ENVE-VI/005 Sitzung der Fachkommission am 30. Juni 2015 ARBEITSDOKUMENT der Fachkommission für Umwelt, Klimawandel und Energie INITIATIVSTELLUNGNAHME BEITRAG ZUM FITNESS-CHECK DER VOGELSCHUTZRICHTLINIE UND DER FAUNA-FLORA-HABITAT-RICHTLINIE _____________ Berichterstatter: Roby Biwer (SPE/LU) _____________ Dieses Dokument wird in der Sitzung der Fachkommission für Umwelt, Klimawandel und Energie am Dienstag, 30. Juni 2015 erörtert. WEITERGABE AN DIE ÜBERSETZUNG: 2. JUNI 2015 COR-2015-02624-00-00-DT-TRA (DE/EN) 1/7 — Rue Belliard/Belliardstraat 101 — 1040 Bruxelles/Brussel — BELGIQUE/BELGIË — Tel. +32 22822211 — Fax +32 22822325 — Internet: http://www.cor.europa.eu DE Referenzdokument Initiativstellungnahme COR-2015-02624-00-00-DT-TRA (DE/EN) 2/7 1. Einleitung Die EU-Kommission hat im Frühjahr 2015 die Überprüfung der EU-Naturschutzgesetzgebung (Vogelschutzrichtlinie und Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie) im Rahmen des Programms "Regulatory Fitness and Performance" (REFIT) begonnen. Dabei soll untersucht werden, ob die seit 1979 (Vogelschutzrichtlinie) bzw. 1992 (FFH-Richtlinie) bestehenden Rechtsinstrumente und ihre Umsetzung ihre Zwecke erfüllen und zur Erreichung der damals gesteckten und in der EUArtenvielfaltsstrategie von 2011 erneut bekräftigten strategischen Ziele beitragen. Damit soll sowohl die Einhaltung von internationalen Verpflichtungen sichergestellt werden, welche die EU eingegangen ist, als auch die Fortschritte bei der Umsetzung der EU-eigenen Biodiversitätsstrategie bewertet werden. Ein sog. "Eignungstest (Fitness-Check)" sieht eine umfassende Überprüfung der Instrumente im Hinblick auf ihre Effektivität, Effizienz, Kohärenz, Relevanz, den europäischen Mehrwert sowie die Einhaltung des Subsidiaritäts- und des Proportionalitätsprinzips vor. Hierbei geht es auch und besonders darum, ob die in nationales Recht übernommenen EU-Richtlinien in ihrer praktischen Anwendung mit einem angemessenen Verwaltungsaufwand umgesetzt werden können, welche Kosten oder Einnahmen sie generieren, ob sie mit anderen EU-Politiken harmonieren, ob sie eventuell in Teilen überholt sind und wie ggf. Verbesserungen erreicht werden können. Das REFIT-Verfahren liegt zunächst in der alleinigen Zuständigkeit der EU-Kommission, die dann später (vermutlich gegen Ende 2015) entscheidet, ob eine Überarbeitung der Rechtsinstrumente (ggf. in einem neuen Gesetzgebungsverfahren) vorgeschlagen wird oder nicht. Die EU-Kommission hat im April 2015 ein öffentliches Konsultationsverfahren eröffnet, das bis Ende Juli läuft 1 . Parallel dazu werden auch die Mitgliedstaaten und bestimmte organisierte Interessen konsultiert. Eine wichtige Informationsquelle ist der kürzlich vorgestellte Bericht über den "Zustand der Natur in der EU 2007-2012", der im Rahmen der beiden Richtlinien alle fünf Jahre erstellt wird2. Der Ausschuss der Regionen ist formell nicht an diesem Verfahren beteiligt und hat deshalb beschlossen, im Rahmen seiner Fachkommission ENVE eine Initiativstellungnahme zu diesem Thema zu verfassen, um so die Vorschläge und Erfahrungen der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften im Umgang mit der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie und insbesondere den Natura-2000-Gebieten zu sammeln und in die Debatte einzubringen. Die Stellungnahme wird darüber hinaus durch eigene Konsultationen unterstützt, die der AdR im Rahmen eines "Territorial Impact Assessments" durchführt. 1 2 http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/fitness_check/index_en.htm. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=COM:2015:219:FIN&from=EN. COR-2015-02624-00-00-DT-TRA (DE/EN) 3/7 2. Rolle der lokalen und regionalen Ebene Die EU-Naturschutzrichtlinien wirken nachweislich und haben unbestritten dem Naturschutz in der EU wesentliche neue Impulse gegeben. Der Verlust der biologischen Vielfalt wird von 88% der EUBürgerinnen und Bürger als ernstes Problem wahrgenommen 3 . Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sind in vielfältiger Weise in die Umsetzung und Anwendung der EUNaturschutzgesetzgebung eingebunden, wobei die konkrete Implikation je nach der Verfassungs- und Rechtsstruktur der Mitgliedstaaten, den Kompetenzen der verschiedenen lokalen und regionalen Ebenen oder den gewählten Instrumenten zur Umsetzung variiert. Die im Rahmen der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie ausgewiesenen Natura-2000-Schutzgebiete umfassen ca. 20% des EU-Territoriums 4 . Die Auswahl von entsprechenden Gebieten und die kontinuierliche Umsetzung der notwendigen Schutzmaßnahmen und Durchführung von Verträglichkeitsprüfungen fällt in einer Reihe von Mitgliedstaaten in den Zuständigkeitsbereich von regionalen oder lokalen Behörden und kann in die planerischen Befugnisse der verschiedenen Ebenen eingreifen. Darüber hinaus ist die Ausweisung der Natura-2000-Gebiete in vielen Fällen langwierig und führt häufig auch zu Konflikten zwischen verschiedenen Nutzungsarten von Landschaft (Landwirtschaft, Tourismus, Städtebau, Industrieansiedlung etc.), die vor Ort von lokalen und regionalen Behörden gelöst bzw. vermittelt werden müssen. Gleichzeitig bieten die vorgeschriebenen Schutzgebiete und damit verbundenen EU-Fördermöglichkeiten auch Chancen zur Entwicklung nachhaltiger Nutzungsmöglichkeiten mit entsprechendem wirtschaftlichem Potenzial5. 3. Kernfragen, die der Ausschuss der Regionen erörtern sollte Im Folgenden werden einige Fragen gestellt, zu denen die Mitglieder der Fachkommission gebeten werden, ihre persönlichen Beiträge bzw. Meinungen und Erfahrungen aus Sicht der lokalen oder regionalen Ebene mitzuteilen, um dem Berichterstatter ein umfassendes und ausgewogenes Bild zu geben, wie die Auswirkungen der Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie eingeschätzt werden und ob ggf. der EU-Kommission Änderungen zu empfehlen sind. Die Fragen orientieren sich an der Struktur des Mandats für den Eignungstest sowie an den Fragen der öffentlichen Konsultation der Europäischen Kommission und der vom Ausschuss der Regionen im Rahmen seines "Territorial Impact Assessments" durchgeführten Konsultationen. 3 4 5 Flash Eurobarometer Report 379 (2013): Attitudes towards biodiversity. Ca. 1 Million km2 (1 029 529 km2) bei etwa 18 (20%) Prozent der Landfläche, die marinen Schutzgebiete mit 250 000 km2 (340 000 km2) bei rund 4% (6%) EU-Meeresgewässerfläche. Somit ist das größte ökologische Netzwerk der Welt entstanden. Arbeitspapier der Europäischen Kommission "Investing in Natura 2000: Delivering benefits for nature and people" vom 12.12.2011, SEC(2011) 1573 final. COR-2015-02624-00-00-DT-TRA (DE/EN) 4/7 3.1 Relevanz 3.2 Effektivität 3.3 6 7 8 Wie wichtig sind die Richtlinien zum Schutz von Arten und Lebensräumen vor Belastungen und Bedrohungen auf lokaler/regionaler Ebene durch Verlust oder Zersplitterung von Lebensräumen, die nicht nachhaltige Nutzung von Arten und Lebensräumen, Verschmutzung, Ausbreitung nicht heimischer Tiere und Pflanzen, Klimawandel? Inwieweit decken die Richtlinien wirklich die Lebensräume und Arten in der EU ab, die am dringendsten geschützt werden müssen? Wie wirksam sind die Richtlinien im Hinblick auf den lokalen und regionalen Schutz der von ihnen erfassten Arten und Lebensraumtypen Ihrer Meinung nach? Insbesondere, wie wirksam sind die verschiedenen Regelungen zum Artenschutz, zur Errichtung und Bewirtschaftung von Natura-2000-Gebieten, zur Regulierung der Risiken, die von Planungen und Projekten für Natura-2000-Gebiete ausgehen können, und wie gut funktionieren die Instrumente zur Förderung der Pflege von Landschaftselementen außerhalb von Natura-2000-Gebieten? Inwieweit tragen die Richtlinien zur Verwirklichung weiterer Ziele des lokalen oder regionalen Naturschutzes bei, wie sie auch die EU-Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt verfolgt? Zu nennen sind z.B. der Schutz von lokal/regional bedeutsamen Arten und Habitaten, die Erhaltung und Verbesserung der Ökosysteme und ihrer Leistungen, die Bewahrung und Verbesserung der biologischen Vielfalt auf landund forstwirtschaftlich genutzten Flächen außerhalb von Natura-2000-Gebieten. Effizienz Erklärtes Ziel der Richtlinien ist zwar die Erhaltung von Arten und Lebensräumen, doch welcher zusätzliche Nutzen wird auf lokaler und regionaler Ebene gesehen, insbesondere für o die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen6, o die Wirtschaft 7 (z.B. Arbeitsplätze, Tourismus, Innovation, erleichterter Zugang zu EU-Fonds) o die Gesellschaft8 und Governance? Wie können diese positiven Elemente lokal/regional verstärkt werden? Welche Kosten (Verwaltung, Opportunitätskosten z.B. wegen Beschränkungen für Grundbesitzer und Land-/Forstwirtschaft, Kosten der Nicht-Umsetzung) entstehen für lokale und regionale Gebietskörperschaften? Viele Studien gehen von einem hohen In Form von gereinigtem Wasser, sauberer Luft, fruchtbaren Böden, CO2-Speicherung usw. (Arbeitspapier der Europäischen Kommission "Investing in Natura 2000: Delivering benefits for nature and people" vom 12.12.2011, SEC(2011) 1573 final. Z.B. Arbeitsplätze, Tourismus, Innovation, erleichterter Zugang zu EU-Fonds usw. Z.B. stärkere Zusammenarbeit verschiedener Akteure, Gesundheitsförderung, Freizeit, Umweltbildung, Wissenschaft usw. COR-2015-02624-00-00-DT-TRA (DE/EN) 5/7 3.4 Kohärenz 9 gesamtwirtschaftlich positiven Kosten-Nutzen-Verhältnis auf lokaler/regionaler Ebene aus9 – wird diese Auffassung geteilt? Welche Maßnahmen sind auf welcher Ebene (EU bis lokal) zu empfehlen, um die Effizienz der Umsetzung der Richtlinien durch lokale und regionale Gebietskörperschaften zu erhöhen? (Formulierung der EU-Richtlinien, Art und Weise der rechtlichen Überführung, Durchführung und Vollzug der Richtlinien auf nationaler/regionaler Ebene, politische Unterstützung, Grad an horizontaler und vertikaler Koordinierung der verschiedenen Ebenen, Verfügbarkeit von Leitlinien und bewährten Verfahren, Finanzierung, Ausstattung mit ausreichend qualifiziertem Personal, wissenschaftliche Kenntnisse über Arten und Lebensräume, Art der Einbeziehung von Interessenträgern, Problembewusstsein und Unterstützung seitens der Öffentlichkeit, Einbindung des Naturschutzes in andere Politikfelder, Art der Bewirtschaftung von Schutzgebieten) Wie werden sowohl die grundsätzliche Mittelverfügbarkeit als auch die letztliche Mittelzuteilung von EU-, nationalen, regionalen und lokalen Fördermitteln für lokale und regionale Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinien gesehen? Welche Rolle wird den nationalen oder regionalen "Prioritized Action Frameworks" (PAFs) nach Artikel 8 FFH-Richtlinie zugemessen? Wie gut erfüllt die EU die Verpflichtung in Artikel 8 der FFH-Richtlinie zur EU-KoFinanzierung von Natura 2000 in der neuen Finanzierungsperiode der EU? Wie gut wird dem lokalen/regionalen Finanzierungsbedarf der Richtlinien durch die EU entsprochen? Gibt es aus Erfahrungen der lokalen/regionalen Verwaltungspraxis wesentliche Lücken, Überschneidungen oder Unstimmigkeiten, die die wirksame lokale/regionale Durchführung der Richtlinien beeinträchtigen: o zwischen den beiden Richtlinien, o zwischen ihnen und anderen EU-Umweltschutzvorschriften wie z.B. der Richtlinie für strategische Umweltprüfungen, für Umweltverträglichkeitsprüfungen von Projekten, der Wasserrahmenrichtlinie, Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, Hochwasserrichtlinie, der Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen oder der Nitratrichtlinie? Wie gut tragen die Richtlinien und deren Überführung in nationales/regionales Recht zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen in den verschiedenen Regionen Europas bei, vor allem in Grenzregionen? Könnten sie hierzu noch stärker beitragen, und wenn ja, wie? Wie beeinflussen andere EU-Politiken wie Gemeinsame Agrarpolitik, Regional- und Kohäsionspolitik, Energie und Transport die Umsetzung der Richtlinien auf lokaler und regionaler Ebene? Wie könnten die Kohärenz mit und die Synergien zwischen diesen Politiken erhöht werden? Versch. EU-Berichte: integrale Umsetzung der Natura-2000-Schutzgebiete würde die EU-Staaten jährlich ca. 6 Milliarden kosten, während die Ökosystemleistungen der Allgemeinheit bis zu 300 Milliarden zurückgeben, und sind mitbestimmend für bis zu 8 Millionen Jobs, die in Verbindung mit den Natura-2000-Gebieten stehen. COR-2015-02624-00-00-DT-TRA (DE/EN) 6/7 3.5 EU-Mehrwert Inwieweit haben die Richtlinien zu Verbesserungen beigetragen, die mit nationalen, regionalen oder lokalen Rechtsvorschriften allein nicht hätten erreicht werden können? Dies betrifft z.B. Ausdehnung von Schutzgebieten, Schutz und Überwachung wild lebender Arten/bedrohter Lebensraumtypen sowie deren Wiederherstellung, Finanzierung von Naturschutz, im Naturschutz eingesetztes Personal, Austausch bewährter Verfahren im Naturschutz, Regulierung der Jagd. Inwieweit stimmt der AdR überein, dass eine gute Umsetzung der Richtlinien der Schlüssel zum Erfolg ist, dass sie ohne unnötige Hemmnisse für die Wirtschaft oder übergroßen Verwaltungsaufwand umgesetzt werden können? Dort, wo sie konsequent und strategisch angewendet und kommuniziert werden und wo ausreichend Finanzierung und Personal zur Verfügung gestellt wird, sind sie sehr erfolgreich und vor Ort akzeptiert. Inwieweit stimmt der AdR überein, dass es dank der EU-Naturschutzrichtlinien nun einen grenzübergreifenden Schutz und gleiche rechtliche Naturschutzstandards für Unternehmen im ganzen EU-Binnenmarkt gibt, die verlässliche Grundlagen für die unternehmerische Entwicklung bieten? Dank der EU-Naturschutzrichtlinien konnten europaweit viele Naturräume erhalten werden, die zum Beispiel für bei uns brütende Zugvögel überlebenswichtig sind. Die nach vielen Jahren gewonnene Rechtssicherheit und Verständigung zwischen Interessengruppen ist zu bewahren und im Interesse von Wirtschaft und Naturschutz fortzusetzen. _____________ COR-2015-02624-00-00-DT-TRA (DE/EN) 7/7