3. Stunde

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REPETITORIUM IM
ÖFFENTLICHEN RECHT I
3. STUNDE
RA Philipp Franke, wiss. Mit.
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
Fall 1:
In Anbetracht der immer gefährlicheren Auslandseinsätze kommt der
Gedanke auf, ein Abstimmungsgesetz auf Bundesebene zu
erlassen, nach dem bei sicherheitsrelevanten Fragen eine
Volksabstimmung durchzuführen ist.
Wäre ein solches Abstimmungsgesetz mit der Verfassung zu
vereinbaren?
Fall 2:
Aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken, kommt der Gedanke auf,
hierfür Art. 20 GG um einen Absatz 5 zu ergänzen, der bei
sicherheitsrelevanten Fragen, die Möglichkeit einer
Volksabstimmung zulässt.
Wäre eine solche Verfassungsänderung verfassungsrechtlich möglich?
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
Die Staatszielbestimmungen, Art. 20 GG
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Demokratie, Art. 20 II GG
Republik, Art. 20 I GG
Rechtsstaat, Art. 20 III GG
Sozialstaat, Art. 20 I GG
Bundesstaat, Art. 20 I, 28 GG
(Umweltschutz, Art. 20 a GG)
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
II. Das Demokratieprinzip, Art. 20 II GG
Demokratie (von gr. δήμος [démos], „Volk“,
und κρατία [kratía], „Herrschaft“) bedeutet
Volksherrschaft.
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, Art.
20 II 1 GG
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
1. Repräsentative Demokratie, Art. 20 II GG
• Unmittelbar: Wahlen (Landtage, Bundestag) und
Abstimmungen (über Sachfragen), z.B.:
Volksentscheid, -begehren, und –befragung; im
GG: Art. 29 GG
• mittelbar durch vom Volk gewählte Organe
• jede Ausübung staatlicher Gewalt bedarf der
demokratischen Legitimation (ununterbrochene
Legititimationskette)
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
2. Wahlrechtsgrundsätze, Art. 38 I 1, 28 I 2 GG
Wahlen: Direkte Legitimation durch das Volk nach dem
Mehrheitsprinzip
Wahlrechtsgrundsätze:
• allgemein (für alle Bürger) - Problem: Minderjährige/Ausländer
• unmittelbar, d.h. ohne zwischengeschaltete Instanz wie z.B.
Wahlmänner
• frei (ohne Druck oder Zwang)
• gleich (Gleichwertigkeit der Stimmen, Zähl- und Erfolgswert)
• geheim (Wahlentscheidung nach außen nicht erkennbar)
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
III. Parlamentarische Demokratie
• nur der Bundestag wird direkt vom Volk gewählt
• Alle anderen Organe müssen durch Handlungen
des Bundestages quasi indirekt demokratisch
legitimiert werden (Legitimationskette)
• Wesentlichkeitstheorie: grundrechtsrelevante
Entscheidungen sind vom parlamentarischen
Gesetzgeber selbst zu treffen
• Das Parlament wählt den Kanzler und kann ihn
wieder abwählen (konstruktives
Misstrauensvotum)
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
IV. Parteiendemokratie, Art. 21 I 1GG
• Parteien sind für die politische
Willensbildung notwendig, Art. 21 I 1 GG
• Element der demokratischen Ordnung
(auch intern)
• „Parteienprivileg“ des Art. 21 II GG (Verbot
nur durch das Bundesverfassungsgericht)
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
Lösung der Ausgangsfälle:
Fall 1: Verfassungsmäßigkeit des
Abstimmungsgesetzes
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit
1. Die Zuständigkeit des Bundes ergäbe sich
Kraft Natur der Sache.
2. Verfahren und Form sind einzuhalten.
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
II. Materielle Verfassungsmäßigkeit
1. Es dürfte kein Verstoß gegen
höherrangiges Recht vorliegen.
• Art. 42, 46, 51 GG nennt Anstimmungen, aber nicht
Volksabstimmungen
• Art. 29 III GG, Neugliederung des Bundesgebietes
• Art. 118, 118a GG, Neugliederungen
Einschlägig ist Art. 20 II 2 GG
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
2. Verstoß gegen Art. 20 II 2 GG
Ob ein Verstoß gegen Art. 20 II 2 GG
vorliegt ist durch Auslegung zu ermitteln.
a) Grammatikalische Auslegung
(Wortlaut)
kein Verbot für die geplante Abstimmung
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
b) Systematische Auslegung
aa) „Innere Systematik“ der Norm
Verbot aus der Systematik des Satzes 2? (+),
wenn Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen
dem Handeln des gesamten Volkes in Wahlen
und Abstimmungen auf der einen Seite und den
Willensbetätigungen der besonderen
Staatsorgane auf der anderen Seite vorliegen
würde. Durch das „und...und...“ keine
Vorrangstellung für mittelbare Demokratie
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
bb) Stellung der Norm im gesamten Normgefüge
Verhältnis Art. 20 II 2 GG zu Art. 29 GG
• Einordnung: Art. 20 II 2 GG: generelle Regelung, Art. 29 GG:
spezielle Regelung
• Dafür: Art. 29 GG, Erst-Recht-Schluss
• Dagegen: Art. 29 GG, argumentum e contrario
• Art. 38 I GG und Art. 24 GG
Das freie Mandat der Abgeordneten und die Entscheidungsbefugnis
des Parlaments bei wesentlichen Entscheidungen innerhalb
kollektiver Sicherheitsbündnisse spricht gegen die Einführung von
Volksabstimmungen über sicherheitspolitische Fragen.
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
c) Teleologische Auslegung
Frage nach Sinn und Zweck einer Norm
• System der repräsentativen Demokratie
• Gefahr populistischer Entscheidungen
• Bündnisfähigkeit in kollektiven Sicherheitssystemen
(Art. 24 GG)
spricht gegen die Einführung von Volksabstimmungen über
sicherheitspolitische Fragen.
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
d) Historische Auslegung
Die restriktive Auslegung von Art. 20 II 2 GG
findet ihre Stütze auch in den Erfahrungen
der Weimarer Republik (Volkswahl des
Reichspräsidenten, Emotionalisierung der
Bürger durch Volksabstimmungen...mit
den Nachwirkungen im Dritten Reich,
Stichwort: „Volksgerichtshof“).
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
Ergebnis:
GG beschränkt unmittelbare Volksentscheidung auf verfassungsrechtlich
genau abgesteckte Ausnahmen. Eine
Volksabstimmung durch einfaches
Gesetzesrecht würde somit gegen Art. 20
II 2 GG i. V. m. weiteren Grundsätzen der
Verfassung verstoßen.
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
Lösung Fall 2:
Verfassungsmäßigkeit der Einfügung eines neuen
Absatzes V in Art. 20 GG
Es müsste sich gem. Art. 79 GG bei der Einfügung des
Absatzes V in Art. 20 GG um ein verfassungsänderndes
Gesetz handeln. Ein solches liegt vor, wenn der Wortlaut
oder aber der Inhalt (vgl. Art. 23 I 3 GG) der Verfassung
geändert oder ergänzt wird. Die Einfügung des neuen
Absatzes V in Art. 20 GG wäre verfassungsgemäß,
wenn die Anforderungen einer Verfassungsänderung
gem. Art. 79 GG eingehalten wurden.
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
A. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Die Einfügung des neuen Absatzes müsste formell verfassungsmäßig sein.
I. Bundeskompetenz
Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers: Unmittelbar aus Art. 79 II GG.
II. Gesetzgebungsverfahren
Verfahrensnormen der Art. 76 ff. GG eingehalten worden sind. Hinzu kommt
das besondere Mehrheitserfordernis des Art. 79 II GG: qual. 2/3-Mehrheit
im BT und BR.
III. Form:Textänderung bzw. -ergänzung
Ausdrückliche Änderung od. Ergänzung des Wortlauts des GG, Art. 79 I 1 GG.
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
B. Materielle Verfassungsmäßigkeit
„Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 III GG. Verletzung
der in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze?
Art. 20 II 2 GG geht seinem Wortlaut nach nicht
von einem Vorrang der mittelbaren vor der
unmittelbaren Demokratie aus. Unter
Berücksichtigung der nach der systematischen
und historischen Auslegung gefundenen
Wertung (s. o.) lässt sich indessen eine
Entscheidung des GG für die mittelbare
Demokratie als Regelfall ableiten.
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
• Aus teleologischer Sicht spricht insbesondere die Gefahr
populistischer Entscheidungen gegen die Einführung
(weiterer) direktdemokratischer Elemente. Auch die
Bündnisfähigkeit innerhalb kollektiver
Sicherheitssysteme (Art. 24 GG) wäre nicht
unproblematisch. Durch eine
• Volksabstimmung über Fragen der äußeren Sicherheit
würde daher das Schwergewicht von den an sich
zuständigen Staatsorganen hin zum Volk verschoben.
Damit wäre das Prinzip der repräsentativen Demokratie
in diesem wichtigen Bereich verschoben. Die Einfügung
des neuen Absatzes V in Art. 20 GG könnte folglich ein
Verstoß gegen Art. 79 III i. V. m. 20 II 2 GG darstellen
und mithin verfassungswidrig sein
DAS DEMOKRATIEPRINZIP
Durch eine Verfassungsänderung würde allerdings eine
systematische Auslegung anders ausfallen können und
insbesondere aufgrund der positiven Erfahrungen mit
direkt-demokratischen Elementen auf kommunaler und
Landesebene wird eine verfassungsändernde
Einführung direktdemokratischer Elemente
(Volksabstimmung) auf Bundesebene heute mehrheitlich
als möglich angesehen. Allerdings, str.
D. Ergebnis
Strittig
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