Predigt Estomihi zu 1. Kor. 13 am 07.02.2016 Liebe Gemeinde, I. Während meines Theologiestudiums stand Paulus für handfeste Theologie, Meister der Unterscheidung. Wenn man mich nach Schlagwörtern zu Paulus gefragt hätte, so wären es diese: Kreuz, Erkenntnis, Christus. - Dann aber dieser Text aus dem 13. Kapitel des Briefes an die Christinnen und Christen in Korinth: „Nun bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ So beschließt Paulus das sogenannte Hohelied der Liebe. - Hundertmal gehört, bei unzähligen Hochzeiten, doch mein Paulusbild lief bislang neben diesem poetischen, teilweise lyrischen Text her. Ich habe beides erst jetzt aktiv zusammen bringen können. Paulus und die Liebe also... Das fand ich überraschend. Nun muss man beim Sprechen über die Liebe immer ein wenig aufpassen, dass es nicht kitschig wird, gerade wenn der Valentinstag vor der Tür steht. Aber Paulus hat ein ganz anderes Verständnis von Liebe, das man nicht einfach so bruchlos mit unserer postmodernen Liebesauffassung vereinen kann. Es verdient im Kontext seiner Zeit und des Briefes betrachtet zu werden. Dann kann es unser Verständnis von Liebe vielleicht bereichern. II. Für die Liebe gibt es im Griechischen zwei Begriffe: den Eros und die Agape. Die Agape kam im außerbiblischen Griechisch selten vor, bei Paulus und im Johanneischen Schrifttum dahingegen sehr häufig. Verglichen mit der rauschhaften erotischen Sinnenliebe ist die Apape eher als ethische Größe zu verstehen, als eine konstruktive Beziehungsform zwischen Menschen. Aber es geht Paulus nicht nur um eine Tugend, sondern auch um eine theologische Dimension, eine von Gott bestimmte Macht, an der wir teilhaben dürfen. Was veranlasst Paulus nun konkret dazu, der Agape einen eigenen Abschnitt in seinem Brief zu widmen? Es sind die vielfältigen Probleme in Korinth, die offenbar einen religiösen Enthusiasmus zur Ursache haben. Besonders stolz war die Gemeinde auf die Glossolalie, die sogenannte Zungenrede, ebenso wie auf die Prophetie und die Gnosis, die Erkenntnis. Damit, so dachten viele, seien sie bereits mit allem Notwendigen ausgestattet. Paulus schätzt die Geistesgaben, die sog. Charismen auch. Aber anstatt sie zur Selbstdarstellung zu verwenden, sollen sie in den Dienst der Gemeinde gestellt 1 werden. Darauf weist er im 12. Und im 14. Briefkapitel hin. Dazwischen steht das 13. Kapitel, in dem er den höheren Weg der Liebe anbietet, zu der im Vergleich alle anderen Gaben nichts sind. Vor diesem Hintergrund ertönen die ersten Verse noch einmal anders: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.“ Weder die ekstatische Zungenrede, auf die die „Engelzungen“ anspielen, noch Prophetie, weder Glaube noch Erkenntnis, weder Almosen noch andere ethische Handlungsweisen nützen auch nur das Geringste ohne die Liebe. Was aber qualifiziert die Liebe, dass sie so elementar wichtig ist? III. Paulus fährt fort: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Liebe kann wehtun, sie macht verletzlich und angreifbar. Ein Mensch, der sich traut zu lieben, riskiert, dass seine Liebe unerwidert bleibt oder noch schlimmer: vom anderen zuerst erwidert und irgendwann abgebrochen wird. Die Liebe ist ein Wagnis, und genau das brauchten die Christinnen und Christen in Korinth gegen ihre fälschlicherweise angenommene Sicherheit. Die Liebe hofft alles im Gegensatz zu jenen, die glaubten, schon alles zu haben: Zungenrede, Prophetie etc. Für die Gläubigen in Korinth waren die Geistesgaben ihr „Guthaben“, für Paulus waren sie Gaben des Geistes in der Wartezeit, bis zur Wiederbegegnung mit Gott. Liebe sucht nicht das Ihre und sie trägt alles. Mit diesen Formulierungen verweist Paulus auf die Erniedrigung und Lebenshingabe Jesu Christi. Diese Hingabe deutet Paulus als Ausdruck von Gottes Liebe zu den Sündern. Liebe hat sich in Christus offenbart. In seinem Leben und in seinem Sterben. Liebe hat den Tod überwunden. Deshalb kann Paulus die Liebe als die menschenmögliche Entsprechung zu Gott sehen. 2 Die Gläubigen sollen deshalb Paulus zufolge ebenso handeln wie Jesus Christus. Sie sollen keine Menschen aus der Gemeinde ausschließen, die sich schuldig gemacht haben oder unerträglich werden, sondern sie sollen langmütig alles ertragen. Nächstenliebe stellt sich dar als Arbeit am Aufbau einer guten Beziehung und als Vergebung der Schuld. Das sind keine leicht zu erfüllenden Forderungen, vor allem dort, wo Menschen nicht freundlich, sondern unverschämt auftreten. Das war damals vermutlich ebenso häufig der Fall wie es heute immer wieder überall vorkommt. In all diesen Fällen ist es leichter sich einfach abzugrenzen, zurück zu ziehen oder zurück zu schießen. In jedem Fall werden die Fronten verhärtet, wird klar zwischen Dir und mir, zwischen dein und mein unterschieden. Was gibt uns Kraft, wieder weichherziger zu sein, die Grenzen zu öffnen? Woher fließt uns die Liebe zu? Noch einmal Paulus: IV. „Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.“ Gottes Liebe bleibt noch Stückwerk, geheimnisvoll. Wir können sie bei weitem nicht in allem erkennen, was uns widerfährt. Auch andere Menschen und ihre Ambitionen bleiben verborgen ebenso wie unsere eigenen verdunkelten Absichten. Kaum zu glauben, dass alle unsere menschlichen Lebenswege Erscheinungsräume von Gottes Liebe sein sollen! Paulus zufolge kommt Gottes Liebe vor unserer Liebe. Christinnen und Christen können demnach nur das weiter geben, was sie durch Jesus Christus in seiner liebenden Selbsthingabe empfangen haben. Macht es also nicht einen Unterschied, ob Gott als väterlicher Erbarmer imaginiert wird oder als brüderlich Liebender? Als einer, der sich in gutem Paternalismus barmherzig zu den Menschen hinabneigt, oder als einer, der sie liebt und sich für sie opfert? Es überrascht mich wirklich, dass mir nie vorher aufgefallen war, wie sehr der liebende Gott bei Paulus im Vordergrund steht, noch vor dem erbarmenden Gott. Ist es nicht überraschend, dass ich sofort das Kreuz genannt hätte, wenn es um Paulus ging, nicht aber die Liebe. Wie ist die Hingabe Gottes am Kreuz anders zu deuten als in der Liebe, von der Liebe aus und zu der Liebe hin? V. 3 Der letzte Abschnitt, eine meiner biblischen Lieblingspassagen: „Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Die Charismen, die Geistesgaben vergehen, was aber bleibt, sind Glaube Hoffnung, Liebe. Die Liebe ist deshalb die größte, weil sie im Unterschied zum Glauben und Hoffen nicht bloß menschliche Antwort auf Gott ist, sondern Anteil hat am Handeln Gottes. Und anders als die Hoffnung oder der Glaube kann die Liebe unmittelbar in der Tat an unseren Mitmenschen sichtbar werden. Wir Christinnen und Christen erscheinen dann als Resonanzräume, als Klangkörper für die himmlische Macht der Liebe, in der Gott die Welt kontinuierlich erhält. Paulus will vermutlich nicht sagen, dass es der Gemeinde in Korinth an Liebe mangelt, sondern er betont, dass die Liebe höherwertig ist als die anderen Geistesgaben und als die Erkenntnis. Das zu enthusiastische Christentum ist mir in der Gemeinde am Klosterstern noch nicht begegnet. Vielleicht kann Paulus mit seiner nicht müde werdenden Umkreisung der Liebe aber auch uns hier Bereiche in unseren Lebensvolllzügen sichtbar machen, in denen Dinge verzerrt erscheinen. Vielleicht kann er wieder zurecht rücken, was einseitig verschoben ist. Gegen welche Verzerrungen könnte die Aufforderung zur Liebe uns dienen? Der Spiegel gibt jetzt noch nicht alles unverzerrt wieder. Darauf müssen wir noch warten. Nur dann, wenn wir in der Liebe schwingen, sind wir momentweise in der göttlichen Klarheit. Aber das ganze erschließt sich uns noch nicht. Was geschieht mit uns, wenn in den Momenten der Liebe alles klar wird, wenn der matte Spiegel sich klärt und einen Blick hinter die Oberfläche erlaubt? Hinter die Oberfläche des zugemauerten verletzten Mitmenschen, der uns mit seiner Aggression abwehrt? Hinter die Oberfläche der Wirklichkeit, momentweise, wenn der Scharfblick kurz nachlässt und die Umgebung verschwommen erscheint und mit uns zu verschmelzen beginnt? Ein Blick auch zurück hinter die eigenen Ängste vor Ablehnung, die uns oft davon abhalten, die eigene Liebe zu einem anderen Menschen zum Ausdruck zu bringen? Was, wenn wir mutig unsere eigene Sprache der Liebe finden? Wenn wir zum Ausdruck bringen können, was in unserem Resonanzraum von Gottes Liebe klingt? Was wäre zu tun, wenn wir Gottes Liebe durch uns hindurchfließen ließen? Amen. 4