Kapitel 11

Werbung
Kapitel 11
Wirtschaftspädagogische Forschung
„Praxis“ kann auch mit „Anwendung“ übersetzt werden. Die Berufsbildung ist eine Form der
Anwendung oder auch Umsetzung von Berufsbildungstheorie. Theorie versteht sich als
Ergebnis der Reflexion von Praxis. Theorien beschreiben die Praxis. Man kann sie aber auch
als Orientierungshilfe oder Empfehlung auffassen, auf diese Weise hat die Theorie dann eine
praxis- bzw. handlungsleitende Funktion. Die wirtschaftspädagogische Forschung führt
wieder zu Theorien.
Die Praxis von Wissenschaft ist die Forschung. Diese Praxis zeigt sich in den
Verfahrensweisen, die von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen eingesetzt werden um
Theorien zu gewinnen.
Nun wird die Forschungspraxis an einigen Beispielen näher gebracht

Jan F. will eine Diplomarbeit über Weiterbildungsmotive von Berufschullehrern
schreiben. Sein Eindruck ist, dass die Lehrer an berufsbildenden Schulen in erster Linie
ein fachliches Interesse an Fortbildung haben. Er macht einen Fragebogen und will so auf
die Antworten seiner Fragen stoßen.
Der Ertrag einer solchen Arbeit liegt unter anderem in der Verbesserung eines
Weiterbildungsangebotes für Berufschullehrer. Jan gewinnt Wissen, welches für die
Weiterbildung im Berufsschulbereich von Bedeutung ist. Dieses Wissen ist gestützt auf
die Befragung der Betroffenen. Es gibt 2 Möglichkeiten damit umzugehen:
Er kann auf der einen Seite versuchen, die Erfahrungen der Berufschullehrer zu ermitteln,
um diese dann zu verallgemeinern  induktives Vorgehen, welches explorativ
(=erkundend) ist. Auf der anderen Seite könnte er, von einer theoretischen Position
ausgehend, Hypothesen formulieren, die er zu überprüfen versucht  deduktiv.
Er verallgemeinert nicht die Befragungsergebnisse, sondern er versucht über die
Befragung eine Vermutung zu bestätigen (Verifikation) oder zu widerlegen
(Falsifikation). Die Falsifikation einer Hypothese ist wiederum wissenschaftlich gesehen
besonders aussagekräftig, weil sie Hinweise auf die Verbesserung eine Theorie liefert.

Patrick D. möchte versuchen ob der fächerübergreifende Unterricht zu besseren
Lernergebnissen führt als der herkömmliche Fachunterricht. Er beobachtet die Umsetzung
dieses Konzeptes in einer Klasse von Industriekaufleuten und parallel dazu den
herkömmlichen Unterricht in einer Kontrollklasse. Er entwickelt für beide Klassen ein
Testverfahren, damit testet er das Wissen beider Klassen und vergleicht dann die
Ergebnisse.
Auch dieses Konzept ist empirisch angelegt; es kann eine deduktive Struktur
angenommen werden. So lässt sich das neue fächerübergreifendes Konzept durchaus als
eine Hypothese begreifen und zwar, dass man vermutet mit dem Konzept zu besseren
Lernergebnissen beitragen zu können. Die Evaluation des Ansatzes kann diese Vermutung
bestätigen oder widerlegen.
Lehreinheit XI
Seite 1

Hannah will bei ihrem Projekt die politischen Implikationen von Berufsbildungstheorien
aufarbeiten. Dies ist ein ideologiekritischer Ansatz. Sie will zeigen, dass diese Theorien
den historischen Kontext widerspiegeln. Der Ertag dabei liegt in Hinweisen über die
ideologische Vermischung von Politik und Wissenschaft.  fällt unter
„Vergangenheitsbewältigung“ in der Wipäd.

Die Tandem GmbH soll einer Elektrofirma bei der Umstellung von Massenproduktion auf
flexible Sonderanfertigungen helfen. Die Arbeit der Tandem GmbH zielt eigentlich nicht
direkt auf Erkenntnisgewinnung oder Überprüfung von Konzepten oder Hypothesen.
Vielmehr geht es um die Verbesserung der betrieblichen Praxis. Auch das ist in der
Wirtschaftspädagogik sehr wichtig. Dies ist ein typisches Beispiel für die Aktions- oder
Handlungsforschung.
Die obigen Beispiele zeigen:
 was untersucht wurde
 welche Verfahren zur Informationsgewinnung- und Auswertung eingesetzt wurden
 welche Forschungserträge denkbar sind
und führen zu einer „Synopse“ (=Anordnung von verwandten Texten in parallelen Spalten für
wissenschaftliche Zwecken)  siehe Seite 336
Gemeinsam an allen obigen Beispielen ist die Orientierung an Problemstellungen. Der
wissenschaftliche Ertrag jedoch kann unterschiedlich sein: einerseits wird ein theoretischer
Nutzen, andererseits ein praktischer angestrebt.
Begreifen wir diese Beispiele als Forschungspraxis (was es auch ist aus der Sicht der
Akteure), so geht es nun um die Forschungstheorie. Dies bezeichnet man als Methodologie.
Wir wird Forschung betrieben?
 Die Entwicklung von Theorien
 Die Überprüfung bzw. Evaluation dieser Theorien sowie
 Ihre Anwendung in der Praxis

Dabei muss jedoch 2 Argumentationsrichtungen unterschieden werden:
 Entwicklung, Überprüfung, Anwendung: Es werden Hypothesen aufgestellt und
überprüft. Dies führt zu vorläufig bestätigtem Wissen, welches dann in der Praxis zur
Anwendung kommen kann.

Entwicklung, Erprobung, Evaluation: Es werden Konzepte entwickelt, wobei dieser
Entwicklungsvorgang nicht nur eine praxisferne Planung darstellt. Dieses Konzept
wird auch unmittelbar angewandt. Dies ist ein experimentelles Vorgehen. Sowohl das
Experiment in seinem Ablauf (Prozess) als auch das Ergebnis (Produkt) werden
evaluiert.
Diese beiden Argumentationsrichtungen sind gegenläufig, aber in beiden Fällen geht es
darum überprüfbares Wissen zu erzeugen.
Es gibt immer einen Forschungsprozess und ein Forschungsergebnis. Wir haben es in der
Wissenschaft auf der einen Seite mit wissenschaftlichem Handeln und auf der anderen Seite
mit sprachlich fixierten Ergebnissen zu tun. So kann Wissenschaft einerseits als ein System
Lehreinheit XI
Seite 2
von Aussagen, Konzepten, Modellen usw. aufgefasst werden, andererseits als ein soziales
Unternehmen, welches genau diese sprachlichen Dinge produziert.
Theorie und Handlungsebenen
Wisschenschaftler untersuchen bestimmte Objekte. Diese Objekte sind Bestandteile unserer
alltäglichen Welt. Wenn man in der Wissenschaft ein Objekt beschreiben will, so ist man
gezwungen diesen Gegenstand zu definieren. Wir geben Dingen Namen und aus den Namen
bilden wir Begriffe. Während die Alltagssprache (manchmal nennt man sie auch
Objektsprache), die Objekte bezeichnet, sagt die Meta-Sprache etwas über die Objektsprache
aus.
Zusammenfassend kann man sagen: für die wissenschaftliche Untersuchung von
Wirklichkeiten müssen wir eine Fachsprache entwickeln, die letztlich über die Alltagssprache
hergeleitet wird.
„Theorien“ sind in Sprache gefasste Aussagen über/oder Empfehlungen für einen Ausschnitt
der Wirklichkeit (Objektebene), die mit wissenschaftlichen Methoden, von anderen
intersubjektiv (=dem Bewusstsein mehrerer Personen gemeinsam) nachvollziehbar,
gewonnen werden.
Die Theorie wird mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden gewonnen. Also bestimmte
Handlungen, Vorgehensweisen und Programme sind notwendig um zu Theorien zu gelangen.
Die Theorienbildung beginnt also mit einer subjektiven Problemdefinition.
„Methode“ soll jene Vorgehensweise bei der Entwicklung von Theorien genannt werden, die
problemangemessen und nachvollziehbar ist.
Die Methode ist der systematische Weg der Theorienbildung. Aussagen über/oder
Empfehlungen für die Methode sind Meta-Theorien. Man könnte auch von einer
Methodentheorie oder Methodologie sprechen. Solche Methodologien sind selbst das
Ergebnis einer systematischen und problemorientierten Auseinandersetzung, bei der u.a.
festgelegt wird, welchen Ansprüchen eine wissenschaftliche Methode zu genügen haben.
Dieser semantische Stufenaufbau unterscheidet sich in:
 Objektebene
 Objekttheorie
 Meta-Theorie
 Meta-Meta-Theorie
Somit nimmt eine wissenschaftliche Argumentation immer Bezug auf die ihr zugrunde
liegende Methodologie.
Normative Basis wirtschaftspädagogischer Forschung
(1) Primärziele von Wissenschaft. Philosophen wie Paul LORENZEN und Oswald
SCHWEMMER haben herausgearbeitet, dass alle Wissenschaften sich auf
Primärzielen zurückführen lassen. Forschung bzw. die Forschungspraxis lassen sich in
Form von Methodologie analysieren. Solche Meta-Theorien beschreiben die
Forschungspraxis und stellen hinsichtlich der Frage, wie man in der Forschung
vorgehen soll, auch eine Empfehlung dar. Methodologien selbst sind jedoch auch
begründungsbedürftig. Auch erforderlich sind gute Gründe für die Methodologie
nennen zu können. Forschung muss nach unserem Dafürhalten so transparent und
nachvollziehbar organisiert werden, dass die Ergebnisse, die in einer Forschungsarbeit
Lehreinheit XI
Seite 3
entwickelt werden, idealer Weise von denjenigen, die die gleiche Vorgehensweise
wählen, ebenfalls erzielt werden  oft sind Forschungsprozesse, insbesondere bei
sozialen Prozessen zu komplex und nicht in der gleichen Art und Weise wiederholbar.
Die Intersubjektivität ist für uns eine formale Zielsetzung von Wissenschaften. Sie
kann als Ausdruck einer Binnenlegitimation angesehen werden, die sich über
methodische Standards in der Forschergemeinschaft begründet.
(2) Diskurs. Die beiden Legitimationsinstanzen: die Forschungsgemeinschaft hinsichtlich
der Binnenlegitimation und die Gesellschaft hinsichtlich der Außenlegitimation,
verweisen auf die Notwendigkeit von Regulativen. Eine regulierende Funktion kann
nur die Öffentlichkeit haben. Öffentliche Kontrolle ist gegeben, wenn
wissenschaftliche Ergebnisse und wissenschaftliche Verhaltensweisen in einer
wissenschaftlichen und in einer gesellschaftlichen Öffentlichkeit diskutiert werden
können.
(3) Erkenntnis- und Handlungsinteresse. Generell kann gesagt werden, dass es Neigungen
für bestimmte Methoden und Themen, aber auch für spezielle Problemstellungen gibt.
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass Forschung immer auf
Grundannahmen und –Übereinkünften aufbaut. Sie ist nicht universell und sie ist nicht
für alle Zeiten auf bestimmte Ansätze und Vorgehensweisen festgelegt, sonder sie
ändert sich im geschichtlichen Verlauf.
Paradigmen: Denkstile und Orientierungsrahmen wirtschaftspädagogischer
Forschung
Die Wissenschaft stellt einen sozialkommunikativen Rahmen für Forschung dar. In einem
solchen Zusammenhang begreifen wir Wissenschaft als soziales Unternehmen. Innerhalb
dieser Institution bilden sich Forschergruppen, die gemeinsame Vorstellungen über relevante
Forschungsfragen und adäquate Forschungsmethoden haben. Sie beziehen sich
gewissermaßen auf eine gemeinsame Basis.
Thomas S. KUHN verwendet für diese Basis den Namen „Paradigma“. Unter diesen Begriff
lassen sich Aspekte wie Erkenntnis- und Handlungsinteresse sowie Diskurs einordnen.
Forschung ist somit ein durch Paradigma normiertes Handeln.
Wissenschaftsgeschichtlich lassen sich drei zentrale Denkschulen identifizieren.
 Das empirisch-analytische Paradigma
 Das kulturkritische Paradigma
 Das holistische Paradigma
(1) Dieses Konzept geht von der Überprüfung von Theorien in der Wirklichkeit aus.
(Kritischer Rationalismus) Ausgehend von Problemstellungen sollen Ideen entwickelt
und einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Dies geschieht, indem die Ideen als
Hypothesen in Form von Gesetzesaussagen (nomologische Aussage) formuliert
werden. Diese Hypothesen werden dann mit Hilfe empirischer Verfahren überprüft.
Das Wissen, welches so gewonnen wird, ist immer nur vorläufig gültig. Dieser Ansatz
stammt weitgehend auf Karl Raimund POPPER
(2) Insbesondere innerhalb der deutschen Philosophie gibt es eine starke kulturkritische,
teilweise pessimistische Tradition. Eine zentrale Frage dieser Denkschule ist die nach
der Vernünftigkeit gesellschaftlicher Umstände (beziehen uns auf die Kritische
Theorie)
Lehreinheit XI
Seite 4
(3) Sie gehen von der Ganzheitlichkeit aus. Eine zentrale Argumentationsfigur ist: „Das
Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Hiermit ist gemeint, dass ein Ganzes nie
nach den Regeln und mit den Theorien erklärt werden kann, die für die Teile gelten.
Die Ganzheitlichkeit wendet sich gegen das analytische Zerschneiden des Ganzen.
Diese Ansätze kann man auch als geisteswissenschaftliche bezeichnen. Bei diesem
Konzept beziehen wir uns auf die Hermeneutik.
Die Hermeneutik wurde von dem Philosophen Wilhelm DILTHEY begründet. Sie
geht von einer verstehenden Erfassung der Wirklichkeit aus. Durch die innere
Nachbildung einer historischen Situation soll sozialer Sinn erfasst werden.
Moderne Hermeneutik ist anders als die traditionelle Hermeneutik – weniger auf das
Nachempfinden von alltäglichen Erfahrungen als auf die theoretische Rekonstruktion
des Alltags ausgerichtet.
Forschungsprogrammatik
Begriffe und Theorien der Wissenschaft werden im Alltag benutzt. Die Wissenschaftssprache
wird zur Alltagssprache, man kann daher von einem Transfer der Wissenschaftssprache in die
Alltagssprache sprechen (über die Ausbildung an der Hochschule)
Die empirisch-analytische bzw. kritisch-rationale Position zielt auf die Entwicklung vorläufig
gültiger Erkenntnisse. In diesem Sinn führt sie in der Tat zu positivem Wissen.
Mit den empirisch-analytischen und dem kulturkritischen werden 2 verschiedene
Forschungsprogramme verbunden:
 Das Programm rationaler Forschung – das empirische (kritisch-rationale) Vorgehen
betont die Vernünftigkeit des wissenschaftlichen Handelns. Eine Forschung wird als
vernünftig bezeichnet, wenn die Forschungsmethoden nachvollziehbar und
problemangemessen sind. Ziel der Forschung ist wahrheitsfähiges nomologisches
Wissen. Die Forscher folgen dem Prinzip der Wahrheitsfindung

Das Programm rationaler Praxis – Diese tendenziell kritisch-theoretische Position
bezieht den Vernunftbegriff nicht auf den Prozess der Erkenntnisgewinnung, sondern
auf die gesellschaftlichen Umstände. Die Wissenschaft ist aufgefordert, dazu
beizutragen, dass die Gesellschaft vernünftiger wird. Das Ziel ist die bessere Praxis.
Forscher sind bemüht, die Rationalität der Praxis zu erhöhen.
Was will der Forscher in Hinblick auf die Praxis machen?
 Beschreibung von Praxis
 Empfehlung für die Praxis
 Intervention in die Praxis
(1) Beschreibung von Praxis

Beschreibung über die Kommunikation mit Praktikern (die Art der Beschreibung
kann als eine Form der Aufarbeitung von individuellen Erfahrungen angesehen
werden. Der Forscher bemüht sich über eine systematische Befragung von Menschen
deren Erfahrungen aufzuarbeiten. Dies bedeutet, dass der einzelne Mensch etwas über
seine Umwelt mitteilen kann, was in der Summe von vielen Erfahrungen, die erfasst
werden, zu einem objektivierten Bild von der Wirklichkeit beiträgt)
Lehreinheit XI
Seite 5

Beschreibung über die Auslegung von Texten (bezieht sich auf
geisteswissenschaftliche Auslegung von Texten, man folgt der Idee, dass soziale
Wirklichkeit sich immer in textlicher Form manifestiert. Texte wie Bücher,
Zeitschriften, Arbeitsplatzanweisungen werden als Basis für eine Interpretation
genommen)

Beschreibung über die Dokumentation von Interventionen (kann leicht mit dem
Programm rationaler Praxis verwechselt werden, typisches Beispiel für dieses
Vorgehen ist das Projekt und seine Evaluation. Bei dem Experiment handelt es sich
um eine Intervention, man kann auch sagen jede pädagogische Handlung stellt eine
Intervention dar, Pädagogik ist dann vielfach mit Interventionen gleichzusetzen, man
muss jedoch immer unterscheiden wer interveniert und wer beobachtet.
(2) Empfehlung für die Praxis
Die Beschreibung von Praxis in einer sehr strengen Auffassung von Wissenschaft als einzig
legitime Aufgabe von Wissenschaft angesehen. Diese Vorstellung wird vor allem von
Vertretern einer empirisch-analytischen Auffassung vertreten.
Hier gibt es 3 Aspekte:
 die normative Grundposition, von der ein Forscher aus beschreibt
 die Beschreibung selbst
 mögliche Konsequenzen, die sich aus der Beschreibung in Verbindung mit der
Grundposition ergeben.

Nach Gerhard WEISSER gibt es 3 Forschungsphasen:
 Formulierung eines Grundwerturteils – er spricht hier von obersten Urteilen, die
nicht regressiv überhöht werden können. Der Forscher ist aufgerufen, seine
weltanschauliche Position transparent darzulegen.
 Beschreibung der sozialen Wirklichkeit – hierbei können wir uns auf die oben
dargestellten Verfahren bei „Beschreibung von Praxis“ beziehen. Vor allem sollten
qualitative Methoden einbezogen werden.
 Bestimmung von Handlungsempfehlungen – die Verbindung von Werturteil und
Beschreibung führt zu Empfehlungen.
Es muss sichtbar werden, warum und aufgrund welcher Argumente es zu bestimmten
Empfehlungen kommt. Hier gibt es 2 Argumentationsweisen: als erstes eine normenlogische
und als zweites eine didaktische. Die normenlogische Argumentation geht von
normenlogischen Regeln aus. Eine solche Normenlogik ist analog zur formalen Logik
aufgebaut. Man bezeichnet sie auch als Deontik. Ziel ist es, eine wiederspruchsfreie und in
sich geschlossene Ableitung von Normen zu finden.
Die didaktische Argumentation stellt die Frage nach der Verwendbarkeit von Wissen bzw.
von Theorien für die Praxis. Es wird versucht, die gewonnenen Beschreibungen so
aufzuarbeiten, dass sie in der Praxis angewandt werden können. Es geht also darum, Wissen
anwendungs- und somit praxisgerecht zu gestalten.
Lehreinheit XI
Seite 6
(3)
Intervention in die Praxis
Die Intervention wurde als ein Merkmal der Handlungsforschung dargestellt. Außerdem
wurde darauf hingewiesen, dass auch bei beschreibenden Forschungskonzepten
Interventionen vorliegen können, die Gegenstand ihrer Beobachtung und Evaluation sein
können. Wichtig ist festzustellen, wer der Träger von Interventionen ist. Wir die Intervention
innerhalb eines sozialen Feldes von einem Akteur vorgenommen oder wird sie von einem
Forscher ausgelöst, der sich gleichsam selbst beobachten möchte? Schließlich muss gefragt
werden ,welche Absichten hinter dieser Intervention stecken.
Für uns ist eine intervenierende Forschung dann relevant, wenn es gelingt, über die
Beobachtung von Interventionen zu verbesserten Einsichten in die Zusammenhänge der
Praxis zu gelangen.
Wir begreifen Wissenschaft als ein soziales Unternehmen. Wissenschaftler versuchen über ein
systematisches und nachvollziehbares Handeln Einsichten in die Zusammenhänge der Praxis
zu gewinnen. Die Praxis selbst ist aber kein „lebloser“ Gegenstand. Die Praxis ist für uns eine
soziale Praxis, die weitgehend durch die Interaktion von Menschen miteinander geprägt ist.
Wirtschaftspädagogische Forschung hat es mit denkenden Gegenständen und nicht mit
unbelebten Dingen zu tun. Daraus ergeben sich Konsequenzen für das Zusammenwirken von
Wissenschaft (Theorie) und Praxis (Objekt)
Zusammenfassend kann gesagt werden: eine intervenierende Forschung ist dann von
Bedeutung, wenn sie Bestandteil eines komplexen Forschungsprogramms ist, bei der
Entwicklungs- und Erprobungsarbeiten in Kooperation mit der Praxis vorgenommen werden,
wobei es dann auch Aufgabe der Forschung sein soll, den Entwicklungs- und
Erprobungsprozess sowie die entwickelte Maßnahme zu evaluieren. Wir sprechen hier von
einer Wissenschafts-Praxis-Kommunikation.
Von der Forschung zur Praxis: zur Umsetzung wirtschaftspädagogischer
Theorien im Alltag der Berufsbildung
Verallgemeinert geht es darum wie die Menschen mit den Theorien, die Wissenschaft
produziert, umgehen.
KANT geht von einem Dualismus von Subjekt und Objekt aus. Damit ist eine Unterscheidung
in Denken (Subjekt) und Denkergebnis (Objekt) gemeint. Das Objekt der
Wirtschaftspädagogik geht also von der Wirtschaftserziehung aus. (Wir haben zwischen
Handeln und Sprache differenziert und auf der Theorieebene zwischen Methode und Theorie
und auf der Meta-Theorieebene zwischen Methodologie und Begründung). Kant geht von der
rationalen Forschung aus.
2 Gesichtspunkte müssen hier berücksichtig werden
1. die Besonderheit der Gegenstände (Objekte) der Wirtschafspädagogik, denn es handelt
sich hierbei um gleichfalls „denkende“ Wesen und
2. die prinzipielle Problematik, von einer allgemeingültigen Wirklichkeit ausgehen zu
können.
1. Zur Denkfähigkeit der Objekte – Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik betrachtet
soziale Phänomene, es geht um die Theorie für und von gesellschaftlichen
Anwendungsfeldern. Die Objekte unserer Wissenschaft sind nicht unbelebt oder
gegenständlich, wie diese etwas in der Physik
Lehreinheit XI
Seite 7
Über die Gewissheit der Wirklichkeit – Sie gehen von der Gewissheit aus, dass die
Wirklichkeit objektiv existiere. Auch POPPER und ALBERT haben sich mit der
Existenz der Wirklichkeit befasst. Für sie können Theorien nur Annäherungen an die
Wirklichkeit sein. Ins Wanken gerät dieses Modell jedoch, wann man das objektive
Vorhandensein der Wirklichkeit anzweifelt. Genau dies wird in den letzten Jahr im Rahmen
von konstruktivistischen Wissenschaftspositionen vorgenommen.
Eine Theorie ist gültig, wenn sie dem Handelnden hilft, sich in der Welt zu orientieren.
Theorien haben daher in erster Linie eine subjektive Relevanz.
2.
Wissenschaftliches Handeln ist in einer konstruktivistischen Position ein Such- und
Orientierungsprozess, der nicht zu objektiven Erkenntnissen, sondern vielmehr zur
Konstruktion passenden Wissens führt. Dieses Wissen kann als Orientierungswissen der
Praxis angeboten werden. Dabei muss dann wiederum von der Kommunikation zwischen
Wissenschaft und Praxis ausgegangen werden.
In dieser Wissenschafts-Praxis-Kommunikation bietet Wissenschaft Konzepte, Theorien und
Modelle an. Diese werden von anderen gesellschaftlichen Institutionen (Praxis)
aufgenommen.
Der Unterschied zwischen wissenschaftlichem und nicht-wissenschaftlichem Handeln ist
leicht zu erklären. Wissenschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass über Methoden Theorien
gewonnen werden. Ähnlich ist es aber auch im nicht-wissenschaftlichen Bereich. Dort werden
Erfahrungen gewonnen, indem man handelt. Dieses Handeln wird als Praxis bezeichnet.
Theorie ist die methodisch gewonnene Erkenntnis über Praxis. Sie ist das Ergebnis eines
Reflexionsprozesses. Praxis im Sinne von Anwendung oder Vollzug von Handeln führt zum
Aufbau individueller Erfahrungen.
Schließlich zeigt sich sowohl in der Wissenschaft als auch im Alltag allgemein der
KANT’sche Dualismus. Methode und Praxis sind Prozesse (Subjekte), die zu Erfahrungen
und Theorien führen.
Wirtschaftspädagogische Theorienbildung
Hier geht es um die didaktische Aufbereitung von Theorien. Das Ziel ist theoretisches Wissen
nutzbar zu machen. 3 Konzepte werden nun näher analysiert:
 aufgeklärt-pragmatischen Eklektizismus von Frank ACHTENHAGEN
 den Ansatz handlungsgerechter Theorie von Jürgen ZABECK
 den Ansatz situierter Theorie, den wir in unserer Forschungskonzeption vertreten
(1)
ACHTENHAGEN geht von einer gegenseitigen Befruchtung von
wirtschaftspädagogischer Theorie und Praxis aus. Er unterscheidet zwischen
objektiven Theorien als Ergebnis einer empirisch gestützten Theorienüberprüfung
und subjektiven Theorien als verallgemeinerten Erfahrungen von Praktikern. Sein
Ziel ist dabei, einerseits subjektive Theorien durch objektive zu ersetzen und
andererseits subjektive Theorien als Reservoire für die Entwicklung objektiver
Theorien zu nutzen. Im zweiten Fall geht es darum, die Erfahrungen von Praktikern
wissenschaftlich zu überprüfen, um so verallgemeinerbare Aussagen zu gewinnen.
(siehe Seite 24)
Eklektizismus (=Lehre, in der die eigene Position durch Übernahme fremder
Lehrmeinungen bestimmt ist)
Lehreinheit XI
Seite 8
(2)
ZABECK bestreitet in seinem Ansatz zur handlungsgerechten Theorie, dass
Technologien überhaupt in der Lage sind, handlungsleitend zu werden. Für ihn ist
die zentrale Frage diejenige, wie Wissen und somit auch Theorien im Alltag von
Akteuren aufgenommen werden. So geht es dann auch um die Integration von neuen
Theorien in die Lebensweltkonzepte der Menschen, d.h. sie müssen in die
Erfahrungswelt integriert werden. Hierfür ist entscheidend, ob die Akteure an die
Handlungsrelevanz der angebotenen Theorien bzw. Technologien glauben. Er
verdeutlicht dies mit einem praktischen Syllogismus (siehe Seite 25)
(3)
Unter situativer Theorie verstehen wir eine Theorie, die in einem
Anwendungszusammenhang steht. Es handelt sich hierbei um solches Wissen,
welches nicht abstrakt die Wirklichkeit beschreibt, sondern auf
Anwendungsbeispiele bezogen ist.
Es reicht nicht aus, nomologisches Wissen zu extrahieren, sondern es ist erforderlich
dieses Wissen auf konkrete und auch für den Verwender von Wissen vorstellbare
Fallbeispiele zu beziehen. Es geht darum, Wirklichkeit kasuistisch zu deuten. Die
Theorie muss letztlich in einen hermeneutischen Vermittlungszusammenhang
gebracht werden. Demnach muss die Theorie als allgemeiner Fall angesehen
werden, der sich im Beispiel wieder findet. Beispiele oder Fälle werden somit zu
Anwendungsmöglichkeiten von Theorien. So sind dann das Allgemeine (Theorie)
und das Besondere (Fallbeispiel) aufeinander bezogen. Diesen Vorgang nennen wir
Applikation.
Lehreinheit XI
Seite 9
Herunterladen