Das mir von unserer Präsidentin angetragene Thema lautet: Bonn ./. Berlin; vor dem Hintergrund, dass ich wie oft erklärt häufig in Berlin bin und deshalb zu diesem Thema eine besondere Affinität haben könnte. In Berlin bin ich tatsächlich öfters, aber nur aus beruflichen Gründen, die mit unserem Unternehmen zu tun haben, und zwar als Fachverlag für Steuern, Wirtschaft und Recht sowie als Anbieter einer umfassenden Software insbesondere für die steuerberatenden Berufe. Etliche meiner Ansprechpartner zur Entwicklung und für den Vertrieb solcher Produkte treffe ich in Berlin – aber nicht nur dort. Das Thema für heute betrifft damit nicht unsere und meine Kernkompetenz. Es tangiert aber meine Seele als Bonner, letztlich aber auch als Deutscher und insoweit auch als Berliner. Und deshalb habe ich den Vorschlag unserer Präsidentin gerne angenommen. Die Frage stellt sich: Seite 1 von 46 Was lässt sich subsummieren unter Bonn ./. Berlin oder Berlin ./. Bonn oder wohl besser Berlin ./. Bonn ./. Berlin? Was soll ich vortragen? Zu zwei Städten, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten: Bonn Berlin Westen Osten 327.913 Einwohner mehr als 10 x so groß (3,4 Mill.), die größte Stadt in Deutschland Rhein. Frohnatur Berliner Schnauze, aber auch eher wortkarg rheinländisch preußisch katholisch protestantisch (Westen), konfessionslos (Osten) Karneval im Rampenlicht erst seit Gründung der BRD ----Metropole seit mehreren Jahrhunderten ca. 2000 Jahre alt, fast 3 x nur gut 750 Jahre alt so alt wie Berlin Seite 2 von 46 Nun, es gibt auch Verbindendes. Andernfalls gäbe es das Thema nicht. Und darin liegt die Antwort, wobei sich mein Vortrag nur darauf fokussiert, was beide Städte in ganz besonderer Weise vernetzt oder vernetzt hat. In diesem Sinne richtet sich die Betrachtung auf 3 Kernpunkte, nämlich: 1. die Zeit, in der das Rheinland 1815 preußische Provinz geworden war, regiert von Berlin, betroffen somit auch die Stadt Bonn (ein Ergebnis des Wiener Kongresses); 2. die preußische Neugründung der Universität in Bonn 1818, also nur 3 Jahre später, als Friedrich-Wilhelms-Universität, zugleich mit einer neuen Ausrichtung; 3. die wechselvolle Geschichte von Berlin und Bonn als besondere Städte, Berlin Residenz-Stadt in Preußen, Bonn durch Preußen Universitätsstadt, insoweit auch (aber nicht nur) als Ausgleich für den verlorenen Status als Hauptstadt KurKölns, Berlin deutsche Hauptstadt, Berlin (genauer Ost-Berlin) nur noch Hauptstadt des Teilstaates DDR, Seite 3 von 46 Bonn (schon knapp vorher) Hauptstadt des anderen Teilstaates Bundesrepublik Deutschland, Berlin Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands, nachdem die DDR der Bundesrepublik Deutschland beigetreten war – mit der Folge, Bonn nur noch Bundesstadt Bonn. Wie gehe ich nun vor? Zweistufig. Zuerst stelle ich jeden dieser 3 Punkte in den historischen Kontext, insoweit nur als einordnenden Überblick. Daraus abgeleitet, dann aber auch ausführlicher, werde ich berichten über die Universität, ihre Bedeutung heute und ihre Geschichte, das Bonn-Berlin-Gesetz, verabschiedet 1994, als Organisationsgesetz zur Regelung der StandortAufteilung der Bundesministerien sowie zahlreicher Oberbehörden / -Einrichtungen des Bundes. Der Fokus darauf macht Sinn, weil die Redezeit begrenzt ist, weil es aber auch die beiden Aspekte des Themas betrifft, die für Bonn die größte nachhaltige Bedeutung haben. Seite 4 von 46 Also: Zurück Zu 1.: Preußische Rheinprovinz =============================== Die Historie im Überblick: Das Rheinland war nur eine der preußischen Provinzen, nämlich neben Brandenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen, Posen, Schlesien, Sachsen, Westfalen. Und 1866 nach dem innerdeutschen Krieg traten als weitere Provinzen hinzu Schleswig-Holstein, Hessen-Nassau, Hannover. Seite 5 von 46 Preußen mit seinen Provinzen war ein heterogenes Gebilde. Die Kraft zur Integration wuchs aus einem Reformwerk, das den modernen Staat zum Ziel hatte, seinen Bürgern auf vielen Ebenen politische Mitwirkungsrechte einzuräumen (Stichwort: Reichsfreiherr von Stein, Freiherr von Hardenberg). Aus dieser Integrationskraft und nicht nur durch militärische Erfolge entwickelte sich ein Staatsgebilde hin zu Deutschland, weg von vielen kleinen Fürstenstaaten, aber auch in seiner Gesamtheit preußisch geprägt – und letztlich auch von den Rheinländern bejubelt. Zunächst aber gab es wohl keinen größeren Gegensatz als den zwischen Preußen oder/und seinen östlichen Provinzen einerseits und den Rheinlanden andererseits. Der Westen war am stärksten geprägt durch den französischen Nachbarn. So gehörte zwischen 1801 und 1814 das gesamte linksrheinische Gebiet unmittelbar zum französischen Staat. Und so verteidigten die Rheinländer die Errungenschaften aus der französischen Ära, z.B. die französische Gemeindeverfassung, den Code-Napoleon, der bereits die Gleichheit vor dem Gesetz, Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen sowie ein liberales Presserecht garantierte. Seite 6 von 46 Ich sagte: die „katholischen“ Rheinländer, denn es gab auch konfessionelle Spannungen gegenüber der Macht Preußen. Das zeigte sich z.B. 1835 in dem Streit um „die Evangelische Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung“. Die Gegensätze im Rheinland entzündeten sich z.B. auch an der nationalen Frage 1849 bis 1851, in der Protestanten und Liberale ein Kleindeutschland unter Preußens Vormacht befürworteten, ohne Österreich, und die Katholiken ein großdeutsches Reich mit Österreich vorzogen (gedacht wieder als Verfassungsvertrag seiner souveränen Mitgliedsstaaten mit Garantiemächten). Und in den 70er/80er Jahren (im inzwischen preußisch Deutschen Reich) war es der sogenannte Kulturkampf, der den politischen Katholizismus in die Knie zwingen wollte. In Bonn müssen die Jesuiten die Stadt verlassen. Geistliche werden ausgewiesen. Es kommt sogar zu Engpässen in der Seelsorge der damals noch zu 80 % katholischen Stadt. 1875 wird der amtierende Oberbürgermeister Kaufmann, ein kämpferischer Katholik, aber preußisch-loyal in seiner Amtsausübung aus dem Amt gejagt. Es wird ihm die königliche Bestätigung versagt. Seite 7 von 46 Repressionen gegen Katholisches, aus preußischer Sicht Un-Liberales, war nur die eine Seite. Andererseits erhielt die jüdische Gemeinde Jahre zuvor, 1869, die rechtliche Gleichstellung und 1879 wurde eine größere Synagoge errichtet, an der Stelle des heutigen Hilton Hotels neben der Rheinbrücke, die die Nazis in der Kristallnacht (9.11.1939) niederbrannten. Nochmals einige Worte zur Entwicklung von Preußen mit seinen Provinzen hin zum preußisch Deutschen Reich – und dem alsdann alles überragenden Jubel: Es folgten zunächst die Einigungskriege von 1864/1866. Gestützt auf komplizierte, aber auch geschickte Bündnisse lässt Preußen seine Truppen marschieren. Das Ergebnis: die norddeutschen Staaten sind verbündet und Österreich verliert seine Hegemonie in Deutschland. Und ein weiterer, aus der Machtbalance wohl fällig gewordener Krieg, der gegen Frankreich 1870/1871 und von dem preußischen Kanzler Bismarck „geschickt“ so provoziert, dass Frankreich der Angreifer ist, bringt die norddeutschen und süddeutschen Staaten zusammen. Frankreich verliert diesen Krieg. Es wird das Deutsche Reich ausgerufen, sogar in Versailles. Seite 8 von 46 Und Bismarck wird Reichskanzler. Und er ist der Held, auch im ganzen Rheinland. Überall werden Bismarck-Denkmäler aufgestellt, so auch in Bonn, so auch im kleineren Godesberg, dort fast thronend über der Stadt. Schaut man wieder zurück auf die Zeit Preußen und seine Rheinprovinz in den Jahren nach dem Wiener Kongress, finden sich viele Gegensätze: Katholische Urbevölkerung, preußisch-protestantische Staatsdiener, neben kulturellen Gegensätzen, aber auch Unterschiede in o Bevölkerungsdichte, o Handel, Verkehr und Kapitalkraft, gestützt auch auf die sich in der Rheinprovinz entwickelnde (Schwer-)Industrie mit Wirtschaftsbürgertum und oppositioneller Intelligenz, insbesondere gegen die preußische Obrigkeit. Seite 9 von 46 Diese längst überwundenen Gegensätze möchte ich hier nun nicht weiter ausmalen, denn der Fokus gilt letztlich der Frage: Was als für Bonn Besonderes hat uns diese Zeit hinterlassen? Deshalb komme ich zu dem nächsten der eingangs genannten 3 Punkte, nämlich: Zu 2.: Friedrich-Wilhelms-Universität ===================================== In der Phase des hier zunächst nur einordnenden Überblickes zur Historie verbinde ich diesen Punkt aber sogleich mit dem nächsten, weil es einen Zusammenhang gibt. Insoweit komme ich zurück auf den letzten der oben genannten 3 Punkte: Seite 10 von 46 Zu 3.: die wechselvolle Geschichte von Bonn und Berlin als besondere Städte, nämlich als Hauptstadt für ganz Deutschland oder/und nur einen Teil Deutschlands und in Bezug auf Bonn als Universitätsstadt vor dem Hintergrund, dass die Universität von Preußen (aus Berlin) gegründet wurde. ========================================================================== Im Überblick: a) die Preußen-Zeit: insbesondere die Jahre 1709, 1740 ff. und 1818 -------------------------------------------------------------------------Seit 1701 gibt es mit Friedrich I den König von Preußen, der 1709 die bis dato vereinzelten Teile von Berlin zur „Residenz-Stadt Berlin“ - mit knapp 60.000 Einwohnern verbindet. Friedrich II, auch der Große genannt, macht in den Jahren 1740 ff. Berlin zu einer Hauptstadt von europäischem Rang und zu einem Zentrum der Aufklärung mit Blütezeit für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur. Seite 11 von 46 Was das kleine Bonn betrifft, soll die Neugründung der Bonner Universität 1818 durch die Preußen - wie schon gesagt - auch eine Ausgleichsleistung gewesen sein, und zwar für den Verlust der Stadt als Hauptstadt KurKölns, wobei Bonn diese Rolle aber schon mit der Besetzung durch französische Truppen 1794 verloren hatte, also 24 Jahre zuvor. Der Begriff „Ausgleichsleistung“ findet sich in der späteren Geschichte wieder, nämlich in den 1990er-Jahren nach der Wiedervereinigung und dem Umzugsbeschluss. Dazu später mehr. b) die Zeit 1871 bis 1945/1949 ------------------------------------(Ich bin noch im Überblick.) 1871 ist das Jahr der Reichsgründung und Berlin wird nun Hauptstadt des deutschen Reiches, dieses bis 1918 als Kaiserreich, dann als Republik, alsdann (1933) als Diktatur/Drittes Reich. 1945 endet das Dritte Reich mit dem Ende des 2. Weltkrieges in Europa. (Was folgte, hat unsere Generation erlebt. Aber es gehört an dieser Stelle zur Einordnung, so dass ich zusammenfassend darauf auch hinweise:) Seite 12 von 46 Deutschland wird von den 4 alliierten Siegermächten aufgeteilt: Ostdeutschland schlagen sie Polen zu; und Polen muss dafür seinen östlichen Teil an die Sowjetunion abtreten. Der Rest von Deutschland wird zu 4 Besatzungszonen: o Mitteldeutschland die Sowjetisch-besetzte Zone, o Westdeutschland die 3 Zonen der Amerikaner, Briten und Franzosen (Bonn gehört zur britischen Zone); Berlin erhält einen Sonderstatus. Die Stadt wird analog in 4 Sektoren aufgeteilt, über die die Besatzungsmächte zunächst noch gemeinsam herrschen, d.h. auch: mit noch offenen Grenzen von Sektor zu Sektor. Verbunden aber ist damit auch, dass Berlin nicht mehr die Hauptstadt Deutschlands ist. Berlin wird am 13.8.1946 qua Vorläufiger Verfassung, erlassen durch die 4 Alliierten, Stadtstaat. Und das kleine Bonn? Es ist und bleibt eine Provinzstadt, zwar eine schöne, und wird während des Dritten Reiches gerade mal Großstadt, aber mit der angesehenen Universität. Seite 13 von 46 Und wichtig (!): 1923 wurden in Bonn die Steuertabellen erfunden – von Wilhelm Stollfuß. Es gab allerdings einen Wettbewerber, der das von sich ebenso behauptete, später aber mit Stollfuß kooperierte und von Stollfuß auch übernommen wurde. (Zum weiteren Überblick:) Aus den 3 westlichen Besatzungszonen wird die Bundesrepublik Deutschland. Am 10.5.1949 erklärt der Parlamentarische Rat mit 33 gegen 29 Stimmen das kleine Bonn zur vorläufigen Bundeshauptstadt. Am 3.11.1949 stimmt der Deutsche Bundestag mit 200 gegen 179 Stimmen auch für Bonn, gegen den Konkurrenten Frankfurt am Main. Aus dem sowjetisch-besetzten Mitteldeutschland, im Volksmund nun „die Ostzone“ genannt, wird 1949 die DDR. Und Ost-Berlin, d.h. der sowjetisch-besetzte Sektor mit etwa 1/3 der Einwohner, wird entgegen dem Status der Stadt, den alle 4 Alliierten vereinbart hatten, Hauptstadt der DDR. Der Tenor auf den Schildern in der DDR: Berlin = Hauptstadt der DDR, als sei es sogar ganz Berlin. Seite 14 von 46 Die aber in West und Ost geteilte Stadt ist nun das Symbol der deutschen Teilung. Sie wird zunehmend auch für alle Welt Symbol des kalten Krieges, aus der wachsenden Angst, dass die Sowjetunion den Westteil der Stadt ihrem Imperium einverleiben, also der DDR zuschlagen wird, d.h. gewaltsam, so dass der kalte Krieg ein heißer Krieg - bis hin zum großen Flächenbrand. Drohgebärden, die sogenannten Berlin-Krisen, gab es viele, so bereits 1948/49, als West-Berlin sogar 462 Tage nur noch aus der Luft versorgt werden konnte. Das Motiv der Sowjets: Die Bürger der Ostzone, später der DDR, sowie die Ostberliner konnten über die offenen Sektorengrenzen nach Westberlin flüchten – und gefahrlos in die freie Welt; mit der Folge, dass die DDR zunehmend ausblutete. Erst der Bau der Mauer 1961, von den Westalliierten zur Vermeidung eines Krieges hingenommen, sicherte die weitere Existenz der DDR, damit aber auch die weitere Spaltung und der Stadt Bonn den weiter andauernden Status als Vorläufige Bundeshauptstadt. Seite 15 von 46 Das Schicksal der Stadt Berlin veranlasst die politische Klasse der Bundesrepublik immer wieder, der Stadt die Treue zu bekunden und zu betonen, dass Bonn provisorische Hauptstadt ist. c) die Wiedervereinigung ----------------------------Die DDR beginnt am 9.11.1989 zu implodieren. Die bekannte Folge: Es kommt innerhalb nur eines Jahres zum 4 + 2-Vertrag. Die Bundesrepublik Deutschland wird völkerrechtlich voll souverän, was sie faktisch seit den späten 50ern aber schon war. Und mit Wirkung zum 3.10.1990 erfolgt die Auflösung der DDR durch den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland, so festgelegt durch den Einigungsvertrag vom 31.8.1990. Artikel 2 dieses Vertrages erklärt Berlin zur Hauptstadt. Der Einigungsvertrag besagt außerdem: „Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden.“ Diese Entscheidung trifft der Deutsche Bundestag schon am 20.6.1991 (sogenannter Hauptstadtbeschluss), und zwar mit nur sehr knapper Mehrheit zugunsten von Berlin. Seite 16 von 46 Berlin wird schließlich nicht nur im deklaratorischen Sinne die Hauptstadt. Berlin wird wieder die deutsche Hauptstadt mit Sitz der Bundesorgane Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung. Am 26.4.1994 wird das sogenannte Bonn-Berlin-Gesetz verabschiedet. Es regelt, wieweit Bundesorgane und Ministerien ihren oder einen Dienstsitz in Bonn behalten – aber auch, welche Oberen Bundesbehörden / Einrichtungen aus der Fläche nach Bonn zu verlegen sind. Bonn ist nicht mehr Bundeshauptstadt, stattdessen Bundesstadt Bonn. Immerhin. Diese Etikettierung wirkt aber auch wie zu bekundender Trost. Noch eine Anmerkung: „Bonn, Berlin als Hauptstädte der Bundesrepublik Deutschland“, diese Gegenüberstellung führt auch zu der Frage: Wieweit stehen Bonn und Berlin synonym für Inhalte der deutschen Politik, in den Zeiten der Teilung und mit welcher Neuorientierung seit der Wiedervereinigung? Seite 17 von 46 Verbunden mit den Zusatz-Fragen: Gibt es auch unterschiedliche Politik-Stile, so auch unterschiedliche Formen der Selbstdarstellung, auch andere Wege der Einflussnahme? Ist die „Berliner Republik“ etwa eine Lobby-Republik? Das auszuleuchten, wäre ein weites Feld der Betrachtung. Weil es unsere Zeit hier nicht anders erlaubt, blende ich diese Fragen aber aus und ich konzentriere mich nun darauf, wie schon angekündigt, was speziell für Bonn heute und nachhaltig Bedeutung hat. Das betrifft aus der Historie zu Preußen die Universität und die Folgen des Bonn-Berlin-Gesetzes, hier auch die Sorge wegen der Aushöhlung dieses Gesetzes. So komme ich nun: Zur Universität im Einzelnen: -------------------------------------Die Universität ist in Bonn die bedeutendste Einrichtung der öffentlichen Hand, der eigentliche Kern von Alt-Bonn, auch der größte Arbeitgeber vor Ort mit gut 550 Professoren/innen sowie 2.500 wissenschaftlichen und 4.700 nicht-wissenschaftlichen Seite 18 von 46 Mitarbeitern. Und sie hat ca. 38.000 Studenten, insgesamt wie eine Stadt in der Stadt. Die Universität nutzt die wunderschönen kurfürstlichen Anlagen in Alt-Bonn. Der kostenaufwändige Denkmalschutz findet so einen besonderen Sinn. Das, was dem Bonner Stadtbild Noblesse gibt, sind neben der Münsterkirche und dem historischen Rathaus eben diese großzügig angelegten Liegenschaften und Baulichkeiten aus der Zeit des kurfürstlichen Hofes, so auch mit der Poppelsdorfer Allee als einer der schönsten Verbindungsachsen in Deutschland. Dieser Eindruck verbindet sich heute eben mit der Universität. Dieser Eindruck ist auch in eine große Öffentlichkeit gebracht worden, als der Hofgarten (neben der Poppelsdorfer Allee) mit dem Blick auf die Alma mater in den Zeiten der Bonner Republik Schauplatz der riesigen Friedensdemonstrationen war, mit über 100.000 Teilnehmern aus ganz Deutschland, beeindruckend auch, weil diese Demonstrationen völlig gewaltfrei waren. Dem Glanz der Universität verdankt die Stadt Bonn (neben ihrer schönen Lage in einer Rheinkurve mit Blick auf das Siebengebirge), dass sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis Seite 19 von 46 zum 1. Weltkrieg viele bedeutende, auch reiche Familien niederließen. Davon zeugen die großen Villen der Adenauer-Allee, wie die Villa Hammerschmidt oder das Palais Schaumburg. Als Bonner Professoren erhielten den Nobelpreis in neuerer Zeit: Wolfgang Paul (Physik, 1989), Reinhold Selten (Ökonomie, 1994) und weiter zurückliegend: Eduard Anton Lenard (Physik, 1905), Otto Wallach (Chemie, 1910). Aber auch schon Ende des 19. Jahrhunderts hatten in Bonn so angesehene Professoren gelehrt - wie: der Chemiker August Kekulé, der Physiker Heinrich Hertz, der Astronom Argelander und Anfang des 20. Jahrhunderts: der Mathematiker Hausdorff. Seite 20 von 46 Bekannt wurde in den 1970ern: der Chirurg Gütgemann, durch die weltweit 1. Leber-Transplantation. Mit dieser, nur ganz plakativen Benennung beschränke ich mich hier auf die Naturwissenschaften, Medizin und Mathematik, weil deren Gegenstand von Lehre und Forschung in aller Welt gleich verstanden wird, entsprechend die Leistung der Gelehrten, aber auch hier aus dem Zwang, meine Vortragszeit zu bündeln. Die Bedeutung der anderen Fachbereiche/Fakultäten will ich damit nicht relativieren. Und so komme ich wieder zurück auf den Ausgang der Betrachtung, wie Bonn zu dem Geschenk „Universität“ gekommen ist. Gegründet wurde die Universität am 18.10.1818 von dem preußischen König Friedrich Wilhelm III, der die Rheinprovinz seit 1815 regierte. Die Bonner Universität war in den preußischen Provinzen die dritte Neugründung einer Hochschule im Geiste Wilhelms von Humboldt, nämlich nach der in Berlin (1810) und Breslau (1811). Alle diese drei Universitäten bekamen den gleichen Namen Friedrich-Wilhelms-Universität, die Bonner später mit dem Zusatz Rheinische. Seite 21 von 46 Das Motiv des Landesvaters soll gewesen sein: Mut zu machen gegenüber Untertanen, die nach der Zeit der französischen Besetzung die Wiedererrichtung der alten rheinischen Fürstentümer vorgezogen hätten – anstelle der preußischen Rheinprovinz. Und es gab nicht mehr die Universität, die Bonn zuvor hatte, nämlich die sogenannte „Maxische Universität“. Diese war eine kurfürstliche Universität, katholisch-konfessionell geprägt, errichtet von dem Kurfürst Maximilian Friedrich von Königseck-Rotenfels, zunächst als Institut, dann ausgerufen als Universität. 1798, nach dem Einmarsch der französischen Truppen, endete aber diese Universität, wie auch die Kurfürstenzeit endete, damit auch der Status von Bonn als Hauptstadt von KurKöln, dieses schon 1794. Um den Standort der neuen preußischen Universität im Rheinland entbrannte ein heftiger Streit, insbesondere gegenüber Köln und Duisburg, die ebenfalls zuvor ihre kurfürstliche Universität verloren hatten. Dieser Streit endete 1818 zugunsten von Bonn. Dafür gab es 2 Gründe: Seite 22 von 46 Wie schon gesagt, sollte Bonn einen Ausgleich erhalten für den allerdings schon 24 Jahre zuvor erfahrenen Verlust, nicht mehr Hauptstadt KurKölns zu sein Entscheidend war insbesondere aber: Die vorausgegangene Bonner Universität, die Maxische Universität, habe eine aufgeklärtere Ausrichtung gehabt als die noch stärker katholisch-konfessionell geprägten anderen kurfürstlichen Universitäten. Daran wollte man anknüpfen, an den aufgeklärten Geist. Um der neuen Bonner Universität Ansehen zu verleihen, wurden berühmte Wissenschaftler berufen, wie August Wilhelm von Schlegel, Ernst Moritz Arndt, Berthold Georg Niebuhr, Friedrich Argelander. Zunächst gab es: die Katholisch-Theologische Fakultät, die Evangelisch-Theologische Fakultät, die Medizinische Fakultät, die Juristische Fakultät, Seite 23 von 46 die Philosophische Fakultät mit 35 Ordinarien und 8 außerplanmäßigen Professoren. In der juristischen Fakultät wurde auch das vom Allgemeinen Preußischen Landrecht abweichende Rheinische Recht gelehrt. 1864/67 erhielt die Universität das damals weltgrößte chemische Institut. August Kekulé, der Entdecker des Benzolringes, lehrte dort. Die Ausrichtung der Universität war im Sinne der Hochschulreform Wilhelms von Humboldt – mit den Leitlinien: die Verbindung von Lehre und Forschung, die Aufforderung zum Studium generale, die akademische Selbstverwaltung der Universität, die Staatsaufsicht am Ort durch den dem Kultusminister unterstellten Kurator. Die preußische Obrigkeit hatte aber auch Stress mit Angehörigen des Lehrkörpers, z.B. mit Ernst Moritz Arndt, der über Jahre ein generelles Lehrverbot erhielt. Seite 24 von 46 Andere versagten sich aus politischen Gründen der Universität wie die Brüder Grimm, der Philosoph Schelling, der Katholik Görres. Und es gab gravierende Auseinandersetzungen der Ordinarien der Katholisch-Theologischen Fakultät gegenüber der Weltkirche in Rom als Auswirkungen auf das I. Vatikanische Konzil. Die Ordinarien (bis wohl auf einen) lehnten das Unfehlbarkeitsdogma ab. Es bildete sich daraufhin die „Altkatholische Kirche“. Auflisten lassen sich nicht nur Namhafte des Lehrkörpers, sondern auch Namen aus der Studentenschaft. Hier nur einige: Hoffmann von Fallersleben (Dichter 1798 - 1874), Emmanuel Geibel (Dichter, 1815 - 1848), Heinrich Heine (Dichter, 1797 - 1856), Karl Marx (Philosoph, 1813 - 1883), Friedrich Nitzsche (Philosoph, 1844 - 1900), Seite 25 von 46 Carl Schurz (späterer amerikanischer Innenminister, 1829 - 1906), aber etwa auch Joseph Goebbels (Reichspropagandaminister, 1897 - 1945), Konrad Adenauer (der 1. Bundeskanzler, 1876 - 1967). Die Universität galt auch als die Kaderschmiede des Reiches, so auch als die Universität der Prinzen, die sich hier nicht nur im Zack-Zack des studentischen Verbindungslebens geübt haben sollen: Alle Hohenzollern schickten ihre Sprösslinge zum Studium an den Rhein. Das beginnt mit dem späteren „Hundert-Tage-Kaiser“ Friedrich III. 1877 kam der spätere Kaiser Wilhelm II zum Studium nach Bonn. Er kaufte für den nächsten Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der aber den Thron nicht mehr besteigen sollte (das Kaiserreich endete mit dem 1. Weltkrieg), eigens eine feine Villa am Rhein. Seite 26 von 46 Zwischen 1901 und 1908 studierten vier Söhne des Kaisers in Bonn. Und der Kaiser selbst ließ sich auch immer wieder in Bonn blicken. Das zog andere an, die zur guten Gesellschaft gehören wollten (und Geld hatten) und deshalb auch ihre Söhne (Töchter studierten noch kaum) nach Bonn schickten, sei es aus dem weiteren Hochadel oder/und dem Geldadel. Im Oktober 1906 war die Einweihung des Denkmals für Wilhelm I. Die Bonner waren voll begeistert. „Heil Kaiser und Reich“ wurde gesungen. Um 1915, als die Rheinprovinz mit Bonn 100 Jahre zum preußischen Staat gehörte, war auch im Rückblick die Begeisterung für Preußen so groß, dass der Bonner Oberbürgermeister Wilhelm von Spiritus in seiner Ansprache hervorhob: Wir in Bonn sind Preußen besonders dankbar für die Universität und das Militär. „Für die Universität“, dem wird wohl auch heute – nochmals 100 Jahre später – keiner widersprechen. Seite 27 von 46 Zwei Hinweise noch: Im letzten Jahr wurde das Universitätsmuseum eröffnet. Unser Club hat dies im August schon aufgesucht, so dass ich hier vielleicht auch Eulen nach Athen getragen habe. Andererseits waren nicht alle von uns dort. Und zum Studium-Universale gibt es die fortlaufende Vorlesung „Geschichte der Universität Bonn“, wöchentlich. Soviel zum Stichwort „Universität“. Ich fokussiere mich nun und abschließend auf: Das Bonn-Berlin-Gesetz im Einzelnen: -------------------------------------------------Das Bonn-Berlin-Gesetz, ausgefertigt am 26.4.1994, ist ein auf 10 Paragraphen angelegtes Organisationsgesetz. Es ist also ein Gesetz, kein Vertrag, und könnte vom Gesetzgeber auch gegen den Willen der Stadt Bonn modifiziert werden. Für die jetzige Legislaturperiode versichert allerdings der erst vor kurzem verabschiedete Koalitionsvertrag auf Seite 153 von insgesamt 185 Seiten: Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz. Bonn bleibt das zweite bundespolitische Zentrum. Seite 28 von 46 Aber: Wie lange hält die Koalition überhaupt? Wirklich 4 Jahre? Davon abgesehen bekundet ein solcher Vertrag nur politische Absichten, die sich bis zum Ende der Legislaturperiode als Schall und Rauch erweisen können Das Gesetz folgt – und so steht es auch in der längeren Präambel – der Festlegung durch den Einigungsvertrag vom 31.8.1990 zwischen der alten Bundesrepublik Deutschland und der damaligen Noch-DDR, wonach Berlin die Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands ist, sowie der in den Jahren der Teilung oft wiederholten Bekundung des Deutschen Bundestages, dass nach der Herstellung der deutschen Einheit Parlament + Regierung ihren Sitz wieder in Berlin haben sollen, mit dem Verweis noch darauf, dass Berlin in über 40 Jahren Gegenstand der deutschen Teilung und des Willens zur deutschen Einheit war. Seite 29 von 46 Die Präambel verweist auch auf den Hauptstadtbeschluss des Deutschen Bundestages vom 20.6.1991 sowie die Entscheidungen der Bundesregierung vom 3.6.1992 und 12.10.1993, zugleich mit der Würdigung, dass (wörtlich) Bonn in Wahrnehmung der Aufgaben als provisorische Bundeshauptstadt Wesentliches zum Aufbau und zur Identifikation des demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzipien orientierten Deutschlands geleistet hat. Das Gesetz bestimmt die Grundsätze für die Verlagerung der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesregierung nach Berlin. Nicht Gegenstand des Bonn-Berlin-Gesetzes sind die Verfassungsorgane Bundespräsident und Bundesrat. Seite 30 von 46 Sie haben in jeweils eigener Kompetenz beschlossen. Der Bundesrat als die neben dem Bundestag zweite gesetzgebende Kammer hatte sich dann auch für die Verlegung des Sitzes nach Berlin entschieden. Der Bundespräsident hat den 2. Dienstsitz Berlin zum 1. Dienstsitz erklärt. Bonn, die Villa Hammerschmidt, ist seitdem nur noch der 2. Dienstsitz. In § 1 des Bonn-Berlin-Gesetzes wird u.a. festgelegt, dass Bonn bzw. der Region ein Ausgleich zu gewähren ist, nämlich zur Sicherung einer dauerhaften, aber auch fairen Arbeitsteilung durch die aus Bonn nach Berlin zu verlegenden Bundeseinrichtungen, zur Aufrechterhaltung der in Bonn verbleibenden Bundeseinrichtungen, aber auch durch die Verlagerung anderer (nur Oberer) Bundesbehörden nach Bonn. Die Ausgestaltung dieses Anspruches erfolgt erst 3 Jahre später durch den Seite 31 von 46 Ausgleichsvertrag vom 29.4.1994 zwischen Vertretern des Bundes, der Länder NRW und Rheinland-Pfalz, der Stadt Bonn und Kreise Rhein-Sieg und Ahr. Im dortigen Artikel 2 werden die Leistungen des Bundes festgelegt, wonach die Stadt Bonn bis 2004 abschließend DM 2,81 Milliarden erhält, mit zahlreichen Differenzierungen des Verwendungszweckes. Das Bonn-Berlin-Gesetz verlangt für die Organisationsstruktur der Bundesregierung lediglich Folgendes: Der Bundeskanzler bestimmt die Geschäftsbereiche der Bundesminister und in Zusammenhang damit die Bundesministerien, die nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin ihren Sitz in Bonn behalten. Die in Bonn verbleibenden Ministerien „sollen“ auch einen Dienstsitz in Berlin erhalten. die Ministerien in Berlin auch einen Sitz in Bonn. Die zuständigen Minister legen fest, welche Teile in Berlin und welche in Bonn sind. Der größte Teil der Arbeitsplätze „soll“ danach Bonn erhalten bleiben. Seite 32 von 46 Die spätere Folge ist eine doppelte Teilung der Bundesministerien: Alle Bundesministerien erhalten 2 Dienstsitze mit unterschiedlich hohen Anteilen ihrer Arbeitsplätze in Bonn und Berlin. Dann ist zu unterscheiden nach Schlüsselministerien und den anderen. Die Schlüsselministerien halten die meisten ihrer Arbeitsplätze in Berlin, die anderen in Bonn. Die in Bonn sind dennoch sogenannte „Geisterministerien“, weil sie ihre Minister so gut wie nie sehen, oft über ein ganzes Jahr oder länger nicht. Bundesministerien mit 1. Dienstsitz in Berlin sind (neben Bundeskanzleramt sowie dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), also die Schlüsselministerien, i.E.: Auswärtiges Amt, Bundesministerium des Inneren, Bundesministerium der Justiz, Bundesministerium der Finanzen, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Seite 33 von 46 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. In Bonn mit 1. Dienstsitz verbleiben (neben der Völkerwanderung durch die Verlegung bestimmter nachgeordneter Bundesbehörden / -Einrichtungen nach Bonn), die anderen Bundesministerien i.E.: Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Bundesministerium der Verteidigung, Bundesministerium für Gesundheit, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Seite 34 von 46 § 7 des Bonn-Berlin-Gesetzes bestimmt außerdem, hier aber ganz konkret welche Oberen Bundesbehörden im Übrigen und welche Bundeseinrichtungen aus der Fläche der Bundesrepublik Deutschland nach Bonn verlegt werden, z.B. aus Frankfurt am Main oder auch aus Berlin. Das betrifft 16 Behörden / Einrichtungen, die inzwischen alle in Bonn etabliert sind, i.E.: Bundeskartellamt, Bundesversicherungsamt, Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft, Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, Bundesrechnungshof, Bundesinstitut für Berufsbildung, Bundesgesundheitsamt, Zentralstelle Postbank, Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (Außenstelle Berlin), Bundesbaudirektion, Seite 35 von 46 Statistisches Bundesamt (Außenstelle Berlin), Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (Außenstelle Berlin), Bundesamt für Strahlenschutz (Außenstelle Berlin). So viel zur Rechtslage. Nochmals zur Historie: Dem Bonn-Berlin-Gesetz vorausgegangen war der letztlich entscheidende Hauptstadtbeschluss. Und diesem vorausgegangen waren leidenschaftliche Auseinandersetzungen für und gegen Berlin; auch das Votum, dass nach holländischem Beispiel (zum Verhältnis von Amsterdam und Den Haag) Berlin (wieder) die deutsche Hauptstadt ist, Bonn dennoch Sitz von Parlament und Regierung bleibt. Es wurde historisch argumentiert, aber auch mit dem Verständnis von Buchhaltern, ausgerichtet auf mehr oder weniger nur mittelfristige Zeitachsen. Was wer wie vorgetragen hatte, auch während der politischen Auseinandersetzung in den Monaten zuvor, will ich nun nicht alles zusammenfassen. Seite 36 von 46 Zur Abstimmung am 20.6.1991 standen 5 Anträge: Konsens-Antrag, begründet vom Vizechef der Unionsfraktion, Heiner Geissler. Er sah vor, die Regierung in Bonn zu lassen und mit dem Parlament nach Berlin umzuziehen. Gegenantrag: Parlament und Regierung auf keinen Fall trennen. Er wurde von einer Gruppe um die SPD-Abgeordneten Otto Schily und Peter Conradi eingebracht. Pro-Bonn-Antrag (er trug die meisten Unterschriften): Parlament und Bundesregierung sollen in Bonn bleiben. Pro-Berlin-Antrag mit dem pathetischen Titel: „Vollendung der deutschen Einheit“. Ihn hatte die Politik-Prominenz unterzeichnet, von Willy Brandt bis Wolfgang Schäuble. Antrag „Sofort-Umzug von Parlament und Regierung“ der PDS: Er wurde am Ende der Aussprache zurückgezogen. Seite 37 von 46 Es gab keinen Fraktionszwang. Das Ergebnis war offen. Von Rede zu Rede schien sich das Meinungsklima zu ändern. Entscheidend war wohl die Rede von Schäuble – mit seinem Votum für Berlin. Um 21:47 Uhr, nach 11 Stunden Debatten, verkündete die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (sie selbst befürwortete Bonn) 337 Stimmen für den Berlin-Antrag (amtliches Endergebnis waren aber 338), 320 Stimmen für den Bonn-Antrag. Also nur 18 Stimmen mehr für Berlin bzw. 51,4 % aller Stimmen. Darunter die Stimmen von Bundeskanzler und Bundesministern, die für sich betrachtet allerdings mit 13:5 oder 72,2 % für Berlin votierten. Berlin verdankt dieses Wahlergebnis nicht den Abgeordneten der großen Parteien CDU/CSU und SPD, deren Abgeordnete aus den neuen Bundesländern mit eingerechnet. Hier war jeweils die Mehrheit für Bonn, insgesamt sogar mit 290 Stimmen gegen 264. Es votierten aber die Abgeordneten der PDS/Linke Liste (bis auf einen) sowie die meisten der FDP und das Bündnis 90/Grüne für Berlin. Seite 38 von 46 Man kann es auch so lesen: Dass die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern fast einstimmig Berlin gewählt hatten, war zu erwarten. Es hätte aber nicht für Berlin gereicht, hätte es die FDP nicht gegeben. Und in Bonner Kneipen hieß es in der aufgewühlten Stimmung prompt: Die Junker haben uns verraten! Was am Ende verbleibt für bzw. gegen Bonn? Ein Gesetz mit weichen Anspruchsgrundlagen: o Ein Gesetz, das dem Bundeskanzler ausdrücklich die Freiheit belässt, die Geschäftsbereiche der Bundesminister sowie die Zusammensetzung der Bundesministerien zu bestimmen. o Ein Gesetz im Übrigen mit lediglich vielen Soll“Vorschriften. Das gilt auch für die Vorschrift, dass 50 % der Arbeitsplätze aller Bundesministerien in Bonn verbleiben. Auch hier heißt es ausdrücklich „soll“, nicht muss. Ein Gesetz, dass der Gesetzgeber in einem oder in mehreren Schritten ändern kann, dann mutmaßlich zu Lasten von Bonn. Seite 39 von 46 Es wird behauptet, dass schon heute sogar 80 bis 90 % der Abgeordneten das Bonn-Berlin-Gesetz gerne zugunsten für Berlin verändern würden und dass die Mehrheit der Deutschen inzwischen auch gegen den Doppelsitz der Bundesministerien sei (ohne die Organisationsstrukturen aber genauer zu kennen). Die Macht des Faktischen, wonach schleichend, aber wohl auch gezielt und systematisch die Zahl der Arbeitsplätze in Bonn ausgehöhlt wird. Die Zeitbombe, dass die Politiker schon jetzt denken „möglichst alles nach Berlin“, dies der Öffentlichkeit nur noch nicht offenbaren, mit unehrlichen Beschwichtigungen, aber die Änderung des Bonn-Berlin-Gesetzes angehen, sobald es die gesetzgebenden Mehrheiten zulassen. Dieser Tag wird kommen, wenn nicht mehr jede Wählerstimme aus Bonn und Umgebung zählt, etwa bei einer Großen Koalition. Die derzeitige Große Koalition hat dies für sich zwar ausgeschlossen. Eine spätere Große Koalition wird sich diese Bindung wohl nicht mehr auferlegen. Das ist die potenzielle Kehrseite des Bonn-Berlin-Gesetzes, das Bonn aber auch nachhaltige Vorteile gebracht hat, nämlich: Seite 40 von 46 Zahlreiche Oberen Bundesbehörden / -Einrichtungen sind nach Bonn verlegt worden, ohne dass deren Arbeitsplätze in Frage gestellt sind. Bonn profitiert auch davon, dass die Deutsche Bundespost privatisiert worden ist und die rechtlichen Nachfolger mit ihren Zentralen in Bonn verblieben sind, inzwischen sogar als multi-nationale Konzerne o die Deutsche Telekom, o die Deutsche Post, aber auch o die Deutsche Postbank; abgesehen von: Wissenschaftseinrichtungen, die ebenfalls – wie vom Bonn-Berlin-Gesetz gewollt – in Bonn angesiedelt worden sind, und Einrichtungen der UN. Die Folge allein davon: Es gibt in Bonn um die 170 Einrichtungen internationaler Organisationen. Seite 41 von 46 Nun einige Zahlen: Nach den Schätzungen des Bundesverbandes für Steuerzahler verursacht der doppelte Regierungssitz jährlich ca. € 23 Mio. an Kosten, mit dem größten Einzelposten für Dienstreisen in Höhe von allein € 7 Mio. Noch werden trotz aller Elektronik 750 Tonnen Papier pro Jahr hin- und hergeschickt. Und so ist es die Meinung dieses Bundesverbandes: Es sei höchste Zeit, das Bonn-Berlin-Gesetz zu ändern. Ein Umzug würde sich nach etwa 10 Jahren amortisieren. Gemeint ist wohl sogar der vollständige Umzug. Der Anteil an Bonner Dienststellen in den Bundesministerien ist in der Kanzlerschaft Merkel allein von Mitte 2012 bis Mitte 2013 von 44,7 % auf 38,9 % abgesunken. Damit sind zu den im Bonn-Berlin-Gesetz benannten 50 % für den Dienstort Bonn (Ist aber nur eine „Soll“-Größe!) 2.000 Dienstposten zu viel verlagert worden. Die Bundesministerien halten in Bonn und Berlin zusammen gut 18.000 Dienststellen (Stand: 30.6.2013), von denen die Hälfte, gut 9.000, in Bonn sein „sollen“. Tatsächlich sind es nur ca. 7.000. Zusammenfassende Auflistungen mit Differenzierungen Seite 42 von 46 nach jeder einzelnen Behörde lassen sich beim Bundesinnenministerium abrufen. Die Frage also ist: Hat Bonn diese fehlenden 2.000 Arbeitsplätze durch neue Arbeitsplätze außerhalb des Arbeitgebers Bund kompensieren können? Und: Könnte Bonn auch die restlichen 7.000 Arbeitsplätze kompensieren, wenn diese per Rutschbahn nach Berlin verlegt worden sind? Wir wissen, dass Bonn bis jetzt gut davon gekommen ist, sogar mit einem Bevölkerungszuwachs, und dass der „worst-case“ nicht schlagartig eintritt. Aber die Rutschbahn wird steiler. Das zeigt z.B. die aktuelle Diskussion zu den Planungen für das Bundesverteidigungsministerium. Das wird sich bald bei der Bekanntgabe der Personalplanung für das Bundesinnenministerium wiederholen. Und in allen Bundesministerien ist es schon jetzt so, dass der junge Referent mit Zukunft in Berlin sitzt, der alte Referatsleiter, auf dessen Pensionierung man nur wartet, hier. Seite 43 von 46 Die Konsequenz: Bonn muss, wie es ein herausgefordertes Unternehmen macht, selbst etwas entgegenstellen. Das verlangt in der Kommunalpolitik Verantwortliche, die echte Manager sind, mehr als nur Moderatoren oder/und Geldverteiler der durch eigenes Missmanagement eigentlich schon leeren Kassen. Ansätze gäbe es dafür: Bonn ist insbesondere UN-Stadt und Wissenschafts-Stadt. Bonn ist Stadt der Bundesbehörden und die Stadt Beethovens. Was aber wird zum Ausbau dafür getan?? Eine Anmerkung zu den Bundesbehörden: Wäre es nicht auch im Sinne von Bonn, aktiv daran mitzuwirken, dass Bundesministerien von dem Speck befreit werden, der Sache nachgeordneter Oberbehörden sein könnte, die als schon bestehende oder noch weiter einzurichtende Behörden in Bonn dauerhaft verbleiben? Seite 44 von 46 Nur: Wenn qua Rutschbahn der gesamte Apparat bereits in Berlin angekommen ist, hätte Bonn von einer solchen Umorganisation wohl nichts mehr. Die Zeit zerrinnt also, aktiv überhaupt noch mitgestalten zu können. Ich denke: Die Wiedervereinigung, so wie sie recht plötzlich kam, ist ein unfassbares Geschenk der Geschichte, ohne dass auch nur ein Schuss gefallen war. Dafür müssen wir zutiefst dankbar sein. Das Bonn-Berlin-Gesetz ist das Beste, was für Bonn machbar war. Das Gesetz ist fair zugleich für Bonn und Berlin, auch in Ansehung, dass Behörden aus der Fläche nach Bonn verlegt wurden, zum Nachteil anderer Orte, sowie in Ansehung, mit welchen Schwierigkeiten viele Bürger in den neuen Bundesländern klarkommen mussten, denen die Wiedervereinigung einen grundlegenden Paradigmenwechsel auferlegte, zusammen mit dem wohl auch nicht zu vermeidenden wirtschaftlichen Kollaps, der sich vielerorts zuerst einmal einstellte. Seite 45 von 46 Und Berlin, Symbol und besonderes Opfer der deutschen Teilung, ist nun als Symbol der Wiedervereinigung die würdige Hauptstadt. Eine Stadt, die sich auch großmaßstäblich und hauptstadtgerecht organisieren kann, grundsätzlich auch gut. Und Berlin ist bei aller Größe nicht protzig, so auch aus der Einbindung in die föderalistische Struktur der Bundesrepublik Deutschland. Würdig wäre es nicht, wäre die alte und neue Hauptstadt nur qua Etikette Hauptstadt, ohne die Regierung + Parlament + Bundesrat und nur etwa mit dem Bundespräsidenten vor Ort (als Notar der Nation). Und Bonn ist und bleibt eine Perle am Rhein, eine schöne Stadt, mit einem besonders hohen Anteil an Akademikern, auch außerhalb der Universität und schließlich mit einer Universität, die Ansehen genießt. Seite 46 von 46