Theorie(n) der Erziehung und Bildung-vorlesung-ws 2010-2011

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Institut für Bildung und Kultur
Lehrstuhl für
Allgemeine Pädagogik und Theorie der Sozialpädagogik
Univ. Prof. Dr. Michael Winkler
Theorie(n) der Erziehung und
Bildung
Module
BA-Kern: Erz 8
BA-Nebenfach Erz V
Sitzung 2:26-10-2010
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 1
oder: Was ist ein Pädagoge?
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 1
oder: Was ist ein Pädagoge?
Pädagoge: Lehrer, Erzieher;
Erziehungswissenschaftler": Das Fremdwort
wurde im 15. Jh. aus lat. paedagogus entlehnt, das
seinerseits aus griech. paid-agogós übernommen
ist. Dies bedeutet wörtlich Kinder-,
Knabenführer.
griech. pais, paidós "Kind, Knabe" und
griech. ágein "führen" bzw. griech. agogós "führend;
Leiter, Führer
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 1
oder: Was ist ein Pädagoge?
griech. paid-agogós Kinder-, Knabenführer
bezeichnet ursprünglich einen Sklaven , der die
Kinder aus dem Hause der Eltern in die Schule
oder in das Gymnasium und von dort wieder nach
Hause zurück geleitete. Dann wurde das griech.
Wort im Sinne von "Aufseher, Betreuer der
Knaben" und schließlich im Sinne von "Erzieher,
Lehrer" verwendet.
• Worterklärungen in Anlehnung an Duden
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 1
oder: Was ist ein Pädagoge?
Haus - Familie
Welt
Spelunken
oikos
polis
Agora:
Politik, Philosophie,
Öffentlichkeit
Paideia
Bildung des
Körpers und
des Geists
gymnaseion
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 2
oder: Was ist ein Pädagoge?
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 2
oder: Was ist ein Pädagoge?
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 2
oder: Was ist ein Pädagoge?
• Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie
anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an. Als es aber
Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen:
Laßt die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen
nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes.
Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes
nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht
hineinkommen. Und er herzte sie und legte die
Hände auf sie und segnete sie.
(Markus 10, 13)
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 2
oder: Was ist ein Pädagoge?
• Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und
fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus
rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und
sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt
und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins
Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und
wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.
Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen,
der nimmt mich auf.
Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zur
Sünde verführt, für den wäre es besser, daß ein Mühlstein
an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo
es am tiefsten ist.
(Matthäus 18)
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 2
oder: Was ist ein Pädagoge?
• Erziehung als eschatologisches Geschehen:
• Vorbereitung des Heils und Verwirklichung des
Heils
• Rettung der Menschheit
• Unschuld des Kindes („heiliges Kind“)
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Der pädagogische Mythos 2
oder: Was ist ein Pädagoge?
Konfliktdimensionen:
• Mensch versus Gott
• Innerweltlich/mundan versus Transzendenz
• weltliches Denken/Vernunft versus
Glauben/Naivität
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Anfänge in der Antike
Plato/Platon
• 428-348 a. C.
• stammt aus vornehmer
Familie,
• schreibt zunächst
Gedichte/Tragödien
• Einfluss des Sokrates
• 386 Gründung der
Akademie als eigener
Schule
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Anfänge in der Antike
Plato: der Staat
• Politeia (und Nomoi)
• Theorie eines idealen, weil gerechten
Staates
• Übereinstimmung des Staates und der Seele
des Einzelnen
• Politeia eigentlich ein Gespräch, ein
Diskurs über Gerechtigkeit und Ordnung
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
•
•
•
•
Anfänge in der Antike
Plato: der Staat
Gerechtigkeit
„Denn die höchste Ungerechtigkeit ist, dass man
gerecht scheint, ohne es zu sein“ (361a)
Wahres, aufrichtiges Leben nach den Gesetzen der
Polis, insofern man den Göttern dient und dadurch
einen guten Ruf erhält.
Besonnenheit, Tapferkeit, Vernünftigkeit sowie:
Tun des Seinigen in der Praxis der Polis
In Wahrheit aber war die Gerechtigkeit [...] zwar etwas dieser Art, aber
nicht an den äußeren Handlungen in bezug auf das, was dem
Menschen gehört, sondern an der wahrhaft inneren Tätigkeit in
Absicht auf sich selbst und das Seinige, indem einer nämlich
jegliches in ihm nicht Fremdes verrichten läßt, noch die
verschiedenen Kräfte seiner Seele sich gegenseitig in ihre
Geschäfte einmischen, sondern jeglichem sein wahrhaft
Angehöriges beilegt und sich selbst beherrscht und ordnet und
Freund seiner selbst ist und die drei in Zusammenstimmung bringt,
[...] auch dies alles verbindet und und auf alle Weise einer wird aus
vielen, besonnen und wohl gestimmt, und so erst verrichtet, wenn
er etwas verrichtet, es betreffe nun Erwerb des Vermögens oder
Pflege des Leibes oder auch bürgerliche Geschäfte und besondere
Verhandlungen, dass er in dem allen diejenigen für gerechte und
schöne Handlungen hält und erklärt, welche diese Beschaffenheit
unterhalten und mit hervorbringen, und für Weisheit die diesen
Handlungen vorstehende Einsicht, sowie für ungerecht die
Handlungen, welche diese Beschaffenheit aufheben, und für
Torheit die solchen vorstehende Meinung.
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Anfänge in der Antike
Plato: der Staat
• Gerechtigkeit als inneres Moment
• Gerechtigkeit als innere Harmonie
• Übereinstimmung des Inneren mit den
äußeren Verhältnissen
• Gerechtigkeit als Handeln und Erklärung
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Anfänge in der Antike
Plato: der Staat
• Idealer Staat:
• Herrschaft der Besten –
Philosophenkönig/Philosophenstaat
• Strenge Auswahl in langem Erziehungsund Bildungsprozess
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Anfänge in der Antike
Plato: der Staat
Kritik (u.a. v. Karl R. Popper („die offene
Gesellschaft und ihre Feinde“):
• Totalitarismus (Herrschaft einer Elite)
• Erkenntnisfetischismus
A) Wir können nicht alles wissen, sondern
müssen entscheiden
B) Entscheidungen müssen moralisch basiert
sein
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Anfänge in der Antike
Plato: der Staat
Allerdings: Philosophen sollen bei Platon
Wächter sein darüber, dass gerechte
Gesellschaft entsteht und besteht. Es geht
daher um Erziehung des Staatswächters als
Krieger und Philosoph.
Erziehung des Staatswächters wird in
Höhlengleichnis
Diskutiert.
Plato
Höhlengleichnis
Platon Politeia Buch 7: Anfang des Höhlengleichnisses
[514a] meta tauta dh, eipon, apeikason toioutwi paqei thn
hmeteran fusin paideiaV te peri kai apaideusiaV. ide gar
anqrwpouV oion en katageiwi oikhsei sphlaiwdei,
anapeptamenhn proV to fwV thn eisodon ecoushi makran
para pan to sphlaion, en tauthi ek paidwn ontaV en desmoiV
kai ta skelh kai touV aucenaV, wste menein te autouV eiV te
to [514b] prosqen monon oran, kuklwi de taV kefalaV upo
tou desmou adunatouV periagein, fwV de autoiV puroV
anwthen kai porrwthen kaomenon opisthen autwn, metaxu de
tou puroV kai twn desmwtwn epanw odon, par' hn ide teicion
parwikodomhmenon, wsper toiV qaumatopoioiV pro twn
anqrwpwn prokeitai ta parafragmata, uper wn ta qaumata
deiknuasin.
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Lage der Gefangenen
• Menschen in unterirdischer
Höhle/Wohnung, gefesselt an Beinen und
Hals
• Längsseite: In Entfernung Licht – Ausgang
der Höhle
• Von Höhe und hinter dem Rücken: Feuer.
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Lage der Gefangenen
• Menschen in unterirdischer
Höhle/Wohnung, gefesselt an Beinen und
Hals
• Längsseite: In Entfernung Licht – Ausgang
der Höhle
• Von Höhe und hinter dem Rücken: Feuer.
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Lage der Gefangenen
• Zwischen Feuer und Gefangenen: Weg und Mauer
• Auf Weg führen Menschen Bildsäulen vorbei, die
Schatten auf jene Wand werfen, welche von
Gefangenen gesehen werden kann.
(Gefangene und andere Menschen sehen einander
nicht, Schatten werden für Wahrheit gehalten)
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Was passiert, wenn einer aufsteht und den
Kopf wendet?
Was geschieht, wenn man mit Gewalt zur
Sonne gebracht wird?
Man muss sich entweder selbst der Fesseln
entledigen oder wird von einem anderen
zwangsweise zum Licht gebracht.
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Was passiert, wenn einer aufsteht und den Kopf
wendet?
Was geschieht, wenn man mit Gewalt zur Sonne
gebracht wird?
• Erkennen von Schatten
• Bilder der Menschen und der Dinge
• Erkenntnis der Menschen
• Rückkehr, um andere Menschen zur Sonne zu
bringen
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
• Lage der Gefangenen
• Vorgang des Hinaufsteigens zum Licht und
das Wiederherabkommen in die Höhle
• Folgerung, dass die Erziehung nur als
Umlenkung der ganzen Seele möglich ist.
• Aufsuchung einer Kenntnis, die Wende der
Seele ermöglicht
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Was passiert bei Rückkehr?
Problem 1: Kann man diejenigen überzeugen, die
sich in der Höhle lobten und schon der Erkenntnis
(der Schattenbilder) sicher waren? (Wie überzeugt
man den Leser der Bild-Zeitung?)
Problem 2: Kann es sein, dass wir - an die Sonne
gewöhnt – im Dunkeln nichts mehr sehen?
(Ignoranz gegenüber Lernvorrausetzungen!)
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Grundeinsicht – Grundannahme:
Paideia verlangt Umkehr der Seele
Wir alle, jede Seele hat Vermögen zu erkennen; aber
dieses muss umgedreht werden, weg von
Schattenbildern hin zur Sonne.
Notwendigkeit, die vollkommen gebildeten
Philosophen gegen ihre Neigung zur Regierung zu
nötigen.
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Welche Erkenntnisse ermögliche peripetie
(Umkehr der Seele)?
Rechenkunst
Geometrie
Astronomie
Wissenschaft der Harmonie
Dialektik als Wissenschaft von dem, was ist
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Ausbildungsgang
Belehrung nicht als einen Zwang zum Lernen
einrichten, weil kein freier Mensch
irgendeine Kenntnis auf knechtische Art
lernen muss,
In der Seele bleibt keine erzwungene Kenntnis
... Spielend beschäftige die Knaben mit diesen
Kenntnissen
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Platon: Höhlengleichnis
Ausbildungsgang
Probleme der Vermittlung von Dialektik
• Zerstört ursprüngliche Ehrfurcht vor Eltern
(Überheblichkeit)
• Gibt Einsicht, die instrumentell verwendet
werden kann (Zynismus)
• Gibt Einsicht, dass Realität unterhalb von
Vernunft bleibt (Resignation).
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Das pädagogische Erbe der Antike: Paideia 1
Grundlegung unserer Vorstellungen von Menschsein erfolgt
in Antike: Vorstellung von Humanität (humanitas) und
individueller Subjektivität (persona) werden als Themen
und Foci menschlicher Selbstverständigung festgehalten.
Dafür stehen die Figuren:
Erkenne Dich selbst! Trage Sorge um dich selbst!
(Dies meint keinen Egoismus, sondern die Achtung für die
eigene Autonomie und ihre Bedingungen, deshalb nötig:)
Dialog,
der gelebten, politischen Praxis, auf die wir vorbereitet
sein müssen
Einsicht, dass wir involviert und daher engagiert sind.
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Das pädagogische Erbe der Antike: Paideia 2.1
Der Mensch als Subjekt seiner selbst findet sich in seinem
Prozess der Bildung:
diese ist eingewoben in die Spannung von physis und
psyche, wird als Technologie des Selbst verwirklicht (das
Paradigma dafür: Sokrateisches Gespräch),
Diese ist eingewoben in das soziale und politische
Geschehen; gerechte Ordnung, Wahrheit.
Äußere und innere Ordnung korrespondieren, das
Gemeinwesen muss für diese Bildung durch
Institutionen und Praktiken sorgen. (Durch Eugenik und
ein „öffentliches Schulwesen“ für Jungen und Mädchen.)
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Das pädagogische Erbe der Antike: Paideia 2.1
Der Mensch als Subjekt seiner selbst findet sich in seinem
Prozess der Bildung:
diese ist eingewoben in die Spannung von physis und
psyche, wird als Technologie des Selbst verwirklicht (das
Paradigma dafür: Sokrateisches Gespräch),
Diese ist eingewoben in das soziale und politische
Geschehen; gerechte Ordnung, Wahrheit.
Äußere und innere Ordnung korrespondieren, das
Gemeinwesen muss für diese Bildung durch
Institutionen und Praktiken sorgen. (Durch Eugenik und
ein „öffentliches Schulwesen“ für Jungen und Mädchen.)
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Das pädagogische Erbe der Antike: Paideia 2.2
Bildung
verwirklicht sich in einem engen Zusammenspiel
von Politik und Pädagogik.
Politik und Pädagogik sind zwei Seiten einer
Angelegenheit.
Theorie(n) der Erziehung und Bildung
Das pädagogische Erbe der Antike: Paideia 3
Bildungsprozesse haben fünf Dimensionen:
Mythos – Klärung unserer Vergangenheit, eine Einbettung,
die doch der Zerstörung bedarf,
Oikos – die ordentliche Regelung unseres unmittelbaren
Lebenszusammenhangs, der in den Beziehungen zur
Verwandtschaft und im Gastmahl hervortritt,
Polis – der Zusammenhang des Gemeinwesens mit gerechter
Ordnung, Verpflichtung, Bindung und Freiheit.
Peripetie – die Umkehr, die mit dem Verlust von
Bequemlichkeit und einem Leiden an Erkenntnis
verbunden ist.
Peragogie- Notwendigkeit einer Führung zur Umkehr, die in
ihrer Wirkung aber unbestimmt bleibt – wir bedürfen der
Führer, machen aber unseren Weg selbst
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