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Auslegung von Matthäus 11, 25 - 30
(Predigttext der Evangelischen Kirche am Sonntag „Kantate“)
Superintendent MMag. Hermann Miklas, Graz
in der Sendung „Erfüllte Zeit“ am 3. Mai 2015
In dieser Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der
Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast – und hast es den Unmündigen
offenbart. Ja, Vater, denn so hat es dir wohl gefallen.
Alles ist mir übergeben von meinem Vater. Und niemand kennt den Sohn als nur der Vater.
Und niemand kennt den Vater als nur der Sohn – und wem es der Sohn offenbaren will.
Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf
euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so
werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.
(Matthäus 11, 25 – 30)
Haben Sie heute schon gesungen?
Manche Menschen trällern ja bereits unter der Dusche und andere wachen überhaupt schon
mit irgendeiner Melodie auf ihren Lippen auf… Es gibt allerdings auch eine wachsende Zahl
von Menschen, die selbst gar nicht mehr singen, sondern Musik hauptsächlich konsumieren.
Auch in den Schulen wird heute meist nur mehr recht wenig gesungen.
Dabei hat Singen etwas ausgesprochen Befreiendes! Egal wann man singt und wo man singt –
es tut auf jeden Fall gut! – Wobei Singen nicht unbedingt Ausdruck von guter Laune sein
muss. In unseren Gesangbüchern etwa finden sich Lieder zu den verschiedensten Anlässen
und Gemütsverfassungen. Da sind Lob- und Danklieder ebenso dabei wie auch sehr
bewegende Klage- oder Trostlieder.
Der eben gehörte Text aus dem Matthäusevangelium beginnt mit einem Lobpreis Jesu: „Ich
preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde…“ Verblüffend allerdings der konkrete
Inhalt seines Lobliedes: „Ich preise dich…, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen
hast – und hast es den Unmündigen offenbart!“ Und später werden auch noch die
„Mühseligen und Beladenen“ gepriesen. – Unwillkürlich stockt man. Ist das alles nicht etwas
verquer?
In der Tat handelt es sich hier gewissermaßen um einen „Protestsong“ Jesu. Um einen
Lobpreis, der die herrschende Mehrheitsmeinung seiner Zeit gezielt auf den Kopf stellt. –
Auch bei uns im Deutschen gibt´s ja das Sprichwort „Kindermund tut Wahrheit kund“. Weil
Kinder manchmal ganz unbefangen etwas aussprechen, was wir Erwachsenen vor lauter
Vorsicht, Rücksicht und Diplomatie uns niemals trauen würden zu sagen. Im Reich Gottes ist
es ähnlich: Da kapieren Kinder mitunter das Wesentliche des Glaubens besser als so manche
Gelehrte es tun.
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Vor allem das religiöse Leistungsdenken ist unter uns Etablierten oft sehr ausgeprägt: Dass
die Liebe Gottes erst „verdient“ werden will. – Kindern ist ein solches Denken von Natur aus
völlig fremd. Sie nehmen sich einfach, was sie kriegen können an Zuwendung. Keinen
Augenblick zweifeln sie daran, dass sie geliebt sind. Und wenn sie einmal Mist bauen, dann
vertrauen sie darauf, dass die Mutter oder der Vater die Sache schon wieder in Ordnung
bringen werden. Sie kämen gar nicht auf die Idee, dass deren Liebe an irgendwelche „Wenns“
und Abers“ gebunden sein könnte.
Und genau das ist im übertragenen Sinn auch der Kern der Botschaft Jesu. Er hat Gott stets
als liebenden „Vater“ beschrieben. – Theologen allerdings haben bald Bedenken angemeldet
gegen eine Botschaft, die so ganz ohne „Bedingungen“ auskommt. Philosophen war seine
Lehre schlicht zu einfach. Und die Moralapostel seiner Zeit hatten Sorge, dass damit
womöglich die öffentliche Ordnung untergraben wird. Doch Jesus ist es keineswegs um eine
Aushöhlung der guten Sitten gegangen. Er hat nur die Reihenfolge vertauscht:
Verantwortung, so hat er gepredigt, erwächst nicht aus Strenge, sondern aus der Erfahrung,
geliebt zu sein. Darum muss immer zuerst das Evangelium, die frohe Botschaft der Liebe
Gottes kommen – und daraus erst kann dann auch ein verantwortungsvolles „Du sollst“
erwachsen – aber niemals umgekehrt.
In einer Menschenmenge hat sich Jesus einmal besonders den Kindern zugewandt – und dabei
in Richtung der Erwachsenen bemerkt: Nehmt euch eure Kinder doch zum Vorbild! Sie
können noch etwas, was ihr längst verlernt habt: Nämlich vertrauen. Und das Geschenke der
Liebe Gottes annehmen, ohne lange darüber nachzudenken, ob sie denn nun wirklich
„würdig“ genug sind oder nicht.
Das liegt auf derselben Linie wie der heute auszulegende Protest-Lobgesang Jesu: Ich preise
dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen
hast – und hast es den Unmündigen offenbart!
Fast im gleichen Atemzug spricht Jesus dann noch eine gezielte Einladung aus an alle, die
unter dem schweren Joch der hohen Auflagen leiden, die die offiziellen religiösen Instanzen
ihnen aufbürden. An die, die gedrückt und bedrückt sind, weil sie sich mit ihrer
Lebensgeschichte keine Chance mehr ausrechnen können, mit dem lieben Gott doch noch ins
Reine zu kommen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch
erquicken“, heißt es in der letzten Strophe seines Liedes. In bewusster Anspielung auf das
schwere Joch der Gesetzeslehrer – und in deutlicher Abgrenzung zu ihrer Pädagogik der Härte
– fügt er (mit feiner Ironie) noch hinzu: „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn
ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn
mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht!“
Anstatt Menschen noch zusätzliche Lasten aufzubürden, will Christus uns also Ruhe und
Erquickung schenken. Wenn das keine Grund zum Singen ist!? Was hindert´s, diese
Einladung – mit kindlicher Unbefangenheit – einfach anzunehmen?
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