RISE 2.0 - shl

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RISE 2.0: Grundlagen
Nachhaltige Entwicklung für Bauern und Bäuerinnen messbar, greifbar und umsetzbar machen
Glossar
Benchmark
Referenzwert für eine vergleichende Analyse. In RISE gibt es absolute (universal oder regional auf
alle Betriebe angewandte) und relative (Durchschnittswert der analysierten Betriebe) Benchmarks.
Indikator
Kenngrösse zur Abbildung eines nicht direkt messbaren Sachverhalts. In RISE werden Indikatoren aus
Parametern, diese wiederum aus Variablen errechnet.
Modell
Reduziertes, mehr oder weniger abstraktes Abbild eines realen Systems, der in ihm enthaltenen
Objekte und ihrer Wechselwirkungen.
Normalisierung Skalierung des Wertbereichs einer Variablen auf einen bestimmten Bereich. In RISE: Skalierung auf
den Bereich von 0 bis 100 zum Zweck der Bewertung und Herstellung der Vergleichbarkeit.
Parameter
Charakterisierende Eigenschaft, Kenngrösse oder Kennzahl. In RISE: Variable unterhalb der Indikatorebene mit möglichst direktem Bezug zu Handlungen des Bauern.
Variable
Platzhalter für veränderliche Zahlenwerte. In RISE sind alle auf Betriebs- oder Regionalebene erhobenen Werte, sowie die Parameter und Indikatoren Variablen, im Gegensatz zu den absoluten
Benchmarks, welche Konstanten sind.
Was ist RISE?
Das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung, durch die menschliche Bedürfnisse auf gerechte, umweltschonende Weise befriedigt werden sollen, ist seit 1992 weltweit legitimiert. Die letztlich aus diesem Leitbild
begründete Bedeutung von Umwelt- und Sozialstandards für die Landwirtschaft nimmt zu. Der Erfolg der
Landwirtschaftsbetriebe wird weiterhin an ihrer Rentabilität gemessen, dazu aber auch an der Erreichung
sozialer und ökologischer Ziele.
Die massnahmenorientierte Nachhaltigkeitsanalyse RISE (Response-Inducing Sustainability Evaluation) ist
eine indikatorbasierte Methode zur ganzheitlichen Bewertung der landwirtschaftlichen Produktion auf Betriebsebene. Die Vision von RISE ist ein Beitrag zur Erhöhung der Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen
Erzeugung durch Verbreitung und Verankerung von Philosophie und Praxis einer nachhaltigen Produktion. Die Zielgruppe von RISE umfasst alle Anspruchsgruppen in Landwirtschaft, Gesellschaft und Wirtschaft, welche diese Vision teilen. Die Anwendung von RISE hat das konkrete Ziel, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung bzw. den Grad seiner Erreichung besser messbar, greifbar und umsetzbar zu machen. Die ökonomisch ausgerichtete betriebliche Erfolgskontrolle wird um die ökologische und soziale Dimension erweitert. Es wird erfasst und bewertet, welchen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung der
Betrieb leistet und inwieweit die Produktionsweise auf Betriebsebene dem Nachhaltigkeitsprinzip entspricht (WCED, 1987). Allen interessierten Anspruchsgruppen wird (i) eine Übersetzung des Nachhaltigkeitsprinzips auf die Betriebsebene und (ii) eine Positionsbestimmung einzelner oder mehrerer Betriebe
in Sachen Nachhaltigkeit geboten. In Wissenssystemen, Ausbildung sowie Beratungs- und Entwicklungsprogrammen kann RISE als „Tür- und Augenöffner“ dienen, eine strukturierte Bewertung der Ausgangslage
beisteuern und Prozesse zur Verbesserung des betrieblichen Managements einleiten.
RISE basiert auf einem anthropozentrischen, integralen und dynamischen Verständnis nachhaltiger Entwicklung, definiert als „sensible sustainability“. Kerneigenschaften von RISE sind Ganzheitlichkeit, Praxisnähe, wissenschaftliche Fundierung, Verständlichkeit, geringer Erhebungsaufwand und flexible Einsetzbarkeit auf verschiedenen Betriebstypen und in verschiedenen Ländern. RISE ist eine zielorientierte und individuelle Bewertung: Jeder Betrieb kann auf seine eigene Art zum Ziel einer nachhaltigen Entwicklung beitragen und zu betrieblicher Nachhaltigkeit gelangen (von Wirén-Lehr, 2001). RISE bietet keine Universallö1
sungen, denn solche gibt es für so komplexe, vielfältige sozio-ökologische Systeme wie Landwirtschaftsbetriebe nicht (Ostrom et al., 2007). RISE verzichtet darauf, die nicht verifizierbare Aussage (Popper, 1935) zu
machen, ob der Betrieb nachhaltig wirtschaftet oder nicht, sondern bietet für alle relevanten Handlungsfelder eine Positionsbestimmung auf dem Kontinuum zwischen „perfekt“ und „inakzeptabel“.
Wie wurde RISE entwickelt?
Den Anstoss zur Entwicklung von RISE gab 1999 die Anfrage eines Agrarunternehmens aus Brasilien (Kakao,
Kaffee) an die Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft (SHL). Die als vorbildlich empfundenen ökologischen und sozialen Leistungen des Unternehmens sollten wissenschaftlich erfasst, ausgewertet und dokumentiert werden. Für diesen sowie einen Auftrag durch die Firma Nestlé (Analyse von Milchbetrieben in
China) wurde die erste Version, RISE 0.0, entwickelt (Häni et al., 2002). Die internationale Ausrichtung der
Methode und ihre Entwicklung in privat-öffentlicher Zusammenarbeit waren damit von Anfang an gegeben.
Im Zuge von Praktikums-, Semester- und Diplomarbeiten der SHL und anderer Hochschulen (ETH, Uni Zürich) sowie weiterer Dienstleistungsaufträge wurde RISE weiterentwickelt und 2004 die Version 1.0 lanciert
(Häni et al., 2008). Durch den frühen Einstieg in die praktische Anwendung, und die Praxisnähe der SHL als
Fachhochschule, war die RISE-Entwicklung durch ein starkes induktives Element gekennzeichnet. Theoretisch hergeleitete Indikatoren und Berechnungen, praktische Anwendbarkeit, Rückmeldungen und Kritik
der Bauern und Anwender wirkten zusammen.
RISE 1.0 wurde seit 2004 in Projekten in zahlreichen Ländern und auf diversen Betriebstypen und -grössen
angewendet, bis Ende 2009 auf rund 630 Betrieben (Abb. 2). Von Anfang 2001 bis Ende 2009 wurden Eigenmittel der SHL in Höhe von 442,500 CHF für RISE-Projekte eingesetzt und Drittmittel in Höhe von
1‘039‘652 CHF akquiriert. Ein Meilenstein auf dem Weg zur Etablierung einer internationalen Forschergemeinschaft im Bereich der ganzheitlichen Analysen in der Landwirtschaft war das INFASA1-Symposium 2006
in Bern (Häni et al., 2007). Über RISE-Entwicklung und -Anwendungen wurden bzw. werden 33 studentische
Arbeiten verfasst, darunter 5 Master- und 19 Diplom- bzw. Bachelorarbeiten.
Abb. 2. Länder und Produktionssysteme, in denen RISE von 2000 bis 2009 auf ca. 620 Betrieben eingesetzt wurde.
Während und nach RISE-Projekten wurden Rückmeldungen der Anwender, Auftraggeber, Bauern und wissenschaftlichen Partner erfasst. Die so gesammelten Anregungen sowie der Wunsch nach einer flexibleren
und benutzerfreundlicheren Softwarelösung als der bisherigen Umsetzung in Microsoft Access 2003 führten zur Einleitung eines grösseren Entwicklungsschrittes. Im Sommer 2008 wurde eine externe Evaluation
beauftragt, in der über 30 Vertreter von Behörden, Wissenschaft, Landwirtschaft und Industrie zu ihrer
Meinung über und ihren Erwartungen an RISE befragt wurden. Parallel dazu wurden RISE und zwei weitere
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International Forum on Assessing Sustainability in Agriculture
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Indikatorsysteme durch die Arbeitsgruppe „Betriebsbewertungssysteme“ des KTBL2 diskutiert und evaluiert
(KTBL, 2009). Es folgten 2009 zwei Expertenkonsultationen, an denen insgesamt 47 Fachpersonen aus allen
o.g. Bereichen die Ziele, Indikatoren und Parameter von RISE 1.0 diskutierten und Verbesserungsvorschläge
machten.
Ab Dezember 2009 wurde mit Unterstützung der Gebert Rüf Stiftung das Konzept für RISE 2.0 entwickelt
und umgesetzt. Bei der Entwicklung der Version RISE 2.0 wurde in Anlehnung an die Konzepte von Mitchell
et al. (1995) und Zahm et al. (2008) vorgegangen, die als standardisierte Vorgehensweise für die Entwicklung zielorientierter Nachhaltigkeitsevaluationen für die Landwirtschaft gelten können (siehe auch von
Wirén-Lehr, 2001; Meul et al., 2008). Ausgehend von etablierten Definitionen nachhaltiger Entwicklung und
Landwirtschaft (WCED, 1987; FAO, 1995; ARE, 2008) wurde das RISE-Konzept von nachhaltiger Landwirtschaft auf Betriebsebene weiterentwickelt. Dieses Konzept wurde in klare Zielvorstellungen für die einzelnen Themenfelder der Evaluation übersetzt. In diesen und die folgenden Arbeitsschritte flossen die Erfahrungen und Rückmeldungen aus der RISE-Anwendung sowie die Ergebnisse der externen Evaluation und
Konsultation ein. Das Spektrum der betrachteten Themenfelder wurde überprüft und einem Quervergleich
zu anderen Indikatorsystemen und relevanten Vereinbarungen unterzogen (u.a. Breitschuh et al., 2008;
Zahm et al., 2008; Meul et al., 2008; Pretty et al., 2008; Hülsbergen, 2009). Überschneidungen und Inkonsistenzen wurden bereinigt und Lücken geschlossen. Der überarbeitete Indikatorsatz wurde nach weiteren
Konsultationen mit Experten und Landwirten verabschiedet. Für jeden Indikator wurden eindeutige Definitionen und Ziele formuliert und Parameter definiert, wobei in die Zielformulierung Referenzen wie internationale Abkommen und Standards einbezogen wurden. Benchmarks und Bewertungsfunktionen wurden,
wo möglich, unter Bezug auf vertrauenswürdige Quellen definiert, d.h. basierend auf begutachteten wissenschaftlichen Publikationen und offiziellen nationalen und internationalen Statistiken, Tabellenwerten
und Regelungen (z.B. Breite der Pufferzonen bei der Düngemittelausbringung gemäss Gewässerschutzverordnung der Schweiz).
Hintergrund und Motivation der Nachhaltigkeitsevaluation
Die Landwirtschaft ist die wichtigste Quelle von Nahrung für die Menschheit, sie beschäftigt auf rund 500
Mio. Betrieben fast 1,3 Mia. Menschen und bewirtschaftet mehr als ein Drittel der globalen Landfläche
(FAOSTAT, 2009). Die ländlichen Haushalte und landwirtschaftlichen Familienbetriebe sind die Treuhänder
eines grossen Teils der Ressourcen dieser Erde.
Seit den Zeiten von Thaer, Liebig (1840) und anderen Pionieren verbreitete sich das Prinzip, Landwirtschaftsbetriebe wie Industrieunternehmen zu betrachten und nach rein ökonomischen Grundsätzen möglichst rationell und effizient zu führen. Parallel dazu wurden die wachsenden Möglichkeiten des Ersatzes
menschlicher und tierischer Arbeit durch mit fossiler Energie betriebene Maschinen, der Pflanzen- und
Tierzüchtung, der Bewässerung, des Pflanzenschutzes und der mineralischen Düngung genutzt. Der internationale Austausch von Waren, Menschen und Ideen nahm und nimmt rasch zu. Dieser Weg brachte Erfolge,
die vor 200 Jahren (Malthus, 1798) kaum denkbar gewesen wären. Lebenserwartung, Alphabetisierung,
durchschnittliches Einkommen, Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser, Sanitäranlagen und Infrastruktur
sind in den meisten Weltregionen und für die meisten Menschen stark gestiegen (z.B. Human Development
Report/UNDP, State of Food and Agriculture/FAO, State of Food Insecurity in the World/FAO, World Development Report/Weltbank). Diese Entwicklungsstrategie droht jedoch an ihre Grenzen zu stossen. Die
weltweite Agrarfläche stagniert seit 1993, während die Weltbevölkerung weiter wächst (Abb. 1).
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Kuratorium Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (Darmstadt, Deutschland)
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Abb. 1. Entwicklung der weltweiten Agrarfläche (links) und der Weltbevölkerung (rechts) (Zahlen: FAOSTAT, 2009)
In einigen Ländern und Weltregionen (v.a. Afrika südlich der Sahara) hält der Anstieg der Nahrungsproduktion nicht Schritt mit dem Bevölkerungswachstum. Zwar geht der Anteil unterernährter Menschen an der
Weltbevölkerung zurück, ihre absolute Zahl ist aber seit 2000 gestiegen (SOFI, 2009). Es ist absehbar, dass
die Millenniumsziele bis 2015 nicht erreicht werden (www.mdgmonitor.org).
Im sozioökonomischen Bereich kommt das für die Landwirtschaft spezifische Problem hinzu, dass sie aufgrund ihrer natürlich begrenzten Produktivität (Agrarflächen können nicht beliebig vermehrt, Flächenerträge nicht beliebig erhöht werden) im Wettbewerb um die Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital im
Nachteil ist gegenüber Industrie und Dienstleistungssektor (Binswanger, 2009). Dass der Primärsektor multifunktionale Leistungen wie die Landschaftspflege erbringt und als einzige menschliche Aktivität im biologischen Sinne produktiv ist, wird nur teilweise über staatliche Transferzahlungen abgegolten. Dazu haben
Lieferanten von Betriebsmitteln und Abnehmer von Agrarprodukten meist mehr Marktmacht als die Landwirte und bestimmen damit die Preise. In der Schweiz bewirkte der Kostendruck von 1990 bis 2008 einen
Rückgang der Erzeugerpreise um 22%, während die Preise für Betriebsmittel um 2% anstiegen (BFS, 2009).
Durch Ausweichen auf Nischenprodukte („Bio“) und Veredelung (Käseproduktion) sind nur begrenzt Preiszuschläge zu erzielen, da Nahrungsmittel Produkte mit geringer Preiselastizität sind. Im Ergebnis wirft die
Arbeit in der Landwirtschaft wesentlich niedrigere Löhne ab als die in anderen Sektoren. Gängige Strategien
sind das Erhöhen der Produktivität und damit Senken der Stückkosten durch Mechanisierung und Flächenzukauf (Binswanger, 2009), der Verzicht auf die Erfüllung eigener Bedürfnisse und der Verzehr von Eigenkapital (ART, 2007).
Diese „landwirtschaftliche Tretmühle“ trägt einerseits zur Versorgung der Gesellschaft mit billigen Nahrungsmitteln bei, andererseits ist der Erfolg mit sozialen und ökonomischen Schäden in der Landwirtschaft
und mit ökologischen Problemen über sie hinaus erkauft. Überbeanspruchung der natürlichen Ressourcen
führt zu Wassermangel, Biodiversitätsverlusten und Störungen der Nährstoffkreisläufe bis zur vollständigen
Bodendegradation. Unsachgemässer Einsatz von Agrarchemikalien bewirkt eine Verschmutzung von Böden,
Luft und Wasser. Auch eine (fossil basierte) energieintensive Produktion (IPCC 2007) sowie die Expansion
der Nutzflächen stossen an ökologische Grenzen (Troeh et al., 1980; Heywood, 1995; Steiner, 1996; IAEA,
1997; WDR, 2008). Diese Wirkungen der Produktion auf Umwelt und Gesellschaft sind in der Planung und
Erfolgsrechnung nicht berücksichtigt. Wirtschaftlicher Erfolg kann mit Sozial- und Umweltdumping erkauft
werden. Diese Problematik zeigen auch die Ergebnisse der mit RISE 0.0 und RISE 1.0 durchgeführten Studien (z.B. Häni et al., 2003; Stämpfli, 2008; Grenz et al., 2009).
Aus der Erkenntnis, dass einseitig und kurzfristig gewirtschaftet wird, wuchs die Einsicht, dass die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft eines neuen, umfassenderen Leitbildes bedurfte. Dieses wurde durch
die Rio-Deklaration und die Agenda 21 im Jahr 1992 durch 178 Staaten legitimiert und 2000 in Form der
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UN-Millenniumsziele sowie 2002 im „Johannesburg Plan of Implementation“ bestätigt. Die Agenda 21 ist
„Ausdruck eines globalen Konsenses und einer auf höchster Ebene eingegangenen Verpflichtung zur Zusammenarbeit im Bereich von Entwicklung und Umwelt“ (UNCED, 1992). Beispiele lokaler Initiativen und
Agenden aus aller Welt zeigen, dass das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung sich verbreitet und Eingang
ins „Mainstream“-Denken findet (Clark, 1997 zitiert in Ostrom, 2008). Kapitel 14 der Agenda 21 nennt als
oberstes Ziel der nachhaltigen Landwirtschaft und ländlichen Entwicklung die nachhaltige Steigerung der
Nahrungsmittelproduktion und die Verbesserung der Ernährungssicherung und fordert die Entwicklung
und Anwendung besserer Analyse- und Monitoringinstrumente und den erleichterten Transfer umweltfreundlicher Technologien für integrierte Produktionssysteme (UNCED, 1992). Die Entwicklung von RISE
soll zur Erfüllung dieser Forderung beitragen. Zu den Schlüsseln einer erfolgreichen Umsetzung der nachhaltigen Entwicklung gehören nach UNCED (1992) die Verlagerung der Entscheidungsfindung hin zu kommunalen und lokalen Organisationen, sowie die Veränderung der Motivation und Einstellung des einzelnen
Bauern. RISE soll daher dazu beitragen, dass nachhaltige Entwicklung für Bauern und Bäuerinnen in aller
Welt ein umsetzbares Leitbild wird.
Was genau bedeutet „nachhaltige Entwicklung“ in RISE?
Eine Definition von nachhaltiger Entwicklung und die Übersetzung dieses Verständnisses in eindeutige,
praktisch umsetzbare Ziele ist das Fundament einer aussagekräftigen, schlüssigen Nachhaltigkeitsbewertung (von Wirén-Lehr, 2001). Diese Bewertung erfolgt, indem die zu verschiedenen Handlungsfeldern des
Betriebs erhobenen Daten mit aus den definierten Nachhaltigkeitszielen abgeleiteten Massstäben verglichen werden. Handlungsfelder, Nachhaltigkeitsziele, Vergleichswerte („Benchmarks“) und Bewertungsfunktionen sind die Bausteine der Nachhaltigkeitsbewertung.
Ihre Festlegung beruht auf Entscheidungen der Entwickler und der beteiligten Akteure und ist teilweise
subjektiv, denn nachhaltige Entwicklung ist ein normatives Leitbild, das durch Interessen, Wertvorstellungen und Grundhaltungen der Akteure zu Entwicklungsfragen bestimmt wird (Christen, 1999; Jörissen et al.,
1999; Green & Foster, 2005: „Unilever’s interest in sustainability is connected with the maintenance of its
power in the pea system”). Zwar dürften die Grenzen der Belastbarkeit von Ökosystemen absolut und gegeben sein, aber sie sind nur näherungsweise bestimmbar und der Bereich einer nachhaltigen Entwicklung
kann lange vor Erreichen dieser Grenzen enden, so bei der Bodenerosion. Im sozioökonomischen Bereich
stehen subjektive Wertvorstellungen und Einstellungen sogar im Zentrum menschlichen Handelns. Es ist
daher nötig, die Annahmen, auf denen RISE basiert, genau und offen zu beschreiben und einzuordnen.
Oberziel von RISE ist ein Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der WCED (1987): Entwicklung ist nachhaltig, „wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige
Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“. Zwei Aspekte von zentraler Bedeutung
für das Verständnis von nachhaltiger Entwicklung sind (1) die Idee der begrenzten Tragfähigkeit der Ökosysteme und (2) der Vorrang der Befriedigung der Grundbedürfnisse, vor allem jener der Armen (ARE, 2008).
Die internationalen Übereinkommen (Agenda 21, Millenniumsziele) haben als Bezugsrahmen von RISE Vorrang, weil die Methode global einsetzbar sein soll. Zudem nehmen die in der Entwicklung von RISE berücksichtigten regionalen und nationalen Dokumente, wie die Strategie der europäischen Kommission für nachhaltige Entwicklung (2001, 2005) und die Strategie für nachhaltige Entwicklung des Schweizerischen Bundesrates (2002), ausdrücklich Bezug auf die internationalen Abkommen.
Der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ wird in RISE anthropozentrisch, integral, dynamisch und als „sensible sustainability“ verstanden und auf die Ebene des landwirtschaftlichen Betriebs übersetzt:
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Anthropozentrisch: Mit „Bedürfnissen“ sind zunächst Grundbedürfnisse gemeint, über die hinaus dann für
alle Menschen die Möglichkeit zu schaffen ist, „ihren Wunsch nach einem besseren Leben zu befriedigen“.
Die nachhaltige Entwicklung ist damit ein anthropozentrisches Konzept, bei dem es um die Befriedigung
menschlicher Bedürfnisse in heutigen und kommenden Generationen geht (Jörissen et al., 1999). Nach
Stückelberger (1999) kommt hier der Begriff der Menschenwürde zum Tragen.
Integral: Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung wird in RISE ganzheitlich aufgefasst. Es schliesst mehrere Handlungsfelder ein, die auf oberster Ebene meist unter den Dimensionen Ökonomie, Soziales und Ökologie, z.T. auch Institutionen/Politik subsummiert werden („Drei-Säulen-Konzept“, z.B. SRU, 1998). RISE
baut auf ein integriertes Verständnis von Nachhaltigkeit, in dem keine Dimensionen unterschieden werden.
Denn oft ist eine eindeutige Zuordnung eines Phänomens zu einer Dimension nicht möglich (so hat der
Begriff des Existenzminimums eine soziale und eine ökonomische Seite). Der RISE-Indikatorsatz beruht auf
folgendem Modell: Zur Erfüllung der Bedürfnisse der Menschen auf dem Betrieb (sozial) produziert dieser
unter Einsatz menschlicher (sozial), finanzieller (ökonomisch) und natürlicher (ökologisch) Ressourcen Produkte, Dienstleistungen (ökonomisch), Emissionen und Abfälle (ökologisch). Das Modell ähnelt in seiner
integralen Betrachtungsweise dem „Sustainable Livelihoods Approach“ des DFID3, der zur Armutsbekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt wird (Abb. 3). Im Unterschied zu diesem ist RISE nur
auf den Landwirtschaftsbetrieb ausgerichtet.
Abb. 3. Zusammenwirken von Kapitalstöcken, Umfeld und Strategien zur Schaffung einer Lebensgrundlage
(„livelihood“). „Transforming structures“ sind z.B. politisches und Marktumfeld (übernommen von DFID, 1999).
Dynamisch: Entsprechend dem Begriff der nachhaltigen Entwicklung basiert RISE auf einem dynamischen
Verständnis. Es geht nicht (nur) um den Erhalt bestimmter Güter oder Gleichgewichte, sondern auch um
die Sicherung von Handlungsoptionen und Entwicklungspotential (Luks, 2008). Es werden nicht nur Zustände, sondern auch Entwicklungen und Trends der betrieblichen Situation erfasst und bewertet.
Sensible sustainability: Im Spektrum zwischen starker und schwacher Nachhaltigkeit bzw. zwischen vollständiger Komplementarität und vollständiger Substituierbarkeit natürlicher und menschengemachter Res-
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Department For International Development, Grossbritannien
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sourcen (Grunwald & Kopfmüller, 2006; Hediger, 2009) nimmt RISE die mittlere Position der „schwachen
Nachhaltigkeit Plus“ der Schweizerischen Nachhaltigkeitsstrategie (ARE, 2008) bzw. der „sensible sustainability“ von Serageldin (1996) an. Danach ist ein Ersatz natürlichen durch menschengemachtes Kapital innerhalb bestimmter „Leitplanken“ (Klemmer et al., 1998) nachhaltig. Rohphosphate und Kalisalze werden
bspw. im Bergbau gewonnen und zu Düngemitteln verarbeitet. Ihr Einsatz ist nicht mit der starken Nachhaltigkeit vereinbar, da es sich um nicht erneuerbare, nach heutigem Stand der Technik nicht vollständig wiedergewinnbare Rohstoffe handelt. Mit der „sensible sustainability“ vereinbar sind Abbau, Aufbereitung und
Ausbringung, wenn sie auf umweltschonende Weise und in dem Mass erfolgen, in dem die Nutzungseffizienz und Rezyklierbarkeit dieser Mineralstoffe durch gezielte Platzierung, Erosionsschutz, Fällung aus Klärschlamm usw. erhöht werden.
Übersetzung auf die Betriebsebene: RISE ist eine Methode, die dazu beitragen soll, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, das für die (Makro-)Ebene von Volkswirtschaften oder sogar der ganzen Welt
formuliert wurde, auf dem Einzelbetrieb konkret, messbar und umsetzbar zu machen. Die Verwendung des
Begriffs „Nachhaltigkeit“ auf der Mikroebene des Einzelbetriebs bedarf der Klärung, da die Nachhaltigkeit
eines Betriebes mit jener des Nachbarn in Konflikt geraten kann. Entsprechend fordern Grunwald und
Kopfmüller (2006), das Attribut „nachhaltig“ nur der globalen Entwicklung im ganzen zuzuschreiben. Auch
für Jörissen et al. (1999) geht es bei der nachhaltigen Entwicklung „um die Zukunft der Menschheit als
Ganzes“. RISE erfasst und bewertet daher streng genommen (1) den Beitrag des landwirtschaftlichen
Betriebs zu einer nachhaltigen globalen Entwicklung und (2) inwieweit die Produktion auf dem Betrieb auf
für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltige Weise stattfindet. Mit RISE wird eine Positionierung
des „Nachhaltigkeitsgrades“ des Betriebes in Bezug auf alle relevanten Handlungsfelder möglich. Die
Aussage, „der Betrieb wirtschaftet nachhaltig“ kann weder mit RISE noch mit anderen Methoden getroffen
werden, da diese Aussage nicht mit Sicherheit verifiziert werden kann (Popper, 1935).
Regeln für eine nachhaltige Entwicklung
Da es üblich ist, nachhaltige Entwicklung für die Säulen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft getrennt zu
betrachten, sind im folgenden, trotz des integralen Ansatzes von RISE, Ziele und Regeln für eine nachhaltige
Entwicklung für die drei Bereiche getrennt aufgeführt. Die Formulierungen für die Säulen weichen voneinander ab: Für die Wirtschaft als Bereich der Produktion im engeren Sinne gelten Regeln, für die Umwelt
als begrenzender und zu schützender natürlicher Rahmen gelten Leitlinien, für den sozialen Bereich, dem
Bedürfnisse und Arbeitskraft entstammen, gelten Schutzgüter und Ziele. Für die Landwirtschaft folgt weiter
unten eine ganzheitliche Definition.
Umwelt
Um eine Umwelt zu gewährleisten, die „der Gesundheit und dem Wohlergehen des Menschen angemessen
ist“ (Hauff, 1987) und dem Leitbild „sensible sustainability“ gerecht zu werden, soll die Ressourcennutzung
folgenden ökologischen Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung folgen (erweitert nach Pearce & Turner,
1990; Daly, 1991; Enquête-Kommission, 1998; ARE, 2008; BFS, 2007):
1. Die Nutzungsrate erneuerbarer Ressourcen darf deren Regenerationsrate nicht übersteigen.
2. Die Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen darf nur in dem Umfang erfolgen, in dem ein physikalisch und funktionell gleichwertiger Ersatz in Form erneuerbarer Ressourcen geschaffen
wird und/oder eine höhere Produktivität der Ressourcen erreicht wird.
3. Der Eintrag von Stoffen in die Umwelt darf die Aufnahmekapazität und Belastbarkeit der Umwelt nicht überschreiten und die menschliche Gesundheit nicht gefährden.
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4. Die Produktivität und Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Produktionssysteme sind unter Beachtung der anderen Regeln zu erhalten oder zu erhöhen.
Wirtschaft
Wirtschaften ist der Einsatz von Arbeit, Boden und Kapital zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen,
mit dem Ziel der Befriedigung materieller Bedürfnisse bzw. der Sicherung der materiellen Existenz (Jörissen
et al., 1999). Damit ist eine direkte Verbindung zur Bedürfnisbefriedigung nach WCED (1987) gegeben. Der
Mensch wirtschaftet nachhaltig, wenn seine ökonomische Situation ihm auch langfristig eine menschenwürdige Existenz sichert. Das Fortbestehen eines Betriebs muss dabei nicht per se zu einer nachhaltigen
Entwicklung beitragen. Die ökonomische Situation ist über Liquidität, Stabilität und Rentabilität erfassbar.
Die Ziele im einzelnen (nach WCED, 1987; Heissenhuber, 2000):
5. Das Unternehmen muss fähig sein, seinen Zahlungsverpflichtungen fristgerecht nachzukommen, um
eine Insolvenz zu verhindern (Liquidität).
6. Die Relation von Aufwand zu Ertrag muss eine Entlohnung ermöglichen, mit der die Menschen auf
dem Betrieb und deren Familien ihre Grundbedürfnisse und ihren Wunsch nach einem besseren Leben befriedigen können (Rentabilität). Letzteres bedingt die Möglichkeit, in die eigene Zukunft und
die des Betriebs investieren zu können.
7. Das Unternehmen muss Liquidität und Rentabilität auch bei Eintritt unvorhergesehener Risiken langfristig sichern können (Stabilität/Resilienz).
Mensch und Gesellschaft
Im sozialen Bereich ist die Ebene der Gesellschaft von jener der individuellen Belange ihrer Mitglieder zu
unterscheiden. Auf dem Betrieb steht letztere im Vordergrund, denn das Wirtschaften auf dem Betrieb
dient v.a. der Befriedigung individueller Bedürfnisse der dort lebenden und arbeitenden Menschen. Soziale
Ziele sind durch verschiedene Übereinkommen für Staaten und Unternehmen bindend vorgegeben, so
durch die allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UN, 1948), für den Bereich der Arbeit durch die von
der ILO4 (2008) zusammengestellten Regeln für menschenwürdige Arbeitsbedingungen. An den beiden
Enden der Skala der Zielerreichung im sozialen Bereich stehen Wohlergehen und Armut. Bedingungen des
menschlichen Wohlergehens und damit Schutzgüter der sozialen Nachhaltigkeit sind (nach UN, 1948; RioDeklaration, 1992; MA, 2003; SKOS, 2005; ARE, 2008):
8. Ein Lebensstandard, der die geistige und körperliche Gesundheit und das Wohl der eigenen Person
und der Familie gewährleistet, einschließlich Nahrung, Wasser, Kleidung, Unterkunft, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen.
9. Zugang zu Ressourcen und Bildung, sowie die uneingeschränkte Möglichkeit zur Teilnahme und Teilhabe am wirtschaftlichen und sozialen Leben.
10. Die Freiheit, über die eigene Lebens- und Arbeitsweise eigenständig zu entscheiden und diese Entscheidung umzusetzen.
11. Sicherheit vor Armut im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter
sowie bei anderweitigem Verlust der Unterhaltsmittel.
12. Erfüllung all dieser Bedingungen ohne Ansehen von Geschlecht, Alter, Religion, Nationalität, Hautfarbe, persönlichen Vorlieben oder Weltanschauung.
Was ist nachhaltige Landwirtschaft?
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International Labour Organization
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Gegenstand der RISE-Erfassung und -Bewertung ist die landwirtschaftliche Produktion auf Betriebsebene,
wobei für einige Indikatoren und je nach Situationen benachbarte Bereiche wie der Haushalt der
Bauernfamilie oder den Agrarflächen benachbarte Biotope und Gewässer berücksichtigt werden können.
Auf Betriebsebene bedeutet nachhaltige Landwirtschaft, dass (1) ein Beitrag zu einer nachhaltigen globalen
Entwicklung geleistet wird und (2) das Nachhaltigkeitspostulat der WCED (1987) für die heute und künftig
auf dem Betrieb wirtschaftenden Menschen erfüllt ist. Der Erhalt des Betriebes wird in RISE nicht als
Selbstzweck betrachtet.
Die FAO (verändert; 1995) beschreibt „nachhaltige Landwirtschaft und ländliche Entwicklung“ zielorientiert:
„Sie stellt sicher, dass das qualitative und quantitative Grundbedürfnis heutiger und künftiger Generationen nach Nahrung gedeckt wird und weitere landwirtschaftliche Produkte bereitgestellt werden;
bietet allen in der Landwirtschaft Beschäftigten eine sichere Anstellung, ausreichendes Einkommen und
würdige Lebens- und Arbeitsbedingungen;
erhält bzw. verbessert die Produktivkapazität der natürlichen Ressourcen und ihre Erneuerungskapazität,
ohne ökologische Zyklen und Gleichgewichte oder die soziokulturellen Eigenschaften von Gesellschaften
irreversibel zu schädigen;
verringert die Anfälligkeit des Agrarsektors gegen ungünstige natürliche und sozioökonomische Faktoren
und Risiken, und stärkt die Eigenständigkeit.“
Der letzte Punkt ist mit Blick auf den langfristigen Charakter des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung
wichtig. Ein nachhaltiges Produktionssystem verfügt über hohe Resilienz, also über die Fähigkeit, Störungen
wie Dürre, Stürme oder Preisverfall zu widerstehen und dabei produktiv zu bleiben (Walker et al., 2004). Die
Resilienz eines Systems hängt von Eigenschaften wie Pufferkapazität (Humusspiegel, Eigenkapital, soziales
Netzwerk) und Diversität ab (mehrere Kulturen, strukturreiche Landschaft, Produkte, Lieferanten, Abnehmer). Ein Beispiel sind die von Pimentel et al. während einer Dürre (2005) gemessenen höheren Erträge von
Mais und Soja auf gut mit Humus versorgten Böden. Wo Humusbildung mit wirtschaftlichem Schaden für
den Betrieb einhergeht, besteht ein Zielkonflikt, der bei Entscheidungsfindungen berücksichtigt werden
muss.
Nach SAI (2003) kann präzisiert werden, dass nachhaltige Landwirtschaft konkurrenzfähige und effiziente
Produktionsverfahren einsetzt und dabei die lokalen sozio-ökonomischen Verhältnisse im Einklang mit der
Menschenwürde schützt und verbessert. In Agenda 21 (Kapitel 14 & 35; UN, 1992) werden noch die erhöhte Eigenständigkeit der bäuerlichen Bevölkerung hinsichtlich Entwicklung und Ausbau der ländlichen Infrastruktur, der erleichterte Transfer umweltfreundlicher Technologien für integrierte Produktions- und Bewirtschaftungssysteme sowie die nachhaltige Nutzung biologischer und ökologischer Prozesse gefordert.
Allerdings ist festzustellen, dass Agenda 21 die „nachhaltige Intensivierung“ der Agrarproduktion propagiert. RISE fusst als zielorientierte Bewertungsmethode auf der Auffassung, dass dies ein wichtiger Weg zu
einer Landwirtschaft ist, die zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt, aber nicht der einzige Weg.
Der ideale Landwirtschaftsbetrieb nach RISE
Für die Betriebsebene ergeben sich aus den Regeln für eine nachhaltige Entwicklung und den Anforderungen an eine nachhaltige Landwirtschaft die folgenden Ziele, die auf Indikator- und Parameterebene weiter
konkretisiert werden. In RISE wird davon ausgegangen, dass ein Landwirtschaftsbetrieb zur nachhaltigen
globalen Entwicklung beiträgt und für die dort wirtschaftenden Menschen nachhaltig im Sinne der WCED
(1987) ist, wenn alle diese Bedingungen langfristig erfüllt sind:
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Der Betrieb erzeugt entsprechend seinem durch Klima, Böden und sozio-ökonomische Rahmenbedingungen gegebenen Produktionspotential und der Nachfrage der Bevölkerung und des Handels vor Ort Nahrungsmittel und weitere landwirtschaftliche Produkte und Dienstleistungen (Paralandwirtschaft).
In der Produktion werden fossile Brennstoffe, im Tagebau gewonnene Mineraldünger und weitere nicht
erneuerbare Rohstoffe nur in dem Umfang direkt eingesetzt, in dem z.B. durch technischen Fortschritt physisch und funktionell gleichwertiger Ersatz in Form erneuerbarer Ressourcen und geringerer Bedarf durch
höhere Effizienz erreichbar wird. Der durch die Produktionsweise auf dem Betrieb verursachte indirekte
Einsatz nicht erneuerbarer Rohstoffe ist stetig zu verringern.
Böden und Wasser werden in der Produktion so genutzt, dass ihre Regenerationsrate nicht überschritten,
ihre Qualität nicht vermindert und eine hohe Produktivität pro Einheit der Ressource erzielt wird. Nährstoffe, namentlich Stickstoff, Phosphor und Kohlenstoff, werden auf dem Betrieb in möglichst engen Kreisläufen geführt und so eingesetzt, dass eine hohe Produktivität pro Einheit der Ressource erzielt wird. Die Betriebsleitung setzt aktiv Wissen und Technologie für eine stetig steigende Ressourceneffizienz ein. Die Entnahme von Wasser darf das Ökosystem des Gewässers nicht zerstören. Es werden standortgerechte Produktionsverfahren und Produktionsmittel eingesetzt, welche die natürlichen Ressourcen schonen. Kurz
gesagt, sollen Betriebsmittel nach dem Grundsatz „so extensiv wie möglich, so intensiv wie nötig“ eingesetzt werden.
Durch die Produktion auf dem Betrieb werden keine Schadstoffe (Ozon, Schwermetalle, Radionuklide, organische Gifte, Reizgase, Stoffe mit eutrophierender, versauernder oder klimaerwärmender Wirkung) direkt in Mengen in Böden, Gewässer oder Luft freigesetzt, die deren Aufnahmekapazität und Belastbarkeit
überschreiten oder die menschliche Gesundheit gefährden. Der durch die Produktionsweise auf dem Betrieb verursachte indirekte Ausstoss solcher Schadstoffe ist stetig zu verringern.
Der Betrieb bietet den dort arbeitenden Menschen eine dauerhafte Anstellung zu würdigen, gesunden Arbeitsbedingungen unter Einhaltung der Menschenrechte. Dazu gehören Entlohnung und Behandlung ohne
Ansehen von Geschlecht, Alter, Religion, Nationalität, Hautfarbe oder Weltanschauung. Die auf dem Betrieb Arbeitenden sind im Rahmen der Gebote von Sicherheit und Nachhaltigkeit frei, über ihre eigene Lebens- und Arbeitsweise zu entscheiden.
Die Verhältnisse auf dem Betrieb erlauben und fördern für alle dort Tätigen den Zugang zu Ressourcen und
Bildung und ihre Teilnahme am wirtschaftlichen und sozialen Leben.
Der Betrieb leistet durch regionale Beschaffung und Beschäftigung einen seiner Grösse entsprechenden
Beitrag zur Verbesserung der sozio-ökonomischen Bedingungen in der Region.
Die Entlohnung dieser Arbeit ermöglicht den Menschen auf dem Betrieb und ihren Familien einen Lebensstandard (bzw. trägt entsprechend ihrem Anstellungsgrad dazu bei), der ihre geistige und körperliche Gesundheit und ihr Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Wasser, Kleidung, Unterkunft, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen.
Dem/r Betriebsleiter/in erlaubt der erwirtschaftete Betrag, den eigenen Zahlungsverpflichtungen fristgerecht nachzukommen und die zur Erhaltung der Produktionskapazität nötigen Ersatzinvestitionen sowie
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Erweiterungsinvestitionen in nachhaltige Technologien für integrierte Produktions- und Bewirtschaftungssysteme zu tätigen. Durch diese Investitionen entwickelt sich der Betrieb zu grösserer Nachhaltigkeit.
Der Betrieb ist wirtschaftlich, sozial und ökologisch so widerstandsfähig, dass er natürliche und sozioökonomische Turbulenzen abfedern kann. Die Existenz des Betriebs hängt nicht von einzelnen Lieferanten,
Abnehmern, Produkten oder staatlichen Zahlungen ab. Betrieb und Menschen sind durch ein Netz formaler
und informaler Mechanismen abgesichert.
Indikatorsysteme für nachhaltige Landwirtschaft
Für die gezielte Umsetzung des Leitbilds auf dem Einzelbetrieb braucht es als Navigationshilfe ein einfaches, kostengünstiges Instrument zur ganzheitlichen Nachhaltigkeitsbeurteilung. Indikatoren sind mächtige
Werkzeuge, um komplexe Systeme auf einen einfachen „Nenner“ zu bringen und Informationen über komplexe Systeme zu integrieren (Giampietro, 1997, zitiert in von Wirén-Lehr, 2001). Um Transparenz und hohen Informationsgehalt zu gewährleisten und die Identifizierung von „hot spots“ mit wichtigen Nachhaltigkeitsdefiziten zu ermöglichen, werden die RISE-Indikatoren nicht zu einem einzigen „Nachhaltigkeitsindex“
aggregiert (von Wirén-Lehr, 2001). Das RISE-Indikatorsystem soll, ähnlich dem System MONET (BFS/ARE,
2002), als Ganzes betrachtet werden.
Es gibt diverse Methoden für Nachhaltigkeitsanalysen auf nationaler und internationaler Ebene (z. B. UNDSD, 2001; BFS/ARE, 2002; OECD, 2003). Auch für die mehrdimensionale Analyse landwirtschaftliche Betriebe wurden einige Indikatorsysteme entwickelt, darunter INDIGO (Bockstaller et al., 1997), KSNL (Breitschuh et al., 2008), SALCA (Nemecek et al., 2005), IDEA (Zahm et al., 2008), MOTIFS (Meul et al., 2008), die
von Unilever eingesetzte Methode (Pretty et al., 2008), REPRO (Hülsbergen, 2009) und das von Bylin et al.
(2004) vorgeschlagene System. Von diesen Methoden unterscheidet sich RISE durch:
 Flexibilität hinsichtlich der statistischen Qualität der Eingangsdaten, damit einerseits breitere globale Anwendbarkeit, andererseits geringere statistische Rigorosität. Dies basiert auf der Erfahrung,
dass das Beharren auf Eingangsdaten von „OECD-Qualität“ dazu führt, dass ein Grossteil der weltweit über 400 Mio. Betriebe von der Analyse ausgeschlossen bleibt. Und zwar jene, welche am
stärksten von Armut betroffen, im Sinne der WCED-Nachhaltigkeitsdefinition von 1987 also am
wichtigsten sind. Auf solchen Betrieben kann auch auf Basis von Selbstauskünften des Bauern ein
Mehrwert an Information erzeugt werden (Abb. 4).
 Ausrichtung auf möglichst geringen Erhebungsaufwand (s.u.).
 Starke Betonung der partizipativen Komponente und eines Folgeprozesses zur Lösungsfindung
(s.u.).
Indikatorsysteme für die Nachhaltigkeitsbewertung können methodenorientiert (die Anwendung einer
bestimmten Produktionsweise gilt als nachhaltig, z.B. Direktsaat, Biolandbau) oder zielorientiert sein. RISE
ist eine zielorientierte Bewertung. Ein Betrieb kann auf verschiedenen Wegen zu den definierten Zielen
einer nachhaltigen Entwicklung und betrieblichen Nachhaltigkeit gelangen (von Wirén-Lehr, 2001). RISE
bietet keine Universallösungen, sondern erkennt die Landwirtschaftsbetriebe als komplexe und extrem
vielfältige sozio-ökologische Systeme an (Ostrom et al., 2007). Zudem ist RISE auf den Einsatz im Rahmen
von Beratungs- und Entwicklungsprogrammen ausgerichtet, denen es zur strukturierten, ganzheitlichen
Erfassung und Bewertung der Ausgangslage dient. Die von der Analyse ausgehende Erarbeitung betrieblicher Entwicklungsstrategien wird dann andere Methoden und Sozialformen einsetzen, wie Beratungsgespräche, vertiefende Analysen oder Arbeitskreise. Dieses Konzept stützt sich einerseits auf die oft enttäuschenden Praxiserfahrungen mit „decision support systems“ und Expertensystemen, welche (halb-) automatisch Lösungen für die Agrarproduktion ausgeben sollten (Seligman, 1990; Pannell, 2003; McCown,
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2006a; b). Andererseits sind für RISE gelungene Kombinationen von “harter” Wissenschaft und deren “weicher”, partizipativer Anwendung Vorbilder (“participatory action research”: Newman et al., 2000;
Robertson et al., 2000; McCown, 2001).
Abb. 4. Zusammenhang von Wissensgewinn, z.B. durch eine Nachhaltigkeitsanalyse und Steigerung der Produktionsqualität. Anm.: Wissen kann nur dann in „bessere“ Produktion umgesetzt werden, wenn auch alle anderen Faktoren (Zugang zu Ressourcen, Märkten usw.) ausreichend vorhanden sind.
Die RISE-Indikatoren: Handlungsfelder einer nachhaltigen Landwirtschaft
Die Handlungsfelder, die auf einem Landwirtschaftsbetrieb bzw. für die Landwirtschaft insgesamt die Nachhaltigkeit der Entwicklung beeinflussen, und Ziele für diese Handlungsfelder wurden in Agenda 21, durch
die FAO (1995, s.o.), in Nachhaltigkeitsstrategien (z.B. Schweizerischer Bundesrat, 2002), bei der Entwicklung diverser Indikatorsysteme (IDEA, MOTIFS, REPRO, RISE 1.0) und in wissenschaftlichen Arbeiten (z.B.
Christen, 1996) dargestellt.
Die Auswahl der in RISE betrachteten Handlungsfelder orientiert sich an den Qualitätskriterien für Indikatoren (s.u.) und den Zielen des RISE-Indikatorsystems (s.o.). Auf der Ebene der Indikatoren, von denen jeder
einem Handlungsfeld des Betriebs bzw. einem Aspekt der nachhaltigen Entwicklung entspricht, sind besonders theoretische Relevanz und methodische Absicherung wichtig. Es ist sicherzustellen, dass die von Gesellschaft, Politik und Wissenschaft für wichtig erachteten Themen abgedeckt werden, so dass der Beitrag
des Betriebs zu einer nachhaltigen Entwicklung abgebildet wird. Auf der Ebene der Parameter (s.u. und
Glossar) haben Kosten: Nutzen-Verhältnis, Transparenz und besonders die praktische Relevanz tendenziell
grössere Bedeutung. Hier stehen die aktuellen und möglichen Handlungen des Bauern im Vordergrund.
Ihm/ihr bzw. dem/r Berater/in müssen neue, aussagekräftige und verständliche Informationen geboten
werden, die in eine nachhaltige Entwicklung des Betriebs überführbar sind.
In Tabelle 1 sind die Handlungs- und Themenfelder verschiedener Strategie- und Indikatorsysteme aufgeführt und bewertet. Für RISE 2.0 ergeben sich daraus folgende Handlungsfelder bzw. Indikatoren:
=> Excel-Dokument „Neue Indikatoren.xls“
Quellen: Agenda 21 (UN, 1992); OECD (2003); GRI (2006); RISE 1.0 (Häni et al., 2008), MOTIFS (Meul et al.,
2008), KSNL (Breitschuh et al., 2008), Unilever (Pretty et al., 2008), ILO (2008), ISEAL (2008), IDEA (Zahm et
al., 2008), RISE-Expertenkonsultation (2009), REPRO (Christen et al., 2009).
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Die Handlungsfelder sind in RISE nicht notwendigerweise und immer gleichrangig. Ihre Hierarchie kann sich
nach der Einschätzung der Betroffenen richten oder nach allgemeinen Kriterien wie der Reichweite eines
Phänomens, der Schwere seiner Folgen, deren Irreversibilität und Dringlichkeit sowie der Bedeutung in der
öffentlichen Diskussion (Jörissen et al., 1999). So können Probleme mit Bodenfruchtbarkeit, Gesundheit
oder Liquidität schnell die Existenz des Betriebs bedrohen, während Defizite hinsichtlich Biodiversität oder
Treibhausgasemissionen aus betrieblicher Sicht allenfalls weniger direkte bzw. schleichende Gefahren sind.
Steht ein Beitrag zur Betriebsführung im Vordergrund einer RISE-Anwendung, kann die ökonomische Dimension vorrangig beachtet werden: Wie kann ökonomische Nachhaltigkeit bei geringer ökologischer
Schadschöpfung und hoher sozialer Leistung erreicht werden („business case“ nach IWÖ, ??; Abb. 5).
Abb. 5. Der „business case“ als betriebsorientierte Sichtweise der Nachhaltigkeit.
Es folgen die für die Auswahl der RISE-Indikatoren und -Parameter entscheidenden Qualitätskriterien (nach
Pannell & Glenn, 2000; Christen & Halloran-Wietholtz, 2002; Isermeyer & Nieberg, 2003):
 Theoretische Relevanz
Repräsentiert der Indikator einen wichtigen Aspekt der Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen
Produktion auf Ebene des Betriebs?
Ist ein hoher Indikatorwert gleichbedeutend mit grosser Nachhaltigkeit?
 Kosten : Nutzen-Verhältnis
Können im gegebenen Rahmen Informationen für eine aussagekräftige Berechnung des Indikators
erhoben werden?
Bringt der Indikator dem Landwirt/Berater neue und nützliche Erkenntnisse?
 Methodische Absicherung
Können Zielsetzung, Methode der Datenerhebung, Bewertungsfunktionen und Schwellenwerte auf
wissenschaftlich und/oder praktisch gesicherte Erkenntnisse gestützt werden?
 Transparenz
Sind die Berechnungen nachvollziehbar und führen zu einer für alle Betroffenen verständlichen
Aussage?
 Praktische Relevanz
Eröffnet die im Indikator enthaltene Information dem Landwirt neue, machbare Handlungsoptionen?
Die Wichtigkeit weiterer Aspekte wie Trennschärfe/Reaktionsfähigkeit, Reproduzierbarkeit und Politikrelevanz gilt grundsätzlich auch für RISE. Sie sind aber angesichts der angestrebten flexiblen und kostengünstigen Analyse nachrangig. Ebenso ist die internationale Vergleichbarkeit ein nachrangiges Kriterium, da sie
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von Landwirten und Beratern nicht nachgefragt wird (Vergleiche innerhalb der Region werden nachgefragt
und sind in RISE in Form relativer Benchmarkwerte enthalten). Für Vergleiche alternativer Produkte, wie
Rapsöl aus Europa und Palmöl aus Südostasien, wird z.B. eine erweiterte Ökobilanz (ISO 14040 ff.) oder die
von Griesshammer et al. (2007) entwickelte „Product Sustainability Analysis“ (PROSA) geeigneter sein.
Datenerhebung und Bewertungsverfahren
Für die RISE-Analyse gilt folgender Rahmen:
 Die Hauptinformationsquelle für die Daten ist ein Interview mit der leitenden Person des Betriebes.
 Die Datenerhebung dauert, ausser auf sehr grossen oder komplexen Betrieben, nicht länger als drei
Stunden, einschliesslich einer raschen Begehung. Es werden keine Messgeräte verwendet.
 Es wird auf die genaueste und zuverlässigste vorhandene Datenquelle zurückgegriffen. Auf dem Betrieb und bei Behörden vorhandene Aufzeichnungen sollen nach Möglichkeit genutzt werden. Gewisse Parameter können bei hoher Regelungsdichte, wie z.B. die Abfallentsorgung in Industrieländern, im Sinne einer „cross compliance“ abgehakt werden.
 Das Ausfüllen des Fragebogens und die Vorstellung der Ergebnisse kann ein/e geschulte/r Agronom/in ohne Verständnisschwierigkeiten durchführen.
 Bezeichnungen und Zielsetzungen der Indikatoren sowie ihre Präsentation in Polygon und Tabellen
müssen, allenfalls mit kurzen Erläuterungen, für alle Akteure im Agrarsektor verständlich sein.
Systemgrenze: Ausgangspunkt der RISE-Analyse ist die landwirtschaftliche Produktion auf Ebene des Betriebs in einem Kalender- oder Wirtschaftsjahr. Die Betrachtung wird an einigen Stellen erweitert: (1) bei
der Bewertung langfristiger Tendenzen zeitlich auf 3 bis 5 Jahre und (2) bei der Analyse von Biodiversität
und Wassernutzung räumlich auf die Ebene der Landschaft bzw. des Wassereinzugsgebietes, soweit sie im
Einflussbereich des Betriebes liegen. Bei einigen ökonomischen Parametern sollen die Anwender je nach
Fragestellung den zu untersuchenden Unternehmensbereichen auswählen können. So können auch landwirtschaftliche Nebenaktivitäten, selbständige und nicht-selbständige Erwerbstätigkeiten oder der Haushalt
der Landwirtsfamilie eingeschlossen werden. Die Systemgrenze ist somit nicht über alle Indikatoren kongruent, sondern der Einfluss- und Abhängigkeitssphäre des Betriebs angepasst. In die Datenerhebung sind
an geeigneten Stellen offene Fragen integriert, so dass der Landwirt für ihn wichtige, aber in der Befragung
nicht genannte Themen ansprechen kann.
Detailschärfe: Die Betriebsdaten werden hauptsächlich auf gesamtbetrieblicher Ebene erhoben (z.B. Art
und Menge der eingesetzten Pflanzenschutzmittel). Faktoreinsatz, Kosten und Erträge werden ebenfalls auf
dieser Ebene erhoben, es wird also nicht der Beitrag einzelner Betriebszweige zur Nachhaltigkeit des Betriebs bestimmt. Tierbezogene Daten werden auf Ebene von Tiergruppen erfasst, d.h. die Haltungsbedingungen gehen z.B. für alle Milchkühe mit einem Wert pro Variable in die Analyse ein (keine Werte pro Einzeltier, kein Mitteln über verschiedene Tiergruppen). Im Pflanzenbau ist die Datenerfassung in Analogie zur
Tierhaltung an Fruchtfolgen bzw. Produktionssystemen orientiert. Auch Variablen mit Flächenbezug, insbesondere Bodeneigenschaften, werden auf Betriebsebene erfasst. Dabei wird die Nutzfläche des Betriebs
allenfalls in Klassen eingeteilt, z.B. nach Bodenart, maximalem Gefälle und Bodenwasserhaushalt (Bsp.: 20%
zeitweise vernässt, 30% drainiert, 50% mit ausgeglichenem Wasserhaushalt).
Daten: RISE verwaltet drei Typen von Variablen, Betriebsdaten, Standarddaten und Vergleichsdaten. Durch
Vergleich der ersteren mit den letzteren und unter Verwendung einer Bewertungsfunktion wird die Normalisierung auf eine Skala von 0 bis 100 vollzogen. Zum Teil ist der Normalisierung eine Verrechnung von Be14
triebs- und Standarddaten vorgeschaltet, z.B. werden die Nährstoffausscheidungen von Tieren aus dem
durchschnittlichen Wert für den Tiertyp (Standarddaten) und Typ und Zahl der Tiere (Betriebsdaten) berechnet. Teilweise werden auch mehrere Betriebsdaten zu einem aggregierten Wert verrechnet und dann
bewertet. Die Betriebsdaten werden für jeden Betrieb individuell erhoben. Dabei ist Bezug auf die jeweils
genaueste und verlässlichste Datenquelle zu nehmen, wobei die Spannbreite von offiziellen Struktur- oder
Buchhaltungsdaten bis zu persönlichen Auskünften des Bauern reicht.
Bewertung: Die aus der Normalisierung resultierenden Werte werden als Parameter bezeichnet. Ihr Wert
variiert von 0 bis 100, wobei 100 für ein optimales Ergebnis steht (eine Handlungsweise, die voll und ganz
nachhaltig ist) und 0 für die schlechtest mögliche bzw. eine inakzaptable Situation. In RISE werden verschiedene mathematische Funktionen zur Bewertung verwendet: Linear, sigmoid, mit und ohne Fallunterscheidung, negativ exponentiell, umgekehrt quadratisch. Aus jeweils mehreren Parameterwerten wird
durch arithmetische Mittelung ein Indikatorwert berechnet; dabei werden die Parameter grundsätzlich
gleich gewichtet. Bestimmte Parameter und Betriebsdaten beschreiben „Muss-Kriterien“ (etwa die Abwesenheit von Zwangsarbeit). Ist eines dieser Kriterien nicht erfüllt, wird dies als Fallnote im RISE-Bericht angezeigt, unabhängig vom Wert des entsprechenden Indikators.
Wie bei allen derartigen Indikatorsystemen, besonders aber wegen der Vielfältigkeit der Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft und des Anspruchs auf globale Einsetzbarkeit, können die Vergleichsdaten
und Bewertungsfunktionen in RISE weder den Ansprüchen aller Akteure an eine nachhaltige Entwicklung
gleichermassen gerecht werden (Pretty et al., 2008), noch alle universal gültig sein. Zum Teil werden sie zu
Beginn eines Projekts regional kalibriert, indem z.B. nach humidem und aridem Klima unterschieden wird
und ein allfälliges Sinken der Grundwasserpegel im Wassereinzugsgebiet berücksichtigt wird. Einige Vergleichswerte und Gewichtungen können durch die Akteure beeinflusst werden; dazu kommt ein interaktiver Fragebogen zum Einsatz. Dies entspricht der Forderung nach Einbezug der Betroffenen (z.B. Grunwald
& Kopfmüller, 2006). So soll die Spannung zwischen globaler Anwendbarkeit einerseits und Relevanz unter
den Bedingungen des einzelnen Betriebs andererseits (von Wirén-Lehr, 2001) entschärft werden.
Abläufe in RISE-Entwicklung und -Anwendung
RISE-Entwicklung
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RISE-Anwendung
Breitschuh, G, Eckert, H, Matthes, I, Strümpfel, J. 2008. Kriteriensystem nachhaltige Landwirtschaft (KSNL) (in German). Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft, Darmstadt, Germany.
Chambers R. 1994. The origins and practice of participatory rural appraisal. World Development 22: 953-969.
Christen, O. 1999. Nachhaltige Landwirtschaft – Von der Ideengeschichte zur praktischen Umsetzung. FIL, Bonn.
Food and Agriculture Organisation of the United Nations (FAO). 1995. Trainer’s Manual, Vol. 1, Sustainability issues
in agricultural and rural development policies. Rome.
Häni, F, Studer, C, Thalmann, C, Porsche, H, Stämpfli, A. 2008. RISE – Massnahmenorientierte Nachhaltigkeitsanalyse
landwirtschaftlicher Betriebe (in German). KTBL-Schrift 467. Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft, Darmstadt, Germany.
Meul, M, Van Passel, S, Nevens, F, Dessein, J, Rogge, E, Mulier A., Van Hauwermeiren, A. 2008. MOTIFS: a monitoring tool for integrated farm sustainability, Agronomy for Sustainable Development 28, 321–332.
Von Wirén-Lehr, S. 2001. Sustainability in agriculture – an evaluation of principal goal-oriented concepts to close the
gap between theory and practice. Agriculture, Ecosystems and Environment 84, 115-129.
Zahm, F., Viaux, P., Vilain, L., Girardin, P., Mouchet, C. 2008. Assessing farm sustainability with the IDEA method –
from the concept of agriculture sustainability to case studies on farms. Sust. Dev. 16, 271-281.
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