auf meinen Teller legte. Bei genauer Betrachtung erinnerte mich dieses Zeug an die unteren Körperteile der auf dem Hof herumlaufenden Hühner. Bevor ich aber mit dem Essen begann, trat gerade Frau Kopytko mit ihrer, mir schon so gut bekannten Brühe ins Zimmer ein und als sie das Gefäß auf den Tisch stellte, zog ich mit der Flüssigkeit wiederum einige Stücke von diesen Vögeln heraus. Unglaublich, dachte ich, das ist wirklich möglich. Könnt ihr euch vorstellen, daß wir unsere genetisch modifizierte Megahühner einfach fressen?! Ich wußte gar nicht mehr, was los ist, mir fehlte aber der Mut, danach zu fragen. Und so ging die Party weiter - mit Essen, Trinken und Sprechen, Essen, Trinken und Sprechen... bis gegen 2 Uhr in der Nacht die letzten Gäste das Haus verließen. Nach der Party wurden die Veränderungen an meinem Körper, die ich seit einiger Zeit mit Unruhe beobachtete, wesentlich deutlicher - ich fühlte mich schwerfällig, mein Bauch hat sich gerundet und die Kleidung, die mir mal die Familie Kopytko geschenkt hatte, wurde immer enger. Mit großem Entsetzen stellte ich fest, daß meine Figur der Frau Kopytkos ähnelt und es schien, daß ich endlich den Grund dafür fand. Deswegen beschloß ich, beim Essen ein bißchen vorsichtiger zu sein, was mir jedoch bei Frau Kopytkos schmackhafter Küche schwer fiel. Ja, liebe Freunde, außerdem versuchte ich fast an jedem Tag einen kleinen Schritt bei der Reparatur meines Flugautos weiterzukommen. Einmal klärte sich dabei die Frage nach den Hühnerkörperteilen auf dem Tisch. Ich bemerkte nämlich meinen Wirt, als er auf dem Hof die Hühner zu fangen versuchte und dann erfolgreich mit zwei unterm Arm in die Scheune eintrat. Als ich ihm nach einer Weile folgte, lagen die Vögel schon geköpft in einer Blutpfütze auf dem Scheunenboden. Schweißtropfen traten mir auf die Stirn. Herr Kopytko nahm meine Reaktion aber ganz ruhig und gelassen auf. Mit ironischem Lächeln im Gesicht fügte er hinzu: Ja, ja, es ist viel bequemer das Fleisch im Geschäft zu kaufen, oder? ich nickte nur darauf hin und verschwand sofort. Liebe Freunde, später erfuhr ich, daß diese "Sitte" etwas ganz normales hier ist, und daß nicht nur Hähnchen, sondern auch viele andere Tiere, z.B. Schweine, Kühe und Puten gegessen werden. Aus einem dicken Register, das ich in der Küche zufällig entdeckte, weiß ich, daß die Tiere in unzähligen Variationen verarbeitet werden können. In einem komplizierten, dauerhaften und mühsamen Prozeß wird das Essen der Wirkung von hoher Temperatur und verschiedener seltsamen Substanzen ausgesetzt, bevor es den gewünschten Geschmack erreicht. Übrigens, im Haus der Familie Kopytko sind mehrere solcher Register, die alle "Kochbuch" heißen und aus denen Frau Kopytko ihre Ideen für das Essen schöpft. Die Kopytkos wußten nicht, woher ich komme, und hielten mich für einen, wie sie es nannten, reichen Mann. Immer öfter hörte ich das Wort "Geld", ich wußte bloß nicht, worauf ich es beziehen soll. Deswegen beschloß ich, möglichst schnell die Vergangenheit zu verlassen. Ich hoffe nur, daß meine Rückkehr zu euch erfolgreich wird - wenn der neuronale, überdimensionale D-63-Wegweiser in meinem Flugauto heute den Weg zurück findet, sehen wir uns bald! Für alle Fälle schicke ich euch diesen Brief - nutzt bitte meine Erfahrungen und Entdeckungen zugunsten unseres Life-Pulvers und sorgt für den guten Ruf der Firma K10, bis ich zurückkomme. Kürzlich ist es mir auch nähmlich gelungen, mein Flugauto zu reparieren und ich wollte sofort nachprüfen, ob es überhaupt funktioniert. Als ich mich jedoch reinsetzte, hörte ich nur ein merkwürdiges Geräusch, es kam zu einem heftigen Stoß und auf dem Monitor vor meinen Augen sah ich ein Kommunikat in roten Buchstaben: "Überbelastung". Könnt ihr euch meine Verzweiflung in diesem Moment vorstellen? Mein Flugauto war endlich startfähig, ich jedoch versagte. Dieses Ereignis löste bei mir eine tiefe Depression und Eßunlust aus. Das hat wiederum die ganze Familie so in Sorge gebracht, daß mich Frau Kopytko nach drei Tagen zum Hausarzt brachte. Weil ich verstand, daß es meine letzte Rettungsmöglichkeit war und der Arzt mir außerdem vertrauenswürdig erschien, hatte ich vor, ihm die ganze Wahrheit zu gestehen. Anfangs wußte ich nicht, ob er mir glaubt, aber nach einer genauen Untersuchung und Durchleuchtung, bei der er mein Gehirnimplant entdeckt hatte, verschwanden alle Zweifel. Der Arzt begann, immer noch schockiert, alles zu erklären. Ihr könnt euch, meine Freunde, nicht vorstellen, was ich da erfuhr. Meine Vermutungen bestätigten sich der plötzliche Wechsel vom Life-Pulver auf die fette Ernährung Frau Kopytkos war der einzige Grund für meine Krankheit - das Übergewicht. Dabei sei leider Frau Kopytko keine Ausnahme - das Übergewicht sei zur Plage der Zeit um das Jahr 2000 geworden. Obwohl viele Leute sich dessen bewußt seien und die gesunde Lebensweise immer intensiver propagiert werde, können die meisten ihre Eßgier noch immer nicht beherrschen, was schließlich zu schweren Krankheiten oder sogar zum Tod führe. Die Menschheit quäle aber ein ganz anderes Problem - es gäbe Länder, wo Menschen nicht genug zu essen hätten, wo es an grundsätzlichen Nahrungsmitteln und Wasser fehle und wo man einfach verhungere. Dabei dachte ich an unser MetrOpole, dem solche Probleme fremd sind, in der jeder mit seiner Life-Pulver-Portion bestens versorgt wird und ich konnte nicht begreifen, daß die Menschen hier keine Mittel gegen Hungersnot finden können. Der Arzt erklärte mir auch, daß ich aufgrund hoher Automatisierung des Lebens in MetrOpole nicht imstande sei, den Nährwert der Küche Frau Kopytkos richtig einzuschätzen, was zu meinem Gewichtzuwachs geführt habe. Die einzige Rettung für mich sei jetzt eine strenge "Diät", die er mir verschrieb. Ich sollte mich nicht nur beim Essen einschränken, sondern auch sorgfältig ausgewählte Produkte essen - viel Obst, Gemüse, mageres Geflügelfleisch und dazu viel, viel Mineralwasser trinken. Ich mußte von allen Torten, Kuchen, sowie Brot, Kartoffeln und Nudeln Abschied nehmen. Weil der Arzt wußte, daß ich sofort abnehmen muß, empfahl er mir auch intensive "Gymnastik". Er warnte mich noch zugleich vor Übertreibung, die, wie er es erklärte, auch zu einer anderen Krankheit führen könne. Sie heißt Anoreksie. Nach der zweistündigen Beratung bedankte ich mich herzlich bei dem Arzt und versprach ihm, mich an seine Anweisungen zu halten und in einem Monat wieder zur Kontrolle zu erscheinen. Nach meiner Rückkehr nach Hause begann ich sofort den Kampf mit dem Fett und die ganze Familie machte mit. Glaubt mir, es war nicht einfach, aber die Perspektive des Wiedertreffens mit euch unterstützte mich dabei. In kurzer Zeit gewöhnte ich mich an mein neues Menu und auch den Sport fand ich einfach suprastisch. Meine Freunde, nach dieser Erfahrung muß ich euch jedoch ehrlich sagen, es gab und gibt nichts besseres, als unser Life-Pulver. Diese Quälerei, wie Frau Kopytko zu sagen pflegte, dauert schon ungefähr einen Monat. Mit jedem verlorenen Pfund nähert sich die Stunde meiner Rückkehr zu euch. Das riesige Freudegefühl verflicht sich bei mir mit Trauer und Angst. Während meines Aufenthalts hier fühlte ich mich wie ein Mitglied der Familie. Mit Erstaunen muß ich feststellen, daß ich innerhalb von dieser mit vielen neuen, oft schockierenden Erfahrungen auch viel Positives erlebt habe, woran ich mich in der Zukunft bestimmt noch erinnern werde. Ihr werdet die ersten sein, die es von mir erfahren. So, meine Freunde, heute ist für mich der entscheidende Tag gekommen, ich habe mein normales Körpergewicht erreicht. Jetzt hängt alles von meinem Flugauto ab - wenn es nicht startet, werde ich hier für immer bleiben müssen! Weil ich nicht imstande bin, mich von den Kopytkos auf eine andere Weise zu verabschieden, habe ich ihnen auch einen langen Brief geschrieben, in dem ich alles erklärt und mich für alles bedankt habe. Diesen Brief lasse ich noch auf der Wiese, wo mich meine Familie gefunden hat. Ich glaube stark daran, daß er den Weg zu euch findet, so wie auch mich der Zufall hierher geführt hatte. Jetzt verabschiede ich mich von euch, hoffentlich für kurze Zeit - bis bald! Euer Chef Bolek K10 EPILOG Am 25.05.2500 landete Bolek K10 auf einer an diesem Tag besonders dichten, neuronalen Wolke, ganz in der Nähe seiner Luftinsel. Von einer Schnüffelroboklonensuchpatrouille dort gefunden, wurde er sofort nach Hause abtransportiert, wo ihn seine dumme Frau mit einer Portion des Fu-BiLife-Pulvers erwartete, wie auch jeden Abend nach seinem Verschwinden. Gleich am nächsten Tag startete die Produktion des Life-Pulvers wieder.