Demokratische und soziale WWU durch die Gemeinschaftsmethode

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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
ECO/380
Demokratische und soziale
WWU durch die
Gemeinschaftsmethode
Brüssel, den 10. April 2015
ARBEITSDOKUMENT
der Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt
zum Thema
Demokratische und soziale WWU durch die Gemeinschaftsmethode
(Initiativstellungnahme)
_____________
Berichterstatterin: Gabriele Bischoff
_____________
Mitglieder der Studiengruppe "Demokratische und soziale WWU durch
Gemeinschaftsmethode"
der Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt
NB:
die
Dieses Dokument wird in der Sitzung am 15. April 2015 um 9.00 Uhr erörtert.
Weitergabe an die Übersetzung: 31. März 2015
Verwaltungsrat: Alexander Alexandrov
ECO/380 - EESC-2015-01820-00-00-DT-TRA
Rue Belliard/Belliardstraat 99 — 1040 Bruxelles/Brussel — BELGIQUE/BELGIË
Tel. +32 25469011 — Fax +32 25134893 — Internet: http://www.eesc.europa.eu
DE
-1-
Studiengruppe:
Demokratische und soziale
WWU durch die
Gemeinschaftsmethode
Vorsitzender:
Herr Vértes (HU-I)
Berichterstatterin:
Frau Bischoff (DE-II)
Mitglieder:
die Damen und Herren
Ābeltiņa (LV-II)
Cedrone (IT-II)
Dandea (RO-II)
Domonkos (SK-III)
Gavrilovs (LV-I)
Pari (EL-I)
Raunemaa (FI-III) (Art. 62 GO - Mader)
Roche Ramo (ES-III) (Art. 62 GO - van
Niekerk)
Schweng (AT-I)
Serafin (PL-III)
Sachverständiger:
Herr Andreas Botsch (für die Berichterstatterin Bischoff)
ECO/380 - EESC-2015-01820-00-00-DT-TRA
-2Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Februar 2015 gemäß Artikel 29
Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
Demokratische und soziale WWU durch die Gemeinschaftsmethode.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher
und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am ... an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner ... Plenartagung am ... (Sitzung vom ...) mit ... gegen ...
Stimmen bei ... Enthaltungen folgende Stellungnahme:
*
*
1.
*
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Begründung
"Die EU muss eine Gemeinschaft der Bürger sein, nicht der Banken. Ihr Betriebssystem ist
die Demokratie, ihre Zukunft soziale Gerechtigkeit1."
2.
Herausforderungen an und Kriterien für eine demokratische und soziale WWU
2.1
Mit Blick auf die währungs-, finanz-, wirtschafts- wie sozialpolitischen Pfeiler hat der EWSA
eine Reihe von Stellungnahmen vorgelegt, um jeweils spezifische Vorschläge vorzulegen, wie
die WWU besser ausgestaltet werden kann. Diese Stellungnahme reiht sich in diese Serie ein
und untersucht, wie die demokratische und soziale Gestaltung der WWU im Rahmen der
Gemeinschaftsmethode so weiter entwickelt werden kann, dass sie die demokratische
Resilienz verbessert und den sich aus den Verträgen gegebenen sozialen Verpflichtungen
gerecht wird.
2.2
Die Krise in der Eurozone hat die Konstruktionsfehler der Währungsunion offengelegt. Weil
es von Anfang an versäumt wurde, die verschiedenen nationalen Wirtschaftspolitiken
aufeinander abzustimmen, entwickelten sich die Mitglieder der Währungsgemeinschaft in
vielen Punkten auseinander. Nur das Zinsniveau in den Mitgliedstaaten konvergierte, nicht
aber die Realökonomie: In manchen Staaten entstanden Spekulationsblasen, in einigen
Ländern stieg die private, in anderen zum Teil die öffentliche Verschuldung. Hohe
Leistungsbilanz- und Exportüberschüsse in einigen Staaten standen Defiziten anderswo
1
Heribert Prantl "Europa – Traum oder Alptraum", Vortrag in Ludwigsburg am 14.7.2013.
ECO/380 - EESC-2015-01820-00-00-DT-TRA
-3gegenüber. Gleichzeitig hat sich in der Krise die soziale Lage und die Beschäftigung in den
Mitgliedstaaten der WWU signifikant weiter auseinanderentwickelt statt zu konvergieren2 .
2.3
Einerseits sind während der Krise einige Instrumente verbessert worden. Andererseits herrscht
Konsens darüber, dass diese demokratische Defizite aufweisen und für eine kohärentere
Integration nach wie vor nicht ausreichen. Dies entspricht auch der Auffassung des EWSA.
Schon im September 2012 hatte eine Gruppe von Außenministern in ihrem Abschlussbericht3
zur Zukunft Europas unterstrichen, dass die Stärkung der WWU absolute Priorität habe. Ihre
Vorschläge konzentrieren sich auf Initiativen im Rahmen der bestehenden Verträge, unter
Beachtung der Gemeinschaftsmethode. Alle Maßnahmen müssten "die volle demokratische
Legitimation und Rechenschaftspflicht gewährleisten". So müsse das EP immer einbezogen
und die nationalen Parlamente beteiligt werden. Deshalb müsse die Zusammenarbeit zwischen
dem EP und den nationalen Parlamenten im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik weiter
gestärkt werden4. Über die soziale Gestaltung der WWU verlieren die Außenminister kein
Wort, allenfalls die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist ihnen eine Erwähnung wert.
2.4
Die EU-Kommission hat im November 2012 ihr Konzeptpapier für eine vertiefte, echte
WWU zur Debatte gestellt. Alle wichtigen wirtschafts- und fiskalpolitischen Entscheidungen
der Mitgliedstaaten sollten dazu einer engeren Koordinierung und umfassenderen
Zustimmung und Überwachung auf europäischer Ebene unterliegen. Schritte hin zu mehr
Verantwortlichkeit und Wirtschaftsdisziplin sollten mit verstärkter Solidarität und finanzieller
Unterstützung einhergehen. Dabei sei immer darauf zu achten, demokratische Legitimität
und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten. Wie dies zu gewährleisten sei, darauf ging der
Bericht nicht dezidiert ein. Diese Vertiefung der WWU sollte auf dem institutionellen und
rechtlichen Rahmen der Verträge aufbauen. Darüber hinaus könne die Eurogruppe mit
spezifischen Maßnahmen vorangehen, wenn diese Schritte allen Mitgliedstaaten offenstehen.
2.5
Während in der europapolitischen Praxis mehr und mehr intergouvernementale Lösungen wie
mit dem Fiskalpakt als "völkerrechtlichem Nebenregime" durchgesetzt wurden, hat dies nicht
zu einer effizienten Krisenbewältigung geführt. Auch die Verantwortlichkeit (ownership) der
Mitgliedstaaten ist nicht so, wie sie sein sollte5. Der Van-Rompuy-Bericht, im Dezember
2012 vorgelegt, verwies darauf, dass eine gemeinsame Lesart wichtig sei, um größere
Reformen durchzuführen. Notwendig seien zudem ein hoher Grad an sozialer Kohäsion, eine
starke Partizipation des EP wie der nationalen Parlamente und ein erneuerter Dialog mit den
Sozialpartnern. Der Ratspräsident6 brachte so die soziale Dimension und die besondere Rolle
2
3
4
5
6
Europäische
Kommission:
Employment
and
Social
Developments
http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=738&langId=en&pubId=7736.
in
Europe
2014,
15. Januar 2015,
Abschlussbericht der Gruppe zur Zukunft Europas vom 17.9.2012 der Außenminister Belgiens, Dänemarks, Deutschlands,
Frankreichs, Italiens, Luxemburgs, der Niederlande, Österreichs, Polens, Portugals und Spaniens.
Ebenda S. 2 f.
Siehe Humboldt-Rede 2014 von Barroso.
In enger Kooperation mit den Präsidenten Barroso, Juncker und Draghi.
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-4der Sozialpartner in die Debatte ein, die bisher vor allem auf wirtschafts-, und
haushaltspolitische Fragen sowie die fehlende demokratische Legitimation ausgerichtet war.
2.6
Nach der EP-Wahl 2014 und dem so durch demokratische Wahlen gestärkten
Kommissionspräsidenten kam es zu neuen Diskussionsvorschlägen und Handlungsaufträgen.
Darunter sind zwei von herausragender Bedeutung für die Debatte über die demokratische
und soziale Weiterentwicklung der WWU:
a)
die am 12. Februar 2015 von den vier der Präsidenten EU-Kommission, dem Präsidenten
des Europäischen Rates, dem Vorsitzenden der Eurogruppe und dem Präsidenten der
Europäischen Zentralbank vorgelegte Analytical Note "Preparing Next Steps on Better
Economic Governance in the Euro Area" zur "Economic Governance" in der Eurozone7;
b)
der Bericht "Euro-area governance: what to reform and how to do it" des "EU Think
Tanks" (Bruegel)8.
2.7
Der EWSA nimmt diese Vorschläge zur Kenntnis und wird sie daran messen, inwieweit ihre
Konzeption zur Weiterentwicklung der "Economic Governance" zu einer sozialen,
solidarischen und politischen Union beiträgt, die eine demokratische Teilhabe der
Unionsbürger und Zivilgesellschaft garantiert. Eine stärkere Koordination der
Wirtschaftspolitik kann das Primat der Politik stärken gegenüber einer reinen
"Binnenmarktstrategie", in der die Marktfreiheiten als oberste, ordnende und leitende Regeln
gelten.
2.8
Der EWSA ist der Auffassung, dass die WWU statt eines Wettbewerbs aller gegen alle eine
wirkliche Stärkung der innergemeinschaftlichen Kooperation benötigt, wie dies in Ansätzen
auch im "Blueprint" der Kommission beschrieben wurde. Diese würde – indem sie die
Nachfrage ausweitet, anstatt abwürgt – erreichen, dass sich die wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeiten der unterschiedlichen Staaten im Rahmen einer wachsenden und
prosperierenden Wirtschaft annähern. Dazu gehört eine Angleichung von sozialen Standards
und Arbeitnehmerrechten nach oben anstelle eines Wettlaufs nach unten.
3.
Gute Governance der WWU durch mehr Beteiligung, Transparenz und Verantwortung
3.1
Eine bessere Beteiligung der Zivilgesellschaft kann zu einer besseren demokratischen
Resilienz beitragen. Der EWSA ist bereit, hierbei eine besondere Rolle zu spielen und seine
Erfahrungen wie Ressourcen dafür zur Verfügung zu stellen. [Details nach der geplanten
Anhörung der Studiengruppe am 4. Mai]
7
8
"Preparing for Next Steps on Better Governance in the Euro Area", Analytical Note by Jean Claude Juncker in close cooperation
with Donald Tusk, Jeroen Dijsselbloem and Mario Draghi, Informal European Council 12 February 2015; im Folgenden "VierPräsidenten-Bericht".
André Sapir, Guntram Wolff: Euro-area governance: what to reform and how to do it, 27. Februar 2015,
http://www.bruegel.org/publications/publication-detail/publication/870-euro-area-governance-what-to-reform-and-how-to-do-it/.
ECO/380 - EESC-2015-01820-00-00-DT-TRA
-5-
3.2
Ratspräsident Van Rompuy brachte schließlich die besondere Rolle der Sozialpartner in die
Debatte, auch sie sollten mehr "ownership" entwickeln. Dies versprach ungleich schwieriger
zu werden, zumal die Sozialpartner – anders als die Regierungen – bisher nur sehr
unzureichend in die Ausgestaltung der Ziele/Instrumente der "Economic Governance"
eingebunden worden sind. Wie kann es dann gelingen, sie zur Mitwirkung an einer Politik zu
bewegen, auf die sie im Detail wenig Einfluss haben?
3.3
Die Kommission legte 2013 ihre Mitteilung zur sozialen Dimension der WWU9 vor und griff
so den Unmut zivilgesellschaftlicher Akteure auf, die die oftmals technokratischen wie
unsozialen Herangehensweisen kritisiert hatten. "Problematische" wirtschaftliche
Entwicklungen in den Mitgliedstaaten sollen frühzeitig erkannt und beseitigt werden, da
anhaltende soziale Ungleichheiten die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität der WWU
gefährden könnten. Folgende Maßnahmen seien u.a. besonders dringend:





eine bessere Überwachung/Koordinierung der sozial- und beschäftigungspolitischen
Entwicklungen;
Bereitstellung von EU-Mitteln, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen;
Fiskalkapazität zur Bewältigung externer Shocks (wie im Van-Rompuy-Bericht
vorgeschlagen);
Monitoring-Instrumente, um das Scoreboard durch sozial- und beschäftigungspolitische
"Schlüsselindikatoren" zu ergänzen;
stärkere Einbindung der Sozialpartner.
3.4
Einerseits möchte sie die Sozialpartner über den Ausschuss für den sozialen Dialog stärker
einbinden und insbesondere einen Meinungsaustausch zu Lohnentwicklung und
Tarifverhandlungen führen. Dazu hat sie bereits mehrere Anläufe unternommen. Andererseits
möchte sie sich mit den Sozialpartnern zum Europäischen Semester austauschen und regt eine
bessere Einbindung der Sozialpartner in den Mitgliedstaaten an. Der EWSA selbst hat sehr
konkrete Vorschläge vorgelegt, um die Sozialpartner besser an der "Economic Governance"
zu beteiligen (SOC/507)10.
3.5
In den anschließenden Debatten zeigte sich, dass die verschiedenen Generaldirektionen
unterschiedliche Ansätze verfolgten. Die DG ECFIN wollte ihre Verfahren und Instrumente
wie gewohnt steuern und den Einfluss und die Beteiligung sozialer Akteure und Verfahren auf
den Zuständigkeitsbereich der DG EMPL begrenzen.
Damit blieb die Debatte über die soziale Dimension der WWU ein isolierter Pfeiler, der quasi
ergänzend zu den verbindlichen haushalts- wie wirtschaftspolitischen Verfahren angelegt ist,
jedoch auf freiwilliger Basis. Zumindest die neue Geschäftsverteilung der Kommission,
9
COM(2013) 690, Stärkung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion.
10
Struktur und Organisation des sozialen Dialogs im Rahmen einer echten Wirtschafts- und Währungsunion (WWU).
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-6insbesondere die erweiterte Zuständigkeit des Vizepräsidenten Dombrovskis, kann als Indiz
gewertet werden, der Beteiligung der Sozialpartner mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
4.
Vorschläge und Bewertung
4.1
Der Bericht der Präsidenten
4.1.1
Der EWSA nimmt die im Februar 2015 von den vier Präsidenten11 vorgelegte Analytical Note
“Preparing Next Steps on Better Economic Governance in the Euro Area” zur "Economic
Governance" in der Eurozone zur Kenntnis12.
4.1.2
Damit positionieren sich vier wichtige Repräsentanten der EU zu einem Thema, das seit
Ausbruch der Krise in der Eurozone im Zentrum der europäischen Debatte steht. Die kürzlich
erfolgte Überprüfung der erneuerten "Economic Governance"-Strukturen seitens der EUKommission, sowie der darauf Bezug nehmende Bericht des EP, sind in diesem Kontext zu
sehen.
4.1.3
Der EWSA geht davon aus, dass das Papier einen maßgeblichen Einfluss auf die künftige
Weiterentwicklung der Strukturen zur wirtschaftspolitischen Steuerung in Europa haben wird.
Dieser Diskussionsprozess soll bis spätestens Juni in einen weiteren, ausführlicheren und
zukunftsweisenden Report der vier Präsidenten münden. In die Vorbereitung dieses zweiten
Papiers sollen alle Regierungen und der Präsident des Europäischen Parlaments mit
einbezogen werden.
4.1.4
Der EWSA ist der Auffassung, dass der Report neben einer analytischen Darstellung und
Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklungen in der Eurozone Handlungsempfehlungen
enthält, die zu abstrakt sind. Die Analyse und die Schlussfolgerungen sind inhaltlich teilweise
falsch und nicht seriös. In ihrer Wirkung sind sie – trotz einiger richtiger Punkte – fatal: Das
Papier läuft europaweit auf eine verschärfte und verbindlichere Austeritäts- sowie Lohn- und
Sozialkürzungspolitik hinaus. Kurz gesagt, wird eine Steigerung und dauerhafte
Institutionalisierung der bisherigen, gescheiterten Anti-Krisenpolitik in Europa empfohlen
und der unsoziale Kurs fortgeschrieben.
4.1.5
Die Krise wird zum einen als Finanzkrise, die zur Staatsschuldenkrise wurde, zum anderen als
Krise der Wettbewerbsfähigkeit bezeichnet. Außerdem habe es eine Krise der Märkte in dem
Sinne gegeben, dass die Finanzmärkte die Risiken von Staatsanleihen lange Zeit nicht korrekt
(weil nicht differenziert) bewertet hätten. Die momentane (auch im Vergleich zu USA, UK
und Japan) katastrophale wirtschaftliche Situation im Euroraum wird nicht auf die anhaltende
Anti-Krisenpolitik zurückgeführt, sondern auf zu hohe Löhne und Staatsdefizite.
11
12
EU-Kommission, dem Präsidenten des Europäischen Rates, dem Vorsitzenden der Eurogruppe und dem Präsidenten der
Europäischen Zentralbank.
Siehe Fussnote 2.
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-7-
4.1.6
Die deflationäre Entwicklung, die weiterhin zu hohe Arbeitslosigkeit in 2014 und die
gewachsene Verschuldung werden als "Vermächtnis" der sich schon vor der Krise
angehäuften
Verschlechterungen
bei
der
Wettbewerbsfähigkeit
bezeichnet.
"Ungleichgewichte" stehen synonym für "geringere Wettbewerbsfähigkeit" bzw. "zu schnell"
gestiegene Löhne, nicht aber für Überschüsse und Defizite in den Leistungsbilanzen. Dass die
Wirtschaftsentwicklung der Eurozone seit 2011 massiv hinter dem Gefüge der EWU eine
langsamere Anpassung bewirke, dass die Erholung bis 2011 gleichförmig zu derjenigen in
den USA verlief und erst danach (zu dem Zeitpunkt, als die Mitte 2010 gestartete Kürzungsund Austeritätspolitik zu wirken begann) wieder einbrach, wird nicht erwähnt. Gänzlich außer
Acht gelassen werden die unterschiedlichen Ansätze der Zentralbanken, welche den USA und
dem UK eine vergleichbar schnelle Erholung bescherten, in Europa die Situation aber
zunächst verschlimmerten.
4.1.7
"Wachstumsfördernde Strukturreformen" sind im Bericht der Präsidenten solche, die die
"Flexibilität der Arbeitsmärkte und Produktmärkte" erhöhen, bzw. entsprechende
"Rigiditäten" abbauen. Rigiditäten am Arbeitsmarkt sind dabei u.a. Kündigungsschutz- und
Arbeits- und Sozialschutz-Gesetze.
4.1.8
Der EWSA bedauert, dass die Präsidenten die deutlich schlechter als erwartete wirtschaftliche
Entwicklung einzig darauf zurückführen, dass die neuen Mechanismen der "Economic
Governance" (Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, Haushaltsüberwachung,
Mechanismus gegen makroökonomische Ungleichgewichte, Fiskalpakt, Bankenunion und
ESM) wie auch die Anpassungsprogramme der Krisenländer noch nicht ausreichend
implementiert wurden. Entsprechend kritisiert der EWSA die politische Empfehlung des
"mehr von der selben Medizin". Die Evaluation der sozialen Folgen bleibt außen vor.
4.1.9
Der EWSA erwartet, dass seine Auffassung in den weiteren Diskussionsprozess um die
Verbesserung und demokratische Weiterentwicklung der "Economic Governance" Gehör
findet und die organisierte Zivilgesellschaft der EU in die Entscheidungsfindung einbezogen
wird.
4.2
Bruegel-Analyse und Vorschläge
4.2.1
Der Bruegel-Bericht stellt fest, dass die WWU von Beginn an von bedeutenden Unterschieden
in den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen geprägt war, die für die
Politikfehler in den Mitgliedstaaten und eine inadäquate europäische "Economic Governance"
verantwortlich sind. Eine Reform der "Economic Governance" sei daher in drei wichtigen
Bereichen notwendig.
4.2.1.1 Die Beschlüsse zur Bankenunion und makroprudentielle Aufsicht des Finanzsektors seien
zwar erste Schritte in die richtige Richtung, bedürften aber kurzfristig einer nachhaltigen
Verbesserung.
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-8-
4.2.1.2 Die EWU benötige einen Mechanismus, der die Herausbildung starker Divergenzen bei den
Lohnstückkosten ihrer Mitgliedstaaten verhindert.
4.2.1.3 Die EWU benötigt eine fiskalpolitische Governance, die nachhaltige Haushalte einzelner
Mitglieder und Ressourcen im Falle einer Banken- und Staatsanleihenkrise bereitstellen kann.
4.2.2
Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Ungleichgewichte der Kapitalflüsse zwischen dem
Zentrum und der Peripherie, die mit Einsetzen der Finanzkrise jäh zum Halten kamen, als eine
Hauptursache der Wettbewerbsprobleme der Peripherieländer anzusehen sind. Den
finanziellen Ungleichgewichten ist zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden vor dem
Hintergrund, dass Bankenabwicklung als Angelegenheit der Mitgliedstaaten betrachtet wurde,
was in einem Gegensatz zur vertieften Finanzmarktintegration steht.
4.2.3
Die prozyklische Fiskalpolitik 2011-2013 und das Ausbleiben einer antizyklischen
Fiskalpolitik 2014 hat die Krise unnötig weiter verschärft. Die Politik der Banken- und
Finanzmarktregulierung kam zu spät und zu zögerlich; Probleme einer anhaltenden
Kreditklemme in der Peripherie wurden dabei weitgehend ignoriert. Divergenzen in der
Inflationsentwicklung der drei größten EWU-Volkswirtschaften Deutschland, Frankreich und
Italien blieben unbeachtet, Strukturreformen in den genannten Ländern richteten sich nach
rein nationalen Gesichtspunkten ohne Bezugnahme auf die Erfordernisse einer
Währungsunion, und jede Form eines Nachfragemanagement zur Erleichterung der
Anpassungsbemühungen unterblieb. Der EWSA teilt diese Analyse.
4.2.4
Der EWSA stimmt der Schlussfolgerung ausdrücklich zu, dass kurzfristig die
gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die Inflation dringend angehoben werden müssen.
Überdies muss die EZB von den Aufgaben der Fiskalpolitik und Anpassung der
Lohnstückkosten entlastet werden, die nicht in ihrem Mandat stehen, die sie aber aufgrund
politischer Untätigkeit der anderen Institutionen de facto ausübt.
4.2.5
Der EWSA stimmt dem Bericht weiterhin darin zu, dass Divergenzen in den Funktionsweisen
der Arbeitsmärkte, der Lohnfindungssysteme und der Sozialsysteme ebenfalls eine wichtige
Rolle spielen. Da ein föderales System mit einheitlichem europäischem Arbeitsmarkt samt
einheitlicher Institutionen und Sozialsysteme wie in den USA auf kurze Sicht nicht
realisierbar erscheint, sollte die "Macroeconomic Imbalances procedure" (MIP) symmetrisch
gestärkt und durch einen Europäischen Wettbewerbsrat ergänzt werden. [Nähere Details
folgen nach der geplanten Anhörung der Studiengruppe am 4. Mai]
4.2.6
Die dezentralen Fiskalpolitiken der Mitgliedstaaten erschweren die Wiederherstellung eines
EWU-weiten Gleichgewichts sowie die notwendige Strukturanpassung. Ganz im Sinne seiner
vorigen Stellungnahmen begrüßt der EWSA daher die Erwägung einer fiskalischen Kapazität,
die die Schuldentragfähigkeit der Mitgliedstaaten als ihre Zweckbestimmung erhalten sollte.
Ein hierfür einzurichtendes Fiskalpolitisches Eurosystem (Eurosystem of Fiscal Policy – EPF)
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-9der Finanzminister der WWU mit einem WWU-Finanzminister an der Spitze bekäme die
Aufgabe, eine Fiskalpolitik zu definieren und exzessive Defizite und Überschüsse
symmetrisch auszugleichen. Gleichzeitig muss die Frage der Umschuldung überschuldeter
Mitgliedstaaten zufriedenstellend gelöst werden.
4.2.7
Dieser "fiskalische Ausnahmeföderalismus" bedarf nach Auffassung des EWSA verstärkter
Anstrengungen, um Grundsatzfragen der demokratischen Legitimität durch die nationalen
Parlamente und das EP zu adressieren. [Details nach der geplanten Anhörung der
Studiengruppe am 4. Mai]
4.2.8
Die soziale Stabilisierung Europas erfordert nach Auffassung des EWSA einen kohärenteren
Ansatz. Statt wie bisher die finanz- und haushaltspolitischen Mechanismen isoliert ad-hoc und
unter Druck durchzuführen und die Frage der demokratischen wie sozialen Ausgestaltung auf
die lange Bank zu schieben, können so möglicherweise die Akzeptanz und Legitimität für
mehr Integration wieder hergestellt werden. [Details nach der geplanten Anhörung der
Studiengruppe am 4. Mai]
_____________
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