Der Islam in der deutschen Literatur 12 Podiumsgespräch Agnes Imhof, Elvan Degermenci, Heinrich Detering, WS 2015/16 Der Islam in der deutschen Literatur, Schluss: Von Klabund zu Kermani. Heinrich Detering, WS 2015/16 …noch einmal: Kara Ben Nemsi im Photoatelier 1907-1909 Ardistan und Dschinnistan, zweiteiliger Roman: Hadschi Halef Omar (als leibgesinnter) und Kara Ben Nemsi (als geistgesinnter Mensch) in „Sitara“ als christlich-muslimischer Ideal-Erde, stiften Frieden im Streit zwischen „Ardistan“ (dem Boden-Land, arabisch arð)* und „Dschinnistan“, dem (arab.) Geistes-Land (vgl. Wielands orientalische Märchen), Ausgleich der Religionen und soziale Gerechtigkeit. *Ich bin im niedrigsten, tiefsten Ardistan geboren, ein Lieblingskind der Not (Karl May, Autobiographie) Retrospektive allegorische Umdeutung des Gesamtwerks: Kara als die menschliche Seele, Hadschi als Leib, Winnetou als Ideal des Edelmenschen, pazifistische Menschheitsversöhnung im Zeichen religiöser Verständigung und ‚geistesaristokratischer‘ Humanität. (Neue Vorworte.) Mit und gegen Bloch: Hochkultur und Trivialität – also ‚Pop‘. Menschheitsversöhnung als seelische, soziale und religiöse Utopie – aus dem Geist der interkulturellen und interreligiösen Verständigung und aus autobiographischer Erfahrung: 1909 Vortrag Sitara, das Land der Menschheitsseele 1912 Vortrag in Wien: Empor ins Reich der Edelmenschen In Wien Begegnung mit Bertha von Suttner (1853-1914, 1905 Friedensnobelpreis), Briefwechsel. Willy Brandts Neuausgabe Hans Christian Andersen, Der fliegende Koffer: orientalisierende Märchen als Verkleidung der Satire – und in Eines Dichters Basar die Annäherung an die Ekstasen der Derwische und den Rausch der Mystiker: Es war einmal ein Kaufmann, der war so reich, dass die ganze Straße und beinah auch noch eine kleine Gasse mit Silbergeld pflastern konnte; aber das tat er nicht, er wusste sein Geld anders zu gebrauchen, und gab er einen Schilling aus, bekam er einen Taler zurück; so ein Kaufmann war er – und dann starb er. Der Sohn bekam nun all dies Geld, und er lebte lustig, ging jede Nacht auf den Maskenball, machte Papierdrachen aus Reichstaler-Scheinen und ließ die Goldmünzen über den See springen anstelle von Steinchen, so konnte das Geld leicht dahingehen, und das tat es; zuletzt besaß er nicht mehr als vier Schillinge, und hatte keine Kleider als ein Paar Pantoffel und einen alten Schlafrock. Nun scherten sich seine Freunde nicht mehr um ihn, da man ja nicht mehr gemeinsam auf die Straße gehen konnte, aber einer von ihnen, der gut war, schickte ihm einen alten Koffer und sagte: „pack ein!“ ja, das war nun sehr gut, aber er hatte nichts zum Einpacken, und so setzte er sich selbst in den Koffer. Das war ein wunderlicher Koffer. Sobald man auf den Riegel drückte, konnte der Koffer fliegen; das tat er, schwupp! flog er mit ihm zum Schornstein hinaus, hoch hinauf über die Wolken, weiter und weiter fort; es knackte im Boden, und er war ganz erschrocken, weil doch der Koffer entzweibrechen könnte, denn dann hätte er eine ganz artige Volte geschlagen! Gott bewahre! und so kam er ins Türkenland. Den Koffer versteckte er im Wald, unter den welken Blättern, und dann ging er in die Stadt; das konnte er ruhig tun, denn die Türken gingen ja alle genau wie er in Schlafrock und Pantoffeln umher. Da traf er eine Amme mit einem kleinen Kind. „Hör mal, du Türken-Amme!“ sagte er, „was ist das für ein Schloss hier bei der Stadt, die Fenster sitzen so hoch oben!“ „Da wohnt die Tochter des Königs!“ sagte sie, „es ist ihr geweissagt, dass sie furchtbar unglücklich über einen Liebsten sein soll, und darum darf niemand zu ihr kommen, außer wenn der König und die Königin dabei sind!“ „Danke!“ sagte der Kaufmannssohn, und dann ging er in den Wald, setzte sich in seinen Koffer, flog hinauf aufs Dach und kroch durchs Fenster hinein zur Prinzessin. Sie lag auf dem Sofa und schlief; sie war so wunderschön, dass der Kaufmannssohn sie küssen musste; sie erwachte und war ganz erschrocken, aber er sagte, er wäre der Türkengott, der durch die Luft zu ihr herabgekommen sei, und das gefiel ihr gut. Dann saßen sie nebeneinander, und er erzählte Geschichten … Eines Dichters Basar: Rausch der Mystik im poème-en-prose „…der gelbe Opium-Esser, der da in roten Hosen und brandgelbem Kaftan mit grünem Turban sitzt, ist ein lebendiges Gedicht; er sitzt mit den Beinen über Kreuz, mit halbgeöffneten Augen und zitternden Lippen, mein Auge liest die zitternden Blätter, die hingehauchte Schrift; und so lautet sie: „Sieh, wie die Rebe sich rankt! ihr Blatt ist grün, wie mein Turban, ihr Saft ist rot, wie mein Blut! – Doch den Saft und das Blut soll niemand mischen, hat der Prophet gesagt! – Wein zu trinken ist Sünde, Wein ist für Christen und Juden! doch Opium-Wurzel ist Salomos Ring! die wird mir im Munde viel besser als Wein, wird ein Berg mit Trauben und Sonnenschein! jede Sorge weht dahin! ich fühle mich so gesund, ich werde so froh, ich werde vor Freude ganz wild, ich bin außer mir, ich schwimme und schwebe! Der Prophet weiß, was ich tu! ich umarme meine Frau, ich umarme zehn, zwölf! – ich neige den Kopf an die Marmorbrust, an Marmor, der anschwillt von Feuer und Flammen, man selber wird zu Flammen! jeder Nerv ist ein Blitz! das knistert, das knistert! Allah ist groß!“ Else Lasker-Schüler (Wuppertal 1869 – Jerusalem 1945): Nächte der Tino von Bagdad (1907), Prinz Jussuf von Theben (1914) Tino von Bagdad, Dichterin von Arabien, Prinz Jussuf von Theben Selbstinszenierung: Interkulturelles Spiel und Auflösung der Geschlechterrollen. Verbindung von jüdischer Psalmendichtung und islamisierender Inszenierung: Abigail dichtet die Mondsichel an (Jussuf = Abigail III) Versöhnung der Religionen als Freundschaft in der Märchenwelt: Der Scheich und sein Freund Mschattre-Zimt (in Bagdad). Max Hermann-Neiße, über Der Prinz von Theben, 1915 In die Abseitsparadiese dieser gebenedeiten Frau entrückt zu sein, bedeutet in der Zeit unserer schwersten Heimsuchung, da goldne Türen mit dem widrigen Lärm unehrlichster Fanfaren zugeworfen und die feinsten Saiten einer Seele erbarmungslos in Stücke gerissen werden, mehr als je eine Gnade und ein Berufensein, das sich nicht vergisst. … Ihr Reich ist nicht von dieser Welt … Wer nie vom Zweck und selbstischer Geschäftigkeit genesen kann, der schaut die Wunder ihrer Himmel nie. Franz Kafka, Brief an Felice Bauer, Februar 1913 Ich kann ihre Gedichte nicht leiden, ich fühle bei ihnen nichts als Langweile über ihre Leere und Widerwillen wegen des künstlichen Aufwandes. Auch ihre Prosa ist mir lästig aus den gleichen Gründen, es arbeitet darin das wahllos zuckende Gehirn einer sich überspannenden Grossstädterin. Aber vielleicht irre ich da gründlich, es gibt viele, die sie lieben … Weltende [1903] Es ist ein Weinen in der Welt, Als ob der liebe Gott gestorben wär, Und der bleierne Schatten, der niederfällt, Lastet grabesschwer. Komm, wir wollen uns näher verbergen … Das Leben liegt in aller Herzen Wie in Särgen. Du! wir wollen uns tief küssen – Es pocht eine Sehnsucht an die Welt, An der wir sterben müssen. Sie war die größte Lyrikerin, die Deutschland hatte. Ihre Themen waren vielfach jüdische, ihre Phantasie orientalisch, aber ihre Sprache war deutsch, ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch, eine Sprache reif und süß. Gottfried Benn Mohammeds Berufung Da aber als in sein Versteck der Hohe, sofort Erkennbare: der Engel, trat, aufrecht, der lautere und lichterlohe: da tat er allen Anspruch ab und bat bleiben zu dürfen der von seinen Reisen innen verwirrte Kaufmann, der er war; er hatte nie gelesen – und nun gar ein solches Wort, zu viel für einen Weisen. Der Engel aber, herrisch, wies und wies ihm, was geschrieben stand auf seinem Blatte, und gab nicht nach und wollte wieder: Lies. Da las er: so, dass sich der Engel bog. Und war schon einer, der gelesen hatte und konnte und gehorchte und vollzog. (Der Neuen Gedichte anderer Teil, Paris 1907) Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers: … Trag vor! [Lies!] Denn dein Herr ist‘s, der hochgeehrte, der mit dem Schreibrohr lehrte, den Menschen, was er nicht wußte, lehrte. Koran 96, 3-5 Mohammed war auf alle Fälle das Nächste, wie ein Fluß durch ein Urgebirg, bricht er sich durch zu dem einen Gott, mit dem es sich so großartig reden läßt jeden Morgen … An Marie von Thurn und Taxis, 7. 12. 1912 Es gibt doch Menschen, über die das so kommt (und über den Künstler muß es doch kommen, so gut wie über Mohammed mindestens) die Aufgabe, die immer da ist und immer genau und immer verlangend. An Marie von Thurn und Taxis, 30. 12. 1912 21. Januar 1912, auf Schloss Duino: Beginn der Ersten Elegie (Duineser Elegien), an Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe: Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? Und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang … 9. Elegie: Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche, ihm kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; … Drum zeig ihm das Einfache …Sag ihm die Dinge. Der Engel der Elegien hat nichts mit dem Engel des christlichen Himmels zu tun (eher mit den Engelgestalten des Islam) ... Der Engel der Elegien ist dasjenige Geschöpf, in dem die Verwandlung des Sichtbaren in Unsichtbares, die wir leisten, schon vollzogen erscheint. Brief an Witold Hulewicz, 1925 Klabund: Mohammed. Roman eines Propheten. (Kurzroman aus der Reihe der Romane der Leidenschaft,1917) Ambra und Aloe und alle Wohlgerüche Arabiens über dich, den erlauchten Leser dieses geringen Buches. Du stehst mir nahe wie meiner Eltern Kind. Sei mein tapferer Bruder! Meine scheue Schwester! Mohammed Ibn Ishak grüßt den edlen Gefährten und die anmutige Genossin einer kurzen Reise durch die Märchenwildnis seiner Schrift. Nach mündlichen Berichten und Zeugnissen und den gewissenhaften Erzählungen seiner Freunde schrieb er das Leben Mohammeds, des Gesandten Gottes, wie er es wahrhaftig erlebte. Möge Nachsicht seinem gewagten Unternehmen vergönnt sein! Die Agave muß blühen, das Weib muß lieben, die Sonne sich sonnen, Mohammed ibn Ishak mußte dichten: die goldene Geißel und die rosene Entzückung seines Seins. Prolog des Romans Nach der Berufung und beim Blick auf seine ersten Nachfolger: die Menschen-Typen Mohammed sah in seinen acht Gläubigen eine besondere Bedeutung: ein wohlgeordnetes Sternbild. Den Glauben zuerst und am leichtesten: das Kind, der freieste Mensch. Sodann der Sklave, der seine Ketten kannte, als Freigelassener ihrer ledig wurde. Sodann der Strebende, Forschende, ernsthaft Gelehrte. Sodann der Mildtätige, der seines Reichtums freiwillig sich begab. Sodann der Richter, der nicht Recht, sondern Gerechtigkeit sprach. Sodann der Gütige, der durch Leiden zur Güte kam. Sodann der Tapfere, der, nachdem er tausend Feinde zu Boden geworden, endlich sich selbst besiegte. Zuletzt der Schöne, der, Gottes Antlitz wie eine Fahne vor sich schwingend: durch Stolz und Überhebung dennoch am schwersten zu Gott gelangt. … „Das erste und das letzte Glied an meinem Ringe“, sprach Mohammed, „sind mir die liebsten ... Umschlungen mit ihnen will ich das Paradies suchen.“ Nach der Hedschra: Die von Medina lebten in vererbter Feindschaft mit denen von Mekka. Sie nahmen den Propheten mit Jubel auf und zogen ihm mit Zimbeln und Gesang entgegen. … Da schrieen die Leute von Medina: „Wir glauben dir, Mohammed, und Deinem Gotte, der soviel Seligkeit zu verschenken hat. Sei unser Feldhauptmann im heiligen Streite!“ … Mohammed ließ einen graben um Medina ziehen und verkündete die Errichtung des Staates Medina. Von den umliegenden Stämmen erschienen bald Abgesandte und zollten ihm Tribut. Er führte eine Armensteuer ein und schenkte sämtlichen Sklaven und Sklavinnen Medinas die Freiheit. … Die Moslems aber sangen: Seht den Propheten: ganz einer der unsern, In Demut gekniet vor dem Werke wie wir. Nichts ist ihm zu unwert, zu handeln zum Heile. Herr: türme die Kirche, beglänze die Kuppel, Erhöhe den Niedern, erleuchte das Licht! Die Entrückung (vgl. die ‚Verklärung‘ Jesu): Des Nachts, nach dem Gebet der Abendröte, erschien Gabriel auf einem weißen, prächtig geschirrten Schimmel und sprach: „Schwing dich hinter mir aufs Pferd, Mohammed!“ Mohammed entbrannte: „Mein Freund, daß ich dich wieder habe!“ Er bestieg hinter Gabriel den Schimmel. Sie galoppierten in den Wolken und erblickten nach zwei Stunden die Zinnen von Jerusalem. Am Ölberg machte der Engel halt, schwang sich vom Pferd und hielt Mohammed die Steigbügel: „Steig ab, Mohammed, wir sind am Ziel.“ Mohammed sprang strahlend zur Erde. Abraham, Moses und Christus traten auf ihn zu, umarmten ihn und nannten ihn: Bruder! Sie beteten zusammen, und Mohammed las ihnen aus seinem ungeschriebenen Buche, dem Koran, vor. Als er geendigt, hingen Tränen an aller Wimpern und Christus küßte ihn. … Am frühen Morgen, vor Sonnenaufgang, leitete Gabriel den Propheten nach Medina zurück. Ende des Romans, nach dem Tode des Propheten, die Epiphanie des Buches; es spricht der greise Mönch Bahirah: Dieses Buch, genannt der Koran, sei allen Gläubigen befohlen und ans Herz der Menschheit gelegt als ewig unverrückbares Gesetz. Die Fackel der Liebe leuchtet daraus und die Kerze der Verheißung. Es soll in der Moschee von Medina gelesen werden, täglich; durch hundert Priester: vom Anfang bis zum Ende. Unaufhörlich soll tönen Gottes, des Einzigen, Wort, von Morgenland bis Abendland. Von Auf- bis Niedergang der Sonne…“ Klabund 1917, auf dem Tiefpunkt des Weltkriegs: Vision der Menschheitsversöhnung („ von Morgenland bis Abendland“) im Zeichen eines vitalistisch getönten, mit Christentum und Judentum (Christus und Mose) verschmolzenen Islam; das heilige Buch als Symbol der Liebe und Hoffnung stiftenden Dichtung. Ausblick auf die Gegenwart: muslimische Literatur deutscher Sprache von Autor/innen muslimischer Herkunft – wie •SAID (* Teheran 1947, 2000-2002 Präsident des deutschen PEN): Gedichte (Psalmen, 2007), Aufzeichnungen (Der lange Arm der Mullahs. Notizen aus meinem Exil, 1995; Ich und der Islam, 2005), •Emine Sevgi Özdamar (*1946 Malatya, Türkei, Romanautorin, Dramaturgin, Schauspielerin): die Berlin-Istanbul-Trilogie, darin Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus, 2007, •Feridun Zaimoglu (*1964 Bolu, Türkei, Romancier, Dramatiker): Kanak Sprak (1995), Leyla (2006), Siebentürmeviertel (2015). Navid Kermani (* Siegen 1967), Schriftsteller, Orientalist, schiitischer Muslim: islamische und europäische Geschichte und Gegenwart in Religion, Kultur, Literatur – zwischen Abhandlung, Reportage, Rede und Roman. 18. Oktober 2015 Über Islam, Islamismus und Gewalt nach „9/11“: Der Schrecken Gottes. Über die Wirklichkeit der Flüchtlingswanderungen 2014/15: Einbruch der Wirklichkeit. Oft ist zu lesen, dass der Islam durch das Feuer der Aufklärung gehen oder die Moderne sich gegen die Tradition durchsetzen müsse. Aber das ist vielleicht etwas zu einfach gedacht, wenn die Vergangenheit des Islams so viel aufklärerischer war und das traditionelle Schrifttum bisweilen moderner anmutet als der theologische Gegenwartsdiskurs. Goethe und Proust, Lessing und Joyce haben schließlich nicht unter geistiger Umnachtung gelitten, dass sie fasziniert waren von der islamischen Kultur. Sie haben in den Büchern und Monumenten etwas gesehen, was wir, die wir oft genug brutal mit der Gegenwart des Islams konfrontiert sind, nicht mehr so leicht wahrnehmen. Vielleicht ist das Problem des Islams weniger die Tradition als vielmehr der fast schon vollständige Bruch mit dieser Tradition, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie. Alle Völker des Orients haben durch den Kolonialismus und durch laizistische Diktaturen eine brutale, von oben verordnete Modernisierung erlebt. Das Kopftuch, um es an einem Beispiel zu illustrieren, das Kopftuch haben die iranischen Frauen nicht allmählich abgelegt Soldaten schwärmten auf Anordnung des Schahs 1936 in den Straßen aus, um es ihnen mit Gewalt vom Kopf zu reißen. Anders als in Europa, wo die Moderne, bei allen Rückschlägen und Verbrechen doch als ein Prozess der Emanzipation erlebt werden konnte und sich über viele Jahrzehnte und Jahrhunderte langsam vollzog, war sie im Nahen Osten wesentlich eine Gewalterfahrung. Die Moderne wurde nicht mit Freiheit, sondern mit Ausbeutung und Despotie assoziiert. Erzählen und Reflektieren der Traditionen im Horizont der Gegenwart: Kermanis Roman Dein Name, entstanden 2006-2011, rund 1200 Druckseiten – konzipiert als ‚west-östlicher Divan‘ einer iranischeuropäischen Familiengeschichte und Kulturgeschichte zwischen Fiktionalität und Faktualität und als Modell erzählenden Gedenkens. In einer christlichen Klosterkirche: Wenn die Mystiker stets beteuern, die Sprachen, Bräuche und Religionen, Gott zu preisen, seien so unendlich wie Er selbst – genau das war es, dieser Eindruck, daß die Wege in der Vielfalt zu dem Einen führen. Großvater hätte sich sofort eine Ecke gesucht und seinen eigenen Gebetsteppich ausgebreitet.