4. Fa/So/2007 Liebe... Oft schon haben wir dieses Evangelium gehört. Früher nannte man es das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Heute bezeichnet man es lieber als Gleichnis vom barmherzigen Vater. Irgendwie schaut man anders auf diesen Text, je nachdem wie man ihn überschreibt – so kommt mir vor. Früher sah man vor allem die Sünde des jüngeren Sohnes, ihre Wirkung und ihre Überwindung. In letzter Zeit war man mehr interessiert am Vater, der ja Gottes Haltung zum Sünder wiederspiegelt. Es ist ja durchaus bemerkenswert, dass der Evangelist das Wort Vater 12 Mal in dieser Erzählung verwendet. Oftmals in der Bibel haben Zahlen eine symbolische Bedeutung. Drei ist in der Regel die Zahl für den göttlichen Bereich, vier die des Irdischen. Wenn man nun drei mit vier multipliziert ergibt das 12 und bedeutet, dass Gott hier alles Menschliche und Irdische durchdringt. Und so erleben die Hörer aus der Zeit Jesu dieses Evangelium. Gott zeigt sich dem Menschen in seiner Vergebungsbereitschaft so, dass es Erstaunen hervorruft. Unerwartet, vom alltäglichen Verhalten abweichend, reagiert dieser Vater auf seinen zurückkehrenden Sohn. Ist es nicht vollkommen verständlich, wenn der Vater stocksauer auf seinen jüngeren Sohn ist! Immerhin hat er die Hälfte des elterlichen Vermögens durchgebracht. Und das nicht auf ehrenhafte Weise! Bis zuletzt bleibt das Verhalten des jüngeren Sohnes egoistisch, kurzsichtig und ohne Verantwortung für andere bzw. seine eigene Zukunft. Es wäre nur zu verständlich und menschlich, würde der Vater dem Heimkehrer spüren lassen wie es ihm geht mit ihm geht. Und da gibt es noch den älteren Bruder, der fassungslos ist als er Zeuge eines Festes für diesen Heimkehrer wird. Er bringt in diesem Augenblick weder das Wort Vater noch Bruder heraus. Wütend und enttäuscht bricht es aus ihm heraus. Ich zitiere es in der Übersetzung von Friedolin Stier: So viele Jahre mache ich dir den Knecht, und niemals habe ich eine Weisung von dir übertreten. Und du hast mir nie auch nur ein Böcklein geschenkt, damit ich mit meinen Freunden hätte fröhlich sein können. Als aber der da kam - dein Sohn, der was du zum Leben hattest, mit Huren aufgefressen hat – hast du ihm das Mastkalb geschlachtet. Wer kann dem älteren Bruder nicht voll und ganz nachempfinden? Hätten wir nicht alle reagiert wie er? Wer waren denn damals die Hörer des Gleichnisses Jesu? Das waren zum einen die Zöllner und Sünder. Zum anderen waren es die Pharisäer und Schriftgelehrten. Letztere werden im Gleichnis vom älteren Sohn vertreten, Erstere vom jüngeren. Jesus bringt mit seinem Gleichnis den Konflikt zur Sprache zwischen Pharisäern und dem Gesindel, das sich durch Jesus bekehrte. Die einen waren Gott und ihrem Glauben ein Leben lang treu. Und die anderen kommen und Jesus feiert mit ihnen. Friedolin Stier übersetzt: Es nahten sich ihm aber all die Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und es nörgelten die Pharisäer und Schriftgelehrten und sagten: der da – er nimmt Sünder an und speist mit ihnen. Gott – haben wir gesagt – durchdringt in diesem Gleichnis alles Menschliche und Irdische. Ein Gedanke, der schön ist und beruhigend. Denn oft fehlt uns die spürbare Erfahrung der Anwesenheit Gottes. Zudem durchdringt das Väterliche Gottes in diesem Gleichnis alles Irdische. Gott umarmt den Verlorenen, holt ihn herein, damit er sich wieder als Sohn fühlen kann. Auf der anderen Seite führt dieses Durchdringen des Irdischen zur Entfremdung dem Vater gegenüber. D.h. wie erfahre ich Gott, wenn er sich mir zu Erfahren gibt? Bin ich bereit mich überraschen zu lassen? Gestehe ich es ihm zu, dass er anders ist als ich ihn erwartet hätte? Ich persönlich verstehe den älteren Sohn. Ich vermute mir ergeht es in vergleichbarer Situation ähnlich wie ihm. Wichtig für ihn ist – so glaube ich – dass er bei seiner Enttäuschung nicht stehen bleibt. Wichtig ist, dass er aus dem Kontakt mit seinem Vater nicht herausgeht. Im Kontakt kann er sich vielleicht neu positionieren, zu seinem Vater und zu seinem Bruder. Eine andere Reaktion des Vater wäre mir persönlich näher gewesen. Vor nicht langer Zeit habe ich sehr zornig auf einen Menschen reagiert, der mir wehgetan hat. Ich habe ihm das ruhig, aber deutlich gesagt. Als ich merkte, dass er meine Gefühle akzeptierte, konnte ich ihm offener begegnen. Der Vater im Gleichnis reagierte sichtlich anders. Auch wenn sein Verhalten heute noch nicht das Meine ist, kann ich mich dennoch darauf einlassen. Vielleicht verstehe ich irgendwann, dass das Verhalten des Vaters angemessener ist, gerade für die, die in ihrem Leben die Verlorenheit geschmeckt haben. Das Gleichnis Jesu bleibt für mich eine Herausforderung. Es zeigt mir Gott, so wie Jesus ihn uns nahe bringen will.