Entwurf Sicherheit für blinde und sehbehinderte Verkehrsteilnehmer bei stummen Fahrzeugen Stand: 12.01.2011 Für blinde und sehbehinderte Menschen stellen die Einführung geräuscharmer Technologien und damit einhergehende Entwicklungen im Straßenverkehr - und wie am Beispiel der „Segways“ zunehmend feststellbar auch im Fußgängerverkehr - eine große Herausforderung dar. Derartige elektrisch betriebene Fahrzeuge können aufgrund ihrer fast geräuschlosen Fortbewegung nicht rechtzeitig wahrgenommen und daher ihre Entfernung und Richtung nicht richtig eingeschätzt werden. Hinzu kommen weiterhin Neuentwicklungen in der Herstellung von Autoreifen, auch sie werden zunehmend umweltfreundlicher im Sinne einer geringeren Geräuschbelastung anderer Verkehrsteilnehmer. Die genannten Faktoren tragen dazu bei, dass der zukünftige Straßenverkehr für sensorisch behinderte Menschen und in Anbetracht der umgedrehten Bevölkerungspyramide auch für ältere Menschen immer gefährlicher, weil nicht mehr rechtzeitig akustisch wahrnehmbar, wird. Ziel muss es daher sein, aufgrund dieses Wahrnehmungsverlustes gemeinsam mit Entwicklern solcher Technologien, Herstellerfirmen, Forschungsinstitutionen und Interessensverbänden nach Lösungen zu suchen, die langfristig und nachhaltig zu einer Verminderung von Gefahrensituationen beitragen können. Überzeugende und sichere Lösungen gibt es beispielsweise bereits bei führerlos fahrenden UBahnzügen in Berlin und Nürnberg. Blinde und sehbehinderte Verkehrsteilnehmer werden durch die „stummen Fahrzeuge“ stark an der Verkehrsteilnahme eingeschränkt. Viele Wahrnehmungen im Verkehr werden akustisch wahrgenommen und zur sicheren Orientierung genutzt. Fallen diese Geräusche weg, ist eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr nicht möglich. Die akustische Wahrnehmung im Straßenverkehr ist aber auch für alle Fußgänger unerlässlich. Seit dem es Verbrennungsmotoren im öffentlichen Raum gibt, werden diese für die Orientierung genutzt. Auch die blinden und sehbehinderten Menschen begrüßen es, dass die Verkehrsgeräusche gemindert werden sollen. Doch ein kompletter Wegfall der Verkehrsgeräusche kann nicht die Lösung sein. Im Folgenden möchten wir die Gefahrensituationen – speziell für blinde und sehbehinderte Verkehrsteilnehmer – und unsere Forderungen skizzieren, um gemeinsam über Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren. 1 I. Gefährdeter Personenkreis Gefährdet sind alle Fußgänger, die am Straßenverkehr teilnehmen. Im speziellen gefährdet sind blinde und sehbehinderte, höreingeschränkte, kognitiv eingeschränkte und ältere Fußgänger sowie Kinder. II. Stumme Fahrzeuge Stumme Fahrzeuge können sein: E-cars, E-bikes, Segways, Fahrräder, Hybrid-Autos III. Gefahrensituationen Betrachtet werden Gefahrensituationen für Fußgänger, bei denen sich ein stummes Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 0 km/h bis 40 km/h bewegt. 1. Bei einer ungesicherten Straßenquerung – vor allem in kleineren Orten, im ländlichen Bereich und in Wohnvierteln, ebenso an Verkehrskreuzungen mit Rechts-Links-Vorfahrtsregelung. Man überquert die Straße, wenn man akustisch kein übliches Motorengeräusch wahrnimmt. Ein stummes Fahrzeug ist akustisch nicht wahrnehmbar. Deshalb gibt es ein hohes Unfallrisiko. 2. An gesicherten Verkehrskreuzungen mit Lichtsignalanlagen (ohne Zusatzeinrichtungen für Blinde - ZEB). Der Fußgänger orientiert sich am Parallelverkehr. Wenn er diesen durch fehlende Motorengeräusche nicht wahrnimmt, ist eine gefahrlose Überquerung nicht möglich. Auch weil er die an der Signalanlage stehenden stummen Fahrzeuge nicht hören kann (dies gilt auch für Fahrzeuge mit Start-Stop-Automatik). 3. An Verkehrskreuzungen mit Lichtsignalanlagen (mit ZEB). Wenn stumme Fahrzeuge rechts abbiegen dürfen – also über die Überquerungsstelle der freigegebenen Fußgänger fahren dürfen – besteht eine Gefahr. Auch wenn der Fußgänger die Vorfahrt hat, kann er sich dieser nicht sicher sein. 4. An einmündenden Stichstraßen, Parkausfahrten oder Tor- und Garagenausfahrten. Der Fußgänger hört die stummen Fahrzeuge nicht, die auf die Straße fahren wollen. Bei der plötzlichen Anfahrt kann der Fußgänger erschrecken (gilt auch für Fahrzeuge mit Start-Stop-Automatik). 5. Am kleinen Kreisverkehr. Dieser ist generell schon schwer wahrzunehmen d. h. man kann sich als blinder oder sehbehinderter Fußgänger nur schwer orientieren. Die Geräusche der herkömmlichen Verbrennungsmotoren ermöglichen noch eine ausreichende Orientierung. Fallen diese Geräusche weg, wird die Unfallgefahr erheblich erhöht. 2 IV. Forderungen (gelten für stumme Fahrzeuge wenn sie sich mit einer Geschwindigkeit unter 40 km/h fortbewegen) 1. Ausstrahlung eines akustischen Signals, das die Fußgänger intuitiv einem sich bewegenden Fahrzeug zuordnen können. a. An dem Signal muss der Fußgänger erkennen, ob das stumme Fahrzeug beschleunigt oder abbremst. b. das Signal darf nicht verwechselbar sein, z.B. mit den Signaltönen von Lichtsignalanlagen mit ZEB, typischen Klingeltönen von Mobiltelefonen 2. Die in 1. genannten Signale dürfen nicht vom Fahrzeugführer ausgeschaltet werden können. 3. Es ist keinesfalls ausreichend, wenn lediglich der Fahrzeugführer im Fahrzeug ein Warnsignal erhält, wenn ein Fußgänger sich in einen Gefahrenbereich des Fahrzeuges bewegt, dieser aber kein akustisches Warnsignal empfangen kann. Der Fußgänger müsste sich auf das fehlerlose perfekte Verhalten und die Reaktion des Fahrzeugführers verlassen, ohne selbst etwas zu seiner Sicherheit beitragen zu können. 4. Es ist nicht ausreichend, wenn der Fußgänger einen Empfänger bei sich tragen müsste, mit dem er ein ton- bzw. vibrierendes Signal erhält, wenn sich ein stummes Fahrzeug nähert. Dies hat folgende Gründe: a. Die Sicherheit des Lebens kann nicht von einen technischen (elektronischen) Gerät abhängig gemacht werden. Dieses könnte aus vielerlei Gründen ausfallen. b. Der Fußgänger müsste dieses Gerät stets bei sich tragen und zwar so, dass er es jederzeit – vor allem rechtzeitig bei Gefahr wahrnimmt. Ohne ein solches Gerät dürfte er nicht mehr am Straßenverkehr teilnehmen. Ein solches elektronisches Gerät wird auch nicht von „sehenden“ Verkehrsteilnehmern gefordert. BKB-Projektgruppe E-Fahrzeuge beim DBSV 3