20. Riehener Seminar 27. Oktober 2009 Vreny Kamber Medizinische Ursachen der Erschöpfung was kann und muss der Hausarzt abklären? Müdigkeit Up to Date 17.2: 5/2009 Approach to the adult patient with fatigue Müdigkeit, K. Baumann, P. Krayenbühl Praxis 2009, 98: 465-471 Müdigkeit 21% - 33% aller Patienten klagen beim Hausarzt über Müdigkeit, sei es als Haupt- oder Nebensymptom Müdigkeit • körperliche Müdigkeit generalisiertes Schwächegefühl • emotionale Müdigkeit emotionale Instabilität verminderte Belastbarkeit • kognitive Müdigkeit Konzentrationsschwierigkeit Gedächtnisstörung Müdigkeit • akute Müdigkeit < 1 Monat • anhaltende Müdigkeit > 1 Monate • chronische Müdigkeit > 6 Monate Chronische Müdigkeit > 6 Monate Frauen > Männer 2/3 psychiatrische Diagnosen - Major Depression - Angststörungen - somatoforme Störungen Anamnese die sorgfältige Anamnese ist das wichtigste Abklärungsinstrument Anamnese I • seit wann (Tage, Wochen, Monate) • wann und wie tritt sie auf • Verlauf • müde schon beim Erwachen • Zu- oder Abnahme tagsüber • wird der Alltag beeinflusst Anamnese II • Ein- oder Durchschlafstörungen • Tag- Nachtumkehr • Schnarchen • enorme Tagesmüdigkeit • Sekundenschlaf Anamnese III • Berufsanamnese • Freizeitanamnese • Genussmittel – Alkohl/Drogen • Medikamente • Andere Symptome Medikamente • Hypnotika • Muskelrelaxantien • Antidepressiva, Neuroleptika • Antihistaminika • B-Blocker • Opioide Status • Erscheinungsbild, Wachheitszustand • Lymphknoten • Karzinome • Schilddrüse • Herz/Lunge • Neurologie Status keine weiteren Symptome: eher keine somatische Ursache Müdigkeit als einziges Symptom: bei Tumoren selten Ursachen und DD I • Eisenmangel, Anämie • COPD, Herzinsuffizienz, koronare HK • Schlafapnoe • Hypothyreose, NN-Insuffizienz • chron Hepatitiden, Leberzirrhose • HWI • Atemwegsinfekte • Tbc • virale Infekte Ursachen und DD II • Niereninsuffizienz • Vaskulitiden, Kollagenosen • Malabsorption, Mangelernährung • Neoplasie • Depression • Angststörung • Chronic fatigue syndrome • somatoforme Störung • Schlafstörungen • Drogen, Alkohol, Medikamente 6 Hauptfaktoren für Schlafstörungen 1. Inadaequate Schlafhygiene unregelmässige Schlafzeiten Stress 6 Hauptfaktoren für Schlafstörungen 2. Einnahme aufputschender Mittel 6 Hauptfaktoren für Schlafstörungen 3. Störende Umweltfaktoren Lärm.... ....Licht 6 Hauptfaktoren für Schlafstörungen 4. Psychische Erkrankungen – – Schizophrenie Angststörungen 5. Schichtarbeit / Jet lag 6. Medizinische Erkrankungen – – – Herzinsuffizienz Lungenerkrankungen Restless Legs Syndom Eisenmangel 15% der Frauen im Menstrationsalter haben einen Eisenmangel ohne Anämie (EoA) 3% der Frauen haben eine manifeste Eisenmangelanämie Effekte einer EoA • Müdigkeit • < Muskelkraft, < Ausdauer • < kognitive Funktionen • Haarausfall • Thermoregulation • Infektanfälligkeit • Kopfschmerzen Abklärung bei EoA I • vermehrter Bedarf – Wachstum – SS, Geburt, Aborte – Stillperiode • Ernährungsgewohnheiten – Vegetarier, – einnahme grosser Mengen Hemmstoffe für Eisenresorption (Tee, Kaffee, Ballaststoffe, Kalzium) Abklärung bei EoA II • gestörte Aufnahme – Blähungen – Durchfälle – Sprue – Diabetes I – GI Operationen – Antazida Eisenverluste • Hypermenorrhoe • Nasenbluten • gastrointestinale Verluste • Hämaturie • Ausdauersport Therapie Eisenmangel • orale Eisentherapie = Standard – günstig und sicher – 1h vor dem Frühstück – 2-wertiges Eisen – Vitamin C • iv- Eisengabe – bei Störungen der Resorption (Sprue) – Unverträglichkeit der peroralen Einnahme Chronic Fatigue Syndrome • > 6 Monate Müdigkeit • keine Besserung durch Ruhe • deutliche Einschränkung im Alltag Chronic Fatique Syndrome zusätzlich mindestens 4 weitere Symptome • gestörtes Kurzzeitgedächtnis • gestörte Konzentration • dolente LK nuchal oder axillär • multiple Gelenkschmerzen (ohne entz. Zeichen) • Schlafstörungen • > 24 h abgeschlagen nach Anstrengungen • Kopfschmerzen Idiopathische chronische Müdigkeit • > 6 Monate Müdigkeit • keine somatische oder psychische Ursache • Kriterien für Chronic Fatigue Syndrome nicht erfüllt Virale Infekte Mononukleose Fallbesprechungen 6 Patienten... Frau M.F. 50-jährig Einweisung durch den Gynäkologen Mangelernährung, Dehydratation rezidivierende Kollapse seit ca. 2 Wo Anamnese Schwindelattacken seit Mo ausgeprägte Kollapsneigung Gewichtsverlust von 12 kg in ca. 10 Mo „es habe ihr den Appetit verschlagen“ nur Wasser und Zwieback zu sich genommen manchmal Durchfall Frau M.F. 50-jährig Status stark reduzierter AZ, kachektisch Gewicht 41,4 kg, Grösse 163 cm, BMI 15.5 Temperatur 37.5°C Halsvenen im Liegen leer gespaltener 2. Herzton Lungen und Abdomen unauffällig US grosse, teils konfluierende Hämatome „Rote Flecken“ auf den Wangen Neurologisch unauffällig Labor bei Eintritt • • • • • • • • • Hb 7.2 g/dl (12.0 – 16.0) Hkt 21.8 % (36.0 – 46.0) MCV 91.6 gl (85 – 95) Reti100 ‰ (5 – 15) Ferritin 113 ng/ml (> 30) Tc 404 x103/µl (150 – 350) Lc 7‘300 (4 -10 000) Lympho 5.5 % (20 – 40) BSR20 mm/h Labor bei Eintritt • • • • • • • Gluc Na K Ca Hst Krea Albumin 5.9 mmol/l 132 mmol/l 4.2 mmol/l 1,91 mmol/l 11.1 mmol/l 64 µmol/l 34 g/l (3.9 – 6.4) (140 -150) (3.7 – 5.5) (2.15 – 2.57) (2.5 – 7.5) (45 – 84) (38 – 54) Labor bei Eintritt • • • • • • • • • • ASAT 27 U/l (< 31) ALAT 24 U/l (< 31) Bil ges 36.0 µmol/l (< 21) Alk. Phos. 110 U/l (53 – 141) y-GT 0.5 U/l (< 38) CK 50 U/l (25 – 170) LDH 305 U/l (< 248) TSH 1.45 µlU/ml (1.45) CRP 199 mg/l (< 5) Urin: > 40 Lc/GF E.coli Differentialdiagnosen • • • • • • • Konsumierende Erkrankung Hyperthyreose Vaskulitis Sprue M. Whipple Bluterkrankung Psychiatrische Erkrankung mit Anorexie Abklärungen • Thorax: unauffällig • US Abdomen: minimal Aszites und Pleuraergüsse bds. Keine pathologischen Raumforderungen • Gastroskopie: kleine axiale Hernie unspezifische Gastritis • Histo: keine AP für Sprue, M. Wipple keine Lamblien Abklärungen • Colonoskopie: Normalbefund • Histo: keine mikroskopische Colitis Erweiterte Anamnese • 2 Kinder (♀ 24-jährig, ♂ 19-jährig) • Sohn cerebral gelähmt bei St.n. Meningitis postpartal • Aufopfernde Pflege bis vor 2 Mte (Pflegeplatz) • Ehemann Fremdbeziehung seit 3 Jahren Weitere Abklärungen • • • • • BK: negativ Grosser Gerinnungsstatus: oB 5-OH-Indolessigsäure: normal Vitamin C: normal Immunphänotypisierung im peripheren Blut: kein Hinweis für B-Zell-Neoplasie • Immunelektrophorese: keine monoklonale Komponente Weitere Abklärungen • Transglutaminase IgA und IgG: normal • Vitamin B12/Folsäure: normal • Antinukleäre AK: negativ • Antikörper gegen ENA: negativ • Neutroph. cytopl. AK (ANCA): negativ Psychische Belastungssituation • Pflege des Sohnes immer aufwändiger • fühlte sich vom Ehemann und von der Pro Infirmis im Stich gelassen • Patient schildert es als „andauernden Ausnahmezustand, habe weit über ihre Kräfte gelebt, es habe ihr den Appetit verschlagen“ • habe nur noch für den Sohn gelebt Medizinische Diagnose Psycho-physischer Erschöpfungszustand mit konsekutiver Malnutrition und Gewichtsverlust Psychiatrische Diagnosen • mittlere depressive Episode mit starker Gewichtsabnahme und somatischen Symptomen • Belastung durch geistig behinderten Sohn • aktuell Trennung von Ehemann • Persönlichkeitsakzentuierung mit ängstlichen und abhängigen Zügen Frau H.J. 19-jährig Anamnese: • starke Müdigkeit seit 2 Mo, • muss nach der Schule sich hinlegen • Haare nicht mehr glänzend • Haarausfall • Kältegefühl • Menstruation: regelmässig, OH Status: unauffällig, BMI 19.8 Labor • Hb 12.2 g/dl (12.0 – 16.0) • MCV 87 fl (85-95) • Lc, Tc normal • Ferritin 8 ng/ml • TSH (> 20) 2.1 µIU/ml (0.25 – 5.0) Diagnose Eisenmangel ohne Anämie Herr B.A. 16-jährig Anamnese: • vor 2 Tagen wieder frontale • Kopfschmerzen, Halsweh, Temp. 38.8°C • seit ca. 1-2 Mte Ausfall in der Schule von 1-2 Tagen, Fieber, Kopfschmerzen • Müdigkeit, könnte immer schlafen, abends „todmüde“ • Tennis nicht mehr möglich Herr B.A. 16-jährig Status • Gewicht 70,9 kg, Grösse 178 cm, BD 120/80 mmHg, Puls 52/min • Cervikale, teils druckdolente LK • Ø Meningismus • NNH frei • Herz, Lunge, Abdomen o.B. • Neurologie unauffällig Herr B.A. 16-jährig Labor • diskret erhöhte Transaminasen, • diff. BB: aktivierte Lymphozyten • Serologie: EBV-VCA IGM positiv Herr B.A. 16-jährig Diagnose: Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber) Frau G.B. 54-jährig Anamnese: • kommt als Notfall • seit 3 Wochen zunehmend geschwollene Füsse und US, • zittrig • mag nichts arbeiten, keine Lust • Atemnot bei Anstrengung, • Appetit ↓, Stuhl weich 2- bis 3-mal tgl. Status • Lungen frei, HJR neg, • Ø Struma, • Ödeme Fussrücken, US +++/+++ • Ø Hinweis für TTP, • Abdomen unauffällig, • Blutdruck 130/80 mmHg, Puls 100/min Differentialdiagnosen • Kardiomyopathie • Tu in abdomine • Nephrotisches Syndrom • Lymphödem • Hypothyreose / Hyperthyreose Abklärungen Thorax: unauffällig US Abdomen: unauffällig Labor: • TSH < 0.05 µIU/ml (0.25 – 5.0) • FT4 21.8 pmol/l (8.4 – 22) • T3 3.1 nmol/l (0,9 – 2.5) weitere Abklärungen Sonographie Schilddrüse: normal, Ø Adenom TSH-Rezeptor AK 121.6 U/l (< 9.0) Diagnose • Morbus Basedow DD: Hashimoto • Therapie: Néo-Mercazole® Frau B.E. 57-jährig, Ärztin 03/08: Schmerzen rechte Thoraxseite beim Aufstehen, Übelkeit, keine Lust zu essen, gelegentlich Reflux Gastroskopie: leichte Gastritis 04/08: weiter thorakale Schmerzen Labor, EKG, Thorax, MPS: unauffällig! Frau B.E. 57-jährig, Ärztin 07/08: schleimige Durchfälle, nach Tagen besser, Stuhlbakteriologie negativ Labor unauffällig US Abdomen unauffällig 15.08.08: seit Wochen Schlafstörungen, schläft nur ca. 3 Std. pro Nacht 22.08.08: Stolpersturz über Arztkoffer, Verletzung Lippen, Zahn, Rippenthorax rechts, Übelkeit, Schwindel CT-Schädel: unauffällig Frau B.E. 57-jährig, Ärztin 09.09.08: weiter starke Übelkeit ohne erbrechen Ferritin, Vitamin B12, Folsäure, TSH: unauffällig 1 Woche Ferien in Italien 16.09.08: extrem müde, schlapp, Übelkeit, Gewicht: 2 kg ↓ seit 04/08 Frau B.E. 57-jährig, Ärztin 22.-26.09.08: Hospitalisation • grosses Labor mit Tumormarkern • CT Thorax/Abdomen/Becken (nur ältere Rippenfraktur re) • MRI Schädel: o.B • Magen-Darm-Passage: o.B. Erschöpfung Burnout ? Medizinische Abkärungen when to stop it Frau B.E. 57-jährig, Ärztin 01.10.08: • bei der Arbeit Schweissausbruch, legte sich auf Untersuchungstisch „Ich mag nicht mehr“ 02.10.08: Hospitalisation • Psycho-physischer Erschöpfungszustand mittelgradig depressive Störung mit somatischem Syndrom DANKE