Ψ Philosophie und Psychologie Philosophische Überlegungen im Fokus psychologischer Forschungsergebnisse am Beispiel der Platoninterpretation Wielands Ein Vortrag in der Vortragsreihe der Fachschaft Philosophie „Interdisziplinäre Ringvorlesung: Perspektiven auf die Philosophie“ von Dr. Udo Käser Gliederung I. Ψ Philosophie und Psychologie: „Gens una sumus“?! oder Über den Zusammenhang von Philosophie und Psychologie II. Exemplarische Übersicht von Schnittstellen zwischen Philosophie und Psychologie III. Die Philosophie Platons in der Interpretation Wielands und ihre empirische Fundierung in der Psychologie Was ist Wissenschaft? Arbeitsdefinition Wissenschaft ist eine Form der Welterschließung, die durch die Prinzipien der Systematik, der Logik und der Falsifikation gekennzeichnet ist. Abgrenzung von anderen Formen, durch die sich der Mensch die Welt erschließen kann, wie Kunst, Religion oder Mythos Innerhalb der Wissenschaft kann je nach Forschungsobjekt, Methode und Forschungsziel zwischen Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften unterschieden werden. Ψ Systematik wissenschaftlicher Disziplinen Ψ GeistesSozialNaturwissenschaft wissenschaft wissenschaft Forschungsobjekt Methode Zielsetzung objektivierter Geist Mensch in doppelter Kontingenz materiale Welt ohne Freiheit Hermeneutik Hermeneutik & Empirie Empirie Verstehen Verstehen & Erklären Erklären Historische Entwicklungslinien Ψ • Philosophie als ursprüngliche Form wissenschaftlichen Denkens wie z. B. Mathematik oder Logik • Sozialwissenschaften als Entwicklungsprodukt der Geisteswissenschaften im Allgemeinen bzw. der Philosophie im Besonderen • Prozess der Emanzipation unter Spezifikation der Fragestellungen und Variation der Methodik • Für die Psychologie speziell Öffnung für empirische Gens una sumus?! – Ja, wir sind eine Familie; aber die Philosophie ist die Mutter und die Psychologie ist eines ihrer Kinder mit Geschwistern wie der Pädagogik oder der Sprachwissenschaft. Methoden Gliederung I. Ψ Philosophie und Psychologie: „Gens una sumus“?! oder Über den Zusammenhang von Philosophie und Psychologie II. Exemplarische Übersicht von Schnittstellen zwischen Philosophie und Psychologie III. Die Philosophie Platons in der Interpretation Wielands und ihre empirische Fundierung in der Psychologie Gliederung I. Ψ Philosophie und Psychologie: „Gens una sumus“?! oder Über den Zusammenhang von Philosophie und Psychologie II. Exemplarische Übersicht von Schnittstellen zwischen Philosophie und Psychologie III. Die Philosophie Platons in der Interpretation Wielands und ihre empirische Fundierung in der Psychologie Schnittstellen zwischen Philosophie und Psychologie Ψ Grundfragen der Philosophie • Was kann ich wissen? • Was soll ich tun? • Was darf ich hoffen? Korrespondenzen zwischen Philosophie und Psychologie • Erkenntnisphilosophie • Praktische Philosophie • Religionsphilosophie - Kognitionspsychologie Pädagogische Psychologie Religionspsychologie Exemplarische Beispiele für solche Schnittstellen Ψ Erkenntnisphilosophie und Kognitionspsychologie • Was ist die Struktur von Wissen? • Wie lernt der Mensch? • Wie funktioniert das Gedächtnis? • Wie stehen Wissen und Handeln in Zusammenhang? Exemplarische Beispiele für solche Schnittstellen Ψ Praktische Philosophie und Pädagogische Psychologie • Was ist Moral? Was ist das Gewissen? • Welche Formen von Begründungen für moralischer Urteile gibt es? • Wie stehen moralisches Urteil und moralisches Handeln in Zusammenhang? • Wie entwickelt sich Moral und wie kann die moralische Entwicklung gefördert werden? Exemplarische Beispiele für solche Schnittstellen Religionsphilosophie und Religionspsychologie • Was können wir über Gott wissen und dürfen wir uns erhoffen? • Welche Struktur besitzt religiöses Heilswissen? • Welche Funktion besitzen religiöse Vorstellungen? • Wie entwickeln sich religiöse Vorstellungen über die Lebensspanne? Ψ Gliederung I. Ψ Philosophie und Psychologie: „Gens una sumus“?! oder Über den Zusammenhang von Philosophie und Psychologie II. Exemplarische Übersicht von Schnittstellen zwischen Philosophie und Psychologie III. Die Philosophie Platons in der Interpretation Wielands und ihre empirische Fundierung in der Psychologie Gliederung I. Ψ Philosophie und Psychologie: „Gens una sumus“?! oder Über den Zusammenhang von Philosophie und Psychologie II. Exemplarische Übersicht von Schnittstellen zwischen Philosophie und Psychologie III. Die Philosophie Platons in der Interpretation Wielands und ihre empirische Fundierung in der Psychologie Die Philosophie Platons Wielands Interpretation des Werks Platons Ψ • Doppelte Absicht: (i) Neuinterpretation der Schriften Platons: Idee = vollständiges Wissen um den rechten Gebrauch einer Sache (Gebrauchswissen) (ii) Theorie nichtpropositionalen Wissens • Kernstück der Analyse: Das Verhältnis von Wissen und Meinung und die Stellung der Idee Die Philosophie Platons Die Bedeutung des Verhältnisses von Wissen und Meinung Ψ Zentrales Thema in Politeia (475e ff., 510a ff., 533d ff.), Theaitetos (187a ff., 200d ff.), Menon (96d ff.), Timaios (51d ff.) und dem 7. Brief (341c ff.) Bedeutsame Frage innerhalb der Platonrezeption und der Diskussionen um die richtige Interpretation seines Werks Große Bedeutung z. B. für die Pädagogik hinsichtlich der Frage der Bildsamkeit des Menschen Die Philosophie Platons Die Bedeutung des Verhältnisses von Wissen und Meinung Ψ Beim Unterschied zwischen Wissen und Meinen handelt es sich um eine grundsätzliche Differenz im Werk Platons, es ist „[...] eines der klassischen Themen der Platonforschung, [ohne welches] man [...] schwerlich eine Deutung von Platons Philosophieren im ganzen geben [könnte].“ (Wieland, 1982, S. 280) Die Philosophie Platons Klassische Interpretationen der Differenz von Wissen und Meinen Ψ • Objektivistische Deutung Unterschied begründet sich letztlich im Bezug des Wissens zu einer unwandelbaren Welt der Ideen und der Meinung zur sinnenfälligen und wandelbaren Erfahrungswelt. • Subjektivistische Deutung Unterschied begründet sich letztlich durch den Grad an Gewissheit im Individuum. Die Philosophie Platons Objektivistische Deutung der Differenz von Wissen und Meinen Ψ • gebunden an die Zweiweltenvorstellung • Wissen – unwandelbare Welt der Ideen; Meinung – sinnenfällige und wandelbare Erfahrungswelt Differenz im Gewissheitsgrad ist eine Funktion der Differenz, die zwischen den Gegenstandsbereichen der Ideenwelt und der Erfahrungswelt besteht. Gegenstandsbereiche von Wissen und Meinung sind vollständig disjunkt. Meinung kann nicht zum Wissen qualifiziert werden. Die Philosophie Platons Einwände gegen die objektivistische Deutung Ψ • Zweiweltenmodell hat nur hinführende und orientierende Funktion ohne inhaltliche Aussagekraft. Es hat rein didaktische Funktion als Modell für Gesprächspartner, die noch auf der Stufe der Meinung sind. • Funktionale Verschiedenheit von Objekten des Wissens (z.B. Wissen um Gegenstände und Wissen um Sachverhalte bzw. propositionales und nichtpropositionales Wissen) wird nicht repräsentiert. • Reflexionsproblematik bleibt ausgeklammert. Die Philosophie Platons Subjektivistische Deutung der Differenz von Wissen und Meinen Ψ • gebunden an Vorstellung unterschiedlicher Gewissheitsgrade • Wissen charakterisiert durch Gewissheit, Meinung durch Irrtumsfähigkeit Es gibt wahre und falsche Meinungen, aber immer nur wahres Wissen. Es gibt einen kategorial homogenen Objektbereich, dessen Gegenstände Objekte von Wissen und Meinung sein können. Meinung kann z.B. durch Begründung zu Wissen qualifiziert werden. Die Philosophie Platons Einwände gegen die subjektivistische Deutung Ψ • Gewissheitsgrade werden objektiv unterscheidbar gedacht, sind aber nur hypothetisch durch einen äußeren, allwissenden Beobachter feststellbar. • Inhalt von Wissen und Meinen werden als propositional betrachtet. Nichtpropositionales Wissen wird weder im Wissen noch im Meinen repräsentiert. • Reflexionsproblematik bleibt ausgeklammert. Die Philosophie Platons Gegenposition Wielands Ψ Merkmale der Meinung • • • • intendiert Richtigkeit • unverbunden mit Person propositionaler Charakter • Wahrheitsanspruch nicht bivalenter Gegenstandsbezug notwendig einlösbar mögliches Irrtumsbewusstsein (qualifizierte Meinung) • änderbar, flüchtig • mitteilbar • Person verfügt nicht nur über Meinung, unterliegt ihr auch • Wahrheitskriterium muss nicht existieren • richtige Meinung Wissen • richtige Meinung macht richtiges Handeln möglich, legitimiert es aber nicht Die Philosophie Platons Ψ Merkmale des Wissens • kann nicht unmittelbar aus Meinung gewonnen werden • kategoriale Differenz zur Meinung • nicht vollständig mitteilbar • nichtpropositional • mit Wissenden verbunden • beruht auf Erfahrung • irrtumsfrei, nicht bivalent • ermöglicht Äußern von (richtigen) Meinungen • Erfahrung selbst kommt kein Wahrheitswert zu • Wissen ist Disposition und keine Intention wie die Meinung • bewährt sich im Gebrauch und gegenüber anderen Die Philosophie Platons Wissen – Meinung – Idee Ψ • Gebrauchswissen ist Wissen im vollen Sinne: Jedes Wissen beinhaltet auch eine pragmatische Komponente. • „epistm“ - Wissen – bezeichnet stets Wissen und Können und ist mit „tecn“ – Kunstfertigkeit – verwandt. • Meinung führt nicht zu praktischer Fähigkeit: So besitzt der Handwerker keine Fertigkeit und damit über kein Wissen hinsichtlich des Gebrauchs des Gegenstands. • Gebrauchswissen richtet sich an Idee orientierend aus: Idee wird unthematisch intendiert. • Idee kann in Ideenlehre als strukturierte Meinung thematisiert werden. Die Philosophie Platons Wissen – Meinung – Idee Ψ • Gebrauchswissen ist zentrales Element der Idee: Es reguliert richtiges Handeln, speziell das politische Handeln. • Der Wissende kann anderen helfen zu lernen – er kann sein Wissen aber nicht in Aussagen mitteilen und benötigt auch keine Theorie: Wissen bewährt sich nur durch Tat. • Der Meinende macht Aussagen und verwendet Prädikate, ohne aber über das Gebrauchswissen zu verfügen, mit diesen Bedeutungen umzugehen. • Wissen ist ein letztlich Ideal, dass göttlicher Instanz oder der Seele vorbehalten bleibt: Empirischer Menschen kann danach nur streben – dies ist Aufgabe der Philosophie. Ψ Die Philosophie Platons Höhlengleichnis Natürlicher Zustand, Bindung an sinnliche Wahrnehmung Befreiung, Hilfe zur Selbsthilfe Höhle Ketten fallen Umkehr in Haltungen und im Denken unter Schmerzen Aufstieg, Bildung als beschwerlicher Prozess Realerkenntnis, Sachlichkeit und Sachkenntnis Reflexion, Erkenntnis der Grenze des eigenen Wissens Sehen Aufstieg Dinge Denken Erkenntnis der Idee des Guten, vernünftiger Sinn / Handeln Ideen Erst im rechten Umgang mit der Bedeutung erweist sich Idee des Guten. Die Philosophie Platons Lehrbeispiel im Menon 1. Falsche Meinung Erstarren 2. Nicht-Wissen Wiedererinnern 3. Richtige Meinung 4. (Wissen) Vielfaches Wiederholen Ψ Die Philosophie Platons aus psychologischer Perspektive Ψ Lehrbeispiel im Menon 1. Falsche Meinung Erstarren Einsicht Wiedererinnern Aha-Effekt Vielfaches Wiederholen Üben 2. Nicht-Wissen 3. Richtige Meinung 4. (Wissen) Die Philosophie Platons aus psychologischer Perspektive Ψ Psychologische Merkmale des sokratischen Gesprächs • Berücksichtigung individueller Lernvoraussetzungen • Binnendifferenzierung im Gruppenunterricht z.B. durch Gruppenarbeit • Berücksichtigung des individuellen Lernfortschritts • intensives, persönliches Lehrer-Schüler-Verhältnis • unmittelbarer pädagogischer Bezug • Kommunikative Kompetenz der Lehrperson z.B. bei Frageoder Aufforderungsimpulsen Psychologische Befunde zu nichtpropositionalem Wissen Ψ Lernpsychologische Ergebnisse zu nichtpropositionalem Wissen als Ergebnis impliziten Lernens • Forschungsansatz Rebers seit Ende der 1960er Jahre (im Überblick Reber, 1989): Interesse an verborgenem Wissen (tacit knowledge) und implizitem Lernen (implicit learning) • Vier paradigmatische Forschungsansätze: - Lernen von Kunstgrammatiken - Sequenz- oder Wahrscheinlichkeitslernen - Kontrolle komplexer Systeme - Lernen invarianter Merkmale Psychologische Befunde zu nichtpropositionalem Wissen Ψ Lernpsychologische Ergebnisse zu nichtpropositionalem Wissen als Ergebnis impliziten Lernens • Implizites Lernen unterscheidet sich systematisch von explizitem Lernen hinsichtlich Qualität und Quantität des erworbenen Wissens. • Wenig saliente Stimuli begünstigen implizites Lernen: Implizites Lernen kann dann explizitem Lernen überlegen sein und führt seltener zu systematischen Fehlern. • Implizites Wissen steuert in hohem Maße das Handeln (know how vs. know that); es ist in Teilen („chunks“), aber nicht vollständig verbalisierbar. Die Bedeutung psychologischer Befunde für die Philosophie Ψ Bedeutung der psychologischen Ergebnisse für die Philosophie • Wielands Platoninterpretation führt in der Bewertung zu zwei Fragestellungen: (1) Interpretiert Wieland Platon in sich schlüssig? (2) Ist Wielands philosophische Analyse nichtpropositionalen Wissens in sich stimmig? Die Bedeutung psychologischer Befunde für die Philosophie Ψ Bedeutung der psychologischen Ergebnisse für die Philosophie • Erste Frage kann psychologisch prinzipiell nicht beantwortet werden: Aufgabe eines hermeneutischen Diskurses innerhalb der Philosophie. • Zweite Frage kann bejaht werden: Ergebnisse der psychologischen Forschung liefern eine empirische Fundierung der Analyse Wielands. • Bedeutung nichtpropositionalen Wissens wird auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen deutlich (z. B. Entwicklung einer „fuzzy logic“ in der Informatik) Gliederung I. Ψ Philosophie und Psychologie: „Gens una sumus“?! oder Über den Zusammenhang von Philosophie und Psychologie II. Exemplarische Übersicht von Schnittstellen zwischen Philosophie und Psychologie III. Die Philosophie Platons in der Interpretation Wielands und ihre empirische Fundierung in der Psychologie Gliederung I. Ψ Philosophie und Psychologie: „Gens una sumus“?! oder Über den Zusammenhang von Philosophie und Psychologie II. Exemplarische Übersicht von Schnittstellen zwischen Philosophie und Psychologie III. Die Philosophie Platons in der Interpretation Wielands und ihre empirische Fundierung in der Psychologie FAZIT ?! Ψ Forderung nach Interdisziplinärem Austausch und gemeinsamer Forschung! Fachliche Expertise ist unverzichtbar! Fachübergreifende und fächerverbindende Perspektive ist unvergleichlich fruchtbar!! Ψ Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Literaturhinweise Friedländer, P. (1964, 1957, 1960) Platon. Band I-III. Ψ Hergenhahn, B.R. & Olson, M. (1997) An introduction to theories of learning. Käser, U. (2005). Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens (CD-ROM). Käser, U. & Röhr-Sendlmeier, U.M. (2002). Inzidentelles Lernen in verschiedenen Lebensaltern. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht. S. 225-236. Krapp, A. & Weidenmann, B. (2001). Pädagogische Psychologie. Kriz, J.; Lück, H.E. & Heidbrink, Wissenschafts- und Erkenntnistheorie. H. (1990) Literaturhinweise Ψ Löffelholz, M. (1977) Philosophie, Politik und Pädagogik im Frühwerk Eduard Sprangers 1900-1918. Natorp, P. (1903) Platos Ideenlehre. Oerter, R. (2000). Implizites Lernen beim Sprechen, Lesen und Schreiben. In: Unterrichtswissenschaft. S. 239-256. Reber, Arthur S. (1989) Implicit Lerning and Tacit Knowledge. In: Journal of Experimental Psychology: General. S. 219-235. Röhr-Sendlmeier, U.M.; Käser, U. & Wolf, T. (in Vorbereitung) Das Lernen komplexer sprachlicher Strukturen. Wieland, W. (1982) Platon und die Formen des Wissens.