Kapitel 11 Wirtschaftspädagogische Forschung „Praxis“ kann auch mit „Anwendung“ übersetzt werden. Die Berufsbildung ist eine Form der Anwendung oder auch Umsetzung von Berufsbildungstheorie. Theorie versteht sich als Ergebnis der Reflexion von Praxis. Theorien beschreiben die Praxis. Man kann sie aber auch als Orientierungshilfe oder Empfehlung auffassen, auf diese Weise hat die Theorie dann eine praxis- bzw. handlungsleitende Funktion. Die wirtschaftspädagogische Forschung führt wieder zu Theorien. Die Praxis von Wissenschaft ist die Forschung. Diese Praxis zeigt sich in den Verfahrensweisen, die von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen eingesetzt werden um Theorien zu gewinnen. Nun wird die Forschungspraxis an einigen Beispielen näher gebracht Jan F. will eine Diplomarbeit über Weiterbildungsmotive von Berufschullehrern schreiben. Sein Eindruck ist, dass die Lehrer an berufsbildenden Schulen in erster Linie ein fachliches Interesse an Fortbildung haben. Er macht einen Fragebogen und will so auf die Antworten seiner Fragen stoßen. Der Ertrag einer solchen Arbeit liegt unter anderem in der Verbesserung eines Weiterbildungsangebotes für Berufschullehrer. Jan gewinnt Wissen, welches für die Weiterbildung im Berufsschulbereich von Bedeutung ist. Dieses Wissen ist gestützt auf die Befragung der Betroffenen. Es gibt 2 Möglichkeiten damit umzugehen: Er kann auf der einen Seite versuchen, die Erfahrungen der Berufschullehrer zu ermitteln, um diese dann zu verallgemeinern induktives Vorgehen, welches explorativ (=erkundend) ist. Auf der anderen Seite könnte er, von einer theoretischen Position ausgehend, Hypothesen formulieren, die er zu überprüfen versucht deduktiv. Er verallgemeinert nicht die Befragungsergebnisse, sondern er versucht über die Befragung eine Vermutung zu bestätigen (Verifikation) oder zu widerlegen (Falsifikation). Die Falsifikation einer Hypothese ist wiederum wissenschaftlich gesehen besonders aussagekräftig, weil sie Hinweise auf die Verbesserung eine Theorie liefert. Patrick D. möchte versuchen ob der fächerübergreifende Unterricht zu besseren Lernergebnissen führt als der herkömmliche Fachunterricht. Er beobachtet die Umsetzung dieses Konzeptes in einer Klasse von Industriekaufleuten und parallel dazu den herkömmlichen Unterricht in einer Kontrollklasse. Er entwickelt für beide Klassen ein Testverfahren, damit testet er das Wissen beider Klassen und vergleicht dann die Ergebnisse. Auch dieses Konzept ist empirisch angelegt; es kann eine deduktive Struktur angenommen werden. So lässt sich das neue fächerübergreifendes Konzept durchaus als eine Hypothese begreifen und zwar, dass man vermutet mit dem Konzept zu besseren Lernergebnissen beitragen zu können. Die Evaluation des Ansatzes kann diese Vermutung bestätigen oder widerlegen. Lehreinheit XI Seite 1 Hannah will bei ihrem Projekt die politischen Implikationen von Berufsbildungstheorien aufarbeiten. Dies ist ein ideologiekritischer Ansatz. Sie will zeigen, dass diese Theorien den historischen Kontext widerspiegeln. Der Ertag dabei liegt in Hinweisen über die ideologische Vermischung von Politik und Wissenschaft. fällt unter „Vergangenheitsbewältigung“ in der Wipäd. Die Tandem GmbH soll einer Elektrofirma bei der Umstellung von Massenproduktion auf flexible Sonderanfertigungen helfen. Die Arbeit der Tandem GmbH zielt eigentlich nicht direkt auf Erkenntnisgewinnung oder Überprüfung von Konzepten oder Hypothesen. Vielmehr geht es um die Verbesserung der betrieblichen Praxis. Auch das ist in der Wirtschaftspädagogik sehr wichtig. Dies ist ein typisches Beispiel für die Aktions- oder Handlungsforschung. Die obigen Beispiele zeigen: was untersucht wurde welche Verfahren zur Informationsgewinnung- und Auswertung eingesetzt wurden welche Forschungserträge denkbar sind und führen zu einer „Synopse“ (=Anordnung von verwandten Texten in parallelen Spalten für wissenschaftliche Zwecken) siehe Seite 336 Gemeinsam an allen obigen Beispielen ist die Orientierung an Problemstellungen. Der wissenschaftliche Ertrag jedoch kann unterschiedlich sein: einerseits wird ein theoretischer Nutzen, andererseits ein praktischer angestrebt. Begreifen wir diese Beispiele als Forschungspraxis (was es auch ist aus der Sicht der Akteure), so geht es nun um die Forschungstheorie. Dies bezeichnet man als Methodologie. Wir wird Forschung betrieben? Die Entwicklung von Theorien Die Überprüfung bzw. Evaluation dieser Theorien sowie Ihre Anwendung in der Praxis Dabei muss jedoch 2 Argumentationsrichtungen unterschieden werden: Entwicklung, Überprüfung, Anwendung: Es werden Hypothesen aufgestellt und überprüft. Dies führt zu vorläufig bestätigtem Wissen, welches dann in der Praxis zur Anwendung kommen kann. Entwicklung, Erprobung, Evaluation: Es werden Konzepte entwickelt, wobei dieser Entwicklungsvorgang nicht nur eine praxisferne Planung darstellt. Dieses Konzept wird auch unmittelbar angewandt. Dies ist ein experimentelles Vorgehen. Sowohl das Experiment in seinem Ablauf (Prozess) als auch das Ergebnis (Produkt) werden evaluiert. Diese beiden Argumentationsrichtungen sind gegenläufig, aber in beiden Fällen geht es darum überprüfbares Wissen zu erzeugen. Es gibt immer einen Forschungsprozess und ein Forschungsergebnis. Wir haben es in der Wissenschaft auf der einen Seite mit wissenschaftlichem Handeln und auf der anderen Seite mit sprachlich fixierten Ergebnissen zu tun. So kann Wissenschaft einerseits als ein System Lehreinheit XI Seite 2 von Aussagen, Konzepten, Modellen usw. aufgefasst werden, andererseits als ein soziales Unternehmen, welches genau diese sprachlichen Dinge produziert. Theorie und Handlungsebenen Wisschenschaftler untersuchen bestimmte Objekte. Diese Objekte sind Bestandteile unserer alltäglichen Welt. Wenn man in der Wissenschaft ein Objekt beschreiben will, so ist man gezwungen diesen Gegenstand zu definieren. Wir geben Dingen Namen und aus den Namen bilden wir Begriffe. Während die Alltagssprache (manchmal nennt man sie auch Objektsprache), die Objekte bezeichnet, sagt die Meta-Sprache etwas über die Objektsprache aus. Zusammenfassend kann man sagen: für die wissenschaftliche Untersuchung von Wirklichkeiten müssen wir eine Fachsprache entwickeln, die letztlich über die Alltagssprache hergeleitet wird. „Theorien“ sind in Sprache gefasste Aussagen über/oder Empfehlungen für einen Ausschnitt der Wirklichkeit (Objektebene), die mit wissenschaftlichen Methoden, von anderen intersubjektiv (=dem Bewusstsein mehrerer Personen gemeinsam) nachvollziehbar, gewonnen werden. Die Theorie wird mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden gewonnen. Also bestimmte Handlungen, Vorgehensweisen und Programme sind notwendig um zu Theorien zu gelangen. Die Theorienbildung beginnt also mit einer subjektiven Problemdefinition. „Methode“ soll jene Vorgehensweise bei der Entwicklung von Theorien genannt werden, die problemangemessen und nachvollziehbar ist. Die Methode ist der systematische Weg der Theorienbildung. Aussagen über/oder Empfehlungen für die Methode sind Meta-Theorien. Man könnte auch von einer Methodentheorie oder Methodologie sprechen. Solche Methodologien sind selbst das Ergebnis einer systematischen und problemorientierten Auseinandersetzung, bei der u.a. festgelegt wird, welchen Ansprüchen eine wissenschaftliche Methode zu genügen haben. Dieser semantische Stufenaufbau unterscheidet sich in: Objektebene Objekttheorie Meta-Theorie Meta-Meta-Theorie Somit nimmt eine wissenschaftliche Argumentation immer Bezug auf die ihr zugrunde liegende Methodologie. Normative Basis wirtschaftspädagogischer Forschung (1) Primärziele von Wissenschaft. Philosophen wie Paul LORENZEN und Oswald SCHWEMMER haben herausgearbeitet, dass alle Wissenschaften sich auf Primärzielen zurückführen lassen. Forschung bzw. die Forschungspraxis lassen sich in Form von Methodologie analysieren. Solche Meta-Theorien beschreiben die Forschungspraxis und stellen hinsichtlich der Frage, wie man in der Forschung vorgehen soll, auch eine Empfehlung dar. Methodologien selbst sind jedoch auch begründungsbedürftig. Auch erforderlich sind gute Gründe für die Methodologie nennen zu können. Forschung muss nach unserem Dafürhalten so transparent und nachvollziehbar organisiert werden, dass die Ergebnisse, die in einer Forschungsarbeit Lehreinheit XI Seite 3 entwickelt werden, idealer Weise von denjenigen, die die gleiche Vorgehensweise wählen, ebenfalls erzielt werden oft sind Forschungsprozesse, insbesondere bei sozialen Prozessen zu komplex und nicht in der gleichen Art und Weise wiederholbar. Die Intersubjektivität ist für uns eine formale Zielsetzung von Wissenschaften. Sie kann als Ausdruck einer Binnenlegitimation angesehen werden, die sich über methodische Standards in der Forschergemeinschaft begründet. (2) Diskurs. Die beiden Legitimationsinstanzen: die Forschungsgemeinschaft hinsichtlich der Binnenlegitimation und die Gesellschaft hinsichtlich der Außenlegitimation, verweisen auf die Notwendigkeit von Regulativen. Eine regulierende Funktion kann nur die Öffentlichkeit haben. Öffentliche Kontrolle ist gegeben, wenn wissenschaftliche Ergebnisse und wissenschaftliche Verhaltensweisen in einer wissenschaftlichen und in einer gesellschaftlichen Öffentlichkeit diskutiert werden können. (3) Erkenntnis- und Handlungsinteresse. Generell kann gesagt werden, dass es Neigungen für bestimmte Methoden und Themen, aber auch für spezielle Problemstellungen gibt. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass Forschung immer auf Grundannahmen und –Übereinkünften aufbaut. Sie ist nicht universell und sie ist nicht für alle Zeiten auf bestimmte Ansätze und Vorgehensweisen festgelegt, sonder sie ändert sich im geschichtlichen Verlauf. Paradigmen: Denkstile und Orientierungsrahmen wirtschaftspädagogischer Forschung Die Wissenschaft stellt einen sozialkommunikativen Rahmen für Forschung dar. In einem solchen Zusammenhang begreifen wir Wissenschaft als soziales Unternehmen. Innerhalb dieser Institution bilden sich Forschergruppen, die gemeinsame Vorstellungen über relevante Forschungsfragen und adäquate Forschungsmethoden haben. Sie beziehen sich gewissermaßen auf eine gemeinsame Basis. Thomas S. KUHN verwendet für diese Basis den Namen „Paradigma“. Unter diesen Begriff lassen sich Aspekte wie Erkenntnis- und Handlungsinteresse sowie Diskurs einordnen. Forschung ist somit ein durch Paradigma normiertes Handeln. Wissenschaftsgeschichtlich lassen sich drei zentrale Denkschulen identifizieren. Das empirisch-analytische Paradigma Das kulturkritische Paradigma Das holistische Paradigma (1) Dieses Konzept geht von der Überprüfung von Theorien in der Wirklichkeit aus. (Kritischer Rationalismus) Ausgehend von Problemstellungen sollen Ideen entwickelt und einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Dies geschieht, indem die Ideen als Hypothesen in Form von Gesetzesaussagen (nomologische Aussage) formuliert werden. Diese Hypothesen werden dann mit Hilfe empirischer Verfahren überprüft. Das Wissen, welches so gewonnen wird, ist immer nur vorläufig gültig. Dieser Ansatz stammt weitgehend auf Karl Raimund POPPER (2) Insbesondere innerhalb der deutschen Philosophie gibt es eine starke kulturkritische, teilweise pessimistische Tradition. Eine zentrale Frage dieser Denkschule ist die nach der Vernünftigkeit gesellschaftlicher Umstände (beziehen uns auf die Kritische Theorie) Lehreinheit XI Seite 4 (3) Sie gehen von der Ganzheitlichkeit aus. Eine zentrale Argumentationsfigur ist: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Hiermit ist gemeint, dass ein Ganzes nie nach den Regeln und mit den Theorien erklärt werden kann, die für die Teile gelten. Die Ganzheitlichkeit wendet sich gegen das analytische Zerschneiden des Ganzen. Diese Ansätze kann man auch als geisteswissenschaftliche bezeichnen. Bei diesem Konzept beziehen wir uns auf die Hermeneutik. Die Hermeneutik wurde von dem Philosophen Wilhelm DILTHEY begründet. Sie geht von einer verstehenden Erfassung der Wirklichkeit aus. Durch die innere Nachbildung einer historischen Situation soll sozialer Sinn erfasst werden. Moderne Hermeneutik ist anders als die traditionelle Hermeneutik – weniger auf das Nachempfinden von alltäglichen Erfahrungen als auf die theoretische Rekonstruktion des Alltags ausgerichtet. Forschungsprogrammatik Begriffe und Theorien der Wissenschaft werden im Alltag benutzt. Die Wissenschaftssprache wird zur Alltagssprache, man kann daher von einem Transfer der Wissenschaftssprache in die Alltagssprache sprechen (über die Ausbildung an der Hochschule) Die empirisch-analytische bzw. kritisch-rationale Position zielt auf die Entwicklung vorläufig gültiger Erkenntnisse. In diesem Sinn führt sie in der Tat zu positivem Wissen. Mit den empirisch-analytischen und dem kulturkritischen werden 2 verschiedene Forschungsprogramme verbunden: Das Programm rationaler Forschung – das empirische (kritisch-rationale) Vorgehen betont die Vernünftigkeit des wissenschaftlichen Handelns. Eine Forschung wird als vernünftig bezeichnet, wenn die Forschungsmethoden nachvollziehbar und problemangemessen sind. Ziel der Forschung ist wahrheitsfähiges nomologisches Wissen. Die Forscher folgen dem Prinzip der Wahrheitsfindung Das Programm rationaler Praxis – Diese tendenziell kritisch-theoretische Position bezieht den Vernunftbegriff nicht auf den Prozess der Erkenntnisgewinnung, sondern auf die gesellschaftlichen Umstände. Die Wissenschaft ist aufgefordert, dazu beizutragen, dass die Gesellschaft vernünftiger wird. Das Ziel ist die bessere Praxis. Forscher sind bemüht, die Rationalität der Praxis zu erhöhen. Was will der Forscher in Hinblick auf die Praxis machen? Beschreibung von Praxis Empfehlung für die Praxis Intervention in die Praxis (1) Beschreibung von Praxis Beschreibung über die Kommunikation mit Praktikern (die Art der Beschreibung kann als eine Form der Aufarbeitung von individuellen Erfahrungen angesehen werden. Der Forscher bemüht sich über eine systematische Befragung von Menschen deren Erfahrungen aufzuarbeiten. Dies bedeutet, dass der einzelne Mensch etwas über seine Umwelt mitteilen kann, was in der Summe von vielen Erfahrungen, die erfasst werden, zu einem objektivierten Bild von der Wirklichkeit beiträgt) Lehreinheit XI Seite 5 Beschreibung über die Auslegung von Texten (bezieht sich auf geisteswissenschaftliche Auslegung von Texten, man folgt der Idee, dass soziale Wirklichkeit sich immer in textlicher Form manifestiert. Texte wie Bücher, Zeitschriften, Arbeitsplatzanweisungen werden als Basis für eine Interpretation genommen) Beschreibung über die Dokumentation von Interventionen (kann leicht mit dem Programm rationaler Praxis verwechselt werden, typisches Beispiel für dieses Vorgehen ist das Projekt und seine Evaluation. Bei dem Experiment handelt es sich um eine Intervention, man kann auch sagen jede pädagogische Handlung stellt eine Intervention dar, Pädagogik ist dann vielfach mit Interventionen gleichzusetzen, man muss jedoch immer unterscheiden wer interveniert und wer beobachtet. (2) Empfehlung für die Praxis Die Beschreibung von Praxis in einer sehr strengen Auffassung von Wissenschaft als einzig legitime Aufgabe von Wissenschaft angesehen. Diese Vorstellung wird vor allem von Vertretern einer empirisch-analytischen Auffassung vertreten. Hier gibt es 3 Aspekte: die normative Grundposition, von der ein Forscher aus beschreibt die Beschreibung selbst mögliche Konsequenzen, die sich aus der Beschreibung in Verbindung mit der Grundposition ergeben. Nach Gerhard WEISSER gibt es 3 Forschungsphasen: Formulierung eines Grundwerturteils – er spricht hier von obersten Urteilen, die nicht regressiv überhöht werden können. Der Forscher ist aufgerufen, seine weltanschauliche Position transparent darzulegen. Beschreibung der sozialen Wirklichkeit – hierbei können wir uns auf die oben dargestellten Verfahren bei „Beschreibung von Praxis“ beziehen. Vor allem sollten qualitative Methoden einbezogen werden. Bestimmung von Handlungsempfehlungen – die Verbindung von Werturteil und Beschreibung führt zu Empfehlungen. Es muss sichtbar werden, warum und aufgrund welcher Argumente es zu bestimmten Empfehlungen kommt. Hier gibt es 2 Argumentationsweisen: als erstes eine normenlogische und als zweites eine didaktische. Die normenlogische Argumentation geht von normenlogischen Regeln aus. Eine solche Normenlogik ist analog zur formalen Logik aufgebaut. Man bezeichnet sie auch als Deontik. Ziel ist es, eine wiederspruchsfreie und in sich geschlossene Ableitung von Normen zu finden. Die didaktische Argumentation stellt die Frage nach der Verwendbarkeit von Wissen bzw. von Theorien für die Praxis. Es wird versucht, die gewonnenen Beschreibungen so aufzuarbeiten, dass sie in der Praxis angewandt werden können. Es geht also darum, Wissen anwendungs- und somit praxisgerecht zu gestalten. Lehreinheit XI Seite 6 (3) Intervention in die Praxis Die Intervention wurde als ein Merkmal der Handlungsforschung dargestellt. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass auch bei beschreibenden Forschungskonzepten Interventionen vorliegen können, die Gegenstand ihrer Beobachtung und Evaluation sein können. Wichtig ist festzustellen, wer der Träger von Interventionen ist. Wir die Intervention innerhalb eines sozialen Feldes von einem Akteur vorgenommen oder wird sie von einem Forscher ausgelöst, der sich gleichsam selbst beobachten möchte? Schließlich muss gefragt werden ,welche Absichten hinter dieser Intervention stecken. Für uns ist eine intervenierende Forschung dann relevant, wenn es gelingt, über die Beobachtung von Interventionen zu verbesserten Einsichten in die Zusammenhänge der Praxis zu gelangen. Wir begreifen Wissenschaft als ein soziales Unternehmen. Wissenschaftler versuchen über ein systematisches und nachvollziehbares Handeln Einsichten in die Zusammenhänge der Praxis zu gewinnen. Die Praxis selbst ist aber kein „lebloser“ Gegenstand. Die Praxis ist für uns eine soziale Praxis, die weitgehend durch die Interaktion von Menschen miteinander geprägt ist. Wirtschaftspädagogische Forschung hat es mit denkenden Gegenständen und nicht mit unbelebten Dingen zu tun. Daraus ergeben sich Konsequenzen für das Zusammenwirken von Wissenschaft (Theorie) und Praxis (Objekt) Zusammenfassend kann gesagt werden: eine intervenierende Forschung ist dann von Bedeutung, wenn sie Bestandteil eines komplexen Forschungsprogramms ist, bei der Entwicklungs- und Erprobungsarbeiten in Kooperation mit der Praxis vorgenommen werden, wobei es dann auch Aufgabe der Forschung sein soll, den Entwicklungs- und Erprobungsprozess sowie die entwickelte Maßnahme zu evaluieren. Wir sprechen hier von einer Wissenschafts-Praxis-Kommunikation. Von der Forschung zur Praxis: zur Umsetzung wirtschaftspädagogischer Theorien im Alltag der Berufsbildung Verallgemeinert geht es darum wie die Menschen mit den Theorien, die Wissenschaft produziert, umgehen. KANT geht von einem Dualismus von Subjekt und Objekt aus. Damit ist eine Unterscheidung in Denken (Subjekt) und Denkergebnis (Objekt) gemeint. Das Objekt der Wirtschaftspädagogik geht also von der Wirtschaftserziehung aus. (Wir haben zwischen Handeln und Sprache differenziert und auf der Theorieebene zwischen Methode und Theorie und auf der Meta-Theorieebene zwischen Methodologie und Begründung). Kant geht von der rationalen Forschung aus. 2 Gesichtspunkte müssen hier berücksichtig werden 1. die Besonderheit der Gegenstände (Objekte) der Wirtschafspädagogik, denn es handelt sich hierbei um gleichfalls „denkende“ Wesen und 2. die prinzipielle Problematik, von einer allgemeingültigen Wirklichkeit ausgehen zu können. 1. Zur Denkfähigkeit der Objekte – Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik betrachtet soziale Phänomene, es geht um die Theorie für und von gesellschaftlichen Anwendungsfeldern. Die Objekte unserer Wissenschaft sind nicht unbelebt oder gegenständlich, wie diese etwas in der Physik Lehreinheit XI Seite 7 Über die Gewissheit der Wirklichkeit – Sie gehen von der Gewissheit aus, dass die Wirklichkeit objektiv existiere. Auch POPPER und ALBERT haben sich mit der Existenz der Wirklichkeit befasst. Für sie können Theorien nur Annäherungen an die Wirklichkeit sein. Ins Wanken gerät dieses Modell jedoch, wann man das objektive Vorhandensein der Wirklichkeit anzweifelt. Genau dies wird in den letzten Jahr im Rahmen von konstruktivistischen Wissenschaftspositionen vorgenommen. Eine Theorie ist gültig, wenn sie dem Handelnden hilft, sich in der Welt zu orientieren. Theorien haben daher in erster Linie eine subjektive Relevanz. 2. Wissenschaftliches Handeln ist in einer konstruktivistischen Position ein Such- und Orientierungsprozess, der nicht zu objektiven Erkenntnissen, sondern vielmehr zur Konstruktion passenden Wissens führt. Dieses Wissen kann als Orientierungswissen der Praxis angeboten werden. Dabei muss dann wiederum von der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis ausgegangen werden. In dieser Wissenschafts-Praxis-Kommunikation bietet Wissenschaft Konzepte, Theorien und Modelle an. Diese werden von anderen gesellschaftlichen Institutionen (Praxis) aufgenommen. Der Unterschied zwischen wissenschaftlichem und nicht-wissenschaftlichem Handeln ist leicht zu erklären. Wissenschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass über Methoden Theorien gewonnen werden. Ähnlich ist es aber auch im nicht-wissenschaftlichen Bereich. Dort werden Erfahrungen gewonnen, indem man handelt. Dieses Handeln wird als Praxis bezeichnet. Theorie ist die methodisch gewonnene Erkenntnis über Praxis. Sie ist das Ergebnis eines Reflexionsprozesses. Praxis im Sinne von Anwendung oder Vollzug von Handeln führt zum Aufbau individueller Erfahrungen. Schließlich zeigt sich sowohl in der Wissenschaft als auch im Alltag allgemein der KANT’sche Dualismus. Methode und Praxis sind Prozesse (Subjekte), die zu Erfahrungen und Theorien führen. Wirtschaftspädagogische Theorienbildung Hier geht es um die didaktische Aufbereitung von Theorien. Das Ziel ist theoretisches Wissen nutzbar zu machen. 3 Konzepte werden nun näher analysiert: aufgeklärt-pragmatischen Eklektizismus von Frank ACHTENHAGEN den Ansatz handlungsgerechter Theorie von Jürgen ZABECK den Ansatz situierter Theorie, den wir in unserer Forschungskonzeption vertreten (1) ACHTENHAGEN geht von einer gegenseitigen Befruchtung von wirtschaftspädagogischer Theorie und Praxis aus. Er unterscheidet zwischen objektiven Theorien als Ergebnis einer empirisch gestützten Theorienüberprüfung und subjektiven Theorien als verallgemeinerten Erfahrungen von Praktikern. Sein Ziel ist dabei, einerseits subjektive Theorien durch objektive zu ersetzen und andererseits subjektive Theorien als Reservoire für die Entwicklung objektiver Theorien zu nutzen. Im zweiten Fall geht es darum, die Erfahrungen von Praktikern wissenschaftlich zu überprüfen, um so verallgemeinerbare Aussagen zu gewinnen. (siehe Seite 24) Eklektizismus (=Lehre, in der die eigene Position durch Übernahme fremder Lehrmeinungen bestimmt ist) Lehreinheit XI Seite 8 (2) ZABECK bestreitet in seinem Ansatz zur handlungsgerechten Theorie, dass Technologien überhaupt in der Lage sind, handlungsleitend zu werden. Für ihn ist die zentrale Frage diejenige, wie Wissen und somit auch Theorien im Alltag von Akteuren aufgenommen werden. So geht es dann auch um die Integration von neuen Theorien in die Lebensweltkonzepte der Menschen, d.h. sie müssen in die Erfahrungswelt integriert werden. Hierfür ist entscheidend, ob die Akteure an die Handlungsrelevanz der angebotenen Theorien bzw. Technologien glauben. Er verdeutlicht dies mit einem praktischen Syllogismus (siehe Seite 25) (3) Unter situativer Theorie verstehen wir eine Theorie, die in einem Anwendungszusammenhang steht. Es handelt sich hierbei um solches Wissen, welches nicht abstrakt die Wirklichkeit beschreibt, sondern auf Anwendungsbeispiele bezogen ist. Es reicht nicht aus, nomologisches Wissen zu extrahieren, sondern es ist erforderlich dieses Wissen auf konkrete und auch für den Verwender von Wissen vorstellbare Fallbeispiele zu beziehen. Es geht darum, Wirklichkeit kasuistisch zu deuten. Die Theorie muss letztlich in einen hermeneutischen Vermittlungszusammenhang gebracht werden. Demnach muss die Theorie als allgemeiner Fall angesehen werden, der sich im Beispiel wieder findet. Beispiele oder Fälle werden somit zu Anwendungsmöglichkeiten von Theorien. So sind dann das Allgemeine (Theorie) und das Besondere (Fallbeispiel) aufeinander bezogen. Diesen Vorgang nennen wir Applikation. Lehreinheit XI Seite 9