Berlin

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Das mir von unserer Präsidentin angetragene Thema lautet:
Bonn ./. Berlin;
vor dem Hintergrund, dass ich wie oft erklärt häufig in Berlin bin
und deshalb zu diesem Thema eine besondere Affinität haben
könnte.
In Berlin bin ich tatsächlich öfters, aber nur aus beruflichen
Gründen, die mit unserem Unternehmen zu tun haben, und
zwar als Fachverlag für Steuern, Wirtschaft und Recht sowie
als Anbieter einer umfassenden Software insbesondere für die
steuerberatenden Berufe. Etliche meiner Ansprechpartner zur
Entwicklung und für den Vertrieb solcher Produkte treffe ich in
Berlin – aber nicht nur dort.
Das Thema für heute betrifft damit nicht unsere und meine
Kernkompetenz. Es tangiert aber meine Seele als Bonner, letztlich aber auch als Deutscher und insoweit auch als Berliner.
Und deshalb habe ich den Vorschlag unserer Präsidentin gerne
angenommen.
Die Frage stellt sich:
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Was lässt sich subsummieren unter
Bonn ./. Berlin
oder
Berlin ./. Bonn
oder wohl besser
Berlin ./. Bonn ./. Berlin?
Was soll ich vortragen? Zu zwei Städten, die auf den ersten
Blick unterschiedlicher nicht sein könnten:
Bonn
Berlin
Westen
Osten
327.913 Einwohner
mehr als 10 x so groß (3,4
Mill.),
die größte Stadt in
Deutschland
Rhein. Frohnatur
Berliner Schnauze,
aber auch eher wortkarg
rheinländisch
preußisch
katholisch
protestantisch (Westen),
konfessionslos (Osten)
Karneval
im Rampenlicht erst seit
Gründung der BRD
----Metropole seit mehreren
Jahrhunderten
ca. 2000 Jahre alt, fast 3 x nur gut 750 Jahre alt
so alt wie Berlin
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Nun, es gibt auch Verbindendes. Andernfalls gäbe es das
Thema nicht. Und darin liegt die Antwort, wobei sich mein Vortrag nur darauf fokussiert, was beide Städte in ganz besonderer
Weise vernetzt oder vernetzt hat.
In diesem Sinne richtet sich die Betrachtung auf 3 Kernpunkte,
nämlich:
1. die Zeit, in der das Rheinland 1815 preußische Provinz geworden war, regiert von Berlin, betroffen somit auch die
Stadt Bonn (ein Ergebnis des Wiener Kongresses);
2. die preußische Neugründung der Universität in Bonn 1818,
also nur 3 Jahre später, als Friedrich-Wilhelms-Universität,
zugleich mit einer neuen Ausrichtung;
3. die wechselvolle Geschichte von Berlin und Bonn als besondere Städte,
 Berlin Residenz-Stadt in Preußen,
 Bonn durch Preußen Universitätsstadt,
 insoweit auch (aber nicht nur) als Ausgleich für den verlorenen Status als Hauptstadt KurKölns,
 Berlin deutsche Hauptstadt,
 Berlin (genauer Ost-Berlin) nur noch Hauptstadt des
Teilstaates DDR,
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 Bonn (schon knapp vorher) Hauptstadt des anderen Teilstaates Bundesrepublik Deutschland,
 Berlin Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands,
nachdem die DDR der Bundesrepublik Deutschland beigetreten war – mit der Folge,
 Bonn nur noch Bundesstadt Bonn.
Wie gehe ich nun vor?
Zweistufig. Zuerst stelle ich jeden dieser 3 Punkte in den historischen Kontext, insoweit nur als einordnenden Überblick. Daraus abgeleitet, dann aber auch ausführlicher, werde ich berichten über
 die Universität,
ihre Bedeutung heute und ihre Geschichte,
 das Bonn-Berlin-Gesetz,
verabschiedet 1994,
als Organisationsgesetz zur Regelung der StandortAufteilung der Bundesministerien sowie zahlreicher Oberbehörden / -Einrichtungen des Bundes.
Der Fokus darauf macht Sinn, weil die Redezeit begrenzt ist,
weil es aber auch die beiden Aspekte des Themas betrifft, die
für Bonn die größte nachhaltige Bedeutung haben.
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Also: Zurück
Zu 1.:
Preußische Rheinprovinz
===============================
Die Historie im Überblick:
Das Rheinland war nur eine der preußischen Provinzen, nämlich neben
 Brandenburg,
 Pommern,
 Ost- und Westpreußen,
 Posen,
 Schlesien,
 Sachsen,
 Westfalen.
Und 1866 nach dem innerdeutschen Krieg traten als weitere
Provinzen hinzu
 Schleswig-Holstein,
 Hessen-Nassau,
 Hannover.
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Preußen mit seinen Provinzen war ein heterogenes Gebilde.
Die Kraft zur Integration wuchs aus einem Reformwerk, das
den modernen Staat zum Ziel hatte, seinen Bürgern auf vielen
Ebenen politische Mitwirkungsrechte einzuräumen (Stichwort:
Reichsfreiherr von Stein, Freiherr von Hardenberg). Aus dieser
Integrationskraft und nicht nur durch militärische Erfolge entwickelte sich ein Staatsgebilde hin zu Deutschland, weg von vielen kleinen Fürstenstaaten, aber auch in seiner Gesamtheit
preußisch geprägt – und letztlich auch von den Rheinländern
bejubelt.
Zunächst aber gab es wohl keinen größeren Gegensatz als den
zwischen Preußen oder/und seinen östlichen Provinzen einerseits und den Rheinlanden andererseits. Der Westen war am
stärksten geprägt durch den französischen Nachbarn. So gehörte zwischen 1801 und 1814 das gesamte linksrheinische
Gebiet unmittelbar zum französischen Staat. Und so verteidigten die Rheinländer die Errungenschaften aus der französischen Ära, z.B.
 die französische Gemeindeverfassung,
 den Code-Napoleon,
der bereits die Gleichheit vor dem Gesetz, Mündlichkeit
und Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen sowie ein
liberales Presserecht garantierte.
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Ich sagte: die „katholischen“ Rheinländer, denn es gab auch
konfessionelle Spannungen gegenüber der Macht Preußen.
 Das zeigte sich z.B. 1835 in dem Streit um „die Evangelische Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung“.
 Die Gegensätze im Rheinland entzündeten sich z.B. auch
an der nationalen Frage 1849 bis 1851, in der Protestanten und Liberale ein Kleindeutschland unter Preußens
Vormacht befürworteten, ohne Österreich, und die Katholiken ein großdeutsches Reich mit Österreich vorzogen (gedacht wieder als Verfassungsvertrag seiner souveränen
Mitgliedsstaaten mit Garantiemächten).
 Und in den 70er/80er Jahren (im inzwischen preußisch
Deutschen Reich) war es der sogenannte Kulturkampf, der
den politischen Katholizismus in die Knie zwingen wollte.
In Bonn müssen die Jesuiten die Stadt verlassen. Geistliche werden ausgewiesen. Es kommt sogar zu Engpässen
in der Seelsorge der damals noch zu 80 % katholischen
Stadt.
 1875 wird der amtierende Oberbürgermeister Kaufmann,
ein kämpferischer Katholik, aber preußisch-loyal in seiner
Amtsausübung aus dem Amt gejagt. Es wird ihm die königliche Bestätigung versagt.
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 Repressionen gegen Katholisches, aus preußischer Sicht
Un-Liberales, war nur die eine Seite. Andererseits erhielt
die jüdische Gemeinde Jahre zuvor, 1869, die rechtliche
Gleichstellung und 1879 wurde eine größere Synagoge errichtet, an der Stelle des heutigen Hilton Hotels neben der
Rheinbrücke, die die Nazis in der Kristallnacht (9.11.1939)
niederbrannten.
Nochmals einige Worte zur Entwicklung von Preußen mit seinen Provinzen hin zum preußisch Deutschen Reich – und dem
alsdann alles überragenden Jubel:
Es folgten zunächst die Einigungskriege von 1864/1866. Gestützt auf komplizierte, aber auch geschickte Bündnisse lässt
Preußen seine Truppen marschieren. Das Ergebnis: die norddeutschen Staaten sind verbündet und Österreich verliert seine
Hegemonie in Deutschland.
Und ein weiterer, aus der Machtbalance wohl fällig gewordener
Krieg, der gegen Frankreich 1870/1871 und von dem preußischen Kanzler Bismarck „geschickt“ so provoziert, dass Frankreich der Angreifer ist, bringt die norddeutschen und süddeutschen Staaten zusammen. Frankreich verliert diesen Krieg. Es
wird das Deutsche Reich ausgerufen, sogar in Versailles.
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Und Bismarck wird Reichskanzler. Und er ist der Held, auch im
ganzen Rheinland. Überall werden Bismarck-Denkmäler aufgestellt, so auch in Bonn, so auch im kleineren Godesberg, dort
fast thronend über der Stadt.
Schaut man wieder zurück auf die Zeit Preußen und seine
Rheinprovinz in den Jahren nach dem Wiener Kongress, finden
sich viele Gegensätze:
 Katholische Urbevölkerung, preußisch-protestantische
Staatsdiener,
 neben kulturellen Gegensätzen, aber auch Unterschiede in
o Bevölkerungsdichte,
o Handel, Verkehr und Kapitalkraft,
gestützt auch auf die sich in der Rheinprovinz entwickelnde (Schwer-)Industrie mit
Wirtschaftsbürgertum und
oppositioneller Intelligenz, insbesondere gegen die
preußische Obrigkeit.
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Diese längst überwundenen Gegensätze möchte ich hier nun
nicht weiter ausmalen, denn der Fokus gilt letztlich der Frage:
Was als für Bonn Besonderes hat uns diese Zeit hinterlassen?
Deshalb komme ich zu dem nächsten der eingangs genannten
3 Punkte, nämlich:
Zu 2.:
Friedrich-Wilhelms-Universität
=====================================
In der Phase des hier zunächst nur einordnenden Überblickes
zur Historie verbinde ich diesen Punkt aber sogleich mit dem
nächsten, weil es einen Zusammenhang gibt. Insoweit komme
ich zurück auf den letzten der oben genannten 3 Punkte:
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Zu 3.:
die wechselvolle Geschichte von Bonn und Berlin als besondere Städte,
 nämlich als Hauptstadt für ganz Deutschland oder/und
nur einen Teil Deutschlands und
 in Bezug auf Bonn als Universitätsstadt
vor dem Hintergrund, dass die Universität von Preußen
(aus Berlin) gegründet wurde.
==========================================================================
Im Überblick:
a) die Preußen-Zeit: insbesondere die Jahre 1709, 1740 ff.
und 1818
-------------------------------------------------------------------------Seit 1701 gibt es mit Friedrich I den König von Preußen,
der 1709 die bis dato vereinzelten Teile von Berlin zur
„Residenz-Stadt Berlin“ - mit knapp 60.000 Einwohnern verbindet.
Friedrich II, auch der Große genannt, macht in den Jahren 1740 ff. Berlin zu einer Hauptstadt von europäischem
Rang und zu einem Zentrum der Aufklärung mit Blütezeit
für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur.
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Was das kleine Bonn betrifft, soll die Neugründung der
Bonner Universität 1818 durch die Preußen - wie schon
gesagt - auch eine Ausgleichsleistung gewesen sein, und
zwar für den Verlust der Stadt als Hauptstadt KurKölns,
wobei Bonn diese Rolle aber schon mit der Besetzung
durch französische Truppen 1794 verloren hatte, also 24
Jahre zuvor.
Der Begriff „Ausgleichsleistung“ findet sich in der späteren Geschichte wieder, nämlich in den 1990er-Jahren
nach der Wiedervereinigung und dem Umzugsbeschluss.
Dazu später mehr.
b) die Zeit 1871 bis 1945/1949
------------------------------------(Ich bin noch im Überblick.)
1871 ist das Jahr der Reichsgründung und Berlin wird
nun Hauptstadt des deutschen Reiches, dieses bis 1918
als Kaiserreich, dann als Republik, alsdann (1933) als
Diktatur/Drittes Reich.
1945 endet das Dritte Reich mit dem Ende des 2. Weltkrieges in Europa.
(Was folgte, hat unsere Generation erlebt. Aber es gehört
an dieser Stelle zur Einordnung, so dass ich zusammenfassend darauf auch hinweise:)
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Deutschland wird von den 4 alliierten Siegermächten aufgeteilt:
 Ostdeutschland schlagen sie Polen zu; und Polen muss
dafür seinen östlichen Teil an die Sowjetunion abtreten.
 Der Rest von Deutschland wird zu 4 Besatzungszonen:
o Mitteldeutschland die Sowjetisch-besetzte Zone,
o Westdeutschland die 3 Zonen der Amerikaner, Briten
und Franzosen
(Bonn gehört zur britischen Zone);
 Berlin erhält einen Sonderstatus.
Die Stadt wird analog in 4 Sektoren aufgeteilt, über die
die Besatzungsmächte zunächst noch gemeinsam
herrschen, d.h. auch: mit noch offenen Grenzen von
Sektor zu Sektor.
Verbunden aber ist damit auch, dass Berlin nicht mehr
die Hauptstadt Deutschlands ist.
Berlin wird am 13.8.1946 qua Vorläufiger Verfassung,
erlassen durch die 4 Alliierten, Stadtstaat.
Und das kleine Bonn? Es ist und bleibt eine Provinzstadt,
zwar eine schöne, und wird während des Dritten Reiches
gerade mal Großstadt, aber mit der angesehenen Universität.
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Und wichtig (!): 1923 wurden in Bonn die Steuertabellen
erfunden – von Wilhelm Stollfuß. Es gab allerdings einen
Wettbewerber, der das von sich ebenso behauptete, später aber mit Stollfuß kooperierte und von Stollfuß auch
übernommen wurde.
(Zum weiteren Überblick:)
Aus den 3 westlichen Besatzungszonen wird die Bundesrepublik Deutschland.
Am 10.5.1949 erklärt der Parlamentarische Rat mit 33
gegen 29 Stimmen das kleine Bonn zur vorläufigen Bundeshauptstadt. Am 3.11.1949 stimmt der Deutsche Bundestag mit 200 gegen 179 Stimmen auch für Bonn, gegen
den Konkurrenten Frankfurt am Main.
Aus dem sowjetisch-besetzten Mitteldeutschland, im
Volksmund nun „die Ostzone“ genannt, wird 1949 die
DDR.
Und Ost-Berlin, d.h. der sowjetisch-besetzte Sektor mit
etwa 1/3 der Einwohner, wird entgegen dem Status der
Stadt, den alle 4 Alliierten vereinbart hatten, Hauptstadt
der DDR. Der Tenor auf den Schildern in der DDR: Berlin
= Hauptstadt der DDR, als sei es sogar ganz Berlin.
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Die aber in West und Ost geteilte Stadt ist nun das Symbol der deutschen Teilung.
Sie wird zunehmend auch für alle Welt Symbol des kalten
Krieges, aus der wachsenden Angst, dass die Sowjetunion den Westteil der Stadt ihrem Imperium einverleiben,
also der DDR zuschlagen wird, d.h. gewaltsam, so dass
der kalte Krieg ein heißer Krieg - bis hin zum großen Flächenbrand.
Drohgebärden, die sogenannten Berlin-Krisen, gab es
viele, so bereits 1948/49, als West-Berlin sogar 462 Tage
nur noch aus der Luft versorgt werden konnte.
Das Motiv der Sowjets:
Die Bürger der Ostzone, später der DDR, sowie die Ostberliner konnten über die offenen Sektorengrenzen nach
Westberlin flüchten – und gefahrlos in die freie Welt; mit
der Folge, dass die DDR zunehmend ausblutete.
Erst der Bau der Mauer 1961, von den Westalliierten zur
Vermeidung eines Krieges hingenommen, sicherte die
weitere Existenz der DDR, damit aber auch die weitere
Spaltung und der Stadt Bonn den weiter andauernden
Status als Vorläufige Bundeshauptstadt.
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Das Schicksal der Stadt Berlin veranlasst die politische
Klasse der Bundesrepublik immer wieder, der Stadt die
Treue zu bekunden und zu betonen, dass Bonn provisorische Hauptstadt ist.
c) die Wiedervereinigung
----------------------------Die DDR beginnt am 9.11.1989 zu implodieren.
Die bekannte Folge: Es kommt innerhalb nur eines Jahres zum 4 + 2-Vertrag.
Die Bundesrepublik Deutschland wird völkerrechtlich voll
souverän, was sie faktisch seit den späten 50ern aber
schon war. Und mit Wirkung zum 3.10.1990 erfolgt die
Auflösung der DDR durch den Beitritt zur Bundesrepublik
Deutschland, so festgelegt durch den Einigungsvertrag
vom 31.8.1990.
Artikel 2 dieses Vertrages erklärt Berlin zur Hauptstadt.
Der Einigungsvertrag besagt außerdem:
 „Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung
wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands
entschieden.“
Diese Entscheidung trifft der Deutsche Bundestag schon
am 20.6.1991 (sogenannter Hauptstadtbeschluss), und
zwar mit nur sehr knapper Mehrheit zugunsten von Berlin.
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Berlin wird schließlich nicht nur im deklaratorischen Sinne
die Hauptstadt. Berlin wird wieder die deutsche Hauptstadt mit Sitz der Bundesorgane Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung.
Am 26.4.1994 wird das sogenannte Bonn-Berlin-Gesetz
verabschiedet.
 Es regelt, wieweit Bundesorgane und Ministerien ihren
oder einen Dienstsitz in Bonn behalten – aber auch,
welche Oberen Bundesbehörden / Einrichtungen aus
der Fläche nach Bonn zu verlegen sind.
 Bonn ist nicht mehr Bundeshauptstadt, stattdessen
Bundesstadt Bonn. Immerhin. Diese Etikettierung wirkt
aber auch wie zu bekundender Trost.
Noch eine Anmerkung:
„Bonn, Berlin als Hauptstädte der Bundesrepublik Deutschland“, diese Gegenüberstellung führt auch zu der Frage:
 Wieweit stehen Bonn und Berlin synonym für Inhalte der
deutschen Politik, in den Zeiten der Teilung und mit welcher Neuorientierung seit der Wiedervereinigung?
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Verbunden mit den Zusatz-Fragen:
 Gibt es auch unterschiedliche Politik-Stile,
 so auch unterschiedliche Formen der Selbstdarstellung,
 auch andere Wege der Einflussnahme?
Ist die „Berliner Republik“ etwa eine Lobby-Republik?
Das auszuleuchten, wäre ein weites Feld der Betrachtung. Weil
es unsere Zeit hier nicht anders erlaubt, blende ich diese Fragen aber aus und ich konzentriere mich nun darauf, wie schon
angekündigt, was speziell für Bonn heute und nachhaltig Bedeutung hat.
Das betrifft aus der Historie zu Preußen die Universität und die
Folgen des Bonn-Berlin-Gesetzes, hier auch die Sorge wegen
der Aushöhlung dieses Gesetzes.
So komme ich nun:
Zur Universität im Einzelnen:
-------------------------------------Die Universität ist in Bonn die bedeutendste Einrichtung der
öffentlichen Hand, der eigentliche Kern von Alt-Bonn, auch der
größte Arbeitgeber vor Ort mit gut 550 Professoren/innen sowie
2.500 wissenschaftlichen und 4.700 nicht-wissenschaftlichen
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Mitarbeitern. Und sie hat ca. 38.000 Studenten, insgesamt wie
eine Stadt in der Stadt.
Die Universität nutzt die wunderschönen kurfürstlichen Anlagen
in Alt-Bonn. Der kostenaufwändige Denkmalschutz findet so einen besonderen Sinn.
Das, was dem Bonner Stadtbild Noblesse gibt, sind neben der
Münsterkirche und dem historischen Rathaus eben diese
großzügig angelegten Liegenschaften und Baulichkeiten aus
der Zeit des kurfürstlichen Hofes, so auch mit der Poppelsdorfer
Allee als einer der schönsten Verbindungsachsen in Deutschland. Dieser Eindruck verbindet sich heute eben mit der Universität.
Dieser Eindruck ist auch in eine große Öffentlichkeit gebracht
worden, als der Hofgarten (neben der Poppelsdorfer Allee) mit
dem Blick auf die Alma mater in den Zeiten der Bonner Republik Schauplatz der riesigen Friedensdemonstrationen war, mit
über 100.000 Teilnehmern aus ganz Deutschland, beeindruckend auch, weil diese Demonstrationen völlig gewaltfrei
waren.
Dem Glanz der Universität verdankt die Stadt Bonn (neben ihrer schönen Lage in einer Rheinkurve mit Blick auf das Siebengebirge), dass sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis
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zum 1. Weltkrieg viele bedeutende, auch reiche Familien niederließen. Davon zeugen die großen Villen der Adenauer-Allee,
wie die Villa Hammerschmidt oder das Palais Schaumburg.
Als Bonner Professoren erhielten den Nobelpreis in neuerer
Zeit:
 Wolfgang Paul (Physik, 1989),
 Reinhold Selten (Ökonomie, 1994)
und weiter zurückliegend:
 Eduard Anton Lenard (Physik, 1905),
 Otto Wallach (Chemie, 1910).
Aber auch schon Ende des 19. Jahrhunderts hatten in Bonn so
angesehene Professoren gelehrt - wie:
 der Chemiker August Kekulé,
 der Physiker Heinrich Hertz,
 der Astronom Argelander
und Anfang des 20. Jahrhunderts:
 der Mathematiker Hausdorff.
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Bekannt wurde in den 1970ern:
 der Chirurg Gütgemann, durch die weltweit
1. Leber-Transplantation.
Mit dieser, nur ganz plakativen Benennung beschränke ich
mich hier auf die Naturwissenschaften, Medizin und Mathematik, weil deren Gegenstand von Lehre und Forschung in aller
Welt gleich verstanden wird, entsprechend die Leistung der Gelehrten, aber auch hier aus dem Zwang, meine Vortragszeit zu
bündeln. Die Bedeutung der anderen Fachbereiche/Fakultäten
will ich damit nicht relativieren.
Und so komme ich wieder zurück auf den Ausgang der Betrachtung, wie Bonn zu dem Geschenk „Universität“ gekommen
ist.
Gegründet wurde die Universität am 18.10.1818 von dem preußischen König Friedrich Wilhelm III, der die Rheinprovinz seit
1815 regierte.
Die Bonner Universität war in den preußischen Provinzen die
dritte Neugründung einer Hochschule im Geiste Wilhelms von
Humboldt, nämlich nach der in Berlin (1810) und Breslau
(1811). Alle diese drei Universitäten bekamen den gleichen
Namen Friedrich-Wilhelms-Universität, die Bonner später mit
dem Zusatz Rheinische.
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Das Motiv des Landesvaters soll gewesen sein:
 Mut zu machen gegenüber Untertanen, die nach der Zeit
der französischen Besetzung die Wiedererrichtung der alten rheinischen Fürstentümer vorgezogen hätten – anstelle
der preußischen Rheinprovinz.
Und es gab nicht mehr die Universität, die Bonn zuvor hatte, nämlich die sogenannte „Maxische Universität“. Diese
war eine kurfürstliche Universität, katholisch-konfessionell
geprägt, errichtet von dem Kurfürst Maximilian Friedrich
von Königseck-Rotenfels, zunächst als Institut, dann ausgerufen als Universität. 1798, nach dem Einmarsch der
französischen Truppen, endete aber diese Universität, wie
auch die Kurfürstenzeit endete, damit auch der Status von
Bonn als Hauptstadt von KurKöln, dieses schon 1794.
Um den Standort der neuen preußischen Universität im Rheinland entbrannte ein heftiger Streit, insbesondere gegenüber
Köln und Duisburg, die ebenfalls zuvor ihre kurfürstliche Universität verloren hatten.
Dieser Streit endete 1818 zugunsten von Bonn. Dafür gab es
2 Gründe:
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 Wie schon gesagt, sollte Bonn einen Ausgleich erhalten für
den allerdings schon 24 Jahre zuvor erfahrenen Verlust,
nicht mehr Hauptstadt KurKölns zu sein
 Entscheidend war insbesondere aber:
Die vorausgegangene Bonner Universität, die Maxische
Universität, habe eine aufgeklärtere Ausrichtung gehabt
als die noch stärker katholisch-konfessionell geprägten
anderen kurfürstlichen Universitäten. Daran wollte man
anknüpfen, an den aufgeklärten Geist.
Um der neuen Bonner Universität Ansehen zu verleihen, wurden berühmte Wissenschaftler berufen, wie
 August Wilhelm von Schlegel,
 Ernst Moritz Arndt,
 Berthold Georg Niebuhr,
 Friedrich Argelander.
Zunächst gab es:
 die Katholisch-Theologische Fakultät,
 die Evangelisch-Theologische Fakultät,
 die Medizinische Fakultät,
 die Juristische Fakultät,
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 die Philosophische Fakultät
mit 35 Ordinarien und 8 außerplanmäßigen Professoren.
In der juristischen Fakultät wurde auch das vom Allgemeinen
Preußischen Landrecht abweichende Rheinische Recht gelehrt.
1864/67 erhielt die Universität das damals weltgrößte chemische Institut. August Kekulé, der Entdecker des Benzolringes,
lehrte dort.
Die Ausrichtung der Universität war im Sinne der Hochschulreform Wilhelms von Humboldt – mit den Leitlinien:
 die Verbindung von Lehre und Forschung,
 die Aufforderung zum Studium generale,
 die akademische Selbstverwaltung der Universität,
 die Staatsaufsicht am Ort durch den dem Kultusminister
unterstellten Kurator.
Die preußische Obrigkeit hatte aber auch Stress mit Angehörigen des Lehrkörpers, z.B. mit
 Ernst Moritz Arndt,
der über Jahre ein generelles Lehrverbot erhielt.
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Andere versagten sich aus politischen Gründen der Universität
wie
 die Brüder Grimm,
 der Philosoph Schelling,
 der Katholik Görres.
Und es gab gravierende Auseinandersetzungen der Ordinarien
der Katholisch-Theologischen Fakultät gegenüber der Weltkirche
in Rom als Auswirkungen auf das I. Vatikanische Konzil. Die
Ordinarien (bis wohl auf einen) lehnten das Unfehlbarkeitsdogma ab. Es bildete sich daraufhin die „Altkatholische Kirche“.
Auflisten lassen sich nicht nur Namhafte des Lehrkörpers, sondern auch Namen aus der Studentenschaft.
Hier nur einige:
 Hoffmann von Fallersleben (Dichter 1798 - 1874),
 Emmanuel Geibel (Dichter, 1815 - 1848),
 Heinrich Heine (Dichter, 1797 - 1856),
 Karl Marx (Philosoph, 1813 - 1883),
 Friedrich Nitzsche (Philosoph, 1844 - 1900),
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 Carl Schurz (späterer amerikanischer Innenminister,
1829 - 1906), aber etwa auch
 Joseph Goebbels (Reichspropagandaminister,
1897 - 1945),
 Konrad Adenauer (der 1. Bundeskanzler, 1876 - 1967).
Die Universität galt auch als die Kaderschmiede des Reiches,
so auch als die Universität der Prinzen, die sich hier nicht nur
im Zack-Zack des studentischen Verbindungslebens geübt
haben sollen:
 Alle Hohenzollern schickten ihre Sprösslinge zum Studium
an den Rhein.
 Das beginnt mit dem späteren „Hundert-Tage-Kaiser“
Friedrich III.
 1877 kam der spätere Kaiser Wilhelm II zum Studium nach
Bonn.
 Er kaufte für den nächsten Kronprinzen Friedrich Wilhelm,
der aber den Thron nicht mehr besteigen sollte (das Kaiserreich endete mit dem 1. Weltkrieg), eigens eine feine
Villa am Rhein.
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 Zwischen 1901 und 1908 studierten vier Söhne des Kaisers in Bonn.
 Und der Kaiser selbst ließ sich auch immer wieder in Bonn
blicken.
Das zog andere an, die zur guten Gesellschaft gehören wollten
(und Geld hatten) und deshalb auch ihre Söhne (Töchter studierten noch kaum) nach Bonn schickten, sei es aus dem weiteren Hochadel oder/und dem Geldadel.
Im Oktober 1906 war die Einweihung des Denkmals für Wilhelm I.
Die Bonner waren voll begeistert. „Heil Kaiser und Reich“ wurde
gesungen.
Um 1915, als die Rheinprovinz mit Bonn 100 Jahre zum preußischen Staat gehörte, war auch im Rückblick die Begeisterung
für Preußen so groß, dass der Bonner Oberbürgermeister Wilhelm von Spiritus in seiner Ansprache hervorhob:
 Wir in Bonn sind Preußen besonders dankbar für die Universität und das Militär.
„Für die Universität“, dem wird wohl auch heute – nochmals 100
Jahre später – keiner widersprechen.
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Zwei Hinweise noch:
 Im letzten Jahr wurde das Universitätsmuseum eröffnet.
Unser Club hat dies im August schon aufgesucht, so dass
ich hier vielleicht auch Eulen nach Athen getragen habe.
Andererseits waren nicht alle von uns dort.
 Und zum Studium-Universale gibt es die fortlaufende Vorlesung „Geschichte der Universität Bonn“, wöchentlich.
Soviel zum Stichwort „Universität“. Ich fokussiere mich nun und
abschließend auf:
Das Bonn-Berlin-Gesetz im Einzelnen:
-------------------------------------------------Das Bonn-Berlin-Gesetz, ausgefertigt am 26.4.1994, ist ein auf
10 Paragraphen angelegtes Organisationsgesetz.
Es ist also ein Gesetz, kein Vertrag, und könnte vom Gesetzgeber auch gegen den Willen der Stadt Bonn modifiziert werden.
Für die jetzige Legislaturperiode versichert allerdings der erst
vor kurzem verabschiedete Koalitionsvertrag auf Seite 153 von
insgesamt 185 Seiten:
 Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz. Bonn bleibt das zweite bundespolitische Zentrum.
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Aber: Wie lange hält die Koalition überhaupt? Wirklich 4 Jahre?
Davon abgesehen bekundet ein solcher Vertrag nur politische
Absichten, die sich bis zum Ende der Legislaturperiode als
Schall und Rauch erweisen können
Das Gesetz folgt – und so steht es auch in der längeren Präambel –
 der Festlegung durch den Einigungsvertrag vom 31.8.1990
zwischen der alten Bundesrepublik Deutschland und der
damaligen Noch-DDR,
wonach Berlin die Hauptstadt des wiedervereinigten
Deutschlands ist, sowie
 der in den Jahren der Teilung oft wiederholten Bekundung
des Deutschen Bundestages, dass nach der Herstellung
der deutschen Einheit
Parlament + Regierung ihren Sitz wieder in Berlin haben
sollen,
 mit dem Verweis noch darauf, dass Berlin in über 40 Jahren Gegenstand der deutschen Teilung und des Willens
zur deutschen Einheit war.
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Die Präambel verweist auch auf
 den Hauptstadtbeschluss des Deutschen Bundestages
vom 20.6.1991 sowie
 die Entscheidungen der Bundesregierung vom 3.6.1992
und 12.10.1993,
zugleich mit der Würdigung, dass
 (wörtlich) Bonn in Wahrnehmung der Aufgaben als provisorische Bundeshauptstadt Wesentliches zum Aufbau und
zur Identifikation des demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzipien orientierten Deutschlands geleistet hat.
Das Gesetz bestimmt die Grundsätze für die Verlagerung der
Verfassungsorgane
 Bundestag und
 Bundesregierung
nach Berlin.
Nicht Gegenstand des Bonn-Berlin-Gesetzes sind die Verfassungsorgane
 Bundespräsident und
 Bundesrat.
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Sie haben in jeweils eigener Kompetenz beschlossen.
Der Bundesrat als die neben dem Bundestag zweite gesetzgebende Kammer hatte sich dann auch für die Verlegung des Sitzes nach Berlin entschieden.
Der Bundespräsident hat den 2. Dienstsitz Berlin zum 1. Dienstsitz erklärt. Bonn, die Villa Hammerschmidt, ist seitdem nur
noch der 2. Dienstsitz.
In § 1 des Bonn-Berlin-Gesetzes wird u.a. festgelegt,
 dass Bonn bzw. der Region ein Ausgleich zu gewähren ist,
nämlich
zur Sicherung einer dauerhaften, aber auch fairen Arbeitsteilung durch die aus Bonn nach Berlin zu verlegenden
Bundeseinrichtungen,
zur Aufrechterhaltung der in Bonn verbleibenden Bundeseinrichtungen,
aber auch durch die Verlagerung anderer (nur Oberer)
Bundesbehörden nach Bonn.
Die Ausgestaltung dieses Anspruches erfolgt erst 3 Jahre später durch den
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 Ausgleichsvertrag vom 29.4.1994 zwischen Vertretern des
Bundes, der Länder NRW und Rheinland-Pfalz, der Stadt
Bonn und Kreise Rhein-Sieg und Ahr.
Im dortigen Artikel 2 werden die Leistungen des Bundes festgelegt, wonach die Stadt Bonn bis 2004 abschließend DM 2,81
Milliarden erhält, mit zahlreichen Differenzierungen des Verwendungszweckes.
Das Bonn-Berlin-Gesetz verlangt für die Organisationsstruktur
der Bundesregierung lediglich Folgendes:
 Der Bundeskanzler bestimmt die Geschäftsbereiche der
Bundesminister und in Zusammenhang damit die Bundesministerien, die nach dem Umzug der Bundesregierung
nach Berlin ihren Sitz in Bonn behalten.
 Die in Bonn verbleibenden Ministerien „sollen“ auch einen
Dienstsitz in Berlin erhalten.
 die Ministerien in Berlin auch einen Sitz in Bonn.
 Die zuständigen Minister legen fest, welche Teile in Berlin
und welche in Bonn sind.
 Der größte Teil der Arbeitsplätze „soll“ danach Bonn erhalten bleiben.
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Die spätere Folge ist eine doppelte Teilung der Bundesministerien:
 Alle Bundesministerien erhalten 2 Dienstsitze mit unterschiedlich hohen Anteilen ihrer Arbeitsplätze in Bonn und
Berlin.
 Dann ist zu unterscheiden nach Schlüsselministerien und
den anderen.
Die Schlüsselministerien halten die meisten ihrer Arbeitsplätze in Berlin, die anderen in Bonn.
Die in Bonn sind dennoch sogenannte „Geisterministerien“, weil sie ihre Minister so gut wie nie sehen, oft über
ein ganzes Jahr oder länger nicht.
Bundesministerien mit 1. Dienstsitz in Berlin sind (neben Bundeskanzleramt sowie dem Presse- und Informationsamt der
Bundesregierung), also die Schlüsselministerien, i.E.:
 Auswärtiges Amt,
 Bundesministerium des Inneren,
 Bundesministerium der Justiz,
 Bundesministerium der Finanzen,
 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie,
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 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung,
 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
 Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
In Bonn mit 1. Dienstsitz verbleiben (neben der Völkerwanderung durch die Verlegung bestimmter nachgeordneter Bundesbehörden / -Einrichtungen nach Bonn), die anderen Bundesministerien i.E.:
 Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft,
 Bundesministerium der Verteidigung,
 Bundesministerium für Gesundheit,
 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
 Bundesministerium für Bildung und Forschung,
 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung.
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§ 7 des Bonn-Berlin-Gesetzes bestimmt außerdem, hier aber
ganz konkret welche Oberen Bundesbehörden im Übrigen und
welche Bundeseinrichtungen aus der Fläche der Bundesrepublik Deutschland nach Bonn verlegt werden, z.B. aus Frankfurt
am Main oder auch aus Berlin. Das betrifft 16 Behörden / Einrichtungen, die inzwischen alle in Bonn etabliert sind, i.E.:
 Bundeskartellamt,
 Bundesversicherungsamt,
 Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen,
 Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen,
 Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft,
 Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung,
 Bundesrechnungshof,
 Bundesinstitut für Berufsbildung,
 Bundesgesundheitsamt,
 Zentralstelle Postbank,
 Zentralstelle für Arbeitsvermittlung,
 Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (Außenstelle Berlin),
 Bundesbaudirektion,
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 Statistisches Bundesamt (Außenstelle Berlin),
 Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (Außenstelle Berlin),
 Bundesamt für Strahlenschutz (Außenstelle Berlin).
So viel zur Rechtslage.
Nochmals zur Historie:
Dem Bonn-Berlin-Gesetz vorausgegangen war der letztlich entscheidende Hauptstadtbeschluss. Und diesem vorausgegangen
waren leidenschaftliche Auseinandersetzungen für und gegen
Berlin; auch das Votum, dass nach holländischem Beispiel
(zum Verhältnis von Amsterdam und Den Haag) Berlin (wieder)
die deutsche Hauptstadt ist, Bonn dennoch Sitz von Parlament
und Regierung bleibt.
Es wurde historisch argumentiert, aber auch mit dem Verständnis von Buchhaltern, ausgerichtet auf mehr oder weniger nur
mittelfristige Zeitachsen.
Was wer wie vorgetragen hatte, auch während der politischen
Auseinandersetzung in den Monaten zuvor, will ich nun nicht
alles zusammenfassen.
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Zur Abstimmung am 20.6.1991 standen 5 Anträge:
 Konsens-Antrag, begründet vom Vizechef der Unionsfraktion, Heiner Geissler.
Er sah vor, die Regierung in Bonn zu lassen und mit dem
Parlament nach Berlin umzuziehen.
 Gegenantrag: Parlament und Regierung auf keinen Fall
trennen.
Er wurde von einer Gruppe um die SPD-Abgeordneten Otto Schily und Peter Conradi eingebracht.
 Pro-Bonn-Antrag (er trug die meisten Unterschriften):
Parlament und Bundesregierung sollen in Bonn bleiben.
 Pro-Berlin-Antrag mit dem pathetischen Titel: „Vollendung
der deutschen Einheit“.
Ihn hatte die Politik-Prominenz unterzeichnet, von Willy
Brandt bis Wolfgang Schäuble.
 Antrag „Sofort-Umzug von Parlament und Regierung“ der
PDS:
Er wurde am Ende der Aussprache zurückgezogen.
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Es gab keinen Fraktionszwang. Das Ergebnis war offen. Von
Rede zu Rede schien sich das Meinungsklima zu ändern. Entscheidend war wohl die Rede von Schäuble – mit seinem Votum für Berlin.
Um 21:47 Uhr, nach 11 Stunden Debatten, verkündete die
Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (sie selbst befürwortete
Bonn)
 337 Stimmen für den Berlin-Antrag
(amtliches Endergebnis waren aber 338),
 320 Stimmen für den Bonn-Antrag.
Also nur 18 Stimmen mehr für Berlin bzw. 51,4 % aller Stimmen.
Darunter die Stimmen von Bundeskanzler und Bundesministern, die für sich betrachtet allerdings mit 13:5 oder 72,2 % für
Berlin votierten.
Berlin verdankt dieses Wahlergebnis nicht den Abgeordneten
der großen Parteien CDU/CSU und SPD, deren Abgeordnete
aus den neuen Bundesländern mit eingerechnet. Hier war jeweils die Mehrheit für Bonn, insgesamt sogar mit 290 Stimmen
gegen 264. Es votierten aber die Abgeordneten der PDS/Linke
Liste (bis auf einen) sowie die meisten der FDP und das Bündnis 90/Grüne für Berlin.
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Man kann es auch so lesen: Dass die Abgeordneten aus den
neuen Bundesländern fast einstimmig Berlin gewählt hatten,
war zu erwarten. Es hätte aber nicht für Berlin gereicht, hätte es
die FDP nicht gegeben. Und in Bonner Kneipen hieß es in der
aufgewühlten Stimmung prompt:
 Die Junker haben uns verraten!
Was am Ende verbleibt für bzw. gegen Bonn?
 Ein Gesetz mit weichen Anspruchsgrundlagen:
o Ein Gesetz, das dem Bundeskanzler ausdrücklich die
Freiheit belässt, die Geschäftsbereiche der Bundesminister sowie die Zusammensetzung der Bundesministerien zu bestimmen.
o Ein Gesetz im Übrigen mit lediglich vielen Soll“Vorschriften.
Das gilt auch für die Vorschrift, dass 50 % der Arbeitsplätze aller Bundesministerien in Bonn verbleiben. Auch
hier heißt es ausdrücklich „soll“, nicht muss.
 Ein Gesetz, dass der Gesetzgeber in einem oder in mehreren Schritten ändern kann, dann mutmaßlich zu Lasten
von Bonn.
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Es wird behauptet, dass schon heute sogar 80 bis 90 %
der Abgeordneten das Bonn-Berlin-Gesetz gerne zugunsten für Berlin verändern würden und dass die Mehrheit der
Deutschen inzwischen auch gegen den Doppelsitz der
Bundesministerien sei (ohne die Organisationsstrukturen
aber genauer zu kennen).
 Die Macht des Faktischen, wonach schleichend, aber wohl
auch gezielt und systematisch die Zahl der Arbeitsplätze in
Bonn ausgehöhlt wird.
 Die Zeitbombe, dass die Politiker schon jetzt denken „möglichst alles nach Berlin“, dies der Öffentlichkeit nur noch
nicht offenbaren, mit unehrlichen Beschwichtigungen, aber
die Änderung des Bonn-Berlin-Gesetzes angehen, sobald
es die gesetzgebenden Mehrheiten zulassen.
Dieser Tag wird kommen, wenn nicht mehr jede Wählerstimme aus Bonn und Umgebung zählt, etwa bei einer
Großen Koalition. Die derzeitige Große Koalition hat dies
für sich zwar ausgeschlossen. Eine spätere Große Koalition wird sich diese Bindung wohl nicht mehr auferlegen.
Das ist die potenzielle Kehrseite des Bonn-Berlin-Gesetzes,
das Bonn aber auch nachhaltige Vorteile gebracht hat, nämlich:
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 Zahlreiche Oberen Bundesbehörden / -Einrichtungen sind
nach Bonn verlegt worden, ohne dass deren Arbeitsplätze
in Frage gestellt sind.
 Bonn profitiert auch davon, dass die Deutsche Bundespost
privatisiert worden ist und die rechtlichen Nachfolger mit
ihren Zentralen in Bonn verblieben sind, inzwischen sogar
als multi-nationale Konzerne
o die Deutsche Telekom,
o die Deutsche Post,
aber auch
o die Deutsche Postbank;
abgesehen von:
 Wissenschaftseinrichtungen, die ebenfalls – wie vom
Bonn-Berlin-Gesetz gewollt – in Bonn angesiedelt worden
sind, und
 Einrichtungen der UN.
Die Folge allein davon: Es gibt in Bonn um die 170 Einrichtungen internationaler Organisationen.
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Nun einige Zahlen:
Nach den Schätzungen des Bundesverbandes für Steuerzahler
verursacht der doppelte Regierungssitz jährlich ca. € 23 Mio. an
Kosten, mit dem größten Einzelposten für Dienstreisen in Höhe
von allein € 7 Mio.
Noch werden trotz aller Elektronik 750 Tonnen Papier pro Jahr
hin- und hergeschickt.
Und so ist es die Meinung dieses Bundesverbandes:
 Es sei höchste Zeit, das Bonn-Berlin-Gesetz zu ändern.
Ein Umzug würde sich nach etwa 10 Jahren amortisieren.
Gemeint ist wohl sogar der vollständige Umzug.
Der Anteil an Bonner Dienststellen in den Bundesministerien ist
in der Kanzlerschaft Merkel allein von Mitte 2012 bis Mitte 2013
von 44,7 % auf 38,9 % abgesunken. Damit sind zu den im
Bonn-Berlin-Gesetz benannten 50 % für den Dienstort Bonn (Ist
aber nur eine „Soll“-Größe!) 2.000 Dienstposten zu viel verlagert worden.
Die Bundesministerien halten in Bonn und Berlin zusammen gut
18.000 Dienststellen (Stand: 30.6.2013), von denen die Hälfte,
gut 9.000, in Bonn sein „sollen“. Tatsächlich sind es nur ca.
7.000. Zusammenfassende Auflistungen mit Differenzierungen
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nach jeder einzelnen Behörde lassen sich beim Bundesinnenministerium abrufen.
Die Frage also ist:
 Hat Bonn diese fehlenden 2.000 Arbeitsplätze durch neue
Arbeitsplätze außerhalb des Arbeitgebers Bund kompensieren können?
 Und: Könnte Bonn auch die restlichen 7.000 Arbeitsplätze
kompensieren, wenn diese per Rutschbahn nach Berlin
verlegt worden sind?
Wir wissen, dass Bonn bis jetzt gut davon gekommen ist, sogar
mit einem Bevölkerungszuwachs, und dass der „worst-case“
nicht schlagartig eintritt.
Aber die Rutschbahn wird steiler. Das zeigt z.B. die aktuelle
Diskussion zu den Planungen für das Bundesverteidigungsministerium. Das wird sich bald bei der Bekanntgabe der Personalplanung für das Bundesinnenministerium wiederholen. Und
in allen Bundesministerien ist es schon jetzt so, dass der junge
Referent mit Zukunft in Berlin sitzt, der alte Referatsleiter, auf
dessen Pensionierung man nur wartet, hier.
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Die Konsequenz:
 Bonn muss, wie es ein herausgefordertes Unternehmen
macht, selbst etwas entgegenstellen. Das verlangt in der
Kommunalpolitik Verantwortliche, die echte Manager sind,
mehr als nur Moderatoren oder/und Geldverteiler der
durch eigenes Missmanagement eigentlich schon leeren
Kassen.
Ansätze gäbe es dafür:
 Bonn ist insbesondere UN-Stadt und Wissenschafts-Stadt.
Bonn ist Stadt der Bundesbehörden und die Stadt Beethovens.
Was aber wird zum Ausbau dafür getan??
Eine Anmerkung zu den Bundesbehörden:
 Wäre es nicht auch im Sinne von Bonn, aktiv daran mitzuwirken, dass Bundesministerien von dem Speck befreit
werden, der Sache nachgeordneter Oberbehörden sein
könnte, die als schon bestehende oder noch weiter einzurichtende Behörden in Bonn dauerhaft verbleiben?
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Nur: Wenn qua Rutschbahn der gesamte Apparat bereits in
Berlin angekommen ist, hätte Bonn von einer solchen Umorganisation wohl nichts mehr. Die Zeit zerrinnt also, aktiv überhaupt noch mitgestalten zu können.
Ich denke:
 Die Wiedervereinigung, so wie sie recht plötzlich kam, ist
ein unfassbares Geschenk der Geschichte, ohne dass
auch nur ein Schuss gefallen war.
Dafür müssen wir zutiefst dankbar sein.
 Das Bonn-Berlin-Gesetz ist das Beste, was für Bonn
machbar war.
 Das Gesetz ist fair zugleich für Bonn und Berlin,
 auch in Ansehung, dass Behörden aus der Fläche nach
Bonn verlegt wurden, zum Nachteil anderer Orte,
sowie in Ansehung, mit welchen Schwierigkeiten viele
Bürger in den neuen Bundesländern klarkommen mussten,
denen die Wiedervereinigung einen grundlegenden Paradigmenwechsel auferlegte, zusammen mit dem wohl auch
nicht zu vermeidenden wirtschaftlichen Kollaps, der sich
vielerorts zuerst einmal einstellte.
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 Und Berlin, Symbol und besonderes Opfer der deutschen
Teilung, ist nun als Symbol der Wiedervereinigung die
würdige Hauptstadt.
Eine Stadt, die sich auch großmaßstäblich und hauptstadtgerecht organisieren kann, grundsätzlich auch gut.
Und Berlin ist bei aller Größe nicht protzig, so auch aus
der Einbindung in die föderalistische Struktur der Bundesrepublik Deutschland.
Würdig wäre es nicht, wäre die alte und neue Hauptstadt
nur qua Etikette Hauptstadt, ohne die Regierung + Parlament + Bundesrat und nur etwa mit dem Bundespräsidenten vor Ort (als Notar der Nation).
 Und Bonn ist und bleibt eine Perle am Rhein, eine schöne
Stadt,
mit einem besonders hohen Anteil an Akademikern, auch
außerhalb der Universität und schließlich mit einer Universität, die Ansehen genießt.
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