150528_Klimaallianz_Statement Rupa Mukerji DE

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Medienkonferenz zur Übergabe der «Petition für eine gerechte Klimapolitik»
Statement Rupa Mukerji,
Co-Autorin des Uno-Weltklimaberichts (IPCC), Mitglied der Helvetas-Geschäftsleitung
Bern, 28. Mai 2015
Im Namen der Menschen in Entwicklungsländern
Ich lade Sie ein, sich mit mir in den nächsten paar Minuten in das Leben einer Frau in einem
Entwicklungsland zu versetzen.
Wir sind in Delhi. Es ist 9:15 am Morgen und bereits 37 Grad Celsius am Schatten. Wir sind unterwegs
zur Baustelle, auf der Sie arbeiten. Bis Mittag werden die Temperaturen die 40 Grad Celsius-Marke
übersteigen. Sie versuchen, sich auf einen weiteren, langen Arbeitstag einzustellen, an dem Sie wie
immer unter der prallen Sonne körperlich sehr anstrengende Arbeit verrichten werden. Ihr Zuhause
besteht aus einem einfachen Wellblech-Verschlag am Strassenrand, der kaum Schutz bietet.
Aber wieso sind Sie überhaupt hier? Sie sollten doch in ihrem Heimatdorf sein und sich um Ihr
kleines Stück Ackerland und das Vieh kümmern.
Sie sind hier, in der 2’000 Kilometer entfernten Hauptstadt, weil Ihr Acker die letzten drei Jahre keine
Ernte mehr hervorgebracht hat. Die Landwirtschaft in Ihrer Heimatregion ist vom Monsun abhängig.
Es gibt keine Brunnen oder andere Wasserquellen für Bewässerung. Im ersten Jahr, als der Monsun
einsetzte, pflanzten Sie wie gewohnt die Setzlinge. Doch dann blieb der Regen für vier Wochen aus
und Ihre Setzlinge verdorrten. Als es nach einiger Zeit dann doch wieder zu regnen begann,
versuchten Sie es erneut: Sie pflanzten neue Setzlinge. Aber das himmlische Nass versiegte bereits
nach ein paar Tagen erneut. Auch die neuen Setzlinge vertrockneten. Als Sie zum dritten Mal setzen
konnten, blieb fast keine Zeit mehr bis zum Wintereinbruch, um Ihre Pflanzen gedeihen und reifen zu
lassen. – Die beiden darauffolgenden Jahre wiederholte sich diese Geschichte – allerdings mit einem
veränderten Muster von Regen und Trockenheit. Dieses Jahr hatten Sie weder Saat noch genügend
Essensvorräte; und schon gar kein Geld um sich und der Familie Essen zu kaufen. Deshalb machten
Sie sich mit vielen anderen Ihres Dorfes auf, um es als Tagelöhnerin in der Stadt zu versuchen.
Die Leute erzählen Ihnen, dass sich das Klima ändert und dass es neue Sorten gibt, die den
veränderten Wetter-Umständen gewachsen seien. Doch Sie haben keine Ahnung, wie und wo Sie
solches Saatgut finden würden. Man sagt auch, dass das Wetter verrückt spielt, weil die Menschen
die Luft verpesten. Aber Sie haben ja nicht mal ein Fahrrad. Zum Glück ist Ihr Zuhause wenigstens ans
elektrische Netz angeschlossen – und Sie besitzen eine Glühbirne! Weil es viel weniger regnet als
früher, produziert das kleine Wasserkraftwerk nur noch Strom während vier Stunden pro Tag.
Der Grundwasserspiegel Ihres Dorfes ist inzwischen um 60 Meter gefallen. Die alten Quellen und
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Handpumpen sind versiegt. Wenigstens versorgt die Regierung Ihr Dorf zweimal pro Woche mit
Tankwagen. Oft kommt es zu Handgreiflichkeiten unter den Bewohnern, deshalb kommt der
Tankwagen manchmal mitten in der Nacht, Die Leute bleiben immer öfter auf, um diesen Zeitpunkt
ja nicht zu verpassen und bei der wöchentlichen Wasser-Vergabe für Ihre Familie leer auszugehen.
Gewisse Leute sagen, dass sich das Klima auch wegen der Umweltzerstörung ändert. Auch Sie
verfeuern Zweige und Kuhdung, um zu kochen. Gerne hätten Sie einen elektrischen oder eine
Gasofen, den regelmässig sterben Frauen in Ihrem Dorf an den Folgen der ständigen Rauchbelastung.
Doch solche Alternativen stehen Ihnen und den meisten im Dorf nicht zu Verfügung.
Was wird die Zukunft Ihnen und ihren Kindern bringen?
Der letzte Uno-Sachstandbericht, der die Forschungsergebnisse und Analysen aus über 1‘200
Klimaszenarien zusammenfasste, zeigt auf, dass wir ohne verstärktes Engagement beim Klimaschutz
auf eine Welt mit einer mittleren Temperaturerhöhung von 3.7 – 4.8 Grad Celsius bis Ende dieses
Jahrhunderts zusteuern.
Am stärksten und deutlichsten wird der Einfluss auf das sensible, komplexe Wettersystem sein. Zum
Beispiel auf die Monsunzyklen, von der die indische Landwirtschaft und Ökonomie abhängen. Sich
ändernde Durchschnittstemperaturen werden zu irreversiblen Veränderungen in Ökosystemen
führen, welche wiederum die Nahrungssicherheit und damit die Existenzgrundlage für einen
Grossteil der Bevölkerung schmälern. Die Auswirkungen werden sich nicht nur über veränderte
Durchschnittstemperaturen oder Regenmengen bemerkbar machen, sondern durch häufigere und
stärkere Wetterextreme wie zum Beispiel längere und heissere Dürreperioden.
Um die Klimaerwärmung auf maximal 2 Grad Celsius zu beschränken, wie die Mehrzahl der Staaten
verspricht, dürfen künftig nur noch 600 bis 1‘200 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre gelangen. Zum
Vergleich: Über die letzten Jahrzehnte haben die Industriestaaten durch die Verbrennung von
fossilen Energieträgern insgesamt 1,850 Gigatonnen CO2 emittiert. Vom limitierten «KohlestoffBudget» werden die hochentwickelten und die Schwellenländer auch in Zukunft einen Grossteil
konsumieren; den Entwicklungsländern wird ein zusehends schrumpfender Anteil übrig bleiben.
Heute müssen eine Milliarde Menschen mit weniger als 1.25 US-Dollar pro Tag auskommen; ihre
Staaten und die internationale Entwicklungshilfe müssen für diese Menschen einen Ausweg aus
dieser absoluten Armut finden (2.2 Milliarden Menschen leben unterhalb der USD 2-Grenze). 1.2
Milliarden Menschen haben immer noch keinen Zugang zu Elektrizität. 1.2 Milliarden junge
Menschen auf der Welt, darunter 85% in Entwicklungsländer, brauchen dringend Arbeit und eine
Zukunftsperspektive. – Und all dies ohne zusätzliche Treibhausgas-Emissionen!
Über 100,000 Menschen in der Schweiz glauben, dass ihr Land mehr tun muss um die
Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels zu unterstützen. Wie ich
Ihnen in meinem Referat hoffe illustriert zu haben, leiden oft die Armen, die den bereits
einsetzenden Klimawandel selber kaum zu verantworten haben, als erste und am stärksten unter
dessen Auswirkungen. Kommt dazu, dass sie und ihre Behörden die allernotwendigsten
Lebensbedürfnisse schon jetzt kaum befriedigen können. Es bleibt deshalb wenig Raum und Geld,
darüber hinaus in Klimaanpassungsmassnahmen zu investieren.
Die Frauen und Kinder, Jungen und Männer aus Entwicklungsländern hoffen deshalb, dass die
Regierung der Schweiz ihren fairen Anteil dazu beiträgt.
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