Theater der Kursstufe Uhland-Gymnasium zeigt: Edward Bond Die Kinder LTT, Samstag, 15.2.2014, großer Saal 20.00 Uhr Die Darsteller und ihre Rollen Mutter Joe Jill Der Mann Friederike Maier Sylvius Ziegler Alina Lambrecht Tristan Linder Die Kinder: Felicitas Kerschner Franziska Wider Luzia Marek Carolin Albers Katja Imdahl Laura Ekkawi Bauten: Norbert Thomalla Gesamtleitung: Jochen Krakowski Edward Bond Die Kinder Edward Bond (Edward. Bond gehört zu den berühmtesten englischen Gegenwartsautoren) (* 18. Juli 1934 in London) wurde als Arbeiterkind im Londoner Vorort Holloway geboren. Edward Bond verließ bereits als Sechszehnjähriger die Schule und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben. 1956 schrieb er seine ersten Gedichte und Stückentwürfe und 1960 trat er einer Dramatikergruppe bei, zu der auch die Dramatiker John Osborne, Arnold Wesker und John Arden gehörten. Sein Erstlingswerk Gerettet hatte am 3. November 1965 im Royal Court Theatre in London Premiere, es wurde jedoch kurz danach von der Theaterzensur verboten. In Deutschland gehörte es zu den meistgespielten Stücken der 60er Jahre. 1967 bat ihn Michelangelo Antonioni am Drehbuch für seinen Film Blow up mitzuwirken. Der Film wurde zum Kultfilm der Swinging Sixties in Europa. Ende der 1960er Jahre konnte er sich auch endgültig als Dramatiker durchsetzen. Seine Stücke Trauer zu früh und Schmaler Weg in den tiefen Norden hatten zwar weiterhin Probleme mit der Zensur, doch dies bedeutete auch Werbung für den jungen Autor. In Deutschland wurden seine Stücke gefeiert. Peter Stein inszenierte Bond an den Münchner Kammerspielen und in Zürich. Große Erfolge wurden Anfang der 1970er Jahre seine Lear-Bearbeitung und das Stück Die See. Weitere bekannte Stücke: Der Irre, Sommer, Kriegsspiele (in drei Teilen), usw.. Synopse Joe lebt allein mit seiner Mutter. Die Mutter will sich an ihrem Geliebten rächen und zwingt ihren Sohn dazu, dessen Haus in Brand zu stecken. Das ist der Auftakt zu einer schaurigen Reise, auf die sich der Junge aus Verzweiflung und Ohnmacht begibt. Der Anfang des Stücks ist beklemmend realistisch. Mit großer psychologischer Meisterschaft beschreibt Bond in der Auseinandersetzung zwischen Mutter und Sohn einen psychischen Missbrauch. Nur weg von zu Hause! Mit anderen Kindern begibt sich Joe auf die Reise ins Ungewisse. Die Orte, an die sie kommen, sind menschenleer. Niemand weiß, was stattgefunden hat. Eine große Katastrophe hinter sich lassend, stolpern sie in die nächste. (Suhrkamp Theaterverlag) Die deutschsprachige Erstaufführung (Deutsch von Brigitte Landes) fand am 1. Februar 2003 am Staatstheater Cottbus in der Inszenierung von Christoph Schroth start. In Deutschland gab es bislang keine weiteren Aufführungen. „Die Kinder sind unsere Zukunft - unsere Zukunft sind die Kinder. Verlieren wir sie, oder verlieren sie sich, dann verlieren wir uns. So einfach ist das. Und so hart.“ Edward Bond ist nicht zimperlich in der Formulierung von klaren Gedanken und Aussagen. Als Publikum sind wir auf allen Ebenen gefordert, wenn wir seine Stücke lesen oder besuchen. Es ist fast nicht möglich, einen Edward Bond derart gegen den Strich zu bürsten, dass er lieb, konziliant, harmlos würde, komödiantisch, harmoniebestätigend. Gut kommen wir bei ihm nicht weg, nie. Wir haben keine Chance, uns seinem Würgegriff zu entziehen. Was trotzdem fasziniert, ist seine konsequente Haltung und Aussage. "Wohin fliehn, wohin fliehn vor der Mutter Hand?" - "Ich weiß nicht, mein Bruder. Das ist schon der Tod!" Euripides "Medea" Inspiriert von der alten Medea-Sage erzählt der englische zeitgenössische Dramatiker Edward Bond eine höchst gegenwärtige Geschichte mit mythischen Dimensionen. Er selbst bezeichnete sein Stück als "Mythos und Zeitung zugleich. Beides zusammen macht Sinn, ist Wirklichkeit." Im Mittelpunkt stehen Kinder, Kinder an der Schwelle zum Erwachsenwerden, überfordert und allein gelassen von ihren Eltern, auf der Flucht aus der Erwachsenenwelt und auf der Suche nach Liebe, Zuwendung und Geborgenheit, nach dem Sinn, den Werten des Lebens. Es ist ein zutiefst menschliches und letztlich vielleicht sogar optimistisches Stück. Die Kinder nehmen einen Passionsweg auf sich. Sie sühnen mit ihrem Leben für eine Tat, für die die Erwachsenen verantwortlich sind und setzen damit der Gewaltspirale ein Ende. Zeit und Möglichkeit für einen Neubeginn? "Kinder lügen nicht, Kinder sind wahr. Sie werden getötet, aber auch die Landschaft. Kinder wissen heutzutage überall, dass die Welt stirbt, sie stirbt stündlich. Es gibt keine Schmetterlinge mehr, die Bäume sterben. Kinder wissen, dass die Menschen sterben. Kinder sterben täglich viele Tode. Die Welt stirbt innerlich... das sind die Bilder unserer Zeit." - Aber es gibt auch hoffnungsvolle Momente: unter den Kindern tritt eine schüchterne Zuneigung, ein Hauch von Liebe auf sowie solidarisches Verhalten, Kameradschaft und Fürsorge. Die Idee zu diesem Stück kam von "Medea" (Euripides). Dort sprechen die Kinder zweimal - sie schreien auf, wenn sie ermordet werden. Ich fragte mich, was sie gesagt hätten, wenn ihnen dafür eine Möglichkeit geblieben wäre. In dem Stück haben also die Erwachsenen sehr strukturierten Text, während der Text der jungen Leute nur angedeutet wird. Sie müssen mit diesen Andeutungen improvisieren, auf den Proben und in den Aufführungen. Tun sie das nicht, wird die Aufführung nicht funktionieren. Wenn man den jungen Leuten ihre kreative Freiheit lässt, entwickeln sie eine merkwürdige Intensität für ihre Rollen in dem Stück. In Paris sind sie sogar zwischen ihren Szenen auf die Straße gegangen, um das Stück dort fortzusetzen. Das lässt das Spiel der Erwachsenen manchmal artifiziell erscheinen - aber das zeigt nur den Unterschied im wirklichen Leben zwischen der Realität der Erwachsenen und der Realität der Jugendlichen. Plötzlich scheinen die Erwachsenen die Kinder zu sein, und die Kinder scheinen mit einer uralten Reife ausgestattet. Sie finden ihre Solidarität und Disziplin in dem Drängen, das die Situationen des Stücks für sie bereithält. In Bonds späten Werken werden die Schauplätze immer apokalyptischer, die Landschaften immer unfruchtbarer. Das wüste Land in meinen Stücken, so auch in "Die Kinder", wird möglicherweise innerhalb der Lebenszeit derjenigen entstehen, die in ihm spielen. Ich bin ein Optimist und zeige deshalb auf die pessimistische Lage. Ein Pessimist würde sie ignorieren. MEDEA Medea ist das zweite erhaltene Werk des griechischen Tragödiendichters Euripides. Es belegte bei seiner Aufführung 431 v. Chr. nur den 3. Platz, war seit dem 4. Jahrhundert aber eine der beliebtesten attischen Tragödien und wurde später bis ins 20. Jahrhundert hinein von zahlreichen Autoren neu bearbeitet. Der Stoff der Tragödie entstammt einer der ältesten und bekanntesten griechischen Mythen, der Argonautensage um die Rückeroberung des von einem Drachen bewachten Goldenen Fließes. Dem jungen Helden Jason gelingt nach einer langen Reise von Griechenland nach Kolchis am Schwarzen Meer die Eroberung des Goldenen Fließes mit Hilfe der Zauberkünste der jungen Königstochter Medea, die sich in Jason leidenschaftlich verliebt hat. Medea und Jason werden ein Paar. In Jasons Heimat vernichtet Medea dessen Onkel, der Jason auf die gefährliche Reise geschickt hatte, um ihn aus dem Weg zu räumen und so den eigentlich Jason zustehenden Thron für sich zu behalten. Medea und Jason fliehen darauf an den Hof des Königs Kreon in Korinth. Hier beginnt die Tragödie des Euripides. Medea und Jason haben inzwischen drei gemeinsame Söhne. Jason jedoch hat Medea verlassen und die Tochter des Königs Kreon geheiratet, angeblich um die wirtschaftliche Not der Familie zu beheben. Medea, die für ihn alles aufgegeben und ihre Heimat verlassen hat, wird von ihm verstoßen, und Kreon droht, sie zu verbannen. Medea fühlt sich zutiefst verletzt und verraten und beschließt, sich an Jason, ihrer Nebenbuhlerin und dem König zu rächen, und entwirft einen ausgefeilten Racheplan. Sie lässt die eigenen Kinder der Tochter Kreons als Hochzeitsgeschenk ein vergiftetes Kleid und einen vergifteten Haarkranz überbringen. Daran stirbt nicht nur die Nebenbuhlerin, sonder auch der ihr zu Hilfe eilende Vater. Um Jason noch tiefer zu treffen, tötet Medea auch die gemeinsamen Kinder. Zum Schluss entflieht sie, Jason verhöhnend, auf einem von dem Sonnengott Helios, ihrem Großvater, geschickten Drachenwagen zu Aigeus, dem König Athens, der ihr zuvor das Asyl angeboten hatte. http://wiki.bildungsserver.de/weltliteratur/index.php/Medea Als Utopie bezeichnet man eine Vorstellung, die sich dadurch auszeichnet, dass sie zwar denkbar, vor dem jeweiligen historisch-kulturellen Hintergrund jedoch (evtl. noch) nicht realisierbar ist. Im Sprachgebrauch wird Utopie als Synonym für einen als unausführbar geltenden Plan, Wunschtraum, Konzept und/oder Vision benutzt. Semantisch leitet sich der Begriff "Utopie" von den beiden griechischen Worten eutopie (guter Ort) und outopie ("kein Ort") ("topie" leitet sich von topos, also Ort, ab) ab, also Nicht-Ort. Die griechische Übersetzung kann aber auch als "Wunschort" ausgelegt werden. Es handelt sich um eine Welt, die bisher keinen Ort hat und nur als Gedanke und Idee existiert. Die Utopie liegt fast immer in der Zukunft oder in einer fernen Gegend. Auch diesem Stück liegt ein Thema zugrunde, welches den englischen Schriftsteller immer wieder beschäftigt: die Untersuchung der Wurzeln von Gewalt in der Gesellschaft. Ein Optimist ist jemand, der genau weiß, wie traurig die Welt sein kann. „Die Kinder“ handelt nicht von Kindern, die einander Gewalt antun, sondern von Erwachsenen, die Kindern Gewalt antun. Edward Bond: „.Die Kinder“ schrieb ich für eine von Schließung bedrohte staatliche Schule in England. Die Lehrer meinten: .Die Kinder werden das Stück nicht verstehen. Es ist zu schwierig." Die Kinder verstanden das Stück aber sehr wohl. Nach der Uraufführung (im Februar 2000 am Classworks Theatre in Cambridge) kam der Direktor zu mir: Ich unterrichte Kinder seit dreißig Jahren. Ich hatte keine Ahnung, sie würden dazu in der Lage sein." Eine Mutter sagte danach: “Genau so rede ich mit meinen Kindern!" Sie war nicht von dem Stück, sondern über sich selbst schockiert. Die Schule wurde nicht geschlossen. Vieles in dem Stück handelt von Familien, allerdings in einem Zusammenhang gesellschaftlicher Verhältnisse. Oft wird behauptet, dass die Ursachen für soziale Probleme in der Famille liegen. Das stimmt aber nicht. Familien spiegeln die Umgangsformen der Gesellschaft, von der sie ein Teil sind - und deren Formen von Unterdrückung sie daher auch enthalten. Nur reaktionäre Politiker sehen die Ursache - wie auch die Lösung - sozialer Probleme in der Familie. Es stimmt allerdings, dass Probleme in Familien viel heftiger und unmittelbarer verhandelt werden, da die Familie eine Arena der Machtverhältnisse darstellt. Wir werden keines von unseren Problemen lösen, solange wir nicht an einer gerechteren Gesellschaft arbeiten dieses Ziel muss einem bewusst sein, immer wieder vor Augen geführt werden, radikal. Theater darf man nicht auf Agitprop und Lehrstücke reduzieren. Gerechtigkeit kann nicht auf das Soziale oder Psychologische reduziert werden. Sie ist ein Merkmal der Humanität - und Humanität wird nicht genetisch oder kulturell vererbt. Sie wird stetig neu geschaffen. Weil ihre Problematik sich nicht in einer dauerhaften Form zeigt. Gerechtigkeit ist die Antwort der Humanität in einer Situation des Wandels - und da wir nicht gerecht sind, ist die Situation immer paradox und kritisch: ein Agon, Wettstreit. Nur Formen des Dramas können dies erhellen. Deshalb braucht Theater die Mittel der Tragödie. Joe und die Kinder sind das Zentrum. Sie lügen nicht. Kinder sind wahr. Sie werden getötet, aber auch die Landschaft. Kinder wissen heutzutage überall, dass die Welt stirbt, sie stirbt stündlich. Es gibt keine Schmetterlinge mehr, die Bäume sterben. Kinder wissen, dass die Menschen sterben. Kinder sterben täglich viele Tode. Die Welt stirbt innerlich. Jede Woche werden in England zwei Kinder ermordet. Das sind Bilder unserer Zeit. Joes letzter Satz ist ein Paradox, aber eine Wahrheit. Das Stück handelt unter anderem davon, wie unsere Kinder Menschen werden. (Edward Bond) Wir sind Kinder beim Spiel mit den Waffen der Apokalypse In Wahrheit ist jedes Kind ein Riese und jede Regierung ein Zwerg. Ein Kind schätzt Spielzeug wie Erwachsene den Wert des Eigentums schatzen. Für den Erwachsenen ist Eigentum ein Wert; für das Kind ist es die Vorstellungskraft, die dem Eigentum Wert gibt. Die Vorstellungskraft des Kindes verleiht allen Dingen Leben. Das Kind gibt der Puppe einen Wert, dem Spielzeug, dem Stück Holz; Erwachsene empfangen Werte, sie schaffen keine. Das Kind drückt des Allgemeine im Konkreten aus; für das Kind liegt der Wert aller Dinge in dem einen Ding, der Wert aller Beziehungen in der einen Beziehung, das Vergehen aller Zeit in dem einen Augenblick. Und deshalb kann ein Kind nicht zerstören; selbst seine Wut ist schöpferisch, weil sie ein Versuch ist, einen Bann zu schaffen, der der Welt die Gerechtigkeit zurückgibt denke immer daran, dass das Kind der einzige Urheber von Werten ist. Glaubte das Kind nicht, es sei Gott, wären wir keine Menschen. Das Kind ist nicht egoistisch, es identifiziert sich nur mit allen Dingen. Das Kind entwirft eine Karte der Welt und ist Teil dieser Karte. So übernimmt das Kind Verantwortung für die Welt. Und damit legt es den Grund seines Verstehens, und wäre es nicht so, dann wäre es nicht bei Verstand; deshalb handelt das Kind immer tugendhaft. Wer ein Kind schlägt, schlägt Gott ins Gesicht. Wenn der Staat dem Kind sagt: "Jetzt bist du erwachsen und legst das Kindische ab - stattdessen geben wir dir die reale Welt und deine Rolle darin" dann macht der Staat aus dem Kind eine Fiktion. In den westlichen Konsum-Demokratien sind alle Leute Fiktionen. Weil nämlich jetzt die Imagination dem Kapitalismus gehört - sie ist eine Ästhetik ohne Inhalt, wenn deine Imagination jemandem gehört, wirst du zur Fiktion, du bist nicht dein eigener Schöpfer. Das ist die Form, die die Sklaverei in unserer Demokratie annimmt - und die, die so versklavt sind, haben nicht einmal den Wunsch, frei zu sein, weil sie sich ihre eigenen Ketten kaufen. Gut: Auch Verrückte haben kein Verlangen, bei Verstand zu sein. Unsere Gesellschaft ist heute eine Fiktion. Wir sind wie Kinder, haben aber nicht einmal das Verantwortungsgefühl eines Kindes. Wir haben die technologische Macht eines Riesen, aber nicht einmal die Kontrolle, die Kinder über ihr Spielzeug haben. Mehr ist Demokratie nicht. Ein Zustand großer Gefahr. Wir sind Kinder beim Spiel mit den Waffen der Apokalypse. Edward Bond, 1994 Ein Optimist ist jemand, der genau weiß, wie traurig diese Welt sein kann, während ein Pessimist täglich zu dieser Erkenntnis gelangt. Sir Peter Ustinov Peter Iden Jemanden finden Zu Edward Bonds „Die Kinder“ Das dramatische Werk, das der jetzt 68jährige Edward Bond mit dem neueren Stück fortgeschrieben hat, ist eine der großen dichterischen Leistungen der Epoche. Wieder und wieder handeln die Konstellationen seiner szenischen Entwürfe von dem andauernden Skandal, sich unter den gegebenen Umständen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Verelendung und Vergewaltigung, Totschlag und Mord einrichten zu müssen in Verhältnissen, in denen jeder zugleich Täter ist und Opfer. Kein anderer ist so rücksichtslos wie Bond vorgedrungen in die Praxis wölfischer Gruppen und Gesellschaften, in denen jeder jedem ein Feind ist oder unversehens dazu werden kann. Radikaler als in seinen früheren Stücken bestimmt ortloses, unbehaustes Unterwegssein das Personal von Die Kinder. Die Kinder entscheiden sich für den gemeinsamen Aufbruch, das Verlassen einer ihnen immerhin bekannten Gegend, mit dem vagen Ziel einer ihnen ganz unbekannten Stadt, weil sie einen aus ihrer Gruppe schützen wollen, der, um dem Verlangen der Mutter nach Rache an einem untreuen Mann zu genügen, dessen Haus angezündet hat. Ihre Wanderschaft führt sie durch menschenleere Regionen. Der alte, kranke Mann, den sie aufnehmen und auf einer Bahre mitführen auf dieser Reise, ist der, dessen Sohn in dem Feuer, von dem das Haus vernichtet wurde, zu Tode gekommen war. Er vergilt den Jungen ihre Fürsorge, indem er sie nächtens einen nach dem anderen erschlägt. Es steht schlimm um die Welt, aber es wird immer noch schlimmer kommen. Bond lässt keinen Spielraum, keine Luft: Das Jammertal, als das er die Welt sieht, schließt das Theater ein. Nicht ein Ort des befreienden Begreifens der Ursachen von Zuständen und Haltungen (wie etwa im Theater Brechts) ist die Bühne, sondern Teil der Not, die für Bond allgemein, allumfassend, und ausweglos ist. Das neue Theater Bonds behauptet, ohne darum einem historischen Naturalismus zu verfallen, die fingierte Realität der Personen und ihrer Handlungen als unmittelbar aus der sozialen und politischen Wirklichkeit abgeleitete und zugleich als unausweichliche (und unvermeidliche) Zukunft dessen, was ist. Daraus resultiert eine Dringlichkeit, die der ästhetischen Praxis dieser Jahre sonst eher fremd ist. Das gilt auch für Die Kinder. Bond, das ist neu, lässt den Darstellern Freiheit zur Improvisation. In mehreren Szenen können sie ihre eigenen Rollen wählen, angeleitet durch die Situationen und Sätze, die vom Text vorgegeben sind. Durch den Rückgriff der Darsteller auf individuelle Erfahrungen für die theatralische Realität (will auch dieses Stück) ein Höchstmaß von Unmittelbarkeit. Jedoch beginnt das Stück mit dem in seiner Gedankenführung und poetischen Sprengkraft außerordentlich gefassten Monolog des Knaben Joe. Dem Jungen ist eine Stoffpuppe, die er am Ende der Szene steinigen wird – „Mach die Augen zu. Sei tot.“ – der einzige Partner, außerhalb der Misere seines Elternhauses die einzige Gesellschaft. Alle Sehnsucht nach Austausch und Gemeinschaft wird zunächst projiziert auf das tote Objekt in Menschengestalt – und dann ebenso, im Akt der Tötung der Puppe, die Unmöglichkeit, Gemeinschaft zu halten. So, wie es später Anzeichen gibt für eine solidarische Verständigung der anderen Kinder mit Joe, aber dieser Junge dann doch, wenn die Wanderschaft der Gruppe durch das „waste Land“ der Welt in Mord und Totschlag endet, allein steht: „Ich bin die letzte Person auf der Welt.“ Das Verlangen allerdings nach etwas, das mehr wäre, bleibt. Abgehend spricht Joe es aus: „Ich muss jemanden finden.“ „Jemanden finden“, das ist Edward Bonds Antrieb immer wieder. Und das Theater, notorisch der Ort von Gesellschaft, für ihn darum folgerichtig der Hauptplatz seiner Suche. Mal für Mal hat sein dramatisches Werk die Bühne befragt nach ihrem Potential, von der Wahrheit zu handeln, hat Bond das Theater belastet, in extremis herausgefordert – bis auch zur Verzweiflung daran. Die Kinder bezeugt jetzt abermals eine Auseinandersetzung, die im zeitgenössischen Drama ohne Beispiel ist. (2002)