Müdigkeit und Unfallrisiko Dipl.-Psych. W. Cassel Nicht direkt nach dem Aufwachen starten; auch nach eigentlich ausreichend Schlaf schläft man in den ersten 30-45 Minuten nach dem Erwachen recht leicht wieder ein. Stattdessen sollte man diese Zeit zum Frühstücken nutzen. Vor und während der Fahrt nur leichte Mahlzeiten einnehmen. Spätestens alle 1,5 bis 2,5 Stunden Fahrerwechsel oder Pause, bei Bedarf natürlich früher. Nicht zu lange die gleiche Geschwindigkeit einhalten; allgemein gesagt: Langeweile vermeiden (dies ist keine Aufforderung zum ,,Rasen”). Neben dem wohl jedem bekannten Gefühl der Müdigkeit gibt es indirekte Hinweise, an denen man selbst (oder die Mitfahrer) Müdigkeit erkennen können: ! Die Blendempfindlichkeit steigt, das Gesichtsfeld ist eingeschränkt (Tunnelblick). ! ,,Sehen” nicht existenter Objekte. ! Nicht erklärbares Bremsen und Ausweichen. ! Volle Spurausnutzung und Spurüberschreitung, ,,eckige” Fahrweise. ! ,,Kleinere” Fehler (Scheibenwischer zu spät an oder aus, Dauerfernlicht oder nur Abblendlicht). ! Augen reiben, Gähnen, Räkeln und Strecken. ! Fahrer wird still, reduziert die Heizung, öffnet Fenster, erhöht Radiolautstärke. Wenn man bereits Müdigkeit verspürt, kann man durch koffeinhaltige Getränke oder durch Süßigkeiten und durch erhöhte Frischluftzufuhr eine kurzfristige Steigerung der Wachheit erzielen. Besser ist natürlich, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, bzw. auf Müdigkeit mit Ausschlafen (oder kürzeren Schlafpausen) zu reagieren. Mitfahrende Personen sollten darauf achten, daß nicht der Fahrer die letzte wache Person im Fahrzeug ist: die weit überwiegende Anzahl von Müdigkeitsanfällen geschieht bei Alleinfahrten oder wenn alle Mitfahrer schlafen. In Verkehrssituationen, die sehr geringe Anforderungen stellen (Langeweile) sollte man als Mitfahrer mit dem Fahrer sprechen – soziale Zuwendung hält wach. Rechtliche Aspekte Da in der gängigen Rechtssprechung (und von Schlafmedizinern) davon ausgegangen wird, daß ein Betroffener Müdigkeit bemerkt, gilt Müdigkeit nicht als ,,Entschuldi18 gungsgrund” für einen Unfallverursacher. Dies gilt auch bei krankheitsbedingter Müdigkeit, besonders dann, wenn der Betroffene über seine Erkrankung informiert ist. Der in den Medien oft erwähnte ,,Sekundenschlaf”, der vom Betroffenen nicht bemerkt wird, kann tatsächlich auftreten – aber nur, wenn vorher extreme Müdigkeit ignoriert wurde und man trotzdem weitergefahren ist. In diesem Zustand nimmt man den genauen Zeitpunkt des Einschlafens nicht wahr – so wie z.B. auch bei jedem normalen nächtlichen Einschlafen. Falls Müdigkeit als Unfallursache angegeben wird, gilt dies meist als ,,grob fahrlässig” und wird als Ordnungswidrigkeit gesehen. Wenn eine nicht effektiv behandelte müdigkeitsverursachende Erkrankung bekannt ist und ein Unfall auf so entstandene Müdigkeit zurückzuführen ist, so ist auf jeden Fall ein Straftatbestand erfüllt. Neben den möglichen strafrechtlichen Konsequenzen sollte bedacht werden, daß auch relevante zivilrechtliche Folgen auftreten können. Viele Versicherungsgesellschaften werden in solchen Fällen versuchen, sich verauslagte Kosten für Schäden beim Unfallgegner vom Unfallverursacher zurückzuholen. Hier können leicht Beträge von einigen Hunderttausend DM oder sogar Millionen zusammenkommen. Anfallartige Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit wie z. B. Kataplexien können beim erstmaligen Auftreten als schuldmindernd gelten, beim wiederholten Auftreten bzw. mit Wissen um die Grunderkrankung gilt dies nicht mehr. Ausblick Das Problemfeld ,,Unfallrisiko durch Müdigkeit” stellt der Schlafmedizin (und damit klinisch arbeitendenden Schlafmedizinern, Forschern, aber auch Betroffenen) vielfältige Aufgaben, bietet aber auch die Möglichkeit aufzuzeigen, daß ,,neue” Gebiete der Medizin zwar auf der einen Seite Kosten verursachen, aber auf der anderen Seite auch volkswirtschaftlich gesehen Kosten einsparen können. Dies kann z. B. durch Verhinderung von Verkehrsunfällen durch Information und Aufklärung der Allgemeinbevölkerung sowie durch frühe Erkennung und möglichst effektive Behandlung schlafmedizinischer Erkrankungen geschehen. Im einzelnen stellen sich der Schlafmedizin folgende Aufgaben: Information der Öffentlichkeit über: ! Risiken durch Müdigkeit, ! Krankheitsbilder, die Müdigkeit verursachen (Diagnose/Therapie), ! Bestimmungsfaktoren der Hypersomnie bei Gesunden (circadiane Rhythmik, Schlafentzug), besonders beim Führen eines Fahrzeuges, 19 ! Anzeichen ausgeprägter Müdigkeit beim Führen eines Fahrzeuges, ! geeignete Gegenmaßnahmen Umsetzung schlafmedizinischer Kenntnisse: ! Hinwirken auf kürzere Lenkzeiten bei Berufskraftfahrern, ! Berücksichtigung schlafmedizinischer Krankheitsbilder bei Eignungsuntersuchungen von Berufskraftfahrern. Atmungsstörungen und die Narkolepsie Auch bei Patienten, die nachts nur schlecht schlafen (Patienten mit Insomnie-, Einund Durchschlafstörungen), kann es am Tage zu reduzierter Wachheit und eingeschränkter Leistungsfähigkeit kommen. Für Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen und für Patienten mit Narkolepsie liegen inzwischen viele Untersuchungen vor, die ein erhöhtes Unfallrisiko unbehandelter bzw. nicht effektiv behandelter Patienten aufzeigen. Praktische Hinweise Wer sich müde fühlt, sollte kein Fahrzeug führen! Das Führen eines Kraftfahrzeuges ist meist eine weitgehend automatisierte Tätigkeit, die trotzdem ständige Reaktionsbereitschaft erfordert. Fährt man z. B. auf einer Autobahn mit niedriger Verkehrsdichte, so kann dies recht langweilig sein. Müdigkeit kann sich also leicht manifestieren und fatale Folgen haben. Wie kann man als Fahrer Müdigkeit beim Fahren vermeiden oder verringern? Vor dem Fahren längerer Strecken (Urlaubsfahrten) sollte man auf ausreichenden Schlaf in den vorhergehenden Nächten achten. Man sollte in dieser Zeit, besonders aber in den letzten 24 Stunden vor Fahrtantritt, wenig bzw. keinen Alkohol und auch keine Medikamente, die müde machen können, zu sich nehmen. Auf keinen Fall nachts fahren: auch wenn man sich eigentlich wach fühlt, ist man aufgrund von circadianen Einflüssen nachts stark einschlafgefährdet. Fahrtauglichkeitsbeurteilungen sollten um den Aspekt der Vigilanzbeeinträchtigung ergänzt werden. Aufnahme schlafmedizinischer Krankheitsbilder in das Gutachten ,,Krankheit und Kraftverkehr”. Berücksichtigung von ,,Vigilanzaspekten” bei Straßen- und Fahrzeugbau. Forschung und klinische Praxis Entwicklung einfacher, reliabler und valider Diagnoseinstrumente für bekannte schlafmedizinische Erkrankungen. 20