Über das Verstehen von Ritualen

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Caroline Schmid
12. 12. 2008
J. H. M. Beattie: Über das Verstehen von Ritualen
I
J. Beattie bezieht sich auf seine Werke Ritual and Social Changes,und Other Cultures, in denen
er verschiedene Positionen, u.a. von Jarvie und Agassi, oder Horton diskutiert und kritisiert.
Laut ihm erfordert das Verstehen ritueller Handlungen die Einbeziehung des Sinns, den die Ideen
und Handlungen der teilnehmenden Person haben bzw. haben können, der Art der in ihnen
zugrunde liegenden Ideenassoziationen und der ihnen zugrunde liegenden symbolischen
Klassifikationen. So gesehen kommt das Verstehen religiöser und magischer Riten eher dem
Verstehen von Kunst, als dem Verstehen in der modernen Wissenschaft gleich. Der Glaube an
die Wirksamkeit von Ritualen stützt sich, nicht wie der Glaube an die Wissenschaft, auf die
Überprüfung von Hypothesen, sondern beruht darauf, dass der symbolischen Äußerung selbst
eine besondere Kraft beigemessen wird.
Beattie kritisiert die Auffassungen von Goody, demzufolge das Ritual nur als das Irrationale bzw.
Nichtrationale definiert werden kann. Weiters bezieht er sich auf Horton und auch Jarvie, der
behauptet hatte, dass die rituelle Antwort auf den sozialen Wandel das Ergebnis eines rein
interkulturellen Bestrebens sei. Beattie kritisiert diese Auffassungen deshalb, weil sie die
Komponente des Rituals nicht beachten.
Beattie nimmt in seiner Stellungnahme im Kapitel Über das Verstehen von Ritualen aus dem
Werk Magie. Die sozialwissenschaftliche Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens eine
kurze Begriffsdefinition vor. Unter „rituell“ versteht er „verbunden mit Riten“, unter „Ritus“ die
formale Vorgehens- und Handlungsweise“, die wir als religiös bzw. magisch bezeichnen.
Insofern Rituale symbolisch sind, können sie etwas aussagen. Aber nicht alles, was etwas
ausdrückt, ist somit auch symbolisch. Beattie schlägt vor, wenn man von Symbolen spricht, sich
auf begreifliche Größen zu beziehen. Darunter versteht er Ideen, Gegenstände oder
Verhaltensmuster, die auf der Basis einer logischen Grundlage mehr oder weniger abstrakte
Vorstellungen repräsentieren. Es stellt sich die Frage, ob ein Gegenstand, eine Handlung oder
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eine Idee symbolisch ist. Dies hängt von der Betrachtungsweise ab. Symbole können in ein
„leeres Zeremoniell“ herabsinken, oder das Ritual kann für einige Leute symbolisch sein, für
andere aber nicht. Oder es kann für verschiedene Laute Unterschiedliches bedeuten. Beattie
bezieht sich dann auf Jarvie und Agassi, die Probleme erörtern, die den Versuch beinhalten,
magische Handlungen mit Hilfe der Annahme zu erklären, dass diejenigen, die sie ausführen,
Glaubensanschauungen anhängen, die zeigen würden, dass diese Handlungen dem gewünschten
Zweck förderlich sind. Jarvie und Agassie erklären auch, was sie unter „rational“ verstehen. Eine
Handlung ist dann rational, wenn sie zweckorientiert ist. Ein Glaube ist rational, wenn er einem
der vorhandenen Rationalitätsmaßstäben genügt, d.h. über berechtigten Zweifel erhaben ist oder
der Kritik offen steht. Ein Mensch ist rational, wenn er entweder rational handelt oder rational
glaubt, oder beides. Laut ihren Ausführungen handeln Wissenschaftler aufgrund von
Anschauungen, die einem Kriterium von Rationalität genügen, magisch Handelnde nicht. Der
Magier vollzieht die magische Handlung, weil er glaubt, dass diese Handlung die gewünschten
Wirkungen hervorbringen wird. Magische Handlungen entspringen laut Jarvie und Agassi
falschen Anschauungen. Frazer, auf den sie sich weiter beziehen, betrachtet Magie als eine Reihe
von Vorschriften, von denen der Magier annimmt, dass sie von allgemeiner Gültigkeit sind und
sich nicht auf menschliche Handlungen beschränken.
Laut Jarvie und Agassie, die sich wieder auf Frazer beziehen, vollführen Menschen deshalb
Magie, weil sie glauben, sie werden einen von ihnen angestrebten Zweck verwirklichen oder die
Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung vergrößern. Laut Beattie leidet der Ansatz von Jarvie
und Agassi an der impliziten Annahme, dass es für ein Phänomen nur EINE Möglichkeit des
Verstehens gäbe. Somit müsste nur die richtige herausgefunden werden, um alle anderen
verwerfen zu können.
Laut Beattie kann das magische Denken eine Alternative zum systematischen und analytischen
Denken darstellen und seine eigene logische Grundlage haben. Die Verfahren, die wir als
magisch bezeichnen, müssen von denen, die sie praktizieren, nicht als rein symbolisch aufgefasst
werden. Für sie sind es Möglichkeiten, etwas zu bekommen, was sie wollen; also
Handlungsmöglichkeiten in einer gegebenen Kultur in bestimmten Situationen.
Es stellt sich die Frage, ob ein Ritual hinreichend erklärt ist, wenn wir verstehen, was das Ziel der
Menschen, die es vollführen, ist. Laut Jarvie und Agassi praktizieren Menschen deshalb Magie,
weil sie etwas damit erreichen wollen, dies trägt aber zum Verständnis magischen Verhaltens
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nichts bei. Sie vertreten zwei Schlussfolgerungen: Nämlich erstens, dass Magie im Sinne Frazers
mit rational erklärbarem Verhalten vollständig kompatibel ist, und zweitens, dass Magie im Sinne
Beatties ein Ersatz für systematisches und analytisches Denken ist. Laut Beattie beschließen sie
ihren Aufsatz aber mit einem Fehlschluss. Das Problem ist also nicht, „Wie können sie (primitive
Menschen) an Magie glauben?“, sondern „Können Menschen mit ineffizienten magischen
Anschauungen diesen gegenüber kritisch werden, unter welchen Bedingungen und in welchem
Ausmaß?“. Laut Beattie kann diese Frage nicht behandelt werden, bevor man nicht weiß, was
magische Handlungen und Anschauungen sind. Wie Frazer scheinen Jarvie und Agassi sie für
bloße Irrtümer eines falschen Naturverständnisses zu halten. Laut Beattie ist dies aber
unzutreffend.
II
Lukes befasst sich mit dem Status der religiösen und magischen Anschauungen. Im Zentrum
steht die Frage: „Wie können wir Anschauungen, die irrational sind, verstehen?“ Er unterscheidet
zwei Bedeutungen des Begriffes „rational“: Rationale Kriterien I sind jene, die einfach
Rationalitätskriterien sind, und als solche allen Menschen gemeinsam sind. Rationale Kriterien II
sind jene kontextabhängigen Kriterien, die die besondere Weltauffassung oder das besondere
symbolische System einer bestimmten Kultur beinhalten. Lukes diskutiert eben Antworten auf
die Frage, wie scheinbar irrationale Anschauungen verstanden werden können. Unter anderem ist
er der Meinung, dass scheinbar irrationale Anschauungen, die die primitive Religion und Magie
aufweisen, kein Problem bereiten, da diese Anschauungen als symbolisch interpretiert werden
müssen. Beattie stimmt mit ihm nicht überrein, weil viele Probleme dadurch entstehen können.
Laut Lukes können magisch-religiöse Anschauungen gleichzeitig symbolisch und explanatorisch
sein. Laut Beattie ist es auch durchaus möglich, dass Glaubensanschauungen für wahr und für
explanatorisch gehalten werden, und zur gleichen Zeit metaphorisch interpretiert werden können.
Er betont, dass dort, wo sie Erklärungen liefern, sie das nicht mittels empirisch überprüfbarer
Hypothesen tun, sondern mittels Vorstellungssystemen, die symbolisch sind, oder sogar
dramatisch.
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III
Hortons African Traditional Thought and Western Science beschreibt, inwiefern sich das
traditionelle, afrikanische Denken und modernes, wissenschaftliches Denken ähnlich sind, und
voneinander unterscheiden. Horton wollte darin den Zusammenhang zwischen den beiden Arten
des Denkens zeigen. Beattie ist der Meinung, dass in Hortons Arbeit primitive Menschen
mystischer als moderne, wissenschaftliche Menschen dargestellt werden, als sie es in
Wirklichkeit sind. Laut Horton erklärt die traditionelle Religion genauso wie die Wissenschaft,
indem sie eine systematische Anordnung der Entitäten (oder Kräfte), die hinter, oder innerhalb
der Welt der Alltagsbeobachtungen wirksam sind, vornimmt. Aber sowohl die Entitäten, als auch
die Verfahrensweisen, wie sie begriffen werden, sind in den beiden Fällen derartig verschieden.
Beatties Argument diesbezüglich war, dass Wissenschaft die Erfahrung analysiert, wohingegen
Mythos, Magie und Religion sie dramatisieren. Der Mythenmacher gehört laut Beattie zu den
Dichtern, nicht zu den Wissenschaftlern. Beide Gruppen entdecken Ordnung unter
„scheinbarer“ Unordnung. Aber die Ordnungen, die sich aufdecken, sind völlig verschieden, und
die Mittel, mit deren Hilfe sie sie suchen, sind ganz andere. Horton erwähnt ganz zum Schluss,
dass traditionales Denken keine besondere Art der Wissenschaft sei. Aber da er es als Mittel zur
Erklärung von Dingen darstellt, das auf Verfahrensweisen beruht, die mit den wissenschaftlichen
vergleichbar sind, ist es noch immer nicht klar, wie sie sich seiner Meinung nach unterscheiden.
IV
Laut Horton ist der Grundunterschied zwischen dem religiösen Denken im traditionalen Afrika
und dem theoretischen Denken im modernen Westen der, dass es in traditionalen Kulturen kein
entwickeltes Bewusstsein von Alternativen zum etablierten Fundus theoretischer Lehrsätze gibt,
wohingegen ein derartiges Bewusstsein in den auf Wissenschaft ausgerichteten Kulturen hoch
entwickelt ist. Laut Horton werden traditionale Kulturen als geschlossen bezeichnet, und
Kulturen, die auf Wissenschaft ausgerichtet sind, sind offen. Laut Beattie hat Horton mit der
Annahme, dass das magisch-religiöse Verhalten für die geschlossene Gesellschaft und die
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wissenschaftliche Einstellung für die offene Gesellschaft charakteristisch ist, Recht. Allerdings
kann dies laut Beattie dennoch nicht den Grundunterschied ausmachen, da beide in beiden Arten
von Gesellschaften anzutreffen sind. Der Grundunterschied liegt nicht darin, ob alternative
Glaubenssysteme gedacht werden können oder nicht. Wenn er (der Grundunterschied) überhaupt
entdeckt werden kann, dann muss er im Wesen der Anschauungen selbst und in ihren Grundlagen
gesucht werden. Der Unterschied zwischen Beattie und Horton besteht darin, dass Beattie es
nützlich findet, das Wissenschaftliche und das Traditionale als zwei Ansätze zu betrachten, deren
Sicht von der Welt grundverschieden, und aufeinander nicht beziehbar ist, wohingegen Horton
meint, dass sie unter Bezugnahme auf den Unterschied zwischen geschlossenen und offenen
Gesellschaften verstanden werden können.
Horton vertritt noch folgende Ansichten:
1) Im traditionalen Denken wird den Symbolen (Worten), eine besondere Macht
zugeschrieben, aber auch anderen Dingen, die verbal als solche bezeichnet werden.
2) In der traditionalen Kultur werden Ideen eher in Verbindung mit besonderen Kontexten
als mit anderen Ideen gesehen.
3) Ein Interesse an der Beschaffenheit und den Regeln des logischen Schließens ist eher für
die wissenschaftliche als für die traditionale Anschauung charakteristisch.
4) In wissenschaftlichen Kulturen sind die Ziele der Erforschung, besonders die Suche nach
Objektivität, spezifisch und explizit. Im traditionalen Denken herrscht eine Vielzahl von
Zielen, die nicht explizit reflektiert oder definiert werden können, und die zur gleichen
Zeit angestrebt werden können, vor.
5) Für Horton stellt das Anomale eine interessante Herausforderung dar. Daher ist
„Tabu“ ein für das traditionale Denken charakteristischer Begriff, hauptsächlich ein
Symbol. Der Grund der Vermeidung beruht nicht auf den erfahrenen Eigenschaften des
Gegenstandes selbst, sondern auf dem, was er repräsentiert.
6) Für das traditionale Denken ist der Verlauf der Zeit gefährlich und unerwünscht. Mit
Hilfe von Riten der Erneuerung und Neuschöpfung wird ihre Aufhebung versucht. Dem
Wissenschaftler hingegen ist das Fortschreiten der Zeit, zusammen mit der damit
verbundenen Fortschrittsidee, willkommen und unentbehrlich.
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Beattie und Horton sind einer Meinung, dass das Vollführen von Riten dem wissenschaftlichen
Handeln nicht ähnlich ist, als auch darüber, dass dort, wo religiöse und magische Anschauungen
„erklären“, sie das mit Hilfe von Verfahren tun, die sich von denen der Wissenschaft
unterscheiden. Religiöse und magische Glaubensanschauungen sind das Produkt primitiver
Gesellschaften, währenddessen die moderne Wissenschaft das Produkt komplexer, offener
Gesellschaften ist. Aber dies sagt nichts über den Unterschied zwischen den mythischen und
wissenschaftlichen Weltauffassungen aus. Als zusammenhängendes Begriffssystem gibt ein
religiöser Mythos nämlich eine Darstellung der Dinge, mit denen er sich befasst. Er ist daher
schon per definitionem explanatorisch. Darin unterscheidet er sich von Magie, die keiner
ausgebildeten Kosmologie bedarf, sondern nur eines rudimentären Vertrauens, dass ihre
Durchführung eine Wirkung haben werde. Beattie ist der Meinung, dass beiden, dem religiösen
Mythos und der magischen Darstellung, eine Komponente zugrunde liegt, die dennoch
unentbehrlich expressiv und symbolisch ist. Im Glauben werden kognitive Aspekte betont,
währenddessen im Kontext von Riten das Gewicht auf dem Expressiven, dem Symbolischen und
dem vermeintlich Kausalem liegt. Ein Ritual kann für diejenigen, die es praktizieren, und die an
es glauben, viele Bedeutungen haben. Eine monolithische Erklärung ist in diesem
Zusammenhang laut Beattie irreführend.
Literatur:
Beattie, J. H. M. (1970): Über das Verstehen von Ritualen. In: Kippenberg, H. G., Luchesi, B.
(Hrsg.) (1995): Magie. Die sozialwissenschaftliche Kontroverse über das Verstehen fremden
Denkens. Frankfurt am Main: Suhrkamp
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