„Planungsstile und Planungskulturen“ Überlegungen zur Konzeption eines planungstheoretischen Forschungsprojekts Rainer DANIELZYK Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes NRW, Dortmund und Peter WEICHHART Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien Forschungsseminar IGR, Universität Wien, 17. 01. 2005 P219PSKult01 Projektkontext und subjektive Erkenntnisinteressen Komplementäre fachliche Interessen als charakteristische (gemeinsame) Merkmale der Projektbetreiber: „Erdnahe“ Verankerung in den „Niederungen“ der Empirie und der Raumordnungspraxis (SIR, ILS, Gutachten, Politikberatung) versus theoretisch-konzeptionelle Ambitionen, Vorliebe für Heterodoxien, multiparadigmatische Ansätze und einen „konstruktiven Eklektizismus“ Bausteine zu einer „Theorie des Planungssystems“? P219PSKult02 Projektkontext und subjektive Erkenntnisinteressen Leitfragen: • Warum „funktioniert“ Raumplanung selbst in Staaten, die ein derart elaboriertes und nahezu perfekt institutionalisiertes Raumordnungssystem besitzen, wie Deutschland oder Österreich, so schlecht? • Was sind die Strukturprinzipien und Funktionsmechanismen des Raumordnungssystems? Wie lässt sich die Tiefenstruktur dieses Systems beschreiben? P219PSKult03 Projektstatus und Ziele des heutigen Referates Phase des „Brainstormings“; es gibt noch keine konkreten Festlegungen und definitiven Entscheidungen über die Eingrenzung der Fragestellungen, die Projektstruktur (Umfang und Aufwand) oder den Projektträger (DFG, FWF?) Wie beurteilt das Auditorium die verschiedenen Fragestellungen, Detailprobleme und methodischen Ansätze, die im Rahmen der Vorüberlegungen reflektiert wurden? Welche Empfehlungen für die Projektrealisierung werden mit welchen Begründungen gegeben? P219PSKult04 Methodische und theoretische Orientierung Das Raumordnungssystem wird in der Regel als organisatorische und institutionelle Struktur dargestellt. Als Beschreibungsdimensionen werden vor allem folgende Bereiche herangezogen: • nominelles und funktionales Raumordnungsrecht • administrative Strukturen und Hierarchien, Kompetenzen und Instanzen • Verfahren und Prozesse • Instrumente (Programme, Pläne, REK, FLWPL, Bebauungsplan, …) P219PSKult05 Methodische und theoretische Orientierung Bei einer derartigen Konzeption werden zwei Problemfelder akut, die sich in einer reduktionistischen und inadäquaten Darstellung der realen Gegebenheiten äußern: „What about people in spatial planning?“ und „What about people in spatial planning?“ Nach T. HÄGERSTRAND, 1970, verändert. P219PSKult06 Methodische und theoretische Orientierung Das erste Problemfeld, das bei einer reinen Institutionenanalyse unbehandelt bleibt, ist das Verhältnis von Planungssystem und den „Beplanten“. Wichtige Fragestellungen: partizipative Planung, Verhandlungssysteme, endogene Entwicklung, Akzeptanz, Planungsdidaktik etc. Das zweite Problemfeld bezieht sich auf das Faktum, dass die Träger des Planungssystems menschliche Subjekte sind, die als intentionale Wesen die Fähigkeit besitzen, institutionelle Regeln und Normen zu interpretieren, umzudeuten und im Sinne eigener Motivationen auszulegen. Dieses Problemfeld wurde in der Forschung bislang kaum behandelt und soll im Projekt vorrangig thematisiert werden. P219PSKult07 Exkurs: drei Dimensionen des „Ich“ Personalität: gesellschaftliche Bestimmtheit des Einzelnen durch übernommene Rollen, Werte, Normen, Erwartungen, Gewohnheiten etc.; „persona“= (lat.) „Maske“. PERSON EGO SUBJEKT Subjektivität: Sprach-, Handlungs- und Selbstbestimmungsfähigkeit, „Quelle“ von Kontingenz (Unbestimmtheit). In Anlehnung an A. SCHERR, 2002, S. 53 INDIVIDUUM Individualität: Besonderheit und Einzigartigkeit; Attribute, durch die Einzelne sich von anderen unterscheiden. P219PSKult08 Methodische und theoretische Orientierung Planungskultur wird als Thema der Planungsforschung immer wichtiger. Dabei geht es immer wieder um das Verhältnis von Organisation/Strukturen und Handlungsformen von Akteuren, so z. B. im Konzept von Selle (1998). Dabei fehlt allerdings eine gesellschaftstheoretische Fundierung. P219PSKult09 Planungskultur Vermittlung zwischen den Ebenen Werte/Arbeitsformen/Aufgaben Aufgaben und Ergebnisse Aktions- und Organisationsformen (Instrumente Techniken) Werte Orientierungen Quelle: K. SELLE (1998, S. 51) P219PSKult10 Methodische und theoretische Orientierung Gesucht ist demnach eine theoretische Orientierung, die sowohl institutionelle Strukturen als auch subjektive Handlungssysteme und die Wechselwirkungen zwischen ihnen erfassen und darstellen kann. Nota bene: Die Frage nach den Beziehungen zwischen Institutionen bzw. sozialen Strukturen auf der einen und handelnden Akteuren auf der anderen Seite zählt zu den wichtigsten Grundproblemen der Sozialwissenschaften. Erste Ansätze zur grundsätzlichen Lösung des Problems: die Strukturationstheorie (A. GIDDENS, „Dualität der Struktur“). („Grand Theory“, wichtig für ein „Framing“ des Projekts, aber „sperrig“ gegenüber Operationalisierungen.) P219PSKult11 Methodische und theoretische Orientierung Beispiel Güntner (2004): In Anlehnung an Giddens Planungsprozess als Wechselspiel zwischen Kommunikations-, Macht- und Legitimationsstrukturen auf und zwischen struktureller und Interaktionsebene. Struktur Signifikation Herrschaft Legitimation Modalität Interpretatives Schema Fazilität (Machtmittel) Norm Interaktion Kommunikation Macht Sanktion Quelle: A. GIDDENS, 1997, S. 81 P219PSKult12 Methodische und theoretische Orientierung Eine Gruppe neuerer politikwissenschaftlicher Ansätze scheint uns als Quelle einer gut operationalisierbaren Hintergrundtheorie sehr gut geeignet zu sein: der Neo-Institutionalismus Eine besonders prägnante Bezeichnung für eine spezifische Variante des Neo-Institutionalismus wurde von Renate MAYNTZ und Fritz W. SCHARPF (1995) eingeführt: akteurszentrierter Institutionalismus (vgl. auch F. W. SCHARPF, 2000, Interaktionsformen. Akteurszentrierter Institutionalismus in der Politikforschung. – Opladen, (= UTB 2136)). P219PSKult13 Konzepte und Theoreme des akteurszentrierten Institutionalismus Ansatz zur Erfassung politischer Prozesse, die von den Interaktionen individueller und korporativer Akteure mit spezifischen Fähigkeiten und spezifischen Orientierungen bestimmt werden und die in einem gegebenen institutionellen Kontext und unter gegebenen Bedingungen der Politik-Umwelt stattfinden (F. W. SCHARPF, 2000, S. 85) P219PSKult14 Gegenstandsbereich der interaktionsorientierten Policy-Forschung Institutioneller Kontext Probleme Akteure Handlungsorientierungen Fähigkeiten Konstellationen Interaktionsformen politische Entscheidungungen Politik-Umwelt Quelle: F. W. SCHARPF, 2000, S. 85 P219PSKult15 Konzepte und Theoreme des akteurszentrierten Institutionalismus Institutionen (= formale und nicht-formale (soziale) Regeln) ermöglichen, begrenzen, strukturieren Handlungsverläufe. Institutionelle Kontexte (nicht institutionalisiert, Netzwerk, Verband, Organisation) beeinflussen Akteure, Akteurkonstellationen und Interaktionsformen. Sie „schaffen“ komplexe Akteure und beeinflussen Wahrnehmungen und Bewertungen. P219PSKult16 Konzepte und Theoreme des akteurszentrierten Institutionalismus Institutionen werden durch menschliches Handeln geschaffen und verändert, ihre Entwicklung ist pfadabhängig, sie haben ein großes Beharrungsvermögen. Sie beeinflussen Entscheidungen und Ergebnisse nicht rein deterministisch. Ihre Kenntnis ist für die Erforschung komplexer Politikfelder aber zentral. Der Ansatz will nicht nur vergangene politische Prozesse erklären, sondern auch zur Veränderung von Institutionen im Interesse einer gemeinwohlorientierten Politik beitragen. P219PSKult17 Konzepte und Theoreme des akteurszentrierten Institutionalismus Akteure sind durch bestimmte Fähigkeiten und Handlungsorientierungen, Wahrnehmungen, Präferenzen gekennzeichnet. Sie stehen in einer bestimmten Konstellation (und Handlungssituation) zueinander. Außerdem beeinflusst die Interaktionsform (einseitiges Handeln, Verhandlung, Mehrheitsentscheidung, hierarchische Entscheidung) das politische Ergebnis. P219PSKult18 Anwendung des akteurszentrierten Institutionalismus in der Planungsforschung Beispiel KNIELING/FÜRST/DANIELZYK (2003): Kooperative Handlungsformen in der Regionalplanung Untersuchung der Praxis der Regionalplanung in acht deutschen Planungsregionen, insbesondere kooperativer Ansätze: - Verfahren zur Erstellung der Regionalpläne - Bezug zu Fachplanungen (Naturschutz) oder Kommunalplanungen - Zusatzaktivitäten (z. B. Regionalentwicklung, Wirtschaftsförderung) P219PSKult19 Anwendung des akteurszentrierten Institutionalismus in der Planungsforschung Einige Ergebnisse: • Überall kooperative Ansätze feststellbar, aber Restriktionen • Institutioneller Rahmen: Dominanz der Ordnungsfunktion, Lokalismus, Formalisierung, geringe Ressourcen der Planungsstellen, Konflikte mit Landesplanung usw. • Akteurskonstellation: Große Anzahl, heterogene Interessenstruktur, mit der Regionalplanung konkurrierende Akteure usw. • Einstellungen und Verhaltensmuster der Akteure: Kein Regionsbewusstsein, feindliche Akteursorientierung, Tagesroutinen, ordnungsorientiertes Selbstverständnis usw. P219PSKult20 Schichtenmodell der Planungsgeschichte Quelle: K. SELLE, 1998, S. 54 P219PSKult21 Wichtige Themenfelder und Einzelprobleme • Wer sind eigentlich die Akteure des Raumordnungssystems, wer nimmt Einfluss auf Standort- und Allokationsentscheidungen? • Wie sieht die primäre Intentionalität der Akteure aus? („Zwei Wirklichkeiten“) • Politische Ökonomie der Standortproduktion und „politischer Opportunismus“: Wie lässt sich der politische Nutzen der Raumordnung darstellen? • Wie funktionieren Leitbilder? • Welchen Einfluss haben Planerbiographien auf Inhalte und Abläufe von Planungsprozessen? • Wie lassen sich Planungssysteme typisieren? (Planungsstile, Planungskulturen, Planungsparadigmen, Planungsdoktrinen, …) P219PSKult22 Akteure des Raumordnungssystems und ihre „primären Intentionalitäten“ Das Raumordnungssystem wird in der Literatur meist als institutionelle Struktur beschrieben, die als professionelles und zweckrational organisiertes Handlungssystem dazu dient, im Konsens der gesellschaftlichen Kräfte optimale Standortstrukturen für bestimmte Territorien zu produzieren. Als relevante Akteure gelten dabei die Vertreter der Planungsbehörden, die ressortzuständigen Politiker sowie die beteiligten Ziviltechniker-Planer (Österreich). In Wahrheit sind am System der Standortproduktion wesentlich mehr Akteure beteiligt, deren primäre Intentionalitäten in der Regel an verschiedenen anderen Motiven und Zwecksetzungen orientiert sind. P219PSKult23 Akteure des Raumordnungsprozesses (Österreich) DIENSTLEISTER PRIVATWIRTSCHAFT POLITIK Landespolitik Parteipolitik Kommunalpolitik Anwälte ZiviltechnikerRaumplaner Gutachter Institute MEDIEN Journalisten Herausgeber INTERESSENVERTRETUNGEN Sozialpartner Kammern DIENSTLEISTER VERWALTUNG GRUNDBESITZER, VERFÜGUNGSBERECHTIGTE Amtsleiter, Gemeindebedienstete Bauern, Private Bezirkshauptmann, Beamte BH Fachbeamte Planungsämter Betriebe, Konzerne Kapitalgesellschaften Bauträger Projektanten Geschäftsführer Regionalverbände Standesvertretungen „BETROFFENE“ Bürgerinitiativen NGOs Anrainer Kirche etc. P219PSKult24 Primäre Intentionalität DIENSTLEISTER PRIVATWIRTSCHAFT Aufträge, Wertschöpfung DIENSTLEISTER VERWALTUNG Verwaltungsvollzug, Karriere Kompetenzabgrenzung POLITIK Wahlerfolg, Macht, Budget MEDIEN Auflage, Erfolg GRUNDBESITZER, VERFÜGUNGSBERECHTIGTE INTERESSENVERTRETUNGEN Lobbying, Gruppeninteressen „BETROFFENE“ Wertschöpfung, Verwertung Lebensqualität, Interessen P219PSKult25 Politische Ökonomie der Standortproduktion Die Frage der politischen Ökonomie der Standortproduktion wird in der planungstheoretischen Literatur geradezu als Tabuthema gehandhabt, gelegentlich ist verschämt von „politischem Opportunismus“ (J. GENOSKO, 2002) die Rede. In Wahrheit ist der Prozess der Raumordnung in sehr erheblichem Maße durch den politischen Nutzen der Standortproduktion geprägt. Es erscheint absurd, „…dass die überlieferte ökonomische Standort- und Landschaftsstrukturtheorie die Regierenden als verantwortliche Aktoren im Siedlungsprozess überhaupt nicht wahrgenommen hat.“ D. BÖKEMANN, 1982, S. 11 P219PSKult26 Ökonomische Theorie der Demokratie „In Demokratien nutzen die Regierenden … den ihnen durch Wahlen anvertrauten Staatsapparat (Bürokratie) auf analoge Weise wie private Wirtschaftssubjekte ihr Eigentum: nach der ökonomischen Rationalität des Eigennutzes zur Erhaltung und Vermehrung ihrer Verfügungsrechte über bestimmte Mittel.“ D. BÖKEMANN, 1982, S. 19 Standorte lassen sich als vom Staat bzw. Gebietskörperschaften produzierte Güter betrachten. Neben den Grundstückseigenern ist auch die öffentliche Hand „Verfügungsberechtigte“ von Standorten, denn sie ist am Nutzenertrag (etwa in Form von erwirtschafteten Steuern) beteiligt. In Anlehnung an J. SCHUMPETER, 1942, A. DOWNS, 1968 oder J. M. BUCHANAN, 1968 P219PSKult27 Ökonomische Theorie der Demokratie Flächenwidmungspläne, Regionalpläne, Sachprogramme, Stadt- oder Landesentwicklungsprogramme „produzieren“ Standorte und damit Nutzungspotenziale. Die Regierenden bedienen sich dabei institutionell abgegrenzter Bereiche der Verwaltung als „Produktionsapparate“. Ihre „Ertragserwartungen“ sind primär daran orientiert, sich politische Entscheidungsspielräume zu erhalten und möglichst zu vergrößern. Ihre „Produktionsziele“ sind deshalb nicht standortfunktional (im Sinne einer Optimierung der „Ordnung des Raumes“), sondern durch politische Nutzenkategorien oder „politische Güter“ definiert, die der Sicherung und/oder Vergrößerung politischer Handlungsspielräume dienen. P219PSKult28 Ökonomische Theorie der Demokratie „Politische Güter“: • Disposition über Budgetmittel (Steuereinnahmen) • Wählerloyalität (Wählerstimmen) • Erhöhung des Standortnutzens (bzw. Minimierung der Standortbenachteiligung) für jene privaten Standorteigner (oder Anrainer), die dem eigenen politischen Klientel angehören. Ökonomische Abwägungen über politische Güter können auch dazu führen, dass auf die Produktion standörtlicher Nutzungspotenziale verzichtet wird, wenn die Regierenden befürchten, dass Wähler (z. B. betroffene Anrainer) ihnen deshalb ihre Gunst entziehen könnten. P219PSKult29 Politische Ökonomie der Standortproduktion Analyse konkreter empirischer Beispiele: • Position der Regierung Schausberger (ÖVP) gegenüber den Ausbauplänen des Salzburger Airport-Centers (Bestandsschutz des innerstädtischen Einzelhandels) • Position der Regierung Burgstaller (SPÖ/ÖVP) zur gleichen Frage (Einkaufszentren sind gute Arbeitgeber, beschäftigen Behinderte, stellen Lehrlinge ein, Arbeitgeber sind gewerkschaftlich organisiert) Im Kontext der politischen Ökonomie ist auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass die Standortproduktion als Medium für die Erzielung eines „Ego-“ oder Imagegewinns für einzelne Akteure eingesetzt werden kann. P219PSKult30 Politische Ökonomie der Standortproduktion Überlegungen zur politischen Ökonomie der Raumordnung bieten sehr plausible Ansätze zur Erklärung des faktischen Versagens der Regionalplanung. Im Bereich der Regionalplanung kann es einen politischökonomischen Nutzen nur dann geben, wenn die betreffende Planungsregion auch als „Quasi-Gebietskörperschaft institutionalisiert ist und sowohl „Regierende“ als auch erwähnenswerte eigenständige Budgets existieren. Best-Practice-Beispiele einer funktionierenden Regionalplanung (die Regionen Stuttgart und Hannover) sind beeindruckende empirische Belege für diese These. P219PSKult31 „Planungsdoktrin“ Der Begriff „Planungsdoktrin“ wurde von A. FALUDI (1989 und 1999, A. FALUDI und A. J. van der VALK, 1994) eingeführt und am Beispiel des niederländischen Planungssystems erläutert. Wir glauben, dass sich dieses Konzept zu einem hervorragenden analytischen Modell zur detaillierten Darstellung der Tiefenstruktur und zur Typisierung von Raumordnungssystemen weiterentwickeln lässt. Planungsdoktrin: ein konzeptuelles Schema, das von einem Planungssubjekt verwendet wird „… to integrate and express its ideas about the planning and development of a spatially defined area“ (E. R. ALEXANDER und A. FALUDI, 1996, S. 13). P219PSKult32 Planungsdoktrin Wir verstehen unter „Planungsdoktrin“ die Gesamtheit aller mit dem Planungsprozess verknüpften Denkkonzepte, Ziele Raummodelle, Bilder, Metaphern, Verfahren, Methoden, Regeln und Normen, die für ein bestimmtes Raumordnungssystem charakteristisch und konsensbildend sind. Dazu zählen auch alle Vorstellungen und Postulate über Kompetenzen und deren Hierarchie, die Definition des Planungssubjekts und die Abgrenzung des Planungsobjekts. Planungsdoktrinen sind in keinem Dokument oder Gesetz expressis verbis ausformuliert, lassen sich aber aus den Planungsdokumenten sowie der sozialen und administrativen Praxis erschließen. P219PSKult33 Die aktuelle Planungsdoktrin der österreichischen Bundesländer I • Raumordnung hat weit überwiegend ordnungspolitische Aufgaben und Zielsetzungen. • Raumordnung ist Sache der Länder und Gemeinden. Nur sie kommen als Planungssubjekte in Frage. • Raumplanung ist ausschließlich eine Angelegenheit der dafür eingesetzten amtlichen Institutionen (Planungsabt.). • Planungsregionen sind durch Verwaltungsgrenzen definiert; Gemeinde-, Länder- und Staatsgrenzen sind als unüberschreitbare Kompetenzbarrieren zu akzeptieren. P219PSKult34 Die aktuelle Planungsdoktrin der österreichischen Bundesländer II • Raumplanung darf sich nur auf raumwirksame Maßnahmen beziehen; Wirtschafts- und Sozialpolitik sind eigenständige Bereiche, die von der Raumordnungspolitik strikt zu trennen sind. • Raumplanung darf nur solche Verfahren und Instrumente einsetzen, die in den einschlägigen Gesetzen definiert sind. • Raumordnung ist Verwaltungshandeln; die Rationalität des Planungsprozesses ist primär durch juristische Argumentation gekennzeichnet. •… P219PSKult35 Eine Planungsdoktrin, die mit den aktuellen Erfordernissen kompatibel wäre I • Raumordnung hat weit überwiegend entwicklungspolitische Aufgaben und Zielsetzungen. • Raumordnung ist Sache aller gesellschaftlichen Kräfte einer Region. Als Planungssubjekte sind primär Funktionalregionen bedeutsam. • Raumplanung ist nicht nur eine Angelegenheit der dafür eingesetzten amtlichen Institutionen (Planungsabt.), sondern soll alle regionalen Akteure aktiv einbeziehen. • Planungsregionen sind durch die sozioökonomische Praxis definiert; Gemeinde-, Länder- und Staatsgrenzen dürfen dabei keine entscheidende Rolle spielen. P219PSKult36 Eine Planungsdoktrin, die mit den aktuellen Erfordernissen kompatibel wäre II • Raumplanung darf sich nicht nur auf raumwirksame Maßnahmen beschränken; Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik sind mit der Raumordnungspolitik eng zu vernetzen. • Raumplanung muss alle Verfahren und Instrumente einsetzen, die für zeitgemäße Management- und Marketingprozesse erforderlich und geboten sind; Steuerungsmaßnahmen sind besonders über privatrechtliche Verträge abzusichern. • Raumordnung ist als Governance-Prozess zu organisieren; die Rationalität des Planungsprozesses ist primär durch Sachargumente gekennzeichnet. •… P219PSKult37 P222ZOREÖGR/30 Institutionen Unter einer Institution versteht man „...eine Sinneinheit von habitualisierten Formen des Handelns und der sozialen Interaktion, deren Sinn und Rechtfertigung der jeweiligen Kultur entstammen und deren dauerhafte Beachtung die umgebende Gesellschaft sichern.“ H. L. GUKENBIEHL, 2002 b, S. 144. Habitualisiertes Handeln: zur Gewohnheit gewordene Handlungsroutinen. SWG/04/02/09 Strukturen von Institutionen • Leitidee („Verfassung“); wird von den Mitgliedern des jeweiligen Gesellschaftssystems anerkannt; Beispiel: Gedanke des Ehesakraments; • Personalbestand: jenes Ensemble von Positionen und Rollen, das für die Realisierung der Leitidee erforderlich ist (Braut, Bräutigam, Priester, ...). • Regeln und Normen: steuern den Umgang der beteiligten Personen miteinander und sollen die Realisierung der Leitidee sicherstellen (Ritual, „Ja“, etc.). • Materieller Apparat: Gegenstände, Werkzeuge, Settings, die für die Realisierung der Leitidee eingesetzt werden (Kirche, Ringe, ...). SWG/04/02/10 Gesellschaftsaspekt und Personenaspekt von Institutionen • Gesellschaftsaspekt: Institutionen sind in der geistigen und materiellen Welt einer Gruppe verankert und Bestandteil der Kultur dieser Gruppe. • Personenaspekt: Institutionen sind in den Bewusstseinsprozessen von Personen verankert und sind Bestandteile ihrer Lebenswirklichkeit. SWG/04/02/11 Strukturmodell der Institutionen Geistige Welt Biographie Bewusstsein Geistige Kultur Leitidee Person Personal Institution Normen Gesellschaft Materieller Apparat Körper Materielle Kultur Materielle Welt Quelle: H. L. GUKENBIEHL, 2002 b, S. 147, verändert. SWG/04/02/12 Funktionen von Institutionen Institutionen verknüpfen Personen, Gegenstände und Handlungen derart, dass durch das gemeinsame und koordinierte Handeln bestimmte gesellschaftlich bedeutsame Aufgaben, die immer wieder vorkommen, in gleichartiger und damit vorhersehbarer Weise vollzogen werden können. (Vergl. H. L. GUKENBIEHL, 2002 b, S. 147. Institutionen vermitteln dem Individuum das Gefühl von Stabilität, Sicherheit und Ordnung. SWG/04/02/13