Elternarbeit

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Norbert Müller
Skriptum Elternarbeit
Elternarbeit
Zukünftige SozialpädagogInnen sehen der Elternarbeit oft etwas besorgt
entgegen. Viele der BerufseinsteigerInnen sind selbst noch jung und haben wenig Erfahrung im Umgang mit Erwachsenen. Sie fürchten häufig,
mit sehr kritischen Augen gesehen zu werden, sodass ihnen die Sicherheit, die sie im Umgang mit Kindergruppen oder auch schwierigen Einzelkindern und Jugendliche haben, vor den Eltern völlig verloren geht.
Wir sitzen aber nicht „allein in diesem Boot“, denn auch Eltern geht es
genauso. Sie haben Angst vor den SPs, denn der „Berufserzieherin“ wird
ein Einblick in die familiäre Erziehung möglich, ja lässt sich letztlich
nicht verbergen (auch wenn Erziehungsberechtigte schweigen, erzählt
doch das Kind sehr häufig über das Familienleben durch das Spiel und
durch Erzählungen).
Bei Angst kennen wir aus der Tierwelt zwei gegensätzliche Verhaltensweisen, welche sich
auch beim Menschen wiederfinden. Es sind dies Flucht (Rückzug, Verschwiegenheit, Leugnen, Verdrängen, ...) und Angriff (damit ich selbst nicht angegriffen werde bzw. Gegenangriff wenn ich schon angegriffen werde). Beide Verhaltensweisen wirken sich hemmend auf
eine fruchtbringende Elternarbeit aus. Da die Notwendigkeit von Elternarbeit aber unbestritten ist, müssen wir Wege suchen, welche eine fruchtbringende Kooperation miteinander ermöglichen. Die Kinder sollen keinen Bruch zwischen Elternhaus und Einrichtung erleben.
1. Elternarbeit – Was ist darunter gemeint?
Unter Elternarbeit versteht man die Zusammenarbeit von SozialpädagogInnen mit den Eltern
sowie Beratungsmaßnahmen der SozialpädagogInnen oder auch anderer Fachkräfte (darunter
fallen Elternabende, Elterngespräche, Elternsprechstunden, ...). In den verschiedenen sozialpädagogischen Einrichtungen hat die Elternarbeit einen unterschiedlichen Stellenwert. Sie
umfasst somit die vielfältigen Formen und Intensionsgrade des Zusammenwirkens von Eltern
und SPs in der gemeinsamen Bemühung um Pflege, emotionale, schulische und berufliche
Förderung, sowie soziale Integration der in der Entwicklung beeinträchtigten Kinder bzw. Jugendlichen.
Die Zusammenarbeit mit den Eltern (Eltern meint immer Erziehungsberechtigte) ist eine zentrale Aufgabe in der Erziehung. Diese kann in dreifacher Weise verwirklicht werden:
1. durch Elternarbeit mit dem Ziel, die Erziehungsaufgaben der Einrichtung zu unterstützen.
2. durch Elternbildung mit dem Ziel, Eltern pädagogisch weiterzubilden.
3. durch Eltern(mit)bestimmung, damit ist die Mitbeteiligung der Eltern an der Planung
und Durchführung der pädagogischen Aufgaben gemeint. So sollten die Eltern einen
Einblick in das Heim(Hort)- und Gruppenleben bekommen, sodass eventuell auch
Einsicht in die Problemzusammenhänge gegeben werden kann.
2. Elternarbeit – Warum? Begründungen
Hier ist zuerst einmal nach der Art der Institution zu unterscheiden, da auch die Häufigkeit
des Kontakts sehr unterschiedlich sein wird (Bsp. Tagesbetreuungseinrichtungen ermöglichen
einen täglichen Kontakt im Vergleich zur [auf Zeit] familienersetzenden Einrichtung).
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eine gute Beziehung zu den Eltern aufzubauen.
Spannungen und Konflikte können entschärft werden
Klarheit über gegenseitige Sichtweisen und Erwartungen können geschaffen werden.
Eltern haben eine Anspruch darauf zu wissen, was mit ihren Kindern geschieht, sprich
wie ihr Kind in sozialpädagogischen Einrichtungen erzogen wird (päd. Konzept)
Elternarbeit muss immer auch Hilfe zur Selbsthilfe sein
Elternarbeit bietet ein Forum um unsere professionelle Erziehungs- und Betreuungsarbeit darlegen zu können
Kooperation zur Ereichung eines gemeinsamen Ziels – Eltern zur Mitarbeit gewinnen
…
Durch die Eltern als Partner ist es möglich, gesetzte pädagogische (Hilfs-)Maßnahmen effizient umzusetzen. Ohne Eltern als Partner ist ein „Ziehen an einem Strang“ (Problematik des
„gegenseitigen Ausspielens“ durch die Kinder, gegeneinander arbeiten, jeder Teil will der
„nettere“, der „liebere“, der „bessere“ Erzieher beim Kind sein, …) im Sinne des Klienten
schwer umsetzbar.
Elternarbeit meint konkret
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Familienarbeit (beide Elternteile vorhanden)
Arbeit mit AlleinerzieherInnen
Arbeit mit Stieffamilien (ca. 6 – 8 % der österreichischen Kinder leben in dieser Familienform - Stand 1998)
Arbeit mit Großeltern
Arbeit mit anderen Erziehungsberechtigten (Tante, Verwandte, Pflegefamilie, …)
2.1 Tagesbetreuungsstätten (Horte)
Hier ist es wichtig genau die gegenseitigen Erwartungen (Ergänzung der Erziehungsarbeit in
der Familie), welche mit der Betreuung der Kinder verbunden sind, abzuklären. Dies betrifft
vor allem den bereich Schule wie auch Interventionswege bei Verhaltensauffälligkeiten. D
sinnvolle Freizeitgestaltung ist ebenfalls mit Erwartungen seitens der Eltern verknüpft.
2.2 Internate
Das Internat braucht die Familie in rechtlicher Hinsicht. Kein Kind wird aufgenommen,
wenn nicht Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte als Vertragspartner verfügbar sind.
Das Internat braucht die Familie in pädagogischer Hinsicht. Der eingeschlagene Erziehungsweg der Eltern soll ergänzt und fortgesetzt werden. Voraussetzung für das Gelingen der
Erziehungsarbeit im Internat ist die weitgehende Übereinstimmung der Erziehungsziele der
Eltern mit denen des Internats.
2.3 Heim
Heimerziehung als Familienunterstützung und nicht als Familienersatz (Unterbringung versteht sich als zeitlich begrenzter Prozess  vgl. Heimreform 2000)  verändert Perspektiven.
Für die Entwicklung eines Menschen ist die Beziehung zwischen ihm und seiner Familie von
großer Bedeutung. Sie ist auch im Rahmen jeder Heimerziehung als wichtiger Faktor zu betrachten. Die verstärkte Eltern- und Familienarbeit hat in vielen Heimen zu einer Änderung
des Selbstverständnisses geführt. So verstehen sich diese Heime nicht mehr als Familienersatz, sondern als Einrichtung zur Stützung der Gesamtfamilie. Ziel ist die Reintegration in die
Herkunftsfamilie und das Herkunftsmilieu des Kindes. So ist die Wiederherstellung bzw. die
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Verbesserung der Funktionalität der Familien nötig. Eltern müssen während des Heimaufenthaltes ihrer Kinder zur Erziehung derselben befähigt werden. Die Lösung ist daher nicht ein
„entweder – oder“, Familie oder Heim, sondern ein „sowohl – als auch“, ein Miteinander. Es
soll ein partnerschaftliches Erziehungssystem geschaffen werden, das gemeinsam von der Institution und der Familie getragen wird.
Familienorientierung in der Heimerziehung schließt in Einzelfällen nicht aus, dass zum Wohl
des Kindes der Kontakt zu den Eltern unterlassen werden muss, um die Entwicklungsdefizite
der Kinder einzudämmen.
Erziehung – getragen von Eltern und Heim
Die Sichtweise der partnerschaftlichen Erziehung (getragen von Heim und Familie) will nicht
mehr kaputte, gescheiterte Familien ersetzen, sondern als Begleiter, Helfer und Stützer eines
in Not geratenen Familiensystems fungieren.
Es ist die wichtigste Aufgabe der familienorientierten Sozialpädagogin, das ihr anvertraute
Kind möglichst bald in eine funktionale Familie zu integrieren.
Das bedeutet:
* verstärkte Interaktion und Kommunikation mit der Familie
* stärkere Eingliederung der Eltern in die Erziehungsarbeit
* Fort- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Elternarbeit
* zeitliche Ressourcen für Elternarbeit frei zu machen
Konsequenzen dieser Form der Elternarbeit
Früher wollte man die Kinder vom „schädlichen“ Einfluss der Eltern fernhalten, so ist im Gegensatz dazu heute das Bemühen gegeben, ein partnerschaftliches Verhältnis zur „Kernfamilie“
aufzubauen. Hatten SPs früher Kinder regelmäßig für gemeinsame Wochenenden in der Institution um so auch für gemeinsame Freizeitaktivitäten und Feste des Jahres gestalten zu können, so
wird heute dieser Rhythmus oft durch längerandauernde Wochenend- und Ferienbeurlaubung
der Kinder unterbrochen. Von diesen „Urlauben“ kehren Kinder manchmal verstört zurück und
brauchen dann Zeit, um sich im institutionellen Alltag wieder zurechtzufinden.
2.3.1 Bereiche der Einbeziehung von Familien
1.
2.
3.
4.
im Vorfeld der Fremdunterbringung
bei der Aufnahme
während des Heimaufenthaltes
bei der Entlassung
ad 1. Einbeziehung der Familie im Vorfeld der Fremdunterbringung
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wichtig ist eine positive Definition der Fremd-/Heimunterbringung
auf geographische Nähe zum Wohnort der Familie achten, um eine kontinuierliche Elternarbeit zu ermöglichen
wenn Fremdunterbringung nötig, Geschwister berücksichtigen
Heimaufnahme des Kindes soll den Charakter eines Vorstellungsgesprächs haben und
dem Zweck der Abklärung (ist die Institution passend – den Bedürfnissen entsprechend) dienen. Möglichst alle Betroffenen sollten daran teilnehmen. Gibt es noch Alternativen zur Fremdunterbringung? Gibt es besser geeignete Institutionen, als die gerade ins Auge gefasste für das Kind?
auch das Kind sollte angehört werden
Ist die Fremd-/Heimunterbringung unumgänglich, so erfolgt sie grundsätzlich auf zwei Arten:
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freiwillig: d.h. mit Zustimmung der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten.
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 zwangsweise: als gerichtlich verfügte Maßnahme auch gegen den Willen der Eltern
Zwischen diesen beiden Polen gibt es aber eine Grauzone des „freiwilligen Zwanges“, wo Eltern, die gegen eine Fremdunterbringung eingestellt sind, unter dem Druck von Schule, Jugendamt, Beratungsstellen, der Heimunterbringung zustimmen. Für die Eltern bedeutet die
Übergabe ihres Kindes an die Institution in den allermeisten Fällen das Scheitern ihrer Bemühungen und eine persönliche Kränkung, versagt zu haben. Der Entfremdung von ihrem Kind
und der Erziehungsarbeit wird dadurch Vorschub geleistet.
ad 2. Einbeziehung der Familie bei der Aufnahme
Der Prozess der Vorfeldarbeit geht kontinuierlich in den Prozess der Aufnahme (durch Aufnahmegespräch) über. Die nach dem Vorstellungsgespräch
bis zur Aufnahme obligatorische Pause wird dazu genützt,
Klarheit über die Zuweisung zur passende Gruppe zu gewinnen und notwendige administrative Schritte (Anmeldung und
Info in der Schule) vorzunehmen.
Die eigentliche Aufnahme erfolgt über ein weiteres Aufnahmegespräch. Bei diesem Gespräch sind die betroffenen GruppensozialpädagogInnen mit einzubeziehen. Bei einer freiwilligen Unterbringung ist eine verbindliche Vereinbarung (Klärung: welche Bereiche Obsorge?) werden zwischen Familie
und Heim unter Vermittlung der Jugendwohlfahrt zu schließen.
Auch bei nicht freiwilliger Unterbringung sollte man versuchen, die Eltern möglichst mit einzubeziehen.
Wichtige Punkte beim Aufnahmegespräch
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Regelungen für Besuche, Heimfahrten, Urlaube, ... festlegen
Kontaktmöglichkeit zwischen Institution und Erziehungsberechtigten abklären (Ansprechpartner, wann und wo erreichbar, Handy, ...)
Regelung bezüglich Schullaufbahn
Verantwortlichkeit betreffend spezieller Bedürfnisse des Kindes (Therapien, Kleidung, Lernhilfe, ...)
Vorgehen bei akuten Ereignissen (Krankheiten, Entweichungen, …)
Ansprechpartner in der Institution für die Eltern (wer – wann – wie)
Datenerhebung (Krankheiten, Medikamente, Besonderheiten, …)
Über diese Vereinbarungen sind schriftliche Aufzeichnungen zu machen. Beim Aufnahmegespräch geht es nicht nur um die obengenannten Vereinbarungen, sondern auch um die Entwicklung des gegenseitigen Vertrauens zwischen Heim und Familie. Der Entfremdung zwischen Kind und Familie ist nur dann gut entgegenzuwirken, wenn auch den im Heim tätigen
SPs die Familie nicht fremd ist. Durch dieses Vorgehen, des Kennenslernens von Eltern und
SPs sind weniger Eingewöhnungsschwierigkeiten bei den Kindern zu beobachten.
ad 3. Einbeziehung der Familie während der Fremdunterbringung
Während des Aufenthalts sollte sich zwischen Eltern und Gruppenerziehern ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis entwickeln. Die Eltern sollen motiviert werden, die Entwicklung ihrer
Kinder in der Fremdunterbringung mitzuerleben und zu verfolgen. Dies sollte durch
 aktive Mitarbeit am Heimleben,
 Teilnahme an Besprechungen über das Kind (welche Therapien, Fortschritte,
Schule, Verhaltensänderungen,….)
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 Teilnahme an Aktivitäten und Festen in der Gruppe ermöglicht werden.
Der SP ist dabei auch immer Modell für die Eltern (Erziehungsstil, Kommunikationsformen,
...). Durch vermehrte Übertragung von Erziehungsverantwortung, bei entsprechender Kompetenz der Eltern, schrittweise die Reintegration in die Familie vorbereiten (Beurlaubung, probeweise Entlassung, …).
ad 4. Einbeziehung der Familie bei der Entlassung
Die Wahl des geeigneten Zeitpunkts zur Reintegration in die Familie orientiert sich an den
Möglichkeiten der Familie und des Kindes in Absprache mit der/dem SozialarbeiterIn (DSA)
am Jugendamt.
Auch bei sehr langer Fremdunterbringung soll und darf die Zukunftsplanung des Kindes (weitere Schullaufbahn, Eintritt ins Berufsleben, Wohnmöglichkeiten) von den Eltern mitverantwortet und nicht als selbständige Serviceleistung der betreffenden Institution hingenommen
werden. Wenn nötig (und möglich) werden auch Vereinbarungen hinsichtlich der Nachbetreuung getroffen.
2.3.2 Zusammenfassung
Zusammenfassend kann man sagen, dass durch gezielte Elternund Familienarbeit Zukunftsperspektiven und neue Entwicklungsmöglichkeiten für das Kind erreicht werden. Die Integration
der Eltern in das Heimgeschehen bringt auch eine deutliche Belebung des Heimalltags mit sich. Eltern, Familien, Erziehungsberechtigten als Partner (Mitstreiter) im Bemühen um das Kind verstanden, ermöglichen beim „System Familie“ neue Wege für die
Zukunft. Dies gilt für alle, am System beteiligten Personen. Die
Reintegration in das Herkunftsmilieu, die Herkunftsfamilie hat
damit erhöhte Erfolgchancen.
2.4 Heil- und sonderpädagogische Einrichtungen
aus „SPI 4/ 2002“
Die Tatsache, ein behindertes Kind – besonders mit geistiger Behinderung – bekommen zu
haben, ist bis heute eine kritische Ausnahmesituation für Eltern. Sie bewirkt aber auch in vielen Fällen eine enorme Persönlichkeitsreifung und klarere Sicht auf wesentliche Dinge des
Lebens.
Eltern durchlaufen heute Kooperationsformen mit therapeutischen und pädagogischen Fachkräften, deren „Fachlichkeit“ Eltern leicht in eine „Bittsteller- oder Hilfsempfängerrolle“
bringen kann, die ihre Erziehungskompetenz schwächt.
Eltern sind „betroffene Experten“, daher ist es von großer Bedeutung, die über Jahre aufgebauten Kenntnisse, Erfahrungen und Kompetenzen der Eltern ernst zu nehmen und als mindestens gleichwertig einzubeziehen im Sinne der nötigen „Individualisierung“. In den Anfangsjahren der Behinderung ihrer Kinder sind Eltern emotional sehr leicht verwundbar. Daher ist bei der Gesprächsführung auf einfühlendes, echtes Verstehen zu achten mit aktivem
Zugehen auf die Eltern.
Die Ablöse von den Eltern in selbständige Existenzformen wird im Laufe der Zeit Thema.
Dies ist für Eltern kein einfacher Schritt. Vom „ewig hilflosen Kind“ hin zum jungen Erwachsenen der mit Hilfe anderer leben will und/oder muss. In dieser meist nicht freiwilligen Situation „ihr erwachsenes Kind“ in eine Wohneinrichtung abzugeben, brauchen Eltern Unterstützung. Besondere Bedeutung hat dabei der
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Erstkontakt.
 Können die InstitutionsmitarbeiterInnen den Eltern das Gefühl geben, ihren
Kind nichts Unrechtes anzutun, wenn sie es in diese Einrichtung geben?
 Können sie die Sicherheit geben, die richtige Wahl getroffen zu haben und dass
die Mitarbeiter sorgsam und liebevoll genug sind?
 Können Eltern ihre Ängste und Vorstellungen, Erwartungen für das Kind äußern und damit verstanden werden?
 Können sie sicher sein, nicht als „Rabeneltern“ verurteilt zu werden, die ihr
Kind nur abschieben wollen?
 Können die Eltern die Wahrheit über die Fähigkeiten, Probleme und Eigenheiten ihres Kindes sagen oder müssen sie verschweigen und beschönigen aus
Angst, keinen Platz zu bekommen?
 Ist es erwünscht, engeren Kontakt mit der Institution zu halten um die Beziehung zum Kind nicht zu verlieren?
MitarbeiterInnen können hier viel Vertrauen und Sicherheit gleich zu Beginn aufbauen. Dazu
gehört, dass sie oben genannte Fragestellungen mit den Eltern offen besprechen, dass Beziehungsaufbau geschieht und Mitarbeiter sich für die Lebensgeschichte interessieren.
Transparenz und Offenheit in der Arbeit, den Zielen, Arbeitsweisen und Anforderungen an
das Kind müssen hergestellt werden.
WICHTIG:
 Eltern begleiten, um eine Akzeptanz der Behinderung ihres Kindes zu ermöglichen
 Kennenlernen bestmöglicher Fördermöglichkeiten (Therapieangebote, ...) Weitergabe
von Adressen und Hilfsangeboten
 klare Diagnosen und realistische Prognosen übermitteln
 Kontaktanbahnung mit anderen „betroffenen“ Eltern (Verminderung des Leidensdruckes – „Wir sind keine einsame Insel mit unserm Schicksal“, Elternverein?)
 Eltern Perspektiven eröffnen, um mit ihren Kindern positive Erfahrungen zu machen
(mein Kind kann etwas, macht auch Fortschritte, ...) Vertrauensbasis SP–Eltern vonnöten
 Beratung, Verständnis und Schulung im Umgang mit der Behinderung des Kindes
Schwierigkeiten
I. seitens der Eltern
 Ängste, Vorurteile, Aggression
 massive Störungen wie Alkoholismus, Drogenkonsum, Neurosen, Partner- und
Eheprobleme
 Zeitmangel, Schuldgefühle, Unsicherheit
 kein Interesse, Abmachungen werden nicht eingehalten
II. seitens der Institution
 Eltern werden als Eindringlinge empfunden
 Personalproblematik – wenig Ressourcen für effektive Elternbegleitung
 SP – Zusammenarbeit hat wenig Sinn, ist sowieso zwecklos
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3. Systemische Familienarbeit
aus: SPI 4/2002
In der praktischen Vorgangsweise der sozialpädagogischen Arbeit verlangt das systemische Denken ein Herangehen an den Komplex der
stationären, institutionalisierten Erziehung im Vergleich zu linear orientierten Theorien: es wird nicht nach Ursache und Schuld gefragt;
es finden keine moralischen Bewertungen, nach welchen Kriterien
auch immer, statt; es geht nicht um ein Ausmerzen vermeintlicher
Missstände und Defizite.
Vielmehr liegt der Fokus auf der Funktionalität der Familiensysteme. Kinder werden im Zusammenspiel mit den Menschen des Familiensystems gesehen. Dadurch bekommt die sozialpädagogische Arbeit
einen völlig neuen Bezugsrahmen. Es geht jetzt darum, die Auffälligkeiten des Kindes/Jugendlichen innerhalb eines Systems zu verstehen
und mit ihm und dem ganzen Familiensystem gemeinsam daran zu arbeiten, die Funktionalität wieder herzustellen. Gegen den Widerstand
des Familiensystems ist keine erfolgreiche sozialpädagogische Arbeit
zu gewährleisten.
Aus übermächtigen ExpertInnen werden HelferInnen und UnterstützerInnen, die von der Familie genützt werden können, denn SPs sind nicht in der Lage, das Kind oder dessen Eltern zu
verändern; nur diese selbst haben die Fähigkeit dazu.
4. Formen der Elternarbeit
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Elternabend
Tür-und-Angel-Gespräche
Feste, Ausflüge
Aufnahmegespräch
Hausbesuche
Elternbriefe, Elternzeitung
Elternsprechstunden
Elternstammtisch
Elterngruppen
Buch- und Spielausstellung für Eltern
Zusammenarbeit in den Gremien
Spielnachmittag mit den Eltern und Kindern
Elternhospitationen
Elternberatungen
Fachvorträge, kulturelle Veranstaltungen
Telefonate
Elternmitarbeit
…
Literatur: SPI 4/2002
4.1 Gesprächsführung – mit Eltern sprechen
Literatur: SPI 4/2002
SPs bedenken oft zu wenig, wie sie allein durch ihre Mimik, Gestik und Haltung eine MinderAchtung gegenüber den Eltern ausdrücken („Wir Fachleute sind doch die Profis!“).
Checkliste für gute Elternkontakte
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Vor dem Kontakt eine Haltung einnehmen, die etwa Folgendes ausdrückt: „Ich
achte Sie als die Eltern von XY, für die/den ich derzeit sorge, aus welchen
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Gründen auch immer. Ich bin froh, dass Sie ihm das Leben geschenkt haben,
denn sonst hätte ich ihn nicht kennen lernen können.
Wenn Gewalt, sexuelle Ausbeutung oder sonst eindeutig übergriffiges Verhalten der Eltern vorkam, immer zwischen der Tat und der Person unterscheiden.
Ich kann eine Tat verurteilen, ohne die Person als Ganzes zu verurteilen.
Im Gespräch immer zuerst die Stärken (Ressourcen) der Eltern und des Kindes
ansprechen. Besonders gut eignen sich Ähnlichkeiten dazu, welche unverfänglich sind wie z.B. „Die schönen Haare hat er von Ihnen“, „Er ist genauso sportlich wie sein Vater“, ...
Negatives (Schulnoten, kaputt gegangene Sachen, aggressives Verhalten ...)
nicht im Sinne von „Petzen“ den Eltern berichten, sondern als sachliches Gespräch unter Fachleuten führen (Überlegen wir gemeinsam, was Patrick brauchen würde, damit er das nicht mehr tun würde, bessere schulische Leistungen
bringen könnte, ...). Dabei die Eltern ernsthaft (und nicht pro forma) nach ihrer
Meinung fragen.
Günstig ist es auch, die Eltern nach ihren eigenen Erfahrungen im jeweiligen
Alter des Kindes zu fragen: „Wie ist es denn Ihnen ergangen, als sie so alt waren?“, „Wie und wo haben Sie gelebt?“, „Wer hat sie unterstützt?“, „Was hätten Sie damals gebraucht?“, „Was war Ihnen damals hilfreich/hinderlich?“
Kommen nur Mütter, auch „die Väter“ (leibliche, Stiefvater) ins Gespräch
bringen (Ressourcen, Vorbilder)
Kinder betreffend
 Auch in Zeiten, in denen Kinder ihre Eltern sehr ablehnen (Pubertät, schwere
Enttäuschung) tut es ihnen gut, wenn die Erwachsenen trotzdem respektvoll von
diesen Eltern sprechen und zwischen Tat und Person unterscheiden. Etwa so:
„Ich verstehe, dass du enttäuscht bist, dass dich dein Papa schon wieder nicht
abgeholt hat.“ Statt „Ja, du hast recht, dein Papa ist wirklich ein Schwein.“
 Wenn es Photos von den Eltern gibt, könnten diese im Zimmer der Kinder aufgehängt werden. Eltern fühlen sich geachtet, wenn ihre Photos in der WG einen Platz bekommen.
 Wenn Kinder sich „einen anderen Papa, eine andere Mutter“ wünschen kann
man einfach sagen: „Ja, aber dann wäre das ein anderes Kind. Dich gibt es nur
mit diesem Papa und dieser Mama. Die sind die einzigen Richtigen für dich.
Und an denen muss eine ganze Menge Gutes dran sein, sonst wäre nicht so ein
liebes Kind dabei herausgekommen.“
ergänzende Überlegungen
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gemütlichen, ungestörten Raum für das Gespräch wählen
Termine zeitgerecht vereinbaren (mindestens ___ Tage vorher)
Einen zeitlichen Rahmen für das Gespräch festsetzen (damit es sich nicht im Kreis zu
drehen beginnt).
Zweck des Gesprächs / Besprechungsgrund klar definieren
Kaffee, Getränke, Kuchen tragen zu einer entspannten Atmosphäre bei (Alkohol bei
Menschen mit Alkoholproblemen nicht anbieten!)
SP – wichtige Gesprächspunkte VORHER notieren (werden sonst leicht vergessen!)
Eltern sollen beim Gespräch ihren Sitzplatz selbst wählen dürfen (es gibt Menschen,
die z. B. sehr ungern mit dem Rücken zur Tür sitzen)
„akuter Problemfall“ sollte nicht Grund für das erste Gespräch sein
Eltern einfühlend und wertschätzend begegnen
auf Körpersignale achten (geben Rückschluss, wie die Botschaft beim Empfänger angekommen ist)
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Gesprächsregeln (vgl. Ruth Cohn – TZI) beachten
„Aktives Zuhören“, Eltern Zeit und Raum geben, um ihre Sicht darzulegen
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bei Anwesenheit der Kinder
Kinder nicht vor den Eltern „anklagen“
Kind kann Irrtümer richtig stellen
durch Präsenz beim Gespräch kann das Kind leichter Entscheidungen akzeptieren (es
wird „nicht über dem Kopf des Kindes“ entschieden)
RATSCHLÄGE SIND AUCH SCHLÄGE!
4.2 Elternabend
In der Praxis kommen Elternabende fast nur in der Tagesbetreuung vor. Die Beteiligung an Elternabenden ist
manchmal eher gering (Problem Babysitter, Alleinerzieher,
…). Daher ist die Werbung dafür von großer Bedeutung.
Bei der Festlegung eines Termins müssen auch Veranstaltungen, Feste (Faschingsumzug, …) das Fernsehprogramm
berücksichtigt werden (Fußball-WM, Olympische Entscheidungen, Wahlabend, …).
Bei der inhaltlichen Gestaltung des Abends müssen Interessen der Eltern berücksichtigt werden. Das Thema des Abends soll ja motivieren am Elternabend teilzunehmen (muss den Eltern
das Gefühl geben: „Das geht MICH etwas an, ist für MICH, für unser KIND wichtig“, ...).
Bei der Wahl der Methoden muss man vorsichtig sein. Erwachsene sind oft viel gehemmter
als Kinder und Jugendliche (Bsp. Rollenspiel macht Erwachsenen oft Angst – sie befürchten
belächelt zu werden).
Bei der methodischen Bearbeitung beabsichtigter Inhalte können zwei Prinzipien dazu beitragen, die Eltern zu motivieren und den Abend interessant zu gestalten:
 Prinzip der Anschauung: Mit diesem Prinzip ist gemeint, dass der Inhalt über
möglichst viele Sinne vermittelt wird (Bilder, Ohr, Film, Flipchart, Bücher,
Gegenstände, Plakat, Tafel, Overheadfolie, bildhafte Sprache, …)
 Prinzip der Aktivierung: Wenn das Zuhören dadurch unterbrochen wird, dass
der Zuhörer etwas zu tun hat, wird die Leistungsform „Zuhören“ durch eine
andere Leistungsform abgelöst. Das heißt, Methoden müssen gewechselt werden, geistige Aufnahmefähigkeit erfährt eine neue Motivation und Steigerung.
Tätigkeiten der Aufnahme sollen mit Tätigkeiten der Verarbeitung (Diskussion, …) und dem eigenen Beitrag (Plakat gestalten in KGR, …) wechseln.
Elternabende können sehr verschieden aussehen. Im Mittelpunkt werden meist Informationsteile stehen. SPs sollten über solche Inhalte informieren, die für die Erziehung des Kindes von
Bedeutung sind. Das sind insbesondere die Offenlegung der sozialpädagogischen Arbeit und
die Kooperation. Auch ein Fachreferat kann am Elternabend als Programmpunkt dabei sein.
5. Familie heute – Sorgenkind oder Musterschüler? Eine Bestandsaufnahme
aus: SPI 4/2002
Ist sie noch (war sie jemals?) ein Nährboden für Kinder, um gesund heranzuwachsen, oder ist
aus dem ehemaligen Musterschüler ein Sorgenkind geworden, welches seine Aufgaben in der
Erziehung und Begleitung Heranwachsender kaum mehr wahrnehmen kann?
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Die klassische Kernfamilienform ist kein Garant für eine positive Entwicklung eines Kindes.
Es kommt vielmehr auf einen offenen und ehrlichen Umgang miteinander an. Jede Lebensform kann für das Kind somit Chancen, aber auch Risiken beinhalten.
Familie – ein produktives Spannungsfeld
Die Beziehung zu den Eltern zählt – neben der zwischen Geschwistern zu den am längsten
währenden eines Menschen. Eltern sind wichtige Bezugspersonen, Partner emotionaler Beziehungen.
Die Sehnsucht nach Familie ist ungebrochen und vom Verfall der Familie kann keine Rede
sein. ABER die Art der familiären Beziehungen hat sich im Laufe der Zeit geändert:
 Hatten Kinder für die Eltern früher vor allem ökonomischen Wert als Arbeitskraft und zur Alterssicherung, so haben sie heute vor allem eine emotionale, erfahrungsbereichernde und sinnstiftende Bedeutung.
 Auch die öffentliche Sicht hat sich geändert. Das Kind wird immer häufiger
nicht mehr als „unfertiger Erwachsener“ betrachtet, das „Objekt der Entwicklung zum Erwachsenen ist, sondern es wird zunehmend als Subjekt wahrgenommen. Seine Bedürfnisse, Wünsche und sein Wohlbefinden stehen im Mittelpunkt des Interesses.
 Mit dem Wertewandel von Verpflichtungen hin zur Selbstverwirklichung änderten sich Ansichten über Erziehung und Bildung. Statt Anpassung und Gehorsam treten heute Kreativität und Selbstverwirklichung in den Vordergrund.
Streng autoritär weicht dem „Miteinander-aushandeln“.
 Zugenommen hat die Verpflichtung zur „verantworteten Elternschaft“.
 Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter zu sein ist keine klar definierte Rolle
mehr. Neue Interpretationen sind möglich.
 geänderte Rahmenbedingungen: längere Ausbildungszeiten verlängern auch
wirtschaftliche Abhängigkeit der Kinder von den Eltern.
 Die gestiegene Lebenserwartung führt dazu, dass die gemeinsame Lebenszeit
von Eltern und Kindern noch nie so lang war wie heute.
 Die heutige rationale, hochtechnisierte, globalisierte Lebenswelt ist weitgehend
„kinderfeindlich“ – im Bereich der Erwerbsarbeit und nehmen kaum Rücksicht
auf Betreuungspflichten.


Alleinerziehen – ist keine mangelnde Form der Familie, sondern eine familiäre Lebensform wie andere auch.
Stieffamilien sind bereits für ca. 6 – 8 % der österreichischen Kinder die „alltägliche“
Familien – Lebensform. Stieffamilie ist aber auch manchmal gleichzusetzen mit einem
„Kompetenzwirrwarr“. Stiefeltern sind manchmal in gegenseitiger Konkurrenz (jeder
Teil will der „bessere“ sein). Das Kind kann dabei in einen Loyalitätskonflikt kommen.
Diskutiert in der Gruppe die „neuen“ Familienformen wie Alleinerzieher und Stiefeltern.
Literatur:
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Praxisfeld Erziehung (Blockenschnieder/Ullrich)
Ziele suchen – Wege finden (Freya Pausewang)
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