Nichts ist wie es scheint ‚Bye.‘, tippte Jonathan in den PC ein und verabschiedete sich von seiner virtuellen Freundin. Zurück bekam er noch einen Kuss und war dann wieder allein. Der Monitor erstrahlte das Arbeitszimmer in einem hellen blau, was ein wenig durch das Licht aus dem Flur getrübt wurde. Spärliches Licht bot die Lampe, welche aus dem Flur in den Arbeitsraum hineinstrahlte. Im Zimmer selber war es nur der Monitor, der als Lichtquelle fungierte. Jonathan seufzte und streckte sein rechtes Bein aus, das er unter seinem linken Bein eingeklemmt hatte und schon eine ganze Weile darauf saß. Ein Kribbeln kroch vom Fuß übers Knie nach oben und Jon stampfte ein paar Mal mit seinem nackten Fuß auf, um das taube Gefühl in seinem Bein zu vertreiben. Wenige Augenblicke später war der Rechner heruntergefahren und schaltete sich von alleine aus. Den Monitor schaltete Jonathan durch Druck auf einen Schalter aus, danach noch den Hauptstromschalter. Jetzt war es schon ein wenig dunkler als zuvor, aber noch war es hell genug in dem Zimmer, um Jon den Weg nach draußen zu zeigen. Er streckte seine Arme in seinem Ledersessel, gähnte einmal laut, stand auf und ging dann langsam ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen und dann ins Bett zu gehen. Ein Lautes Knacken ertönte, zweimal, doch Jon ließ es völlig kalt. Er war Geräusche solcher Art gewöhnt, denn seine Wohnung lag direkt unter dem Dachboden, und abends knackte und arbeitete immer das Holz. Die Zahnpastatube war fast leer, aber es würde noch für ein paar Waschgänge genügen, und während Jonathan sich die Zähne putzte ging er ins Schlafzimmer, schloss die Fenster und schaltete die Nachttischlampe an. Ein kleiner Halogenstrahler schoss einen Lichtkegel auf das kleine Schränkchen, auf dem die Lampe stand. Die blaue Tapete im Zimmer war zum Teil beleuchtet, an manchen Stellen glitzerte sie sogar. Noch eine Kontrolle an den Wecker, dann ging Jon wieder ins Bad und spülte seinen Mund mit Wasser aus. Zahnpastetube und Bürste kamen getrocknet wieder in den Schrank hinein, als das nächste Knacken ertönte, leiser als das vorige, da es von einer anderen Stelle zu kommen schien, aber es war spürbar stärker geworden. Jon wurde es dann immer ein wenig mulmig, wenn sich das Geräusch auf dem Speicher bewegte und er das Gefühl hatte, etwas Lebendiges wäre auf dem Speicher. Aber er verzog eine Sekunde später nur den Mund und schüttelte den Kopf, trocknete sich den Mund mit einem Handtuch ab und ging Richtung Schlafzimmer. Mit einer Hand schob er die Tür auf, die quietschend nach hinten aufschwang, mit der anderen Hand machte Jon das Flurlicht aus und sah noch einmal kurz zurück in die Dunkelheit. Seine kurzen Härchen auf den Armen stellten sich auf und ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter, als er schon fast glaubte eine Bewegung in der Dunkelheit gesehen zu haben. Er drehte sich um, machte zwei große Schritte ins Schlafzimmer hinein und schloss schnell die Tür. Laut atmete er aus, und er bemerkte erst jetzt, dass er unwillkürlich die Luft angehalten hatte. Bahrfuß stand er vor seinem großen Bett, welches aus Metall war und auf vier Füßen stand, was wiederum genug Platz unter dem Bett für unliebsamen Besuch bot. Misstrauisch schaute der junge Mann in Richtung des Platzes unter dem Bett, fand es aber zu dämlich auch noch genauer nachzuschauen, auch wenn es ihm danach besser gegangen wäre. Fix ging Jon auf die Matratze zu und sprang auf selbige hinauf, bot dem Wunsch unter der Matratze nachzuschauen jedoch Widerstand. Es könnte ja sonst was auf ihn lauern. 1 Bis an den Hals zog er sich die dicke Decke, zog die Beine dicht an den Körper und versuchte erst einmal Betriebstemperatur zum Einschlafen zu erreichen. Vergessen waren die bösen Geister und Monster, die überall lärmten und Schatten warfen. Und keiner war sonst noch da, als Jonathan das Licht löschte. Es war schon sehr spät, und Jon sehr müde, was ihn schnell einschlummern ließ. Sein ruhiger Atem und das leichte Summen des Radioweckers waren die einzigen Geräusche, die man durch die Dunkelheit hören konnte. Unbewusst drehte sich der junge Mann auf den Rücken und legte die rechte Hand neben seinen Kopf. Ein dumpfes Pochen, dreimal hintereinander, störte die nächtliche Ruhe und Jonathan schreckte wieder aus seinem Schlaf auf. Er hatte das Geräusch selbst nicht bemerkt, wachte nur auf, drehte sich wieder auf die linke Seite und dachte an einen weitentfernten Traum. Das nächste Pochen und Klopfen hörte er nur zu deutlich. Jon lauschte in die Dunkelheit, und bemerkte, dass das Pochen nicht aufhörte, sondern nur unheimlich leise war und weiterging. Ging es wirklich weiter, oder bildete Jon es sich nur ein? Wahrscheinlich war es auch nur sein eigener Herzschlag, den er regelmäßig vernahm, weil er mit einem Ohr auf der Matratze lag und sein Herz lauter schlug, weil er das Pochen für etwas anderes, unheimliches hielt. Doch das Pochen war da. Dann knackte es wieder laut. War da nicht ein Kratzen auf dem Boden des Speichers zu hören? Nein, wie sollte das denn sein, und Jon schloss wieder die Augen und dachte an den nächsten Arbeitstag, nur um vielleicht nichts mehr hören zu müssen, und sein Gehirn ihm keinen Streich mehr spielen konnte. Kurz schaute er noch einmal auf den Wecker. Eine digitale Zwei strahlte ihm entgegen, ein Doppelpunkt und eine 01. Um sechs würde das Radio ertönen, und ihn zum Aufstehen einladen. Er hasste es um diese Jahreszeit, weil es morgens im Schlafzimmer furchtbar kalt war und er sich nach dem Aufstehen am liebsten wieder ins warme Bett legen würde. Doch nach dem kommenden Arbeitstag würde das Wochenende auch schon folgen, selbst wenn es ihm dieses Mal in ewiger Ferne zu sein schien. Tatsächlich hatte Jon das Gefühl, dass sich die aktuelle Woche unnötig in die Länge zog. Bei diesem Gedanken drängte sich ihm das Gefühl auf, dass er das schon einmal erlebt hatte. Ein Déjà Vu, so etwas erlebte er hin und wieder einmal, und er machte sich nichts daraus. In diesem Moment klopfte jemand an seine Fensterscheibe. Jon schrak auf, bewegte sich aber keinen Millimeter in seinem Bett. Es konnte niemand an sein Fenster klopfen, er wohnte im zweiten Stock. Wieder ein Klopfen, wie von einem Knöchel des Zeigefingers. Aber er konnte es sich nur einbilden. Dann verstummte das Geräusch und es kehrte Ruhe ein. Kein Klopfen und kein Schaben, keine Schritte und kein Knacken mehr. Ruhe. Langsam drehte sich Jon auf die rechte Seite, so dass er das Fenster im Blick hatte. Er schloss werktags nie die Rollläden, weil er morgens ohnehin früh aufstehen musste, und er konnte das Mondlicht durch die Gardine scheinen sehen. Und einen Schatten, der so kurz da war und dann hinfort huschte, dass Jon ihn auch nur für eine Einbildung hielt, höchstens noch eine optische Täusche, hervorgerufen durch eine Wolke oder einen Vogel. Wieder polterte es auf dem Speicher, direkt am Einstiegsfenster, wo Jon noch zuvor einen Schatten vermutete, der sich in genau diese Richtung bewegt hatte. 2 Jonathan packte das eine Ende des Kissens, auf dem nicht sein Kopf lag und zog es sich über die Ohren, so dass er nichts mehr hören konnte. Außer seinem Herzschlag, dessen Geschwindigkeit immer mehr zunahm. Sein Pochen erinnerte ihn an eine Pauke, die geschlagen wurde, um den Rhythmus für Sklaven zu bestimmen, die eine Galeere antrieben. Seine Stirn war feucht, er zitterte und... Es rummste unüberhörbar laut auf dem Flur vor der Eingangstür zu Jons Wohnung. ‚Die Luke zum Speicher‘, kam es Jon blitzschnell in den Sinn und kurz darauf hörte er auch das Knarren der Metallleiter, die ausgeklappt wurde. Was auch immer auf dem Speicher war, es gehörte da nicht hin, und Jon wusste, dass ‚Es‘ wegen ihm gekommen war. Er hielt die Luft an, kniff die Augen fest zusammen, schlug die Bettdecke zurück und schwang sich mit Elan aus seinem Bett heraus. Wie weggefegt schienen seine Angst, seine Bedenken und seine Müdigkeit, und zielstrebig öffnete Jon seine Schlafzimmertür, ging in seinen Flur, machte das Licht an, schritt zur Haustüre und drehte den Schlüssel um, der mit einem Knacken bestätigte, dass das Schloss wieder geöffnet war. Er drückte die Türklinke nach unten und wollte die Tür aufmachen, als ihm wieder die Furcht in den Kopf schoss. Er drückte fest gegen die Tür anstatt sie aufzuziehen und legte seine Stirn auf dem Holz ab. ‚Was mach ich überhaupt hier?‘, fragte er sich selbst und zweifelte an seinem Verstand. Eine vernünftige Stimme erklärte ihm, dass all diese Geräusche, die er gehört zu haben glaubte, nur Hirngespinste waren und dass er sich wieder ins Bett legen sollte, weil ein anstrengender Morgen auf ihn warten würde. Dreimal schlug er hart mit der Stirn gegen die schwere Holztür, und ohne auf seine innere Stimme zu hören zog er doch mit beiden Händen die Tür auf und schaute hinaus. Das Flurlicht war bereits an. Die Bodenluke war weit geöffnet und die Leiter nach unten aufgeklappt. Das Holz an den Scharnieren der Luke war gesplittert, die Schrauben waren zum Teil ausgehebelt. Soviel zu den Hirngespinsten. Aber was sollte er jetzt tun? Was konnte er gegen dieses Wesen, was auch immer es sein mochte, ausrichten; und er malte sich die schlimmsten Horrorszenarien aus. Er schaute auf die Schalterleiste an der Wand, wo sich seine Türklingel, der Flurlichtschalter und der Lichtschalter für das Speicherlicht befanden. Über dem Schalter des Speicherlichtes brannte ein rotes Lämpchen, was bedeutete dass das Licht eingeschaltet war. Jonathan beruhigte sich damit, dass es sich nur um einen Einbrecher handeln konnte, denn wieder sprach die Vernunft zu ihm, und erklärte ihm, dass nur ein Mensch die Leiter hätte ausklappen können, um hinunter zu kommen und die Lichtschalter zu betätigen. „Warum hatte er nicht direkt auch bei mir geklingelt?“, fragte er sich selbst, und diese Frage war nicht einmal so unberechtigt. Die Schalter sahen alle gleich aus, und wenn derjenige welcher die beiden Lichtschalter betätigt hatte, und dazwischen die Türklingel lag, dann hätte eigentlich bei ihm die Klingel gehen müssen. Nichts dergleichen war gewesen, und jetzt hörte er auch nicht das kleinste Geräusch, weder von oben noch von unten. Ihm war kalt, denn er hatte kaum etwas an, und auf dem Flur lag die Temperatur auf dem Gefrierpunkt. Sein Atem kondensierte direkt vor seinem Gesicht und eine Gänsehaut überzog seine kompletten Körper. Jon drehte sich um, zog den Haustürschlüssel ab und zog die Tür von Außen zu. 3 Er musste wahnsinnig sein, denn er entschloss sich dazu, die Treppe hochzusteigen, um sich davon zu überzeugen, dass niemand mehr auf dem Speicher war, der Einbrecher wieder über alle Berge war und nichts weiter passieren würde. „Schön wär’s!“, sagte Jon mit einem verbitterten und ängstlichen Gesicht. Schritt für Schritt, Sprosse für Sprosse erklomm Jon die Leiter, und schnell konnte er den Fußboden des Speichers sehen. Überall lagen tote Insekten, zumeist Wespen, die jährlich ihre Nester auf den Speicher verlegten, aber die geschlüpfte Brut den Ausgang nicht mehr fand und in der sommerlichen Hitze auf dem Dachboden schnell ihrem Ende gegenüberstanden. Sein zweiter Blick ging direkt zu dem Dachbodenfenster, das zur Linken zur Straße führte. Dort hatte er den Schatten vermutet, doch das Fenster war verschlossen, und auch nicht beschädigt, was seine letzten Zweifel an einem menschlichen Ruhestörer zerstreuten. Jonathan tat den letzten Schritt von der Leiter und stand auf dem Speicher, auch wenn er sich nicht ganz sicher war, was er hier verloren hatte, jedenfalls um diese Uhrzeit. Zu sehen war jedenfalls nichts. Es waren nur ein paar Kartons da, die er selbst hier deponiert hatte, ein kleines Schränkchen, das sein Vormieter hier vergessen hatte (oder wissentlich nicht mitgenommen hatte) und ein paar Wäscheleinen, auf denen Jon immer seine Bettwäsche aufhing, zumindest im Sommer, wenn sauna-artige Temperaturen auf dem Dachboden herrschten. Doch einen Hinweis auf einen ungebetenen Gast fand er dort nicht. Vielleicht war es auch nur ein Zufall. Immerhin konnte Jon sich noch vorstellen, dass ein anderer Mitbewohner des Hauses auf dem Speicher war und gepoltert hatte, aus welchen Gründen auch immer. Und er hatte ihn einfach im Flur verpasst. „Die Antenne, jemand hat bestimmt nach der Antenne geschaut, weil sein Fernseher kein Bild mehr angezeigt hat, und jetzt sitzt er unten am Fernseher und schaut, ob die Änderungen am Verstärker auf dem Speicher etwas bewirkt hatten.“, freute Jon sich und war mit dieser Überlegung sogar mehr als zufrieden. Der Verstärker hing im hinteren Teil des Speichers an einem Pfosten und rote Lämpchen sollten leuchten, um seine Tätigkeit zu beweisen. Am Verstärker war aber kein Licht an. Der Verstärker war nicht eingeschaltet. „Warum sollte jemand den Verstärker ausschalten?“, wunderte er sich. War ihm aber auch egal, scheinbar war das Mysterium gelöst, und alles war geklärt. Jonathan ging wieder zur Leiter und tippelte deutlich erleichtert nach unten in den großen Flur, in dem mittlerweile das zeitgeschaltete Licht erloschen war. Es war stockdunkel und nicht einmal Licht von Außen fiel durch die dicken Glasbausteine des Flures in das Haus. Jon verlangsamte auf den letzten beiden Sprossen seinen Schritt, und ihm war unwohl. Er wünschte sich schon in seiner Wohnung mit verschlossener Tür, wo es wieder hell war. Auf dem Fußboden angekommen, entschloss er sich, die Speicherluke erst einmal geöffnet zu lassen, da er niemanden ärgern wollte. Das Licht wollte er ebenfalls eingeschaltet lassen, doch als er auf die Schalterleiste schaute, um das Flurlicht einzuschalten, stellte er mit Entsetzen fest, dass das rote Lämpchen über dem Drücker erloschen war. Das Licht auf dem Dachboden war bereits aus, und das sah Jon auch als er die Leiter hinaufblickte. Jemand hatte es abgeschaltet während er die Leiter hinabstieg, und vor allen Dingen hatte er es nicht einmal bemerkt, wie der Lichtkegel in seinem Rücken verschwand. Jetzt war Jon nicht mehr ganz so optimistisch was seinen Lösungsvorschlag für die Ereignisse in dieser Nacht anbelangte. Er drückte den Lichtschalter für das Treppenhaus. 4 Es klackte zwar, aber keine Glühbirne trat ihren Dienst an. Er drückte erneut, ohne jegliche Reaktion sehen zu können. Wie verrückt schlug er mit der Faust auf den Schalter, was natürlich nichts änderte. Er holte zitternd den Haustürschlüssel hervor, der an einem Schlüsselbund in einem Mäppchen war. Da waren viele Schlüssel, aber Jon wusste, wo der richtige hing. Dieser ging zwar bis zur Hälfte in den Schaft hinein, verdeutlichte Jon aber dann, dass dies das falsche Schloss für diesen Schlüssel war. Jon zog den Bart des Schlüssels wieder raus und probierte es erneut, aber Schloss und Schlüssel wollten nicht zueinander finden. Jon tastete nach dem Schlüssel, er sollte einen Kunststoffring um die Grifffläche haben. Der war auch da, eventuell hatte er aber den Schlüssel mit demjenigen verwechselt, der ebenfalls einen Kunststoffring besaß. Unter diesen Umständen verzieh er es sich gerne, dass er sich mal vertan hatte. Aber auch der zweite Schlüssel passte nicht hinein. Und er probierte weiter, versuchte jeden anderen Schlüssel an dem Bund, aber keiner wollte in das Schloss. Mittlerweile hatten sich Jons Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und das schwache Licht durch die Glasfenster reichte aus, damit er was in der Nacht sehen konnte. Er schaute auf die Schlüssel und sah den Richtigen, denjenigen, der passen musste, aber er tat dieses nicht. Jon warf den Bund zu Boden und verstand die Welt nicht mehr. Leicht zornig wendete er sich von der Haustür ab und ging die Treppe hinunter, wollte zu seinem Vermieter gehen, und ihn aus dem Bett klingeln, um ihn zu fragen, was in diesem Haus los war. Sechs Stufen kamen zu erst nach unten, dann die 180°-Wende mit weiteren zwölf Stufen und Jon sah schon, was er nicht zu befürchten gewagt hatte. Am Ende der Treppe in dieser Etage befand sich keine Tür. Nur eine weiße Wand war da, die er nun zweifelsfrei sehen konnte und an der es nichts zu rütteln gab. Die Treppe führte weiter nach unten, wobei es immer dunkler wurde, und Jon deshalb auch nur einen kurzen Blick wagte. Alles wurde ihm zunehmend unheimlicher, und er war mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo man mit logischen Erklärungen nicht weiterkommen konnte. Für einen kurzen Moment lehnte sich der Mann an das Treppengeländer und schloss für einen Moment die Augen. Laut pustete er seine Lungen leer und atmete dann umso tiefer ein. In weiter Ferne konnte Jon eine Sirene hören. Dieser schrille Ton, der von hell nach dunkel wechselte, um die Feuerwehr zu rufen und alle anderen zu warnen. Durfte Jon denn noch davon ausgehen, dass sich außerhalb des Hauses noch die gleiche Welt befand, die er vor dem Schlafengehen noch verstehen konnte. War es wirklich eine Feuersirene, die er hörte, oder... Unwillkürlich kam ihm dann das Bild von den Morloks in den Sinn, die in dem Film „die Zeitmaschine“, die die naiven „Eloi“ mit diesen Sirenen riefen, um sie dann zu töten und zu verspeisen. Bei diesem Gedanken bekam er immer eine Gänsehaut, und gerade in dieser doch sehr merkwürdigen Lage, in der sich Jonathan jetzt befand, war es ein grauenhaftes Gefühl, und er wünschte sich einfach, aus diesem Traum aufzuwachen. Es konnte nur ein Traum sein. Die Sirene wurde lauter. ‚Hoffentlich ist das nur der Wind, der das Heulen näher kommen lässt!‘, hoffte Jon inständig. Doch der allein konnte die Geräusche nicht so nah heran bringen und in der Lautstärke so weit anschwellen lassen. 5 Die Sirene war genau über dem Dach des Hauses. Und dort blieb sie auch noch stehen. „Scheiße, scheiße, scheiße!“, fluchte Jon in einem Atemzug und lief die Treppe weiter nach unten, ohne darüber nachzudenken, wo sie hinführte und dass es immer dunkler wurde. Dazu auch noch immer länger. Vier Stockwerke, fünf, sechs, war er schon gelaufen, und er nahm immer drei Stufen auf einmal, damit er so schnell wie möglich diesem Albtraum entkommen konnte. Auf seinem Weg fand er keine Tür, keinen weiteren Schalter oder auch nur den kleinsten Hinweis, dass sich alles von selbst klären würde. Nur das Geländer, die Stufen, Jon und die Sirene. Ganz oben im Treppenhaus polterte es, dann folgte ein Schrei, der in dem Flur hallte und wie ein Echo von unten nach oben und von rechts nach links flog. Schwere Schritte kamen ans Laufen, dann ertönte ein Pfeifen, das auf das Zerschneiden der Luft hindeutete, gefolgt vom typischen „Flappen“ von Flügelschlägen, woraufhin die Schritte verstummten. Das Vieh konnte fliegen. Panik machte sich in Jon breit, denn er hatte auch nicht die kleinste Antwort auf die tausend Fragen, die sich in ihm auftaten. Er machte die Augen zu und lief so schnell es ging, immer weiter und tiefer, die Stufenfolge kannte er auswendig und folgte blind der Führung des Geländers. Hinter ihm das Flugmonster, das permanent näher kam und hin und wieder diesen Sirenenhaften Schrei von sich gab. Nach dem zwölften oder dreizehnten Stockwerk fand die Flucht ein unerwartetes Ende, als Jonathan in vollem Lauf sich den Kopf an der Decke stieß und gegen eine Wand lief. Plötzlich war es hell in dem Flur musste Jon feststellen, jedoch waren das nur die Ausläufer der vielen Sterne, die er aufgrund des harten Schlages auf sein Haupt in seinem Kopf wiederfand. Wie sich das falsche Licht verflogen hatte, kehrte die Dunkelheit wieder in den Flur, und das metallische Geschrei des Flugmorloks; so taufte Jon das Ding jetzt erst einmal. Er befand sich im Keller des Hauses. Blind war er in den letzten Teil des Treppenhauses gelaufen, wo die Decke niedriger war und dahinter unmittelbar die Wand folgte. Eine Sackgasse, allerdings vermutete Jonathan eine Tür hinter der letzten Stufe der Treppe und taumelte ein paar Schritte zurück. Das Geschrei und die flappenden Flügelschläge waren schon sehr nah, ein, höchstens zwei Stockwerke über ihm. Jedoch war sich Jon immer noch dessen bewusst, dass er sich in keinem Traum befinden konnte, erst kürzlich durch den schmerzenden Schlag auf den Kopf bestätigt. Erleichtert atmete er auf, als er tatsächlich eine Tür fand. Nur nicht die, mit der er gerechnet hatte. Diese Tür war groß, aus massivem Holz gemacht, hatte schwere, eiserne Scharniere, die quietschten, während sich Jon mit aller Kraft gegen die Tür stemmte und sie langsam aufschob. Sie war unheimlich schwer und mächtig stabil, nicht wie die gewohnte Tür aus dünnem Holz mit einer dünnen Lackschicht und ein wenig Glasur darüber, befestigt an winzigen Scharnieren. Er machte den Spalt gerade so groß, dass er durchrutschen konnte und in der Dunkelheit dahinter die Tür wieder schließen konnte. Doch als er sich von der anderen Seite gegen die Tür lehnte, hörte er im Treppenhaus harte, klopfende Schritte auf dem Fußboden. Er wagte einen Blick durch den mittlerweile nur noch schmalen Spalt und sah zwei smaragdgrüne Lichter in der Dunkelheit schweben. In Wirklichkeit waren es Augen, die ihn anfunkelten und ihn ins Visier nahmen. Das Vieh war schwarz wie die Nacht, bis auf die Augen, die leuchteten, als wäre der Kopf ausgehöhlt und eine Kerze würde im Inneren brennen. 6 Schwach konnte Jon die Umrisse erkennen, und sofort schoss ihm ein abstruses Abbild von einem Engel, der da das Treppenhaus hinunter ging, durch den Kopf. Schemenhaft ging ein Engel das Treppenhaus hinunter. Große Flügel konnte man hinter den Schultern in die Höhe ragen sehen. Der Engel marschierte wegen seiner Größe geduckt auf die Tür zu und Jon musste sich zwingen, seinen Blick den grünen Augen zu entreißen, um die Tür vollständig zu schließen. Die Muskeln in seinen Beinen brannten, sein Rücken schmerzte und seine Arme und Schulter begannen mit ihrem eigenen Streik, doch die Tür war plötzlich geschlossen. Dumpf ertönte von draußen wieder ein Schrei, welcher sich dieses Mal wie ein wehleidiges Heulen anhörte. Jon nahm einen großen, dicken Holzbalken und schob ihn in die eiserne Vorrichtung an der Tür, um diese zu verschließen. Gerade rechtzeitig, denn einen Moment später polterte das engelähnliche Vieh gegen die Barrikade und heulte wieder auf. Auch wenn die Tür und der Balken wirklich einen sehr massiven Eindruck machten, so würden sie nicht ewig stand halten, und Jonathan machte sich auf die Suche nach einem Ausweg aus diesem Kellergewölbe, das er wahrscheinlich noch nicht kannte, obwohl er so oft schon hier unten gewesen war. Einen Lichtschalter konnte er nicht finden, was ihn sehr geholfen hätte, denn hier war nur die absolute Schwärze zu sehen, da kein Lichtstrahl lebendig dort unten eintraf. Der Boden war hart, knisterte bei jedem Schritt durch Sand, der überall verstreut lag. Gegen mehrere Gegenstände lief Jon und holte sich einige blaue Flecken. Nichts von den Gegenständen, die er ertasten musste, konnte er im Moment gebrauchen. Als er jedoch gegen einen wackeligen Gegenstand lief, der ihm bis zum Bauchnabel reichte, warfen sich in ihm einige Fragen auf. Noch mehr als er die Oberfläche ertastete. Es war ein dünner Kunststoff Darin waren die Winterreifen für sein Auto. Er ließ seinen Oberkörper auf den Reifenstapel fallen und faltete die Hände. Manche Dinge waren real, andere aber wiederum nicht. Jon verstand jedenfalls nichts mehr. Ein Schluchzen entsprang seinen Stimmbändern. Alles war anders und wiederum doch genauso wie früher. Er fragte sich, ob er es jemals aus diesem Wahnsinn hinaus schaffen würde. Ob er vielleicht doch aufwachen konnte, weil es nur ein Traum war, und eigentlich auch nur sein konnte. Und, falls er es schaffen sollte, aus diesem Haus herauszufinden, was er anschließend tun sollte, und was noch auf ihn zukommen könnte. Perspektive hatte er zur Zeit wenig. Jon erhob sich vom Reifenstapel, mittlerweile unberührt von dem schrillen Gejammer vor der Tür, das permanent zu ihm durchzudringen versuchte, und drehte sich um. In zwei Meter Höhe war in der Wand ein Kellerfenster eingelassen, welches mit einem Metallgitter verschlossen war. Es war jedenfalls früher so gewesen, und in dieser Nacht war es ebenfalls da. Nur, dass die Nacht scheinbar schon vorüber war, auch wenn Jonathan das Gefühl hatte, dass nachdem er seine Wohnung verlassen hatte bis hierhin vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten vergangen waren. Durch die Gitter fielen aber Lichtstrahlen, die der Sonne doch sehr nahe kamen. Vielleicht ging die Sonne auch genau in diesem Moment auf. „Kann nicht sein!“, sagte Jon, weil er genau wusste, dass bisher die Sonne genau auf der gegenüberliegenden Seite aufgegangen war. 7 Im Zuge des nächsten Gedanken war aber auch schon das Gitter vom Kellerfenster entfernt und der Weg nach draußen geöffnet. Schnell stapelte er die Reifen vor der Wand auf und konnte dann zum Fenster klettern, um sich dann in die Freiheit zu hangeln. Gerade so, denn das Fenster bot recht wenig Spielraum und Jon zog sich auch eine Menge Schürfwunden hinzu. ‚Sonderbar, wie warm es doch ist.‘, wunderte sich Jonathan beim Klettern, da er sich der etwas kühleren Jahreszeit bewusst war. In der Tat war es sogar noch wärmer, als es im Sommer in seinem Land war. Und wie er den Grund für den Temperaturanstieg merkte, war es auch schon fast zu spät. Es war nicht die Sonne, die das Licht und die Wärme spendete. Überall waren Feuer, alle Häuser seiner Straße brannten und wenn die Flammen die Gemäuer komplett abgenagt hatten, sprangen sie weiter zum Himmel über, wo sie sich jeden einzelnen Stern vornahmen. Während das gewohnte Feuer in allen Gelb- und Rottönen nur auf dem Boden zu sehen war, war das Feuer am Himmel genau das Gegenteil, war grün und blau, und was die Flammen hier hinterließen, war auch keine Asche, sondern das Nichts. Wo man sich in der Schwärze des Universums die Unendlichkeit vorstellen konnte, so sah man hier das strahlende Weiß, das sich langsam immer weiter über den Himmel streckte, sozusagen das Ende der langen Suche nach dem Ende des Weltalls. Jons Haus brannte ebenfalls, aber von den anderen Bewohner war nichts zu sehen, weder von seinem Haus, noch von den anderen in der Straße. Seltsamerweise war seine Wohnung immer noch im zweiten Stock, wie er feststellte, was genau im Kontrast dazu stand, dass er so viele Stockwerke nach unten laufen musste. Es war nicht geplant, dass er entkommen konnte. In der Ferne konnte er mehrere Explosionen hören. Gefolgt von jeden Schreien, die er schon zu Beginn seiner Irrfahrt durch den Wahnsinn gehört hatte. Wieder ergriff ihn etwas Panik, nur dass er jetzt wusste, dass er verloren war und er sich von einer Hausantenne, die zu Boden gestürzt war, eine Stahlstange nahm, mit der er sich bewaffnete. Dies getan standen auch schon drei schreiende Kandidaten vor ihm. In der Tat Engel, mit großen Flügeln, die aber auch dem Feuer Tribut gezahlt hatten. Es war zu hell, als dass Jon die Entstellungen der Kreaturen nicht sehen konnte. Die Gesichter waren verbrannt, das Fleisch glänzte, und nur die grünen Augen strahlten und zeigten den vergangenen Glanz an. Sie trugen alle drei lange Gewänder, die ebenfalls zerrissen oder verbrannt waren und man nicht erkennen konnte, wie schön sie einst gewesen waren. Das Geschrei war ohrenbetäubend und Jon musste gegen die Besinnungslosigkeit kämpfen. ‚Warum eigentlich?‘, fragte er sich selbst, denn was Besseres hätte ihm doch gar nicht passieren können, da er jetzt keine Fluchtmöglichkeit mehr sah, und die Freunde vor ihm alles andere als wohlgesinnt aussahen. Den eisernen Speer fest in der Hand holte er mit dem Arm weit aus und visierte den mittleren Engelsgenossen an. Dieser durchschaute die Situation sofort und blies Jonathan einen Schrei ins Gesicht, der ihm Hören und Sehen vergingen lies. Blind warf er trotzdem den Speer, und er hörte im Dunkel wie der Schrei verstummt. Auch die anderen verstummten, das Knistern des Feuers war weg und keine Explosion erklang mehr in der Ferne. Es war sehr still um Jon herum. Als er die Augen öffnete, bemerkte er, dass die CD im CD ROM zu Ende war und er eine neue hätte einlegen müssen. 8 Doch er sah ein, dass schon viel zu spät war, und er es bevorzugen sollte endlich ins Bett zu gehen. ‚Bye.‘, tippte Jonathan in den PC ein und verabschiedete sich von seiner virtuellen Freundin, mit der er die vergangenen Stunde gechattet hatte, und als Dank kassierte er noch einen elektronischen Kuss. Der Monitor erstrahlte das Arbeitszimmer in diesem subtilen hellen Blau, gestört durch das weiße Flurlicht. Jon hatte nicht gerne einen komplett dunklen Flur im Rücken, weswegen er das Licht im Flur nicht löschte, wenn er im Arbeitszimmer am Rechner saß. Jons rechtes Bein war eingeschlafen und er trampelte dagegen an, obwohl es schon sehr spät war und er seinen Gliedmaßen den Schlaf nicht verwehren konnte. Dann war endlich der Rechner runtergefahren und alles vom Strom gekappt. Das laute Geräusch vom Speicher, das plötzlich ertönte, als er ins Badezimmer ging, irritierte ihn nur sehr wenig. Solange das Licht an war, machte es ihm nichts aus. Jetzt fiel es ihm wieder ein: er wollte noch Zahnpasta kaufen. Er schaute sich unzufrieden die fast leere Tube Zahnpasta an und schnitt eine Grimasse. Jon putzte sich die Zähne, und ging währenddessen seinen Ritualen im Schlafzimmer nach: Fenster schließen, Nachttischlampe einschalten und den Wecker kontrollieren. Er runzelte die Stirn als er die Uhrzeit las, denn immerhin war es kurz vor zwei. Nachdem er den Mund ausgespült hatte, ertönte auch schon ein deutlich stärkeres Knacken, das nur einer anderen Position wegen leiser war. Doch Jon spürte, dass es stärker geworden war, und dieses Gefühl beunruhigte ihn ein wenig, auch wenn es eigentlich noch keinen Grund hierfür gab. Mit einer schiefen Grimasse auf den Lippen trocknete er sich ab und bewegte sich Richtung Schlafzimmer. Mit einer Hand schob er die Tür auf, die quietschend nach hinten aufschwang, mit der anderen Hand machte Jon das Flurlicht aus und sah noch einmal kurz zurück in die Dunkelheit. Seine kurzen Härchen auf den Armen stellten sich auf und ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter, als er schon fast glaubte eine Bewegung in der Dunkelheit gesehen zu haben. Er zuckte zusammen, es schüttelte ihn, und er hatte das Gefühl, dass mehrere Eiswürfel seinen Rücken hinunter glitten. „Was war das denn jetzt?“, fragte er sich in die Dunkelheit hinein. Ein so ausgeprägtes Gefühl hatte er bisher noch nie erlebt. Er drehte sich um, machte zwei große Schritte ins Schlafzimmer hinein und schloss schnell die Tür. Laut atmete er aus, denn er hatte absichtlich den Atem angehalten, um seinen Rücken zum Glühen zu bringen und jedes überraschende, auch noch so leise Geräusch zu hören, ohne dass sein Atmen ihn stören konnte. Bahrfuß stand er vor seinem großen Bett, welches aus Metall war und auf vier Füßen stand, was wiederum genug Platz unter dem Bett für unliebsamen Besuch bot. Es war verrückt, aber Jon legte sich flach auf den Boden, um sicher zu gehen, dass niemand auf ihn wartete. Natürlich wartete niemand auf ihn, er war mutterseelenallein. Fix ging Jon auf die Matratze zu und sprang auf selbige hinauf. Vielleicht würde jeder Schatten, den er nicht beobachtete, jeder Winkel, den er für einen Moment nicht im Auge behielt, sich in etwas Monströses verwandeln, um über ihn herzufallen. Bis an den Hals zog er sich die dicke Decke, zog die Beine dicht an den Körper und versuchte erst einmal Betriebstemperatur zum Einschlafen zu erreichen. Aber es wollte nicht so recht gelingen. Jon knipste das Licht aus, jedoch wollte er so schnell keinen Schlaf finden. 9 Der Radiowecker brummte leise vor sich hin. Unbewusst drehte sich der junge Mann auf den Rücken und legte die rechte Hand neben seinen Kopf. „Poch! Poch! Poch!“, machte es hintereinander. Kurz vor dem Herzinfarkt saß Jon aufrecht in seinem Bett und atmete kurz und laut ein und aus. Dann klopfte es wieder, irgendwer war genau über ihm auf dem Speicher. Jon lauschte in die Dunkelheit, und bemerkte, dass das Pochen nicht aufhörte, sondern nur unheimlich leise war und weiterging. Ging es wirklich weiter, oder bildete Jon es sich nur ein? Wahrscheinlich war es auch nur sein eigener Herzschlag, den er regelmäßig vernahm, weil er mit einem Ohr auf der Matratze lag und sein Herz lauter schlug, weil der das Pochen für etwas anderes, unheimliches hielt. Doch das Pochen war da. Dann knackte es wieder laut. War da nicht ein Kratzen auf dem Boden des Speichers zu hören? Nein, das konnte nicht sein, es sollte nicht sein, und es durfte nicht sein, dessen war sich Jonathan sicher. Es war jetzt genau zwei Uhr eins, was Jon aber nicht so sehr störte, wie die permanente Geräuschkulisse um ihn herum. ‚Hoffentlich ist bald Wochenende!‘, dachte er sich, und just in diesem Moment überkam ihn das Gefühl, dass er in dieser Situation schon einmal war. Es war schon fast kein Gefühl mehr, sondern er war sich schon fast sicher, so sicher, dass er sich schon selbst für verrückt hielt. In diesem Moment klopfte jemand an seine Fensterscheibe. Jon schrak auf, bewegte sich aber keinen Millimeter in seinem Bett. Es konnte niemand an sein Fenster klopfen, er wohnte im zweiten Stock. Wieder ein Klopfen, wie von einem Knöchel des Zeigefingers. „Lass es weggehen, bitte, las es weggehen!“, bettelte er flüsternd vor sich in, auch wenn er nicht genau wusste, wen er mit dieser Bitte beauftragen sollte. Dann verstummte das Geräusch und es kehrte Ruhe ein. Kein Klopfen und kein Schaben, keine Schritte und kein Knacken mehr. Ruhe. Jon saß immer noch zitternd in seinem Bett und starrte zum Fenster hin. Im Mondlicht, das hineinfiel sah er dann einen Schatten, der so kurz da war und dann hinfort huschte, dass Jon ihn auch nur für eine Einbildung hielt, höchsten noch optische Täusche, hervorgerufen durch eine Wolke oder einen Vogel. Aber so war es nicht mehr, diese kleine Bewegung gab ihm schon fast den Rest. Wieder polterte es auf dem Speicher, direkt am Einstiegsfenster, wo Jon noch zuvor einen Schatten vermutete, der sich in genau diese Richtung bewegt hatte. Aus einem nicht erfindlichen Grund sprang Jon aus seinem Bett auf und lief zum Fenster, zog den kaum geschlossenen Rollladen ganz nach oben und schaute nach draußen. Mit großen Augen sah er, dass der ganze Horizont in Flammen stand, und die Feuer sich immer weiter ausbreiteten und auf ihn, Jon, zurollten. „Das kann doch nur ein böser Traum sein!“, versuchte er sich selbst einzureden. Er kniff sich mehrere Male fest in den Arm, doch es half nichts. Schnellen Schrittes lief er Bahrfuß wieder ins Bad, rutsche auf dem kleinen Teppich auf dem Boden aus, hing quer in der Luft und schlug mit dem Kopf hart auf die Waschmaschine auf. Dieses Mal war es nicht nur still, sondern auch sehr dunkel um Jon herum. Doch als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass sich seine Freundin über Internet von ihm verabschiedete. ‚Die Musik war vorbei, der Tag fing gerade an, das Leben hing in einer Schleife fest. 10 Jeden Tag das Gleiche, und doch ein wenig anders.‘ Jon schloss noch einmal die Augen, blinzelte und starrte wieder auf den Monitor seines Computers. Hatte er die Buchstaben irgendwo gelesen, oder waren diese Worte gerade seinen Gedanken entsprungen. Er dachte noch einige Zeit über diese Sätze nach, bevor er sich auch von seiner Freundin verabschiedete und sich im Bad die Zähne putzte. Das Knacken auf dem Speicher ertönte gerade, als er den Rechner ausschaltete und Jon es gar nicht wahrnahm. Keines der Geräusche auf dem Speicher erreichten Jon zeitnah. Alles lief ein wenig anders ab. Jonathan kam ein Gedanke, der ihn zehn Minuten seines Lebens gekostet hatte. Diese zehn Minuten schenkten ihm Leben. Jon schlief schnell ein, und er schlief so tief, dass er das Geräusch, das dem Öffnen der Speichertür nahe kam, nicht hörte. Er schlief so lange, bis der Wecker um sechs Uhr anging und ihn zur Arbeit rief. „Oh, nä, jetzt noch nicht!“, sagte Jon mürrisch, schlug auf den Wecker und drehte sich noch einmal um. Er träumte von Musik, von schöner Musik, und er kannte das Lied, das er hörte. Es war das letzte Lied auf einer Platte, er kam nur nicht auf den Namen. Als das Lied aus war, folgte kein weiteres. Jon wachte auf, öffnete die Augen und schaute auf den Bildschirm. ‚Jetzt mache ich aber auch nichts mehr an, es ist schon spät, und ich will gleich ins Bett.‘, fasste Jon den Entschluss. „Bye!“, schrieb jemand auf Jons Bildschirm. Es war seine... Jon runzelte die Stirn. Wer schrieb da überhaupt? Er konnte sich nicht mehr erinnern, wer es war. „Bye?“, tippte er zurück. „Wirst schon sehen!“, kam die Antwort. „Was werde ich sehen!“ Jons Finger flogen über die Tastatur, als wäre er noch hellwach. „Dass es für Dich bald Zeit ist zu gehen!“ „Was?“ „Du änderst was, ich ändere was...bye...“ „Warte! Was heißt das?“ Es kam aber keine Antwort mehr. Jon fand auch nichts mehr über den Autor der zuletzt geschriebenen Wörter. Da er aber so was – auch wenn schon lange nicht mehr – öfters erlebte, fuhr er den Computer runter und bewegte sich in Richtung des Badezimmers. In diesem Moment ertönte ein sehr lautes Knacken auf dem Speicher, was Jon aber nicht weiter beunruhigte, er kannte diese Art von Geräuschen und dachte es besser zu wissen und die Ursache ebenfalls zu kennen. Er wusste nur nicht, dass jetzt der Zeitplan wieder stimmte. Jon schaute auf die Uhr seines Telefons: es waren fünf Minuten nach zwei. „Eigentlich wollte ich doch schon längst im Bett sein!“ Das nächste Knacken ertönte, stärker als zuvor, und Jon bekam ein wenig Zweifel, weil es sich nicht mehr wie sonst anhörte und an Intensität zunahm. Er ging ins Bad, und als er die Tür öffnete, kam ihm ein merkwürdig starker Zugwind entgegen. Es hörte sich an, wie ‚beiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii‘. 11 Jonathan schüttelte verneinend den Kopf, drehte den Warmwasserhahn auf, worauf der Ofen aber nicht reagierte. Er ging zwei Schritte, beugte sich über die Badewanne um an die Therme zu kommen, öffnete eine Tür und drückte den Knopf für die elektronische Zündung. Ein Knall, dann wieder Ruhe. Jon hatte wieder verloren. Er konnte einfach nicht gewinnen. Wieder wachte er vor dem Computer auf und wusste nicht, was zuvor war. Er war gefangen in einer Schleife, die Teil eines unwirklichen Planes ist. So unwirklich? Für Jon schon. Es gab keinen Ausweg, da schon noch begriffen hatte, dass er in einer Verdammnis lebte. Allerdings… ja… er wird es schaffen… nächstes Jahr an Halloween! 12