2. Teil: Wenn Kinder und Jugendliche trauern Trauerbegleitung als Praxisfeld der Schulpastoral Übersicht: Schritte Tod und Trauer im Kontext von Schule – Aufgaben und Kompetenzen von Religionslehrkräften Maßnahmen bei Bekanntwerden der Todesnachricht Wie Kinder und Jugendliche trauern Altersstufen, Phasen, Ausdrucksformen, unverzichtbare Elemente Was in der Trauerbegleitung zu tun ist – Begleitung von einzelnen und in der Klasse Trauerrituale Tod und Trauer im Kontext von Schule – Aufgaben und Kompetenzen von Religionslehrkräften Schule als Ort der Trauer? Trauer gesellschaftlich nur am Rande und für begrenzte Zeit zugelassen Unterdrückte Trauer sucht sich eigene, auch pathologische Wege „Der Unfähigkeit zu trauern entspricht die Hilflosigkeit zu trösten“ Umso mehr Notwendigkeit, in der Schule Raum für Trauer zu geben – nicht zuletzt angesichts zunehmender Zeit, die dort verbracht wird Schule und RU haben auch kompensatorische Funktion gegenüber Familie; Schule als „zweites Zuhause“ Entwicklung einer schulischen Trauerkultur Religionslehrkräfte alsTrauerbegleiter? Kinder und Jugendliche in Trauer zu begleiten, ist nicht in erster Linie Angelegenheit von Experten, sondern von Familie und Umfeld (dazu gehört wesentlich die Schule) Verarbeitung von Trauer geschieht nicht primär durch Therapie, sondern durch die Auseinandersetzung mit der Situation im Alltag Kinder und Jugendliche sind dabei dringend auf Unterstützung angewiesen Lehrer/innen können hier mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln viel erreichen „Der erste Trost, den wir als Erwachsene einem Kind geben zu können, ist traurig sein zu dürfen.“ Tod in verschiedenen Kontexten – unterschiedliches Handeln Unmittelbarer Schulkontext: Tod von Klassenkamerad/in bzw. Mitschüler/in (Klassen)lehrer/in Personal (Hausmeister, Sekretärin etc.) Extremfall: Tod in der Schule (z.B. beim Sport, Unfall) ► Zwangsläufig Thema in der Schule Muss darum in Schule/ Klasse aufgegriffen werden Familiärer Kontext der Schüler/innen: Tod von Eltern bzw. Elternteil Geschwisterkind Tod von Großeltern, anderen Angehörigen, Freund/in, auch Haustier ►Ansprechen in Absprache mit Betroffenen Verschiedene Todesarten – unterschiedliches Handeln Tod nach längerer Krankheit Tod durch Gewaltverbrechen Plötzlicher Tod bzw. Unfalltod Suizid Trauer ist nicht verallgemeinerbar! Auf das Individuum und seine Bedürfnisse achten! Grenze aller Handreichungen zur Trauerpastoral Beziehung zum Verstorbenen im Blick behalten - prägt Art und Intensität der Trauer Anzustrebende Kompetenzen von Religionslehrkräften Auf eine (unverhoffte) Todesnachricht im Kontext Schule angemessen reagieren können Sensibel werden für verschiedene Ausdrucksformen von Trauer bei Kindern und Jugendlichen Verständnis für befremdlichen Reaktionen entwickeln Einzelne trauernden Schüler/inne/n begleiten können Mit Trauer in der Klassengemeinschaft umgehen können Über ein Repertoire von Ritualen verfügen Wissen, wann und wo professionelle Hilfe einzuholen ist Frage nach dem eigenen Rollenverständnis „Wer anderen die Tränen abwischt, macht sich die Hände nass.“ Begleitung von trauernden Schülern verändert eigenes Rollenverständnis: Ein Stück weit Aufgabe der professionellen Berufsrolle Offenlegen von eigenen Gefühlen, eigenen Erfahrungen, eigener erlebter Trauer Tod löst auch bei der Lehrkraft Trauer, Angst, Verunsicherung aus Nicht ohne persönlichen Zugang! Begleitung von anderen in Trauerprozessen erfordert von Lehrkräften eigene persönliche Auseinandersetzung mit Endlichkeit des Lebens, Todeserfahrung und Trauer Warum „schulpastorales Praxisfeld“? Umgang mit trauernden Schüler/inne/n ist Aufgabe des Religionsunterrichts Gleichzeitig Schnittstelle zwischen Religionsunterricht und Schulpastoral Nicht institutionalisierte Form von Schulpastoral Schulpastoral hat unterschiedliche Gestalt: Institutionalisierte Form – nicht explizit wahrgenommene und dennoch relevante Formen Beispiele: „Offenes Ohr“, Krisengespräche, Gottesdienste etc. Trauerbegleitung ist ein Aspekt davon Ein Engagement, das Religionslehrkräfte in aller Regel schon vorher gezeigt haben, bekommt einen Namen! Adressat/inn/en Pastorales Handeln in der Schule konzentriert sich nicht nur auf Schüler/innen, sondern alle Beteiligten am Schulleben sind im Blick Dennoch: Im Folgenden stehen die LehrerSchüler-Interaktionen im Blickpunkt Begleitung von Kolleg/inn/en etc. nur am Rand im Blick Gespräche mit Eltern als eigenes Thema (vgl. 3 Teil)! Abgrenzung von Krisenintervention Besonders nötig in Situationen wie Betroffenheit einer Schule durch Naturkatastrophen, Unfall, Amoklauf etc. Nicht durch einzelne/n leistbar, sondern erfordert Zusammenwirken vieler Klare Absprachen (Wer informiert wen? Wer entscheidet was?), Erstellung von Krisenplan, Krisenmanagement Notwendigkeit: Professionelle Hilfe Schulpsycholog/inn/en Notfallseelsorger/innen Psychologische Beratungsstellen Bestattungsinstitute Maßnahmen bei Bekanntwerden der Todesnachricht Angemessene Information Möglichst rasche und sachliche Information ans Kollegium bzw. die unterrichtenden Lehrer und die betroffene Klasse Verhindert unnötige Spekulationen, Gerüchte und auch Ängste Klare Information auch bei Suizid! Bei Grundschulkindern: U.U. Benachrichtigung der Eltern Todesfall als „Unterbrechung“ des Alltags akzeptieren Unterbrechung des normalen Tages- bzw. Unterrichtsablaufs durch: Gespräch in der Klasse, Gedenkminute Gefühlen Raum geben Gemeinsam nachdenken, wie die Klasse mit dieser Situation umgehen möchte Die Lücke benennen und gestalten, die der Tod hinterlässt Bei Tod von Mitschüler/in Platz im Klassenzimmer gestalten: Foto, Blumen, Kerze, Kreuz Kurzes Gebet, Vaterunser Die Angehörigen nicht vergessen Trauerkarte Persönliche Briefe Kondolenzbuch Weiteres Vorgehen klären Nötige Absprachen treffen, besonders bei Tod von Mitschüler/in oder deren Angehörigen auch mit Familie: Teilnahme an Beerdigung, späterer Besuch am Grab, eigene Trauerfeier in der Schule, Gemeinsam klären: Ort der Trauer und Erinnerung gestalten, Wunsch nach eigenen Ritualen Wie Kinder und Jugendliche trauern Vorschulalter bis zum Beginn der Grundschulzeit Solange kein Verständnis für die Endgültigkeit des Todes: Trauer einerseits nur begrenzt möglich – andererseits massive Verlusterfahrung Traurigkeit über Zerbrechen von Spielzeug auf gleicher Ebene wie über Tod des Großvaters Haltung gegenüber Tod wirkt auf Erwachsene oft eigentümlich unemotional Reaktion auf Verlusterfahrungen: Unterschiedliche Irritation Grundschulzeit Begegnung mit Tod zunehmend affektiv besetzt Zunehmend zu Trauer fähig Aber: Kinder leben stark in der Gegenwart, sind leichter ablenkbar – kürzere Zeit, in der sie sich intensiv mit erlittenen Verlust beschäftigen Grundschulzeit Bedürfnis, andere Trauernde zu trösten Trauerbewältigung im Spiel Versuche, die verstorbene Person zu imitieren, ihre Vorlieben zu übernehmen oder ihr auf andere Weise nah zu sein Ab dem 10. Lebensjahr Kinder zeigen jetzt mehr und mehr Trauerreaktionen, die denen von Erwachsenen entsprechen Bisweilen Beschützerinstinkt der Kinder ihren Eltern gegenüber: Damit die Eltern/Bezugspersonen nicht noch trauriger sind, halten sie ihre tatsächlichen Empfindungen zurück. Typisch für Kinder: Abrupter Wechsel von tiefer Trauer und überschäumender Lebenslust – dringend nötig, um wieder Lebenskraft zu gewinnen! Trauer von Jugendlichen Pubertät als Zeit besonderer Verletzlichkeit und Empfindsamkeit Häufig Verbergen der eigenen Trauer: um „cool“ zu wirken oder um „tapfer“ zu sein und das System Familie möglichst aufrechtzuerhalten „Aufschieben“ der Trauer auf später Starke Gefühlsschwankungen Verarbeitung von Todeserfahrungen oft weniger in Elternhaus und Schule, sondern stärker in Freundeskreis/ Gruppe Angst vor „Trauerzwang“ und verordneten Ritualen Nicht zur Tagesordnung übergehen! Trauerphasen Unterschiedliche Phasen Schock: Nicht-Wahrhaben-Wollen, Fassungslosigkeit, Verdrängung; Empfindungslosigkeit bis Verzweiflung Aufbrechende Emotion (bei Erwachsenen: „Kontrollierte“ Phase – vielfach bis zur Beerdigung): Allmählich Anerkennung der Realität, verzweifelte Sehnsucht und Hoffnung auf Wiedersehen Regression: Suchen und Sich-Trennen (schwierigste Phase): Heftiger Schmerz, Gefühlschaos, Abschied von alten Handlungsmustern – Neues zeigt sich noch wenig konkret Adaption: Neuer Selbst- und Weltbezug: Allmähliche Neuorientierung und Bewältigung der Situation, neue Ziele, Verstorbener als innere Begleiter; Rückfälle in überwunden geglaubte Trauer Ein „Trauerweg“ Vorsicht: Phasen sind kein festes Ablaufschema! Rede von „Phasen“ insofern auch irreführend, da oft ineinander übergehend und sich überlappend Trauer kein linearer Prozess mit einem bestimmten Anfang und Ende, sondern zyklisch verlaufend: Phasen müssen nicht zwangsläufig aufeinander folgen und können wiederholt auftreten Eher Spirale denn Stufe! Wie lange hält die Trauer an? Keine allgemeinen zeitlichen Vorgaben, sondern jeder Mensch braucht seine individuelle Zeit Trauer um Angehörige keine Angelegenheit von Tagen und Wochen, sondern von Monaten und Jahren Ausdrucksformen der Trauer Deutlich erkennbar Traurigkeit, NiedergeschlagenheitW einen Rückzug in sich selbst Reizbarkeit starke Stimmungsschwankungen Scheinbarer Ausfall von Trauer Sehr rasche Rückkehr zur Normalität, Verhalten, als sei nichts geschehen Nach außen hin kalter und gefühlloser Eindruck Extreme Aufgedrehtheit, Herumalbern Hintergrund: Form von Selbstschutz (nicht zu nah an sich ranlassen), Bedürfnis nach „normalem Leben“,Stabilisierung des Gewohnten, Verdikt der „coolness“ Körperliche Reaktionen Häufig deutliche psychosomatische Reaktionen - gerade bei scheinbarer emotionaler Unberührtheit Schlafstörungen, zugleich große Müdigkeit (95%) Kopfschmerzen (80%) Verändertes Essverhalten Kreislaufstörungen Gesteigerte Infektanfälligkeit Magen-, Darmbeschwerden Mangelnde Energie, Kraftlosigkeit Konzentrationsschwierigkeiten Verhaltensauffälligkeiten … Entwicklungsrückschritt: Kinder verfallen in Baby-Rolle, geben sich extrem hilfsbedürftig; Rückkehr von bereits abgelegten Verhaltensweisen (z.B. Daumenlutschen, Bettnässen), Übermäßige Reife: Kinder/ Jugendliche übernehmen zu Hause die Rolle des/der Verstorbenen (als Familienoberhaupt, Partner, Bezugsperson der Geschwister) Rückzug in Vergangenheit, Scheinoder Traumwelt … und speziell in der Schule Schüler/innen werden plötzlich verhaltensauffällig und stören den Unterricht Gegenteil: Kinder ziehen sich total in sich zurück und beteiligen sich gar nicht mehr Häufig: Plötzliches Schulversagen Begleitende Reaktionen: Gefühlschaos Zorn, Wut (bisweilen auch Zerstörungswut), Aggression - gegen den Verstorbenen, sich selbst, den anderen Elternteil, die Ärzte, gegen Gott – als Protest gegen die Realität des Todes Schuldgefühle (besonders bei Kindern):Fühlen sich für Tod verantwortlich (falsches Verhalten, Streit, nicht „brav“ gewesen) Angst (besonders bei Kindern): davor, dass anderes Familienmitglied oder sie selbst sterben könnten Was in der Trauerbegleitung zu tun ist Was Kinder und Jugendliche in ihrer Trauer brauchen Verlässliche Beziehungen (zu einem oder zwei Lehrer/inne/n) Verständnis und Toleranz Gespräch und Schweigen Möglichkeiten, die Trauer auszuleben Auch „trauerfreie Zonen“ Aufgaben der Begleitenden Grundhaltung: Akzeptieren, dass trauernde/r Schüler/in Recht hat, auf je eigene Art mit Schmerz umzugehen Wahrnehmen, aushalten, nicht urteilen Agression nicht persönlich nehmen Abweichendes Verhalten nicht als gewollte Störung des Unterrichts verstehen ►Haltung der Toleranz, aber nicht Gleichgültigkeit Notwendige Elemente des Trauerns Akzeptanz des Todes als Realität – sonst kein Trauerprozess Durchleben des Abschiedsschmerzes – statt ihn unterdrücken zu versuchen Sich-erinnern und verinnerlichen, was war – statt möglichst rasch zu vergessen Neuorientierung und Entwicklung einer neuen Identität Aufgaben für die Begleitenden „Durchleben“ und „Ausleben“ der Trauer zulassen und fördern: Abschied gestalten Angebote machen, um den unterschiedlichen Gefühlen Ausdruck zu verleihen Über inneres Erleben sprechen Orte, Zeiten und Formen der Erinnerung anzubieten, über die verstorbene Person miteinander sprechen Quellen der Kraft und emotionalen Energie erschließen Neuaufbrüche unterstützen Individuelle Trauerbegleitung eines Schülers oder einer Schülerin Erstbegegnung mit dem/der trauernden Schüler/in Von großer Bedeutung – daher bewusst gestalten Behutsam Anteilnahme zeigen (angesichts der Angst, die Fassung zu verlieren) Offenheit für Gespräch signalisieren, aber nicht aufdrängen (viele wollen erst mal nichts sagen) Unterstützende Maßnahmen anbieten Form: Gespräch oder auch kurzer Brief Hilfreiche Formulierungen „Ich weiß nicht, wie Du dich fühlst, aber ich kann mir denken, dass es Dir jetzt sehr schlecht geht.“ „Wenn ich jetzt oder auch später etwas für Dich tun kann, gib Bescheid.“ „Deine Situation kann ich nicht ändern, aber wir können überlegen, wie es für Dich in der Schule etwas leichter wird.“ Begleitung im individuellen Gespräch Bereitschaft zum Zuhören, Erinnerung beleben, vom Verstorbenen und der gemeinsamen Zeit erzählen lassen Verschwiegenheit Authentizität Unterstützung bei Schulschwierigkeiten Häufig Leistungsabfall Nötig: Gespräch mit Klassenlehrer, Eltern, Beratungslehrer/in, ggf. Schulpsychologen Organisation von Nachhilfe, Hausaufgabenbetreuung, Nacharbeiten des Lernstoffs Angemessene pädagogische Reaktion auf schlecht ausgefallene Klassenarbeiten Unterstützende Angebote in und mit der Klasse Nicht alleinige Verantwortung der Lehrkraft Gemeinsam überlegen, wie Mitschüler/in nach Rückkehr unterstützt werden kann: durch Angebot besonderer Rückzugsmöglichkeiten, Rückhalt durch Freunde, Hilfe beim Lernen Unterstützen und schützen – aber zugleich auch zumuten und befähigen! Fazit Trauernde Schüler/innen brauchen keine dauerhafte Sonderbehandlung – sonst Gefahr der Ausgrenzung bzw. Sonderrolle in Klassengemeinschaft Sie brauchen jedoch eine behutsame und verständnisvolle Behandlung Trauerbegleitung in der Klasse Mögliche anzusprechende Themen Ängste bei Mitschülern vorm eigenem Tod oder Sterben von Familienmitgliedern: Offen aufnehmen als „normal“; z.B. durch Malen Ausdruck verleihen Wut und Aggression: Raum dafür geben, z.B. durch Sport, Bewegung, Tanz Schuldgefühle: Unterscheidung zwischen realer Schuld und Gefühl hilfreich Bei tatsächlichem kollektiven Schuldanteil bei Suizid (Ausgrenzung, Mobbing): Offen bennen, nicht uminterpretieren; ggf. Gespräch im kleinen Kreis Nötig: Geschützter Raum Formen der Aufarbeitung Baldige Wiederherstellung von Halt und gewohntem Rhythmus durch geregelten Tagesablauf Gleichzeitig Orte und Räume ermöglichen, wo Schmerz ausgelebt und Erinnerung gestaltet werden kann Suche nach geeigneten Ritualen Grundsätzlich: Soweit als möglich die Schüler/innen mit ihren Vorstellungen, Bedürfnissen, Wünschen einbeziehen Mögliche Trauerrituale Zum Sinn von Ritualen Schwierige Situationen bewältigen Loslassen üben Orientierung geben Vom Schweigen zum Wort, von der Lähmung zur Handlung Mit dem Unbegreiflichen besser umgehen trösten Entlastung Den Schmerz leben Der Erinnerung einen Ort geben Der gemeinsamen Vergangenheit Ausdruck verleihen Abschied gestalten Zeichen der Hoffnung setzen Später: Geburts- und Todestag als Gedenktage Gedenken durch Zeichen wie Blumen, Kerze bzw. Lebenskerze in Form einer kleinen Andacht Trauer hat viele Gesichter