Mikro I Wintersemester 2001/02 Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Prof. Dr. P.B. Spahn Goethe-Universität, Frankfurt/Main 1 Mikro I Was kann man von der Mikroökonomie lernen? • Fachliche Sprachregelungen treffen. • Formale Konzepte zur Beschreibung von Zusammenhängen kennenlernen. • Analytische Konzepte (Abstraktion) üben. • Methoden des Schließens benutzen (Deduktion, Induktion). • Formale Methoden erlernen (z.B. Lagrange). Goethe-Universität, Frankfurt/Main 2 Mikro I Was kann man von der Mikroökonomie lernen? • Modelle verstehen und konstruieren. • Grenzen der positiven Analyse abstecken (im Verhältnis zur normativen Analyse). • Gefahr der Ideologisierung erkennen und vermeiden. • Formalen Zugang zu speziellen Anwendungsbereichen erschließen. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 3 Mikro I Womit beschäftigt sich die Ökonomie? Die Ökonomie beschäftigt sich mit der Frage, wie knappe Ressourcen auf verschiedene alternative Verwendungs- zwecke aufgeteilt werden sollen, um Bedürfnisse bestmöglich zu befriedigen. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 4 Mikro I Das Ziel des Wirtschaftens: Bedürfnisbefriedigung • Problem der historisch-kulturellen Formierung von Bedürfnissen. • Problem der Manipulation von Bedürfnissen. • Problem der Dynamik und zeitlichen Variation von Bedürfnissen (Sättigung). • Sind Bedürfnisse begrenzt oder unbegrenzt? Goethe-Universität, Frankfurt/Main 5 Mikro I Ressourcen • Sind alle Güter und Dienste, die zur Bedürfnisbefriedigung geeignet sind – Direkt durch Konsumption – Indirekt durch Einbringen in die Produktion und schließlich Konsumption. • Insofern Produktion und Konsumption Zeit benötigen, ist auch Zeit eine Ressource. • Gibt es freie Ressourcen? Goethe-Universität, Frankfurt/Main 6 Mikro I Knappheit • Knappheit aus der Natur (Luft, Wasser, Land, Arbeit, Kapital) • Knappheit aus Rivalität (= “private” Güter versus “öffentliche”) • Knappheiten aus der Natur lassen sich durch Produktionsprozesse überwinden. • Knappheiten aus Rivalität erfordern soziale Diskriminierungsmechanismen (Verfügungsbeschränkungen). Goethe-Universität, Frankfurt/Main 7 Mikro I Diskriminierungsmechanismen Sie erwachsen aus : • “Produktionsverhältnissen” (z. B. Sklavenwirtschaft, Industriegesellschaft); • gesellschaftlichen und institutionellen Regeln (z. B. Eigentumsordnung, Recht); • ausgeübter politischer Macht; • Alternativkosten (Opportunitätskosten). Goethe-Universität, Frankfurt/Main 8 Mikro I Exit, Voice, Loyality • Welche Funktionen muß ein Diskriminierungsmechanismus • Allokationsfunktion (Zuordnung auf Verwendungs– Wie soll zugeordnet werden? – Wie erreicht man die Zuordnung? erfüllen? A. O. Hirschmann, weisen) *1915 • Distributionsfunktion (Zuordnung auf Personen) Goethe-Universität, Frankfurt/Main 9 Mikro I Diskriminierungsmechanismen und Mikrotheorie • Die traditionelle Mikrotheorie stellt den Markt als ökonomisches Diskriminierungsinstrument in den Vordergrund. • Die Spieltheorie interessiert sich für die Auswirkungen strategischen Handelns auf die Allokation und Distribution von Ressourcen. • Die Institutionenökonomie untersucht die Wirkungen von Institutionen (Regeln, Sitte, Gesetz) auf ökonomische Fragestellungen. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 10 Mikro I Die Funktionsweise des Marktes • Der Markt läßt dem Einzelnen die Wahl, am Wirtschaftsprozeß zu partizipieren oder nicht, und auf welche Weise (“Liberalismusprinzip”). • Voraussetzungen sind jedoch – die Fähigkeit zur Partizipation; – die Funktionsfähigkeit der Marktpreise, als objektive Indikatoren für Knappheit zu fungieren (u.a ein herrschaftsfreies Umfeld). Goethe-Universität, Frankfurt/Main 11 Mikro I Grundmodell der Mikroökonomie Konsumenten Produzenten MARKT Eigner von Ressourcen Goethe-Universität, Frankfurt/Main 12 Mikro I Modellstruktur als Abstraktion • Funktionale Aufteilung der Akteure. • Vernachlässigung wichtiger Akteure (z.B. Staat, Außenwirtschaft). • Aggregative Sicht (“typisches Verhalten”). • Unterstellt eine bestimmte Organisations-form (den Markt) für die Interaktionen. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 13 Mikro I Modellannahmen im Hinblick auf • Zielfunktion der Akteure (bestmöglich!) “Homo oeconomicus” • Eigenschaft der Ressourcen (homogen, privat) • Informationsfluß (Transparenz, keine Unsicherheit, Preis als objektiver Indikator) • Technologie der Produktion und des Tausches (z. B. keine Transaktionskosten) • Zeithorizont (komparative Statik) Goethe-Universität, Frankfurt/Main 14 Mikro I Eigner von Ressourcen • Sie stellen Ressourcen zur Nutzung zur Verfügung und erhalten dafür Einkommen. • Eigner stellt auf die “Verfügungsmacht”, nicht notwendigerweise das Eigentum ab. • Die Verfügungsmacht muß durch Regeln hergestellt und gesichert werden. • Sie dienen aber vornehmlich zur Reduktion von Unsicherheit und Komplexität. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 15 Mikro I Unternehmer • Sie organisieren die Produktion und erhalten dafür einen Gewinn (Profit). • Wozu braucht man Unternehmer, wo doch die Allokation über den Markt geschieht? • Vorläufige Antwort: Eine hierarchische Organisation der Produktion kann Transaktionskosten reduzieren, die bei anarchischer Produktion auftreten können. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 16 Mikro I Konsumenten Dies sind alle Einkommensbezieher (bzw. Empfänger von Transferzahlungen). • Die Entscheidung über die Verwendung des Einkommens wird von Haushalten getroffen und ist auf Bedürfnisbefriedigung gerichtet. • Das Aggregat dieser Entscheidungen trifft auf den Markt als “Marktnachfrage”. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 17 Mikro I Teil II: HAUSHALTSTHEORIE • Annahme: Jeder Haushalt kennt in etwa sein Einkommen, auch kennt er die Bedürfnisse seiner Mitglieder. • Dann ist sein Ziel: Der optimale Verbrauchsplan, d.h. die Verwendung seines Einkommen in einer Weise, daß ein Maximum an “Wohlfahrt” (Ophelimität) erzielt wird. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 18 Mikro I Die Wirklichkeit der Haushaltsentscheidung • Der Haushalt agiert als Organisationseinheit. • Er agiert in einer Handlungsumgebung, die Rücksichtnahme auf Andere einschließt. • Er agiert bei individuell veränderlichen Bedürfnissen (Erfahrung, Lernen) • Er agiert unter beschränkter Information und bei ungleicher Verteilung von Information (tradierte Verhaltensweisen). Goethe-Universität, Frankfurt/Main 19 Mikro I Die Wirklichkeit der Haushaltsentscheidung • Er agiert in Gruppen, d.h. individuell-rationale Entscheidungen können durch kollektivrationale ersetzt werden, die ersteren zuwider laufen. • Als Beispiel dient das “Gefangenendilemma” (“prisoner’s dilemma”), das einen wichtigen Ausgangspunkt für die Spieltheorie darstellt. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 20 Mikro I Spieltheorie John von Neumann 1903-1957 Ihre Begründer waren John von Neumann und Oskar Morgenstern Oskar Morgenstern 1902-77 • Sie beschäftigt sich mit der Theorie strategischer Spiele und findet zunehmend Anwendung in der Ökonomie Goethe-Universität, Frankfurt/Main 21 Mikro I Spieltheorie • Reihard Selten (ehem. Universität Frankfurt) erhielt 1994 für seine Arbeiten zur Spieltheorie den Nobel-Preis (zusammen mit John Nash und John C. Harsanyi). Goethe-Universität, Frankfurt/Main Reinhard Selten, *1930 22 Mikro I Gefangenendilemma-Spiel: Vergleich Dilemma-Situation C D C 3;3 0;4 D 4;0 2;2 Kollektiv-rational ist C; individuell-rational vielleicht D. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 23 Mikro I Gefangenendilemma-Spiel: Vergleich C D Dilemma-Situation Traditionelle Mikroökonomie C D C D 3;3 0;4 C 4;4 2;3 D 3;2 1;1 4;0 2;2 In der Mikroökonomie ist immer C die Lösung. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 24 Mikro I Annahmen der Haushaltstheorie • Der Haushalt kennt alle Güter auf dem Markt. • Er kennt die technischen Eigenschaften der Güter hinsichtlich der Bedürfnisbefriedigung. • Er kennt die Preise aller Güter. • Er geht davon aus, daß sich Preise nicht durch das eigene Verhalten ändern. • Er kennt genau sein Periodeneinkommen. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 25 Mikro I Zum Güterbegriff • Bei Gütern wird auf die von ihnen (hinsichtlich Bedürfnisbefriedigung) ausgehenden Leistungsströme pro Zeiteinheit abgestellt. • Dadurch wird das Problem der Unteilbarkeit bestimmter Güter vermieden (z. B. ein halbes Auto). • Allerdings wird dadurch eine Investitionstheorie des Haushalts erforderlich. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 26 Mikro I Theorie der Konsumentenpräferenzen • Ein Haushalt bezieht Nutzen (Befriedigung von Bedürfnissen) aus den Leistungen bestimmter Güter. • Seine (kardinale) Gesamtnutzenfunktion ist: U = U(x1, x2, ..., xn), wobei x1, x2, ..., xn Gütermengen sind. Güter U(x) Goethe-Universität, Frankfurt/Main Nutzen 27 Mikro I Beispiel für eine kardinale Nutzenfunktion kg Äpfel 0 1 2 3 4 5 Goethe-Universität, Frankfurt/Main U dU 0 5 5 9 4 13 4 16 3 18 2 28 Mikro I Marginaler Nutzen • Er gibt an, um wieviel Einheiten der Nutzen steigt, wenn sich die Menge eines Gutes um eine Einheit erhöht, also hier MU = U / x, in diskreter Form, oder MU = d U / d x, in stetiger Form. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 29 Mikro I Nutzenmaximierung bei kardinalen Nutzenfunktionen • Der Haushalt verteilt sein Einkommen auf zwei Güter x und y so, daß der marginale Nutzen für jedes Gut proportional zum Preis ist, also MU y MU x px py MU x • Warum? px ist der Grenznutzen der letzen DM, die auf x verwendet wird. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 30 Mikro I Beispiel: Kardinale Grenznutzentabelle Wert in DM Nahrungs- Kosmetika mittel 1 9 4 2 7 3 3 3½ 2 4 2½ 1 5 2 1 Goethe-Universität, Frankfurt/Main 31 Mikro I Ordinale Nutzentheorie: Axiome • Für x und y kann der Haushalt angeben, ob U(x) > U(y) oder Vilfredo Pareto U(x) < U(y); oder ob 1848 - 1923 U(x) = U(y) [Indifferenz]. • Wenn U(x) > U(y) und U(y) > U(z), dann gilt auch U(x) > U(z) [Transitivität]. • Wenn xi X > yi Y für alle i (strikt größer), dann gilt auch U(X) > U(Y) [Nichtsättigung]. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 32 Mikro I Dreidimensionale ordinale Nutzenfunktion: Das “Nutzengebirge” 100 80 60 40 20 0 für die spezifische Funktion U = x y Goethe-Universität, Frankfurt/Main 33 Mikro I Schnitte durch das Nutzengebirge • Senkrecht zur Grundfläche, parallel zur x-Achse U = U(x; y) oder U(x), da y konstant. • Senkrecht zur Grundfläche, parallel zur y-Achse U = U(y; x) oder U(y), da x konstant. • Parallel zur Grundfläche U = U(x; y) = konstant. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 34 Mikro I Nutzengebirge U =xy 7 6 5 4 3 2 20 1 0 15 10 5 x-Achse 5 10 15 20 10 15 20 7 6 5 4 0 3 2 1 0 Goethe-Universität, Frankfurt/Main y-Achse 5 35 Mikro I Nutzengebirge U = xy Ableitung der Indifferenzkurve y-Achse x-Achse Goethe-Universität, Frankfurt/Main 36 Mikro I Ableitungen der Funktion U(x,y) Partielle Ableitung nach x Partielle Ableitung nach y MUx = MUy = U x U y Totales Differential MU = Goethe-Universität, Frankfurt/Main U U dx dy x y 37 Mikro I Warum haben Indifferenzkurven negative Steigung ? Bereich IV Bereich III A Bereich I Bereich II Nach Axiom 3 wird A dem Bereich I vorgezogen, aber auch Bereich III dem Punkt A. Also muß die IK durch die Bereiche IV und II gehen. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 38 Mikro I Weitere Eigenschaften von Indifferenzkurven • Da der Konsument jedes beliebige Güterbündel vergleichend bewerten kann, gilt: Durch jeden Punkt im Güterraum verläuft eine Indifferenzkurve (IK). • Eine IK kann sich mit Entfernung vom 0-Punkt nicht wieder von den Achsen entfernen. • IK können sich nicht schneiden. • IK sind konvex zum Ursprung. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 39 Mikro I Indifferenzkurven-Schar • Nach Nord-Osten steigt das Nutzenniveau an. d.h., U1 < U2 < U3 y 0 U1 U2 U3 x Goethe-Universität, Frankfurt/Main 40 Mikro I Die Grenzrate der Substitution (MRS) • Es ist wichtig zu wissen, wie viele Einheiten x der Konsument für eine zusätzliche Einheit y zu opfern bereit ist (seine subjektiven Alternativkosten), um indifferent zu bleiben. • Die Grenzrate der Substitution ist formal: dy / dx < 0, weil ein Mehr an x immer ein Weniger an y bedeutet. Wir definieren aber im folgenden immer MRSxy = | dy / dx |. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 41 Mikro I “Gesetz” der (absolut) abnehmenden MRS • Mit zunehmendem Nutzen nimmt der Grenznutzen ab („1. Gossensches Gesetz“). Dies bedeutet, daß die Ableitung der IK (dy/dx), die ja negativ ist, mit steigendem x (absolut) fällt, also 0 Goethe-Universität, Frankfurt/Main 2 d y dx 2 42 Mikro I Das “Gesetz” für die IK y = 10 / x 10 8 y 6 4 2 x 0 dy/dx -2 -4 -6 0 5 Goethe-Universität, Frankfurt/Main 10 15 20 43 Mikro I Wie erhalten wir die MRS ? dU = 0 = = U U dx dy x y MU xdx MU ydy - dy = MU Goethe-Universität, Frankfurt/Main / MU dx x y 44 Mikro I Wie erhalten wir die MRS ? dy MU x MRSxy MU y dx dx MU y MRSyx MU x dy Goethe-Universität, Frankfurt/Main 45 Mikro I Definition der MRSxy Die MRS von Gut x durch y ist dem umgekehrten Verhältnis der Grenznutzen gleich. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 46 Mikro I Die Theorie des Konsumentenverhaltens • Das Konsumentenverhalten steht unter der Restriktion („constraint“), daß das Geldeinkommen M des Haushalts fix ist. Für zwei Güter x und y lautet die Budgetgleichung des Konsumenten: M x px y p y Goethe-Universität, Frankfurt/Main 47 Mikro I Der “Budgetraum” – Er ist die Menge aller Güterbündel, die gekauft werden können, wenn das ganze oder ein Teil des Geldeinkommens aufgegeben wird. y Budget 0 x Goethe-Universität, Frankfurt/Main 48 Mikro I Die Budgetbeschränkung transformiert in den Raum x,y • ergibt die Schar der Geraden: 1 px y M x py py für verschiedene M. px p y repräsentiert • Das Preisverhältnis dabei die objektiven Alternativkosten von x und y. Goethe-Universität, Frankfurt/Main 49 Mikro I Geometrische Interpretation der Budgetgeraden • Für ein bestimmtes M läßt sich die Gerade wie folgt definieren: A y 0 x Goethe-Universität, Frankfurt/Main 50 Mikro I Verschiebungen der Bilanzgeraden • A. Veränderungen des Geldeinkommens Die Geraden werden parallel verschoben! wobei M1 < M2 M2 y py M 1 py 0 Goethe-Universität, Frankfurt/Main x 51 Mikro I Drehung der Bilanzgeraden • B. Veränderungen eines Preises (hier px) C Bei steigendem Preis dreht sich die Gerade in Punkt C von A nach B. y 0 x Goethe-Universität, Frankfurt/Main B A 52