Revolution und Krise

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Kritisches Wörterbuch des Marxismus
Revolution
Die Bedeutung des Revolutionsbegriffs bei Marx und Engels unterscheidet sich nicht
besonders von der sonst üblichen. Wir treffen ihn in verschiedenen Zusammenhängen
und in Verbindung mit verschiedenen Attributen an, wodurch er weit über die
kapitalistische bzw. die vor- oder unmittelbar nachkapitalistische Epoche hinausreicht.
Für sich allein genommen aber bezeichnet der Ausdruck zumeist das politische Projekt
der Kommunisten, die als Revolutionäre in einer revolutionären Partei organisiert
sind: Er richtet sich also nach den unterschiedlichen politischen Projekten, mit denen
die Kommunisten sich identifiziert haben, wobei der Akzent auf der ersten Phase der
Verwirklichung dieses Projekts liegt, dem Sturz der Kapitalistenklasse und aller
politischer Institutionen, in denen und durch die ihre Macht ausgeübt wird.
Diese allgemeine Definition ist stark durch den historischen Bezug auf die
Französische Revolution von 1789 bestimmt, die als langfristiger politischer und
sozialer Prozess begriffen wird, als ein in einer Art von Geschichtsphilosophie
eingefügtes >>Moment<<: >>Jede Revolution löst die alte Gesellschaft auf; insofern
ist sie sozial. Jede Revolution stürzt die alte Gewalt; insofern ist sie politisch.<<
(Marx, Kritische Randglossen zu dem Artikel eines Preußen, MEW 1, 409) Zugleich
gibt es bei Marx recht früh schon eine Wechselbeziehung zwischen der historischpolitischen Auffassung der Revolution – die im wesentlichen ein Erbe der deutschen
demokratischen Tradition ist (sie z.B. Heines Gedicht 1647-1789-????) und in der
berühmten Formulierung >>die Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte<<
(Klassenkämpfe, MEW 7,85) gut zum Ausdruck kommt – und ihrer Einordung in ein
ökonomisches Denken: >>Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die
materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen
Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den
Eigentumsverhältnissen, innerhalb derer sie sich bisher bewegt hatten. Aus
Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln
derselben um. Es tritt eine Epoche sozialer Revolution ein.<< (Vorw 1859, MEW
13,9)
Dieses politisch-soziale Schema, das erhärtet wird durch die ökonomische
Perspektive, wirkt sich aus in der Anwendung des Revolutionsbegriffs auf den Kampf
der Bauern gegen den Feudalismus (vgl. Bauernkrieg, MEW 7, 350, 382) und auf den
Kampf er Bourgeoisie gegen den Feudalismus zur Zeit der Reformation und der
Revolution von 1789 (vgl. MEW 4, 341; 6, 193; 7, 446; 21, 249). Es wird also auf
geschichtlich abgelaufene Perioden angewendet ebenso wie auf die Idee der
kommunistischen Revolution: diese kommt allerdings weniger im Substantiv
>>Revolution<< (das stets in einem historischen Stoff, der in der Vergangenheit
Gestalt angenommen hat, gefasst wird) als vielmehr im Adjektiv >>revolutionär<<
zum Ausdruck. Der Ausdruck nimmt also eine historisch nach vorn weisende
Bedeutung an, und im Hinblick darauf können die vielfältigen imaginären
Vorstellungen der Revolution – die Fahnen, die Gesänge, die Gemälde und Dramen –
sich daranheften. Der Begriff des historischen Materialismus verbindet sich hier mit
einer im Volk verwurzelten Mythologie; er bezeichnet den Umsturz der
kapitalistischen Herrschaft durch einen vom Proletariat geführten Klassenkampf und
die Errichtung einer kommunistischen oder sozialistischen Gesellschaftsordnung.
Von 1857 an dominiert der Ausdruck proletarische Revolution, doch stößt man auch
(bis 1850) auf kommunistische Revolution, seltener auf sozialistische Revolution (erst
ab 1875), zuweilen auch auf Revolution des Proletariats: >>Der Zweck des
Kommunistischen Bundes ist, durch alle Mittel der Propaganda und des politischen
Kampfes die Zertrümmerung der alten Gesellschaft – und Sturz der Bourgeoisie –, die
geistige, politische und ökonomische Befreiung des Proletariats, die kommunistische
Revolution durchzuführen.<< (Statuten des Kommunistischen Bundes, MEW 7, 565;
vgl. auch MEW 3, 69f.; 4, 372, Manifest, 481; 17, 415; 19, 228; DN, MEW 20, 566)
Neben diesem Bedeutungskern trifft man auch auf spezielle Verwendungen, etwa
auf >>Ackerbauerrevolution<< (K I, MEW 23, 734; bürgerliche Revolution in einem
Agrarland) oder demokratische Revolution – letzteres ziemlich selten, wobei Marx
diesem Ausdruck einen klassisch republikanischen Inhalt gibt (vgl. MEW 4, 355),
Engels dagegen einen mehr proletarischen Sinn (vgl. MEW 27, 61). Ebenso wird der
Begriff der >>permanenten Revolution<< (oder >>Revolution in Permanenz<<) als
der bis zur letzten Konsequenz geführten Revolution zuerst auf den Prozess der
Verwirklichung der bürgerlichen Revolution angewandt (Der magyarische Kampf,
MEW 6, 166; Judenfrage, MEW 1, 357), verbindet sich aber auch mit der Ausweitung
dieser bürgerlichen Revolution zur proletarischen Revolution (vgl. Klassenkämpfe,
MEW 7, 90; MEW 7, 248, 254) .
Politische Revolution hat manchmal den sozusagen technischen Sinn einer
Revolution in der traditionellen Instanz des Politischen (MEW 8, 414; 37, 327), sogar
den des bloßen Machtwechsels innerhalb derselben herrschenden Klasse (MEW 5,
135; Bürgerkrieg, MEW 17, 336). Manchmal ist dieser – durch den Gegensatz zur
sozialen Revolution – einschränkende Sinn auch explizit: >> (…) eine teilweise, eine
nur politische Revolution<< (KHR, MEW 1, 388; vgl. auch Judenfrage, ebd., 367).
Umgekehrt bestimmt sich der Begriff der sozialen Revolution durch den Gegensatz zur
bloß politischen Revolution: Die >>Konstituierung der Arbeiterklasse als politische
Partei (ist) unerlässlich (…) für den Triumph der sozialen Revolution und ihres
Endziels – Abschaffung der Klassen<< (Beschlüsse der Londoner
Delegiertenkonferenz der IAA, MEW 17, 422; Hervorh. getilgt).
Parallel zu dieser recht homogenen Reihe, aber auch in Verbindung damit, benutzen
Marx und Engels den Ausdruck Revolution in einem sehr viel weiteren Sinn, um damit
die großen Umwälzungen in der Ökonomie (MEW 1, 558; 3, 356; 22; 390) oder der
Kultur (DN, MEW 20, 313) zu kennzeichnen. Dieser allgemeine Sinn konzentriert sich
hauptsächlich um den Begriff der industriellen Revolution (MEW 16, 66; 22, 515; K I,
MEW 23, 396, 453, 498, 527; 21, 334).
Wenn auch schließlich Marx und Engels manchmal im Zusammenhang mit
Weltanschauungen von Revolutionen sprechen – z.B. von >>Revolutionen in den
Köpfen der Arbeiter<< (Engels an Carl Erbe, 24. April 1894, MEW 39, 239; vgl. auch
MEW 16, 359; K I, MEW 23, 37) –, so ist es doch allein Engels, der von
philosophischer Revolution spricht: >>Die industrielle Revolution hat für England
dieselbe Bedeutung wie die politische Revolution für Frankreich und die
philosophische für Deutschland<< (Lage, MEW 2, 250)
ANMERKUNG. – Die Konnotationen des Revolutions-Begriffs reichen so weit, dass
sie sich auf praktisch alle Eingänge eines Wörterbuch des Marxismus beziehen. Man
konsultiere insbesondere folgende Artikel und ihre Bibliographien: Bolschewismus,
Demokratie, Diktatur des Proletariats, Gewalt, Klassen, Klassenkampf,
Kommunismus, Konterrevolution, Krise, Leninismus, Luxemburgismus; Macht,
Partei, Praxis, Produktivkraft, Produktionsverhältnisse, Proletariat,
Reform/Revolution, Sozialismus, Strategie/Taktik, Theorie, Übergang,
Verschmelzung.
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