Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, AKH Wien „Zwischen Recht auf Information und Recht auf Hoffnung" Das Dilemma der Elternaufklärung bei einem möglicherweise behinderten Kind. Univ. Prof. Dr. A. Pollak, Mag. A. Panagl, Dr. R. Fuiko „ Schwanger sein heißt, guter Hoffnung sein und Hoffen heißt, die Möglichkeit des Guten zu erwarten.“ Sören Kierkegaard (1813-1855) Von der gute Hoffnung zum Anspruch auf ein gesundes Kind Die Schwangerschaft ist für die werdenden Eltern verbunden mit der Hoffnung auf… … einen unkomplizierten SS-Verlauf … eine komplikationslose Geburt … ein gesundes Baby Von der gute Hoffnung zum Anspruch auf ein gesundes Kind Infolge der Fortschritte der modernen Pränatalmedizin, Geburtshilfe und der neonatologischen Intensivmedizin entsteht bei den Schwangeren implizit die Vorstellung von einer uneingeschränkten Kontrollierbarkeit und „Machbarkeit eines gesundes Kindes“. Die Hoffnungen der Schwangeren entwickeln sich zunehmend zu (einklagbaren) Ansprüchen (Hepp, 1999), wie „Recht auf ein gesundes Kind“ „Recht auf eine glückliche Schwangerschaft“ Risikobefund – ärztliches Dilemma Auffälliger Befund - ärztliches Dilemma Lässt sich aus einem auffälligen prä- oder postnatalen Befund das Risko einer Behinderung feststellen, befindet sich der behandelnde Arzt im Aufklärungsgespräch in dreifacher Hinsicht in einem Dilemma: juridisch: Aufklärungspflicht versus Selbstbestimmungsrecht • medizinisch: Benefit versus Risiken von diagnostischen / therapeutischen Interventionen psychologisch: psychisches Wohlbefinden versus Angst Ärztliches Dilemma- juristische Aspekte 1. Das KAG regelt die Patientenrechte (Patientencharta BGBJ I 1999/195), wonach jeder Patient das Recht hat... ... auf Aufklärung und umfassende Information über Behandlungsmöglichkeiten und Risiken ... auf Zustimmung oder Verweigerung der Behandlung ... auf medizinische Information durch einen zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Arzt auf in möglichst verständlicher und schonungsvoller Art 2. Die ärztliche Aufklärungspflicht ist im §51 Abs.1 des Ärztegesetzes geregelt Ärztliches Dilemma- juristische Aspekte Für das Aufklärungsgespräch mit Schwangeren (über pränatale Diagnostik allgemein wie auch bei vorliegenden Risikobefund) ergeben sich aus der rechtlichen Situation folgenden Fragen/ Konflikte: • Wie ist vorzugehen, wenn die Patientin keine Aufklärung über mögliche Risiken will? Was hat Vorrang: Selbstbestimmungsrecht oder Aufklärungspflicht? • Kann die Information über eine mögliche Behinderung schonungsvoll und zugleich umfassend sein? Ärztliches Dilemma- medizinische Aspekte • Sensitivität und Spezifität der einzelnen prä- und postnatalen Diagnoseverfahren => Prozentsatz der falsch positiven/ falsch negativen Ergebnisse • Risiko einer Fehlgeburt durch invasive Pränataldiagnostik: 0,5 - 1% nach Amniozentese bis 3-4% nach Chordozentese (Schmidtke, 2002) • Validität von Prognosen bzgl. Langzeit-Outcome • Diagnostische Möglichkeiten in vielen Bereichen besser als therapeutische (z.B. IVH bei Frühgeborenen....) Ärztliches Dilemma- psychologische Aspekte Pränatale Diagnostik • Sowohl invasive, aber auch noninvasive pränatale Untersuchungen sind für die Schwangeren mit Angst und Stresserleben verbunden (Kowalcek et al., 1999, Brisch et al., 2002): Stress aus Angst vor Schmerzhaftigkeit der Untersuchung, Angst vor Verletzung des Ungeborenen Stress aus Sorge bzgl. der Ergebnisse • Unauffällige Befunde tragen zur Beruhigung und Entspannung bei (Kowalcek et al. 1999, Brisch et al., 2002) Ärztliches Dilemma- psychologische Aspekte • Auffällige Screeningbefunde haben gravierende Auswirkungen auf das Schwangerschaftserleben: • erhöhte Ängste und emotionale Distanzierung zum Kind bei Risikobefund (Kowalcek et al,2002; Lawson, 2006; Marteau et al., 1992) => bis zur Sicherung des Befundes „Schwangerschaft auf Probe“ (Kowalcek, 2002): • Entspannung bei unauffälligem fetalen Befund • Anstieg der Ängste bei Bestätigung des Befundes • Auseinandersetzung mit Schwangerschaftsabbruch/ Konflikt (Wolff, 1997), evtl. Kontaktabbruch mit Kind (Langer & Ringler, 1989) Fragen: • Wieviel Stress/ Angst kann ich der Schwangeren bei der Risikoaufklärung zumuten? • Wie kann ich psychisches Wohlbefinden (Angstvermeidung) und Risikoaufklärung vereinbaren? Diagnose „Behinderung“. Emotionale Bedeutung und Anforderungen für die Eltern „Behinderung“- Bedeutung der Diagnose für die Eltern Die Mitteilung einer (möglichen) Behinderung des Kindes stellt für alle Eltern traumatische Krisensituation dar. Die unmittelbaren emotionalen Reaktionen der KE auf die Diagnosemitteilung von KE sind heterogen und umfassen ein Spektrum von (Fallowfield & Jenkins, 2004): • Angst • Stress • Verzweiflung • Verleugnung • Wut • Rückzug • Schuldgefühle • „Diagnoseschock“ „Behinderung“- Bedeutung der Diagnose für die Eltern • Die weitere Verarbeitung der definitven Diagnose/ Krankheit erfolgt in Stufen , aber nicht notwendigerweise kontinuierlich (Petermann & Bode, 1986): 1. Schock und Verleugnung 2. Ärger und Schuld 3. Ängstlichkeit 4. Trauer und Depression 5. Neues Gleichgewicht • Je nach Zeitpunkt der Diagnose stellen sich für die KE differentielle Bewältigungsanforderungen und Entscheidungsmöglichkeiten bzw. -aufgaben. „Behinderung“- Anforderung an Eltern pränatal: • Entscheidung der Eltern für/gegen invasive pränatale Diagnostik bei auffälligen Ultraschallbefund • Entscheidung für Fortsetzung der Schwangerschaft oder für Abbruch => Konflikt postnatal: • Auseinandersetzung mit einer möglichen Behinderung als Folge von SS- oder Geburtskomplikationen, Frühgeburtlichkeit oder Komplikationen im stationären Verlauf • Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass ihr Kind eine Behinderung haben wird (aufgrund von chromosomalen Anomalien, IVH III/IV, PVL) • wenig Handlungs- und Entscheidungsfreiheit (bzgl. Therapien, lebenserhaltender Maßnahmen etc.)!!!! Aber auch weniger Entscheidungslast. Elterliche Erfahrungen mit Diagnosegesprächen Elterliche Erfahrungen mit Diagnosegesprächen und ärztlicher Beratung Patientenzufriedenheit mit dem ärztlichen Gespräch (in PND, NICU) sehr heterogen: 32 - 96% (Panagl et al., 1999; Kowalski et al., 2006 , Partridge et al., 2007) Kriterien für die Zufriedenheit mit Arztgespräch: • Generell bestimmt die emotionalen Qualität (Sensitivität, Zeit für Fragen und Ausdruck von Gefühlen) stärker die Zufriedenheit als der objektivierbare Informationsgehalt (Fallowfield & Jerkins, 2004). • Zusätzlich ist das Level an State - Anxiety ausschlaggebend für die Patientenzufriedenheit, d.h. ängstliche Patienten sind tendenziell unzufriedener (Wassmer et al., 2004) Kommunikation mit Eltern von schwerkranken Kindern Bei Eltern von schwer kranken Kindern (mit lebensbedrohlichen Erkrankungen, Fehlbildungen oder Behinderungen) klaffen die Kommunikationsbedürfnisse und die erlebte Realität oft auseinander! Bsp.: Ergebnisse der Studie von Strauss et al. (1995); 100 Eltern von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte über Erfahrungen mit Diagnosemitteilung befragt. Arzt im Diagnosegespräch Elterliche Erfahrung m. Diagnosegespräch Elterliches Bedürfnis p: < 0.01 räumt KE Gesprächsmöglichkeit ein 64. 3% 90. 8% ** ermöglicht Eltern Gefühle zu zeigen 58. 6% 88. 7% ** versucht Eltern zu helfen, sich besser zu fühlen. 64. 9% 90. 8% ** zeigt Fürsorge 70. 7% 95. 9% ** zeigt Zuversicht 76, 5% 94% ** Elterliche Erfahrungen mit Diagnosegesprächen und ärztlicher Beratung Kritikpunkte aus Sicht der Eltern: • Information ist inhaltlich unverständlich: • Frühgeburt: für 19% - 45% der Eltern (Panagl et al., 1999; Partridge et al., 2005; Kowalski et al. 2006) • CF: 33% der Eltern verstanden weniger als 50% im Diagnosegespräch (Jedlicka-Köhler et al., 1996) • Unverständliche Fachterminologie: 43-89% wünschten sich verständlichere Ausdrücke (Partridge et al., 2007, Jedlicka-Köhler, 1996) Elterliche Erfahrungen mit Diagnosegesprächen und ärztlicher Beratung/ Kritikpunkte • zu wenig medizinische Information: • Frühgeborene: 20-60% der KE fühlten sich nicht adäquat über neurologische Schäden, IVH, Sterblichkeit und Stressoren auf der NICU informiert, (Kowalski et al., 2006, Partridge et al 2007) • Trisomie 21/ congenitale Herzfehler: veraltete medizinische Information über Prognose und Fördermöglichkeiten (Collins et al. 2003, Garwick et al., 1995) • zu wenig Zeit für das Gespräch und für persönliche Anliegen: 22-35% der Eltern wünschten sich mehr Zeit und Raum für ihre persönlichen Anliegen und Sorgen (Kowalski et al., 2006 , Panagl et al., 1999, Strauß et al, 1995) Empfehlungen für die Diagnosemitteilungen Empfehlungen für das DiagnosegesprächRahmenbedingungen • Termin, eigener Raum und ausreichend Zeit für Diagnosemitteilung =>Hinweis auf Wertigkeit... • Beide Elternteile bzw. Elternteil und Bezugsperson. Elternteil soll nicht alleine mit schockierender Info weggehen. • Nächsten Gesprächstermin vereinbaren, da Informationsaufnahme im ersten Schock nur bedingt möglich ist Empfehlungen für das DiagnosegesprächGesprächsführung • Klare, ehrliche Informationen mit wenig Details am Anfang • Verständliche Sprache => keine Fachausdrücke, bzw. Fachausdrücke erklären • Aufklärung über Nutzen und Konsequenzen von (pränatal)diagnostischen Screeninguntersuchungen => „informed consent“ (Information und bewusste Entscheidungsmöglichkeit) (Homann, 2000) • Unterstützung der Befundbesprechung durch visuelles Material (anatomische Bilder etc.) • mündliche und schriftliche Information • Informationsmaterial mitgeben (Broschüren, Literaturempfehlungen, Folder mit Adressen von Selbsthilfegruppen…) Empfehlungen für das DiagnosegesprächGesprächsführung • kontinuierliche Ansprechperson • Eltern empathisch zu Fragen auffordern & Rückfragen stellen • Gefühle ansprechen, Möglichkeit zum Ausdruck von Gefühlen geben • Angebot psycholgischer/psychotherapeutischer Begleitung • Kontakt zu Spezialisten oder Selbsthilfegruppen ermöglichen • Schutzmechanismen der Eltern respektieren • bestehende Hoffnungen nicht zerstören!!!!! Empfehlungen für das DiagnosegesprächGesprächsführung „ Es ist wichtig Hoffnung zu verkörpern: Hoffnung heißt nicht, weniger ehrlich oder offen zu sein“ (Gutson, 2000)