DOC - Europa.eu

Werbung
J/00/8
Tätigkeiten des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz der
Europäischen Gemeinschaften
Woche vom 6. Bis 10. März 2000
I.
URTEILE
Gerichtshof
Rs. C-386/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Italienische Republik
Sozialpolitik
Rs. C-358/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Italienische Republik
Freier Dienstleistungsverkehr
Rs. C-437/97
Evangelischer Krankenhausverein Wien / Abgabenberufungskommission Wien
Wein & Co. HandelsgesmbH / Oberösterreichische Landesregierung
Steuerrecht
Rs. C-355/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Königreich Belgien
Freizügigkeit
Gericht
Rs. T-10/99
Miguel Vicente Nuñez / Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Beamtenstatut
Rs. T-29/97
Alain Libéros / Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Beamtenstatut
II.
SCHLUSSANTRÄGE
Rs. C-371/98
The Queen / Secretary of State for the Environment, Transport and the Regions, ex parte: First
Corporate Shipping Ltd
Rs. C-448/98
Ministère public / Jean-Pierre Guimont
Rs. C-261/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Portugiesische Republik
Rs. C-412/98
Société Group Josi Reinsurance Company SA / Compagnie d'assurances Universal General
Insurance Company (UGIC)
III.
NEUE RECHTSSACHEN
Gerichtshof
IV.
MITTEILUNG
BEITRAG
DES
GERICHTSHOFES
REGIERUNGSKONFERENZ
UND
18
NEUE ZITIERWEISE DER ARTIKEL DER VERTRÄGE
ToC12
DES
GERICHTS
ZUR
1.
URTEILE
Gerichtshof
Rs. C-386/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Italienische Republik
Sozialpolitik
9. März 2000
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats · Richtlinie 93/104/EG · Arbeitszeitgestaltung ·
Nichtumsetzung”
(Zweite Kammer)
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 26. Oktober
1998 beim Gerichtshof eingegangen ist, Klage erhoben auf Feststellung, daß die Italienische
Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, daß sie die
Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um der Richtlinie 93/104/EG des
Rates vom 23. November 1993 nachzukommen, nicht erlassen und/oder es unterlassen hat, die
Kommission davon zu unterrichten.
Nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben a und c der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die
erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, um der Richtlinie
spätestens am 23. November 1996 nachzukommen, oder sich spätestens zu diesem Zeitpunkt zu
vergewissern, daß die Sozialpartner mittels Vereinbarungen die erforderlichen Bestimmungen
einführen, wobei die Mitgliedstaaten gehalten sind, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen,
damit sie jederzeit gewährleisten können, daß die von der Richtlinie vorgeschriebenen
Ergebnisse erzielt werden, und haben die Kommission unverzüglich davon zu unterrichten.
Die Italienische Republik macht zwar geltend, das nationale Recht stehe bereits im Einklang mit
einigen Vorschriften der Richtlinie und die Sozialpartner hätten am 11. November 1997 eine
gemeinsame Erklärung über die Durchführung der Richtlinie paraphiert, die im Sektor der
Produktion allgemein angewendet werde, bestreitet aber die ihr zur Last gelegte
Vertragsverletzung nicht und trägt vor, der Erlaß der Regelung, die die vollständige Umsetzung
der Richtlinie sicherstellen werde, sei im Gange.
Da die vollständige Umsetzung der Richtlinie innerhalb der darin vorgeschriebenen Frist nicht
erfolgt ist, ist die Klage der Kommission begründet.
Der Gerichtshof hat für Recht erkannt und entschieden:
„1.
Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie
93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der
Arbeitszeitgestaltung verstoßen, daß sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die
erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie
nachzukommen.
2.
Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.”
Generalanwalt F. G. Jacobs hat seine Schlußanträge in der Sitzung der Zweiten Kammer
vom 16. November 1999 vorgetragen.
Er hat dem Gerichtshof vorgeschlagen,
„1.
festzustellen, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem
EG-Vertrag und aus der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über
bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung verstoßen hat, daß sie nicht die
erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie
nachzukommen, oder es unterlassen hat, sie der Kommission mitzuteilen.
2.
Der Italienischen Republik die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.”
Rs. C-358/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Italienische Republik
Freier Dienstleistungsverkehr
9. März 2000
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats · Dienstleistungen der Reinigung, der Desinfizierung,
der Ungeziefer- und Rattenbekämpfung sowie der hygienischen Sanierung · In den anderen
Mitgliedstaaten niedergelassene Unternehmen · Verpflichtung zur Eintragung in ein Register”
(Vierte Kammer)
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 2. Oktober 1998
beim Gerichtshof eingegangen ist, Klage erhoben auf Feststellung, daß die Italienische Republik
dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49
EG) verstoßen hat, daß sie aufgrund der Artikel 1 und 6 des italienischen Gesetzes Nr. 82 vom
25. Januar 1994 (im folgenden: Gesetz Nr. 82/94) die Erbringung von Dienstleistungen der
Reinigung, der Desinfizierung, der Ungeziefer- und Rattenbekämpfung sowie der hygienischen
Sanierung durch Wirtschaftsteilnehmer, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, von
einer Eintragung in die in Artikel 1 dieses Gesetzes genannten Register abhängig gemacht hat.
Zunächst trägt die Kommission vor, daß gemäß Artikel 1 des Gesetzes Nr. 82/94 in Verbindung
mit Artikel 8 des Gesetzes Nr. 580/93 alle Reinigungsunternehmen unabhängig von ihrer
Rechtsform verpflichtet seien, sich in das neue Unternehmensregister einzutragen.
Die Pflicht zur Eintragung in das Unternehmensregister und die erheblichen Sanktionen für den
Fall ihrer Nichtbeachtung verstießen offenkundig gegen Artikel 59 EG-Vertrag.
Überdies begründe das Gesetz Nr. 82/94 eine versteckte Diskriminierung zu Lasten von
Unternehmen, die in den anderen Mitgliedstaaten niedergelassen seien. Die Eintragungspflicht
führe in der Praxis dazu, daß diese Unternehmen die in diesem Gesetz genannten
Reinigungstätigkeiten in Italien nicht ausübten. Es sei wenig wahrscheinlich, daß ein
Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats die für die Eintragung in das Unternehmensregister
erforderlichen Verwaltungsformalitäten sowie die „Jahresgebühr” für die Eintragung auf sich
nehme, nur um gelegentlich oder punktuell, in jedem Fall aber vorübergehend und nicht
regelmäßig Dienstleistungen zu erbringen.
Es steht fest und wird von der italienischen Regierung auch nicht bestritten, daß das Gesetz Nr.
82/94 so allgemein gefaßt ist, daß es für jeden · innerhalb oder außerhalb Italiens ansässigen ·
Dienstleistenden unabhängig davon gilt, ob dieser dort gelegentlich oder regelmäßig
Dienstleistungen anbietet. Insbesondere sind die Dienstleistenden, die in einem anderen
Mitgliedstaat als der Italienischen Republik niedergelassen sind und bereits nach dem Recht des
Niederlassungsmitgliedstaats Formerfordernisse erfüllen, die den italienischen entsprechen, nicht
vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen.
Nach gefestigter Rechtsprechung verstoßen solche nationalen Vorschriften gegen Artikel 59 EGVertrag.
Der Gerichtshof hat für Recht erkannt und entschieden:
„1.
Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 59 EGVertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) verstoßen, daß sie aufgrund der Artikel 1
und 6 des italienischen Gesetzes Nr. 82 vom 25. Januar 1994 die Erbringung von
Dienstleistungen der Reinigung, der Desinfizierung, der Ungeziefer- und
Rattenbekämpfung sowie der hygienischen Sanierung durch Unternehmen, die in den
anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, von einer Eintragung in die in Artikel 1
dieses Gesetzes genannten Register abhängig gemacht hat.
2.
Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.”
Generalanwalt P. Léger hat seine Schlußanträge in der Sitzung der Vierten Kammer vom
18. November 1999 vorgetragen.
Er hat dem Gerichtshof vorgeschlagen, folgendes festzustellen:
„1.
Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 59 EGVertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) verstoßen, daß sie aufgrund der Artikel 1
und 6 des italienischen Gesetzes Nr. 82 vom 25. Januar 1994 die Erbringung von
Dienstleistungen der Reinigung, der Desinfizierung, der Ungeziefer- und
Rattenbekämpfung sowie der hygienischen Sanierung durch Wirtschaftsteilnehmer, die in
anderen Mitgliedstaaten als Italien niedergelassen sind, von einer Eintragung in die in
Artikel 1 dieses Gesetzes genannten Register abhängig gemacht hat.
2.
Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.”
Rs. C-437/97
Evangelischer Krankenhausverein Wien / Abgabenberufungskommission Wien
Wein & Co. HandelsgesmbH / Oberösterreichische Landesregierung
Steuerrecht
9. März 2000
Vorabentscheidung
„Indirekte Steuern · Gemeindegetränkesteuer · Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie · Richtlinie
92/12/EWG”
(Fünfte Kammer)
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 18. Dezember 1997 drei Fragen nach der
Auslegung des Artikels 33 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977,
des Artikels 3 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 (im folgenden:
Verbrauchsteuerrichtlinie) und des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG)
zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Evangelischen
Krankenhausverein Wien (Erstbeschwerdeführer) und der Abgabenberufungskommission Wien
einerseits sowie der Wein & Co. HandelsgesmbH, vormals Ikera Warenhandelsgesellschaft mbH
(Zweitbeschwerdeführerin), und der Oberösterreichischen Landesregierung andererseits wegen
der Verpflichtung der Beschwerdeführer zur Entrichtung von Getränkesteuer.
Das für die Erhebung der Getränkesteuer
Finanzausgleichsgesetz 1993 (im folgenden: FAG).
einschlägige
Bundesgesetz
war
das
Die Gemeindesteuern, um die es in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten geht, beruhen, was den
Erstbeschwerdeführer betrifft, auf dem Wiener Getränkesteuergesetz 1992 (Wiener GStG) und
der Wiener Getränkesteuerverordnung 1992 (Wiener GStV) und, was die
Zweitbeschwerdeführerin angeht, auf dem Oberösterreichischen Gemeinde-Getränkesteuergesetz
(Oö GStG). Diese Gemeindesteuern beruhen zwar auf unterschiedlichen Landesgesetzen,
gleichen sich aber im wesentlichen; sie werden im folgenden zusammenfassend als
„Getränkesteuer” bezeichnet.
Der Erstbeschwerdeführer betreibt eine Cafeteria in einem Krankenhaus. Die Abgabenbehörde
Wien erhob von ihm durch Bescheid vom 6. Dezember 1996 gemäß den Wiener
Steuervorschriften Getränkesteuer in Höhe von 309 995 ATS für die Umsätze in der Zeit von
Januar 1992 bis Oktober 1996.
Die Zweitbeschwerdeführerin ist eine Weinhandelsgesellschaft, die eine Betriebsstätte in
Leonding in Oberösterreich hat. Die Gemeindebehörden erhoben von ihr für den Zeitraum vom
1. Dezember 1994 bis 31. März 1995 417 628 ATS Getränkesteuer.
Der Verwaltungsgerichtshof hat Zweifel, ob die Getränkesteuer mit der Sechsten Richtlinie und
der Verbrauchsteuerrichtlinie vereinbar ist. Er fragt sich außerdem, ob die Befreiung der
Direktverkäufe von Wein ab Hof von der Mehrwertsteuer eine mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbare Beihilfe darstellt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
Die erste Frage
Die erste Frage geht dahin, ob Artikel 33 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie der Beibehaltung
einer Abgabe wie der in den Ausgangsverfahren streitigen Getränkesteuer entgegensteht.
Der Gerichtshof führt aus, daß Artikel 33 der Sechsten Richtlinie der Beibehaltung oder
Einführung von Eintragungsgebühren oder von Steuern, Abgaben und Gebühren anderer Art
entgegensteht, wenn diese die wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer aufweisen.
Eine Abgabe wie die vom vorlegenden Gericht beschriebene ist keine allgemeine Steuer, da sie
nicht darauf abzielt, sämtliche Umsätze in dem beteiligten Mitgliedstaat zu erfassen. Wie sich
nämlich aus § 14 Absatz 1 Ziffer 8 FAG in Verbindung mit § 1 Wiener GStV und § 1 Oö GStG
ergibt, erfaßt diese Abgabe nur eine bestimmte Kategorie von Waren; sie wird nur auf die
entgeltliche Lieferung von Speiseeis einschließlich darin verarbeiteter oder dazu verabreichter
Früchte und von Getränken, jeweils einschließlich der mitverkauften Umschließung und des
mitverkauften Zubehörs, erhoben.
Somit brauchen die übrigen Merkmale der Getränkesteuer nicht geprüft zu werden. Auf die erste
Frage ist zu antworten, daß Artikel 33 der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Richtlinie
91/680 der Beibehaltung einer Abgabe wie der im Ausgangsverfahren streitigen Getränkesteuer
nicht entgegensteht.
Die zweite Frage
Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob Artikel 3 Absätze 2 und 3 der
Verbrauchsteuerrichtlinie der Beibehaltung einer Abgabe wie der zur entscheidungserheblichen
Zeit in Wien und Oberösterreich erhobenen Getränkesteuer entgegensteht.
Nach Auffassung des Gerichtshofes ist danach zu unterscheiden, ob die Getränkesteuer auf
alkoholfreie Getränke und Speiseeis oder auf alkoholische Getränke erhoben wird.
Zu einer Abgabe wie der Getränkesteuer, soweit diese auf alkoholfreie Getränke und Speiseeis
erhoben wird: Nach Artikel 3 Absatz 3 der Verbrauchsteuerrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten
Steuern auf andere als die in Absatz 1 genannten Waren oder auf Dienstleistungen, bei denen es
sich nicht um umsatzbezogene Steuern handelt, beibehalten, sofern diese Steuern im
Handelsverkehr zwischen Mitgliedstaaten keine mit dem Grenzübertritt verbundenen
Formalitäten nach sich ziehen.
Weder in den Ausgangsverfahren noch vor dem Gerichtshof ist behauptet worden, daß die auf
alkoholfreie Getränke und Speiseeis erhobenen Steuern dies täten. Sie sind deshalb mit Artikel 3
Absatz 3 der Verbrauchsteuerrichtlinie vereinbar.
Zu einer Abgabe wie der Getränkesteuer, soweit diese auf alkoholische Getränke erhoben wird:
Nach Artikel 3 Absatz 2 der Verbrauchsteuerrichtlinie dürfen auf die in Absatz 1 genannten
Waren (darunter alkoholische Getränke) indirekte Steuern, die keine Verbrauchsteuern sind,
erhoben werden, wenn sie eine oder mehrere besondere Zielsetzungen im Sinne dieser
Bestimmung verfolgen und die Besteuerungsgrundsätze der Verbrauchsteuern oder der
Mehrwertsteuer in bezug auf die Besteuerungsgrundlage sowie die Berechnung, die
Steuerentstehung und die steuerliche Überwachung beachten.
Nach dem Vorbringen der österreichischen Regierung besteht die besondere Zielsetzung der
Getränkesteuer in der Stärkung der finanziellen Gemeindeautonomie.
Die Stärkung der Gemeindeautonomie durch die Einräumung der Befugnis zur Steuererhebung
stellt jedoch eine rein fiskalische Zielsetzung dar, die als solche keine besondere Zielsetzung im
Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verbrauchsteuerrichtlinie darstellt.
Die österreichische Regierung trägt weiter vor, daß die Getränkesteuer der besonderen
Zielsetzung diene, die erheblichen finanziellen Belastungen der Gemeinden durch ihre
touristische Inanspruchnahme auszugleichen.
Jedoch gibt es keine Zweckwidmung der Getränkesteuer; auch besteht kein Zusammenhang mit
den touristischen Infrastrukturen oder der Entwicklung des Fremdenverkehrs, da die
Getränkesteuer unabhängig davon, wo die Getränke konsumiert werden, und somit auch an
Orten erhoben wird, an denen es keinen Fremdenverkehr gibt.
Die österreichische Regierung weist schließlich darauf hin, daß die Getränkesteuer dem
Gesundheitsschutz dienen solle, denn sie fördere den Genuß alkoholfreier Getränke, die einer
niedrigeren Steuer unterlägen als alkoholische Getränke.
Jedoch ist nach § 14 Absatz 1 Ziffer 8 FAG der Direktverkauf von Wein in Österreich von der
Getränkesteuer befreit. Daß diese Steuer die Verbraucher vom Genuß alkoholischer Getränke
abhalten und dem Gesundheitsschutz dienen soll, läßt sich somit bestreiten.
Zweitens ist zu prüfen, ob eine Abgabe wie die auf alkoholische Getränke erhobene Steuer die
Besteuerungsgrundsätze der Verbrauchsteuern oder der Mehrwertsteuer in bezug auf die
Besteuerungsgrundlage sowie die Berechnung, die Steuerentstehung und die steuerliche
Überwachung beachtet.
Allerdings weichen die verschiedenen Sprachfassungen des Artikels 3 Absatz 2 der
Verbrauchsteuerrichtlinie voneinander ab.
Demnach verlangt Artikel 3 Absatz 2 der Verbrauchsteuerrichtlinie von den Mitgliedstaaten
nicht die Beachtung des gesamten für die Verbrauchsteuern oder die Mehrwertsteuer geltenden
Steuerrechts in bezug auf die Besteuerungsgrundlage, die Berechnung und die Entstehung der
Steuer sowie die steuerliche Überwachung. Es reicht aus, wenn die indirekten Steuern mit
besonderer Zielsetzung unter diesen Aspekten einer dieser beiden Besteuerungstechniken, wie
sie im Gemeinschaftsrecht ausgestaltet sind, strukturell entsprechen.
Die Getränkesteuer entspricht strukturell dem für die Verbrauchsteuern auf alkoholische
Getränke geltenden Steuerrecht nicht. Sie wird anders berechnet als die Verbrauchsteuern: Ihr
Betrag wird aufgrund des Wertes der Ware, nicht aufgrund von deren Gewicht, Menge oder
Alkoholgehalt festgelegt. Außerdem entsteht sie · anders als die Verbrauchsteuer · erst auf der
Stufe des Verkaufs an den Endverbraucher, nicht bei der Überführung in den steuerrechtlich
freien Verkehr im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 der Verbrauchsteuerrichtline.
Die Getränkesteuer entspricht strukturell auch dem Mehrwertsteuerrecht nicht. Zwar verstößt sie
nicht gegen Artikel 33 der Sechsten Richtlinie; sie entspricht jedoch nicht den Grundsätzen der
Mehrwertsteuer in bezug auf die Berechnung und die Steuerentstehung. Denn da sie nur auf der
Stufe des Verkaufs an den Endverbraucher erhoben wird, wird sie nicht auf jeder Stufe der
Erzeugung und des Vertriebs erhoben; außerdem wird sie berechnet, ohne daß die Möglichkeit
des Vorsteuerabzugs bestünde.
Die dritte Frage
Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Befreiung des Ab-Hof-Verkaufs
von Wein von der Getränkesteuer eine Beihilfe darstellt, die mit dem Gemeinschaftsrecht
unvereinbar ist.
Die gestellte Frage ist für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten unerheblich, denn
diese betreffen die Verpflichtung der Beschwerdeführer zur Entrichtung von Getränkesteuer
aufgrund der entgeltlichen Lieferung von Getränken und Speiseeis, nicht dagegen die Frage, ob
die Befreiung der Ab-Hof-Verkäufe von dieser Steuer eine staatliche Beihilfe darstellt, die mit
dem EG-Vertrag unvereinbar ist.
Folglich ist die dritte Vorlagefrage nicht zu beantworten.
Zur zeitlichen Begrenzung der Wirkungen des Urteils
Die österreichische Regierung hat in ihren Erklärungen die Möglichkeit angesprochen, daß der
Gerichtshof die Wirkung dieses Urteils zeitlich begrenzen könnte, wenn er zu der Auffassung
kommen sollte, daß eine Abgabe wie die Getränkesteuer mit den einschlägigen Vorschriften des
Gemeinschaftsrechts unvereinbar sei.
Zur Begründung ihres Antrags macht die österreichische Regierung den Gerichtshof auf die
schwerwiegenden finanziellen Auswirkungen eines Urteils aufmerksam, das die Verpflichtung
zur Rückzahlung der bis jetzt rechtsgrundlos erhobenen Steuer aussprechen würde. Bei den
österreichischen Gemeinden würden dann nämlich unzählige Rückzahlungsanträge eingehen, die
sie nicht bearbeiten könnten. Eine Rückzahlung würde im übrigen durch die große Anzahl der
getätigten Umsätze erschwert, die in die Millionen gingen. Außerdem hätten die der
Getränkesteuer unterliegenden Lieferanten die Steuer im Rahmen ihrer Tätigkeit auf die
Verbraucher abgewälzt. Da diese nach dem Genuß eines Getränks oder dem Verzehr von
Speiseeis im allgemeinen keinen Zahlungsbeleg aufbewahrten, sei es unmöglich, ihnen die
Steuer zurückzuzahlen. Abschließend führt die österreichische Regierung unwidersprochen aus,
Vertreter der Kommission hätten ihr bei den Verhandlungen über den Beitritt der Republik
Österreich zur Europäischen Union versichert, daß die Getränkesteuer mit dem
Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.
Der Gerichtshof hält zunächst fest, daß Artikel 3 Absatz 2 der Verbrauchsteuerrichtlinie bislang
nicht Gegenstand eines Auslegungsurteils aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchen war;
auch durfte die österreichische Regierung aufgrund des Verhaltens der Kommission annehmen,
daß die Vorschriften über die Besteuerung alkoholischer Getränke mit dem Gemeinschaftsrecht
vereinbar waren.
Auf den in Rede stehenden Gesamtbetrag, das Fehlen von Zahlungsbelegen und die bedeutende
Anzahl geringfügiger Umsätze, bei denen es um kleine Beträge ging, braucht nicht eingegangen
zu werden. Zwingende Gründe der Rechtssicherheit schließen es nämlich aus, daß
Rechtsverhältnisse, die ihre Wirkungen in der Vergangenheit erschöpft haben, in Frage gestellt
werden, da dies das Finanzierungssystem der österreichischen Gemeinden rückwirkend in seinen
Grundlagen erschüttern würde.
Deshalb ist zu bestimmen, daß sich niemand auf Artikel 3 Absatz 2 der Verbrauchsteuerrichtlinie
berufen kann, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die
vor Erlaß dieses Urteils entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei
denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf
eingelegt.
Der Gerichtshof hat für Recht erkannt:
„1.
Artikel 33 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ·
Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem:
einheitliche
steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage in der Fassung der Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16.
Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur
Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen
steht der Beibehaltung einer Abgabe wie der im Ausgangsverfahren streitigen
Getränkesteuer, die auf die entgeltliche Lieferung von Speiseeis einschließlich darin
verarbeiteter oder dazu verabreichter Früchte und von Getränken, jeweils
einschließlich der mitverkauften Umschließung und des mitverkauften Zubehörs,
erhoben wird, nicht entgegen.
2.
Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das
allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle
verbrauchsteuerpflichtiger Waren steht der Beibehaltung einer auf alkoholfreie
Getränke und Speiseeis erhobenen Steuer wie der im Ausgangsverfahren streitigen
nicht entgegen. Artikel 3 Absatz 2 dieser Richtlinie steht jedoch der Beibehaltung einer
auf alkoholische Getränke erhobenen Steuer wie derjenigen entgegen, um die es im
Ausgangsverfahren geht.
3.
Niemand kann sich auf Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12 berufen, um Ansprüche
betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlaß dieses
Urteils entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er
hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf
eingelegt.”
Generalanwalt A. Saggio hat seine Schlußanträge in der Sitzung der Fünften Kammer vom
1. Juli 1999 vorgetragen.
Er hat dem Gerichtshof vorgeschlagen, wie folgt zu antworten:
„1.
Artikel 33 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ·
Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage
(77/388/EWG) steht der Beibehaltung einer Abgabe nicht entgegen, die auf die
entgeltliche Lieferung von Speiseeis einschließlich darin verarbeiteter oder dazu
verabreichter Früchte und von Getränken, jeweils einschließlich der mitverkauften
Umschließung und des mitverkauften Zubehörs, im Ausmaß von 10 v. H. des Entgelts bei
Speiseeis und alkoholhaltigen Getränken und von 5 v. H. des Entgelts bei alkoholfreien
Getränken erhoben wird.
2.
3.
a)
Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992
steht der Beibehaltung einer Abgabe entgegen, wie sie oben in Punkt 1
beschrieben ist.
b)
Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 2 steht der Beibehaltung der vorgenannten Abgabe
nicht entgegen, soweit diese alkoholfreie Getränke und Speiseeis belastet.
Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) steht einer
nationalen Regelung entgegen, nach der der Ab-Hof-Verkauf von Wein von der
Getränkesteuer befreit ist.”
Rs. C-355/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Königreich Belgien
Freizügigkeit
9. März 2000
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats · Freizügigkeit der Arbeitnehmer ·
Niederlassungsfreiheit · Dienstleistungsfreiheit · Bewachungs- und Sicherheitsdienste ·
Erfordernis einer vorherigen Genehmigung · Verpflichtung juristischer Personen, eine
betriebliche Niederlassung im Inland zu haben · Verpflichtung der Führungskräfte und
Arbeitnehmer, im Inland zu wohnen · Erfordernis eines Ausweises nach nationalem Recht”
(Fünfte Kammer)
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 29. September
1998 beim Gerichtshof eingegangen ist, Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich
Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 48, 52 und 59 EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 39 EG, 43 EG und 49 EG) verstoßen hat, daß es im Rahmen des Gesetzes
vom 10. April 1990 über Bewachungsunternehmen, Sicherheitsunternehmen und interne
Bewachungsdienste Vorschriften erlassen hat, nach denen
a)
der Betrieb eines unter dieses Gesetz fallenden Unternehmens von einer vorherigen
Genehmigung abhängig ist, die bestimmten Voraussetzungen unterliegt, nämlich
·
der Verpflichtung des Bewachungsunternehmens, eine Betriebsniederlassung in
Belgien zu haben,
·
der Verpflichtung der Personen, die
mit der tatsächlichen Leitung eines Bewachungsunternehmens oder eines internen
Bewachungsdienstes betraut sind
oder
·
in einem solchen Unternehmen oder für dessen Rechnung arbeiten oder bei
dessen Tätigkeiten eingesetzt werden, mit Ausnahme von Bediensteten, die intern
für administrative oder logistische Zwecke verwendet werden,
ihren Wohnsitz oder hilfsweise ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Belgien zu haben,
·
b)
der Verpflichtung eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen
Unternehmens, ungeachtet der von dem Unternehmen bereits für die Ausübung
seiner Tätigkeit im Mitgliedstaat der Niederlassung erbrachten Nachweise und
Sicherheiten eine Genehmigung einzuholen,
für jede Person, die in Belgien eine Bewachungstätigkeit ausüben oder einen internen
Bewachungsdienst wahrnehmen möchte, die Erteilung eines Ausweises nach diesem
Gesetz erforderlich ist.
Im Hinblick auf die Vorschriften des Gesetzes in seiner bei Ablauf der in der mit Gründen
versehenen Stellungnahme gesetzten Frist geltenden Fassung, die Gegenstand der vorliegenden
Klage sind, bestreitet die belgische Regierung nicht, daß diese die Freizügigkeit der
Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr beschränken.
Sie macht jedoch geltend, diese Maßnahmen seien gerechtfertigt.
Vorab ist festzustellen, daß die in Artikel 55 Absatz 1 des Vertrages, gegebenenfalls in
Verbindung mit Artikel 66 des Vertrages, vorgesehene Ausnahmeregelung hier keine
Anwendung finden kann.
Nach ständiger Rechtsprechung muß sich diese Ausnahmeregelung nämlich auf Tätigkeiten
beschränken, die als solche eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung
öffentlicher Gewalt darstellen.
Die Tätigkeit der Bewachungs- oder Sicherheitsunternehmen und der internen
Bewachungsdienste stellt normalerweise keine direkte und spezifische Beteiligung an der
Ausübung der öffentlichen Gewalt dar, und die belgische Regierung hat keine Anhaltspunkte
dargetan, aus denen sich etwas anderes ergeben könnte.
Zur Verpflichtung, die Betriebsniederlassung in Belgien zu haben
Das Erfordernis, daß ein Bewachungsunternehmen seine Betriebsniederlassung in Belgien haben
muß, läuft dem freien Dienstleistungsverkehr direkt zuwider, da es die Erbringung von
Dienstleistungen in Belgien durch in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Unternehmen
unmöglich macht.
Das Argument der belgischen Regierung, jedes Bewachungsunternehmen könne eine
tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellen, die ein Grundinteresse der
Gesellschaft, nämlich die öffentliche Sicherheit und Ordnung, berühre, ist offensichtlich
unbegründet und jedenfalls nicht belegt; es kann daher die Beschränkung des freien
Dienstleistungsverkehrs, die sich aus der Verpflichtung der ein solches Unternehmen
betreibenden Gesellschaften ergibt, ihre Betriebsniederlassung in Belgien zu haben, nicht
rechtfertigen.
Zum Wohnsitzerfordernis
Das den Führungskräften und dem Personal der Bewachungsunternehmen und internen
Bewachungsdienste mit Ausnahme der Bediensteten, die für administrative oder logistische
Zwecke verwendet werden, auferlegte Wohnsitzerfordernis behindert sowohl die
Niederlassungsfreiheit als auch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Dieses Erfordernis kann nicht durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Vergangenheit
und das Verhalten der Betreffenden zu prüfen.
Dem Erfordernis, Informationen über das Verhalten der Führungskräfte und des Personals zu
erlangen, kann nämlich durch Maßnahmen Genüge getan werden, die die Freizügigkeit weniger
einschränken, gegebenenfalls durch eine Zusammenarbeit der Behörden der Mitgliedstaaten.
Überdies kann jedes in einem Mitgliedstaat niedergelassene Unternehmen unabhängig vom
Wohnsitz seiner Führungskräfte kontrolliert und Sanktionen unterworfen werden.
Zum Erfordernis einer vorherigen Genehmigung oder Zulassung
Nach ständiger Rechtsprechung stellt eine nationale Regelung, die die Erbringung bestimmter
Dienstleistungen durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen im
Inland von der Erteilung einer behördlichen Erlaubnis abhängig macht, eine Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Artikel 59 des Vertrages dar.
Im Zusammenhang mit dem besonderen Charakter der Tätigkeiten der Bewachungs- und
Sicherheitsdienste sowie der fehlenden Regelung auf Gemeinschaftsebene und in den meisten
Mitgliedstaaten, auf die sich die belgische Regierung beruft, um dieses Erfordernis zu
rechtfertigen, ist festzustellen, daß das Gesetz jedenfalls über das hinausgeht, was zur Erreichung
des verfolgten Zwecks, eine strikte Kontrolle dieser Tätigkeiten sicherzustellen, erforderlich ist.
Indem es verlangt, daß alle Unternehmen dieselben Voraussetzungen erfüllen, um eine vorherige
Genehmigung oder Zulassung zu erhalten, macht es das belgische Recht jedoch unmöglich, den
Verpflichtungen Rechnung zu tragen, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt,
in dem er ansässig ist.
Zum Ausweiserfordernis
Das Erfordernis, daß jeder Mitarbeiter eines Bewachungsunternehmens oder eines internen
Bewachungsdienstes im Besitz eines vom belgischen Innenminister ausgestellten Ausweises sein
muß, ist ebenfalls als Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs anzusehen. Die mit der
Erteilung eines solchen Ausweises verbundenen Formalitäten können die Erbringung
grenzüberschreitender Dienstleistungen nämlich verteuern.
Im übrigen muß ein Dienstleistender, der sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, im Besitz
eines Ausweises oder Reisepasses sein. Folglich steht das Erfordernis eines zusätzlichen, vom
belgischen Innenminister erteilten Ausweises außer Verhältnis zu der Notwendigkeit, die
Feststellung der Identität der Betreffenden zu gewährleisten.
Der Gerichtshof hat für Recht erkannt und entschieden:
„1.
Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 48,
52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG, 43 EG und 49 EG)
verstoßen, daß es im Rahmen des Gesetzes vom 10. April 1990 über
Bewachungsunternehmen, Sicherheitsunternehmen und interne Bewachungsdienste
Vorschriften erlassen hat, nach denen
a)
der Betrieb eines unter dieses Gesetz fallenden Unternehmens von einer
vorherigen Genehmigung abhängig ist, die bestimmten Voraussetzungen
unterliegt, nämlich
·
der Verpflichtung des Bewachungsunternehmens, eine Betriebsniederlassung
in Belgien zu haben,
·
der Verpflichtung der Personen, die
mit der tatsächlichen Leitung eines Bewachungsunternehmens oder eines
internen Bewachungsdienstes betraut sind oder
·
in einem solchen Unternehmen oder für dessen Rechnung arbeiten oder bei
dessen Tätigkeiten eingesetzt werden, mit Ausnahme von Bediensteten, die
intern für administrative oder logistische Zwecke verwendet werden,
ihren Wohnsitz oder hilfsweise ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Belgien zu haben,
2
·
der Verpflichtung eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen
Unternehmens, ungeachtet der von dem Unternehmen bereits für die Ausübung
seiner Tätigkeit im Mitgliedstaat der Niederlassung erbrachten Nachweise und
Sicherheiten eine Genehmigung einzuholen,
b)
für jede Person, die in Belgien eine Bewachungstätigkeit ausüben oder einen
internen Bewachungsdienst wahrnehmen möchte, die Erteilung eines
Ausweises nach diesem Gesetz erforderlich ist.
Das Königreich Belgien trägt die Kosten des Verfahrens.”
Generalanwalt F. G. Jacobs hat seine Schlußanträge in der Sitzung der Fünften Kammer
vom 16. September 1999 vorgetragen.
Er hat dem Gerichtshof vorgeschlagen,
„1.
festzustellen, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den
Artikeln 48, 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG, 43 EG und 49
EG) verstoßen hat, daß es das Gesetz vom 10. April 1990 über Bewachungsunternehmen,
Sicherheitsunternehmen und interne Bewachungsdienste insoweit beibehalten hat, als es
eine Regelung trifft, wonach Bewachungsunternehmen ihre Betriebsniederlassung in
Belgien haben müssen, zumindest die Führungskräfte und das Sicherheitspersonal ihren
gewöhnlichen Wohnsitz in Belgien haben müssen, für alle Arten von
Bewachungsdiensten eine vorherige Zulassung einzuholen ist und das in Belgien
beschäftigte Sicherheitspersonal im Besitz eines von den belgischen Behörden
ausgestellten Ausweises sein muß;
2.
dem Königreich Belgien die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.”
Gericht
Rs. T-10/99
Miguel Vicente Nuñez / Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Beamtenstatut
9. März 2000
„Beamte · Beförderung · Abwägung der Verdienste · Verzeichnis der aufgrund ihrer Verdienste
in Betracht kommenden Beamten · Verzeichnis der beförderten Beamten · Beurteilung ·
Unzureichende Begründung”
(Dritte Kammer)
Rs. T-29/97
Alain Libéros / Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Beamtenstatut
9. März 2000
„Bediensteter auf Zeit · Einstufung in die Besoldungsgruppe · Berufserfahrung”
(Einzelrichter)
2.
SCHLUSSANTRÄGE
Rs. C-371/98
The Queen / Secretary of State for the Environment, Transport and the Regions, ex parte:
First Corporate Shipping Ltd
Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice (Queen's Bench Division) · Auslegung
der Artikel 2 Absatz 3 und 4 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur
Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen ·
Begrenzung der besonderen Schutzgebiete · Ermessen der Mitgliedstaaten · Wirtschaftliche,
gesellschaftliche und kulturelle Erwägungen · Severn Estuary
Generalanwalt P. Léger hat seine Schlußanträge in der Sitzung des Gerichtshofes vom 7.
März 2000 vorgetragen.
Er hat dem Gerichtshof vorgeschlagen, wie folgt zu antworten:
„Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der
natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen verbietet es, daß ein
Mitgliedstaat, wenn er nach Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie darüber entscheidet, welche
Gebiete er der Kommission vorschlagen soll, oder wenn er die Grenzen dieser Gebiete festlegt,
den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen
Besonderheiten Rechnung trägt.”
Rs. C-448/98
Ministère public / Jean-Pierre Guimont
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de police Belley · Auslegung der Artikel 3a und 30 ff.
EG-Vertrag (jetzt Artikel 3 EG, 28 ff. EG) im Hinblick auf eine nationale Regelung, die die
Herstellung und Vermarktung eines Käses ohne Rinde unter der Bezeichnung „Emmentaler”
verbietet
Generalanwalt A. Saggio hat seine Schlußanträge in der Sitzung des Gerichtshofes vom 9.
März 2000 vorgetragen.
Die Schlußanträge sind in Italienisch vorgetragen worden.
Die deutsche Fassung ist noch nicht verfügbar.
Rs. C-261/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Portugiesische Republik
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats · Richtlinie 76/464/EWG des Rates vom 4. Mai 1976
betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die
Gewässer der Gemeinschaft · Nichterlaß der in Artikel 7 der Richtlinie für die Stoffe der Liste II
vorgesehenen Programme
Generalanwalt A. Saggio hat seine Schlußanträge in der Sitzung der Zweiten Kammer vom
9. März 2000 vorgetragen.
Er hat dem Gerichtshof vorgeschlagen, wie folgt zu entscheiden:
„1.
Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 7 der
Richtlinie 76/464/EWG des Rates vom 4. Mai 1976 betreffend die Verschmutzung
infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft
verstoßen, daß sie weder die Programme zur Verringerung der Verschmutzung
einschließlich der Qualitätsziele hinsichtlich bestimmter Stoffe erlassen noch
angemessene Fristen für deren Durchführung festgelegt oder zumindest der Kommission
nicht in zusammenfassenden Übersichten mitgeteilt hat.
2.
Die Portugiesische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.”
Rs. C-412/98
Société Group Josi Reinsurance Company SA / Compagnie d'assurances Universal General
Insurance Company (UGIC)
Vorabentscheidungsersuchen der Cour d'Appel Versailles · Auslegung der Artikel 2, 3 und 5 des
Brüsseler Übereinkommens · Persönlicher Anwendungsbereich · Kläger, der nicht in einem
Vertragsstaat ansässig ist (Kanada) · Beklagter der seine Niederlassung in einem Vertragsstaat
hat · Auslegung der Artikel 7 ff. des Brüsseler Übereinkommens · Zuständigkeit in
Versicherungssachen · Einschluß der Rückversicherung oder nicht
Generalanwalt N. Fennelly hat seine Schlußanträge in der Sitzung der Sechsten Kammer
vom 9. März 2000 vorgetragen.
Er hat dem Gerichtshof vorgeschlagen, wie folgt zu antworten:
„1.
Das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und
die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der
geänderten Fassung gilt für alle Klagen in Zivil- oder Handelssachen, die, unabhängig
von dem Ort, an dem der Kläger ansässig ist, im Gebiet eines Vertragsstaats gegen einen
Beklagten erhoben wird, der im Gebiet dieses Staates oder im Gebiet eines anderen
Vertragsstaats ansässig ist.
2.
Die besonderen Zuständigkeitsregeln für Versicherungssachen nach Titel II Abschnitt 3
des Brüsseler Übereinkommens in der geänderten Fassung sind nicht im Bereich der
Rückversicherung anwendbar.”
3.
NEUE RECHTSSACHEN
Gerichtshof
Rs. C-512/99
Deutschland / Kommission
Nichtigerklärung der Entscheidung K (1999) 3490 endg. der Kommission vom 26. Oktober
1999, mit der die von Deutschland mitgeteilten einzelstaatlichen Bestimmungen für
Mineralwolle in Abweichung von der Richtlinie 97/69/EG der Kommission vom 5. Dezember
1997 zur dreiundzwanzigsten Anpassung der Richtlinie 67/548/EWG des Rates zur Angleichung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung
gefährlicher Stoffe an den technischen Fortschritt abgelehnt wurden · „Neue wissenschaftliche
Erkenntnisse” und „Spezifisches Problem für diesen Mitgliedstaat” (Artikel 95 Absatz 5 EG)
Rs. C-513/99
Stagecoach Finland / Helsingin kaupunki und HKL-Bussiliikenne
Vorabentscheidungsersuchen des Korkein Hallinto-oikeus · Auslegung der Artikel 2 Absätze 1,
2 und 4 sowie 34 Absatz 1 der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur
Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und
Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor und des Artikels 36 Absatz 1 der
Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur
Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge · Anwendungsbereich der Richtlinien: Gemeinde,
die die Busverkehrsdienste organisiert und eine Ausschreibung durchführt, an der eine
wirtschaftlich selbständige kommunale Abteilung als Bieter teilnimmt · Berücksichtigung von
Umweltschutzkriterien für die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots · Zulässigkeit,
wenn die als Bieter auftretende kommunale Abteilung diese Kriterien leichter erfüllt
Rs. C-514/99
Frankreich / Kommission
Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission, mit der diese sich geweigert hat, ihre
Entscheidung 1999/514/EG der Kommission vom 23. Juli 1999 zur Festsetzung des Datums, an
dem die Versendung von Rindfleischerzeugnissen aus dem Vereinigten Königreich im Rahmen
der datumsgestützten Ausfuhrregelung (Data-Based Export Scheme) gemäß Artikel 6 Absatz 5
der Entscheidung 98/256/EG des Rates aufgenommen werden darf, zu ändern oder aufzuheben ·
Entscheidung, die durch die Erklärung eines Kommissionsmitglieds und dann durch eine an
einen Mitgliedstaat gerichtete Aufforderung zur Äußerung bekanntgemacht wird ·
Vorsichtsprinzip auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit · Beurteilung von Risiken ·
Unzureichende Begründung
Verb. Rs. C-515/99 und C-527/99 bis C-540/99
Hans
Reisch
u.
a.
/
Bürgermeister
Grundverkehrsbeauftragter des Landes Salzburg
der
Landeshauptstadt
Salzburg,
Vorabentscheidungsersuchen des Unabhängigen Verwaltungssenats Salzburg · Auslegung der
Artikel 73b ff. EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 ff. EG) · Nationale Rechtsvorschriften, nach denen
der Erwerb von Immobilien von einer Erklärung über die Nichtnutzung als Zweitwohnung und
der Bestätigung dieser Erklärung durch die zuständige Behörde abhängig gemacht wird ·
Versteckte diskriminierende Genehmigung
Rs. C-516/99
Walter Schmid / Finanzamt für den 9., 18. und 19. Bezirk in Wien
Vorabentscheidungsersuchen des Berufungssenats der Finanzlandesdirektion für Wien,
Niederösterreich und Burgenland · Auslegung der Artikel 73b und 73d EG-Vertrag (jetzt Artikel
56 und 58 EG) · Nationale Rechtsvorschriften über die Endbesteuerung für Dividenden ·
Anwendung eines Satzes von 25 % mit Befreiungswirkung für Dividenden inländischer Herkunft
und eines Satzes von bis zu 50 % ohne Befreiungswirkung für Dividenden ausländischer
Herkunft
Rs. C-517/99
Merz & Krell GmbH & Co / Deutsches Patentamt
Vorabentscheidungsersuchen des Bundespatentgerichts · Auslegung des Artikels 3 Absatz 1
Buchstabe d der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken · Marken, die
ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in
den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten üblich sind · Frage der Erforderlichkeit
eines unmittelbaren Bezuges dieser Zeichen oder Angaben zu den betreffenden Waren
Rs. C-518/99
Richard Gaillard / Alaya Chekili
Vorabentscheidungsersuchen der Cour d'appel Brüssel · Auslegung von Artikel 16 Nummer 1
Buchstabe a des Brüsseler Übereinkommens · Begriff „Klagen, welche dingliche Rechte an
unbeweglichen Sachen ... zum Gegenstand haben” · Klage auf Auflösung eines Kaufvertrags
über eine unbewegliche Sache und auf Schadensersatz aufgrund dieser Auflösung
Rs. C-519/99 bis C-526/99
Anton Lassacher, Anton Schäfer u. a. / Grundverkehrsbeauftragter des Landes Salzburg,
Grundverkehrslandeskommission des Landes Salzburg
Siehe Rechtssache C-515/99
Verb. Rs. C-541/99 und C-542/99
Cape Snc / Idealservice Srl
Idealservice MN RE Sas / O.M.A.I. Srl
Vorabentscheidungsersuchen des Ufficio del Giudice di Pace Viadana · Auslegung des Artikels
2 Buchstabe b der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche
Klauseln in Verbraucherverträgen · Begriff des Verbrauchers · Unternehmen, das mit einem
anderen Unternehmen einen Standardvertrag über den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen
zum ausschließlichen Nutzen seiner Mitarbeiter schließt
Rs. C-1/00
Kommission / Frankreich
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats · Artikel 28 und 10 EG-Vertrag · Weigerung, die
erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der Entscheidung 98/256/EG des Rates vom 16. März
1998 mit Dringlichkeitsmaßnahmen zum Schutz gegen die spongiforme Rinderenzephalopathie
sowie zur Änderung der Entscheidung 94/474/EG und zur Aufhebung der Entscheidung
96/239/EG und der Entscheidung 1999/514/EG der Kommission vom 23. Juli 1999 zur
Festsetzung des Datums, an dem die Versendung von Rindfleischerzeugnissen aus dem
Vereinigten Königreich im Rahmen der datumsgestützten Ausfuhrregelung (Data-Based Export
Scheme) gemäß Artikel 6 Absatz 5 der Entscheidung 98/256/EG des Rates aufgenommen
werden darf, nachzukommen
Rs. C-2/00
Michael Hölterhoff / Ulrich Freiesleben
Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf · Auslegung des Artikels 5
Absatz 1 Satz 2 Buchstaben a und b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.
Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ·
Benutzung der Marke, die von deren Inhaber verboten werden kann · Benutzung zur
Kennzeichnung der besonderen Eigenschaften der Ware (außer deren Herkunft aus einem
bestimmten Unternehmen)
Rs. C-3/00
Dänemark / Kommission
Nichtigerklärung der Entscheidung K(1999) 3416 der Kommission, mit der diese es ablehnte,
von der Richtlinie 95/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 1995
über andere Lebensmittelzusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel abweichende
einzelstaatliche Bestimmungen zu billigen · Artikel 100a Absatz 4 EG-Vertrag (nach Änderung
jetzt Artikel 95 EG) · Voraussetzungen für die Beibehaltung einzelstaatlicher Bestimmungen, die
von einer Harmonisierungsmaßnahme abweichen und mit dem Schutz der Gesundheit begründet
werden
Rs. C-4/00
Kommission / Frankreich
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats · Artikel 52 und 58 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt
Artikel 43 und 48 EG) · Voraussetzungen, unter denen einem Handelsschiff das Recht zum
Führen der französischen Flagge gewährt wird · Staatsangehörigkeitserfordernisse für die
Inhaber des Gesellschaftskapitals und die Geschäftsführer
4.
MITTEILUNG
BEITRAG
DES
GERICHTSHOFES
REGIERUNGSKONFERENZ
UND
DES
GERICHTS
ZUR
Der Gerichtshof und das Gericht möchten die Mitgliedstaaten und die Organe darauf
aufmerksam machen, welche Bedeutung es hat, daß die Regierungskonferenz einige Änderungen
der Verträge beschließt, damit das Gerichtssystem der Europäischen Union die ihm übertragene
Aufgabe weiterhin unter zufriedenstellenden Bedingungen erfüllen kann.
Das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Gerichtssystems hängt nicht nur von der
Mitgliederzahl beider Gerichte, sondern auch davon ab, welche Möglichkeiten ihnen zur
Verfügung stehen, um sich der Entwicklung ihrer Tätigkeit anzupassen. Das vorliegende
Dokument, in dem die Frage der Besetzung der Gerichte bewußt ausgeklammert wird,
konzentriert sich auf die Zuständigkeits- und Verfahrensregeln in den Verträgen, die nach
Ansicht des Organs geändert werden sollten.
Zur Analyse der gegenwärtigen Situation verweisen der Gerichtshof und das Gericht auf
ihr Reflexionspapier vom Mai 1999 über die Zukunft des Gerichtssystems der
Europäischen Union und stellen fest, daß sich die dort geschilderten Tendenzen seitdem
bestätigt haben. Sie beschränken sich mit dem vorliegenden Beitrag darauf, Vorschläge
zur Änderung des EG-Vertrags zu unterbreiten, die ihres Erachtens vorrangig in Betracht
gezogen werden müssen.
Der Gerichtshof und das Gericht verkennen die Bedeutung anderer Vorschläge nicht, wie
sie u. a. im Bericht der Reflexionsgruppe über die Zukunft des Gerichtssystems der
Europäischen Gemeinschaften enthalten sind, der der Kommission im Januar 2000
übergeben wurde. Sie sehen die Vorschläge im vorliegenden Beitrag nicht als Ergebnis
der · noch nicht abgeschlossenen · Reflexion über die künftige Gemeinschaftsjustiz,
sondern als Mindestmaßnahmen, die dem Organ die nötige Flexibilität verschaffen
sollen, damit es sich unverzüglich seinen zunehmenden und immer vielfältigeren
Aufgaben anpassen kann.
I
ERLÄUTERUNG DER VOM GERICHTSHOF UND VOM
VORGESCHLAGENEN ÄNDERUNGEN DES EG-VERTRAGS
GERICHT
Im Kapitel III ihres Reflexionspapiers über die Zukunft des Gerichtssystems der
Europäischen Union, das dem Rat am 10. Mai 1999 übermittelt wurde, haben der
Gerichtshof und das Gericht einige Änderungen aufgezählt, die das Gefüge der
Gemeinschaftsgerichtsbarkeit nicht berühren und deshalb rasch beschlossen werden
könnten, die aber eine Änderung der Vertragsbestimmungen voraussetzen. Die hierzu
gemachten Vorschläge betrafen die Einräumung der Befugnis für den Gerichtshof und
das Gericht erster Instanz, selbst ihre Verfahrensordnung zu ändern, die Einführung eines
Systems zur Filterung der Rechtsmittel gegen die Urteile des Gerichts und eine
Anpassung der Art und Weise der Behandlung von Streitigkeiten im Bereich des
öffentlichen Dienstes der Gemeinschaft.
Die folgenden Ausführungen betreffen die Umsetzung dieser drei Vorschläge in Form
von Änderungen des EG-Vertrags.
Einbezogen sind ferner zwei Empfehlungen im Bericht der von der Kommission
eingesetzten Reflexionsgruppe, denen der Gerichtshof und das Gericht zugestimmt
haben. Erstens soll die Möglichkeit geschaffen werden, daß der Rat zu gegebener Zeit für
bestimmte „besondere Streitsachen” gemäß dem in Artikel 225 Absatz 2 beschriebenen
Verfahren einstimmig beschließt, dem Gericht die Zuständigkeit zur Beantwortung von
Vorabentscheidungsersuchen zu übertragen. Der zweite Vorschlag geht dahin, in
Bereichen wie dem des gewerblichen und kommerziellen Eigentums · ebenso wie bei
Streitigkeiten im Bereich des öffentlichen Dienstes der Gemeinschaft ·
Beschwerdekammern einzurichten, die in einem gerichtsförmigen Verfahren über
Streitigkeiten entscheiden, bevor der Gerichtshof · und zuerst das Gericht · angerufen
werden kann.
1.
Verfahren zur Änderung der Verfahrensordnungen
Das Erfordernis einer einstimmigen Genehmigung des Rates für jede Änderung der
Verfahrensordnungen des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz kann in einer
erweiterten Union zu einer Rigidität führen, die der erforderlichen Anpassung der
Gerichte an ihre neuen Aufgaben abträglich ist; einer solchen Rigidität bedarf es um so
weniger, als der Großteil der institutionell oder politisch besonders wichtigen
Verfahrensbestimmungen in der Satzung enthalten ist. Im übrigen ist darauf hinzuweisen,
daß andere Gerichte wie der Internationale Gerichtshof oder der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte ihre Verfahrensordnung selbst erlassen.
Aus diesen Gründen schlagen der Gerichtshof und das Gericht in erster Linie vor, am
Ende von Artikel 245 Absatz 3 und am Ende von Artikel 225 Absatz 4 den Satz „Sie
bedarf der einstimmigen Genehmigung des Rates” zu streichen.
Hilfsweise könnte der gestrichene Satz in beiden Artikeln durch den Satz „Sie bedarf der
Genehmigung des Rates” oder den Satz „Sie bedarf der mit qualifizierter Mehrheit
erteilten Genehmigung des Rates” ersetzt werden.
Neben dieser Maßnahme könnten gegebenenfalls diejenigen Verfahrensregeln, für die
nach Ansicht der Organe oder der Mitgliedstaaten die Befugnis des Rates zu
einstimmiger Genehmigung erhalten bleiben sollte, in Titel III der Satzung aufgenommen
werden, soweit sie dort nicht bereits ihren Platz haben.
2.
Filterung der Rechtsmittel
Der Vorschlag des Gerichtshofes und des Gerichts soll es dem Gerichtshof ermöglichen,
in bestimmten Fällen die Einlegung eines Rechtsmittels beim Gerichtshof gegen
Entscheidungen des Gerichts einzuschränken. Dies würde vor allem dann gelten, wenn
die Rechtssache · wie bei der Gemeinschaftsmarke oder in dienstrechtlichen
Streitigkeiten, falls der Vorschlag unter Punkt 4 angenommen wird · bereits von einer
Beschwerdekammer rechtlich gewürdigt und anschließend vom Gericht geprüft wurde.
Die Änderung bestünde darin, im ersten Satz von Artikel 225 Absatz 1 die Worte „und
gegen dessen Entscheidungen ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim
Gerichtshof nach Maßgabe der Satzung eingelegt werden kann” zu streichen und am
Ende des Absatzes einen neuen Satz anzufügen, in dem es heißt, daß gegen die
Entscheidungen des Gerichts erster Instanz innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der
Bedingungen der Satzung ein Rechtsmittel eingelegt werden kann.
Mit dieser Formulierung würde grundsätzlich am Recht zur Einlegung eines
Rechtsmittels festgehalten und dem Rat zugleich die Möglichkeit gegeben, auf Antrag
des Gerichtshofes und nach Anhörung des Parlaments und der Kommission einstimmig
durch Änderung des Titels IV der Satzung festzulegen, für welche Arten von
Rechtssachen eine Filterung der Rechtsmittel eingeführt werden könnte.
3.
Möglichkeit der Übertragung von Zuständigkeiten im Bereich der
Vorabentscheidungen auf das Gericht
Der Änderungsvorschlag würde es ermöglichen, das Gericht bei Bedarf durch Änderung
der Satzung mit der Beantwortung von Vorabentscheidungsersuchen zu betrauen, die von
nationalen Gerichten in bestimmten, genau umrissenen Rechtsgebieten vorgelegt werden,
in denen das Gemeinschaftsinteresse keine ausschließliche Entscheidungsbefugnis des
Gerichtshofes gebietet.
Gegen die vom Gericht aufgrund dieser Zuständigkeit getroffenen Entscheidungen kann
es kein Rechtsmittel geben, da dies das Vorabentscheidungsverfahren übermäßig
verlängern würde. Unter noch festzulegenden Voraussetzungen müßte der Gerichtshof
jedoch in die Lage versetzt werden, die Vorabentscheidung des Gerichts in den ·
definitionsgemäß seltenen · Fällen zu überprüfen, in denen sich eine solche
Überprüfung zur Wahrung der Einheit und der Kohärenz des Gemeinschaftsrechts als
erforderlich erweisen würde.
4.
Anpassung der
Streitigkeiten
Art
und
Weise
der
Behandlung
dienstrechtlicher
Um eine bessere Nutzung der Ressourcen des Gerichts zu ermöglichen und die Zahl der
beim Gerichtshof eingelegten Rechtsmittel zu begrenzen, ist vorgeschlagen worden, daß
Streitigkeiten zwischen der Gemeinschaft und ihren Bediensteten einer zur rechtlichen
Würdigung der Streitfragen ermächtigten Beschwerdekammer unterbreitet werden
müssen, bevor sie dem Gericht vorgelegt werden können.
Diese Kammer müßte · wie die von der Kommission eingesetzte Arbeitsgruppe
vorgeschlagen hat · gerichtlichen Charakter haben, um den betroffenen Bediensteten die
nötigen Verfahrensgarantien zu bieten. Dies würde es erlauben, die Einlegung von
Rechtsmitteln beim Gerichtshof gegen die vom Gericht de facto in zweiter Instanz
gefällten Urteile einzuschränken.
Der gerichtliche Charakter der Beschwerdekammer sollte sie nicht daran hindern, auch
eine schlichtende Funktion auszuüben.
5.
Möglichkeit der Einrichtung
gerichtlichem Charakter
weiterer
Beschwerdekammern
mit
Da eine Rechtsgrundlage im Vertrag fehlt, ist es gegenwärtig problematisch, im Wege
des Sekundärrechts Stellen einzurichten, die Streitigkeiten in einem gerichtsförmigen
Verfahren behandeln können. Für solche Stellen ist aber insbesondere im Bereich der
gewerblichen Schutzrechte ein Bedarf bereits vorhanden oder absehbar, wie der Bericht
der von der Kommission eingesetzten Reflexionsgruppe zeigt. Die Unsicherheit über den
Status dieser Stellen wäre der Klarheit abträglich, die hinsichtlich der Einlegung von
Rechtsmitteln gegen ihre Entscheidungen nötig ist.
Es wird vorgeschlagen, die erforderliche Rechtsgrundlage in Form eines neuen Absatzes
von Artikel 236 in den Vertrag einzufügen, während in Artikel 236 Absatz 1 speziell die
Übertragung der Zuständigkeit für dienstrechtliche Streitigkeiten auf eine
Beschwerdekammer geregelt werden sollte.
II
GEÄNDERTER WORTLAUT DER VON
BETROFFENEN ARTIKEL DES VERTRAGES
DIESEN
VORSCHLÄGEN
ARTIKEL 225
(1)
Dem Gerichtshof wird ein Gericht beigeordnet, das für Entscheidungen über die nach
Absatz 3 festgelegten Gruppen von Klagen im ersten Rechtszug zuständig ist. Gegen die
Entscheidungen des Gerichts erster Instanz über solche Klagen kann innerhalb der
Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen, die gemäß dem Verfahren des Absatzes 3
in der Satzung festzulegen sind, ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim
Gerichtshof eingelegt werden.
(2)
Das Gericht erster Instanz kann in bestimmten Bereichen, die nach Maßgabe der
Bedingungen des Absatzes 3 festzulegen sind, auch mit Vorabentscheidungen nach
Artikel 234 betraut werden. Die Vorabentscheidungen des Gerichts erster Instanz können
vom Gerichtshof innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen, die gemäß
dem Verfahren des Absatzes 3 in der Satzung festzulegen sind, überprüft werden, wenn
der Gerichtshof dies zur Wahrung der Einheit und der Kohärenz des Gemeinschaftsrechts
für erforderlich hält.
(3)
Auf Antrag des Gerichtshofes und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der
Kommission legt der Rat einstimmig die Gruppen von Klagen im Sinne des Absatzes 1,
die Liste der Bereiche im Sinne des Absatzes 2 und die Zusammensetzung des Gerichts
erster Instanz fest und beschließt die Anpassungen und ergänzenden Bestimmungen, die
in bezug auf die Satzung des Gerichtshofes notwendig werden. Wenn der Rat nichts
anderes beschließt, finden die den Gerichtshof betreffenden Bestimmungen dieses
Vertrags und insbesondere die Bestimmungen des Protokolls über die Satzung des
Gerichtshofes auf das Gericht erster Instanz Anwendung.
(4)
Zu Mitgliedern des Gerichts erster Instanz sind Personen auszuwählen, die jede Gewähr
für Unabhängigkeit bieten und über die Befähigung zur Ausübung richterlicher
Tätigkeiten verfügen; sie werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im
gegenseitigen Einvernehmen für sechs Jahre ernannt. Alle drei Jahre wird das Gericht
teilweise neu besetzt. Die Wiederernennung ausscheidender Mitglieder ist zulässig.
(5)
Das Gericht erster Instanz erläßt seine Verfahrensordnung im Einvernehmen mit dem
Gerichtshof. [Sie bedarf der Genehmigung des Rates.] [Sie bedarf der mit qualifizierter
Mehrheit erteilten Genehmigung des Rates.]
ARTIKEL 236
(1)
Eine Beschwerdekammer, deren Besetzung und Arbeitsweise der Rat nach Maßgabe der
in Artikel 283 vorgesehenen Bedingungen festlegt, ist für Streitsachen zwischen der
Gemeinschaft und ihren Bediensteten zuständig. Gegen die Entscheidungen der Kammer
kann nach Maßgabe der Bedingungen, die im Statut der Beamten festgelegt sind oder
sich aus den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten ergeben, ein
Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden.
(2)
Nach Maßgabe der Bedingungen des Artikels 225 Absatz 3 können weitere
Beschwerdekammern eingerichtet werden, die in bestimmten Bereichen im ersten
Rechtszug mit der Ausübung gerichtlicher Befugnisse aufgrund dieses Vertrags oder von
Maßnahmen zu seiner Durchführung betraut werden. Gegen die Entscheidungen dieser
Kammern kann nach Maßgabe der Bedingungen, die gemäß dem Verfahren des Artikels 225
Absatz 3 in der Satzung des Gerichtshofes festzulegen sind, ein Rechtsmittel beim Gerichtshof
eingelegt werden.
ARTIKEL 245
Die Satzung des Gerichtshofes wird in einem besonderen Protokoll festgelegt.
Der Rat kann auf Antrag des Gerichtshofes und nach Anhörung der Kommission und des
Europäischen Parlaments einstimmig die Bestimmungen des Titels III der Satzung ändern.
Der Gerichtshof erläßt seine Verfahrensordnung. [Sie bedarf der Genehmigung des Rates.] [Sie
bedarf der mit qualifizierter Mehrheit erteilten Genehmigung des Rates.]
Luxemburg, den 25. Februar 2000
NEUE ZITIERWEISE DER ARTIKEL DER VERTRÄGE
Wir erinnern daran, daß die Nummern 21/99 und 22/99 des Bulletins „Tätigkeiten” einen
Hinweis auf die neue Zitierweise der Artikel der Verträge in den Texten des Gerichtshofes und
des Gerichts enthalten.
(1)
1:
Dieses Bulletin wird von der Abteilung Presse und Information des Gerichtshofes
(L-2925 Luxemburg) erstellt, um den Lesern eine rasche Information über die
Arbeit von Gerichtshof und Gericht zu geben. Verbindlich ist jedoch nur der später
in der „Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster
Instanz” veröffentlichte vollständige Wortlaut der Urteile und Schlußanträge. Die in
diesem Bulletin enthaltenen Informationen können als solche mit Quellenangabe
wiedergegeben werden.
Übersetzung aus dem Französischen.
Redaktionsschluß: 10.03.2000
Katalognummer: QD-AC-00-008-DE-C
Herunterladen