Laparoskopische Entfernung einer ingestierten Gabel - „Chirurgische Erstdiagnose“ einer Bulimia nervosa - Case report - C. Schenk, G. Mugomba, R. Dabidian, H. Scheuerecker, F. Glaser (Leitender Arzt: PD Dr. med. F. Glaser) Abteilung für Chirurgie - Filderklinik D-70794 Filderstadt Korrekturadresse: Dr. med. Christoph Schenk Abt. f. Chirurgie – Filderklinik – D-70794 Filderstadt Telefon: 0711 – 7703-0 – Fax: -2668 [email protected] Zusammenfassung: Verschluckte Fremdkörper (FK) sind bekanntes Problem, mit welchem Ärzte konfrontiert werden. Die meisten FK verlassen den Körper auf natürlichem Weg, gelegentlich ist eine endoskopische Entfernung notwendig. Lediglich grosse, sperrige und spitze FK machen eine chirurgische Intervention nötig. Es wird der Fall einen jungen Frau vorgestellt, der eine verschluckte Gabel laparoskopisch entfernt wurde. Im weiteren Verlauf ihres stationären Aufenthaltes erfolgte die psychiatrische Erstdiagnose einer Bulimia nervosa. keywords: Foreign body, laparoscopy, gastrotomy, bulimia nervosa. Einleitung Ärzte werden seit langem mit dem Problem von verschluckten FK konfrontiert. Nach Deslypere et al. erfolgte die Erstbeschreibung vor etwa 3000 Jahren [1]. Die erste medizinische Mitteilung erfolgte durch Mestivier 1759 [2Verschiedene Studien belegen, dass bis zu 90 % dieser FK den Körper „via naturalis“ verlassen und 10 –20 % der verschluckten FK mittels Endoskopie geborgen werden können. Lediglich etwa 1 % macht eine chirurgische Intervention notwendig [3, 4]. Die chirurgische Therapie kann mittels Laparotomie oder Laparoskopie erfolgen, wobei das laparoskopische Vorgehen, sofern möglich, einige deutliche Vorteile hat: weniger postoperative Schmerzen, eine bessere Lungenfunktion, eine Verkürzung des postoperativen Ileus, eine kürzere stationäre Verweildauer und eine schnellere Rekonvaleszenz [5, 6]. Ebenso sind perioperative Pneumonien, Harnwegsinfekte und Herzinsuffiziens seltener [7]. Die vorliegende Arbeit gibt anhand des Falles der laparoskopischer Entfernung einer Speisegabel einen aktuellen Überblick über die Fachliteratur. Fallvorstellung Eine 20-jährige Patientin stellte sich in der internistischen Ambulanz unserer Klinik vor. Sie berichtet anamnestisch, dass sie, bei dem Versuch Erbrechen mittels Reizung der Uvula mit einer Speisegabel, einen Schluckreflex auslöste und so die Gabel verschluckte. Die körperliche Untersuchung zeigt eine Frau in gutem AZ bei wenig reduziertem EZ (174 cm, 49 kg). Die Inspektion des Oropharynx ist unauffällig. Ebenso zeigt sich klinisch ein altersentsprechender abdomineller Befund. Hämatemesis, Übelkeit und Hämatochizie werden verneint. Sonografisch findet sich kein Anhalt für eine Organperforation. Die Röntgenaufnahme des Abdomen zeigt eine retrograd geschluckte Speisegabel in Projektion auf den Magen ohne Nachweis von freier Luft (siehe Abbildung 1.). Nach konsiliarischer Vorstellung der Patientin erfolgte die chirurgische Übernahme der Patientin. Von einer endoskopischen Entfernung der Gabel musste zum Schutz von Magen und Ösophagus bei fehlender Möglichkeit der Gabelwendung Abstand genommen (retrograde Lage). Die Patientin wurde deshalb sofort der operativen Therapie durch laparoskopische Gastrotomie und FK-Entfernung über drei Trokarzugänge zugeführt (siehe Abbildung 2., 3., 4.). Der postoperative Verlauf war komplikationslos. Der Gesamtaufenthalt in unserer Klinik betrug 4 Tage. Die Patientin wurde am 3. postoperativen Tag psychiatrisch untersucht. Hier wurde erstmalig die Diagnose einer Bulimia nervosa gestellt und die Empfehlung zu einer ambulanten Psychotherapie ausgesprochen. In dieser Behandlung befindet sich die Patientin bis heute. Diskussion Patienten, welche FK verschluckt haben sind ein seltenes originär-chirurgisches Krankenkollektiv. Der Grund dafür ist einfach: bis zu 90 % der ingestierten FK gehen spontan ohne Intervention ab. Von den verbleibenden 10 % der FK können fast alle durch versierte Endoskopiker geborgen werden [8, 9]. Die meisten FK werden versehentlich bei der normalen Nahrungsaufnahme verschluckt: Hühnerknochen, Fischgräten, Fleischstücke [10, 11]. Bei Kindern dominieren Geldmünzen [12, 13]. Verschiedene Studien konnten belegen, dass Patienten, welche andere als die o.g. FK verschluckt haben (z.B. Messer, Rasierklingen, Glas), dieses willentlich tun. Zu dieser Gruppe gehören Alkoholiker, psychiatrisch Kranke, Demente und Retardierte [14, 15, 16]. Teilweise finden sich groteske Ausmaße: Chalk fand1928 bei einem einzigen psychiatrisch kranken Patienten 2533 gastrale Fremdkörper [17]. Auf die Motivation zu dieser besonderen Form von Selbstzerstörung soll im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden, insbesondere deshalb, weil diese Verhaltensweisen in der Literatur sehr unterschiedlich interpretiert wird [18, 19]. Der behandelnde Arzt sollte in Kenntnis dieses Wissens den betreffenden Patienten nach erfolgter Primärtherapie ggf. psychiatrisch vorstellen. Wie in der gesamten Medizin unterlag auch die Therapie des verschluckten FK einer zeitlichen Entwicklung. Zu Beginn unseres Jahrhunderts war die Not-Laparotomie bei Ingestion jedweder FK zur Verhütung von Perforationen Methode der Wahl [20]. Das zunehmende Wissen um die hohe Rate von Spontanabgängen von gastralen FK und die Entwicklung von zunächst starren, später flexiblen Endoskopen drängte die chirurgische Therapie in den Hintergrund. Weitgehende Einigkeit herrscht in der Literatur über den derzeitigen „Goldstandard“ der Behandlung einer FK-Ingestion von spitzen, scharfen oder grossen Gegenständen [21, 22, 23]. Nach Anamneseerhebung (FK-Gefühl, retrosternale oder pharyngeale Schmerzen, Dysphagie, Odynophagie, Sialorrhoe) sollte bei Verdacht auf ösophageale oder gastrale Lage des FK eine sofortige Endoskopie erfolgen. Auf keinen Fall sollten FK länger als 24 Stunden im Ösophagus verbleiben, da hier schwerwiegende Spätfolgen (z.B. Strikturen) zu erwarten sind [24, 25]. Sollte derart keine Entfernung des FK erfolgen können sollte der Patient einer laparoskopischen oder laparotomischen Operation unterzogen werden. Dabei ist zu betonen, dass die Laparoskopie bei Machbarkeit in der Hand des Erfahrenen deutliche Vorteile für den Patienten hat: Reduktion der postoperativen Schmerzen, eine Verkürzung der postoperativen Darmatonie, eine kürzere Hospitalisationsdauer und eine schnellere Rekonvaleszenz [26, 27]. Weiter sind perioperative Pneumonien, Harnwegsinfekte und Herzinsuffiziens seltener [28]. In anderen Fällen von verschluckten FK sollte unter engmaschiger klinischer und ggf. radiologischer Kontrolle ohne grosse Gefahr zugewartet werden [29]. Schleifer et al. untersuchten retrospektiv ein Kollektiv von 1465 Fällen nachgewiesener FK-Ingestion und fanden dabei eine Mortalitätsrate von 0,2 %. Die Rate der Majorkomplikationen (Perforation, Blutung, Ileus) über alle Fälle betrug lediglich 0,5 % [30]. Die Autoren berichten weiter über 8 Fälle von FK im Intestinum, welche über Jahre beschwerdefrei toleriert wurden. Ausgenommen von diesem Algorithmus sind Fälle des bereits eingetreten akuten Abdomens infolge Perforation oder Blutung, die eine sofortige operative Intervention notwendig machen. Zu überlegen bleibt, ob im Einzelfall ein über längere Zeit verbleibender FK im Verdauungstrakt im Intervall operativ entfernt werden sollte, um dem Patienten seine Angst vor möglichen Komplikationen zu nehmen. Immerhin hat auch der Routineeingriff Komplikationsrisiken. Korrespondenzadresse: Dr. med. Christoph Schenk Filderklinik - Abteilung für Chirurgie Im Haberschlai 7, 70794 Filderstadt Tel.: 0711-7703-0 Fax: 0711-7703-2668 Email: [email protected] Literatur 1 Deslypere JP, Praet M, Verdonk G (1984) An unusual case of the trichobezoar: the Rapunzel syndrome. Am J Gastroenterol 77: 467-470 2 Mestivier FF (1759) Observationsur une tumeur, situee proche la region ombilicale, du cote droit, occasionee par une grosse epingle trouvee dans l’appendice vermiculare du cecum. 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Gastrointest Endosc 1995; 42: 622-625 10 Eisele DW, Marks SC, Tarazi AE (1991) Eating utensil foreign bodies of the esophagus. J Emerg Med; Vol. 9 pp.: 119-121 11 Webb WA (1988) Management of foreign bodies of the upper gastrointestinal tract. Gastroenterol. 1998; 94: 204-216 12 Selivanov V, Sheldon GF, Cello JP, Crass RA (1984) Management of foreign body ingestion. Ann Surg 1984 199: 187-191 13 Rimell FL, Thome A, Stool S ((1995) Characteristics of objects that cause choking in children. JAMA 1995; 274: 1763-1766 14 Henderson CT, Engel J, Schlesinger P (1987) Endoscopy 1987; 19: 68-71 15 Robinson AC, Radcliffe G (1985) J Laryngol Otol 1985; 99: 609-610 16 Vizcarrondo FJ, Brady PG, Nord HJ (1983) Foreign bodies of the upper gastrointestinal tract. Gastrointest Endoscopy 1983; 29: 208-210 17 Chalk SG, Foucar HO (1928) Foreign bodies in the stomach. Arch Surg 16: 494-500 18 Fuchs A (1930) Zur Kenntnis des Fremdkörperschluckens. Münch. Med. 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